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Zu der Zeit, da in Venedig die Künste und Wissenschaften am schönsten blühten, gab es auf Korfu eine Waise von ausgezeichnetem Adel, einziger Schönheit und so großer Jugend, daß sie Mancher wohl lieber noch für ein Kind hätte gelten lassen, wenn sie selbst nur gewollt hätte. Sie hieß Zosima Pieraki. Hingegen war es um ihr Vermögen gering bestellt, denn der alte herrliche Reichthum ihrer Familie war durch Erbtheilungen und adelige Vergnügungen stark in die Brüche gegangen. Nicht daß sie hätte Noth leiden müssen: aber ihr Besitzthum bestand doch nur noch aus einem kleinen Landhause mit ausreichenden Oel- und Weinpflanzungen, einer alten geschnitzten und vergoldeten Sänfte, fünf Maulthieren und zwei prächtigen Anstandsdamen von bedeutendem Lebensalter. Einen Bruder besaß sie nicht, hingegen eine ältere Schwester, welche jedoch leider unter ihrem Stande geheirathet und sich 210 an einen unbegüterten venezianischen Lieutenant weggegeben hatte. Diese war dann nach Venedig übergesiedelt und lebte dort mit ihrem Gatten und ihren sechs Kindern im Elend; wenigstens war das Zosima's Anschauung, während freilich die Schwester selbst nur die allervergnügtesten Berichte von ihrem friedlichen Leben in den Lagunen gab und in aller Welt nichts zu vermissen behauptete, als etwa dann und wann einmal den Anblick der goldenen Berge und der hohen Oelbäume ihrer Heimathinsel.
Doch, wie gesagt, das wußte Zosima besser und empfand das herzlichste Mitleid mit ihrer armen Schwester, welche ohne seidene Gewänder, ohne Perlen und Geschmeide, glänzende Dienerschaft, geschnitzte Schränke, Tische und Sessel, ohne goldene oder nur silberne Geräthe, ohne verzierte Sänften, ja selbst ohne Anstandsdamen ihr ganzes dunkles Leben hinzukümmern verurtheilt war. Sie selbst hatte, nachdem sie in sehr früher Jugend zu dieser Betrachtung gelangt war, rechtzeitig beschlossen, ihr Leben von Grund aus anders einzurichten und keinesfalls durch eine so thörichte Heirath von vornherein sich von allem gegenwärtigen und zukünftigen Lebensglücke auszuschließen. Vielmehr hatte sie einen 211 Bund gemacht mit ihren Augen, daß diese sich nicht durch das Anschauen leerer Aeußerlichkeiten an Männern guten Wuchses, edler Züge und muthiger Augen sollten verblenden lassen, sondern einzig danach ausspähen, den reichsten und würdigsten Mann für sich zu erobern.
Darum hatte sie ihre Kinderzeit aus eigener Machtbefugniß noch um ein Jahr mehr, als des Landes der Brauch war, abgekürzt, um nur ja nicht etwa einen zufällig vorüberschwimmenden Goldfisch zu versäumen. So stand sie denn, sobald sie nur eben das erste lange Kleid angelegt, als fleißige Anglerin am Golf des Glückes, ob sie gleich äußerlich so unthätig und bescheiden abwartend dazusitzen schien, wie es bei den armen Mädchen nun einmal trotz aller innerlichen Heirathslust allerorten die hergebrachte Sitte war und ist.
Auch waren ihre Aussichten anscheinend nicht geringe; ihre überaus zierliche Gestalt und entzückendes Gesichtchen nebst ihrem köstlichen Adelstitel wären Lockmittel genug gewesen, die besten Freierskräfte des Landes heranzuziehen, wenn nicht eine ihr anhaftende und allgemein bekannt gewordene absonderliche Gewohnheit auf manche ehrbare Gemüther 212 abschreckend gewirkt hätte, ohne daß die Aermste selbst das Geringste davon ahnte. Damit verhielt es sich folgendermaßen.
Ein Ahnherr hatte aus irgend einer Laune zur Seite seines Hauses ein Thürmchen erbaut, dessen oberes Gemach nun die junge Zosima zu ihrem eigenen alleinigen Gebrauch zurückbehalten hatte und so streng verwahrt und verriegelt ließ, daß niemals ein fremder Fuß, auch nicht einer vertrauten Freundin oder Anstandsdame dasselbe betreten durfte. Sie selbst trug den Schlüssel bei Tag und Nacht um ihren Hals und besorgte auch alles zur Reinlichkeit Nöthige mit eigener Hand, zu welchem Zwecke sie sich einen Besen, eine hübsche Schippe und einen guten Vorrath feingesäumter Wischtücher heimlich besorgt hatte.
In diesem Gemache verweilte sie täglich mehrere Stunden in geheimnißvollem Thun; die Freundinnen, welche, wie billig, zuweilen an der Thüre lauschten, vernahmen wohl ein leises Rascheln, Rauschen und Raunen und andere unbestimmte Geräusche, ja ein deutlicher kleiner Jauchzer des einsamen Mädchens ließ manchmal erkennen, daß sie dort keine unlustigen Dinge betreiben mochte, aber etwas Genaueres hatten 213 sie niemals erkundet, so großen Kummer ihnen auch das ungelöste Räthsel verursachte. Vergebens auch versuchten sie durch Fragen, Bitten, Schmollen, Spotten irgend Etwas aus der sonst guten und offenherzigen Zosima herauszubringen; dieselbe widerstand heldenmüthig und flehte oft mit Thränen in den Augen, ihr das Geheimniß nicht zu entreißen, ja, wenn es möglich wäre, anderen Leuten nichts von dieser Seltsamkeit zu verrathen. Solches Verschweigen war nun allerdings denn doch nicht möglich; die Freundinnen bedurften der Stützen, die Last des Geheimnisses tragen zu helfen, und schütteten ihre Beobachtungen und Muthmaßungen in viele theilnehmende Busen aus. Daraus entstand dann bald ein dichtverworrener Knäuel der abenteuerlichsten Gerüchte. Die Einen nahmen an, sie halte dort einen auf wunderbare Weise entdeckten Schatz von Gold und Juwelen verborgen, an dessen Anblick sie sich im Verborgenen weide; dem widersprachen Andere mit dem Hinweis, es sei gegen alle Natur und Erfahrung, daß ein junges Mädchen Schmucksachen auch nur einen einzigen Tag versteckt halten könne, statt dieselben als Zierde des eigenen Leibes so vielen Menschen als nur irgend möglich 214 im Lichte der vollen Sonne zu zeigen. Diese Klugen vermutheten daher lieber, sie verrichte dort eine geheime inbrünstige Andacht, wogegen noch Klügere zu bedenken gaben, daß auch Frömmigkeit keine Sache ist, die man ängstlich zu verhehlen sucht, sondern im Gegentheil eine sehr empfehlende Tugend, die man gerne vor den Menschen leuchten läßt. Es müßte denn sein, daß die geheimnißvolle Andacht keine erlaubte und rühmliche, sondern vielleicht eine heidnische, mohammedanische oder gar ketzerische sei, wobei denn leichtlich verrätherische Umtriebe der stets lauernden Saracenen im Spiele sein mochten. Etwa ein unterirdischer Gang von dem verdächtigen Thurm zum Strande hinab sei nichts Unwahrscheinliches. Harmlosere Seelen, deren allerdings die Mehrzahl war, dachten an ein Liebesabenteuerchen; denn dergleichen war weit häufiger als Verrath und Heidenthum am Gestade der seligen Phäaken. Höchstens wunderte man sich, daß die Kleine schon bei solcher Jugend so vielen Verstand offenbare, auch nicht einmal eine Freundin ins Vertrauen zu ziehen.
Zu allerletzt hatte der Einfall eines erfinderischen Kopfes einen durchschlagenden Erfolg, offenbar darum, 215 weil er von allen anderen der unwahrscheinlichste war. Fortan schwur man allgemein darauf, Zosima verwahre in ihrem Thurmgemache eine Antikensammlung von seltenem Werthe, die ihr Ahnherr einst aus Byzanz mitgebracht habe.
Obgleich nun der Besitz eines derartigen Gutes an und für sich nichts Tadelnswürdiges war, so schüttelten bedächtige Leute doch den Kopf, daß ein so junges Ding sich täglich stundenlang unter den steinernen Götzenbildern herumtreibe und offenbar sich mit denselben förmlich erlustige; dabei könne für das Heil ihrer Seele schwerlich etwas Gutes herauskommen. Heidenthum bleibe immer Heidenthum, und wenn die römische Kirche, wie man höre, solche Dinge leichtfertig dulde, ja zu Rom und anderwärts wohl gar noch unterstütze, so stehe das doch einer griechisch-rechtgläubigen Gemeinde um so weniger an. Wäre Zosimen nicht der behagliche und träge Charakter ihrer Landsleute zu Gute gekommen, so möchte sie leichtlich schon damals in Ungelegenheiten gerathen sein; so aber ließen wenigstens die Behörden die Sache einstweilen auf sich beruhen.
Dagegen schadete dieser Umstand bei verständigen Leuten ihrem Rufe nicht wenig; für das jüngere 216 Volk freilich, soweit es männlichen Geschlechtes war, fügte der schillernde Schleier eines so eigenartigen Geheimnisses ihren angeborenen Vorzügen nur einen gewissen prickelnden Reiz hinzu und versorgte sie mit einer immer noch genügenden Anzahl aufrichtiger Freier, so daß es ihrem innigen Wunsche gemäß in ihre Hand gegeben war, sich aus den Vielen klug und kühl den nutzbarsten Bräutigam herauszugreifen.
Um in ihrer Rechnung keinen Fehler zu machen, ging sie den denkbar geradesten Weg: sobald einer ihrer Verehrer, dessen Vermögensverhältnisse überhaupt ernsthaft zu nehmen waren, sichtliche Anstalt machte, mit seiner Erklärung herauszurücken, zog sie ihn bei Seite und befragte ihn ohne alle Umschweife aufs Peinlichste um sein väterliches und mütterliches Erbtheil, seine sonstigen Einkünfte und Zinsen, seine liegende und fahrende Habe, seine Zukunftsaussichten und Alles, was sonst mit diesen Dingen zusammenhing. Solche ungeheure Ehrlichkeit eines jungen Weibes pflegte die Meisten dermaßen zu verblüffen, daß sie, ohne langes Besinnen zu wagen, ihre Lebensumstände gewissenhaft nach allen Richtungen klarlegten; wo aber einmal Einer 217 zauderte, verlangte sie sofort herzhaft seine Rechnungsbücher einzusehen, und wenn er Ausflüchte machte, weil er solche in schlechtem Stande oder überhaupt keine hatte, so wußte sie ohnehin Bescheid und gab ihm kurzen Abschied, wie er es verdiente.
Als sie sich nun durch dieses verständige Verfahren einen ziemlich klaren Ueberblick über die Werthe der korfiotisch-venezianischen Jugend verschafft hatte und sich bereits anschickte, zu einer engeren Wahl zu schreiten, kehrte ein junger Bürger aus der Fremde heim, dem der Ruf eines unvergleichlichen Reichthums leuchtend zur Seite ging. Zonaras Aulichos entstammte einem bürgerlichen Kaufmannshause, besaß zu Korfu noch eine Mutter und einen jüngeren Bruder Nikephoros. Von dem Letzteren wußte man unter wohlerzogenen Leuten nicht viel Gutes zu melden; er galt für einen ungeberdigen Gesellen, der dem achtbaren Kaufmannsstande nicht zur Zierde gereichte und überdies schon von vornherein als der Jüngere ein mangelhafter Erbe war. Zonaras hingegen hatte nicht nur bei dem Tode seines Vaters den weitaus größeren Theil des großen Vermögens überkommen, sondern bemühte sich auch mit allem Erfolg, durch schlaue Geldgeschäfte wie 218 durch sonstiges Wohlverhalten des ihm zugefallenen Glückes sich würdig zu zeigen.
Er kam damals eben aus Spanien zurück, woselbst er ziemlich lange Zeit gelebt und nicht nur schönen Gewinn gemacht, sondern sich auch in spanischer Sitte und vornehmer Lebensart erheblich ausgebildet hatte. Er hatte gelernt, steifbeinig zu schreiten, das Kinn fast in gleicher Linie mit der Nase zu tragen und sich in allen Dingen so zu geberden, als ob er wie von einer hohen Warte mit unendlicher Gleichgültigkeit auf das Treiben der anderen Sterblichen hinabsehe, in welchem Allen sich das Wesen der Vornehmheit am sichersten ausdrückt.
Nur Eines hinderte ihn an vollkommener Selbstachtung, nämlich seine bürgerlich-kaufmännische Abstammung, und sein Trachten ging deshalb darauf, durch eine hochfeine Heirath sich und seine Nachkommen auch noch mit einem adeligen Schimmer zu umkleiden und solcherart sein Gold zu übergolden.
Da nun also die Wünsche dieser zwei so gearteten Menschenkinder in genauer Richtung einander entgegenströmten, so wäre es ein Wunder gewesen, wenn sie sich in einer und derselben Stadt nicht auf halbem Wege getroffen hätten. Zosima erfuhr 219 von Zonaras, und dieser von ihr, und er zögerte nicht, ihr durch seine Mutter, Hesychia, einen ersten Höflichkeitsbesuch machen zu lassen. Da Zosima die alte Dame mit sichtlicher Freude empfing und nicht einmal nach den Rechnungsbüchern fragte, denn sie hatte bereits auf anderem Wege genug erfahren, so erbat sich Jene mit großer Dringlichkeit einen Gegenbesuch in ihrem Landhause nicht ferne der Stadt. Die Gerüchte, welche über das Mädchen im Schwange waren, kannte sie gar gut und hatte noch vor Kurzem das Schauderhafteste davon geglaubt; jetzt aber ward sie einer besseren Ueberzeugung und schwur auf das Vorhandensein eines sehr harmlosen Antikenkabinets, dem sie im Uebrigen keinen besonders hohen Werth beizumessen vermochte. Die Hauptsache war ihr wie ihrem Sohne der schöne Name des Mädchens.
Eines Tages machte sich denn Zosima auf den Weg nach dem Landsitze des Aulichos, welcher seit der Rückkehr des jungen Herrn den Namen Neu-Aranjuez erhalten hatte. Sie nahm drei geschmückte Maulthiere und die zwei Anstandsdamen mit sich, und weil sie bei ihrer hoffnungsfrohen Laune häufig in kräftigem Trabe ritt, fand sie eine herzliche 220 Freude an den jammervollen Grimassen, welche die alten Fräulein durch die rauhen Stöße des Sattels zu schneiden genöthigt wurden. Für die stillen Reize der wunderbaren Gärten, zwischen denen sie hinritten, und den herrlichen Dämmerschatten der Olivenhaine, welche sie kreuzten, hatte sie keine Blicke übrig.
In Aranjuez wurde sie mit großer Pracht und Feierlichkeit empfangen; Frau Hesychia saß in Goldbrokat gehüllt auf einem Thronsessel aus Ebenholz und Elfenbein von wundervoller Arbeit, sie selbst mit edlen Perlen behangen wie mit einem Kettenpanzer und hub sich der Eintretenden mit würdevoller Liebenswürdigkeit entgegen; je drei stattlich bekleidete Ehrendamen zur Rechten und zur Linken ahmten jede ihrer Bewegungen so geschickt und schmiegsam wie junge Aeffinnen nach, obgleich sie alle sechs bereits seit längerer Zeit Großmütter waren, und umzingelten grüßend die Damen des Gastes.
Jetzt that sich langsam mit festlichem Knarren eine große Flügelthür auf, und herein marschirte mit gestreckten Beinen Zonaras, die Arme lang herabhängend, den bartlosen Kopf mit einem Ausdruck in die Höhe gehoben, als ob er eine stumme 221 Klage über die Langweiligkeit der Welt zu den Wolken sende. Seine Kleidung war köstlich, schimmernd von weichem Sammetglanz und übersäet mit einer solchen Fülle von Edelsteinen, daß sie ordentlich aneinander klirrten. Sein Gesicht war nicht unschön, aber öde und kalt wie eine winterliche Meeresklippe; trotzdem gefiel er Zosimen ausgezeichnet, denn ihre Blicke wurden von den Herrlichkeiten seiner Gewänder und der Vornehmheit seiner Haltung so sehr geblendet, daß sie keine Zeit fanden, höher als bis zu dem prächtigen Spitzenkragen hinaufzuklimmen. Er machte ihr eine Verbeugung in der Art, wie wenn man langsam ein Scheermesser ein wenig zuklappt und langsam wieder öffnet, sprach drei grüßende Worte, zu denen er genau sechzig Sekunden gebrauchte, und ließ während derselben und noch einige Minuten länger gelassen prüfende Blicke über ihre Person wandern. Endlich nickte er befriedigt wie nach der Musterung einer preiswerthen Waare und bot ihr seinen Arm, sie an einen bereitstehenden Tisch voll auserlesener Speisen zu führen.
In diesem Augenblick ereignete sich eine unerwartete und unliebsame Störung. Von dem Hofe 222 her erscholl ein ganz ungezogener Lärm, ein Trappeln, Stampfen, Bellen, Schreien und Jauchzen, darauf ein kräftiges Poltern aus dem Gange; eine Thür wurde knackend aufgerissen, und ein junger Mensch kam hereingefahren wie ein rechter Rüpel, rannte im Vorüberstreifen eine kostbare Vase über den Haufen, kniff in aller Eile einer hübschen Magd in die Backen, warf aus Versehen einer Anstandsdame eine Kußhand zu und fiel endlich der erbleichenden Frau Hesychia mit zügelloser Begrüßung um den Hals, wobei er nicht versäumte, eine Perlenschnur zu zerreißen, daß die werthvollen Kugeln im Saale umherrollten gleich versteinerten Thränen des Mutterschmerzes. Er trug ein malerisches albanesisches Jagdgewand, das jedoch unordentlich und hier und dort zerrissen um ihn herumhing; denn er kam eben von einer wilden Jagd aus den epirotischen Bergen zurück, und die faltige Fustanella schlenkerte in zweifelhafter Weiße zerrüttet um seine Hüften. So war Nikephoros.
Auf einmal ward der wilde Ankömmling der feinen Besucherin erst inne und heftete nun einen langen erschrockenen, ja völlig verworrenen Blick auf den Liebreiz ihrer ungeahnten Erscheinung.
223 Zosima merkte das recht wohl, mit wie anders gearteten Blicken dieser Jüngling sie anschaute als soeben noch sein Bruder, und daß er von ihrem Anblick fast wie von einer Waffe getroffen und von Bewunderung bis ins innerste Herz durchschauert schien. Eine so große Gewalt hatte ihre Schönheit bisher noch über keinen anderen Menschen ausgeübt, und sie freute sich dieses Sieges; trotzdem schenkte sie ihm keine besondere Beachtung, weil die Liederlichkeit seines Kleides sie verdroß und sie hinderte, sein Angesicht anders als mit einem streifenden Blicke zu mustern. Sonst hätte sie wohl erkennen müssen, daß es schön war, bräunlich mit schwarzen, verlangenden Augen und von dem ersten Feuer jugendlicher Männlichkeit wie von heiter sprühenden Funken durchleuchtet.
Seine Unarten aber waren nun alsbald gar wunderbar gebändigt; auf einen bloßen Augenwink seiner entsetzten Mutter schlich er hinaus und kehrte erst nach längerer Weile in einem schlichten, aber anständigen Gewande in den Saal zurück. Daselbst setzte er sich bescheiden in eine Ecke an ein Nebentischchen und störte Niemand mehr. Seine Augen aber wußten ihren Weg und blieben fest in einer 224 Richtung stehen, wie sie sonst thaten, wenn sie die Stelle beherrschten, an welcher der Berghirsch Albaniens zur Tränke strebend durch die Büsche brechen soll.
Währenddem wurde ein unendliches Mahl aus den ersten Leckerbissen aufgetragen, zwanzig Gänge hintereinander, von denen jedoch aus Sättigung und Lebensart Jeder bloß zwei oder drei berührte – nur allein Nikephoros aß sich trotz seiner schauenden Andacht im Verborgenen durch alle zwanzig hindurch – und Zonaras erzählte eine ruhmvolle Geschichte, wie der spanische Finanzminister ihn in besonderer Audienz empfangen und ihm eine größere Summe Geldes abgeborgt hatte, die derselbe bis zum heutigen Tage ohne Zinsen zu behalten die Gnade gehabt; zu seinem Privatgebrauch, wie er mit ehrendem Vertrauen gestanden. Diese Erzählung erstreckte sich in Folge der gewichtigen Vortragsweise über die ganze Zeit der zwanzig Gänge hin, und Keiner brauchte sonst eine Anstrengung zu machen. Zosima aber wurde nicht müde, die Pracht der Tischgeräthe, der linnenen Tücher, der kunstvollen venezianischen Glasgefäße und aller anderen Dinge bis zu den blitzbunten Livereien der Diener zu bewundern.
Als sie endlich angenehm ermüdet den Rückweg 225 von Neu-Aranjuez mit ihren Damen antrat, war sie in ihrem Herzen entschieden, den Zonaras oder Keinen sonst auf Erden zu heirathen und Besitzerin all dieses Glückes zu werden. Ein Bedenken freilich drängt sich ihr noch etwas unangenehm entgegen, nämlich der dürftige Klang des Namens, der dann künftig der ihrige werden mußte: denn Aulichos bedeutet etwa Hofmann und klingt den Hellenen nicht edler als uns dieser Name oder Müller, Schmidt und dergleichen in unserer Sprache. Diesem Uebelstande zu begegnen, kam sie auf den Gedanken, ihren künftigen Bräutigam zuvor in Form Rechtens zu adoptiren, so daß sie so ihren eigenen schönen Namen behielte. Als sie jedoch mit ihrem Beichtiger darüber sprach, schlug dieser die Hände über dem Kopf zusammen und wies ihr die ganze Ungeheuerlichkeit solches Planes nach, der offenbar nichts Geringeres bedeute, als daß sie wie die unselige Jokaste heidnisch verruchten Andenkens ihren eigenen Sohn heirathen wolle. Darum sann sie Anderes.
In dieser Bedrängniß erinnerte sie sich einer alten Muhme, um die sie sich sonst herzlich wenig gekümmert hatte, weil dieselbe in einiger Entfernung 226 von der Stadt auf einem Berge wohnte und nicht eben sonderlich begütert war.
Diese Muhme hieß Terpsichore und war eine überaus verständige Jungfrau von unzähligen Lebensjahren. Im Volke pflegte man sie Kukuwaja, das ist: die Nachteule zu nennen, theils wegen ihrer Weisheit und Häßlichkeit, theils weil sie große runde, scharfblickende Augen hatte, die von sehr dichten Brauen wie von einem gesträubten Federkranze überbuscht waren. Gelehrte Leute pflegten sie auch scherzhaft der Pallas Athene selber zu vergleichen, weil sie trotz ihres hohen Alters rüstig das Land durchstreifend oftmals urplötzlich wie eine vom Himmel gefallene Göttin einem Wanderer erschien, wenn schon an jugendlicher Schönheit keineswegs einer solchen ähnlich.
Diese Eule nistete auf einem spitzen Berge, welcher das Dorf Gasturi überragt und von dessen Gipfel man eine unendliche Aussicht über Meer und Land genießt. Wenn sich aber Jemand verwunderte, daß sie bei ihren Jahren nicht lieber im Thale hause, statt so oft den beschwerlichen Pfad emporzuklimmen, so erwiderte sie: »Eben weil ich von so hoher Warte meines Alters auf ein wechselreiches 227 Leben voll Lachens und Weinens zurückschaue, ist es mir eine Lust und ein Bedürfniß, ebenso auch mit meines Leibes Augen aus dieser herrlichen Höhe in das gesegnete Land dort unten mit seinen Hügeln und Thälern, seinem Licht und Schatten als in ein getreues Abbild jenes Lebens in beruhigtem Genusse dauernd hinabzublicken. Die Berge und Thäler haben ihre Sprache: ich muß alle Tage wieder mit ihnen reden, um mir die Seele frei zu halten.«
Auf jenen Eulenberg also begab sich Zosima am folgenden Tage auf einem Maulthier, und zwar ganz allein, obgleich es der Anstand anders erfordert hätte; doch sie wußte, daß die Muhme, von der sie eine Gunst zu erbitten kam, gar keine Vorliebe für ihre Anstandsdamen hegte, dieselben vielmehr mit rauher Rede zwei alten Puten zu vergleichen liebte, wie sie auch wenig von deren Wächteramte hielt, behauptend, eine ordentliche Tugend werde wohl bei Nacht wie bei Tage sich selbst zu schützen wissen und habe die ganze Lumperei von Anstand und ehrbarem Gethue nicht nöthig. Dahingegen empfand sie für ihre Großnichte Zosima selbst eine starke Zuneigung, und das nicht sowohl aus 228 verwandtschaftlichen Rücksichten, von denen sie nichts sonderlich hielt, weil Niemand für den Zufall seiner Geburt verantwortlich sei, als vielmehr aus anderen Gründen, über welche sie Stillschweigen bewahrte.
So empfing sie das Kind auch diesmal sehr freundlich, strich ihm die erhitzten Wimpern und nahm den Vortrag seiner Wünsche mit gelassener Aufmerksamkeit entgegen. So erfuhr sie, daß die kleine Zosima den Zonaras Aulichos zu heirathen gewillt sei, jedoch zuvor die Muhme recht herzlich bitte, denselben zu adoptiren und ihm auf solche Weise einen anständigen Namen zu verschaffen.
Da schaute die alte Eule ihr mit einem milden, aber festen Blicke ins Auge, so daß sie unter demselben ein leises, ihr selbst nicht verständliches Unbehagen empfand und verlegen die Wimpern senkte.
»Gut,« sagte die Muhme endlich nach einem langen Schweigen, »ich bin gesonnen, für Dein Glück Alles zu thun, was ich vermag, und will diesen Deinen Wünschen nicht widerstreben, sobald ich erkannt haben werde, daß Du in ihrer Erfüllung wirklich Dein Glück zu finden die rechte Ueberzeugung hast. Die Familie Aulichos kenne ich seit langen Jahren und habe gegen dieselbe nichts von Belang 229 einzuwenden, war doch der verstorbene Vater dieser Söhne mir von Herzen befreundet. Dennoch knüpfe ich meine Zusage an eine Bedingung.«
Zosima horchte begierig auf und blickte der Kukuwaja scheu in die runden Augen.
»Du weißt,« fuhr diese fort, »wenn ein Mädchen eine solche Absicht hegt, wie Du jetzt, nämlich dem Glücke irdischer Liebe zu entsagen und ins Kloster zu gehen, so ist es Vorschrift und Gebrauch, der künftigen Himmelsbraut zuvor eine Probefrist zu setzen, in welcher ihr Gelegenheit gegeben wird, sowohl das stille Leben der Nonnen, als auch das flotteste Treiben der Welt und ihrer Kinder aus eigener Anschauung kennen zu lernen, damit sie deutlich wisse, was sie verlieren und was sie finden soll, und nicht etwa aus Unkenntniß von einer flüchtigen Sehnsucht überrumpelt werde. Der gleichen Probe gedenke ich nun auch Dich zu unterwerfen.«
Ganz erstaunt starrte Zosima der Sprechenden ins Gesicht, zweifelnd, ob die Alte sie mißverstanden habe oder sich einen Scherz mit ihr mache oder etwa überhaupt fasele.
»Aber Muhme, wie redest Du?« stotterte sie endlich. »Keineswegs gedenke ich ja ins Kloster zu 230 gehen, sondern recht im Gegentheil die Freuden des Weltlebens durch diese Heirath mir erst zugänglich zu machen.«
»Laß gut sein,« entgegnete die Kukuwaja gelassen, »Du stehst im Begriff, das Glück der Welt entsagend von Dir zu werfen und also dasselbe zu thun, als wenn Du wirklich den Schleier nähmest. Oder glaubst Du etwa, bei Deinen Jahren schon zu wissen, wo der Erde Glück zu finden ist? Ich für mein Theil wußte es nicht in Deinem Alter und lernte es erst, als ich es verloren hatte; da habe ich viele Jahre darum getrauert, bis ich endlich in dieser meiner einsamen Höhe doch noch ein stilles, obzwar geringeres Glück gefunden habe. Dir aber wünsche ich das volle und höchste Glück, das unsere schöne Welt gewähren kann.
Tritt nun mit mir hier an den Rand meines Berges und blicke hinüber von den grünen fröhlichen Thälern unseres Eilands über den blauen Golf zu den stolzen Bergen dort der albanesischen Küste. Wie erscheinen sie Deinen Augen? Schön oder nicht schön?«
»Schön wie Gold, Muhme,« rief Zosima voll Bewunderung, denn es war das erste Mal, daß sie 231 darauf Acht gab; »sieh doch, sie schimmern weich wie Sammet im Sonnenlicht, und ihre Risse und Klüfte gleichen den Falten eines kostbaren Kleides aus Goldbrokat. Sie sind viel schöner als Alles, was ich auf unserer Insel vor mir sehe.«
»Gut,« sagte die Nachteule. »Du siehst also dasselbe, was ich sehe. Möchtest Du nun wohl gerne hinübersegeln und dort wohnen?«
»Gewiß,« rief die Kleine freudig, »sobald ich verheirathet bin, nehme ich meinen Mann und meine Schwiegermutter und reise mit ihnen dorthin und auch nach Venedig und Spanien.«
»Gut, und nun sage ich Dir,« fuhr die Alte mit gleichmüthigem Ernste fort, »wenn Du in jene schimmernden Berge gelangst, wirst Du daselbst finden, was Alle gefunden haben, die dahin gelangten, nämlich kahlen Fels und nacktes Geröll und öden Sand: ein verlassenes Land, ein durstiges Land, ein trostloses Land; Alles leer, so leer wie ein armes Herz ohne Liebe.«
Zosima empfand ein unklar dumpfes Bangen bei diesen Worten, aber den Sinn der Rede verstand sie nicht, sondern erwiderte gemächlich:
»Wenn es so ist, werden wir freilich lieber in 232 Korfu bleiben; es ist auch hier Raum genug, die Freuden des Reichthums zu genießen.«
»Gut,« sagte die Eule, »aber nicht ehe Du Deine Probefrist bestanden, sollst Du mit meiner Bewilligung die Klosterzelle des liebeleeren Reichthums betreten. Wenn Du einmal darinnen bist, ist es zu spät; dann bist Du für alle Zeit eingeschlossen in zwängende Wände, und es hilft Dir nicht, daß sie von Gold sind. Gold ist ein starkes Metall und fester denn Eisen und läßt Niemand mehr frei, der sich in seinen Zwang begab. Druck und Bürde lagert schwer über den Palästen des Reichthums, es sei denn, daß die Liebe befreiend zugleich darinnen athme. Freiheit aber wohnt allein in den Hütten der Bescheidenheit.
»Und nun höre, was ich von Dir fordere. Du sollst Dich alsbald rüsten zu einer Fahrt nach Venedig und daselbst Deine Schwester besuchen und in ihrem schlichten Hause eine Zeitlang verweilen. Zugleich aber mit Dir soll Zonaras Aulichos hinübergehen und Dich dort in der prächtigsten aller Städte herumführen, solange es Dir beliebt, Dir all ihre überschwängliche Herrlichkeit zu sehen geben und Dich also lernen lassen, welche Art von Glück 233 er und sein Reichthum Dir in der Zukunft zu bieten vermag. Wenn Du aber von dieser Fahrt zurückgekehrt bist, will ich Dich noch eine kurze Frist in die Einsamkeit setzen, damit Du frei in Dich selbst blicken könnest und Niemand Deine Gedanken von außen zu wenden und zu wandeln vermöge. Und wenn diese Proben an Dir ergangen sind, will ich Dich um Deine Wünsche fragen und sie alle getreulich und ohne ferneres Warnen erfüllen, soweit es in meinen Kräften steht.«
Nach diesen Worten nickte sie freundlich, und Zosima, in ihr Gebot gerne willigend, nahm hurtigen Abschied, denn die fremdartigen Reden machten sie verwirrt und bange, und bestieg ihr Maulthier. Die alte Nachteule aber schaute der Eiligen nach und murmelte lächelnd den Spruch des Apostels Paulus: »Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge . . . .«
Zosima, nachdem sie ein Stückchen des Weges hinabgeritten war, wurde sehr lustigen Sinnes; die geforderte Probe einer Vergnügungsreise nach Venedig kam ihr sehr verrückt, aber auch sehr lustig vor und jedenfalls überaus leicht zu bestehen. 234 Darum machte sie sich keine anderen als fröhliche Gedanken.
Fröhlich ließ sie ihre hellen Kinderaugen das sanfte grüne Thal übergleiten, als sie auf einmal unter sich hart am Fuße des Berges einer seltsamen, wildbewegten Gruppe ansichtig wurde. Sie sah einen Mann in albanesischer Tracht und ein Pferd, welche heftig mit einander zu ringen schienen. Das schöne Thier machte die gewaltsamsten Bewegungen, feuerte bald mit den Hinterhufen aus, daß Staub und Steine hoch aufflogen, bald bäumte es sich mächtig zurück und schlug mit den Vorderfüßen wüthend die Luft, bald machte es weite und plötzliche Seitensprünge. Bei all diesen Unarten aber hielt es der Mann mit unerschütterlicher Kraft schreitend fest am Zügel, jetzt mit jähem Ruck seitwärts ausgeschleudert, jetzt in rasendem Wettlaus mitgerissen, und es war nur Eines schwer zu entscheiden, was schöner zu sehen war, was prächtiger in der Bewegung, die unbändige Tollheit des schlanken Rosses oder die herrschende Sicherheit des Menschen. Zosima dachte bei diesem Anblick flüchtig an den ungezogenen Bruder des Zonaras, sei es, daß sie durch das tobende Thier an ihn erinnert wurde, 235 wie sie selber meinte, sei es aus irgend einem anderen Grunde; sein Gesicht vermochte sie aus der Ferne nicht deutlich zu erkennen, wie sie auch bei der ersten Begegnung seine Züge sich nicht fest genug eingeprägt hatte; der Eindruck hingegen seiner bewegten Glieder blieb in ihrem Gedächtnisse haften.
Plötzlich that jener Jüngling einen raschen Blick seitwärts zur Höhe; er schien die junge Reiterin dort zu ersehen und zu erkennen, schien zu erschrecken und warf sich jäh mit herrlichem Schwunge auf den Rücken des nun völlig besiegten Geschöpfes, worauf er in gestrecktem Galopp davonjagend nach wenigen Augenblicken unter den dichten Oelbäumen zur Seite der Straße verschwunden war.
Angenehm erregt durch das seltene Schauspiel und etwas nachdenklich setzte Zosima ihren einsamen Weg fort. Als sie aber hinab in das Thal gelangte, das zur Stunde gänzlich menschenleer war, hörte sie von Neuem jäh aufklappenden Hufschlag hinter sich; erschrocken wandte sie den Kopf herum und sah noch gerade denselben tollen Reiter in mächtigen Sätzen quer über die Straße sprengen und mit gleicher Geschwindigkeit abermals im Oelwald untertauchen.
236 Dieses sonderbare Wesen trieb er einmal über das andere, wie eine Schwalbe in huschendem Fluge jagend hin und wieder schießt; immer ängstlicher wurde Zosima und drängte ihr gemächliches Thierchen zu beschleunigter Gangart: doch immer blieb der wunderliche Geleitsmann in gleicher Entfernung von ihr und machte herüber- und hinübersausend seine beängstigenden Kapriolen. Erst als sie der Stadt sich näherte und Menschen den Weg zu bevölkern begannen, ward er unsichtbar, und das Dickicht verschlang urplötzlich den Ton der Hufe.
Zosima wußte betroffen nicht was sie denken sollte, noch ob sie mit Recht oder Unrecht solchen Unfug ihrem zukünftigen Schwager in die Schuhe schiebe, jedenfalls vermochte sie die ganze Nacht hindurch allerhand verworrene Träume von einem unbestimmt gestalteten Nikephoros nicht los zu werden.
Eben dieser unbekannte Abenteurer aber hatte nunmehr, von der bescheidenen Verfolgung des Mädchens umkehrend, tief nachdenklich über den Hals des Pferdes gebeugt im ruhigsten Schritt einen Theil seines Weges heimwärts durchmessen, als plötzlich wie aus dem Boden gewachsen die große Gestalt eines greisen Weibes, von einem 237 riesigen Stocke überragt, aus dem Schatten des Oelwalds vor ihn in die Helle der Straße trat. Vor solchem Anblick scheute das Thier, bäumte sich, warf den träumerischen Reiter aus dem Sattel und raste unaufgehalten von dannen, indem es seinen endlichen Sieg durch ein sprühendes Feuerwerk von ausgeschlagenen Funken prächtig feierte.
Der Reiter fiel zwar mit großer Geschicklichkeit auf seine Füße, starrte aber doch sehr verblüfft auf die schreckenbringende Erscheinung. Doch sogleich erkannte er, wer es war, und rief mehr beruhigt als zornig:
»Ah, die alte Nachteule!«
»Du siehst, Nikephoros,« sagte dieselbe, »daß auch der sicherste Reiter zu Falle zu bringen ist, wenn man ihn nur recht zu fassen weiß. Nicht, daß ich mich rühmen wollte, durch meine Kraft diese Großthat vollbracht zu haben, sondern ich weiß, daß Deine eigenen Gedanken dessen schuldig waren, welche allzu begierig die Gestalt einer anderen Jungfrau umkreisten, welche etliche Jahre jünger ist. Aber sage mir, mein Guter, warum verfolgst Du meine kleine Nichte, wie ich aus der Höhe gesehen habe; warum wolltest Du sie erschrecken und ängstigen?«
238 Der Jüngling stutzte bei diesen Worten und wollte gegen sie auftrotzen; doch hatte er es von Natur in der Gewohnheit, vor alten Leuten eine bescheidene Scheu zu empfinden, auch schauten ihm die runden Eulenaugen gutmüthig genug entgegen; deshalb antwortete er in gesetzterem Tone:
»Ich gedachte sie vielmehr zu schützen, falls ihr in der Einsamkeit Etwas zustoßen sollte.«
Ein zufriedenes und etwas listiges Lächeln glitt über das runzelige Gesicht der Kukuwaja; als er das sah, fügte er hastig hinzu:
»Denn sie soll meine Schwägerin werden; mein Bruder will sie heirathen.«
»Das ist mir bekannt geworden,« nickte die Alte, »und ich finde, Zonaras hat nicht den schlechtesten Geschmack – oder wie ist Deine Ansicht über diese Sache?«
Nikephoros zuckte verlegen die Achseln und suchte ihren klugen Blicken auszuweichen.
»Ich merke, Du hast nichts Wesentliches gegen sie einzuwenden,« sprach sie gelassen weiter. »Aber dann sage mir Eines: Warum willst Du selbst sie nicht lieber heirathen als der Oelgötz, Dein Bruder?«
239 Nikephoros wurde glühend roth, drehte sich heftig einmal um sich selber und benutzte diese Bewegung, einen starken jungen Baum mit beiden Händen zu fassen und mitten durchzubrechen. Dann polterte er heraus:
»Weil ich nicht der Lump bin, ein Frauenzimmer heirathen zu wollen, das mich nicht mag.«
»Woher weißt Du das so sicher?« forschte sie rasch.
»Ich habe es gesehen,« rief er fast heftig. »Sie gönnte mir keinen Blick. Sie wollte nur von meinem Bruder Etwas wissen.«
»Du hast sie getreulich beobachtet,« sprach die Eule zufrieden. »Aber sage mir noch Eines: Was hast Du gethan, ihre Augen auf Dich zu ziehen? Bist Du nicht ein Tölpel von Kindesbeinen an gewesen? Treibst Du Dich nicht wüst in den Wäldern umher und trägst zerschlissene und schmierige Kleider wie ein armer Lump oder wie ein Philosoph und Poet; kaum daß Du es der Mühe werth hältst, Dich als ein Mensch zu waschen und zu kämmen. Mit solcherlei Lebensarten aber bändigt man wohl Gäule und vielleicht auch noch wilderes Gethier, aber nicht die Herzen junger Mädchen, welche ein 240 scheueres und trotzigeres Wild sind als irgend ein anderes in den Bergen Albaniens.
Darum rathe ich Dir nun ernstlich: Meide auf eine Zeitlang Gebirge und Buschwald, und mische Dich aufmerkend und nachahmend in wohlerzogene Gesellschaft. Da wirst Du bald merken, daß die meisten jener zart gesitteten Herren ganz fade Gecken sind, zu einem gewissen Theile auch echte Lumpe, Uebelthäter, Schufte, zudem Lügner alle ohne Ausnahme; Du wirst aber auch merken, daß ihre gepriesenen geselligen Künste und Geberden wohlfeile Waare sind und gar leicht zu erwerben und zu lernen. Du aber lerne sie, denn es ist dem Manne gut, viele Dinge zu können und nicht bloß eines; besser wirst Du dadurch nicht werden und weiser auch nicht, wohl aber stärker und listiger und wirst ein Frauenherz spielend gewinnen und beugen, sobald Du danach trachtest. Denn die guten Mädchen sind allzumal als dumme Dinger von der Natur geschaffen und lassen sich wie die Elstern verlocken von blanken Gegenständen, bunten Röcken, blinkenden Tressen, Schnüren, Spangen, Knöpfen und all dergleichen zehnmal mehr, als von Herz und Verstand eines Mannes, davon sie nichts verstehen, 241 als bis sie in langer Ehe gewahr werden, entweder mit Freuden, daß es da ist, oder mit Kummer, daß es mangelt. Nach dieser ihrer Art also soll sich ein kluger Mann weislich richten und um ihretwillen auch mancherlei Firlefanz von süßlichen Geberden und Reden mitmachen, die er im Herzen gering achtet; sobald er aber durch solche List ein weiblich Herz übertölpelt hat, dann soll er dem Weibe zeigen, daß er auch mehr kann als die ärmlichen Kunststücke und soll sie lehren, das Echte am Manne zu begreifen und mit Ernst zu schätzen.
»Willst Du nun diesem meinem Rathe folgen, so ist es am klügsten, Du gehst auf einige Zeit nach Venedig, wo die feine Sitte recht zu Hause ist, und mengst Dich unter die vornehme Gesellschaft; dort wirst Du am schnellsten lernen, Dich anständig zu kleiden und ein anständiges Gebahren anzunehmen. Zwar wirst Du in dieser großen Stadt in der nächsten Zeit auch eine junge Landsmännin von hier finden, eben jene meine kleine Nichte Zosima, welche dort andersartige Studien zu treiben gewillt ist; doch brauchst Du Dich um dieselbe nicht zu kümmern, noch über ihre Sicherheit zu wachen, was Dir vielleicht unangenehm wäre; ich habe Grund 242 zu dem Glauben, daß Dein Bruder und vielleicht auch Eure Mutter sie begleiten werden.«
Bei diesen ihren Eröffnungen, welche sie so gleichgültig als möglich hinsprach, horchte Nikephoros hoch auf, nahm sich aber sogleich zusammen und erwiderte kurz und undeutlich:
»Ich werde mir das Alles überdenken. Ich bitte Euch, laßt mich nun meiner Wege gehen.«
Er blieb jedoch ruhig an der Stelle stehen, wo er stand, obgleich die Alte durchaus keine Miene machte, ihn am Fortgehen zu hindern. Da fragte sie nach einer Pause noch einmal etwas Anderes und sprach:
»Was glaubst Du von dem verborgenen Thurmgemache meiner Nichte, davon die Leute in der Stadt so fremdartige Dinge reden?«
»Ich weiß es nicht,« entgegnete er schnell, »aber etwas Böses ist es nicht.«
»Wie willst Du das wissen?« forschte sie mit einer gewissen Freudigkeit.
»Sonst könnte sie nicht so helle Kinderaugen haben,« sagte er leise, aber bestimmt und fast trotzig.
»Gut,« sagte die Nachteule, »Du hast sie sehr getreulich beobachtet.«
243 Hierauf drehte sie sich mit kurzem Gruße um, stieg an ihrem großen Stabe, stark ausschreitend den Berg wieder hinan und erfüllte also sein Begehren, ihn seines Weges ziehen zu lassen.
Es geschah nun nicht lange danach, daß Zosima mitsammt Frau Hesychia und ihrem Sohne Zonaras sich von Korfu einschifften und in etlichen Tagen wohlbehalten in den Lagunen anlangten. Daselbst mietheten die Aulichos sich sogleich in einem der schönsten Paläste am Großen Kanal ein, während das junge Mädchen zu seinem Leidwesen in den bescheidenen Räumen der Schwester an einem Winkelkanälchen Wohnung nehmen mußte. Zwar ward sie sowohl von dieser Schwester als von deren Gatten auf das Liebenswürdigste willkommen geheißen und bald von vier der hübschesten kleinen Jungen mit Jauchzen umspielt, daß ihr schon das Herz heimlich aufzugehen begann und sie an dem stillen Glück dieser bescheidenen Menschen ihre Seele zu weiden suchte; doch dann fiel ihr Auge alsobald auf irgend ein allzu schmuckloses oder schadhaft gewordenes Stück des Hausraths, einen wackeligen Stuhl, einen zertrampelten Teppich, ein geflicktes Röckchen oder dergleichen, und sie begriff nicht mehr, mit welcher 244 Stirn die Herrin solchen Schunds vorgeben konnte, glücklich zu sein.
Im Uebrigen begann sie nun ein köstliches Leben in Saus und Braus zu führen; jeden Morgen kam Zonaras mit seiner Mutter, sie abzuholen, und ob er gleich noch nicht ihr erklärter Bräutigam war, so durfte er sie doch auf allen Wegen begleiten und für ihr Vergnügen mit Geld und Mühen alle Sorge tragen. Er unterzog sich diesen Ritterdiensten immer mit der gleichen Würde und dem gleichen langgereckten Angesicht; Zosima aber lernte ihn allgemach wie einen bequemen Kleiderstock behandeln, an den sie ihre Gedanken und Wünsche ohne große Erregung ebenso ruhig anhängen konnte, wie sie ihm ihre Mäntel, Tücher und Schleier zum Tragen über den Arm warf.
So genoß sie an seiner ehrbaren Seite alle Herrlichkeit und ungeheuren Glanz der einzigen Weltstadt und warf sich mit Freuden und wachsender Begierde aus einem Fest in das andere, Anfangs geblendet und fast verschüchtert, bald aber in den Wogen der Lust mit vergnügter Gelassenheit plätschernd. Von den jungen venezianischen Edeln und Offizieren ward sie viel gefeiert und ließ sich gern feiern; bald wurde 245 sie als die Königin aller Feste gepriesen, und ein geschickter junger Maler, Tintoretto, fertigte sogar aus eigenem Antrieb und ohne Bezahlung ein Bild von ihr an, einzig aus reiner Freude an ihrer Schönheit. Dies ist derselbe Tintoretto, welcher nachher zu so ausgezeichneter Berühmtheit gelangte.
Auf solche Weise lernte sie genau nach dem Willen ihrer Muhme das Leben der Reichen, welches sie für ihre ganze Zukunft als die Grundlage des Glückes sich zu eigen begehrte, auf das Gründlichste kennen. Es dauerte nicht gar lange, so wußte sie auch völlig, wie ein vornehmes Weib sich zu benehmen hat; nämlich sie gab ihrem lieblichen Gesichtchen einen gleichgültigen und gelangweilten Ausdruck, Anfangs mit vieler Kunst und Mühe, bis sie mit der Zeit von Tage zu Tage mehr merkte. daß diese gebräuchliche Miene der Vornehmen gar nichts Erkünsteltes sei, sondern mit voller Wahrheit eine innere Trübseligkeit widerspiegele. Und es kam ein Tag, da sie unter den Händen der Zofe, die sie zu einem prächtigen Balle im Dogenpalast schmückte, laut und deutlich aufseufzte: »Schon wieder!« und ein Gähnen gleich einem kleinen Sturmwinde aus ihrem schönen Munde gehen ließ.
246 In dieser Zeit äußerte sie sich auf eine Anfrage der Muhme in einem Briefe folgendermaßen über die Männer von Venedig:
»Sie gefallen mir allesammt sehr gut, denn sie sind schön und wohlgekleidet. Einer sieht genau so aus wie der Andere, und es würde schwer sein, sie von einander zu unterscheiden, wenn sie nicht in der Kleidung Jeder ein wenig von dem Anderen abwichen und sich auch verschiedener Haarkräusler bedienten. Zonaras ist der Einzige, welcher etwas Spanisches und Besonderes an sich hat, darum gefällt er mir immer noch am besten, auch ist er ein verständiger und gesetzter Mann. Ich sterbe vor Gähnen und weiß auch nichts weiter zu schreiben.«
Eines Morgens, als sie die Fensterladen aufschlug und gähnend in die heitere Frühe hinausguckte, erblickte sie jenseits des schmalen Kanals in einem Fenster das Gesicht eines schönen jungen Menschen; dasselbe war bräunlich mit schwarzen, verlangenden Augen und von dem ersten Feuer jugendlicher Männlichkeit wie von heiter sprühenden Funken durchleuchtet. Dazu war er gut gekleidet und wohlanständig in seiner Haltung, so daß er ihr gefiel und sie die Blicke etwas sorgfältiger auf 247 seinen Zügen verweilen ließ, als es sonst ihre Sitte war. Dabei wollte es ihr scheinen, als ob sie dieses Gesicht schon irgendwo sonst gesehen habe, und wenngleich sie sich nicht darauf besinnen konnte, wer es etwa sei, ward ihr dadurch doch diese flüchtige Erscheinung wie ein freundlicher Morgengruß einer schon vertrauten Person. Als aber der junge Mann sein Gegenüber ersah, zog er sichtlich erschreckt das Haupt zurück, und Zosima hätte darauf schwören mögen, daß ein hastiges Roth seine Wangen übergossen, eine Farbe, die sie bei den venezianischen Jünglingen keineswegs gewohnt war, es sei denn so dauerhaft und gleichmäßig, wie sie eine gute Schminke zu erzeugen im Stande ist.
Im Verlaufe eben dieses Tages ward eine Gondelfahrt nach dem Lido unternommen, welche Zosima mit plötzlichem Eifer veranstaltet hatte, weil sie seit dem Morgen eine Sehnsucht ergriffen, nach langer Zeit einmal wieder das freie Meer mit seinem großen Wogenschlage zu erblicken. Als nun ihre Gesellschaft an dem sandigen Strande stand und auf die bewegten Wasser nicht ohne Grauen hinausstaunte, ward neben den braunen Segeln der schweren Fischerboote, welche dort 248 kreuzten, ein winziges Fahrzeug entdeckt, das ein einzelner Mann mit einer sehr langen Ruderstange steuerte und vorwärts trieb. Der Nachen sprang wie ein spielender Fisch über das Wasser, und man sah, daß der kecke Schiffer jung und stark sein mußte; alle seine Bewegungen waren überaus rüstig, leicht und schön, und es war anzusehen, als ob ein fester und kluger Reiter ein von ihm selbst zugerittenes Pferd zierlich anspringen und tänzeln ließe. Urplötzlich blitzte vor Zosimens Geiste die Erinnerung an das Schauspiel auf, wie jener wunderliche Jüngling von Korfu einst das tobende Pferd vor ihren Augen gebändigt, und sie bemerkte mit Bestimmtheit, daß die Art der Bewegungen des Reiters und dieses Schiffers eine zum Verwundern ähnliche sei. Im gleichen Augenblicke aber ward sie von einem sonderbaren und ganz unvermutheten Heimweh nach den Oelwäldern ihres grünen Eilandes befallen.
Das Boot kam nun etwas näher, und das Antlitz des Ruderers ward kenntlicher; da entdeckte sie, daß er der Mensch war, den sie in der Frühe am Fenster gesehen. Und von Stund an war sie, ohne es recht zu merken oder in sich hinein zu blicken, ihres Heimwehs schon wieder entlastet. Nicht lange 249 danach aber schlug Jener eine andere Richtung ein und war bald seitwärts in der Ferne verschwunden.
Von dem Tage an empfand Zosima einen frisch erneuerten Heißhunger nach Festen und jeder anderen Gelegenheit, mit vielen Menschen zusammenzukommen, und wie denn eben der Karneval begonnen hatte, so folgte Freude auf Freude, und sie schwirrte in unruhig hastender Lustigkeit umher, wie ein durstiger Nachtfalter von einer ausgekosteten Rose zur anderen wittert, halb zwischen Ueberdruß und ewig neuer Begierde. Es war ihr, als ob sie heimlich Etwas suchte und niemals fände, und doch kam sie zu keiner Klarheit, was es sei, nur daß häufig solches Sehnen sich wieder als Heimweh darstellte; doch aber, sobald sie ernstlich an die Rückkehr dachte, schrak sie auf einmal davor zurück, und es schien ihr, sie müsse in Venedig zuvor noch etwas Wichtiges erledigen oder ausfindig machen. Manchmal dachte sie auch daran, daß es lustig sein müßte, dem geheimnißvollen Ruderer irgendwo unter dem wirbelnden Menschenstrome zu begegnen; doch meinte sie nicht, daß dieser Wunsch ihr als etwas Ernsthaftes auf dem Herzen liege.
In einer Nacht, da der Vollmond herrlich schien 250 und das Karnevalsvölkchen sich noch bunt und lärmend umhertrieb, kehrte Zosima in Begleitung des Zonaras und weniger Dienerschaft von einem Maskenballe zu Fuß nach Hause zurück; denn es wandelte sie die übermüthige Laune an, das nächtliche Gassenleben der Wasserstadt einmal aus der Nähe zu betrachten. In jugendlicher Freude und Neugier hüpfte sie den Anderen voran und trat eben, der Wohnung ihrer Schwester schon nicht mehr fern, auf die Stufen eines Brückchens, als jenseits des schmalen Kanals aus der Gassenmündung ein geschmückter Kavalier mit Fackelträgern hervortauchte, der noch seine Maske trug und entweder auf Abenteuer ging, wie die vergoldeten Herren Venedigs nach den anständigen Festen leider zu thun pflegten, oder schon des Vergnügens und des Cyperweines ersättigt langsam nach Hause schwankte.
»Sieh da, die liebliche Rose von Korfu!« rief er ihr entgegeneilend, und, von seiner Trunkenheit, welche nicht gering war, getrieben, versuchte er sie mit den Armen zu umfangen und ganz ohne ihre Einwilligung auf den Mund zu küssen.
Zosima wehrte sich unter den kläglichsten Hilferufen, denn was ihr nicht einmal von ihrem nun 251 fast schon erklärten Bräutigam zu erdulden wünschenswerth gewesen wäre, schien ihr von dem wüsten Gecken erst recht unerträglich. Zonaras war indessen herzugekommen, ohne jedoch die Gemessenheit seines Schreitens und Gebahrens in unschickliche Hast zu wandeln, und sprach mit zurückhaltendem Ernst zu dem Angreifer:
»Mein Herr! Wer Ihr auch sein möget, dasjenige, was Ihr zu begehen trachtet und zu thun fast schon im Begriffe seid, ist nicht wohlanständig! Hebet Euch von dannen und öffnet Euer Herz besserem Besinnen, denn wenn Ihr in dieser Ungebühr etwa beharren wolltet, was ich nicht hoffe, so würde ich mich sogar genöthigt finden, Euch morgen schon vor der Obrigkeit unserer erlauchten Republik Venedig, welche Gott allezeit gnädig beschirmen möge, laut zur Rechenschaft zu ziehen. Ja, wenn es diese hohe Obrigkeit nicht eben so streng verpönt hätte, wie es der Anstand verbietet, auf öffentlichen Wegen handgemein zu werden, so möchte es geschehen, daß ich Euch hier sogleich vor die Klinge forderte. So freilich müßte ich mich begnügen, fürerst Euren Namen zu erfragen und Euch morgen der Sitte gemäß eine Herausforderung zu senden. Daß dieses 252 aber geschehen würde, falls Ihr nicht abließet, zweifelt nicht. Ich bin Zonaras Aulichos, ein Sohn des Kyrillos Aulichos von Korfu.«
Während der wohlerzogene Kaufherr diese Rede hielt, wäre seine bestimmte Braut ohne Zweifel längst dem schmerzlichen Schicksal erlegen, von dem fremden Manne unzählige Male geküßt zu werden, wenn ihr nicht unvermuthet von anderer Seite ein rauherer Helfer erstanden wäre. Ein junger, schlank gewachsener Mensch in guten Kleidern kam mit hurtigen Ruderschlägen den kleinen Kanal hinabgeglitten, und sobald derselbe des ungesitteten Auftritts gewahr ward, schwang er sich mit einem kühnen Satze aus der Gondel auf die gewölbte Brücke, packte den Uebelthäter festen Griffes mit der rechten Faust beim Halskragen, mit der linken sehr weit unterhalb desselben, jedoch gleichfalls auf der Rückseite seines Leibes, und schwang ihn wirbelnd durch die Luft über das niedrige Geländer. Dann tauchte er mit der Rechten den frei schwebenden Mann trotz seines traurigen Zappelns bis zum Halse in das frische Wasser und hob ihn schweigend mehrfach auf und nieder in der Art, wie man einen süßen Zwieback zu seiner Durchweichung in den Wein zu stippen pflegt.
253 Zonaras betrachtete dieses Verfahren eine Zeitlang mit Staunen, Zosima aber benutzte die Gelegenheit, ihn von dem Schauplatz der Gefahr mit sich fortzuziehen, wie ihr das die Schicklichkeit gebot, ob sie gleich sonst den seltenen Anblick gerne noch etwas länger genossen hätte. Den raschen Retter hatte sie im Mondlicht deutlich erkannt und zwar in doppeltem Betracht, als den einsamen Seefahrer vom Lido und ihren hübschen Nachbar von jenseits des Kanals. Diese Erkenntniß verhehlte sie jedoch aus einem Grunde, der ihr selbst nicht klar ward, ihrem Geleiter.
Am nächsten Morgen spähte Zosima in großer Frühe aus ihrem Fenster emsig über den Kanal, ob sie nicht ihren Nachbar daselbst entdecken möchte. Da ihr das jedoch in mehreren Stunden nicht gelang, schickte sie heimlich mit Umgehung ihrer Anstandsdamen ein venezianisches Kammerzöfchen hinüber, sich unter der Hand bei der Wirthin jener Wohnung nach dem Wohlbefinden ihres jungen Einliegers zu erkundigen. Das Mädchen kam jedoch schnell zurück mit der Meldung, derselbe habe ganz plötzlich die Stadt verlassen und sich zu Schiff nach seiner Heimath gewandt, zum großen Bedauern der 254 Vermietherin, denn er sei ein guter und ungeiziger Gast gewesen.
Diese Botschaft befreite Zosimen von der Sorge, es möchte ihm in dem nächtlichen Straßenlärm um ihretwillen doch noch etwas Uebles widerfahren sein, und dennoch vermochte sie zu gar keiner Fröhlichkeit zu gelangen; es war das Heimweh, das sie auf einmal wieder zu plagen begann und heute mehr und mehr so hart darniederbeugte, daß sie an nichts mehr denken mochte als an Korfu, sein herrliches Meeresgestade, seine schattigen Wege und Olivenhaine und die lieblichen Berge, von denen man frei in das blühende Land hineinsieht. Die Enge der Gassen und trägen Kanäle Venedigs erschien ihr unerträglich, und sie bat noch selbigen Tages unter Thränen ihre Schwester, sowie Frau Hesychia, die Rückkehr ihr thunlichst zu beschleunigen. Sie glaube nun genug von dem Treiben der großen Welt gesehen zu haben, um Bescheid zu wissen, wie hoch sie das Glück derselben zu schätzen habe.
So mußte ihr denn bald der Wille gethan werden, und nach herzlichem Abschied von den Anverwandten begab sie sich mit ihren Beschützern auf die Reise. Da jedoch Frau Hesychia seit der 255 Herfahrt die Seekrankheit wie den Tod fürchtete, so zogen sie den Landweg vor und fuhren an der italienischen Küste entlang über Ancona, Foggia, Bari, Barletta mit vieler Beschwerde und manchem Aufenthalt bis nach Brindisi, dergestalt, daß sie auf diese Strecke doppelt so viele Wochen verwendeten, als zu Schiffe Tage erforderlich waren, ohne daß sie zum Beschluß das Meer gänzlich hätten vermeiden können; denn es war nicht zu ändern, daß Korfu eine Insel blieb, wie sie es von je gewesen war. So kam es, daß sie erst in die Heimath zurückgelangten, nachdem der Sommer daselbst seinen vollen Einzug gehalten hatte; denn Frühling ist es in diesem glücklichen Lande ohne Unterbrechung auch dann, wenn im Kalender strengstens Winter vorgeschrieben steht.
Sobald Zosima den väterlichen Boden betrat, regte sich in ihrem Herzen eine so große Sehnsucht, endlich einmal von ihren Freunden befreit zu sein, daß sie ohne förmlichen Abschied und Danksagung sich ganz allein heimlich davonmachte und freudig der Stille ihres alten Hauses zueilte. Hier jedoch war ihr keine glückliche Stunde bereitet, sondern statt frohen Grußes empfing sie die Kunde von einem Schreckniß. Die alte Hauswärterin, welche sie darin 256 zurückgelassen, brach bei ihrem unvermutheten Anblick in Thränen aus und berichtete, schon vor mehreren Wochen sei das geheime Thurmgemach von Obrigkeitswegen mit riesengroßen Siegeln belegt worden und dürfe von der eigenen Herrin nicht mehr geöffnet werden außer in Gegenwart der behördlichen Zeugen, dieses aber sofort nach ihrer zu erwartenden Heimkehr. Zur Aufrechterhaltung dieses Befehls sei vor dem Thurme eine kriegerische Wache von sechs Mann aufgestellt, alle bis an die Zähne bewaffnet und von fürchterlichem Aussehen. Doch aber noch Schlimmeres sei nur mit Mühe abgewandt worden. Nämlich der Bürgermeister selbst sei jenes Tages in aller Amtstracht und mit bewaffneten Knechten erschienen, um den Thurm unverzüglich mit Gewalt erbrechen zu lassen, damit die furchtbaren und sicherlich höchst staatsgefährlichen Geheimnisse, von denen alle Welt voll wäre, endlich ans Licht gezogen würden.
Auf solche bedrohlichen Worte sei sie, die unglückselige Hauswärterin, jammernd auf die Straße gelaufen, doch habe Niemand gewagt, ihr Hilfe zu leisten, bis ganz plötzlich der wilde Nikephoros Aulichos dahergelaufen sei und sich zwischen die 257 Beamten und die noch uneröffnete Thür geworfen habe. Derselbe habe hier mit seltsamen Redensarten von Freiheit, Recht und dergleichen, sowie nicht minder mit Rippenstößen gegen die Knechte so sehr gewüthet, daß der Bürgermeister zuletzt halb verschüchtert zurückgewichen sei, sich mit der Versiegelung der Thür begnügend, bis die Herrin des unheimlichen Thurmes selbst zu seiner Eröffnung mittels der rechtmäßigen Schlüssel gezwungen werden könne.
Diese Erzählung der verängstigten Frau erschreckte Zosimen dermaßen, daß sie sogleich ein Maulthier satteln ließ und landeinwärts zu ihrer Muhme, der Nachteule, hinaus ritt, um sich dort Raths zu erholen. Hingegen kam es ihr nicht in den Sinn, etwa den Zonaras zur Hilfe aufzurufen.
Die Alte empfing sie mit der gewohnten Gelassenheit und fragte sie, ohne ihres frischen Schreckens irgend zu achten, eifrig über ihre Erlebnisse zu Venedig aus. Zosima erzählte getreulich Alles, was ihr gerade einfiel, bloß ihre Begegnungen mit dem hilfreichen Nachbar vergaß sie völlig zu erwähnen. Dagegen rühmte sie mit vielen Worten und gleichgültigem Ton die Herrlichkeit des vornehmen Lebens und die vornehme Art des Zonaras selber, bis sie plötzlich 258 mitten aus einem kleinen Gähnen auffuhr und den Kopf aus dem Fenster steckte, weil sie meinte, sie habe unten im Thale einen Hufschlag vernommen. Es war jedoch ein Irrthum, und sie nahm mit leise gerötheten Wangen ihren Platz wieder ein, indem sie einen aufsteigenden Seufzer langsam in ein neues Gähnen verwandelte.
Die Kukuwaja verstand mit ihren runden Augen Alles genau zu beobachten, indessen sie scheinbar ins Leere starrte; sie nickte zuletzt vor sich hin und sprach:
»Ja, ja, die große Stadt und das strömende Leben verändert die Menschen und bringt ihnen neue Schicksale, manchmal zum Glück, manchmal zum Unglück. So ist auch vor Kurzem der junge Nikephoros als ein Verwandelter aus Venedig zurückgekommen, woselbst er einige Zeit verweilt hat, ganz getrennt von seinem Bruder, wie mir scheint, denn sonst hättest sicher auch Du von ihm zu berichten gehabt. Dieser ist verwandelt zum Guten, denn er ist gesitteter, ernster und stiller geworden, ohne doch von seiner Kraft und gesundem Feuer Etwas einzubüßen, und verwandelt zum Schlimmen . . .«
»Warum zum Schlimmen?« unterbrach sie 259 Zosima mit hastiger Frage, da die Alte hier ein wenig hüstelte und innehielt.
»Er hat sich verliebt,« entgegnete diese kühl, »und verzehrt sich in leidender Sehnsucht. Doch weigert er jedes Geständniß, welches Weib sein Herz besiegte; nur Eines hat er einem Freunde berichtet, er habe dieselbe, nachdem er sie oft seufzend von ferne gesehen, zuletzt durch einen Glückszufall vor der Unverschämtheit eines Laffen, der sie auf einer öffentlichen Brücke küssen wollte, gerettet, sei danach aber selbst von so heißem Verlangen ergriffen worden, daß er nur durch rasche Flucht aus Venedig seinem eigenen Herzen entfliehen zu können geglaubt habe. Nun hat den Aermsten auch diese Hoffnung getäuscht, und er sitzt trostlos hier in der Heimath und sucht vergebens, seinen Jammer vor der Welt zu verbergen.«
Zosima hörte Anfangs dieser Erzählung ganz nachdenklich zu, und nur ihre Augen irrten eine Zeitlang etwas unruhig am Fußboden umher, als ob sie dort eine verlorene Nähnadel suche; darum bemerkte sie auch nichts von dem heimlichen Lächeln, mit dem die Muhme manchmal auf sie niederblickte; als aber die Geschichte von der Brücke herankam, 260 verlor sie vor Staunen und Schrecken ganz die Fassung und wußte kein einziges Wort zu erwidern.
Die Kukuwaja aber schaute immerfort über sie hinweg ins Weite und fuhr mit unverändertem Tone fort:
»Wie gut ist's aber, daß nicht Jeden ein gleiches Verhängniß in jener gefährlichen Stadt erfaßt. So hast Du, mein Töchterchen, Dich mit verständiger Ruhe dort umgethan und kennst nun ebenso wohl aus dem Hause Deiner Schwester das süßeste Erdenglück, dem Du zu entsagen gewillt bist, als auch das traurige, aber verdienstvolle und vielgerühmte Leben der Reichen, dem Du Dich zu weihen in frommem Heldenmuthe gelobt hast. . . .«
Hier warf Zosima einen leisen mitleidsvollen Blick auf die alte Frau, weil sie meinte, daß derselben die Altersschwäche schon wieder Gedanken und Worte sinneswidrig durch einander wirre. Die Muhme aber nickte freundlich und unbefangen und redete so weiter:
»Demnach ist jetzt nur noch die Probe der Einsamkeit und des Nachdenkens von Nöthen. Diese soll folgendermaßen ergehen. Ich besitze ganz hinten im Lande einen großen Garten, den Du noch nicht 261 gesehen hast; denselben hat vor hundert oder mehr Jahren ein menschenscheuer Italiener sich als einen Zufluchtsort angelegt und mit einer hohen Mauer verzäunt; ich hab ihn einst käuflich erworben, weil er spottbillig war, denn Niemand mochte einen Garten haben, der fernab von der Stadt liegt und keinerlei fruchtbringende Bäume und Pflanzen hegt, sondern in nutzloser Schönheit wuchert wie ein herrenloser Bergwald. Dorthin will ich Dich bringen und der Einsamkeit aussetzen. Trank und Speise sollst Du Dir selbst bereiten, Dein Bett ohne Hilfe machen und keines Menschen Zwiesprache genießen. Das ist die letzte Probe. Nach derselben will ich Dich um Deine Wünsche fragen und sie alle erfüllen.«
Zosima war mit Allem zufrieden, allein schon aus Scheu vor der Obrigkeit, und ließ sich bereitwillig von der Muhme in die Stille des Gartens hinabführen. Dieser lag am Ausgange eines üppig begrünten Thales zwischen zwei Bergen, in der Art, daß er aus der Ebene in mehreren Terrassen langsam zu einiger Höhe hinanstieg.
Als Zosima durch das hohe Gitterthor hineintrat und einen langen, von dunkelblättrigen Eichen 262 überhängten Schattenweg hinabblickte, überlief sie ein leiser Schauder, wie wenn eine jugendliche Seele ahnungsvoll in eine halbentschleierte Zukunft blickt. Auf der obersten Terrasse lag ein winziges Gartenschlößchen, in welchem sie für diese Zeit ihre Wohnung angewiesen erhielt. Nachdem die Muhme ihr alles Nöthige gezeigt hatte, ließ sich dieselbe von ihr zum Ausgangsthor zurückgeleiten und schloß die Gitterthür mit einem riesigen Schlüssel hinter ihr ab.
Es war heller Vormittag, und Zosima begann sogleich ihre neue Einsiedelei nach allen Richtungen zu durchforschen, indem sie von besonderer Neugier geplagt wurde, welche Proben der Standhaftigkeit an einem so friedlichen Orte ihrer harren könnten.
Durch die dämmernden Wölbungen der Eichengänge schritt sie über Rasenbeete mit leuchtenden Blumen; Lorbeergebüsche verengten geschlängelte Pfade, und im verwilderten Myrthendickicht schimmerten weißlich marmorne Ruhebänke, über deren Lehnen wilde Rosen spielend hinabfielen und ihre zarten Blätter umherstreuten. Epheu und anderes Schlingkraut rankte sich überall über die Stämme und Aeste, so daß kaum irgendwo das nackte Holz 263 hindurchschimmerte, sondern Alles mit drängendem Leben überkleidet war.
Gerade in der Mitte des Gartens ließ ein Springbrunnen mit unablässigem leisen Rauschen seine Wasser steigen; derselbe lag in einer breiten Lichtung, die der vollen Sonne offen stand, am Rande aber von einer dunkeln Baumwand im Kreise umschattet ward.
Die Sonne war jetzt in den höchsten Mittag gestiegen, und die stumme Gluth dieser geheimnißvollen Stunde brütete über der Erde. Da sehnte sich Zosima nach Kühlung und ging von ferne dem Plätschern des Brunnens nach. Plötzlich sah sie, durch die Bäume dringend, vor sich den freien Raum mit dem lebendigen Wasserbecken, das von einer Schicht durchglühter Luft umlagert und gleichsam vertheidigt ward. Sie blieb im äußeren Schattenkreise der schwarzen Eichen stehen, wie von einem Zauber oder der Furcht vor einem schlummernden Schrecken gefesselt. Sie wagte keinen Schritt mehr vorwärts oder rückwärts zu thun; es war ihr, als müsse der leiseste Tritt ihres Fußes etwas Unbekanntes aufwecken, das aus dem schweigenden Dunkel der regungslosen Büsche hervorbrechen oder 264 von den hängenden Baumwipfeln niederfahren könnte. Die Luft zitterte leise und hüllte die Dinge in einen zart beweglichen Schleier, als ob ein unendlich dünner Wasserschwall darüber glitte; ein feines Summen durchzog die Wölbungen unter den Zweigen wie eine Musik, die für ein menschliches Ohr zu leicht und ungegliedert schien und doch die bannende Kraft besaß, gleich einem unirdischen Zaubersange alles Leben einzuschläfern.
Immer müder hingen Blätter und Blüthen in die stumme Luft hinab, immer schwerer drückte die Gluth auf die gebeugte Erde; langsam durch das dichte Laub fließend und schleichend füllte sie auch die verborgensten Schattenplätzchen mit schläfriger Dumpfheit. Immer beklommener ward der einsamen Wandlerin ums Herz, und eine Sehnsucht zuckte in ihr auf, sie wußte nicht, wonach oder nach wem, und doch war's eine Sehnsucht nach irgend etwas Menschlichem oder nur Lebendigem. Aber das unendliche Schweigen blieb um sie ruhen und lagern.
Und da auf einmal vermeinte sie einen Ton an ihr Ohr schlagen zu hören, scharf, fest, deutlich und doch in so mächtiger Ferne, wie sie sonst dem menschlichen Ohre verschlossen ist; es war ein freudig 265 pochender Hufschlag, taktmäßig genau dem Schlage ihres eigenen Herzens folgend. Da fühlte sie es herüberwehen wie einen lebensvollen, tröstlichen Gruß aus der schlummernden Weite; ein Muth erfüllte ihre Brust, als ob ein starker Schützer ungesehen neben ihr wandle, und der Bann des Mittagsgrauens war gebrochen. Tapfer schritt sie über den sonneglühenden Kiesgürtel auf das Wasserbecken zu, beugte sich nieder und ließ das fallende Wasser kühlend über ihre Stirne rieseln. Und in dem Augenblick meinte sie ein Rauschen wie von fernen, fernen Ruderschlägen zu vernehmen, und wieder gingen auch diese in gleichem Takt mit ihrem pochenden Herzen.
Solcherart genoß sie die sommerliche Mittagsstille.
Hohe Papyrosstauden stiegen mit dichten Büscheln aus dem Wasser, und siehe, durch das ernsthafte Grün der fremdartigen Gräser schimmerte ihr ein weißes, gerundetes Marmorgefäß entgegen, das in der Mitte des breiten Beckens lagernd den Strahl aus seiner Oeffnung emporsteigen ließ. Dasselbe war auf seiner Wandung bedeckt mit seiner Meißelarbeit; zierliche Figürchen lösten sich halb erhaben von dem glatten Grunde und bildeten in ihrem 266 Zusammenspiel eine anmuthige Scene. Ein Häuflein geflügelter bausbäckiger Götterchen war beschäftigt, aus einem Kasten allerlei Kleinodien und Schmucksachen, Perlenschnüre, Spangen, Ringe, Halsketten, Armbänder, dazwischen auch lose Goldstücke rücksichtslos herauszuzerren und in tollem Spiel auf dem Boden und in der Luft herumzustreuen, recht mit Mienen und Geberden, daß sie solcherlei Dinge für den verächtlichsten Tand von der Welt angesehen wissen wollten. Dabei lachten sie froh, und einige zielten mit kleinen Flitzbogen um die Krümmung der Vase herum nach einem unsichtbaren Ziele.
Zosimen that es Anfangs in der Seele weh, daß sie mit den guten Sachen so umgingen, doch bald wurde ihre Neugier ganz auf das verborgene Ziel der Pfeile gelenkt, und sie wanderte in der Runde nach der anderen Seite des Brunnens. Hier erblickte sie ein noch viel schöneres Bild. Ein herrlicher Jüngling mit weiten Adlerschwingen kniete und beugte sein Haupt mit liebendem Blick auf ein zartes Mädchen, dem ein paar zierliche Schmetterlingsflügel wuchsen und das über das Knie desselben zurückgesunken an seiner Schulter ruhte.
Zosima schaute das Bild lange bedenklich an und 267 verwunderte sich der starken Zärtlichkeit, welche das Antlitz des jungen Menschen durchglühte, und der frommen Hingabe, mit der die Jungfrau ihr Haupt an seine Schulter lehnte. So hatte sie das Ziel jener Pfeile entdeckt und nickte verständnißvoll, denn von Liebesgöttern und deren Wunderlichkeiten hatte sie schon Vieles gehört und wußte darüber zu urtheilen. Achselzuckend ließ sie die marmornen Geschöpfe an ihrem Platze stehen und stieg in das Schlößchen hinauf, um ungestörter nachzudenken.
Als nun die Sonne ins Meer tauchte und das Dunkel heraufzog, erwachte sie und ging wieder hinab in den Garten, um sich des befreienden Hauches der Kühlung unter den Bäumen zu erfreuen. Es war nun auch so still um sie her wie zur Mittagsstunde; aber es war eine fröhlichere und süßere Stille; die Wipfel der Bäume rauschten leise im erquickenden Abendwinde, und aus allen Büschen schmetterte das süßklagende Singen unzähliger Nachtigallen. Durch die leicht schwankenden Zweige schimmerten unsicher die Sterne; weiße Blumen leuchteten geheimnißvoll aus dem dunkeln Gesträuch, und im Lichte des halben Mondes zitterte der Strahl des Springquells wie ein glänzendes Silbergeschmeide. 268 Ein wohliger Duft überhauchte den Rasen und stieg empor, weich berauschend wie ein laues Bad nach des Tages Mühen; die wilden Rosen über den Marmorbänken wiegten sich in zarter Bewegung, wie berührt vom Athem eines schlummernden Gottes.
Zosima wandelte beseligt umher und vergaß alles Trachten und Verlangen in wunschlosem Behagen; wie Träume flossen die Bilder der nächtlichen Dämmerwelt an ihrem beruhigten Auge vorüber, und ihre Gedanken wiegten sich wie die Rosen leise auf den Schwingen der Nacht.
Durch die dunkeln Laubgänge schreitend, trat sie wieder hinaus in die runde Lichtung am Brunnen. Der Mond legte einen breiten Lichtstreifen um das Becken und umwob mit schwankendem Schein den Marmor hinter den beweglichen Papyrosstauden. In dem wechselnden Spiel ihrer Schatten schien das gemeißelte Bild von Eros und Psyche selbst sich zu bewegen und sich wunderbar mit Leben zu füllen: und bei ihrem Anblick trat Zosimen plötzlich eine lebendige Erinnerung in die Gedanken. Sie sah ihre Schwester zu Venedig gleich dieser Psyche den Kopf träumerisch lächelnd an die Schulter des 269 geliebten Gatten lehnen, und derselbe neigte sich und küßte ihre Lippen in langem Kusse, und Beide waren versunken in Glück und wie von einem schützenden Zauber umfangen, daß sie nichts mehr sahen von dem, was Häßliches um sie war, es sei denn, sie sähen es Alles verklärt und vergoldet.
Bei dieser Erinnerung rannen ihr die warmen Thränen über die Wangen; sie fühlte ihre Seele aufwallen in dunkler Sehnsucht, aber ihre Gedanken tasteten im Dämmer, aus dem nur Ahnungen eines heiligen Glückes aufglänzten wie die weißen Blumen aus dem Gebüsch. Noch immer erkannte sie nicht, was ihre träumende Seele sich in geheimer Tiefe begehrte.
Solcherart genoß sie die sommerliche Abendruhe.
Danach begab sie sich in ihre Kammer und gedachte zu schlafen. Aber ihr Blut war erregt und wallte warm durch ihre Adern, doch ohne quälende Unruhe, nur so, daß sie nicht völlig entschlief, sondern ihr in halbem Wachen die Lieder der Nachtigallen, das Wehen der Baumwipfel und selbst das ferne Plätschern des Brunnens durch das offene Fenster wie Stimmen des Traumes freundlich zum Ohre drangen.
270 Sobald aber nur eben der allerfrüheste Morgen witterte und webte, that sie die Augen auf und stieg zum dritten Male in den Garten hinab. Da war Alles verwandelt. Noch lag tiefe Dämmerung unter dem schattenden Gezweig, aber leise wirkte das werdende Morgenlicht und quoll weiter und weiter und drängte sich durchschimmernd in alle Tiefen; hoch röthete sich der Himmel im Osten und öffnete reichere Quellen des Glanzes; schon glitzerte vielfarbig der Thau auf den tausend Blumen und Gräsern, und den Springquell überglitt ein goldfarbenes Strahlen. Die Nachtigallen sangen noch und sangen mächtiger als am Abend, aber sie sangen nicht mehr allein, sondern immer voller anwachsend gesellte sich ihnen eine regsame Schar anderer Vögel zu, und es gab einen Zusammenklang, als sollte ein einziger heller Jubelruf aus Vogelkehlen die ganze Welt auf einmal aus dem Schlafe erwecken.
Nun warf die aufsteigende Sonne selbst ihren ersten Goldstrahl auf die Wipfel der Bäume: da fuhr sogleich ein Windhauch über alles Laub wie ein seliger Schauer des Erwachens, und ein Rauschen erhub sich im Gesträuch wie ein feierliches Jauchzen, neuer Duft wallte schmeichelnd von den Blumen 271 empor, und die köstliche Frische der Morgenluft ward untermischt mit zarten Strömen balsamischer Wärme.
So rauschte der herrliche Tag empor und fuhr über das Land und weckte das Leben und die Hoffnung und das Glück in den Herzen der sterblichen Menschen. Da fühlte die junge Zosima ihr Herz durchschauert von eitel Wonne bis in seine Tiefen, und ein freundliches Sehnen überkam sie abermals nach einem Menschenkinde, das mit ihr den Segen solchen Morgenlebens froh genießend theilen könnte. Und sie breitete die Arme aus, als wollte sie das Menschenkind herbeilocken und herzlich umfangen.
Aus dem stillen Jubel ihrer Seele aber gestaltete sich langsam ein sinnender Ernst, wie der ruhige Tag aus dem Freudenrausche des Morgenrothes; versunkener schritt sie vor sich hin und kam zu dem Brunnen; in dem klaren Wasser sah sie ihr Bild gespiegelt, und sie sah, daß sie nach ihrer venezianischen Gewohnheit an Haupt und Hals und Armen behangen war mit viel Gold und kostbaren Juwelen, und zum ersten Male seit der Stunde ihrer Landung gedachte sie wieder Desjenigen, der ihr diese schönen Dinge geschenkt hatte und der überdies ihr 272 Bräutigam und Gatte werden sollte. Und sie sagte sich in ihrem Verstande, daß ihm vor allen andern Menschen es zukäme, in den Stunden solchen Bangens und so herrlicher Wonne, wie sie seit gestern erlebt hatte, ihr Gefährte zu sein. Im selben Augenblick aber überlief sie ein häßlicher Schauer wie von einer Kälte.
Indem hub sie aus Zufall ihr Antlitz der Marmorvase zu und sah, was die spielenden Genien daselbst trieben. Und obgleich ebendasselbe Spiel sie noch gestern wunderlich verdrossen hatte, kam es ihr jetzt wie von selber, es auf ihre Art nachzuahmen. Lächelnd nestelte sie ein Stück nach dem andern von ihren Gliedern los und warf es Alles achtlos auf einen Haufen bei Seite wie werthlosen Tand. Danach badete sie Gesicht und Arme in dem reinen Wasser, und es war ihr nun plötzlich, als fielen von ihr schwere Ketten ab und als hätte ihre Seele sich selbst von unendlichem Wust befreit und gereinigt.
Aufjauchzend beugte sie wie im Traum sich nieder und pflückte lebendige Blumen und Laub sich zum Schmucke und flocht leise singend rothe Rosen mit Myrthen in ihr schönes Haar. Unmerklich 273 aber hatte sie solcherart das Becken umwandelt und erblickte vor sich den herrlichen Eros, der zu der Psyche sich neigte. Da quollen ihr selige Thränen von der Wimper, und sie flüsterte mit bebenden Lippen: »Nikephoros!« und wieder »Nikephoros!«
Und wie sie den Sehnsuchtslaut aber und abermals wiederholte, schwoll ihre Stimme unvermerkt immer freudiger an und wuchs zu einem hellen Jauchzen, bis sie den geliebten Namen voll und klar tönend in ihre einsame Welt hinausjubelte.
Und horch, da auf einmal erscholl eine Antwort von dem Gitterthore her, eine Antwort aus kräftiger Manneskehle:
»Zosima!« rief es laut mit selig sehnsuchtsvollem Tone: »Zosima! Zosima!«
Sie aber entsetzte sich so sehr und ward so verwirrt in ihrem Sinne, daß sie wie ein Lämmlein that, wenn der Stall in Brand gerieth, und statt zu fliehen, gerades Weges der Gefahr entgegenlief. So kam es, daß sie plötzlich dem jungen Nikephoros aus erschreckender Nähe Auge in Auge sah; doch als auch Beider Hände sich zu fassen und ihre Lippen sich zu vereinigen suchten, da erfand es sich, daß dies Gitter leider zu enge war; sie mußten sich 274 begnügen, einander staunend zu betrachten und Worte des süßesten Sinnes zu wechseln. Das aber thaten sie so lange, bis sie des Stehens müde wurden und auch einsahen, daß sie noch fast Wichtigeres thun und ein volleres Glück sich vorbereiten könnten. Darum gewann es Nikephoros nach vielen Schwierigkeiten über sich, Abschied zu nehmen.
Etliche Stunden hiernach kam die Muhme, erschloß das Gitter und überzeugte sich mit eignen Augen und Ohren, wie wunderbar die junge Einsiedlerin die Probe einsamer Selbstbeschauung bestanden hatte. Sie empfahl ihr denn, zur gedeihlichen Weiterführung dieser Sache sich zuerst mit der hohen Obrigkeit auseinander zu setzen und dieselbe von der Ungefährlichkeit jener geheimen Umtriebe durch den Augenschein zu überführen. »Auch um des Nikephoros willen,« setzte sie hinzu. »Nichts zwar verrieth mir so sehr die echte Liebe dieses Jünglings, als sein stolzer Glaube, der ihn ohne Beweis nur Gutes von Dir denken ließ, auch nicht duldete, daß ein fremdes Auge in die Geheimnisse dringe, auf deren Enthüllung er selbst in edler Bescheidenheit vertrauensvoll verzichtete. Aber doch ist's bei Männern allemal gut, ihnen nachher recht klärlich vor Augen zu beweisen, 275 daß ihr Glaube sie nicht betrogen, damit sie nicht dereinst in bösen Stunden, die auch dem besten Manne kommen, dem Argwohn zur Beute fallen können.«
Nachdem Zosima diesen Unterricht empfangen, ließ sie ohne Verzug dem Bürgermeister Meldung thun, sie sei nun heimgekehrt und bereit, dem Auge der Behörde zu entschleiern, welche Schätze sie in ihrem stillen Thurme so lange vor aller Welt verborgen gehalten.
Hierauf erwartete sie an der Spitze ihrer zwei Anstandsdamen und zur Seite der Kukuwaja und des Nikephoros den Anzug der Magistratspersonen. Es kamen aber nicht nur diese selbst, sondern auch Alles, was irgend welchen Bezug zu ihnen und Antheil an ihrer Würde zu haben glaubte, bis hinab zum Schuhputzer und Laufburschen, ja beinahe die halbe Stadt schloß sich von Neugier getrieben ihnen an, und es ward ein so gewaltiger Aufzug, als ob die junge Zosima als Königin eingeholt werden sollte.
Als sie endlich an der Stätte der Enthüllung angekommen waren, sprach der Bürgermeister mit ernster und fast zorniger Feierlichkeit: »Im Namen des Gesetzes und der erlauchten Republik Venedig«, 276 und seine Begleitung wiederholte dumpf: »Im Namen des Gesetzes!«, so daß ein stiller Schauder der Ergriffenheit über alles Volk hinausging.
Darauf wurden die Siegel gebrochen und das Schloß gelöst.
Noch einmal klang es wie voll trauriger Ahnung »Im Namen des Gesetzes!« und die Thür sprang auf.
Und siehe, den staunenden Augen eröffnete sich ein allerliebstes, sauberes Stübchen, in welchem durchaus nichts Anderes zu entdecken war, als lauter höchst niedliche Puppen und Puppensächelchen, nämlich allerlei winzige Stühlchen, Tischchen, Kochtöpfchen, Geschirrchen, kleine Bälle, hübsche Kleidchen und unzähliges andere Spielzeug.
»Das ist mein Antikenkabinet,« sagte Zosima mit niedergeschlagenen Augen. »Ich wollte allzu früh erwachsen sein, lange Kleider tragen und ein anständiges Benehmen zeigen: mein Herz aber hing immer noch in Wahrheit mehr an seinen Kinderfreuden, und weil ich mich derselben schämte, verbarg ich sie vor allen Menschen, schloß mich hier ein und spielte im Geheimen mit meinen lieben Puppen. Noch als ich in Venedig verweilte, hatte 277 ich oftmals Sehnsucht nach ihnen, obgleich mich die bunten Feste und die leuchtenden Juwelen trösteten, mit denen ich nun spielte; erst hier in der Heimath habe ich sie ganz vergessen gelernt und weiß seit gestern, daß es eine bessere Sehnsucht gibt. und diese ist nunmehr in mein Herz gezogen, und hat es ganz allein in Besitz genommen.«
Bei dieser Aufklärung des Räthsels ward der arme Bürgermeister so roth wie der Morgenhimmel und den anderen Vätern der Stadt geschah das Gleiche; ihrer wenige nur waren so klug gefaßt, zu lachen und zu behaupten, das hätten sie gleich gewußt und wären nur in dem Zuge mitgegangen, um das schämige Angesicht ihres Vorgesetzten zu sehen. Die alte Nachteule aber wandte sich mit ernstem Gesicht zu Nikephoros und sprach:
»Diese Leute stellen sich beschämter an, als sie sollten, und glauben sich eines Irrthums und großer Dummheit schuldig; dem ist aber nicht so, denn sie haben vielmehr recht gehabt, da sie hier einen verborgenen Schatz vermutheten. Dieser Schatz aber war das kindliche Gemüth eines jungen Dinges, das sich solcher Kindlichkeit in seiner Thorheit vorzeitig selbst entäußern wollte und doch nicht konnte 278 um seiner unbewußten Reinheit willen. Sie war ein Kind bis zum heutigen oder gestrigen Tage und übte eitel Kindereien; aus diesen aber werden sich bald die schönsten Tugenden eines Weibes entwickeln. Ein Mädchen, das so sorgsam seiner Puppen wartete, das wird auch . . .«
Hier brach die Muhme ab und warf dem Nikephoros einen fürchterlich drohenden Blick ihrer runden Augen zu, daß er ein wenig zur Seite wich und dabei wie zu seinem Schutze sich nahe an die Jungfrau drückte und leise ihren schlanken Leib umfaßte.
Indem kam nun auch Zonaras hergeschritten, der nicht gewagt hatte, sich sehen zu lassen, ehe er den ungefährlichen Ausgang des Handels erfahren. Als er jedoch seine Braut in den Armen seines Bruders sah, ward er wie versteinert und blieb in diesem Zustande wohl eine Stunde oder länger, bis die Stelle von Menschen ganz leer geworden war. Denn er wußte nicht, wie man sich in einem so sonderbaren Falle zu verhalten habe, ohne daß die Wohlanständigkeit angetastet werde, und er vermochte in seinem reichen Gedächtnisse keinerlei darauf passende Regel aufzustöbern. Da blieb ihm nichts übrig, als stillschweigend zu entsagen.
279 Zosima aber fühlte ein Mitleid mit ihm und sagte ihm freundlich, es sei kein Mißfallen an seiner Person, was ihre Entschlüsse so schnell verwandelt habe, sondern nur die Furcht vor dem traurigen Zwange, den der Reichthum mit sich führe.
Die Kukuwaja betrachtete noch einmal sinnend das Puppenmuseum und sprach vergnügt zu sich selber:
»Es wird in Bälde für andere Püppchen gesorgt sein, die noch mehr Freude machen und kein Geheimniß bleiben werden: denn sie werden schon von Weitem einen solchen Lärm vernehmen lassen, daß sie Niemand für eine Antikensammlung wird halten können.«