Hans Hoffmann
Neue Korfu-Geschichten
Hans Hoffmann

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Der blinde Mönch.

In dem Kloster Paläokastrizza, das auf einem einzeln ragenden Felsen schroff über dem Meere in der Einsamkeit der klippengepanzerten Westküste von Korfu sitzt, lebte ein junger Mönch, Namens Basilios, der durch ein wanderhaftes Leben und sonst mehrere Absonderlichkeiten auf der Insel allem Volke wohl bekannt war. Man nannte ihn oftmals den blinden Mönch, obgleich Jedermann wußte, daß er sehend war; allein sein Blick war meist nach Art der Blinden etwas aufwärts und ins Leere gewandt. Wer aber genauer zusah, dem schien dieser Blick scharfäugig immer weiter und weiter in die Ferne zu dringen, etwa als ob er sehnsuchtsvoll einem davoneilenden Schiffe oder Vogel nachstrebe. Solche Seltsamkeit schrieben Viele dem Verweilen auf der starren Meerklippe zu; weil jedoch bei den übrigen Klosterbrüdern durchaus nichts Aehnliches zu bemerken war, so raunten Andere von einem eignen Lebensschicksal, 176 das ihn vordem in der Ferne überm Meer betroffen haben müsse. Denn man wußte, daß er in seinen ersten Jünglingsjahren einige Zeit außer Landes gewesen war; Näheres wußte Niemand.

Von ebendaher war vielleicht auch die andere Besonderheit seines Lebens abzuleiten, daß er einen Theil jedes Jahres regelmäßig auf Reisen verbrachte, die einen bestimmten Zweck ausschließlich verfolgten. Nämlich er forschte, was sonst auf griechischem Boden damals noch Niemandem einfiel, den verstreuten Trümmern antiker Bildnerarbeiten nach und war überaus glücklich, wenn er ein solches Bruchstück auch des geringsten Umfangs aus irgend welchem Schutthaufen hervorgezogen hatte. Er führte einen Esel mit sich, den er selbst niemals bestieg, sondern einzig mit den gefundenen Schätzen belud, und kaufte, wenn ein außerordentliches Glück das nöthig machte, einen zweiten und dritten dazu; denn keine Gewalt der Erde hätte ihn vermocht, ein glücklich entdecktes Bildwerk an der Fundstelle nur einen Tag lang zurückzulassen.

Im Anfang war ihm diese etwas heidnisch erscheinende Leidenschaft verübelt und behindert worden; bald aber merkten die Klosterleute, daß seine 177 Frömmigkeit und die Ehrbarkeit seines Wandels nicht im mindesten darunter litte, zudem auch, daß durch den stillen Verkauf dieser wunderlichen Sächelchen nach Venedig hin und andern Orten Italiens ein gut Stück Geld für die Kirche zu verdienen sei, und beförderten fortan sein Treiben mehr, als daß sie ferneren Einspruch erhoben hätten.

Alles aber, was er jedesmal an Marmor oder auch gebranntem Thon oder Erz von einer Fahrt zurückbrachte, verschloß er hastig in seine Zelle und war weder durch Bitten noch durch Drohungen noch selbst durch Strafen zu bewegen, daß er etwas davon herausgäbe oder auch nur vor Anderer Augen stellte. Vielmehr, wenn er arg bedrängt ward, flehte er mit Thränen und mit rührender Stimme, man möge ihm sein Glück noch eine Weile belassen, bis die guten Mönche mitleidig nachgaben. Nun hielt er sich, so lange es irgend sein Dienst verstattete, während des ganzen Tages daselbst verborgen und in die Betrachtung seiner steinernen Wunder versenkt. Die Brüder beobachteten, daß beim Heraustreten sein Antlitz still und verklärt war, daß aber manchmal seine Augen feucht nachschimmerten, und sie argwöhnten Abenteuer. Keinem kam der Gedanke, 178 daß über dem Anblick des Schönen ein Mensch Thränen der Freude und edler Rührung vergießen könne.

Sobald er sich aber zu einem neuen Zuge aufmachte und die Zelle verschlossen zurückließ, brachen sie rüstig die Thür auf und stahlen, was sie vorfanden. Und wenn er heimkehrte, schien er die Plünderung kaum zu bemerken, sondern über den neuen Funden die zuvor gesammelten Stücke völlig vergessen zu haben.

Basilios durchzog nicht allein die langgestreckte Insel Korfu vom äußersten Nordrande bis zum südlichen Vorgebirge Leukimme, sondern setzte auch nach den benachbarten Eilanden über und kam nach Kephallenia, Ithaka, Zakynthos, und von hier sogar aufs Festland, das Thal des Alpheios hinauf bis zu der breiten Fläche, wo einst inmitten der waldumkränzten Höhen der heilige Hain von Olympia gelegen war. Auch die kleinen in jenen Gewässern zahlreich verstreuten Felsinselchen und verödeten Klippen besuchte er, obgleich er nur selten etwas Nennenswerthes auf ihnen gefunden hatte, sondern höchstens etwa kümmerliche Thonscherben.

Er besaß eine fast wunderbare Begabung, solche 179 Gegenstände, die ihm lieb waren, im wüstesten Schutt und selbst tief unter der Erde auszuspüren; die Leute, die es sahen, empfanden oft ein geheimes Grauen und verglichen ihn einem Eber, der die unterirdisch wuchernden Trüffeln mit untrüglicher Findigkeit auszuwühlen weiß. Was ihn mit einer so seltenen Fähigkeit begabte, war vielleicht nur die große Liebe zum Werke, die ihm auch ohne sein wissendes Wollen auf das geringste Zeichen von etwas Verborgenem achten ließ. Da er ein stiller Mensch war und stets Geld bei sich führte – denn sein Kloster ließ ihn aus erwogenen Gründen dessen nicht darben – so war er überall gern gesehen, und sein jährliches Kommen galt als ein erfreuliches Ereigniß in der Einförmigkeit des dörflichen Lebens.

Nur allein auf einem der winzigen Inselchen, die nordwärts von Korfu abgelegen im Meere schwimmen, fand er sich stets übel empfangen, obwohl doch die freudlosen Fischer auf dem dürren Stein einen Besuch von draußen mit doppelter Lust hätten begrüßen sollen, und selbst der Priester der einsamen Gemeinde zeigte ihm nichts von brüderlichem Wohlwollen. Nicht daß diese Leute an sich ungesellig und böse gewesen wären, sondern einzig 180 diesem Mönche mißtrauten sie, und das, nachdem sie den Zweck seines Kommens erkannt hatten. Schon als er das zweite Mal auf einem kleinen Nachen heransegelnd dies Fleckchen Erde betrat, wurden ihm allerseits finstere Blicke und selbst halbsichtbare Drohgeberden zu Theil, und im dritten Jahre ward ihm rundweg jedes Unterkommen und jegliche Nahrung unter allerhand fadenscheinigen Vorwänden verweigert, da man denn doch nicht wagte, einem Klostermönch geradezu mit handfester Feindseligkeit entgegenzutreten. Der junge Mensch, zu friedliebend, sich das Versagte derbe zu fordern, zog sich zur Nacht, da es Sommer war, in eine Felsvertiefung zurück und nährte sich ein paar Tage in schmaleren Bissen von den mitgebrachten Vorräthen.

Trotz dieser ihm widerfahrenden Unbill aber zog ihn ein geheimnißvolles inneres Drängen immer wieder zu dem traurigen Felsen zurück, obgleich er gerade hier noch nicht einen Scherben antiken Ursprungs gefunden hatte, noch auch nach aller menschlichen Berechnung jemals finden würde.

Nach einer Nacht, die er also auf den Steinen ruhend verbracht hatte, geschah es, daß in der ersten Morgenfrühe ein Kind an ihn heranschlich, ein 181 bildschönes kleines Mädchen, von etwa zwölf Jahren, das sich scheu umblickte und etwas verdeckt in seiner Schürze trug. Es weckte den Schläfer mit leisem Finger und wickelte aus der Schürze ein erzgegossenes Figürchen, das der Mönch sogleich voll lebhafter Begierde ergriff und forschend betrachtete. Es war eines der feinsten Werkchen alten Kunstfleißes, so jemals in seine Hände gekommen, und stellte ein reizendes Weib oder eine Göttin dar, welche die schön gestreckten Glieder mit einem Schwamme wusch.

Basilios war von dem köstlichen Anblicke so hingenommen, daß er darüber vergaß, der kleinen Geberin zu danken oder ihr auch nur einen Blick zu gönnen. Eine Zeit lang stand sie wartend und sogar herzlich erfreut durch seinen Eifer des Anschauens, dann aber begann sie trotzig die kleinen Fäuste zu ballen, stampfte mit den Füßchen und geberdete sich in Allem so entrüstet wie traurig, bis sie zuletzt in Thränen ausbrach und zürnend davonlief. Er aber steckte das leicht erworbene Dingchen in einen feinwollenen Sack, den er stets bei sich trug, legte es also umhüllt mit großer Sorgfalt auf seinen linken Arm wie ein Wickelkind und eilte ans Gestade, seinem Nachen zu.

182 So schien es, als habe er die einzige Freundin, die er auf diesem starren Boden gefunden, durch seine Fernsichtigkeit sogleich wieder verloren.

Trotzdem kam das seltsame Kind beim nächstjährigen Besuche des Mannes wieder, weckte ihn jedoch diesmal nicht, sondern legte nur ein glänzendes Marmorbruchstück halberhabener Arbeit an seiner Seite nieder, worauf es sich rückwärts in ein Dorngebüsch zog und sein Erwachen beobachtete. Wohl weidete sie sich an seiner Ueberraschung und klatschte fast hörbar in die Hände, als er sich forschend in der Runde umsah; doch da er in dem Entzücken über die herrliche Gabe mehr und mehr zu fragen vergaß, wer sie ihm gebracht habe, hielt sie sich grollend zurück und folgte ihm nur mit feuchten Blicken, bis er seinen Nachen flott gemacht hatte und das sonnbeglänzte Segel südwärts gleitend entschwunden war.

Das dritte Mal brachte die Kleine ein zartes Kinderköpfchen von Marmor, stand neben dem Schlafenden, bis er erwachte, dann hielt sie ihm das kostbare Fundstück vor die Augen. Doch als er es fassen wollte, zog sie die Hand zurück und rief vorwurfsvoll:

183 »Sieh auch mich an, Mönch, und nicht diese steinernen Puppen allein! Und dann möchte ich auch einmal Deinen Bart streicheln.«

Basilios besaß, obgleich er noch jung war, einen sehr langen und ausgezeichnet schönen Bart, der ihm wallend die Brust überdeckte. Doch war er sich dieses Vorzuges noch nicht bewußt geworden, und wie er plötzlich bemerkte, daß jenes Kind eigentlich schon etwas groß gewachsen sei für ein so ungeberdiges Verlangen, erröthete er und sträubte sich, bis seine Bedrängerin selbst in Verlegenheit gerieth, ohne recht zu wissen worüber, die schwarzen Augen ängstlich niederschlug und reuevoll von ihrer Kühnheit abstand. Sie ergriff die Flucht und ließ dem Fremdling ihren Marmor als willkommene Beute zurück.

Dieses ungefährliche Abenteuer flößte dennoch dem Mönche eine sonderbare Scheu vor dem Felseilande ein, die mehr über ihn vermochte, als das ungastliche Gebahren der Einwohner zuvor, und ihn mehrere Jahre fern hielt, bis die räthselhafte Sehnsucht mit verstärkter Gewalt wiederkehrte und ihn zwang, den Lauf seines Schiffchens von Neuem dorthin zu lenken, obwohl er ein still warnendes 184 Zagen vor etwas Unbekanntem auch jetzt noch schwer unterdrückte.

Es war ein schwüler Frühsommertag, an dem er hinüberfuhr. Als es gegen den Abend kam und der Nachen sich dem Strande nahte, zog ein starkes Gewitter herauf und entlud sich mit Krachen und Blitzezucken über dem Meere, und das Schiffchen flog vor dem Sturm dahin, als würde es haltlos durch die Luft gerissen. Basilios saß am Steuer und spähte sorgenvoll nach dem Lande hinüber, denn es war jählings finster geworden und nicht mehr zu erkennen, ob er dem flachen Sande oder dem todtbringenden Felsenabsatz zutriebe.

Auf einmal gleißte ein Büschel ungeheurer Blitze über den Himmel, daß blendende Helle secundenlang die Schwärze der Nacht zerriß. Da erblickte er dicht vor sich eine vorspringende winzige Sandfläche, nicht den gewohnten breiten Landungsplatz der Fischer, sondern einen abgelegenen Ort, der doch für ihn einem bergenden Rettungshafen gleichkam. Dicht am Strande aber, wo die Sturmwellen heranjagten, stand eine lichte Gestalt im sprudelnden Schaum, halben Leibes daraus hervorragend, ein Weib, hob das Haupt empor zu dem flammenden Himmel und 185 wand sich mit den Händen das Wasser aus dem schwarzfließenden Haar. Wunderbar glänzte der weiße Leib in dem bläulichen Schein, von schillernden Tropfen überrieselt, und das Antlitz leuchtete von Schönheit.

Der einsame Mönch stieß einen Schrei aus und ließ das Steuerruder seiner Hand entgleiten; da schlenkerte das Boot wild auf den Wellen umher und überschlug sich nach wenigen Augenblicken. Dem Manne aber gelang es, den umgestürzten Kiel zu gewinnen, und er ward so mit demselben von der Brandung ans Ufer gerissen.

Er warf sich in den Sand und lag eine lange Zeit in brütender Dumpfheit; als das Gewitter vorübergezogen war und die Sterne schimmerten, raffte er sich auf zu dem Nachen hin. Denn ein Grausen lag auf ihm, schwerer als Wetterschwüle, und er gedachte dies Land zu fliehen, so schnell als es möglich wäre. Wie er nun an dem gestrandeten Fahrzeug tastete und spähte, fuhr ein irrender Fackelschein durch die Nacht, der hastig näher huschte. Bald stand ein junges Weib vor ihm, dessen wunderschöne Züge ihm bekannt erschienen. Erzitternd kehrte er sich ab und richtete nach seiner 186 Gewohnheit weltfremde Blicke in die Ferne. Sie aber stand vor ihm, von der Flamme überstrahlt, und roth nicht von dem Fackelglanz allein, und ihr junger Busen wogte unter dem Mieder. Mit raschem Athem, doch bescheidenen Tons und die Augen niederschlagend, sagte sie:

»Diese Nacht darfst Du nicht wie sonst auf dem Felsen verweilen; Du bist durchnäßt und die Luft geht kühl nach dem Gewitter; es wäre eine Schande für unsere Gemeinde. Ich bin die Tochter des Priesters Genoutzios hier und heiße Mavra. Du bist Basilios, der blinde Mönch von Paläokastrizza. Mein Vater ist Dir nicht wohlgesinnt, aber die Pflicht der Gastfreundschaft kann er heute nicht verachten. Klopfe an seine Thür und fordere ein Lager. Ich laufe vor Dir nach Hause zurück. Nimm Du diese Fackel; mir sind die Wege auch im Dunkeln bekannt.«

Mit diesen Worten drückte sie ihm die Leuchte in die Hand und war schnell in der Finsterniß verschwunden. Basilios ging wie träumend und unter einem Banne, gehorchte ihren Worten und kam zu dem Kirchlein und dem Hause des Priesters.

Genoutzios empfing den unerwarteten Gast 187 mit bitterer Miene, doch das Recht weigerte er ihm nicht, denn er sah, daß er von Frost schauderte und seine Kleider noch trieften. Er setzte ihn schweigend an seinen Herd, entfachte das Reisigfeuer zu prasselndem Brande, goß den Kaffee auf und begann ein Mahl zu bereiten, indem er ein Huhn rupfte und am Spieß über der Flamme drehte. Nach einer Weile trat Mavra herein und kauerte sich still in einen Winkel des Gemachs, doch so, daß sie dem Fremdling in das vom flackernden Feuer beglänzte Antlitz blicken konnte.

Lange saßen die Drei solcherart in Schweigen bei einander. Erst als Basilios das Huhn verzehrt und einen Becher Weines genossen hatte, fragte der Priester mit gedämpfter Stimme, durch welche ein starker Unwille klang:

»Was suchst Du, Mönch, immer wieder auf unserer Insel? Von dem heidnischen Gerümpel, dem Du nachläufst, wie man weiß, ist hier nichts zu finden; das Land ist arm an diesen wie an allen andern Dingen. Was also treibt Dich hierher, wo Du nicht willkommen bist? Denn wir sind Christen, wie Du auch sein solltest nach Deinem Gewande; aber Dein Herz thut Götzendienst. Wer lehrte Dich 188 das, und wer heißt es gut, daß Du Dein Kloster verlässest und umirrend Undinge betreibst?«

Basilios richtete seine verschleierten Augen ins Weite und schwieg lange. Endlich begann er mit leiser, schwermuthvoller Stimme zu erzählen, was Anfangs nicht eine Antwort auf die ungestümen Fragen schien. Sein Blick aber kehrte unter dem Reden manchmal aus dem Leeren zurück und heftete sich starr auf die Jungfrau im Winkel, und hatte doch einen Ausdruck, als sähe er sie nicht. Ihre Augen aber hingen an ihm und seinem Munde wie verzaubert.

»Vor zehn Jahren,« sprach er, »da ich eben in das Jünglingsalter trat, nicht arm war und nicht Mönch zu werden trachtete, nahm mich ein vornehmer Herr aus Alexandrien, Gemisthios Kephalos, klug und gelehrt, zu seiner Gesellschaft mit sich übers Meer nach Italien, nachdem er um meiner jugendlichen Wohlgestalt und etlicher Künste willen, die ich betrieb, Gefallen an mir gefunden. Von Venedig reisten wir mit Behagen durch die Städte und kamen nach Rom, woselbst wir die längste Zeit verweilten. Hier gab es aller Wunder die Fülle zu betrachten, so daß ich während der ganzen Frist dahinwandelte 189 wie in einem Traum und dennoch wacheren Geistes denn je vorher. Als der Wunder größte und bei Weitem schönste erschienen mir auch wie Gemisthios selber die unzähligen Marmorbilder in Palästen und Gärten und selbst frei auf den Gassen, nicht allein weil sie, wie man sicher weiß, von unsern eignen Ahnen zur Heidenzeit verfertigt sind, sondern vornehmlich, weil die meisten von einer solchen Hoheit und Lieblichkeit sind, daß sie würdig wären, die allervornehmsten Heiligen der Kirche darzustellen. Es ist wahr, daß manche auch römische Christen an ihnen Anstoß nehmen, weil nicht wenige ganz nackt sind und die Pracht ihrer Glieder sorglos Aller Augen hingegeben; Gemisthios aber belehrte mich, daß darin mit nichten etwas Unheiliges zu erkennen sei: Denn jegliche Kleidung sei doch Menschenwerk, den Leib aber habe Gott selbst so geschaffen, wie er ist, und es sei eine nothwendige Annahme, daß seinem Werke der Vorrang gebühre.

Also hielt ich es für nichts Unrechtes, jenen Göttergestalten eine staunende Verehrung zu weihen, zumal dieselbe meiner kirchlichen Andacht keinerlei Abbruch that, vielmehr in sich selbst völlig verschiedener Art war und nicht für Götzendienst zu 190 erachten. Wenn mich unser heiliger Gottesdienst, Beichte und Gebet damals nicht minder wie jetzt im Herzen bitterlich demüthigte und meine sündige Seele heilsam zerknirschte, wie es sich gebührt, so fühlte dort vor dem Marmor meine Seele sich emporgetragen wie mit leisen Flügeln zu unendlicher Heiterkeit und verklärter Freude. Mir war, als umschwebe jede dieser Gestalten ein himmlischer Gesang, den das Ohr nicht fassen konnte um seiner Zartheit willen, und der doch Leib und Seele zugleich mit unbeschreiblicher Wonne durchzitterte. Oft war mir's in so entzückter Anschauung, als sei ich selbst für eine Weile zu den seligen Göttern in den Olymp emporgehoben und wäre am liebsten nimmer wieder auf die arme Erde hinabgestiegen.

Doch ward ich bald erinnert, daß eine so ungemischte Heiterkeit und ein lauteres Genießen ohne Begierde dem Menschen nicht für immer gegeben ist. Denn es ist die Seligkeit der unsterblichen Götter.

Es gab ein Bild der heidnischen Liebesgöttin, das an süßer Schönheit jedes andere übertraf. Du sahst die Himmlische aus dem Meere steigen, das holdselige Angesicht der Sonne oder einem fernen Gestirn oder zuckenden Blitzen zugewandt, mit einer 191 leisen Sehnsucht im Blicke, als ob sie hinaufträume zu einem unbekannten Glück. Zugleich war dieses Bild mit so wunderbarer Kunst gearbeitet, daß es fast völlig den Anschein gewann, als sei es mit wirklichem Leben begabt und nur etwa durch einen leichten Schlaf oder eine traumhafte Verzückung an der Bewegung gehindert.

Vor diesem Marmor stand ich einst, da die Abendsonne ihre Strahlen darauf warf. Wärmer als sonst glaubte ich das freundliche Leben durch die Glieder rieseln zu sehen, und leise Schauer reinfühlenden Glückes bewegten meine beruhigte Seele.

Da trat mein Gönner Gemisthios zu mir und sprach mit lächelndem Ernst:

›Verliere Deine Seele nicht zu tief in die Betrachtung dieses Bildes, mein Sohn, daß es nicht zum Leben erwache und Dir zum Verderben werde. Wehe dem Sterblichen, dessen blödegebornes Auge den lebendigen Leib einer Göttin sieht. Denn die Schönheit ist himmlischen Ursprungs und Wesens, und wer sie zu sich in den Staub der Erde herabziehen will, dem wird sie zum Unheil, indem sie seine Gedanken verwandelt aus dem Reinen ins Unreine. Allemal wird auf Erden das Reinste am 192 leichtesten beschmutzt und verdorben; der nackte Leib des Menschen aber ist das Reinste und Edelste, was die Erde gezeugt hat. Darum hüte Dich, Kind, vor den Schrecken der Schönheit; laß Dein Schauen nicht Umgang haben mit der Begierde. Und übe die Andacht des Schauens lieber in der reinigenden Kühle des Morgens als um die nächtliche Dämmerung, deren Licht betrüglich ist und bestrickende Geister in seinem Schatten birgt.‹

Gemisthios sprach diese Worte mit milder Warnung und nicht zu ernsthaftem Ton; ich blickte ihm fragend ins Gesicht, denn ich verstand seine Meinung nur halb und verwunderte mich zumal über das Wort von den Schrecken der Schönheit. Er aber lächelte nur, und es zog eine Lust zu spotten um seine Lippen, und doch meinte ich unter dem Lächeln ein heimliches Grauen zu sehen, dessen er nicht ganz Herr zu werden vermochte mit seinem Spott, da er sprach:

›Es geht eine Sage um unter dem Volk hier eben von diesem Bilde. Es könne zum wirklichen Leben erwachen, wenn ein Mensch seiner mit ganzer Gluth begehre, und es würdige den zu rasender Lust Hingerissenen einer berauschenden Umarmung. Es 193 ist aber in Wahrheit der böse Feind selbst, den er umarmt hat und der seinen Sinnen die berückende Seligkeit gewährt hat, und fortan bleibt er seiner Macht unrettbar verfallen. Man findet ihn am Morgen todt zu den Füßen der Göttin hingestreckt, oder er schleppt eine Weile noch ein zehrendes Siechthum des Geistes hin, das die unsterbliche Seele in ihm erwürgt und ihn am Ende zwingt, sich selbst zu vernichten, um sich selbst zu entfliehen. Das ist die Rede des Volkes, die thöricht scheint, und die doch ein denkender Mann lieber nach ihrem verborgenen Sinne ergründen als gänzlich verachten soll.‹

Alles dieses sagte mein Gönner mir in löblicher Absicht; mir aber fuhr es wie eine zündende Flamme ins Herz. Wie ich mich fürchtete vor der Schönheit, alsobald gebar die Furcht mir das Begehren, und mit dem Grausen zugleich ward die Wollust empfangen, und aus Lust und Begierde entstieg leibhaftig ein Gesicht meiner Augen. Ich sah die weißen Glieder der Göttin leise sich regen und in Lebenswonne erbeben, ich sah die rinnende Röthe des Blutes ihre Adern durchwärmen, die Haut weichlich schwellen und schaudern, ich sah das Haupt gewährend sich 194 zu mir neigen, und ein zarter Hauch wehte mit betäubender Süße von dem blühenden Leibe zu mir herüber. Da schrie ich auf und klammerte mich an den Freund, der mich Sinkenden auffing und davonführte, denn ich verlor die Kraft des Bewußtseins und bin nur mit Mühe von ihm wieder zum Leben erweckt worden.

Am andern Tage schon entwich ich ohne Abschied heimlich aus Rom, von innerer Angst getrieben, und wanderte mit wunden Füßen durch das Land, bis ich den kühlenden Hauch des Meeres wieder fühlte. Denn es ist ein alter Spruch: Das Meer spült jedes Uebel wohl dem Menschen ab.

So kehrte ich nach Korfu heim und ging ins Kloster von Paläokastrizza, wo ich allezeit dem Meere nahe war.

Aber Ruhe fand ich nicht in der Einsamkeit meiner Zelle. Zu oft, wenn nur ein Segel sonnenschimmernd meinem Blick vorübergleitet, faßt mich eine Sehnsucht, für die ich keinen Namen weiß, und reißt mich hinaus, diese Inseln suchend zu durchstreichen, immer wühlend und forschend, bis ich gefunden habe, was meinen Durst für eine Weile stillt, ein Marmorstückchen oder einen Scherben bloß, 195 wenn nur ein Hauch der Schönheit daran haftet; dann ist mir, als habe die Göttin vorüberschwebend eine Zeitlang ihren Blick darauf ruhen lassen, und meine Seele beschwichtigt sich in freudigem Schauen.

Doch nicht lange, so wacht die Sehnsucht wieder auf; Träume quälen mich, daß ich das Marmorbild einer Liebesgöttin entdeckte, die schöner noch ist und reiner und himmlischer, als jene zu Rom; auffahrend sehe ich sie noch vor mir in unsäglicher Heiterkeit und langsam nur, in einem blendenden Glanz verschwindend. Dann umfängt mich die seligste Hoffnung zugleich, und ein tiefes Bangen, diese möchte sich leibhaftig erfüllen: mir bangt für meine unsterbliche Seele, daß sie nicht zum andernmal dem Schrecken der Schönheit verfalle. Denn diesmal müßte es für ewig sein. So wünsche ich willenlos von ganzer Seele, was ich im Tiefsten schaudernd fürchte, und ewige Unrast ist mein Erbtheil, seit ich der Schönheit zu nahe gewesen.

Du aber bemitleide mich vielmehr und zürne mir nicht; Euer Keiner ist berufen, mich zu richten, weil Keiner ein gleiches Verlangen zu fühlen versteht. Auch thue ich Niemand Schaden mit meinen Fahrten und beraube Niemand; es ist kein Unrecht an irgend 196 wem, Blumen zu brechen, die in menschenleeren Wäldern wachsen und die für Euch keine Ernte sind.«

So redete Basilios. Der Priester Genoutzios hörte mit verdrossener Miene zu und sprach kein Wort, da jener geendet und lange schwieg, als nur ein kurzes: »Hier findest Du nichts. Es wäre Dir besser, Du bliebest fern,« das gedämpft und dennoch drohend klang.

Seine Tochter Mavra aber hing von fern an des Mönches Munde, mit Augen, die unablässig wechselnd, wie von zuckenden Flammen glühten. Und da er ganz leise, als spräche er zu sich selbst, erwiderte: »Es wäre mir besser; denn heute habe ich im Gewitterschein ein Trugbild meiner Augen gesehen, das der Göttin glich und mich vor drohendem Verderben meiner Seele warnte,« da hörte sie es doch und stieß einen Schrei aus und preßte beide Hände vor die Stirn und zitterte heftig am ganzen Leibe.

Basilios hörte es nicht und sah an ihr vorüber wie sonst, und als sie sich zur Ruhe begab und dem Mönche die Hand küßte, fühlte er nicht die verhaltene Gluth, die aus diesem Kusse athmete.

Am andern Morgen begab er sich früh über 197 den Felsen zu seinem Fahrzeug, um nach dem Schaden zu sehen. Da fand er an der Stelle in einem andern kleinen Nachen Mavra seiner harrend. Sie trug das Haupt in einen weißen Schleier gehüllt, wie die Türkinnen pflegen, und sagte kurz: »Ich will Dich zu den Dingen führen, die Dir Freude machen.«

Als er das hörte, blitzte sein Auge freudig auf, und er stieg zu ihr in das Boot und ließ sie das Steuer lenken.

Sie fuhren eine gute Strecke an dem schroffen Fels entlang, ohne etwas Anderes als das Gestein zu sehen, und ohne gesehen zu werden. Endlich gelangten sie, scharf um eine Ecke biegend, in einen Vorgarten von niedrigen Klippen, die spitz, rissig und wüst aus dem Wasser ragten. Mavra steuerte mit kundiger Hand durch das Gewirre und kam an den hochgewölbten Eingang einer Höhle, die am Eingang so geräumig war, daß wohl ein großes Schiff ohne die Masten sich darin hätte verbergen können. Nach hinten zu verengte sie sich in wunderliche Windungen, kaum daß noch der schmale Kahn ungeschädigt hindurchgleiten konnte, indem das Mädchen mit den Händen rechts und links die Wände berührend ihn vorsichtig weiter schob. Zuletzt, 198 als das vom Thore her quellende Licht schon tief dämmerig geworden war, that sich ein breiter Strand vor den Blicken auf, niedrig vom Felsen sich ablösend, mit hochgeschichtetem Gerölle bedeckt. Hier landete Mavra und deutete stumm auf den Schutthaufen. Vorsichtig stöberte Basilios in demselben und entdeckte eine Fülle von gestaltetem Marmor, Erz und Thon, den herrlichsten Kleinodien, die das Alterthum hinterlassen.

Das Mädchen weidete die Augen lange Zeit an seiner großen Freude und sagte dann mit gedämpfter Stimme: »Diese Dinge alle sind von geringem Werth, und Jeder sollte sie Dir gönnen. Weiter drinnen aber, wo die Höhle sich tiefer schlingt, sind gewaltige Schätze verborgen, wie man weiß, obgleich kein Lebender seit hundert Jahren und mehr sie mit Augen gesehen hat, Gold und Silber und mannichfaches Edelgestein. In jener Zeit, als die große Stadt Konstantinopel von den Heiden zerstört wurde, kam eine schöne Prinzessin flüchtend an diesen Strand und verbarg alle ihre Reichthümer in der Grotte. Dieselbe ist zu Grunde gegangen und mußte ihr irdisches Gut hier herrenlos in der Oede zurücklassen. Dieses ist nun die glänzende Hoffnung, die unser 199 Volk heimlich nährt, es werde einst gelingen, den Schatz zu heben und reichen Besitz und Glück über die ganze Gemeinde zu breiten. Alle freilich, die bisher so kühn waren, weiter in die Grotte zu dringen, sind von täuschenden, furchtbaren Stimmen, gleich einem Wimmern und Winseln in den gewundenen Gängen hin und her gelockt worden und von huschenden Nebeln, die sich ballten und lösten, in die Irre geführt, bis sie im Kreise schweifend immer wieder an diese selbe Stelle gelangten und nichts gewonnen hatten als die Angst, die sie übermenschlich ausgestanden und die wochenlang als ein Fieber an ihren Wangen zehrte. Darum versucht es Keiner je zum zweiten Mal. Gewiß also ist, daß der Schatz noch darinnen liegt, und das ist der Grund, warum die Leute Dir böse Gesichter zeigen; denn sie haben vernommen, Dir sei die Gabe verliehen, auch unterirdische und vergrabene Dinge mit aufgethanen Augen zu sehen. Das mit der Prinzessin sagen die Einen, die Andern aber meinen, Seeräuber hätten ihr geraubtes Gut hierinnen verborgen, bis sie von den Venezianern, unseren Herren, besiegt und getödtet worden sind.«

So berichtete Mavra mit eintöniger, halb 200 singender Stimme. Der Mönch stand und lauschte gesenkten Blickes, doch aufmerksam, und als sie geendet, fragte er hastig:

»Und wenn Jemand erführe, daß Du einen Fremdling hergeführt und das Geheimniß Deines Volkes ihm verrathen hast?«

»Ich glaube, sie würden mich tödten,« erwiderte sie und neigte das Haupt, als wäre sie bereit, den Streich zu empfangen.

»Um der Heiligen Willen,« rief Basilios erschrocken, »warum thatest Du das, einem Fremden zu Gefallen?«

Da bückte sie sich tief auf den Bord des Schiffchens, um das aufflammende Roth ihres Angesichts zu verbergen, und flüsterte:

»Ich that's, um Dir eine Freude zu machen; nicht weil ich wollte, sondern weil ich mußte.«

Als sie das sagte, strahlten ihre Augen voll wunderbarer Gluth unter dem weißen Schleier hervor; doch er merkte es nicht und sprach nur in freundlicher Rührung:

»Gott segne Dich, liebes Kind, um Deiner Herzensgüte Willen. Allein ferne sei es von mir, etwas aus diesem Schatze zu nehmen und Dich vielleicht 201 meinethalb in harte Gefahr zu bringen. Auch ist es wahr, meine Freude an diesen Dingen ist geringer geworden, seit mir gestern die Göttin der Schönheit selbst als ein hehres Traumbild mitten in Sturm und Wetter erschienen ist.«

Mit diesen Worten wandte er sich und stieg zurück zu ihr in das Boot. Seine Stimme hatte den gleichen stillen Klang wie sonst und seine Augen den dämmernden Blick und blieben an ihrer Gestalt nicht haften. Mavra aber faßte ihren Schleier so hart mit beiden Händen, daß ein scharfer Riß ertönte, und es währte nicht lange, so war er durchfeuchtet von ungesehenen Thränen.

Als sie nun die Höhle verlassen hatten und wieder auf dem einsamen Sande gelandet waren, sagte Mavra:

»Dein Boot hat gestern Schaden gelitten; es ist stark voll Wasser gesogen, und Du darfst nicht so übers Meer fahren, ehe Du es ausgebessert.«

»Ja,« antwortete er ruhig, »ich stopfe das Leck über Tag und werde mit dem Dunkelwerden segeln können; auch fährt sich's am besten in der Kühle, wenn die Sterne schweigend über dem Meere stehen.«

202 Mavra nickte und wandte sich mit stummem Gruß zu gehen, und es war nicht, als sollte das ein Abschied sein. Sie ging aber nicht den unteren Pfad zurück, den Hütten und der Kirche zu, sondern stieg den schrägen Felsen langsam hinauf in die Einsamkeit. An der höchsten Stelle ist eine kleine Fläche, auf der umherwandelnd man das Eiland und das ganze Meer überschaut. Hier blieb sie und saß in sich gebeugt auf dem öden Gestein wie das verlassene Weib in der Wüste. Die Sonne brannte heiß auf sie herab und sog die letzte Kraft des Lebens aus dem lechzenden Boden. Das ganze Land war matt und stumm; nur sonnzerfressenes Gras kroch müde von Spalte zu Spalte, braungelb wie der Felsen selbst. Geröll und Blöcke lagen zerstreut gleich dorrendem Gebein einer Karawane von Riesen. Und das Meer rundum lag träge wie ein Sumpf in harter Bläue, und der leere Himmel brütete darüber.

Stumm weilte das einsame Weib mit verhülltem Haupt unter dem Sonnenbrand und rang mit ihren Gedanken. Gluth brannte in ihren Augen, wenn sie manchmal auffahrend den Kopf hob und Blicke banger Sehnsucht zum Strande hinüberirren 203 ließ; aber hastige Flammen jagten sich wechselnd auf ihren Wangen wie die Fieberröthe kämpfender Scham.

Sie dachte weder an Speise noch Trank und lag so Stunde um Stunde. Doch als die Mittagszeit voll war, wo das Schweigen des Himmels so entsetzlich wird, daß der einsame Mensch wohl vor dem eigenen Athem schaudert, kam es über sie wie der Schrecken des Pan; sie sprang auf und duckte sich und floh den Berg hinab, bis sie ein Hämmern vom Sande her vernahm. Dann stand sie noch einmal still und legte beide Hände auf das wild pochende Herz, und dann schritt sie festen Ganges weiter, bis sie den Mönch am Strande bei seiner Arbeit fand.

Rasch trat sie zu ihm, ließ die Blicke am Boden irren und sprach mit stockendem Athem:

»Es ist noch Eines in der Höhle . . . Etwas, das Du finden kannst . . . Das, was die Sehnsucht Deiner Augen ist . . . Dringe heute Nacht mit der Fackel hinein, und Du wirst sehen, was bei des Tages Dämmer, der matt einfällt, Dir verborgen blieb . . . ein Bild von Marmor . . . die Göttin, die Du suchst . . . Du siehst die Himmlische 204 aus dem Wasser steigen, das Angesicht den Blitzen zugewandt, mit einer heißen Sehnsucht im Blick, als ob sie hinausträume zu einem unbekannten Glück. Und so kunstvoll ist es gemacht, als wäre es lebendig . . . ganz lebendig . . . Wage es noch einmal einzufahren . . . bei Nacht . . . und Deine Sehnsucht wird gestillt werden . . . ganz gestillt.«

Nach diesen zitternden Worten entwich Mavra in Hast, als ob eine bittere Scham sie von dannen triebe.

Der Mönch aber blieb zurück, ließ seine Arbeit feiern und seine Augen hoch aufgeschlagen im Blau des Himmels ruhen, als leuchte ihm schon ein Götterbild von dort entgegen. Und auf seinem stillen Antlitz wechselte Seligkeit und ein tiefes Grauen.

Als nun das Dunkel über den Felsen schlich und das Wasser, wo es leicht bewegt um Kiesel oder Klippen schäumte, von huschenden Irrlichtern sprühte, bestieg Basilios sein Schiffchen und steuerte um das hohe Land, bis er zu den ausgesprengten Klippen kam. Der Mond war roth über dem Wasser aufgegangen und drängte sein Licht tief in den klaffenden Schlund der Grotte. Der Mönch fuhr ein, und nachdem drinnen der letzte Mondesdämmer in Finsterniß 205 aufgelöst war, entzündete er seine Fackel. Hastig kroch das lodernde Licht um die Wölbung, die freien Räume scharf erhellend, die abgelegenen Engen in tiefere Schatten zurückwerfend. Langsam und lautlos glitt das Boot zwischen den zackigen Wänden hin; die Hände des Fährmanns zitterten schwer; heiß stieg ihm das Blut in die Stirn und legte einen flimmernden Schleier vor seine angstvoll forschenden Augen.

Da löste es sich schimmernd aus der Finsterniß, und vor ihm stand, an den Fels gelehnt, das weiße Bild der Liebesgöttin. Es war, wie er es im Traume gesehen, nur nicht das Haupt voll Sehnsucht erhoben, sondern in bebender Scham und wie in Ohnmacht matt auf die Brust herabgeneigt. Die Linke hielt noch das halbgesunkene Gewand, indeß die Rechte scheu sich über die Weiße des Busens legte.

Der Mönch stieß sein Schiff nicht weiter, sondern stand und faltete die Hände, in wunschloser Betrachtung ruhend; die Seligkeit des reinen Schauens umfing ihn wie ein Traum.

Minutenlang war es ihm so zu ruhen vergönnt, und die Minuten dünkten ihn eine goldene Ewigkeit.

Unmerklich aber spielten die kräuselnden Wellchen den Nachen weiter, und je näher der Fackelglanz 206 floß, desto wärmeren Anschein des Lebens gewann das weiße Bild. Ein gleichmäßiges Wogen schien leise die Brust zu heben, und sichtbarlich lief ein Zittern über die zarte Haut. Und jetzt auf einmal sah er, wie aus den todten, geschlossenen Marmoraugen lebendige große Thränen quollen. Erstarrendes Grausen ergriff ihn; im selben Herzschlag stieß das Boot mit leichtem Ruck an den Kies des Strandes; noch traf ihn schnell wie im Blitzeszucken ein Strahl aus schwarzen lebensvollen Augen; dann entsank dem Verstörten die Fackel und erlosch zischend im Wasser. Von wollüstigem Schrecken berauscht, taumelte er vorwärts und trat willenlos auf den Sand. Da schmiegten sich weiche Arme bebend um seinen Nacken und Lippen ruhten mit süßem Hauch auf seinem Munde.

Ein kurzer, wilder Schrei durchgellte die Wölbung, ein Schrei aus Mannesmund; dann ein langes Schweigen; dann das Schluchzen und Weinen eines Weibes die ganze Nacht hindurch.

Und als die Morgenhelle gedämpft bis in die Tiefe der weiten Höhle drang, kniete Mavra, die Tochter des Priesters, immer noch weinend vor der Leiche des Mönches von Paläokastrizza.

 


 


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