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Die Dividendenburg

Vor dem Landhause Doktor Rapps hatte der Baumeister in den abschüssigen Hang eine Terrasse eingeschnitten, über die ein hundertjähriger Ahorn seine Krone neigte. Wo ihr Schatten hinfiel, stand ein mit Nymphenburger Porzellan und blankem Silber aus dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts bestellter runder Kaffeetisch; bequeme Sessel aus Peddigrohr umringten ihn. Ein schlicht livrierter Diener trat lautlos schreitend heran, setzte die Kanne auf den roten chinesischen Lackuntersatz, stülpte die wattierte Wärmhaube darüber, musterte sein Werk zufrieden und stieg, den Kopf mit eingeübter Anmut leicht nach links geneigt, die Freitreppe zur Tür ins Haus empor. Doch auf der zweiten Stufe schon hemmte er seinen Schritt, wich seitwärts aus und machte Front.

Die junge Frau, groß, üppig und gesund, die oben auf der Schwelle erschienen war, stieg schnell herab. »Kaffee schon da? Ist recht. Gel, Otto, sagen S' dann den Herrn Bescheid!«

»Sehr wohl!« erwiderte der Bediente in farblosem Lakaienton; aber der Blick, den er der Dame folgen ließ, fiel aus dem Stil. Bewunderung lag darin, Bewunderung des Mannes für die Frau, und Mann darf sich ein Diener doch nur fühlen, wenn er Ausgang hat. Übelzunehmen war ihm der verstohlne Seitensprung ins Menschliche zwar nicht, denn Centa Hollerieth war auffallend schön gewachsen, was in dem Dirndlkleide von echt bäuerlichem Schnitt günstig zur Geltung kam, sie hielt sich ungezwungen stolz und hatte einen leichten Gang, wie er bei üppigen Frauen keineswegs die Regel ist. Ihr zierlich gedrechselter Hals trug frei den Kopf, um den sich das braune Haar in einem Flechtenkranze schlang. Rund und frisch wie ein edler deutscher Apfel war das sonnverbrannte Gesicht, dem eine kurze Nase von formvoll feiner Zeichnung die besondre Note gab. Über dem weichen Kinn stand ein großer, vollippiger, aber untadelig geschnittner Mund, der gern die starken, kerngesunden Zähne sehen ließ. Die grünlich braunen Augen hätte man sich vielleicht größer wünschen mögen, aber man vergaß das über ihrem klugen Blick und dem ganz eigenen Leuchten, das, wenn sie lebhaft sprach oder nur lauschte, kindlich klar in ihnen aufging. Und vertiefte noch ein Lächeln ihre Wangengrübchen, dann erstrahlte Centa Hollerieths Gesicht von einer Liebenswürdigkeit, der man schwer widerstand.

Otto entriß sich mit einem verhaltnen Seufzer seiner Träumerei und ging ins Haus. Centa nahm am Tische Platz und faßte nach dem Häuflein Briefe, das dort auf einem silbernen Teller lag. Sie sah es so gleichgültig durch, als ob sie sich nur überzeugen wolle, daß bei der Post nichts für sie sei. Dann aber rief sie: »Doch! Ja, was wär das!« und zog ein lila Kuvert hervor, das in einer Kaufmannshandschrift, der auch die lebhaft grüne Tinte keine Eigenart verleihen konnte, die Anschrift trug: »Hochwohlgeboren Fräulein Centa Hollerieth, Tegernsee, Villa Rapp. Persönlich!« Sie lachte: »Schau! Ein billet doux für mich, das auf zehn Meter nach Lavendel schmeckt! – Ja, ist das nicht ...?« kam es verblüfft von ihren Lippen, und sie drehte das Kuvert neugierig um. Ein Absender war nicht darauf vermerkt, aber sie wußte jetzt ohnehin, von wem das Schreiben war – das ließ sich leicht in ihrer Miene lesen. Ihre Hand tastete am Zopf nach einer Haarnadel, die sich als Brieföffner benutzen ließe; plötzlich fuhr sie zusammen, ein Lauschen trat in ihren Blick, und flugs barg sie den Brief im Spenzerausschnitt ihres Dirndlkleides.

Wenn niemand ahnen sollte, daß sie etwas mit der Post bekommen hatte, war es auch hohe Zeit dazu gewesen. Denn oben in der Tür erschien ein Herr weit in den Dreißigern. Daß er ein »Herrischer« war, erkannte man sofort, obschon er sich als Tegernseer Bauer trug und seine abgewetzte Lederhose selbst einem Holzknecht bestenfalls am Werktag hätte dienen können. Schon die Schmisse, die sein Gesicht aufwies, die runde Schildpattbrille, hinter der pfiffige Äuglein funkelten, und der englisch zugestutzte Schnurrbart deuteten auf den studierten Mann und Städter hin. Entscheidend aber war der Ausdruck der luftbraunen Züge. Kopfarbeit prägt andere Runen in ein Gesicht als die dem Eingeborenen des Tegernseer Tales eigne Beschlagenheit in Viehhandel und Sommerfrischlerseelenkunde.

»Ah, du, Ferdl? Hab dich gar nicht kommen hören«, schwindelte die hübsche Centa, als der Herr des Hauses schon neben ihrem Stuhle stand.

»Meinen Kaffeedurst wünsch ich keinem!« brummte er und ließ sich schwer in einen Sessel fallen. »Mach! Es braucht's! Daß man erst einmal richtig wach wird!« Und er reckte sich.

»Bis jetzt geschlafen? A?« Sie schüttelte den Kopf.

»Weißt du mir bei der Hitz was Klügeres?« fragte er, holte eine halblange Pfeife aus der Tasche und fing sie zu stopfen an. »Zwei Stund am hellen Nachmittag! Das hilft fei auch dazu, daß du so dick wirst neuerdings.«

»Ah, laß du meinen Bauch nur gehn! Der ist ganz recht so, wie er ist.« Er zog die Tasse her und rührte um.

»Hauptsache, daß du dir gefällst!«

»Ah? Und dir nimmer? Geh? Magst dir am End gar einen andern fangen?«

»Mei, Ferdl, wenns d' weiter aufgehst wie ein Hefenteig ... Verheiratet sind wir noch nicht.«

»No, dein Verdienst wird das kaum sein«, bemerkte er und trank.

»Einbilderisch, wie so ein Herr der Schöpfung ist! – Mein Lieber, hätt ich im Ernst einmal den Kopf darauf gesetzt, dann wären wir schon lange ...«

»... über den Altar gestolpert?« fragte er. «Glaub's nicht. Zu was denn auch! Geht mir ja so nix ab davon, was man von einer ›legütümen‹ Gattin hat: gönnst mir nimmer den Mittagsschlaf, schimpfst über meinen Bauch und schonst mein Herz durch Zusatz zum Kaffee.«

»Kein Bröckerl!« Sie hob ihre Hand zum Schwur. »Freilich, so damisch stark, wie du ihn gern hättst, ist er nicht, weil's dir nicht gut tut; gel?«

»Sag ich's denn nicht! Verheirateter kann man schwer sein.«

»Ah, Ferdl, du wirst's schon noch spannen, daß man's kann. Zeit lassen! Das kommt von allein.«

»Ah, so herum? Du meinst wohl, man wird alleweil älter, dümmer und – erwacht dann eines Morgens in der Früh als Ehemann?«

Sie trumpfte auf: »Das sag fei nicht bloß ich. Nein, auch der Brokkenhuus ...«

»Der muß es wissen! So, dein Beichtiger? Ich krieg's noch mit der Eifersucht. Wegheiraten wird er dich mir ja zwar nicht.«

»Schmarrn!« warf sie hin. »No aber, weiß nicht ... Wenn er mir 'nen Gefallen damit tun könnt, ja, der heiratet mich auch.«

»Glänzende Idee! Als Gräfin mit neun Zinken – säh nach was gleich! Schad bloß, daß er zur Ehe – nimmer recht geeignet ist! Du hast halt Pech: er will vielleicht und – kann nicht. No, und ich – von Wollen oder nicht ganz abgesehn – kann schon erst gar nicht, stell dir vor!«

Sie hob heftig das Kinn. »Ah, soll das heißen, daß ...?«

»Oha, wie wild sie schaut! Wird einem ja bald angst! Und wenn die Angst vor einer andern Frau nicht noch um ein Trumm größer wäre ...«

»Was? Andre Frau?«

»Reg dich nicht auf! Vor meiner alten Dame halt. Sie hat was gegen die Partie.«

»Soll sie!« gab Centa kühl zurück.

»Du redst dir leicht! Am letzten Donnerstag wie ich bei ihr gewesen bin ...«

»Ich denk, sie ist in Kissingen?«

»War sie. Jetzt bleibt sie ein Monat daheim, vor sie sich an den Lido und dann für die Herbstzeit nach Florenz und Rom verrollt.«

»Die tut sich leicht!« Centa ließ einen Seufzer hören, der leise neidisch klang.

»Das ist so eine ihrer Eigenschaften, ja«, stellte er sachlich fest.

Sie fragte lebhaft: »Und du hast von dem mit ihr gesprochen?«

»Nein, gesprochen hat schon sie.«

»Bin ich ihr am End nicht gut genug?« Centa hob herausfordernd den Kopf. »Mein Großvater ist Doktor gewesen, und mein Vater hätt leicht auch studieren können, wenn ... Und deine Mutter, der ihr Vater ist doch, was ich weiß ...«

»... Ladenkoofmich bloß gewesen, Cenzerl, allerdings. Zwar ein vierstöckiger aus der Neuhausergassen; aber was ist Geld! K. b. Beamtenstöchter haben einen andern Stolz. Und ohne diesen Stolz – wo nähm der Staat Beamte her! Recht hast: bild dir nur was ein!«

»Ich? Aber deine Mutter braucht es auch nicht tun. Hoffentlich hast ihr das einmal richtig ausgedeutscht?«

»Von wegen! Deutsch du der alten Dame etwas aus!«

»Ja, und? Was hast denn du auf das hinauf getan?«

»Beruhigt hab ich sie: daß ich an Heiraten im Schlaf nicht denk.«

»So? Sauber!«

»Cenzerl, geh! Friß mich nicht gleich! Hat dir doch sonst nicht so pressiert.»

»Pressiert! Pressiert! Ist bald fünf Jahr ...!«

»Und was fünf Jahr gehalten hat, bricht nicht auf Schnall und Fall, auch ohne Fangeisen von Ehering. Zu was denn jetzt der Krampf!«

»Krampf heißt er das? Ja, ja, ich spür es schon die ganze Zeit, daß du dir nix mehr machst aus mir!«

»Wie soll ich dir denn meine ›Leudenschaft‹ beweisen? Soll ich des Nachts auf eine Loatern durch dein Fensterl schliefen, wo's bei der Tür hinein doch viel kommoder geht?«

»Ja, Ferdl, ja, das ist der Ton! Auf alles hast du nix wie deine blöden Witz.«

»Geh, Cenzerl, hab denn ich im Anfang so geschwollne Spruch gemacht? Und kam ich dir als süßer Troubadour nicht gspaßig vor?«

»Du wirst wohl selber wissen, daß du anders warst.«

Er seufzte ungeduldig. »Kruzifix! Schau dir die allerbesten Ehen an! Wo hat's denn das, daß man nach fünf Jahren noch so verruckt ist wie die erste Zeit! Wär ja nicht einmal schön. Und was herüben weniger wird, dafür wachst auf der drübern Seiten gleich viel zu, was ganz gewiß nicht schlechter ist.«

»Ja, reden kann er wie ein Buch! Nur leider, daß dein Reden keine Heimat hat! Verheiratet – das ist ein Unterschied. Da kommen Kinder, und ...«

»Schrei nach dem Kinde?« spöttelte er. »Das ist ja neu!«

»Nein, Ferdl, vor ich deine Frau bin, gibt's da nix! Daß meine Kinder hintennach einmal was – andres meinen könnten? Wär mir ja genug!«

»Kinder? Du hast es scheinbar gründlich vor?«

»Warum denn nicht? Als siebtes Kind von meine Eltern bin ich doch nicht schlecht gestellt. Der Brokkenhuus sagt auch, es war schad um die Rass'.«

»Der Brokkenhuus, schau, schau! Geht scheinbar in der Beicht aufs Ganze, wie ein richtiger Kaplan! Brav! Deshalb soll ich heiraten, daß du mir jedes Eckerl möglichst schnell voll Bamsen schaffst? Eigens dafür baut man sich hier das Häusl her und tauft es ›Meine Ruh!‹«

»Der Name ist ja auch saudumm«, erklärte sie. »Laßt sich leicht umtaufen. Für einen älteren Hagestolzen mag es gehen ... Sei erst ein junger Ehemann, dann bring ich dich schon auf den andern Trab.

»Ja, Schnecken!« Er hob eine Hand und drehte sie abwehrend im Gelenk. »Das, Schatzerl, hättst mir frühestens nach der Hochzeit sagen dürfen; gel?«

»Wir sollten dazu am gescheitesten nach England«, meinte sie. »Da braucht's kein Aufgebot und langes Drumherum.«

»Jetzt aber Spaß beiseite!« Er rutschte unbehaglich auf dem Stuhl. »Setz dir bloß keine Raupen in den Kopf!«

Sie musterte ihn kampfbereit. »Schaut sich bald an, als ob du dich überhaupt davon wegdrucken wolltst?!«

»Woher! Bloß meine alte Dame, weißt ...«

»Mußt du die fragen?«

»Mei, die antwortet auch ungefragt.«

»Mit an die vierzig wirst wohl langsam mündig sein?«

»Was? Vierzig? Übertreib fei nicht!«

»Viel fehlt da nimmer. Und verbieten kann sie's dir kaum.«

»Das tut sie kalt.«

»Dann bist du grad so kalt und pfeifst ihr drauf!«

»Und wenn sie mich dann verflucht?«

»Ist es einmal geschehn – kein Vierteljahr, na hat sich's schon gehoben mit dem Fluch. Und wenn! Deswegen wirst kaum schlechter schlafen.«

»Doch!«

»Warum?«

»Weil sie es in der Hand hat, daß ihr Fluch sich erfüllt.«

»So? Steht sie im Bund mit den okkulten Mächten?«

»Nein.« Er schmunzelte. »Okkult wird diese Macht, womit die alte Frau verbandelt ist, höchstens zum Teil fürs Rentenamt sein.«

»Ah, Ferdl, laß mich aus! Du hast dein Erbteil längst.«

»Das väterliche – Gott sei Dank! Aber meinst, ich laß mich von ihr freundlichst auf den Pflichtteil setzen?«

»Wird so gefährlich nicht gleich sein! Und du kriegst noch alleweil genug!«

»Vielleicht. Mag sein, daß ich drauf auch verzichten könnt, wenn's dann nicht meiner geliebten Schwester in die Klauen fiel und ihrem Herrn Gemahl, dem Staatsanwalt – Erbschleicher iuris utriusque. Tat nicht lang dauern, wär ich draußen aus dem Aufsichtsrat, und mein Filou von Schwager drin. Nein, Cenzerl, mußt es selber einsehn und vernünftig sein! Da gibt es gar nix wie Geduld.«

Sie überlegte einen Augenblick. »Geduld, Geduld!« brach sie dann los. »Und bis wann meinst denn, daß ich warten soll?«

»Ja, liebes Kind, solang die alte Dame diesen Stern bevölkert ...«

»Was?! Die lebt bestimmt noch dreißig Jahr!«

»Wenn's langt«, gab er gemächlich zu.

»Von mir aus wird sie hundert, wenn sie's freut!« warf Centa verächtlich hin. »Na hat sie Zeit, es zu gewöhnen, daß ich ihre Schwiegertochter bin. – Sag, Ferdl, hab denn ich dich schon einmal wegen Heiraten gedrängt?«

»Nein, eben nie. Oder doch höchstens stumm: durch gutes Aufkochen und seelenvollen Blick. Weshalb drängst nachher heut?«

»Ja, weil ... weil ich dich seit gestern erst auswendig kenn, mein Lieber!«

»Geh! Ist doch bloß das ökonomische ...«

»Wegen dem blöden Geld!« rief sie. »Und dabei träumt er von Millionen, die ihm seine windige Erfindung tragen soll!«

»So windig wird sie wohl nicht sein!« wehrte er ab. »Laß dir nur Zeit! Die freilich braucht's dazu. Deswegen schweben die Millionen heut noch in der Luft. Denn will's das Pech, und kommt ein anderer mir zuvor, war alle Müh umsonst.«

»Müh?« Spöttisch kniff sie ein Auge zu.

»Jawohl!« betonte er. »Ist mein Hormon nicht, sag und schreibe, Präparat sechshundertdrei. Das zeigt wohl deutlich an, was wir uns haben plagen müssen, bis erst einmal das Richtige gefunden war. Und klär jetzt einmal du die Konstitution davon! Da tatst du anders schaun! Kann Jahre brauchen noch!«

»Läßt sich leicht denken, wenn du alleweil so fleißig im Labor hockst wie die letzte Zeit«, gab sie zurück.

»A geh, für was war denn der Müller Alois erfunden, verzeih, daß ich dumm frag?« Rapp wendete den Kopf und deutete über die Schulter weg zur Haustür hin. »Wenn man den Wolf nennt ... Und schon schleicht er sich heran, mein Fleiß.«

»Ah?! Siehst es selber einmal ein?« antwortete ein abgründiger Baß, der wie verrostet klang. Ein ungeübtes Ohr hätte die Worte kaum verstanden, weil die Zahnlücken des Ankömmlings und die Virginia, die ihm im Munde baumelte, seine Aussprache stark behinderten. Er war ein langer, sehniger aschblonder Mensch mit luftgegerbtem faltigem Gesicht, das trotz seiner Bartlosigkeit doch irgendwie an einen stichelhaarigen Vorstehhund erinnerte.

»Alisi«, rief ihm Rapp entgegen, »drah nicht so auf mit deinem Fleiß, der dich so bloß intermittierend wie das Wechselfieber packt!«

»Besser noch alleweil wie Faulfieber, das chronisch wird!« murmelte Alois und setzte sich mit einer ungelenken Verneigung gegen Centa. »Wird mir noch ein Kaffee vergönnt?«

Sie lächelte und hob die Wärmhaube herunter. »Wer nicht kommt zur rechten Zeit ... No aber, Ihnen den Kaffee entziehn – das wär zu hart.«

»Vergelts Gott!« Er schob ihr die Tasse hin. »Sie dürfen mir heut die Verspätung nicht in übel nehmen: denn ich hatt grad im Labor ...«

»Der Streber!« stichelte Rapp. »Und damit keiner einen Zweifel hat an seinem Eifer, kommt der bewährte Alchimist in Dreck und Speck daher.« Er musterte den linnenen Laboratoriumsmantel, der die Tegernseer Tracht des anderen verhüllte. Viel von dem ursprünglichen Weiß ließ dies Gewandstück allerdings nicht sehn: Flecken in mannigfaltigen Farben sprenkelten es, auch hatten Säuren und der Bunsenbrenner manches Loch hineingefressen.

»Ich mach hernach gleich weiter«, brummte Alois und sah an sich hinunter. »Was fehlt denn dem Kittel! Das da geht in der Wasch auch nimmer aus. Und daß sich ausgerechnet ein Chemiker so drüber aufhält! Braucht einer freilich bloß die manikürten Klupperln von dir anschaun, Dilettant gschneckelter!« Er hob die Hand und wies mit Stolz seine zwar nicht gepflegten, dafür aber dauerhaft hellgelb gefärbten Fingerspitzen vor.

»No, und?« fragte der Doktor ruhig. »Hast du mit deinem Pfundseifer nun was Neues ausbaldowert, alter Räubersgesell?«

»Freilich! Da wirst du spitzen, Herr Kollega im zeitweiligen Ruhestand!«

»Jeßmarandjosef!« wehrte Centa ab. »Fachsimpeln und chinesisch reden dürfts ihr im Labor. Wenn ich bloß so was hör als wie ›Benzolring‹, ›Oximidogruppe‹ und ›noch aufzuklärender Komplex‹, wird mir schon schlecht.«

Der Müller Alois schmunzelte nicht ohne einen Anflug von Bewunderung. »No, für das haben S' Ihnen das Chinesisch aber gut gemerkt.«

»Es langen ja auch keine hundertmal, daß ich's hab hören dürfen«, sagte sie und wendete sich an Rapp: »Erzähl mir lieber, wie's mit heut abend wird?«

»Was soll da weiter sein?«

»Wie ist es jetzt? Kommt nun der Hofrat mit der Mena auch?«

»Ist doch so ausgemacht: wenn er nix andres hören laßt ... Ja, oder ist von ihm was bei der Post?« Rapp sah sie hastig durch.

»Nein, bloß chemische Korrespondenz. Da, da und da!« Er warf drei Briefe nacheinander dem Müller Alois hin. »Meinem geliebten Fleiß zu treuen Händen! Und teil mir aber bloß das Nötige daraus mit!« Nur ein Schreiben riß er selbst unter gereiztem Brummen auf. »Was der schon wieder will?«

Während er las, erkundigte sich Alois bei Centa: »Wer kommt heut außerdem?«

»Niemand. Das Übliche: der Brokkenhuus, der Paechtli mit seiner Gnädigen, der Evander und die Ly. Na, und Hofrats wahrscheinlich auch.«

»Grad meldet sich da noch ein Gast«, kündete Rapp an und steckte den Bogen, den er überflogen hatte, nachlässig in die Tasche.

Alois reckte neugierig den Hals. »Die Klaue sollt ich kennen! Ist das nicht ...?«

»Ja, freilich!« nickte der Doktor.

»Bachhuber?« rief Centa starr. »Das war na doch ein starkes Stück!«

»Mit seinem Fell könnt man sich Nagelschuh besohlen lassen, ist schon wahr«, bemerkte Rapp. »Nachdem ich ihn ...«

»Das gibt es aber nicht«, erklärte sie, »daß er sich wieder anwanzt als Logierbesuch.«

»Gott sei's getrommelt: nein, sich häuslich niederlassen will er nicht«, sagte der Doktor. »Er müßt jetzt schleunigst nach Paris, laßt er mich wissen.«

»Paris? Und was sucht er dann hier?«

»Ja, was? – Das Geld natürlich für den Zweck. Fünfhundert Emm!«

»Nicht einen Pfennig gibst ihm!« trumpfte Centa auf.

»No, weiß nicht recht ...« Und Alois Müllers Augen blitzten schlau. »Damit bringst ihn vielleicht endgültig los. Denn daß ihm ein Franzos das Geld zur Heimfahrt pumpt, glaub ich nun einmal nicht.«

»Recht hat der Alisi!« rief Centa. »Ja, verfracht ihn nach Paris! Wie kommt er denn auf die Idee?«

»Er schreibt, es ist, weil er die Stimmung für den zweiten Akt von seiner blöden Oper nur in Paris einfangen könnt. Käm eine Orgie drin vor.«

»So, Orgien sollst ihm finanzieren?« grinste Alois. »Dann rentiert sich's nicht. Ja, nachher deichseln wir's gescheiter anders rum: du tust dich still verdrucken, vor er kommt, und ich schmeiß das Gewächs vierkantig naus.«

»So machen wir es!« stimmte Centa zu. »Der Alois hat die richtige Gemütsruh für den Fall. Dich wickelt er ja wieder ein!«

»Das tät ich ruhig abwarten!« sagte Rapp. »Hältst du mich denn für dumm?«

»Jawohl, ich bin so frei. Und das schreibt sich vom Diridari!« lachte sie keck. »Oder meinst vielleicht, der große Geldbeutel stärkt den Verstand? Wenn einer euch nur den Hanswurschten macht, kauft er euch leicht für dumm. Oder? Weswegen kämen außerdem nur Leut bei uns ins Haus, denen wo du mit deinem Gerschtl imponieren kannst? – Die einzige Ausnahm ist der Brokkenhuus!«

»No, Gott sei Dank!« spöttelte er. »Ihn allerdings zieht nix wie deine schönen Augen her!«

»Weil er Geschmack hat!« trumpfte Centa auf.

»Nicht streiten!« mahnte Alois im Flüsterton und deutete nach dem Gebüsch, dahinter sich das Gartentor verbarg. »Da ist er schon!«

Centa sprang auf. »Na will ich schaun, daß ich verschwind!« Doch wendete sie sich noch einmal zurück: »In unser Fremdenzimmer kommt der Dreckspatz aber nur über meine Leich!«

»Das werd ich machen, wie ich will!« erwiderte der Doktor bockig.

»Recht so, mein Lieber! Lad du ihn ein – und ich zieh derweil in die Stadt zu meine Leut. Jetzt weißt es!« Sie verschwand ins Haus.

»Wie ist es, Ferdl?« fragte Alois mit finsterer Entschlossenheit »Soll ich den Bazi nicht doch lieber ungspitzt in den Boden haun?«

»Weil ich auf eure Unterstützung angewiesen bin!« lehnte Rapp brummig ab. »Den kauf ich mir schon selber! Bin grad in der richtigen Stimmung, daß er was erleben kann!«

»Auch recht! Tatzeugen wirst du keinen brauchen? – Und wenns d' ihn dann erledigt hast, na schaust auf einen Sprung hinüber ins Labor! Weil ich da eine Überraschung hätt für dich. – Die Ehr, Herr Brotgeber!« Und Alois ging.

Rapps Lieblingsbracke, ein alter, fettleibiger Hund, der die ganze Zeit faul und vor Hitze jappend im Ahornschatten dagelegen hatte, besann sich plötzlich auf sein Wächteramt und blaffte kurz.

»Bürschei, kusch dich«, herrschte ihn der Doktor an, »und tu nicht gar so lebfrisch, alter Hecht!«

Da schwang schon Bachhuber den Hut zum Gruß. »Die Ehre!« rief er. »Du hast meinen Brief gekriegt?«

»Gekriegt, gelesen und vergessen«, sagte Rapp.

»Ja, und willst du mir helfen?«

»Nein. Wozu?«

»Das sag ich dir sofort.« Bachhuber setzte sich und wischte sich den Schweiß. »Bloß eine Zigarette schenkst du mir zuvor!«

»Schön! Unter der Bedingung, daß du keine Friedenspfeife draus konschtruierst.« Der Doktor schob ihm sein Etui hinüber.

»Merci!« Der Musiker nahm sich Feuer. »Du, manchmal möcht ich glauben, du weißt nicht, mit wem du's in mir zu tun hast.«

»Jessas, war ich froh, wenn ich's niemals erfahren hätt!«

»Ich bin, mußt wissen, diese Tag in Kissingen gewesen und hab den ersten Akt dort meinem Meister vorgespielt.«

»Was für nem Meister?«

»Meinem früheren Lehrer: Engelbert, dem Humperdinck.«

»Ah?« Rapps Augen blinzelten verschmitzt.

»Ja, und der Humperdinck war einfach weg!«

»So, so: Von Kissingen?«

»Was heißt: von Kissingen! Vom ersten Akt.«

»Weißt, ich glaub eher doch: von Kissingen. Weil ich ihn troffen hab.«

»Was? Wen?«

»Jawohl: vorgestern, bei deinem Mäzen a. D., dem Herrn Justizrat. Du hast wohl eine ältere Nummer von den ›Neuesten‹ erwischt: der Humperdinck ist schon bald eine Woch zur Nachkur hier am Tegernsee.«

»Ja, weißt, es war ... Ist ja auch vierzehn Tag her, daß ich ihm ...«

»Dann leidt er an Gedächtnisschwund, der Humperdinck. Denn er hat uns gefragt, was du jetzt treibst und wo du steckst. Er hätt schon ewig nix von dir vernommen.«

»Ewig?« Bachhuber schob, was ihm peinlich war, mit einer großen Handbewegung weg. »Die Hälfte gut vom ersten Akt hat ja der Humperdinck schon vor drei Jahr gehört.«

»Ja, und wie weit ist er denn heut, der erste Akt?«

»Nix wie das große Eifersuchtsterzett geht da noch ab, no, und dann das Finale.«

»Recht! Das sagst du mir, solang als ich dich kenn.«

»Wenn ich mich erst einmal dahinterhock, ist das in vierzehn Tag geschafft. Jetzt zieht's mich halt zum zweiten hin.«

»Ja, oder nach Paris.«

»Das brauch ich für die Stimmung! Mensch, ich bin doch kein mechanisches Klavier!»

»Nein: so ein Ding macht ja Musik, wenn man ein Geld hineinsteckt. Du? – Daß ich nicht wüßt! Bachhuberle, ich sag dir was: Spar deine Zeit und druck dich gescheiter freiwillig!«

»Liegt ganz in deiner Hand, das zu erreichen: gib mir die fünfhundert Mark!«

»Werd mich beherrschen.«

»Schau, nach den achtundvierzighundert, die du mir schon geben hast, ist das ein Pappenstiel. Und du hast doch die Sicherheit!«

»Ah? Das ist mir neu.«

»Bin ich nicht zu deinen Gunsten eine Lebensversicherung eingegangen mit zehntausend Mark – wie du's verlangt hast?«

»Und glaubst, es reut mich nicht, daß ich der Heuochs war? Weil ich zu allem andern noch quartaliter die Prämien bluten darf!«

»Wenn meine Oper fertig ist ...«

»Verzähl keine Romane! Das erleben wir zwei nicht.«

»Wart's ab. Und selbst gesetzt den Fall, ich stürb vorher – kriegst du zehn braune Lappen bar auf den Tisch.«

»Das wäre eine Idee!« Der Doktor wurde vergnügt. »Gut, sollst sie haben, die fünfhundert, wenn du mir zwei einwandfreie Bürgen bringst, daß es dich heuer noch – zerreißt.«

»Geld stärkt das Gemüt – ja, das ist wahr!« empörte sich der Musiker. »Und Witze machen ist sehr leicht, aber laß es mir weiter gehn wie jetzt, dann kann ich nach acht Tag in allem Ernst verhungert sein!«

»Leere Versprechungen!«

»Ja, kommt es dir nicht zum Bewußtsein, wie frivol du redst?« rief Bachhuber, und seine Stimme bebte. »Hier auf der Stelle tot vom Stuhle sollt ich fallen – weiß nicht, ob's dich dann nicht doch reut?«

»Klar!« grinste Rapp. »Gäb ja das schönste Ramasuri mit der Polizei. Nein, mein Lieber, um eins bitt ich dich dringend: stirb lieber draußen vor dem Gartentor!«

»Rapp, daß du dich nicht schämst!«

»Hab ich in meinem ganzen Leben noch gar nie getan«, behauptete der Doktor und fühlte doch ein Unbehagen – Scham vielleicht nicht, aber eine leise Geniertheit rührte sich in ihm. Es war halt so, daß er das Maul nicht halten konnte, wenn es eine Pointe zu bringen galt; und er war nicht der kalte Hund, der das ... Schmarrn, nein, da lag es nicht! Nein, mit Gemüt gab er sich doch nicht ab! Der Witz war halt, daß gratis bloß arme Fretter ihren Mund auf diese Art spazieren führen durften. Weil er ein bißl was hatte, nur darum setzten alle bei ihm voraus, daß er Banknotenpflaster auf die Wunden pappen müßte, die seine Zunge schlug. Ach ja! – Er hob den Kopf und sagte: »Auf eins nimm ruhig Gift: daß ich dir weiter noch den Deppen mach, und du liegst derweil wie eine Boa Konstriktor auf der faulen Haut – damit hat's endgültig geschnappt!«

»Entschuldige ...«

»Entschuldigt wird hier nix, verstehst! Und unterbrich mich nicht! Vor du mir nicht beweist, daß du dich jetzt am Hosenboden hockst ... Schweig, sag ich dir! – Bring mir in vierzehn Tag, drei Wochen den fertigen ersten Akt, dann spiel ihn vor beim Humperdinck und laß dir's von ihm schriftlich geben, daß es was ist – na finanzier ich dir die Sache mit Paris. Vorher nicht einen roten Knopf!«

»Ideen ...!« murrte Bachhuber. »Und willst du mir auch sagen, wovon ich die drei Wochen leben soll!«

»Bar? Nein!« stellte Rapp unerbittlich fest. »Aber ist gut: ich will das Letzte tun, was du von mir zu erwarten hast, vor es nicht anders wird mit dir. Ich zahl für dich drei Wochen lang Kost und Logis in der ›Pension zum billigen Jakob‹ in Enterrottach hint.«

»In das windige Beisel willst mich schicken?«

»Zwingt dich keiner. Bals d' net magst, na laßt es gehn! Spar ich mein Geld!«

Der Musiker warf einen Blick zum Himmel und klagte, staunend über so viel Ungerechtigkeit: »Und dabei hat er das Trumm Haus, wo man doch einen Menschen mehr oder weniger überhaupt nicht merkt!«

»Dich schon! Denn du bist penetrant. Nein, hierher kommst mir nicht.«

»Warum?«

»Weil ich nicht will! Und andre ditto, daß du's weißt!«

»Hört, hört, die Fräulein Centa!«

»Ja, sie auch. Und jeder, der sonst hier im Haus verkehrt. Hast jetzt noch einen Zweifel? Oder ist dir alles klar?«

»Lieber Rapp, die ganze Blase wird noch einmal froh sein, wenn sie überhaupt mit mir verkehren darf!«

»Von mir aus! Ist's so weit, dann darfst dich wieder melden! Jetzt ist genug geredt. Willst, oder willst du nicht?«

»Was bleibt mir übrig!« rief der Musiker, plötzlich entschlossen. »Also, her mit dem Geld!«

»Geld? Hab ich dir nicht gesagt ...?«

»Mein Gott! Wie denkst du dir das denn?«

»Oh, da zerbrich dir nur nicht meinen Kopf! Der Müller Alois geht mit und arrangiert den ganzen Zimt.«

»Dafür bedank ich mich!« entrüstete sich Bachhuber. »Mich von dieser verkrachten Existenz saudumm anreden lassen – ging mir ab! Der ... Leichtmatros, der Cowboy – und was weiß ich noch! Und Räuber und Bandit wird er wohl auch gewesen sein!«

»Und Boxer!« stellte der Doktor bedeutsam fest. »Also beherrsch dich lieber!«

»So etwas Ekelhaftes!« brummte der Musiker. »Und laßt sich's gar nicht anders richten – dann geh wenigstens du selber mit!«

»Tät mir grad passen, bei der Hitz! Gibt ja auch keinen bessern für den Zweck als wie den Alois. Der sorgt schon, daß dir keine Extrawurscht gebraten wird: Logis und Kost zahl ich, no, und das Trinkgeld – weiter nix.«

»Ach? Und was soll ich selber trinken?«

»Wasser. Das ist so gesund!«

»Warum trinkst nachher du keins! – Ja, und Zigaretten? Kann ein Mensch denn komponieren, wenn er nichts zum Rauchen hat?«

»No, sein wir nobel! Schafft von mir aus der Alois der Wirtin an, daß du täglich ein Fünfundzwanzgerschachterl österreicher ›Sport‹ bekommst.«

»Dies Kraut!« Bachhuber fischte sich schleunigst eine Zigarette aus Rapps Etui.

»Noch eins, bei mir brauchst du dich nimmer zeigen, vor der erste Akt im Blei ist; klar?«

»Du verbietest mir dein Haus?«

»Bin schon so frei.«

»Du, Rapp, das riecht ja bald nach – Eifersucht.«

»No, Größenwahn hast du ja weiter nicht!« Rapp wollte ein Lachen hören lassen, aber ein Blaffen Bürscheis störte ihn darin.

Er sah den Weg hinunter. »Ist das nicht der Sepp vom Brokkenhuus?«

Der kleine Diener kam heran, zog seine Mütze und stand stramm: »Grüß Gott, Herr Dokta! Schöne Empfehlung von Herrn Graf! Herr Graf laßt bitten, Herr Dokta soll ihm entschuldigen, indem daß Herr Graf heut auf die Nacht nicht kommen könnt, indem daß ein Besuch ...«

»Besuch?«

»Was ich weiß«, meldete der Bursche, »ist es zum Herrn Grafen ein Kusin.«

»Und warum bringt er ihn nicht mit?«

»Da ist mir nix bekannt. Soll ich was ausrichten?«

»Ja, wart ... Nein, sagst ihm, ich käm selbst vorbei.«

»Herr Dokta käm vorbei. Grüß Gott, Herr Dokta!« Sepp knallte die Hacken aneinander und eilte im kleinen Trab davon, was Bürschei so empörte, daß er sich richtig auf die Füße stellte und ein Gekläff erhob.

»Ja, ich kenn den Besuch, weil ich heut in der Bahn zufällig mit ihm zum Sprechen kam«, erzählte Bachhuber. »Ein Neffe ist's vom Grafen Brokkenhuus. Ein Balte, welcher hörbar spinnt! Und ausschaun tut er, daß man ihm gleich ein Zehnerl schenken möcht!«

»Ah, bloß nicht renommieren!« riet ihm Rapp. »Jetzt aber dalli: ins Labor, daß ich's dem Alois sag. Wird der sich freun!« Er ging dem Musiker voran ums Haus bis zu einem ebenerdigen Vorbau, in dem das Laboratorium untergebracht war.

»Endlich!« rief Alois, als der Doktor eintrat. »Jessas!« fügte er bei Bachhubers Anblick hinzu.

»Ja, du kriegst Besuch«, verkündete Rapp feierlich.

»Pfui, stinkt's in dem Lokal!« Bachhuber hielt sich die Nase zu.

»Na lassen S' Ihren zarten Rüssel draußen!« grollte Alois.

»Horch einmal!« Rapp faßte seinen Famulus am Arm und zog ihn in den fernsten Winkel. »Du mußt mir schnell was tun!«

Hier dämpfte seine Stimme sich; trotz allem Ohrenspitzen verstand Bachhuber keine Silbe mehr. Darum trat er aus Langeweile an eins der hochgeschobnen Fenster des rundum verglasten Arbeitstisches und musterte das über die Schiefertafel verteilte mannigfaltige Gerät. Neugierig hob er ein Probierglas vom Gestell und hielt es prüfend ans Licht.

Alois, der ihm nicht über den Weg traute und deshalb immer nach ihm schielte, stürzte wütend auf ihn los und schrie: »Sie, lassen S' freundlichst Ihre Pratzen aus dem Abzug draußen!«

Bachhuber fuhr zurück, das Gläschen glitt ihm aus den Fingern, schlug an den Rand des irdnen Abfalltopfes und zersprang in hundert Splitter. »Da kann ich nichts dafür. Wenn einer einen so ...« Er hob bedauernd beide Hände.

»Herrgott, Mensch«, keuchte Alois, »zerschmeißen S' uns bloß noch den Kippschen Apparat! Dann können S' was erleben! – Obzwar: erleben täten S' nimmer viel«, fuhr er ingrimmig fort. »Und was von Ihnen überblieb, war grad noch für die ›Thermische‹ zum Holen recht.«

»Wenn hier ein Narrenhaus ist, wart ich gescheiter draußen«, warf der Musiker schon wieder patzig hin.

»Nur zu!« stimmte ihm Alois bei und sagte zu Rapp: »Muß dir so noch was zeigen. Ist sofort geschehn.«

Doch trotzdem wurde Bachhuber die Wartezeit recht lang. Endlich riß ihm die Geduld, er fragte grob zur Tür hinein. »Wird es nun bald?«

»Jawohl, jetzt kommt er«, gab Rapp gut gelaunt zurück und drehte sich noch einmal zu Alois um: »Gel, Alter, meine Hochachtung! Sind mir halt wieder weiter um ein Stück. Aber jetzt schleifst mir erst den Delinquenten da in seine trockne Pension!«

»Go on!« befahl Alois und ging eilig voran.

»Also, auf Wiedersehn!« sagte der Musiker.

»Auf das brauchst dich nicht spitzen, vor du den fertigen ersten Akt herzeigen kannst!« Rapp war dabei, das Laboratorium zu verschließen, und übersah die Hand, die Bachhuber ihm bot. Er schaute den beiden nach und konnte noch den Anfang ihrer Unterhaltung hören.

»Haben Sie eigentlich Chemie studiert?« erkundigte sich der Musiker.

»Zu was?« fragte Alois trocken hin. »Den Ehrendoktor krieg ich so.«

»Und verstehn Sie denn dann etwas von dem Fach?«

»No, was halt so die Anfangsgründe sind: ich kenn schon Schwefelwasserstoff von Kölnisch Wasser weg – das schmeck ich mit der Nas'.«

Rapp lächelte und folgte den beiden um das Haus. Der Diener räumte grade das Geschirr vom Kaffeetisch. »Haben S' die Fräulein Hollerieth gesehn?« fragte der Doktor.

»Das gnädige Fräulein ist vor etwa zehn Minuten in die Küche«, antwortete Otto so hochdeutsch, als müsse er seinem Gebieter ein Beispiel geben.

Rapp ging hinein, durchschritt die Diele und den Gang und öffnete die Küchentür. »Cenzerl, muß dir geschwind was sagen.«

»Ja, was ist?«

»Geh her! Nachher erfährst du's schon.«

»Sie, Marri, machen S' derweil mit die Mandeln fort!« rief sie der Köchin zu, kam eilig zu ihm heraus und wischte sich die Hände an der Küchenschürze. »So red und schick dich! Weiß nicht, wo mir der Kopf vor lauter Arbeit steht! Weil ich ja den Pariser Igel machen muß.«

»No«, grinste er, »ein oberbayrischer ging dir wohl leichter von der Hand? Weils d' heut ja weiter gar nicht borstig bist!«

»Wenn ich dem Brokkenhuus versprochen hab, daß es ihn gibt!«

»So? Für den Herrn Grafen reut einen freilich keine Müh! Muß dir nur leider mitteilen, daß grad vorhin sein Sepp für ihn absagen kommen ist.«

»A was? Warum? Wird ihm doch nicht am End was fehlen?«

»Woher! Von seine Neffen war der eine einpassiert.«

»Neffe? Wenn's der ist, von dem er mir schon Brief hat lesen lassen, war er schon recht. Wie witzig daß der schreibt!«

»Ach, habt ihr zwei denn voreinander auch kein Briefgeheimnis nimmer?«

»Ja, das wär 'ne Idee!« rief Centa.

»Was wär 'ne Idee?«

»A nix! Mir fiel nur grad was ein.«

»Scheint mir, du leidest an Gedankenflucht. – Was meinst, ich wollt geschwind drüben vorbei und schaun, daß er doch noch erscheint, samt dem Neveu?«

»Das tust, jawohl, und bringst den Neffen dann gleich mit, weil ja der Brokkenhuus natürlich erst unterm Essen kommt!«

»Schön!« sagte Rapp und holte sich sein grünes Hütl von dem Kleiderrechen.

»Wie hast es mit dem Bachhuber gemacht?« erkundigte sie sich.

»Der hat geschaut!« sagte er stolz und fing ihr zu berichten an. Doch während des Redens schmolz seine Selbstzufriedenheit langsam dahin vor dem wortlosen Widerspruch ihrer Miene.

»No ja!« Sie schüttelte den Kopf, als er am Ende war. »Wenn er heut abend noch nicht bei uns hockt, kommt er morgen gewiß.«

»Soll's bloß probieren! Hilft sonst nix, dann hilft, wie sie's in Österreich drüben heißen, Brachialgewalt!«

»Von wegen: Brachialgewalt! O mei, Ferdl, und mit die fünfhundert hättst die Zecken losgehabt. Aber weil die dich reun, muß zuvor noch ein Hunderter – wenn's langt! – hinausgefeuert sein!«

»Weiß gar nicht, was du willst!« entgegnete der Doktor ärgerlich. »Sich einfach neppen lassen von dem Kerl? Erst soll er mir beweisen, daß er auch was tut!«

»Versteh! Erziehen möchtst du ihn? Weißt, das ist grad so – raffiniert wie diese Kateridee mit der Versicherung.«

»Cenzerl, wie stellst du dir das vor! Soll ich fünftausend Meter einfach in den Rauchfang schreiben?«

»Woher doch! Da schreibst lieber noch ein paar Tausender für Prämien dazu und fuchst dich alle Vierteljahr, wenn eine fällig wird. Anstatt daß so ein Mannsbild einsieht: hin ist hin! Mein Gott: was eins einmal bezahlt hat, kostet ihm doch nix mehr.«

»A was?« rief er ironisch. »Wer sagt dir denn das?«

»Halt mein Verstand, und der hat mehr zum bestellen als wie deine Kaufmannsrechnerei! Aber: von mir aus laßt dir deine Witz kosten, was du magst! Mich tät da jedes Fünferl reun.«

»Mein liebes Kind, du zäumst den Gaul am Schwänze auf und hältst die Wirkung für die Ursache«, begann er würdig und legte ihr die Zusammenhänge dar, wie er sie sich vorhin für seinen eigenen Gebrauch zurechtgebogen hatte.

Centa aber unterbrach ihn bald: «Hör auf! Und spar dir deine Perlen! Mir ist das zu hoch. Weiß schon, daß ich die Dümmere bin und folgedessen die – Hellere. Jetzt muß ich aber zum Pariser Igel. Servus, schöner Ferdl, bhüt dich Gott!« Sie blinzelte ihn an, winkte noch spöttisch mit der Hand, und schon fiel hinter ihr die Küchentür ins Schloß.

»No, also, nachher weiß ich's, wer von uns das Rindvieh ist«, lachte der Doktor stillvergnügt in sich hinein, stülpte das Hütl auf den Hinterkopf und trollte sich.


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