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Zu der Zeit, als Konstantinopel in die Hände der Türken gefallen und damit das gesammte oströmische Reich der Gewalt der Barbaren anheimgegeben war, wurde die Insel Korfu, als der äußerste Wohnsitz griechisch redender Völker und als die Brücke zum Abendlande, unter dem nachhaltigen Schutz der Republik Venedig ein Asyl zahlreicher byzantinischer Flüchtlinge, von denen ein Theil dann weiter nach Italien hinüber ging und den wissensdurstigen Humanisten daselbst die Kenntniß ihrer hellenischen Muttersprache übermittelte. Unter den Anderen, welche in Korfu zurückblieben, befand sich außer etlichen viel berühmteren Geisteshelden Kyriakos Lampudios, ein vornehmer, sehr reicher und nicht ungelehrter Mann, den eine eigene Galeere mit seinen Angehörigen und seinen Schätzen von Konstantinopel herübergeführt hatte. Ursprünglich plante er, des großstädtischen Lebens gewohnt, nach Venedig selber zu übersiedeln; und schon hatte er, nordwärts 60 schiffend, die zweigipfelige Veste Korfu hinter sich gelassen, als den Zurückschauenden mit aller Gewalt das Heimweh überkam und er thränenden Auges ausrief:
»Wenn irgend eine Stätte der Welt, so vermag nur dieser blaue Sund mit seinen Golfen, seinen herrlich blühenden Gestaden und den stattlichen Bergen in der Ferne uns die verlorenen Ufer des geliebten Bosporus ins Gedächtniß zurückzurufen!«
Also ließ er das Schiff wieder wenden, um wirklich den ganzen Rest seines Lebens auf Korfu zu verweilen. In diesem Entschlusse wurde er völlig befestigt durch den plötzlichen Tod seiner jungen Gattin, welche, geschwächt durch die Beschwerden der Flucht, die Geburt ihres ersten Töchterchens nicht überstand und ihrem Gemahl nur den wehmüthigen Trost ließ, ihr Grab auf griechischer Erde pflegen zu dürfen.
Lampudios wurde von ihrem Hingange um so schwerer betroffen, als er sich schon in vorgerückterem Lebensalter befand und ihr mit der ganzen Innigkeit einer späten Mannesliebe ergeben gewesen war. Jetzt übertrug er diese Zärtlichkeit ganz auf sein einziges Kind, welches unter seinen Augen und unter der Pflege der Großmutter, die ihrem Eidam gleichfalls gefolgt war, in gutem Gedeihen emporwuchs 61 und seines frühen Verlustes sich nimmer bewußt wurde. Im Anblick dieser lieblichen Tochter überwand er allmälig sein Leid, und es begann ihm in ihrem Umgange gleichsam eine neue Jugend zu erblühen.
Aber auch die Verpflanzung auf einen neuen Boden gewährte seinem Geiste eine bedeutsame Erfrischung, die sich nicht am wenigsten in den Zielen seiner gelehrten Studien zeigte. Während er bis dahin im alten Byzanz den ödesten Schulmeistereien und vertrocknetem grammatischen Krimskrams ausschließlich gehuldigt hatte, begann ihm jetzt, neben dem allgemeinen Abgott des Abendlandes, Platon, hier auf dem glückseligen Eiland plötzlich, wie durch eine stille Offenbarung, die Schönheit des lebendigen Homeros aufzugehen, und diese ergriff ihn mit solcher Kraft, daß ihm bald die ganze, ihn umgebende Welt, wie durch eine neue Sonne verklärt, in anderer, schönerer und allerdings zuweilen auch etwas wunderlicher Beleuchtung erschien. Er tauchte seine Seele so tief in diese klassischen Freuden, daß er fortan seine zweite Heimath nicht mehr Korfu oder Koryphus, auch nicht einmal Kerkyra, sondern nur noch Scheria, seine neuen Landsleute aber Phäaken nannte, indem er mit freudigem Glauben derjenigen Ueberlieferung der Alten folgte, welche 62 des Homeros fröhliches Sagen-Eiland eben hierher verlegt hat. Meinte er doch, trotz mancher äußeren Unwahrscheinlichkeit, mit überwiegendem Recht Verse, wie die folgenden, als lebendige Zeugen anrufen zu können:
Diesen erleidet die Frucht nie Mißwachs oder nur Mangel,
Nicht im Sommer noch Winter, das Jahr durch, sondern beständig
Vom anathmenden West treibt dies, und anderes zeitigt.
In diesem Sinne schritt er mit seiner homerischen Taufe mehr und mehr ins Einzelne fort, und als ihn einst ein armer Lump, der ihn um ein Darlehen anging, mit dem Namen eines neuen Alkinoos beglückte, griff er das mit feurigem Eifer auf, ließ seiner Gattin noch auf ihr Grabmal den Namen Arete meißeln, hieß seine Tochter fortan Nausikaa, anstatt ihres rechten christlichen Namens Irene, die Großmutter Periböa und so fort bis zu den Knechten und Mägden, und nicht leicht entging ein vorüberziehender Hirtenbube seinem »Eumäos« oder »Melantheus«, noch ein Bettler seinem »Iros«, noch ein Bänkelsänger der Gasse seinem »Demodokos«: einen so blendenden Glanz warfen ihm die uralten Märchen noch über die kümmerlichsten Dinge des neuen alltäglichen Lebens.
Er begnügte sich jedoch nicht mit einer solchen 63 bequemen Namengebung, sondern griff die Sache wissenschaftlich an und unterzog das ganze Land den genauesten Forschungen, indem er mit eindringendem Scharfsinn nach und nach die Stellen bestimmte, wo die Häfen der alten Stadt, das versteinerte Schiff des Odysseus, der Palast des Alkinoos, der Wäscheplatz der Nausikaa und ähnliche Erinnerungsstätten anzunehmen seien. Auch legte er eine rasch wachsende Sammlung archaischer Reliquien an, in welcher unter anderen das goldene Oelfläschchen der Nausikaa einen vorzüglichen Ehrenplatz behauptete: dasselbe hatte zufällig im eigenen Beisein des Gelehrten ein entfernter Vetter eines venezianischen Goldschmieds unfern den Gewässern eines wirbelnden Stromes ausgegraben.
Nachdem sodann die Reihe der nothwendigen Entdeckungen beschlossen schien, erbaute sich der reiche Byzantiner inmitten üppiger Gärten ein reizvolles Landhaus genau an der Stelle, wo das Königsschloß des Alkinoos gestanden hatte, auf einem herrlichen, von zwei Golfen bespülten Olivenhügel.
Hierselbst hausend, begann er seinen phäakischen Mitbürgern die glänzendsten Feste mit allerhand homerisch zugeschnittenen Spielen und Wettkämpfen zu geben. Die Jünglinge des Landes nun folgten 64 zwar gern seinen Einladungen und verfuhren freudig nach dem berühmten Wort des Alkinoos:
Auch ist immer der Schmaus uns lieb und die Laut' und der Reih'ntanz
Und oft wechselnder Schmuck und ein wärmendes Bad und ein Ruhbett, –
Die anstrengenderen Wettspiele aber, Ringen, Lauf, Sprung und Diskoswurf bespöttelten sie anfangs mitsammt allen übrigen odysseischen Bestrebungen ihres freigebigen Wirthes und entzogen sich allen solchen an sie gestellten Anforderungen, wo sie nur konnten.
Es kam aber doch eine Zeit, da sich auf einmal auch in dieser Hinsicht eine jähe Ueberzeugung und Begeisterung auf alle Geister ergoß und die homerischen Studien im ganzen Lande Korfu einen nie geahnten Aufschwung nahmen. Das war, als die schöne Erbtochter Irene oder Nausikaa zur Jungfrau erwachsen war und mit edlem jugendlichen Feuer auf die Gedanken ihres Vaters einging, ja dieselben in sprudelnder Lebenslust noch um ein Beträchtliches weiter trieb. Sie machte Ernst aus ihrer Nausikaa-Rolle und fuhr alle Wochen einmal auf einem Maulthierwagen, von etlichen Mägden begleitet, hinaus zu der Stelle, wo einst das goldene Oelfläschchen zum sicheren Zeichen gefunden war, und 65 wenn sich auch ihre reinlichen Händchen nicht gerade selbst mit der Wäsche befaßten, so beaufsichtigte sie doch die Arbeit nicht ohne einige Aufmerksamkeit und ward zumal im Ballschlagen an Eifer, wie an feuriger Anmuth von keiner ihrer Dienerinnen oder Freundinnen erreicht.
Es pflegte sich aber zu diesen Wäschefahrten stets eine stattliche Schar von Anbetern einzufinden und, in einer gewissen bescheidenen Ferne stehend, mit lauten Ausrufen der Bewunderung die reizenden Bewegungen und Stellungen zu begleiten, auch etwa die bezüglichen homerischen Verse begeistert zu citiren:
So wie Artemis herrlich einhergeht, froh des Geschosses . . .
Also schien vor den Mägden an Reiz die erhabene Jungfrau.
Und wahrlich, es war kaum Einer zu finden, dem solche Schmeichelei nicht voll und ganz aus dem Herzen gekommen wäre.
Einmal jedoch geschah es, daß ein vorwitziges Herrchen, in der Meinung, der Nausikaa gefällig zu sein und in ihrer Gunst einen Vorsprung zu gewinnen, in allzu gewissenhafte Nachahmung der klassischen Handlung verfiel und sich beikommen ließ, in stark erleichterter Kleidung plötzlich aus dem Gebüsche zu tauchen und mit sinnreich einstudirter Geberde eine schutzflehende Ansprache zu halten: da war 66 Nausikaa die Erste, welche beflügelten Laufes an der Spitze ihrer Mägde die Flucht ergriff und Wagen und Wäsche im Stiche ließ. Es traf aber dann nicht den unglücklichen Tölpel allein ihre äußerste Ungnade, sondern sie verbat sich in der Folge mit allem Ernst jede männliche Zuschauerschaft bei ihren Ausfahrten.
Um so eifriger ward sie von den adeligen Jünglingen bei den häuslichen Festen umschwärmt, und dieselben gaben sich jetzt allzumal die redlichste Mühe, in den ritterlichen Phäakenspielen durch Kraft und Anmuth nach Möglichkeit ihre Augen auf sich zu ziehen, denn so große Schönheit und Mitgift vereint war im ganzen Lande nicht annähernd wieder zu finden.
Merkwürdigerweise wurde das also umworbene Mädchen trotz alledem nicht von besonderer Eitelkeit geplagt, weder um ihrer Schönheit willen, noch wegen ihrer Gelehrsamkeit in Sachen des Homeros und des Platon: vielleicht darum nicht, weil sie alle ihr darob gespendeten Lobsprüche so ziemlich zu Recht verdiente. Dagegen besaß sie eine andere Gabe, welche sie mit einem unmäßigen und beinahe thörichten Stolz erfüllte, gewißlich aus keinem anderen Grunde, als weil es die nutzloseste und überflüssigste ihrer Tugenden war. Sie galt nämlich und hielt 67 sich für eine überaus begnadete Malerin. Es war dies eine nach uralter Ueberlieferung in ihrer Familie vererbte Kunst; unermüdlich hatte ein Geschlecht nach dem andern seine Heiligenbilder gepinselt, immer mit der gleichen Fertigkeit, immer in den gleichen strengen Linien, immer mit dem gleichen ehrbaren Ausdruck der grämlich frommen Gesichter und der großen, starren, todtenhaften Augen. Und es war kein Strichlein und kein Pünktchen auf diesen Bildern, das sie nicht mit der allerliebevollsten Sorgfalt und Vollendung ausgeführt hätten.
In dieser gleichen geheiligten Gewohnheit beharrte auch Irene, und wenn man eine ihrer allheiligen Jungfrauen gegen ein eben solches Gemälde ihrer Großmutter hielt, – denn auch diese war erbliche Malerin, – so hätte nur ein sehr feiner Beobachter hier und da eine winzige Abweichung zu entdecken vermocht, und sicherlich malte die Großmutter wiederum genau in derselben Weise, wie ihre Ahnen etwa zur Zeit des lateinischen Kaiserthums zu Konstantinopel oder in noch früheren Jahrhunderten.
Die junge Irene war zugleich eine wehrhafte, äußerst hitzige Vertheidigerin dieser strengen Kunstrichtung gegenüber den mancherlei seltsamen Neuerungen, welche gerade damals von Italien herüberdrangen. Diese bewegte, freie, glänzende und heitere 68 Kunst schalt sie unheilig und niedrig und wehrte sich mit heftigem Abscheu gegen jeden Einfluß, der ihr von dorther kommen könnte.
In solchen Tagen hatte diese Nausikaa das für ein lediges Weib nicht unbeträchtliche Alter von achtzehn Jahren erreicht, ohne einen ihrer zahlreichen Verehrer zu bevorzugen, als ihr Vater und die Großmutter Periböa endlich bedenklich die Köpfe zusammensteckten und nach längeren Berathungen dem Kinde ernsthaft ins Gewissen redeten: es sei nun Zeit, allgemach an eine Entscheidung zu denken und die armen Jünglinge nicht beständig nutzlos auf die Folter zu spannen. Er, Alkinoos, wolle hier als in einem fremden Lande vorläufig von der strengen Handhabung seines väterlichen Rechtes absehen und die Wahl ihr selber überlassen, in der hoffenden Voraussicht, daß dieselbe seiner und der Ahnen nicht unwürdig ausfallen könne. Die Tochter entgegnete bescheiden, sie habe sich allerdings bis jetzt die rechte Mühe noch nicht gegeben, den Werth der werbenden Jünglinge zu ergründen, und müsse deshalb dringend um eine Gnadenfrist bitten.
Diese Bitte konnte ihr nicht abgeschlagen werden, und um ihr Gelegenheit zu geben, ihre Studien behufs der Gattenwahl mit aller Muße und Gründlichkeit zu betreiben, veranstaltete der reiche Mann 69 eine Festlichkeit, derengleichen an Dauer und Pracht das schöne Eiland sicherlich seit den Zeiten des echten alten Königs Alkinoos nicht gesehen hatte. Die Feste währten mehrere Wochen lang, vom wachsenden Frühling in den vollen Sommer hinein, und litten Tag und Nacht keine Unterbrechung, nur daß jeder einzelne Gast, wenn er ermüdet war, nach Belieben sich zurückziehen und der Ruhe pflegen durfte. Schon von Weitem klang und leuchtete dem Schiffer, der von Norden oder Süden her in den breiten Sund von Korfu hineinsegelte, der Jubel und die Pracht dieses Festes entgegen und mochte ihn träumen lassen, er entdecke in Wahrheit eine verzauberte Insel der Seligen. Und wenn er näher kam, so sah er, wie auf jener Halbinsel zwischen den zwei Golfen, weitum zerstreut, unter dem Schatten der mächtigen Oelbäume Luftzelte errichtet waren und freundlich wie weiße Rosen aus dem munteren Grün hervorschimmerten; und wie tausend bunte Riesenblumen flatterten dazwischen die Gewänder der geschmückten Gäste. Wer aber selbst hineintreten durfte in den Bezirk der festlichen Gärten, der empfand, daß hier die Freude wahrhaft ihren Sitz aufgeschlagen hatte. Auf allen Wegen wogten, tanzten oder spielten frohe Menschen, sammelten oder zerstreuten sich zu 70 wechselnder Gesellschaft und folgten dem Saitengetön, das bald laut, bald sanfter durch die Büsche lockte.
Zumal wenn nach des Tages sommerlicher Gluth der weiche Nachthauch des Meeres wie ein befreiter Athem heraufstieg, ward es lebendig in den Hallen des Palastes und auf dem zarten Rasen unter den Oliven und den Weinlauben. Da schmausten und zechten bei gesetzten Reden die Alten, indessen draußen in der duftigen Nacht manch heimlich süßes Wort geflüstert ward und manch verstohlenen Kuß kein Auge sah, als der Sterne verschwiegenes Licht, wo nicht auch diesen die Myrtenbüsche neckend den Anblick verwehrten.
Denn obzwar die Jünglinge im Großen alle den gleichen Zweck verfolgten, um der Nausikaa Hand zu werben, so verschmähten sie im Einzelnen doch nicht, während der langen Zwischenzeit bis zur Wahl mit anderen Freundinnen sich ein wenig von den sehnenden Sorgen zu erholen.
Die junge Erbtochter schwärmte während der ersten Wochen in unbefangener Heiterkeit mit ihren verliebten Gästen, indem sie bald diesen, bald jenen der Freier an ihre Seite befahl und ihn betreffs seiner Tugenden, Kräfte, Schwächen und Fehler einem sorgsamen Studium unterzog. Als sie aber endlich die ganze lange Reihe der Candidaten 71 durchgeprobt hatte, verwandelte sich auf einmal in der schroffsten Weise ihre Miene und all ihr Gebahren. Sie legte die freie phantastische Phäakentracht ab, welche sie für die Zeit der Festtage erfunden hatte, und kleidete sich streng gemessen und geschnürt nach byzantinischer Hofsitte, nannte sich nicht mehr Nausikaa, sondern Irene, und suchte in ihrem Antlitz das Abbild ihrer ehrwürdigen und mürrischen Heiligen darzustellen, so wenig ihre rosigen Wangen sich von Natur zu so feierlichen Manieren eigneten.
Das Alles geschah, weil sie mit Sicherheit erkannt hatte, daß unter den vielen Bewerbern auch nicht Einer war, der den Ansprüchen ihres Herzens genügte. Die hochmüthigen Venezianer haßte sie schon als stolze byzantinische Patriotin und noch mehr wegen ihrer mannigfachen barbarischen Keckheiten in Rede und Sitte; die guten korfiotischen Krautjunker aber vermochten ihre Seele wohl zu herablassender Milde, aber nimmer zu ehrlicher Liebe zu stimmen; die wenigen Landsleute aus Konstantinopel endlich waren allesammt griesgrämliche, steife und langweilige Gesellen.
Nun bedachte sie mit bangem Sinne, daß nach Ablauf der festlichen Gnadenfrist ihr Vater und mehr noch ihre Großmutter von ihren gesetzlichen Rechten Gebrauch machen und ihr den ersten besten 72 vornehmen Tölpel als Ehegemahl aufhalsen könnten. Deshalb beschloß sie, mit rascher List einstweilen einen Riegel vorzuschieben, der den Zugang zu ihrer Kammer so lange wahren sollte, bis der rechte Odysseus käme, von dem das Herz ihr freudig spräche:
»Wäre mir doch ein solcher Gemahl erkoren vom Schicksal!«
Und wie ihr Geist, vermöge all der von Jugend auf betriebenen phäakischen Abenteuerlichkeiten, eine starke Neigung zum Märchenhaften hatte, so kam es ihr in den Sinn, den Besitz ihrer Hand nach Art alter Geschichten an gewisse, schwer zu erfüllende Bedingungen zu knüpfen. Deshalb versammelte sie eines Tages die ganze liebende Schaar um sich her und erklärte in Gegenwart ihres Vaters und ihrer Großmutter mit feierlicher Stimme, sie sei entschlossen, nur denjenigen als Gemahl und Herrn über sich zu erkennen, dem es gelänge, sie gleicher Weise in der Kenntniß der homerischen Gesänge, in der Erklärung des Platon, vor Allem aber in der ehrwürdigen Kunst des Malens zu übertreffen oder doch allermindestens zu erreichen. Die höchste Entscheidung über den Werth der zu leistenden Preisarbeiten war sie vorsichtig genug sich selber vorzubehalten; jedoch sollte ihr ein Richter-Collegium würdiger Männer gutachtend und bestätigend zur Seite stehen, so daß 73 eine schroffe Willkür von ihrer Seite nicht zu befürchten sei, auch wenn nicht ihre eigene Ehre ihr die lauterste Unparteilichkeit geböte.
Der klugen Irene gelang es, durch die Plötzlichkeit dieser Erklärung ihre gesetzlichen Hüter sowohl, als ihre Freier so sehr zu überrumpeln, daß keine rechte Gegenrede laut wurde und also durch stillschweigende Zustimmung und durch die Feierlichkeit ihres Auftretens jene Bedingung alsbald zu einem für beide Theile gültigen und bindenden Vertrage wurde, ehe noch Jemand ganz zur Besinnung kam, wie viel oder wie wenig die gestellte Aufgabe für die Bewerber bedeute.
Uebrigens waren diese so ziemlich alle geneigt, die Forderungen der spröden Schönen für gar leicht erfüllbar zu erachten. Denn sie zweifelten durchaus nicht, daß eine Fertigkeit, welche einem schwachen Weibe und gar manchem niedrig geborenen Werkmeister so glatt von der Hand ging, ihnen, als vornehm erzogenen Herrensöhnen, nicht mißlingen könne, von dem bischen homerischer und platonischer Weisheitskrämerei ganz zu schweigen.
Jedennoch hielten sie es für förderlich, mit möglichster Eile ihre Vorbereitungen zu treffen, und es geschah demgemäß, daß die ganze Stadt sich mit einem Schlage gleichsam in eine große 74 Maler-Akademie und philosophisch-ästhetische Hochschule für den gesammten ritterlichen Adel des Landes verwandelte. Und beneidenswerth durfte man die Lehrer preisen, denen das Loos zufiel, so zahlungsfähige und zugleich so feuereifrige Schüler in Kunst und Wissenschaft einzuführen und emporzuleiten. Einige der Kecksten hatten sogar den Einfall, Irene selbst vertrauensvoll um ihren persönlichen Unterricht anzugehen, erlitten jedoch sämmtlich eine sehr deutliche und freimüthige Abweisung.
Und doch war es der Jungfrau, als sie in der Kühle ihrer einsamen Werkstatt ihre neuen Aussichten auf die Zukunft leise abzuwägen begann, plötzlich klar zum Bewußtsein gekommen, daß sie in gewissem Sinne auch sich selber wunderlich überrumpelt hatte. Sie sagte sich nämlich, da es offenbar ganz unwahrscheinlich war, daß je ein Mensch sie auf ihrem eigensten Gebiete, der Malerei, erreichen oder gar übertreffen könne, so sei die nothwendige Folge davon, daß sie nun in jungfräulicher Vereinsamung dahinaltern müsse; und das war keineswegs das süßeste Lebensideal, welches ihre träumende Phantasie sich gebildet hatte. Hinwiederum aber war die andere, wenn auch sehr ferne Möglichkeit, daß ihr künstlerischer Ruhm eine Niederlage erleiden könnte, ihrer hochgespannten Eitelkeit noch weit furchtbarer, 75 und lieber versuchte sie sich an den Gedanken eines ewig ehelosen, aber kunstgeschmückten Lebens gewaltsam zu gewöhnen. Aber recht fröhlich wollte ihr Herz nicht mehr werden, seit sie ihre absonderliche Laune so peinlich zwischen Scylla und Charybdis geführt hatte.
Irene war jedoch nicht die einzige Person zu Korfu, welche durch diese kecke Wendung der Dinge in Kümmerniß und Sorgen gestürzt war; vielmehr sah sich in Folge jener plötzlich ausgebrochenen adeligen Kunststudien eine ganze Klasse redlicher Bürger auf das Ernstlichste in ihrem Gewerbe bedroht. Es befand sich nämlich damals in der Stadt eine ganz ansehnliche Zunft italienischer Maler, welche in glücklichem Wettstreit mit den byzantinisch geschulten und altmodisch weiter stümpernden Collegen dem weitverbreiteten Bedürfniß nach schönen Heiligenbildern für Kirche und Haus mit fruchtbarem Pinsel zu genügen suchten. Es war freilich unter ihnen kein Masaccio, Mantegna oder Bellini, sondern sie waren allesammt nur versprengte Vorposten des großen abendländischen Künstlerheeres, die eben deshalb, weil sie in dem ungeheuren Wettlaufen zu Florenz, Venedig und in anderen berühmten Städten Italiens nicht recht mit den Andern Schritt halten konnten, sich auf die stille Insel des ionischen Meeres 76 zurückgezogen hatten, hier aber doch immerhin noch einen leisen Abglanz des über ihrer Heimath aufgegangenen wundersamen Morgenroths der Kunst scheinen ließen und der neuen Offenbarung langsam einen Weg nach Osten zu bahnen versuchten.
Alle diese bescheidenen Künstler sahen nun mit Schrecken ein, daß die so plötzlich erwachsende schwunghafte Production der einheimischen Junker sie selbst mit schnellem Ruin und die korfiotische Malerei mit einer höchst verderblichen Reaction bedrohte. Denn es war mit aller Sicherheit vorauszusehen, daß die neuen Bilder der Merkwürdigkeit und des vornehmen Ursprungs halber massenhafte Liebhaber finden und die Mode, unter der Aegide der schönen und begeisterten Byzantinerin, die wirksamste Stütze für jenen längst zur Mumie erstarrten Kunststil werden würde.
Aus diesem Grunde war die sonst so fröhliche Zunft jetzt äußerst betrübt und kleinmüthig und versammelte sich allabendlich in einem Hafenschenklein bei saurem und billigem Wein, – der befürchteten harten Zeiten halber, – und beredeten mit einander bänglich die Mittel zur Abwehr dieser byzantinischen Kunstpest, ohne daß Jemand einen durchschlagenden Rath zu geben gewußt hätte.
Da erschien eines Abends ein fremder Gast bei 77 den melancholischen Zechern, ein junger, stattlicher und schön gekleideter Mensch, der sich als Kunstgenossen zu erkennen gab, soeben von Otranto aus Italien herüber gekommen, und um eine freundliche Aufnahme in ihrem Kreise bat. Zum Ausweis, daß er kein Betrüger und Bettler sei, ließ er einige Skizzenblätter zur Betrachtung herumgehen; wenn aber schon bei seinen ersten Worten die Mienen Aller verdrossen und verlegen geworden waren, so steigerte sich diese Stimmung jetzt fast bis zum offenen Ausdruck vergrämten Neides. Denn jene Blätter mußten auch dem blödesten Auge beweisen, daß hier ein Concurrent erschienen war, der alle Anderen binnen kürzester Frist in tiefen Schatten stellen würde: ein so überlegener Geist blickte aus den leichten Rissen und Entwürfen.
Es war also unter den obwaltenden Umständen den wackeren Meistern das bischen Künstlerbrodneid nicht zu sehr zu verargen; doch ließ sich der Fremdling den frostigen Empfang nicht anfechten, that vielmehr, als ob er gar nicht merkte, woher der Wind ging, setzte sich unbefangen zu ihnen und ließ sich plaudernd von den ängstlichen Gemüthern seine Geschicke und Lebensumstände abfragen.
»Ihr müßt wissen,« sagte er mit heimlichem Lächeln zu ihrer Beruhigung, »daß mich gar nichts 78 Anderes als das Heimweh nach Korfu geführt hat, und zwar nur auf kurze Zeit, bis ich mich an stiller Heimathfreude ersättigt. Emanuele Pierini lasse ich mich drüben nennen, Ihr aber dürft mich schlechtweg Manuel rufen; ich bin ein Grieche, von diesem Eiland gebürtig, und führe von Rechtes wegen einen anderen Namen, den ich vorläufig verschweige, weil mir nichts daran liegt, sogleich von meinen früheren Genossen erkannt zu werden.
»Sieben Jahre sind es her, seit ich, ein achtzehnjähriger Leichtsinn, die Heimath verließ. Ich bin von adeligem Geschlecht; allein von fünfen der jüngste Sohn, überkam ich beim Tode meines Vaters ein gar mäßiges Erbtheil, so mäßig, daß es mir nur werth schien, mit dem Verthun desselben einige lustige Wochen zu durchleben und darauf draußen in freier Welt ein reicheres Glück zu suchen. Anfänglich gedachte ich zu Venedig Kriegsdienste wider die Ungläubigen zu nehmen, nur daß mir die bärbeißigen und prahlerischen Gesellen, welche die Offiziere der erlauchten Republik hießen, wenig gefallen wollten.
»Desto mehr sagte meinem lockeren Sinne eine Gesellschaft zechender Maler zu, unter welche ich dort zufällig in einer Spelunke, wie diese hier, gerieth, und da dieselben aus einigen raschen Strichelchen, 79 die ich ihnen zum Scherz vormachte, in mir eine gewisse natürliche Begabung für ihr Fach zu erkennen vermeinten, so entschloß ich mich kurz, meine adelige Geburt auf eine Weile zu vergessen und mich, halb zum Spiel, halb der Nahrung wegen, mit diesem ehrsamen Handwerk zu befassen. Denn ich sah, daß die Meister desselben dort zu Lande überall gar hoch geehrt und mit reichlichem Geldverdienst bedacht waren, welche beiden Dinge meine jugendliche Begierde nicht wenig reizten. Später freilich geschah es mir unvermerkt, daß sich eine unwiderstehliche Liebe zu der herrlichen Kunst selber in mein Herz schlich und ich nicht wieder von ihr lassen konnte.
»Es kam nun damals zu meinen Ohren, daß wandernde Griechen noch mehr als von unserer stolzen Herrin Venezia von den weltberühmten Medicäern und ihrem weisen Volke zu Florenz geachtet würden, und darum wanderte ich über die Berge kühnlich dorthin, in der Meinung, daselbst rascher mein Glück zu machen. Ich mußte freilich bald merken, daß bei den Florentinern zwar meine gelehrten Landsleute, Theodoros Gaza, Gemisthos Plethon und Andere, in unermeßlichem Ansehen standen, ein hergelaufenes Griechlein aber, wie mich, kein Mensch aus dem Staube ziehen mochte, weil ich 80 von den sonderbaren Lehren und Wörtern der wildfremden Heiden Platon, Aristoteles und Homeros nicht das Geringste wußte, ja, wenn mir Jemand etwas von ihrer abgestandenen Weisheit einzutrichtern versuchte, dieselbe behende zum andern Ohr wieder hinausschlüpfen ließ und genau so wenig davon verstand, als nach meiner Meinung diejenigen, welche sie mir beibringen wollten, oder jene selbst, welche sie einst zur Bethörung ihrer Mitmenschen geschrieben haben.
»Dafür aber ward mir das ausgezeichnete Glück zu Theil, daß ich bei dem berühmten Florentiner Meister Andrea Verrocchio als Schüler Aufnahme fand. Bald errang ich zu öfteren Malen seinen Beifall, und es schien, als dürfte ich den Wettkampf mit den Genossen, wie mein heiß entflammter Ehrgeiz es begehrte, siegreich zu bestehen hoffen, ja vielleicht dem Meister selbst an Kunstfertigkeit gleich oder doch nahe zu kommen. Da trat neuerlich ein Jüngling in unsere Werkstatt ein, schön von Antlitz und anmuthig, wie ein Mädchen, und doch von einem gewaltigen Geist erfüllt, welcher gleichsam von lauter lichten Funken göttlicher Gedanken durchsprüht und durchleuchtet war, die er leicht, wie kein Anderer, im Gewande zartester Formen darzustellen wußte. Der schuf jetzt unter uns mit begeistertem 81 Wirken, und alle Tage schienen neue Flügel seinem Geiste zu wachsen, bis er zuletzt so riesengroß vor uns stand, daß, wie ich meine, der verehrte Meister selber heimlich sich dieses Jünglings größerer Seele beugte. Lionardo hieß er, und es ist kein Zweifel, daß dieser Name einst weit in alle Welt hinausgehen wird.
»Mich aber faßte bald ein verzagter Unmuth und ein geheimer Haß wider den so übermächtig begnadeten Knaben, und ich verließ das große Florenz, um einen stilleren Ort zu suchen, wo ich eher hoffen konnte, der Erste in meiner Kunst zu heißen und nicht immerwährend mit halbem Ruhm bei Seite zu stehen.
»Kaum aber fühlte ich wieder den Wanderstab in meiner Hand, als sich jener neidische Haß gegen unsern Lionardo leise in dankende Liebe verwandelte, denn ich merkte nun erst, wieviel meiner Kunst ich seinem herrlichen Beispiel schuldete; stehe ich doch nicht an, zu bekennen, es ist mehr noch, als was der Meister Verrocchio selber mich lehrte. In der aus solchen kämpfenden Gefühlen entstandenen wehmüthigen Stimmung ergriff mich eine unwiderstehliche Sehnsucht, diese meine Heimath wiederzusehen, und rastlos durchwanderte ich Italien nach Süden zu, bis ich den Hafen Otranto erreichte. Als ich 82 hierselbst müßig der Abfahrt des Schiffes harrte, geschah es, daß ich in der Freude meines Herzens, Korfu so nahe zu sein, einigen lungernden Gesellen, die sich an mich drängten, ein Festmahl gab; unter dem Bechern begannen wir ein lustiges Würfelspiel; ich borgte Jeglichem, der Theil nehmen wollte, etliche Zechinen zum Einsatz, und ehe der Morgen dämmerte, hatte ich all mein lang erspartes, mühsam erworbenes Vermögen, das nicht klein gewesen, wieder verspielt und behielt nur den einen Trost, daß die armen Teufel, welche dasselbe mir abgenommen haben, es gewißlich eben so gut oder besser gebrauchen können, als ich selber.
»So bin ich denn nach sieben Jahren eben so armselig in mein Vaterland zurückgekehrt, als ich einst gegangen war, aber auch wahrlich noch eben so guten Muthes und eben so lustiger Hoffnung, wie damals, und der größte Unterschied dürfte sein, daß mir inzwischen der Bart ein wenig gewachsen ist.«
Als Manuel lachend seinen Bericht geendet hatte, erhob sich mit ziemlicher Hast einer der älteren Künstler, welcher sich Vivarini nannte, – nicht daß er diesen Namen von seinem Vater überkommen hätte, sondern weil er meinte, es könne ihn so vielleicht einmal ein Unkundiger mit dem berühmten Venezianer dieses Namens verwechseln und ihm ein 83 Gemälde desto freigebiger bezahlen; zwar war dieser Irrthum noch niemals vorgefallen, aber die Hoffnung blieb ihm. Dieser also rief: »Höret, trefflicher Landsmann und Kunstbruder, Manches ist mir in Eurer anmuthigen Erzählung als merkwürdig ins Ohr gefallen, vor Allem aber ein Umstand, der leicht uns Allen und Euch selber am meisten für einen würdigen Zweck nutzbar werden kann, nämlich, daß Ihr nach Eurer Angabe von griechischem Adel seid. Erlaubt mir also eine Frage: habt Ihr Lust, Eure verfallene Vermögenslage auf einen Schlag glänzend dadurch aufzubessern, daß Ihr eine unermeßlich reiche Jungfrau dieses Landes heirathet?«
»Oho,« rief Manuel verwundert aus, »lieber Meister, da diese Jungfrau von Euch so flott und öffentlich ausgeboten wird, wie ein schlechtes Gemälde, so ist wohl kein Zweifel, daß dieselbe die Vierzig bereits in Ehren, – wie wir hoffen wollen, – überschritten hat oder aber bucklig ist, schielt, hinkt oder sonst ein Gebrechen besitzt, welches mehr geeignet ist, die Tugend zu schützen, als die Freier heranzulocken.«
»Vielmehr,« entgegnete Vivarini mit warmem Eifer, »hat sie die Zwanzig noch nicht erreicht und ist zugleich nach dem Urtheil aller Kenner das 84 allerschönste Weib, das je zu unseren Lebzeiten auf diesem schönheitreichen Boden gewandelt ist.«
Und nun schilderte er ihm den genauen Zusammenhang dieser Dinge nebst den Eigenheiten der Personen und machte ihm begreiflich, warum ihnen, den italischen Künstlern, Alles daran gelegen sein müsse, die ungeheuerliche Kunstübung des korfiotischen Adels und vor Allem der fanatischen Byzantinerin durch einen glänzenden Sieg ein für allemal aus dem Felde zu schlagen.
Nach dieser Auskunft schüttelte Manuel lächelnd das Haupt, versank aber doch allgemach in einiges Nachdenken und sagte endlich ernsthaft:
»Wie gern würde ich Euch, meine werthen Genossen, und mehr noch unserer hohen Kunst diesen Dienst erweisen; aber sagt mir doch, wenn diese stolze Künstlerin so grimmig auf ihre altväterische Malweise versessen ist, wie soll es mir gelingen, sie mit meiner Kunst zu schlagen, da sie doch, wie Ihr sagt, an erster Stelle sich selbst zur Richterin ernannt hat? Und wenn ich besser zu malen verstände, als jener Lionardo, von dem ich Euch gesprochen habe, so würde mich dennoch ihre Zurückweisung treffen.«
»Nun eben darauf käme es an,« entgegnete Vivarini, »daß Ihr durch ein Werk von 85 unwiderstehlicher Schönheit ihre eigenen Augen und ihren Verstand von dem Vorzuge unseres Kunstprincips überzeugt.«
»O Freunde,« seufzte Manuel, »habt Ihr je gehört, daß ein Weib durch seinen Verstand überzeugt werde, und nun gar in Sachen eines Princips? Ich fürchte, wir würden hier mit stumpfen Waffen kämpfen!«
»Ei, guter Herr,« rief Jener, »wenn Ihr ein so sicherer Kenner der Weiber seid, – und es ist kein Wunder, daß Ihr in unserem Italien es geworden, – so ersinnet denn ein Mittel, dieses blutjungen Mägdleins gutes Herz zu überreden, wo Ihr den Verstand nicht überzeugen könnt! Mir scheint, Euer gesunder Wuchs und Eure munteren Augen seien genugsam scharfe Waffen, so ein byzantinisches Püppchen mit etlicher Hoffnung auf Sieg zu bekämpfen. Es gilt einen kecken Versuch, Freund Manuel!«
»Das Abenteuer reizt mich wahrlich,« sprach dieser, »und ich will's heute Nacht in ruhige Erwägung ziehen. Vorerst sorget nur Ihr, meine Ankunft im Lande zu verschweigen, und reichet mir einen tüchtigen Humpen Weins, auf das Wohl unserer fröhlichen Kunst zu trinken!«
Darauf setzte er sich auf die Bank zu den neuen Freunden, behaglich mit ihnen zu zechen. Er 86 benutzte aber fleißig die Gelegenheit, gesprächsweise mancherlei Dinge genauer zu erforschen, welche sich theils während der sieben Jahre seiner Abwesenheit, theils einige Jahrtausende vor seiner Geburt im Lande der Phäaken zugetragen hatten.
* * *
Am anderen Morgen vertauschte Manuel seine hoffärtigen Florentiner Kleider mit einem schlichten Gewande, das ihn als einen bescheidenen Wanderburschen erscheinen ließ, obgleich er eine saubere Zierlichkeit auch so zu wahren wußte, ließ sich auch den stattlichen Bart abnehmen, so daß er um mehrere Jahre jünger erschien, da er ein glattes und feines Antlitz hatte.
In diesem Aufzuge ging er herum und wartete des Tages, da Irene nach ihrer Gewohnheit zum Flusse hinausfuhr und mit ihren Mägden des Ballschlagens pflog. Da folgte er ihr aus der Ferne, verbarg sich bei der Stätte selbst hinter einer Gartenmauer und schaute zuvörderst andächtig dem reizenden Spiele zu. Als er das aber eine Weile gethan hatte, war sein Herz entschieden, Alles daran zu setzen, daß er den geplanten wunderlichen Wettkampf siegreich zu Ende führte.
Als nun endlich die Schöne zur Heimkehr ihren 87 Wagen bestieg, fand er eine Gelegenheit, sich ohne Aufsehen ihrem Zuge anzuschließen. Er sah nämlich, daß ihre Thiere durch die Ruhe störrisch geworden und auf keine Weise zum Ausschreiten zu bewegen waren. Da sprang er hurtig hinzu, als wäre er ein zufällig des Weges ziehender Wanderer, griff vorn in die Zäume und zog die unverständigen Maulesel unter kräftigem Zuruf vorwärts, bis sie, also in Gang gesetzt, nunmehr in der Bewegung weiter verharrten.
»Dank!« sagte Irene mit einem freundlichen Blick.
»Wenn ich einen Dank verdient habe, was ich nicht meine,« entgegnete Manuel, »so könnt Ihr, Herrin. mir denselben leicht abstatten, wenn Ihr mir, als einem landfremden Manne, eine Auskunft ertheilt. Ich bin, mit einem Fischerboot von Italien kommend, im Norden der Insel gelandet und wandere hier der Stadt entgegen, um einen gewissen vornehmen Bürger Lampudios aufzusuchen, mit dessen Tochter Irene ich zu reden habe. Wolltet Ihr mir nun den Weg zu ihrem Hause weisen, vielleicht gar selber mit einer leichten Empfehlung mich dort einführen, so würde ich als ein umirrender Mann Euch, wie ich schon bei Eurem ersten Anblick im Herzen that, dann mit zwiefachem Recht der 88 schönen Königstochter Nausikaa vergleichen, – wenn Euch jemals etwas von dieser herrlichen Geschichte meines geliebten Homeros zu Ohren gekommen ist.«
Freudig überrascht und zur Neugier entflammt, horchte Irene auf und sprach mit einem heimlichen Lächeln:
»Gern will ich Dich, mein Sohn, zu jener Tochter des Lampudios geleiten; Du darfst nur neben meinem Wagen schreitend, mir folgen und wirst den Weg nicht verfehlen. Was aber bringst Du, oder was begehrst Du von Jener? Denn wisse, ich bin ihre allernächste Herzensfreundin.«
Nun lächelte auch Manuel ganz leise und sprach:
»Leider habe ich keineswegs ihr etwas zu bringen, sondern komme nur zu begehren. Ich bin ein armer Maler, Grieche von Geburt, doch in Italien zu meinem Handwerk erzogen. Den Kennern zu Florenz ist mein Name nicht ganz unbekannt geblieben; ich darf mich dessen rühmen, jetzt, da ich den Unwerth dieser abendländischen Kunst erkannt habe. Solche Erkenntniß aber ist mir folgendermaßen gekommen: als ich jüngst in Folge eines ehrenvollen Auftrags zu Otranto verweilte, entdeckte ich in der berühmten Kirche der Santissima Annunziata ein Gemälde, welches den Erzengel Michael darstellt, wie er den Teufel bezwingt. Es ist gemalt in der 89 alterthümlich ehrwürdigen Weise unserer Väter ohne all den neumodischen Firlefanz von täuschender Wirklichkeit, Perspective und glatter Beweglichkeit der Gestalten, streng, fest und heilig. Um kurz zu sein, der Anblick dieses Bildes überzeugte mich gleich einer Offenbarung, daß ich bisher auf einem Irrwege gewandelt war und nun erst das Ziel und die Art der wahren Kunst zu ahnen begann.
»Ich forschte sogleich nach dem Urheber des trefflichen Werkes und erfuhr, daß es eine Jungfrau Irene Lampudios von Korfu verfertigt und als ein Geschenk nach Otranto gestiftet habe. Als ich das vernahm, ward ich von solcher Rührung ergriffen, daß ich all mein unwürdig erworbenes Gut den Armen schenkte, ein Schifflein bestieg und nach Eurer Insel herübersegelte, mit der heißen Sehnsucht, bei der genannten großen Künstlerin, so es möglich wäre, selbst in die Lehre zu gehen.«
Während Manuel dieses artige Lügengewebe vortrug. strahlte Irenens Angesicht immer freudiger auf, und als er geendigt hatte, schwieg sie eine lange Zeit, mehr um ihre stolze Lust ein wenig zu bändigen, als aus zweifelnder Verlegenheit. Denn ob sie gleich bisher jeglichen Schüler männlichen Geschlechts von sich gewiesen hatte, so lag die Sache bei diesem harmlosen Jüngling doch offenbar ganz anders, und 90 ein so heiliger Eifer durfte nicht ohne Lohn bleiben. Deshalb ließ sie ihn neben ihrem Wagen mit den Mägden einherschreiten, bis sie die Gärten des Alkinoos erreichten. Gesondert von dem Palaste war ihre und ihrer Großmutter Werkstatt erbaut, als ein lustiges Thürmchen, das Raum und Licht in Fülle bot. Dorthin führte Irene den bescheidenen Burschen und sprach:
»Tritt hier herein, mein Sohn, und Du wirst die gesuchte Lehrerin finden.« Und als sie drinnen waren, sagte sie fast ein wenig verschämt: »Ich bin es.«
Manuel stellte eine froh erregte Ueberraschung zur Schau und verbeugte sich vielmals in herzlicher Demuth vor ihr und der greisen Periböa, welche, obwohl sie längst beinahe stockblind war, dennoch rüstig weiter malte, ohne daß diesen Bildern darum eine Verringerung ihres Werthes wäre nachzusagen gewesen. Und als nun seine junge Meisterin vor ihrer Staffelei Platz nahm, bemerkte er, daß sie zu ihrer Rechten, wie zur Linken je ein Lesepult stehen hatte und während des Malens mit ehrlichem Eifer zugleich ihre Studien des Homer und des Platon betrieb. Der neue Lehrling verwunderte sich dessen; denn er bedachte, daß man die Kunst auch auf eine andere Weise treiben kann, nämlich mit beiden Augen zugleich und mit allen Kräften der Seele.
91 Er selber erhielt nun seine Stelle vor einer leeren Staffelei dicht neben ihr angewiesen und ließ sich mit stillem Behagen die Anfangsgründe ihrer ererbten Technik beibringen. Als er sich jedoch anfänglich ein wenig ungeschickt anstellte, sprang sie in frommem Eifer auf, griff ihm wie einem Kinde, das schreiben lernt, über die Hand und führte dieselbe kräftig weisend auf und nieder. Das dünkte den jungen Menschen eine angenehme Lehrmethode; er hielt sehr still und schaute nur mit bescheidener Bewunderung auf die zarten Mädchenhände, welche doch so greuliche Bilder zu malen verstanden.
Als Manuel nach dieser ersten Unterrichtsstunde dankend Abschied genommen hatte und seine gemiethete Wohnung in der Stadt aufsuchte, sprach er zu sich selber: »Den Geist der echten Kunst besitzt sie nicht, denn sie malt ihre Bilder, wie man Kleider näht; den Geist der Philosophie besitzt sie auch nicht, denn sonst hätte sie lange schon meine freche Schalkheit erkannt; aber von dem Geiste ihres Homeros mag wohl genug auf ihr ruhen, denn sie ist ein schönes und holdseliges Weib, und das ist so viel, daß ich wahrlich nicht mehr weiß, ob ich armer Sünder es wagen darf, meine Augen zu ihr zu erheben. Doch will ich eine Zeitlang ihrer beglückenden Nähe genießen und wenigstens versuchen, meiner 92 Kunst vor ihr und dieser guten Stadt zum Siege zu verhelfen.«
Zu dieser selben Stunde saß Irene und studirte eifrig in einem Buche, welches über die Vorzüge des Gottes Eros und seine großen Thaten unter den Menschenkindern handelt; es war Platons Gastmahl. Allerdings glitten mancherlei wunderliche Dinge in dieser Schrift unverstanden von ihrer jungen Seele ab, aber Vieles verstand sie doch, und als sie die Lesung beendigt hatte, beschloß sie nach dem Recept des Sokrates und der Diotima eine pädagogische Liebe zu dem strebsamen Jüngling zu fassen und in seine Seele mit Sorgfalt den Keim des Guten, Schönen überhaupt und platonischer Weisheit insbesondere zu pflanzen.
Nach diesem Plane verfuhr sie nun gewissenhaft während des täglichen Unterrichts der folgenden Zeit, und es gelang ihr, den braven Jungen alle Tage lieber zu gewinnen, da er sich nicht nur in Sachen der Kunst mehr und mehr anstellig zeigte, sondern auch ihrer gemischten Weisheit ein allzeit offenes Ohr lieh, wenigstens so lange dieselbe frei aus ihrem eigenen Munde quoll; auf geradem Wege aus den Büchern dagegen mochte er minder gern schöpfen.
Eine glückliche Folge dieser fortlaufenden ernsten Beschäftigung war es für Irene, daß der heimliche 93 Kummer über die ihr nach aller menschlichen Voraussicht drohende ewige Ehelosigkeit völlig wich und sie sich gar keine liebere Zukunft mehr ausmalen mochte, als nur immerfort im freundschaftlichen Umgange mit einem so talentvollen Schüler, lehrend und unmerklich selber lernend, weiter zu leben; ja, sie hätte gern gleich einige Runzeln und graue Haare in Kauf genommen, um ganz ohne Anstoß und Schwanken eines beständigen Verkehrs im höchsten platonischen Sinne mit ihm pflegen zu können.
Ganz anders jedoch dachte ihr Vater Kyriakos Lampudios. Dieser, längst unwillig darüber, daß sich die Vermählung seiner Tochter so aussichtslos ins Weite schob, setzte nun endlich mit aller Entschiedenheit einen Zeitpunkt fest, an dem die verzwickte Angelegenheit endgültig zum Austrage kommen sollte und jeglicher Freier seine malerischen Leistungen in einer großen Preisausstellung vorzuweisen hätte. Denn er war der Ansicht, die eifrigen Junker müßten inzwischen ohne Zweifel genug gelernt haben, um ein thörichtes Mägdlein zu überbieten und damit gründlich zur Vernunft zu bringen. Deshalb mußte sich Irene bequemen, einen Gegenstand zu bestimmen, welchen jene Alle in Wettstreit mit ihr malerisch behandeln sollten. Sie erwählte dazu einen Erzengel Michael, der den Teufel 94 bezwingt,. als einen Stoff, durch dessen Darstellung sie schon einmal den schönsten Triumph errungen hatte. Und sie machte sich unverzüglich selbst mit allem Feuer und in stolzer Siegesgewißheit an diese Arbeit.
Nunmehr aber schien auch Manuel die Zeit zu ernsterem Handeln gekommen; denn er hatte sich während dieser ganzen Lehrzeit mit schlauem Eifer bestrebt, seiner schönen Meisterin alle ihre ererbten Kunstgriffe und Techniken abzulauschen und in heimlicher Arbeit zu Hause auszubilden, und durfte sich bereits getrauen, sie in dem bevorstehenden Wettkampf auch auf ihrem eigensten Gebiete überzeugend in den Schatten zu stellen.
Bevor er sich jedoch ans Werk machte, beschloß er, durch List ihre Gesinnung für den Fall einer Niederlage zu erforschen.
»Herrin,« sprach er, »ich habe neuerlich in den Werkstätten Eurer Freier ein wenig herumgelauscht und habe entdeckt, daß es unter ihnen Einen giebt, der nach meinem Urtheil im Stande sein wird, Euch an Kunst zu besiegen und demgemäß zur Gemahlin zu gewinnen. Das ist einer der jungen Pierakos, die Ihr kennt: bereitet Euch darauf vor; der wird den Preis gewinnen.«
»Unmöglich!« fuhr Irene tief betroffen auf. »Nein, nein, Manuel, Du täuschest Dich, oder 95 vielmehr ich hoffe, Du scherzest nur. Denn das kann nicht möglich sein, darf nicht sein. Nimmermehr könnte ich das ertragen!«
»Und warum nicht?« fragte Manuel mit forschendem Blick. »Sind Euch jene Pierakos so sehr im Herzen zuwider?«
»Das ist es nicht eben,« entgegnete sie nach kurzem Nachdenken; »vielleicht würde ich diese den Anderen noch ein wenig vorziehen, wenn ich durchaus eine Wahl unter ihnen treffen müßte. Aber diese Gefahr wäre auch so nicht einmal übergroß: denn sieh, eben darum habe ich meine Nebenbedingungen gestellt, und ich weiß sehr gut, daß keiner dieser Korfioten es mir je in der Erklärung meines Homeros oder Platon gleich thun wird. Und dennoch, wie sollte ich die Schmach ertragen, öffentlich von einem Manne in dieser meiner hohen Kunst überwunden zu werden? Meine Seele würde sich verzehren in solcher Schande. Und gar noch sollte ich den zum Gatten nehmen, ihn, den ich auf ewig hassen und verabscheuen würde? Nein, wahrlich, das glaube mir für unumstößlich gewiß: sollte mir wirklich dieser öffentliche Schimpf angethan werden, so gehe ich desselbigen Tages in ein Kloster und weihe mich dem Dienst der allheiligen Jungfrau. 96 So werde ich doch dem Spott der Leute und des verhaßten Siegers entgehen!«
Alle diese Reden stieß Irene mit so großer Leidenschaft und Bitterkeit hervor, und so heftig flossen ihre Zornesthränen bei dem bloßen Gedanken einer Niederlage, daß Manuel mit Schrecken merkte, zu wie gefahrvoller Höhe ihr seltsamer Stolz sich emporgebläht hatte, und daß es nicht wohl gethan sein möchte, denselben allzu jäh zu verwunden. »Wehe mir«, dachte er, »in welche böse Zwickmühle bin ich hier gerathen! Entweder besiege ich sie in diesem öffentlichen Preiskampf: dann haßt sie mich und geht ins Kloster; oder ich lasse mich freiwillig besiegen: dann darf sie mich nach ihrer feierlichen Verheißung nicht einmal nehmen, wenn sie auch wollte. Wehe mir, und doch fühle ich, daß ich an dieser Liebe sterben muß, wenn ich das herrliche Geschöpf mir nicht zu eigen gewinne. So ganz ist mein fröhliches Herz vor ihrem Liebreiz zu Schanden geworden!«
In solchen Gedanken ging er und überlegte in seinem Hause wachend die ganze Nacht, wie er sich aus dieser zwiefachen Noth befreien und auch zugleich sein Versprechen an die italischen Kunstgenossen einlösen sollte. Als aber die Sonne aufging, begrüßte er den Tag mit Freuden und kecken 97 Muthes, denn er meinte, am Ende doch ein schönes Rettungsmittel gefunden zu haben.
Er nahm ein Bildchen, welches er jüngst in der Stille ganz in der Weise seiner Meisterin gemalt hatte, eine Verkündigung Mariä, begab sich mit demselben in ihre Werkstatt, legte es ihr vor und fragte:
»Was meint Ihr, Herrin, würde derjenige, der dieses gemalt hat, im Stande sein, Euch in jenem ernsten Wettstreit die Spitze zu bieten?« Irene blickte Anfangs mit flüchtigem Lächeln auf das Gemälde; allein je länger sie es anschaute, desto größer wurden ihre Augen, und desto mehr verfärbten sich ihre blühenden Wangen. Denn sie erkannte in jedem Pinselstrich ihre eigene Kunst, bis ins Feinste abgelauscht, und doch von einer flotteren Hand überboten und in allen Vorzügen gesteigert.
»Wer . . . wer . . . wer hat das gemacht?« rief sie mit erschrockener Hast und faßte unwillkürlich ihres Lehrlings Arm.
»Ich!« erwiderte er ganz ruhig, »und seht, liebe Herrin, ich fordere Euch hiermit zum Kampfe heraus und werbe von heute an mit den Anderen um Eure schöne Hand. Denn ich habe mich gänzlich in Euch verliebt und vermag meinem Herzen 98 nicht zu widerstehen. Vielleicht bin ich nicht ganz ohne Aussicht, den Sieg zu erringen.«
Die Jungfrau starrte ihn ängstlich an, in der Meinung, daß er plötzlich irre redete; doch wie er ihr ruhig und frei ins Antlitz blickte, lachte sie laut auf und rief:
»Du? Du? O trefflicher Narr! O meisterlicher Schüler! Also Du wirbst um die Stelle eines Narren in meinem Hause? Gewißlich, sie soll Dir gewährt werden, denn Du hast die Schellenkappe redlich verdient! Ei, oder meinst Du auch, mein wackerer Schüler, wie Du mir meine Kunst gestohlen, so verständest Du ein wenig von Platon und Homeros, weil Du hier und da ein Bröcklein von meinen Lippen aufgefangen hast? O armer Betrogener, so eilig lernt sich solche Weisheit nicht!«
Als sie dies sagte, merkte Manuel, daß trotz all dem Hohn ihr helle Thränen aus den Augen stürzten; denn es ging ihr sehr nahe, daß sie so plötzlich den guten, stillen Freund verlieren mußte. Darum antwortete er ziemlich ermuthigt:
»Ei freilich, liebe Lehrerin, meine ich immerhin auch hier einiges Verständniß durch Euch gewonnen zu haben. Und so es Euch recht ist, will ich Euch sogleich eine Probe meiner jungen Weisheit geben. Welches Wort, glaubt Ihr, sei in diesem Eurem 99 Buche des Platon vom Gastmahl das allerlieblichste und wahrste zugleich, allem anderen tönenden Geklügel zum Trotz? Ich will es Euch sagen, und wenn Ihr mir von ganzem Herzen und vor Eurem eigenen Gewissen widersprechen könnt, dann freilich habe ich keine Hoffnung auf Eure Hand. Nur sollt Ihr mir nicht heute in Eurem Zorn antworten, sondern ein andermal nach friedlicher Ueberlegung. Ich meine aber das folgende Wort des klugen Aristophanes: ›Denn es ist Eros der menschenfreundlichste Gott, weil er ein Helfer ist der Menschen und ein Arzt für solche Wunden, durch deren Heilung dem menschlichen Geschlechte die höchste Glückseligkeit zu Theil werden mag.‹
»Solche Wunden nämlich verspüre ich, und gebe Gott, daß Ihr sie auch empfinden möget, denn so könnte Eros uns beiden ein Helfer und Arzt werden.
»Doch dieses überlasse ich Euch zu einsamer Ueberlegung. Nun aber das Andere: ich will Euch zeigen, daß ich auch in Euren Homeros mit rechtem Verständniß eingedrungen bin. Sagt mir doch, wie beweist Jemand das beste Verständniß eines Dichters? Thut er es nicht dadurch, daß er seinen Helden nacheifert und selbst ihrer würdig zu handeln sucht? Und nun bedenket, Herrin, wodurch zeichnet sich der herrliche Held Odysseus vor allen Anderen 100 aus; wodurch weiß er sich den schrecklichsten Gefahren zu entziehen und zuletzt die geliebte Gattin und die Heimath wieder zu gewinnen? Ist es nicht seine ausbündige Kunst, die Worte zu drehen und beständig auf das Anmuthigste zu lügen und sich zu verstellen, außer wenn zufällig einmal die Wahrheit ihm nützlicher zu sein scheint? Belügt er nicht sogar seine himmlische Schützerin Athene? Diese aber verschmäht es nicht, ihn um solcher List willen freimüthig zu loben. Nun wisset, nach diesem preiswürdigen Vorbilde habe auch ich gehandelt, weil ich meinte, daß Euch, die Ihr der holden Nausikaa mit allem Fug Euch vergleichen dürft, kein anderer Held so lieb sein könne, als eben dieser Odysseus. Aus diesem Grunde habe ich Euch ganz gröblich immerfort belogen und betrogen! Nicht um ehrlich Eure byzantinische Kunst zu lernen, kam ich in Eure Werkstatt; auch habe ich Euer Gemälde in Santissima Annunziata zu Otranto nie mit Augen gesehen, sondern nur zufällig hierselbst in Korfu davon reden hören, – von anderen geringen Lügen noch zu schweigen: sondern einzig deshalb drängte ich mich an Euch, um Eure feinen Kunstgeheimnisse abzulisten und darnach wider Euch selber im öffentlichen Wettkampf zu verwerthen. Das ist mir nun herrlich gelungen, und glaubt mir, liebe Meisterin, 101 ich werde nun all meine Kraft und Kunst auf diesen Erzengel Michael verwenden, um Euch obzusiegen und, wenn es sein kann, Eure Hand zu erobern!
»Doch ehe ich jetzt mit allem gebührenden Dank für Eure unschätzbare Hülfe von Euch scheide, vernehmet noch die Enthüllung meiner letzten und größten Lüge: ich bin nicht ein niedrig geborener Handwerksmann und Wanderbursch, wie ich mich darstellte, sondern bin, wie Ihr selber, aus gutem und stolzem Geschlecht. Ich bin der jüngste Sohn des alten Hauses Pierakos von Gasturi, und meine Brüder sind Euch wohlbekannt und als Eure Freier geduldet. Ihr sehet daraus, daß ich ausnahmsweise auch einmal die Wahrheit sprach, wenn ich Euch verrieth, daß einer der Pierakos im Stande sein werde, Euch in Kunstfertigkeit obzusiegen . . . . Gehabt Euch nun wohl, meine angebetete Gebieterin, bis zum Wiedersehen auf dem Schlachtfelde.«
Nach dieser Rede entfernte sich Manuel eilig mit einer sehr demüthigen Verbeugung; denn er fürchtete den Zorn der betrogenen Jungfrau zum Aeußersten zu reizen, wenn er länger ihren Augen zu trotzen wagte.
Und allerdings war es weise gehandelt, daß er sich ihrem gerechten Grimme entzog. Denn Irene war über die Maßen erbittert über ein so 102 frevelhaftes Spiel, und die Thränen stürzten aus ihren Augen nicht mehr aus heimlichem Kummer, sondern aus echtem Zorn und Haß und heißer Empörung, daß dieser, eben dieser Mensch sie durch seine gelungene List so bitterlich gedemüthigt hatte. Nachdem sie aber mehr als eine Stunde lang kläglich mit ihrer verstörten Seele gerungen hatte, raffte sie sich endlich tapfer zu einem herben Entschlusse auf:
»Nimm all deine Kraft zusammen, Irene!« ermahnte sie sich selber mit fast lauter Stimme; »versuche auch so ihn durch erhöhte Kunst zu besiegen und die Schande dem Schändlichen mit bitterem Hohne zurückzugeben! Wenn es aber nicht gelingt, wenn seine Hinterlist ihm dennoch glücken soll, – so bleibt das Kloster dir als letzte Zuflucht, und Keiner darf dir den Bruch jenes Versprechens vorwerfen, denn der Dienst der allheiligen Jungfrau hebt alle anderen Gelübde auf.«
Mit so festem und tüchtigem Herzen ging sie von Stund an zu ihrer Arbeit; und siehe, es glückte ihr, ein Wunderwerk von Fleiß und feiner Vollendung zu schaffen, welches ihre früheren bewunderten Leistungen um ein gutes Stück hinter sich ließ.
Als nun der Tag der Entscheidung gekommen war, sandte jeglicher Freier seinen Erzengel Michael, so gut oder schlecht er ihn hatte schaffen können, und 103 alle diese adeligen Werke wurden in einem großen Saale neben einander aufgestellt, jedes mit dem Namen seines Schöpfers bezeichnet. Im Hintergrunde standen die schöpferischen Junker selbst, jeder von freudiger Siegeshoffnung getragen, nur daß einige etwas bange das zuletzt gelernte Kapitel aus Plato noch einmal leise murmelnd repetirten.
Unter lautem Beifallrufen dieser Getreuen trat Irene heran, umgeben von den erwählten Kunstrichtern. Sie erschien blaß und still; ein dunkler Schleier umwallte sie; ihr schwarzes Auge verrieth eine trübe Entschlossenheit. Scharf suchend glitten ihre Blicke über die Reihen der Bilder hin; in wenigen Minuten hatte sie sich versichert, wie gering die Gefahr für sie von allen Anderen war; auch fürchtete sie selber nur den Einen, doch ihn mit desto besserem Grunde.
Jetzt ersah sie das Streifchen Pergament mit dem Namen Manuel Pierakos. Alles Blut schoß ihr zum Herzen; zitternd beugte sie sich über das Bild, und siehe, Ein Blick genügte ihr zu sagen: du bist gerettet, du hast gesiegt! Denn das war nichts als eine mittelmäßige Arbeit, wie sie die Nebenbuhler auch geliefert hatten.
Da ließ sie triumphirend ihr eigenes Werk enthüllen: und keiner der Richter konnte nur einen 104 Augenblick im Zweifel über die Entscheidung bleiben, selbst ihr Vater nicht, so gern dieser durch den Sieg eines der Freier einen Eidam gewonnen hätte.
Doch Irene's Stirn entwölkte sich trotzdem nicht. Seltsam fremd berührte sie der Anblick ihres siegreichen Erzengels: der sah so stumpf und verdrossen drein mit den großen öden Augen; der zeigte so gar nichts in Miene und Geberde von der Wonne des Sieges, von dem feurigen Schwung, der jetzt ihre eigene Brust beseelte oder doch beseelen sollte; denn heimlich mischte sich in den hellen Siegesruf ihres Herzens eine leise Stimme des Zweifels, der Unbefriedigung, der Sorge gleich einem dumpfen Wettergrollen in der Ferne.
Warum, so fragte diese Stimme, warum hat Jenem diesmal die Kraft versagt, die er doch jüngst noch so viel wackerer bewährt hat, da es um nichts galt, als mich im Stillen zu beschämen und mir die Augen zu öffnen? Hat ihm jetzt ein gütiger Engel die Augen verfinstert, die Hände gelähmt? Oder aber, – und das vielmehr ist es, nur diese Möglichkeit ist offen, – der Uebermüthige hat absichtlich ein geringeres, nachlässiges Werk hinausgestellt, vielleicht ein besseres, das ihm den Sieg verschafft hätte, für sich behalten! Und warum das? Nun denn, es giebt nur Eine Antwort; er weiß, daß er siegen 105 könnte, wenn er wollte; er hat es gezeigt, er hat dich gedemüthigt: aber er wollte gar nicht siegen in diesem öffentlichen Kampf, er verschmäht deine Hand!
Dieser Gedanke überwältigte ihre arme Seele mit so plötzlicher Wucht, daß sie tief erzitternd kaum noch auf ihren Füßen sich zu halten vermochte. Mit todtbleichen Wangen wankte sie hinaus aus dem Kreise der versammelten Männer und suchte ihre einsame Werkstatt im Thurm des Gartens. Laut aufweinend und wie gebrochen sank sie in einen Sessel und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
O diese Schmach, dieser Schmerz, wie war das dreimal schwerer, als die Niederlage, der sie entgangen war! Ja, wie klein erschien ihr auf einmal jene gefürchtete Kränkung ihrer Künstlerehre, wie kleinlich ihre bangende Eitelkeit! Wie leicht, meinte sie jetzt, hätte sie jenen Schlag verwinden können, da ein so viel gewaltigerer sie nun getroffen! Verschmäht, verschmäht, sie selbst, ihre eigene, gepriesene Person verschmäht, – und wäre es von jedem Anderen, noch wäre es zu ertragen; aber das von ihm, von ihm, dem Einzigen, dem sie selbst ein Stücklein ihres Wohlwollens, ihrer milden Theilnahme geschenkt, den sie mit dauernder platonisch-pädagogischer Liebe hatte umfassen wollen! Von dem verschmäht!
»Nein, nein,« rief sie aufspringend aus und 106 rang in unsäglichem Jammer die Hände, »er muß sich mir beugen, er muß zu meinen Füßen liegen; meinen Ruhm gebe ich preis; meine Kunst gilt mir nicht mehr als eines Windes Hauch, – aber er, er muß mein Sklave werden, daß ich ihn von mir stoßen kann und mit ruhigem Stolz ins Kloster gehen, nachdem ich ihn gedemüthigt! Doch ehe das geschieht, vermöchte ich nicht einmal zu sterben . . . .«
Plötzlich fiel ihr irrender Blick auf eine verhüllte Tafel an der Wand; sie erschrak, trat hinzu, riß das Tuch mit schaudernder Erwartung herunter und stand vor einem Gemälde, dessengleichen sie mit ihren Augen nimmer erblickt hatte.
Wunderherrlich hob sich der siegende Erzengel heraus, mit göttlich leichter Bewegung den Speer hinabstoßend, leuchtend von Farben, anmuthig von Angesicht, stolz und freundlich zugleich in seinem Ausdruck, als wollte er dem Feinde sagen: »Es thut mir leid, daß ich mich dazu hergeben muß, dich armen Wurm abzuthun; da du aber einmal der Teufel bist, so geht das denn schon nicht anders.« Was aber Irene am allermeisten aufregte und Anfangs fast entsetzte, das war, daß sie in dem himmlisch zarten Angesicht des schönen Siegerengels ihre eignen Züge auf das Allerfeinste nachgeahmt und wunderbar getroffen erblicken mußte. Sie hielt die 107 Hand vor die Augen, als blendete sie diese Entdeckung; sie ergriff einen silbernen Spiegel und verglich ihr Antlitz noch einmal Zug um Zug, und siehe, es war keine leiseste Form, die von ihrer natürlichen Erscheinung abwiche, außer daß ein himmlischer Hauch der Verklärung über dem gemalten Abbild schwebte, den sie in lebendiger Wirklichkeit im Spiegel noch nicht an sich beobachtet hatte.
Ein süßer Schauer der Rührung ergriff sie, und es war ihr, als ob sie selber von innen heraus verklärt und über sich erhöht würde.
Nachdem sie sich aber von dem beglückten Staunen so weit erholt hatte, daß sie den Blick auch einmal etwas tiefer auf den besiegten Höllenfürsten lenken konnte, da machte sie eine neue, höchst sonderbare Bemerkung: derselbe war weder allzu mißgestaltet, noch auch sehr bösartig von Angesicht, vielmehr zeigte er einen so kräftigen Ausdruck der Demuth und Schicksalsergebenheit, wie sie das bei einem Teufel nie für möglich gehalten hatte; kaum eine leise Bitte um Gnade schien aus seinen aufwärts gehobenen Blicken zu sprechen. Allein das Allersonderbarste war: sie kannte diesen bescheidenen Satanas, der sich da im Bilde unter ihren erzengelischen Füßen krümmte; das war kein Anderer, als Manuel Pierakos, der Verräther.
108 »Ha,« sagte Irene, »das hat er recht gemalt, der Erzschelm, der Vater der Lüge!«
Es überkam sie aber dennoch allmälig eine seltsame Beschämung vor diesem ungewöhnlichen Teufel, der sich selbst so tief vor ihr erniedrigte, da doch eben dieses Bild zugleich ein ungeheurer Triumph seiner Kunst über die ihre schien, indem er aus ihrer eignen menschlichen Gestalt eine so überirdische Schönheit gleichsam hervorzulocken verstanden.
»Wehe mir,« sagte Irene, »auch dies Gemälde ist eine große Lüge, denn ich vielmehr bin es, die besiegt und gedemüthigt ist. Auch mit dem Pinsel hat er gelogen, – aber er lügt so schön!«
Und sie gedachte zugleich mit Entzücken, wie doch diese Darstellung viel deutlicher, als hundert Reden bewies, daß er sie nimmermehr verschmähte, sondern offenbar nur aus rechtem Edelmuth vermieden hatte, sie mit öffentlicher Niederlage zu kränken.
Da sank sie auf ihre Kniee nieder und sättigte sich in Thränen, die aber weit milder flossen, als jene, die sie zuvor geweint hatte, und mehr nur einem wohlthätigen Thau glichen, durch den sie ihr gepreßtes Herz erlöste und zu neuen Gedanken öffnete.
Und nach langer Zeit hob sie sich empor, warf noch einen Blick auf den herrlichen Erzengel Michael und den armen Teufel darunter, setzte sich und 109 verfaßte einen Brief, in welchem folgende Worte geschrieben standen:
»Die arme Schülerin Nausikaa grüßt ihren Lehrer Odysseus.
»Sie bittet denselben, die Lügen abzuthun und ein wahrhaftigeres Gemälde anzufertigen, in welchem der verstellte Satanas in einen siegreichen Helden verwandelt sei und der angemaßte Erzengel als demüthiges Weib zu seinen Füßen sitze und Wolle spinne. Und so er das nicht mit dem Pinsel malen will, soll er selber kommen und das Bekenntniß dieses Weibes vernehmen, daß es von wahrer, lebendiger, himmlischer Kunst heute die allererste Ahnung empfangen hat. Und so er auch das verschmäht, so wird Irene, die Tochter des Lampudios, in wenigen Tagen das Klostergelübde ablegen: denn nimmermehr wird dieselbe die Hand eines anderen Mannes in der ihren empfangen, als dessen, der in allen Stücken ihres Geistes und ihrer Seele Meister geworden ist.
»Nachschrift: Denn es ist Eros der menschenfreundlichste Gott, weil er ein Helfer ist der Menschen und ein Arzt für solche Wunden, durch deren Heilung dem menschlichen Geschlechte die höchste Glückseligkeit zu Theil werden mag.«