Ludvig Holberg
Hexerei oder Blinder Lärm
Ludvig Holberg

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Erster Akt.

Erste Scene.

Leander. Später sein Junge.

Leander. Mit dem Komödienspielen geht es jetzt doch auch gar zu schlecht, nicht zwanzig Thaler, das kann ich beschwören, sind diesen Monat auf mein Theil gekommen; auch bin ich noch in meinem ganzen Leben nicht in solcher Geldverlegenheit gewesen wie jetzt. Wird mir nun gar noch der Wechsel protestirt, so bin ich verloren. Doch werde ich ja wol hoffentlich mit der Tragödie, die übermorgen zur Aufführnug kommen soll, so viel verdienen, daß ich mich noch wieder herausreißen kann. Es ist eine ziemlich starke Rolle, die ich in dieser Tragödie habe; dieser Polidorus, den ich spiele, hat mehr zu thun als drei andere Darsteller. Heute und morgen muß ich daher fleißig studiren; um nicht gestört zu werden, werde ich alle Besuche abweisen lassen. (Zieht ein Papier aus der Tasche, geht damit auf und nieder und lernt seine Rolle, indem er dabei leise vor sich hin murmelt.)

Ein Junge (tritt ein). Monsieur, ich bringe Euch schlechte Zeitung.

Leander (fährt mit lauter Stimme in seiner Rolle fort). »Ja, Elisa, Deine Falschheit soll nicht ungerochen bleiben! Ist das recht, Deinen treuen Philander zu verlassen, der Dich mit seinem Blute aus den Händen der furchtbaren Riesen gerettet, der Dir seine ganze Wohlfahrt zum Opfer gebracht, der die Liebe der Prinzessin Climene, ihre Seufzer und Thränen verschmäht hat, 216 und das alles um Deinetwillen?! Wo ist wol ein Unglück, das sich demjenigen des Polidorus vergleichen ließe? Wann ist je treue Liebe so übel belohnt worden, wie jetzt die seine? Ach, treulose Elisa, ich werde Dir nicht länger ein Dorn im Auge sein, mit eigener Hand werde ich mir das Leben nehmen und dies wird das Ende meines Jammers sein. Aber wenn ich todt bin, wird Dein Gewissen erwachen und Du wirst für Deine Untreue von allen Menschen gehaßt und verachtet werden!« (Zieht seinen Degen, als ob er sich erstechen will; der Junge hält es für Ernst, läuft hin und hält ihm die Hand zurück.) Was Henker, willst Du jetzt hier, Junge? Auch nicht einen Augenblick kann man Ruhe haben!

Der Junge. Was für ein Unglück bringt Euch zu dem verzweifelten Entschluß, Euch selbst das Leben zu nehmen?

Leander. Hol' Dich der Henker, Du Narr, ich übe mir ja blos die Tragödie ein, die übermorgen gespielt werden und in der ich den Polidorus geben soll.

Der Junge. Ha ha ha, ich hielt es wahrhaftig für Ernst.

Leander. Ja richtig, da kannst Du lange warten, bis sich heutzutage Einer aus Liebe das Leben nimmt. Glaube nur, in der ganzen Stadt sind nicht zwei Mannspersonen, die nicht lieber ein altes häßliches Weib mit zwanzigtausend Thalern nehmen, als ein schönes, junges, tugendhaftes Mädchen, das aber nichts mitkriegt als eine gute Erziehung. Giebt es aber überhaupt noch Leute, die verliebt sind, so ist es eine andere Art von Liebe, nicht mehr so ausdauernd auf einen Gegenstand gerichtet wie in alten Zeiten.

Der Junge. Ich habe doch hier auf der Straße bei einem Herrn gedient, da war mir doch mal recht bange, er würde sich vor Liebe das Leben nehmen, und ich glaube auch wirklich, er hätte es gethan, hätte ich ihn nicht daran verhindert; der zog seinen Degen geradeso wie Ihr.

Leander. Wer war das denn?

Der Junge. Ja wie er heißt, sag' ich nicht, es wäre ja eine Schande, wollte ich ihn verrathen; aber er wohnt da drüben an der Ecke. 217

Leander. Ha ha, das ist Jens Pfingstrose; den Kerl kennst Du noch nicht, wie ich merke. Dessen Zärtlichkeit ergießt sich wie ein Kanal durch alle Straßen der Stadt; vor jedem Frauenzimmer kniet er, den Degen auf die Brust gesetzt, jetzt an dieser Ecke, nun an jener Ecke, jetzt mitten in der Straße. Es giebt gar nicht so viele Mädchen in der Straße, als er Herzen hat ihnen zu opfern, noch so viele Seelen, als er Netze ausspannt. Er könnte denselben Wahlspruch führen wie Kaiser Karl der Fünfte: Plus ultra; vermuthlich will er eine fünfte Monarchie von lauter Frauenzimmern errichten. Du kennst, merke ich wol, den Lauf der Welt noch nicht, daß Du Dir einbildest, ich wollte mir aus Liebe das Leben nehmen. Aber was bringst Du? Ich habe heute keine Zeit zum Plaudern, ich soll morgen den Polidorus spielen und habe noch mehr als die halbe Rolle zu lernen.

Der Junge. Nun, Monsieur, wenn Ihr nicht Lust habt aus Liebe zu sterben, so kann ich Euch noch was anderes sagen, was gerade auch gut genug ist, um sich deshalb aufzuhängen. Hier ist ein protestirter Wechsel von fünfzig Thalern, und noch heute Abend, glaube ich, wird man Euch in Arrest bringen.

Leander. Alle Wetter, könnte ich mich nur noch diese Woche durchbringen, so hätte ich Aussicht, mit dieser und noch einer Tragödie so viel zu verdienen, daß ich wenigstens etwas davon abbezahlen könnte. Wenn Einer nach mir fragt, so mußt Du sagen, ich wäre verreist, und nun lauf', damit ich zum Studiren komme. (Der Junge geht. Leander geht auf und nieder und fängt wieder an zu murmeln.) Da steckt der Knoten, wenn mir nur die Scene gelingt, wo ich den Teufel beschwöre, das Andere ist alles nur ein Pappenstiel dagegen. Ich muß es noch mal versuchen. (Zieht einen Kreis mit seinem Stab auf der Erde.) Ich rufe und beschwöre Dich, Du Fürst der bösen Geister, Mephistopheles, zu hören meine Befehle und zu vollziehen was ich gebiete. – Schon sehe ich ihn, er kommt in seiner richtigen Gestalt, wie ich ihn schon vor zehn Monaten erblickte. – Nein, halt, Mephistopheles! nicht in diesen Kreis!! (Während dieser Beschwörung wird er eine Person gewahr, die andächtig dabeisteht und ihm zuhört, worauf er weggeht und sagt:) 218 Es ist doch aber auch um des Teufels zu werden, nicht einen Augenblick kann man Ruhe haben. (Ab.)

Zweite Scene.

Monsieur Glaubegern.Im Text heißt es »Godtroe« d. i. leichtgläubig. Ebenso heißt der in der 4. Scene auftretende »Wahnschlucker« eigentlich »Glaubfresser«, wie auch noch die alte Uebersetzung hat; »Wahnschlucker« findet sich zuerst bei Oelenschläger, und glauben wir uns seinem Vorgang anschließen zu dürfen. A.d.Ü.

Glaubegern. Ach Himmel, ist es möglich, daß Christenmenschen in solche Gottlosigkeit verfallen und sich dem Teufel verschreiben?! Bisher habe ich es immer für Fabel gehalten, wenn es von Leuten heißt, die sich dem Teufel verschrieben; aber nun habe ich es ja mit meinen eigenen Ohren hören müssen. Ach, ich bin wahrhaftig so erschrocken, daß ich mich kaum auf den Beinen halten kann; nein, seht blos, wie meine Kniee zittern, ordentlich als hätte ich das Fieber. (Er schlägt sich vor die Brust.)

Dritte Scene.

Ein alter Weib. Glaubegern.

Das Weib. Was fehlt Euch denn, mein Söhnchen, Ihr seht ja so erschrocken aus?

Glaubegern. Ach, Großmutter, habt Ihr nichts zu riechen? Ich habe da eben etwas mit angehört, wovon mir ganz schlimm und übel geworden ist.

Das Weib. Was war es denn?

Glaubegern. Ach, in dem Hause hier wohnt ein Hexenmeister.

Das Weib. Ei Possen, der Komödiantenmeister wohnt hier.

Glaubegern. Ja allerdings, aber er hat sich dem Teufel verschrieben, eben habe ich gehört, wie er ihn citirte, und zwar mit so schauderhaften Worten, daß ich nicht daran denken kann, ohne daß mir die Haare zu Berge stehen.

Das Weib. Habt Ihr den Teufel denn selbst gesehen?

Glaubegern. Nein, für mich war er nicht sichtbar, der Hexenmeister aber sah ihn; denn er verbot ihm ja, in den Kreis 219 zu treten, den er gezogen, ich hörte blos die Beschwörung und dann das Gepolter, mit dem der Teufel kam und das so stark war, daß ich dachte: Na nun fällt das Haus ein. Gesehen habe ich weiter nichts, als blos ein paar Blitze, die vor meinen Augen hin- und herflogen.

Das Weib. Ei ei, man hört doch auch nichts als Böses. Hätt' ich doch nimmermehr gedacht, daß der Mann in solche Gottlosigkeit verfallen würde; er schien sonst ein ganz ordentlicher Mensch zu sein.

Glaubegern. Hättet Ihr aber wol für möglich gehalten, Mutter, daß so was vorkommt?

Das Weib. Vorkommt? Ei na recht sehr kommt es vor, leider Gottes, und zwar gerade jetzt am allermeisten; nämlich woher? Gerade weil es jetzt so viele superkluge Menschen giebt, die, statt so was zu hindern, die Klugen spielen und sich stellen, als ob so was gar nicht mehr existirte. Wie lange ist es nicht schon her, daß kein Zauberer, keine Hexe mehr verbrannt wird? Da muß das freilich überhand nehmen. Ei ja, ich will nichts Böses prophezeien, aber gebt nur Acht, wie es gehen wird, wenn die Welt noch länger steht. Indessen ich hoffe, zu Ostern geht sie unter, ich habe so einen gewissen Argwohn. Ich will Euch was erzählen, das so gewiß wahr ist, als ich hier stehe: eine Schmiedsfrau in Mariagerein Stadttheil von Kopenhagen. A.d.Ü. lebte in Feindschaft mit ihrer Nachbarin, die guter Hoffnung war, und als selbige Nachbarin nun in die Wochen kommen sollte, so warf sie ihr einen Knäuel von Haaren und abgebrochenen Nägelköpfen in die Stube, worüber die Wöchnerin zwei Tage unter den größten Schmerzen dalag und konnte nicht niederkommen, bis zum Glück Einer den Knäuel fand und ihn ins Feuer warf, da kam sie auf der Stelle nieder.

Glaubegern. Das ist ja was Entsetzliches; hat Mutter es selbst mit angesehen?

Das Weib. Nein, aber daß die Geschichte richtig ist, darauf könnt Ihr Euch verlassen; denn mein Gewährsmann, der auch nicht auf den Kopf gefallen ist, der hat es von einem Mädchen gehört, mit dem er versprochen ist, und dieses Mädchen hat eine 220 Cousine, die in demselben Hause dient mit einer Amme, und der Amme hat die Hebamme zugeschworen, daß die Geschichte sich ganz gewiß so zugetragen hat.

Glaubegern. Ach, das ist doch entsetzlich!

Das Weib. Ja, aber denkt Ihr wol, daß die Obrigkeit sie bestraft hat? Kein Gedanke; der Stadtvogt lachte noch darüber und verbot davon zu sprechen, obwol eine zuverlässige Frau bezeugen wollte, daß sie gesehen, wie die Schmiedsfrau auf dem Wasser geschwommen ohne unterzusinken, was nämlich allemal ein sicheres Zeichen ist, daß Eine hexen kann.

Glaubegern. Alle Wetter, was war das? Habt Ihr nichts gesehen, Großmutter?

Das Weib. Wo sahet Ihr denn was?

Glaubegern. Hier am Fenster, einen feurigen Drachen sah ich durch den Schornstein fahren; sahet Ihr ihn nicht auch?

Das Weib. Ja wahrhaftig, nun fällt mir ein, daß ich auch so was sah.

Glaubegern. Hier bleibe ich nicht und wenn mir Einer zehn Thaler gäbe; lebt wohl. (Ab.)

Vierte Scene.

Wahnschlucker. Das Weib.

Das Weib. Ha Ihr da, Gevatter, nehmt Euch in Acht, daß Ihr nicht dem Hause da zu nahe kommt.

Wahnschlucker. Wieso?

Das Weib. Da wohnt ein Mann drin, der hat mit bösen Geistern zu thun und das ganze Haus ist voller Teufel.

Wahnschlucker. Woher wißt Ihr das denn?

Das Weib. Just wie ich herkam, flog Herr Glaubegern zur Thüre hinaus, und da lag er eine halbe Stunde in Ohnmacht; wie er aber endlich wieder zu sich kam, so fragte ich ihn, was los wäre, und da sagte er mir, daß er an den Haaren heraus gerissen worden sei von drei Teufeln, die der Hexenmeister beschworen, der hier wohnt. 221

Wahnschlucker. Habt Ihr selbst auch was davon gesehen, Gevatterin?

Das Weib. Nein, gesehen habe ich nichts, als blos die Füße von dem ersten Teufel, der ihn zur Thüre hinauswarf.

Wahnschlucker. Wie sahen sie denn aus?

Das Weib. Wie ein paar große Adlerklauen. Ich werde gleich zum Herrn NielsHerr Niels ist natürlich der Prediger. A.d.Ü. laufen und ihm alles sagen, damit er es bei Zeiten weiter berichten kann an die Obrigkeit; denn wenn der Mensch für seine Sünden verbrannt wird, so kann doch seine Seele vielleicht noch gerettet werden.

Wahnschlucker. Das Haus muß wahrhaftig ebenfalls verbrannt werden.

Das Weib. Ei das versteht sich. Wenn die Obrigkeit es nicht thut, so thuen ich und meine guten Freunde es auf eigene Hand, wie neulich in Jütland, wo auch einige brave Frauenzimmer sich zusammengethan, einer Hexe das Haus in Brand zu stecken.

(Während sie so reden, sagt Leander drinnen immer wieder seine Rolle her.)

Das Weib. Horch, nun beschwört er schon wieder! Horch, er ruft nach Polidorus, das ist gewiß ein Teufel, der so heißt.

Wahnschlucker. Na so viel ist gewiß, daß ich in dieser Straße nicht wohnen möchte, und wenn man mir alle Schätze der Welt gäbe.

Das Weib. Nun horch nur, wie das drinnen braust und saust, gleichsam als ob sich ein Sturm erhoben! Sieh nur, das ganze Haus zittert schon!

Wahnschlucker. Ja, dies Haus, dächt' ich, und die drei andern mit.

Das Weib. Weiß Gott, so ist es. Na, Ihr werdet schon noch sehen, die ganze Straße ist voller Hexenmeister. Aber jetzt muß ich gehen, gehabt Euch wohl, Gevatter.

Wahnschlucker. Ach, ich traue mich die Nacht gar nicht ins Bette.

Das Weib. O, das hat nichts auf sich, Ihr müßt 222 nur Flachssamen auf die Schwelle streuen und müßt in Eurem Schlafzimmer brav mit Lichtschnuppen räuchern. (Ab.)

Fünfte Scene.

Zwei Mädchen. Wahnschlucker.

Erstes Mädchen. Hier in der Straße soll es sein, Malone.

Zweites Mädchen. Sind es denn noch mehr Häuser als das eine, wo der Teufel umgeht?

Erstes Mädchen. In dieser ganzen Straße wohnen lauter Hexenmeister, der aber, der in diesem Hause wohnt, ist der Oberste von allen; die ganze Stadt ist schon in Aufruhr, alle Häuser werden schon eingeräuchert. – Sieh, wer mag das wol sein, der da steht? Das ist gewiß auch ein Hexenmeister.

Zweites Mädchen. Ja, wahrhaftig, das ist gewiß einer; laß uns nur ja nicht zu nahe herangehen.

Wahnschlucker. Na, nur immer näher, Kinder, ich höre, Ihr wißt auch schon von der Sache.

Erstes Mädchen. Ja, leider nur allzu viel, Euch und Eurem Hause zum Verderben!

Wahnschlucker. Was für Verderben ist denn meinem Hause geschehen? Kommt nur näher und laßt mit Euch reden.

(Sie bekreuzigen sich, indem sie auf die Kniee fallen, und schreien Ah, ah!)

Wahnschlucker. Offenbar sehen sie etwas, das ich nicht sehe. Kommt doch nur her, Ihr Kinderchen, und sagt mir, was Ihr seht?

Zweites Mädchen. Nein, Ihr sollt keine Gewalt über uns haben!

Erstes Mädchen. Seid Ihr der Mann, der hier in dem Hause wohnt?

Wahnschlucker. Nein doch, Ihr irrt Euch; ich fürchte mich vor dem Hause gerade ebenso sehr wie Ihr.

Zweites Mädchen. So seid Ihr also wol kein Hexenmeister? 223

Wahnschlucker. Hol' Euch der Henker mit Eurem Gewäsche, ich bin Christian Wahnschlucker und wohne am Markt.

Erstes Mädchen. Ach, um Verzeihung, Monsieur Wahnschlucker, nun kenne ich Ihn. Aber habt Ihr nicht gehört, was in dem Hause passirt ist?

Wahnschlucker. Ja, gehört und gesehen, mehr als mir lieb ist. Aber wie ist es Euch so schnell zu Ohren gekommen?

Erstes Mädchen. Ich hörte es auf dem Markte.

Wahnschlucker. Wie hörtet Ihr es denn?

Erstes Mädchen. Aufs Allergenaueste, nämlich, daß in diesem Hause der Teufel zu sehen ist, in Gestalt eines Wolfes, und daß er drei Männer, die hineingehen wollten, in Stücke zerrissen hat.

Wahnschlucker. Und wo hörtet Ihr es?

Zweites Mädchen. Ich hörte es am Thor von einem Soldaten, ebenfalls aufs Allergenaueste, nämlich, daß hier in der Straße vier Hexenmeister wohnen, die den Teufel beschwören, der dann in Gestalt eines Kaufmanns kommt, mit Hörnern an der Stirn, und ihnen Geld bringt.

Wahnschlucker. Aber Kaufleute, so viel ich weiß, tragen doch keine Hörner.

Zweites Mädchen. Ja, das ist doch, wie ich sage, Monsieur Wahnschlucker.

Wahnschlucker. Nun sollt Ihr von mir den allergenauesten Bericht kriegen, Kinder, denn ich bin selbst Augen- und Ohrenzeuge. Die ganze Straße hier ist voller Hexenmeister und der Anführer davon wohnt in dem Hause da; vor einer halben Stunde citirte er den Teufel, und der kam denn auch mit einem Gepolter und Gelärme, als ob die Welt untergehen sollte.

Erstes Mädchen. Aber hat Herr Wahnschlucker das denn selbst mit angesehen?

Wahnschlucker. Ja, gewiß hab' ich es mit angesehen, und darum kann Euch auch niemand besser Bescheid sagen als ich.

Zweites Mädchen. Wie sah er denn aus?

Wahnschlucker. Er hatte Krallen an den Füßen. 224

Erstes Mädchen. Na, da hörst Du nun die Geschichte, Schwester, und zwar von Einem, der alles selbst mit angesehen hat.

Zweites Mädchen. Aber, meiner Six, warum hat er denn nur Krallen an den Füßen?

Wahnschlucker. Ja, wie soll ich das wissen, genug, daß ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Wollt Ihr ein bischen hier warten, so kriegt Ihr ihn gewiß auch noch zu sehen, wenn er wieder herauskommt; ich muß jetzt weiter.

Erstes Mädchen. Ja, da müßte man ja wol nicht klug sein, wenn man hier warten wollte.

Zweites Mädchen. Ich werde mich auch schön hüten.

Erstes Mädchen. Ach, wir wollen uns nur dicht an den Herrn Wahnschlucker halten.

(Sie fassen ihn jede unter einen Arm und gehen mit ihm ab, indem sie sich bei jedem Schritte ängstlich umsehen.)

Sechste Scene.

Leander. Heinrich.

Leander. Heinrich!

Heinrich. Hier.

Leander. Die Tragödie, hoffe ich, soll morgen gut werden, wir müssen nur blos noch für ein kleines Nachspiel sorgen.

Heinrich. Ja gewiß, ein lustiges Nachspiel müssen wir haben, sonst liegt diese Tragödie vom Polidorus dem Publikum zu schwer im Magen.

Leander. Allerdings, es ist eine verflucht schauerliche Tragödie.

Heinrich. Laß uns doch noch ein Stück aus dem italienischen Theater nehmen, den Doctor Baloardo.Er meint das von Holberg so vielfach benutzte Théâtre Italien des Gherardi; der Doctor Boloardo steht im IV. Band desselben und ist identisch mit »La fille de bon sens«. A.d.Ü.

Leander. Dazu brauchen wir so viel Kostüme und Maschinerien.

Heinrich. Ei, jeder besorgt, was er braucht; mit meiner Doctormaschine bin ich schon fertig.Die Doctormaschine war eine Vorrichtung, sich scheinbar nach Belieben groß und klein zu machen; sie kam in den damals so beliebten Arlekinaden häufig zur Anwendung und spielt namentlich in dem schon mehrfach erwähnten »Doctor Boloardo« oder »La fille de bon sens« eine große Rolle. A.d.Ü. 225

Leander. Fertig wol noch nicht; wie wir das letzte Mal spielten, fehlte noch allerhand daran.

Heinrich. Nein, wahrhaftig, fix und fertig; ich werde sie mal gleich heraus holen, um Euch den Beweis zu liefern.

(Läuft hinein, kommt aber gleich wieder mit der Doctormaschine. Inzwischen geht Leander mit der Rolle in der Hand auf und ab und murmelt.)

Heinrich. Nun sieh, ob da nicht alles im Stande ist.

Leander. Laß einmal sehen, wie Du Dich dabei anstellst.

(Heinrich kriecht in die Doctormaschine und übt sich damit.)

Leander. Ei ja, das geht vortrefflich; diese Doctormaschine füllt uns allein vier Logen. Nun übe Dich nur weiter, ich will unterdessen hineingehen.

(Heinrich übt sich auf der andern Seite der Bühne in seiner Doctormaschine.)

Siebente Scene.

Von der andern Seite kommt Hans Franzen in einer Sänfte mit einem Diener. Heinrich.Hans Franzen, der Held des Holbergschen »Jean de France«. Daß derselbe im Personenverzeichniß doppelt aufgeführt wird, einmal als »Hans Franzen« und dann wieder als »Jean de France« (vgl. Akt V, Sc. 4), ist eine bloße Nachlässigkeit des Autors, der auf diese Aeußerlichkeiten ungemein wenig Werth legt. A.d.Ü.

Hans Franzen (in der Sänfte). Hier haltet mal ein bischen, Ihr Kerle, zu nahe möcht' ich dem Hexenmeister seinem Hause doch nicht kommen.

(Die Sänftenträger sehen unterdessen, wie Heinrich sich mit der Maschine bald groß, bald klein machte, werfen die Sänfte mit dem Herrn darin um und laufen sammt dem Bedienten fort. Heinrich übt sich noch einige Zeit und geht dann ebenfalls ab.)

Achte Scene.

Ein fremder Mann. Hans Franzen in der Sänfte.

Der Mann. Ehe ich so was glaube, muß ich es meiner Treu erst sehen; die es mir unterwegs erzählt haben, waren lauter alte Kerle, Dienstmädchen oder alte Weiber. Aber da liegt ja eine umgeworfene Sänfte, was soll das denn heißen? Alle Wetter, was seh' ich? da liegt ja ein todter Mensch? Ja, weiß 226 Gott, mausetodt, da hilft kein Spötteln mehr. Aber er ist doch noch warm, ich muß ihn einmal in die Nase kneifen, ob das vielleicht hilft.

Hans Franzen (in der Sänfte). Au! – Ach, Herr Lucifer, laßt mir doch nur Zeit, meine Sünden zu beweinen!

Der Mann. Meinetwegen weint, so lange Ihr Lust habt, ich bin nicht gekommen, Euch den Garaus zu machen.

Hans Franzen (in der Sänfte). Seid Ihr denn also kein Teufel?

Der Mann. Nicht daß ich wüßte; warum thut mein Herr aber solche Fragen?

Hans Franzen (in der Sänfte). Auch kein Hexenmeister?

Der Mann. Was Henker ist das für ein Gewäsche?

Hans Franzen (in der Sänfte). Wie könnt Ihr Euch denn aber solch anderes Aussehen geben?

Der Mann. So wenig wie ich können sich gewiß wenig Menschen ein anderes Aussehen geben; ich will des Teufels sein, wenn das nicht meine ganze Garderobe ist, was ich auf dem Leibe trage.

Hans Franzen (in der Sänfte). Ihr saht doch vorhin wie ein Doctor aus und jetzt seht Ihr wieder aus wie ein Mensch?

Der Mann. Ist denn ein Doctor kein Mensch?

Hans Franzen (in der Sänfte). Ein Doctor ohne Kopf, wie ich ihn sah, nicht.

Der Mann. Ich kenne, meiner Treu, verschiedene Doctoren ohne Kopf, denen doch niemand abstreiten wird, daß sie Menschen sind.

Hans Franzen (in der Sänfte). Ach, nicht doch, Ihr versteht mich nicht. Da war ein Doctor, der hatte einen Kopf und bald wieder hatte er keinen; denn mit Nase, Mund, Augen und Ohren rutschte er herunter bis in den Bauch, so daß zuletzt nichts übrig blieb als der Hut, der ganz allein auf dem Rumpfe stand.

Der Mann. Steht doch nur auf, mein Herr, und erzählt mir Euer Abenteuer, Ihr braucht vor mir nicht bange zu sein, ich bin Bürger hier in der Stadt, und bin blos aus 227 Neugierde hierhergekommen, um zu sehen, ob das wirklich wahr ist, was man sich von den Zaubergeschichten erzählt, die hier in der Straße passiren sollen.

Hans Franzen (in der Sänfte). Ja, leider, das ist nur allzu wahr. In derselben Absicht kam auch ich, eben zu meinem Unglück. Denn sowie ich mich dem verwünschten Hause näherte, ließ sich der Teufel sehen, worüber die Sänftenträger so erschraken, daß sie mich mitsammt der Sänfte mitten auf der Straße umwarfen und davonliefen.

Der Mann. Alle tausend, so ist es also doch wahr, daß hier Hexerei getrieben wird? Aber sah und hörte mein Herr nichts weiter?

Hans Franzen (in der Sänfte). Ei ja freilich, ich kann es blos nicht alles so genau beschreiben von wegen des Schreckens, der mich gepackt hat; es war ein Unwetter mit Donner und Blitz.

Der Mann. So laßt uns denn auch hier nicht länger verweilen.

Hans Franzen (in der Sänfte). Aber nun weiß ich nicht, wie ich nach Hause kommen soll, da die Sänftenträger fort sind.

Der Mann. Wie heißt mein Herr denn?

Hans Franzen (in der Sänfte). Ich heiße Hans Franzen und bin eben erst aus Paris zurückgekommen.

Der Mann. Ja, da hat Er freilich Recht; da würde es sich allerdings für ihn nicht passen, zumal in der Stadt, zu Fuße zu gehen.

Hans Franzen (in der Sänfte). Ja, am Ende werde ich doch müssen, da ich hier doch nicht länger bleiben kann.

Der Mann. Kann mein Herr sich entschließen zu Fuß nach Hause zu gehen, so wird er sich selbst eine Wohlthat erzeigen; denn in dieser Nachbarschaft sich lange aufzuhalten, das thut nicht gut.

Hans Franzen (in der Sänfte). Ja, dann muß ich mich freilich entschließen. Wenn mir nur unterwegs niemand begegnet, der mich kennt.

(Steigt hinaus.) 228

Der Mann. Ei, was will das bedeuten, mein Herr, ich habe wol so manchen von unsern ausländischen jungen Herren gekannt, die hatten auch lange Zeit keine Füße, sondern ließen sich fahren und tragen, zuletzt aber gingen sie doch wieder auf zwei Beinen, gerade wie andere gemeine Bürger. (Beide ab.) 229


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