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Ein stattlicher Kirchenfürst Namens Marsilio ward vom Papste nach Korfu geschickt, um daselbst mit einem Abgesandten der griechischen Kirche erneute Unterhandlungen zu pflegen behufs einer möglichsten Einigung zwischen den beiden getrennten und meist ein wenig mit einander verhäkelten Gliedern des großen Körpers der Christenheit. Er war zu solchem wichtigen Amte ausersehen, weil er aus Korfu gebürtig und selbst griechischen Stammes war, wenngleich schon sein Ahnherr bald nach dem Beginne der venezianischen Herrschaft des bessern Fortkommens halber die überwiegende Wahrheit der römischen rechten Lehre erkannt und beschworen hatte. Auch schien er zu Friedensverhandlungen besonders geeignet, weil er an ein friedliches Beisammenleben beider Bekenntnisse gewöhnt und überdies von Hause aus ein mehr behaglicher Herr und nicht sehr kriegerischen Gemüthes war.
2 Marsilio hatte seinem Geburtslande vor fast zwei Jahrzehnten den Rücken gekehrt und in Venedig dem Dienste der Kirche gelebt. Als ein wohlgeborner und weltkluger Mann war er schnell emporgestiegen und mit ansehnlicher Würde bekleidet und galt überdies besonders im Punkte mannigfaltiger Gelehrsamkeit als eines der erheblicheren Lichter seines Landes und seiner Zeit. Denn er hatte sehr viel Muße, etwas Gutes zu lesen, und ein treffliches Gedächtniß, so daß er seinen Kopf ohne Mühe zu einem wohlgefüllten Speicher wissenswürdiger Dinge machte; nicht für angemessen hingegen erachtete er es, sich selbst der strengen Arbeit des Forschens, Sammelns, Sichtens, Wägens und Ordnens hinzugeben, sondern er zog es vor, sich in Frieden an den fleißigen Werken Anderer zu erbauen und zu belehren. »Es ist keineswegs vernünftig,« pflegte er zu sagen, »daß Jedermann sich mit schwerer Arbeit abmühe und seine Kraft verzehre; denn jegliche Arbeit ist nicht um ihrer selbst willen gut und löblich, sondern um eines Zieles willen: wenn aber Jedermann arbeitete und Niemand wäre, der die Früchte dieser Arbeit genösse, so ginge sie ihres Zieles verlustig und wäre nichts als ein leeres Spiel gleich dem Treiben der 3 Kinder, die sich jagen und abhetzen, ohne zu wissen warum, bloß um des Hetzens und Jagens willen. Es ist nicht vernünftig, daß alle Menschen Maurer und Zimmerleute seien und Niemand die von ihnen erbauten Paläste mit Freuden bewohne. Das herrliche Lusthaus der Weisheit und der freien Künste ist erbaut und wird täglich erweitert und mit neuer Zierde versehen von der emsigen Schar der Gelehrten und Künstler, welche berufen sind, im Schweiße ihres Angesichts Stein an Stein zu fügen. Denn auch Boccaccio der Uebermüthige und Ariosto der Heitere haben ihre goldnen Mären nicht anders geschaffen als mit heißem Bemühen unzähliger Tage und Nächte. Also müssen auch wiederum Andere auserwählt sein, dieses schimmernde Haus zu bewohnen und der lieblichen Aussicht von seinem Dache in seliger Muße zu genießen. Diese aber sind meines Ermessens zuvörderst die Könige und Fürsten, demnächst alle klugen Frauen und endlich die Priester der Kirche. Auch ist es gerade diesen recht und billig; denn sie haben übrigens die allergrößte Last von Sorgen und Nöthen auf ihr Haupt empfangen, so daß sie eines Ersatzes bedürfen: die Könige nämlich tragen die ungeheure Last des Regierens, der Kriege und aller 4 tausend Aengste, die mit ihrem Reiche zugleich sie selber treffen; die Frauen haben das üble Gebären und das Aufziehen der Kinder und dazu die Knechtschaft, unter welche sie von ihren Männern gebeugt worden; die Priester aber das schmerzhafte Uebel der Ehelosigkeit und den Zwang einer unablässigen Heiligkeit, die Manchem schwerer ankommt als einem lustigen Laien die Sünde. Darum ist es billig, daß sie Alle durch eine besondere Gunst entschädigt werden.«
Nach diesem schlichten Grundsatze richtete er sein Leben verständig ein und freute sich ohne unnütze Mühe an allem Schönen und Klugen, das seine Zeit und die vorigen Jahrhunderte geschaffen hatten. Auch scherzte er wohl bei guter Laune einmal über sich selber und nannte sich einen fröhlichen Faulpelz oder einen Schlemmer am Tische der Weisheit oder einen Rosendieb im Garten der Schönheit. Wie es aber in dem Gemüthe fast jedes Menschen einen Widerspruch giebt, der sich nicht reinlich lösen läßt, so vermerkte dieser heitere Herr es bitter übel, wenn etwa ein Anderer eine ähnliche Anmerkung über ihn zu machen sich erdreistete; er hielt im Gegentheil mit allem Eifer darauf, daß ihn Jedermann als einen mit Arbeit überbürdeten und unter derselben täglich schier 5 erliegenden Knecht ansehe und laut bezeichne, und je lauter ihn ein Schmeichler dieserhalb bejammerte, desto mehr vermochte er von ihm zu erlangen.
In allem Uebrigen war er freundlichen und nachsichtigen Gemüthes und hatte viel Wohlwollen für die unteren Stände, deren Armuth er linderte, besonders wo er in einem anständigen Hause junge und anmuthige Frauen fand; denn diese hatte er gern.
Auch während dieser Marsilio auf den ungestümen Wogen der Adria schaukelte, unterließ er nicht, seinen Bestrebungen nachzugehen, sondern las fleißig in einer neuen Ausgabe der Odyssee, welche vor Kurzem in Mailand erschienen war, und erquickte seine Seele an den klaren Gebilden des alten Homer.
Als sich das Schiff nun dem glänzenden Eiland näherte, und die klare Gestalt der Berge und darunter die Fülle des silbernen Laubes sich höher aus der dunkelwogenden Meerfluth hob, kam gleich einem Duft vom Lande her eine Wehmuth über ihn; er gedachte seiner Jugend und sprach stille zu sich selber:
»Gleiche ich nun doch auch jenem Odysseus, von unendlicher Irrfahrt zur traulichen Heimat wiederkehrend; – meiner freilich harret nur eine Schar 6 trotziger Freier, nämlich die streitbaren Herren der irrgläubigen Schwesterkirche, nicht aber, leider! eine sehnende Gattin, noch ein zur Jugendschöne aufgeblühtes treffliches Kind.«
Und indeß sein Auge leise sich trübte, lächelten seine Lippen wie beim Anblick eines lichten Bildes und sprachen:
»Es war Nausikaa, die mir nachschaute, da ich das Land der Phäaken verließ – wie sollte ich doch eine Penelope wiederfinden?«
Unter diesen hinschwebenden Gedanken sah er sich dem Ufer und der Stadt zugetragen und stieg mit seinem Gefolge in großer Feierlichkeit ans Land.
Nachdem der Empfang vollendet war, und er sich in dem ihm zugewiesenen Palästchen an Bad und Speisen erquickt hatte, kleidete er sich schlicht und schlenderte, einzig begleitet von seinem Lieblingsdiener Spiridon, der auch von Korfu zu Hause war, durch das Gewühl der engen Gassen und des Marktes. Der bunte Anblick erfreute ihn, und er meinte, zu Venedig weder so leuchtende Orangen, noch so zarte Gemüse, noch so silberne Fische gesehen zu haben, als sie hier feilgeboten wurden. Am meisten ergötzte er sich an dem muntern Treiben der Verkäufer, welche 7 hinter ihren Tischen und Körben stehend zugleich mit dem ganzen Leibe wie die Fische zappelten, mit den Armen schlugen wie die Vögel und alle Glieder wanden wie die Schlangen und zugleich mit dem Munde einen solchen Lärm vollführten, daß ein Unkundiger hätte glauben mögen, die Stadt stünde in Flammen oder der grausamste Feind sei eben vor dem Thore angekommen, oder sie wären Alle zum Tode verurtheilt und flehten die Vorübergehenden um Begnadigung an.
Marsilio aber lächelte und sprach: »Wenn diese Leute die Hälfte der Mühe und des Schweißes, den sie dies Toben kostet, auf eine ruhige Arbeit verwendeten, sie wären längst zu Wohlstand gekommen und könnten sich Knechte und Mägde halten, ihre Früchte zu ernten und feilzubieten.«
Doch aber hatte er, gerührt durch eine so heftige Strebsamkeit, bereits Dieses und Jenes gekauft und seinem Spiridon übergeben, als ihm hinter einem Stande Orangen und Feigen ein Mädchen ins Auge fiel, welches vielmehr ohne so großes Wesen in geduldiger Trägheit ihrer Zeit harrte, die ihr Käufer bringen möchte. Sie hatte beide Hände zusammengefaltet hinter ihren Kopf gelegt wie ein Kissen und 8 lehnte sich dawider, den bräunlichen Hals sanft zurückbeugend, so daß die zarten Linien desselben reizend hervortraten; so ruhte sie und schaute die wogende Menge aus stillen, trägen Augen an, ohne zu blinzeln, und obgleich diese Augen halbgeschlossen waren, glänzten sie wie Sammet und in einer eigenen herzbewegenden Schönheit.
Als Marsilio dieses stille Mädchen erblickte, zog ihm eine Regung wie ein fernes Klingen durch die Seele oder wie ein Duft von einer Blume, den er einst genossen und nun seit vielen Jahren schon vergessen hatte. Und indem er, geheimnißvoll angezogen, langsam näherschritt, that Jene ihre sammtnen Augen ganz auf und ließ einen Blick auf ihn fallen wie eine wehmüthige Bitte, entweder, daß man ihr Etwas abkaufen oder auch, daß man ihrer Ruhe schonen möge,
Dieser Blick that eine so große Wirkung auf Marsilio, daß er mit einem Schreck zurückwich, sich in der Menge zu bergen; das Heimweh nach einer fernen Zeit ward so groß in ihm, daß er sich mitten im Gedränge nicht der Thränen zu erwehren vermochte.
Er wies aber seinen Diener an, sich die junge Person zu merken und nachher ohne Aufsehen um 9 ihren Namen und ihre Herkunft zu befragen. »Denn es ist mir, als kennte ich sie lange; ihr Auge blickt mir so vertraut entgegen, als wäre es Penelope, die den heimkehrenden Gatten mit heimlichen Augen begrüßt, damit die Freier ihr Erkennen nicht merken.«
Dem Spiridon schien solche Rede Unsinn zu sein, denn er wußte, daß sein Herr seit achtzehn Jahren dieses Land nicht betreten hatte; doch schwieg er klüglich, denn er mochte ihm nicht gern sagen: »Siehe, Du hast längst die Zeiten jener ersten Jugend verlassen, in welcher ich und dieses Mädchen blühen; wie sollte dasselbe also Dich als ihren Gatten grüßen?«
So schwieg er und gehorchte dem Auftrage. Das Mädchen aber antwortete mit einer süßen, trägen Stimme.
»Ich heiße Marsilia und bin die Tochter der Jannula von Gasturi.«
Spiridon staunte über ihren Namen, und als er die Marktleute weiter nach ihren Umständen befragte, erfuhr er, sie sei ein vaterloses Kind, das nur seiner Mutter Namen kenne; alles Uebrige wisse Gott und der Beichtiger.
Diese Kundschaft hinterbrachte er getreulich 10 seinem Herrn in dessen Wohnung. Als aber Marsilio den Namen Marsilia hörte und die andern Dinge, wandte er sich hastig ab und verhüllte das Haupt in seinem Mantel.
Und als er das Antlitz wieder erhob, glänzte es wie von einem Sonnenstrahl, und er blickte träumerisch in die Ferne und redete in einem sanft singenden Tone vor sich hin, als wenn er, wie er pflegte, sich laut aus einem Buche vorläse:
»Es war einmal ein Mädchen Namens Jannula, das wurde von aller Welt die Schwätzerin genannt, weil es nichts bei sich behalten konnte, weder was es von Andern vernahm, noch was es selbst erlebte. Diese Plaudersucht aber brachte ihr nicht nur vielen Spott und Beschämung ein, sondern wollte ihr auch zu rechtem Unglück ausschlagen; denn es geschah, daß sie von jedem ihrer Liebhaber, deren ihre Schönheit zwar nicht wenige fand, wieder verlassen wurde, weil sie jeden von ihnen durch ihr Ausschwatzen kränkte und zuletzt abstieß. Sobald ihr Jemand den ersten verliebten Blick zuwarf oder ihr etwas Süßes zuraunte oder ihr in entbranntem Verlangen sein Herz ausschüttete, fand sie vor Freude und Stolz keine Ruhe, bis sie ihren Nachbarinnen Alles zugeflüstert hatte 11 bis auf das letzte Wort und die kleinste Geberde des Bewerbers.
»Und weil sowohl die Geberden als auch die Reden der Verliebten von solcher Art zu sein pflegen, daß sie das Lachen derer erregen müssen, welche zur Zeit von dieser seltsamen Leidenschaft nicht geplagt sind, so ernteten die vertrauenden Anbeter das Gelächter und die Neckereien des ganzen Ortes, und das verdroß sie und löschte ihre Liebe aus, so daß sich Jannula in kurzer Zeit von allen Freiern verwaist sah und in Gefahr schwebte, dereinst ohne Liebe hinzualtern. Das betrübte sie sehr, und sie weinte über sich selbst; allein ihre ungezogene Schwatzhaftigkeit vermochte sie doch nicht zu besiegen.
»Zuletzt entwich sie verzweifelnd in die Einsamkeit des Oelwaldes, um das Schweigen zu lernen, und verweilte ganze Tage lang in einer Bergschlucht in der Nähe des Meeres. Aber auch hier vermochte sie es nicht zu lernen; denn sie hörte um sich her das Rauschen des Windes in den Bäumen und das Plätschern der Meereswellen und das Zwitschern der Vögel; das Alles klang ihr zusammen wie das liebliche Plaudern der Mädchen am Brunnen, und sie konnte nicht anders, sie mußte mit einstimmen 12 und flüsterte immerfort allerlei lustige Dinge vor sich hin und lachte dazu vergnügt, als ob ein Liebhaber hinter ihr stünde und ihr viel Angenehmes sagte.
»Sie war aber ganz zufrieden, daß sie nun mit ihrem Geschwätz Niemandem einen Schaden mehr zufügen konnte.
»Es kam aber nach lustigem Frühlingswehen der erste wolkenlos heiße Tag im Jahre, da alle Winde ruhten, und die schwere Sonnenglut ungemildert auf die Erde fiel. Als Jannula da um die Mittagsstunde von einem kurzen Schlummer im Walde erwachte, erschrak sie, weil kein Rauschen noch Plätschern, noch Summen ringsum zu vernehmen war, sondern Alles verstummt lag, als wäre die Welt um sie her gestorben, und sie merkte, daß sie aufgeweckt worden war durch das grenzenlose Schweigen. Da schauderte ihre Zunge und ward stumm zum ersten Mal. Denn es war ihr, als ob Niemand in der Welt mehr wache, ihr Plaudern zu vernehmen, und als sei es eine Sünde, den Schlummer der Mittagslüfte nur mit einem einzigen Laut zu stören. So lag sie beängstigt, die Hände unter den Kopf gestützt, mit halboffenen Augen, 13 wachend und lauschend auf irgend einen Ton in Nähe oder Ferne, der sie von dem Banne erlöse. Doch flimmernde Bilder huschten verschwimmend über ihre Augen, als ob sie träume, und die sonnenheiße, zitternde Luft drückte schwerer auf ihre Lider.
»Und unter den andern Bildern tauchte die Gestalt eines Jünglings vor ihr auf, der ihr fremd war, vornehm und nicht nach der Sitte ihres Dorfes gekleidet; sie wußte nicht, ob sie etwas Wirkliches sähe oder ein luftiges Gebilde wie eine Wolke.
»Der Jüngling selbst aber ward von einem Schreck betroffen, als sei ihm das verbotene Bild einer Waldnymphe erschienen, und er löste seine Zunge nicht, sondern lehnte stumm an einem Baumstamm und schaute die Liebliche an, bis ihm Thränen süßen Verlangens ins Auge traten. Da ging er zu ihr und wagte es und küßte sie. Und wie er nicht fragte, weigerte sie nichts, sondern schloß die sammtenen Augen ganz und lächelte selig. So schwiegen sie Beide immerfort und küßten sich leise.
»In dieser Stunde hatte Jannula das Schweigen gelernt; als sie in ihr Dorf zurückkam, plauderte sie nicht mehr, und ihre Lippen verriethen nichts von dem Glück, das sie genossen hatte; nur ihre Augen 14 strahlten so wunderbar, daß die Leute heimlich einander zuraunten: »Sie hat einen Gott gesehen.«
»Sie aber wußte, daß es die Liebe war, die im Mittagszauber über sie gekommen und ihr die Lippen verschlossen hatte. Denn der große Pan und Eros sind die einzigen Götter, welche Solches vermögen, wie die Alten lehren.
»Und es sind nun fast zwanzig lange Jahr, daß jenes Mädchen geschwiegen hat.«
Mit diesen Worten endete Marsilio sein Märchen und versank in Nachdenken oder in Erinnerungen; Spiridon aber wagte nicht, ihn zu stören, denn sein Antlitz sah seltsam aus wie in einer heitern Verklärung. Nach einer Weile jedoch kehrte er sich mit einem leichten Lächeln herum und sprach:
»Mein Spiridon, ich will morgen in aller Frühe zu Fuß und ganz allein nach dem Dorfe Gasturi pilgern, das ich von früheren Zeiten her kenne und werthschätze um seiner schönen Lage willen und um etlicher Erinnerungen willen, welche mein Herz mit Freuden bewahrt. Auch habe ich rühmen hören,« setzte er scherzend hinzu, »die Leute seien dort als rechte Enkel der Phäaken meines wackeren Homer noch immer sehr ausgezeichnet in der Kunst, 15 die herzkränkende Arbeit zu vermeiden; solche Kunst aber gedenke ich mit List ihnen abzulernen, um meine Weisheit zu vollenden.«
Auf diese Eröffnung verbeugte sich der Diener mit Bescheidenheit; in seinen Augen aber funkelte viel Uebermuth und schlaue Schalkheit, als ob er Etwas denke, was er nicht sagen dürfe.
Am folgenden Morgen that Marsilio nach seinen Worten und machte sich frühe auf die Fahrt.
Es war im Winter, um die Zeit der ersten Olivenernte, leicht und lieblich die Luft, und als die wärmende Sonne ein wenig höher gestiegen war, kam er in das Dorf, das er suchte; dasselbe lag sanft in eine Schlucht geschmiegt wie in ein Bette, das hochzeitlich umkränzt schien mit Oelbäumen, Cypressen und breitschattenden Platanen. Das gefiel ihm wohl, und er lagerte sich in das Gras am Hange des Berges an einer Stelle, von der aus er das ganze Engthal mit den Häusern, Gärten und Weinbergen und darüber hinweg das hügelig absteigende Land weitum bis an den Meeressund überschauen konnte. Er lag im leichten Schatten eines Oelbaums, dessen vielgekrümmtes Gezweig der Wintersonnenschein gleichsam scherzend durchdrang, 16 indem er mit heiteren Lichtern über dem fetten Rasen spielte. Er lag sehr lange und tränkte sein Auge; denn Alles, was er sah, gefiel ihm so, daß er schwur, in allen Landen niemals etwas gleich Schönes genossen zu haben. In seinen Hügeln wellte sich das Land, langsam mit sattem Behagen sich ausglättend zum Meere hin; grün schimmerte das edle Gefilde in aller Fülle des Segens, und der breite Sonnenglanz fluthete fruchtzeugend darüber. Vielmal höher wuchs der Oelbaum und vielmal breiter als in jeglichem andern Lande; auf jedem Baume reifte die Frucht und unter den Bäumen Wein und Korn und reiches Gemüse zwischen lämmernährendem Rasen. So war das Eiland ein rauschender Wald zugleich und ein üppiger Garten. Weit hinten aber, am Golf, erhob sich die zweizinkige Veste der Stadt, von schimmerndem Rauch überkräuselt, und über dem Golf auftrotzende Berge mit Schnee gekrönt; und die zackigen Gipfel der Berge waren von so viel Licht umgoldet, daß er meinte, die olympischen Götter in langem, seligem Zuge leuchtend vorüberschreiten zu sehen.
So weilte er im Schauen gefesselt, und seine Hände waren müßig wie sein Fuß. Dicht vor sich 17 aber blickte er voll in das Dorf hinein, und um sich her auf dem gedehnten Hang sah er die phäakischen Leute bei der Arbeit, wie es sein Begehr gewesen. Unter den Bäumen hockten die Frauen und sammelten gemächlich die Oliven vom Boden in schöngeflochtene Körbe, indem sie dazu häufig umherspähten, einander zunickten und sehr viel plauderten. Es fiel aber von den Bäumen im Mittagswind ein leise klopfender Regen der edlen Früchtchen hernieder, den Rasen behaglich überstreuend, wie wenn nach einem Wetter die schweren Tropfen sich langsam von den Blättern lösen und mit traulichem Tupfen niederrieseln. Und wenn es einmal durch einen Zufall oder die Gunst eines Heiligen geschah, daß einer Sammlerin eine Frucht gerade in den Schoß oder in den Korb fiel, dann lachte dieselbe herzlich und blickte mit ruhevollem Staunen empor zu den Zweigen über ihr und betrieb solche Dankesandacht ausrastend eine überaus lange Zeit.
So arbeiteten diese, sammelten und nahmen, was die reichhinstreuende Natur ihnen hinwarf, und nichts darüber. Den jüngeren Mädchen aber war ein so schweres Werk nicht anvertraut; jeglichem von ihnen hatte man ein Lamm überantwortet, das 18 es an einem Stricke hielt und grasend um sich kreisen ließ wie um einen schöngeschnitzten Pflock, ohne das Thierchen durch unnöthige Bewegungen zu stören und von der Mutterbrust der Erde abzuscheuchen.
Die Männer wiederum des Dorfes beflissen sich noch andersartiger Arbeit. Bei Weitem den größeren Theil einer jeden Stunde standen sie auf der Gasse in Gesprächen, welche ernst und verständig und sehr anstrengend sein mußten, wie ihre Mienen und Geberden das verriethen. Unterweilen aber stieg Einer um den Andern hinaus zu den Frauen, feuerte sie mit herrlichen Worten zur Arbeit an und kehrte dann emsig zu seinen Gefährten zurück, weiter über das Wohl der Welt und des Landes zu berathen.
So rückte der heitere Morgen vor, und der Tag stieg zu seiner Höhe. Und um die Mittagszeit kamen die Männer alle zusammen, breiteten schön gewebtes Linnen über das Gras, setzten Brot darauf und Oliven, Zwiebeln, frischen Salat und Wein, und also schmausten sie unter den Oelbäumen mit Freuden lange Zeit hindurch. Und auch die Frauen kamen von allen Seiten herbeigewandelt und erhielten ihr gebührendes Theil von den Speisen. Und 19 die bräunlichen Gesichter glänzten allzumal von Frohsinn und freundlichem Behagen.
Dieses Alles sah Marsilio von seiner anmuthigen Ruhestätte aus und hatte seine Lust daran, ein wenig aber auch seinen Spott im Herzen, denn er dachte: »Wahrlich, diese Götterlieblinge verstehen es, die herzkränkende Arbeit mit Sorgfalt zu vermeiden.«
Einen einzigen Menschen sah er unter dem fröhlichen Volk, der ein ganz anderes Ansehen hatte, voll Unrast und Friedlosigkeit immerfort umherspähte und sich von den Genossen abgesondert hielt, auch nicht mit ihnen schmauste, sondern zur Essenszeit allein in sein Haus ging und nach wenigen Minuten schon wieder hervortrat, den Rest seines Brotes unterwegs kauend. Die Andern aber blickten ihm mit spöttischer Verachtung nach und schienen allerlei lose Reden über ihn zu führen.
Marsilio verwunderte sich hierüber, weil der junge Mensch sonst hübsch und stattlich war, und fragte einen vorübergehenden Alten munteren und ehrwürdigen Ansehens, was es mit jenem abgesonderten Kauz für eine Bewandtniß habe.
»Diesen Mann,« versetzte der treffliche Greis, 20 »nennen wir Gaidari, den Esel, weil er nach Art dieser Thiere den ganzen Tag hindurch arbeitet. Er begnügt sich nicht, die abgefallenen Oliven zu sammeln, sondern er erklimmt die Bäume selbst mit unsäglicher Mühe und Gefahr und schlägt unter häufig vergossenem Schweiße die Früchte mit einem Stocke ab, auf daß ihm keine derselben unbenutzt am Zweige zurückbleibe. Auch pflegt er seine Bäume zu kappen und ihre Aeste zu verkrüppeln, damit sie besseres Oel geben. Und nicht anders wüthet er in seinem Weinberge und seinem Feigengarten. Aus diesem Grunde heißen wir ihn Lastesel; denn die Esel schuf Gott, wie Du weißt, o Herr, zu immerwährender schrecklicher Arbeit und nicht wie die Menschen zur Freude.«
»Hierin hast Du gewiß recht geredet,« sagte lächelnd Marsilio; »allein Du weißt auch, den Esel treibt zur schrecklichen Arbeit nicht die eigene Begierde, sondern der dumpfaufdröhnende Knüttel; was aber treibt nun diesen Mann, den Ihr Gaidari nennt? Ist es etwas Böses, daß Ihr ihn darum so verspottet und verachtet?«
»Das weiß Niemand, Herr, und auch Niemand begreift es. Etwas Böses ist es wohl nicht; denn 21 man hat noch nichts Uebles davon verspürt, aber etwas Gutes kann es doch ganz gewiß nicht sein.«
Nach diesem Bescheid ging der Greis und begab sich hurtig an die Arbeit, über diese Fragen des Fremdlings sorgfältig mit seinen Gefährten zu berathen.
Marsilio aber dachte bei sich selber: »Wie sonderbar, daß ein Mensch, der sich durch nichts Anderes als durch eine höchst preisenswerthe Tugend, nämlich die des Fleißes, von seinen Volksgenossen uuterscheidet, um eben dieser Tugend willen von ihnen getadelt und verschmäht werden kann! Sollte es denn möglich sein, daß solche Thorheit auch von den weiseren Männern in den Städten begangen werde? Sollte es denn etwa wahr sein, daß wir die Ketzer vornehmlich um deswillen hassen, verfolgen und verbrennen, weil sie an Verstand und anderen Tugenden die meisten Gläubigen übertreffen? Doch dergleichen Problemata sind überaus schwierig zu lösen, und schon daran zu rühren, ist nicht allein unbequem, sondern auch gefährlich.«
Um so düstere Grübeleien zu verscheuchen, zog Marsilio etliche Feigen und andere nährende Früchte aus der Tasche und verzehrte sie freudig, nicht ohne 22 einen Stolz, die phäakischen Dorfleute in der Tugend der Mäßigkeit noch übertreffen zu können; dazu trank er aus seiner Feldflasche hintenübergelehnt ein wenig Wein. Nach dieser Mahlzeit schlummerte er ein Weilchen, und als er erwacht war, blickte er wie zuvor ungeregt auf das blühende Land und das Volk, welches dessen genoß.
Und je länger er ruhte, desto fröhlicher ward ihm zu Sinn; all jene ruhesamen Gestalten der phäakischen Männer und Frauen schienen ihm in einem reineren Licht zu wandeln als andere Menschenkinder und eine edlere Luft zu athmen, und ob sie gleich ärmlich gekleidet und ohne Schmuck waren, meinte er doch, an ihnen gleichsam einen Abglanz jenes Götterzuges über den Bergen zu sehen, den sie täglich von ferne schauen durften; denn still und heiter war ihr Wandel und festlich ihre Miene.
Also ging der herrliche Tag herum, und die Sonne neigte sich tiefer gegen den Abend. Nun begannen die Frauen mit hohen Krügen zum Brunnen hinabzusteigen, plauderten lange und kehrten in schönem Zuge zurück, indem jegliche hochschreitend den gefüllten Krug über dem Scheitel trug. Sie alle grüßten den Fremdling heiter und gingen vorüber.
23 Die Männer hingegen machten nunmehr Feierabend; und wie es allerorten den Menschen eine Freude ist, etwas Neues zu erspähen, so betrachteten diese den fernher gekommenen Gast, der so lange auf ihrem Rasen ruhte, und indem sie sich unmerklich in einem weiten Halbkreise um ihn her aufstellten, rückten sie ihm langsam von allen Seiten näher, wie wenn ein Trupp hochgehörnter Rinder einen fremden Mann bestaunt, der nicht ihr Hirte ist.
Als Marsilio dies sah, stieg der Schalk in seinem Busen auf, und er beschloß, sich einen Scherz mit den Leuten zu machen. Also that er den Mund auf und sprach:
»Ihr Männer von Gasturi, hört, was ich Euch zu sagen habe.
»In der berühmten Stadt Venedig, allwo ich hause, geschah es einmal, daß ein wohlgesinnter Mann an einem Kanale entlang wandelnd auf den Steinen des Ufers viele starke Männer liegen sah, welche, statt anderer Arbeit, eifrig damit beschäftigt waren, sich von der Sonne bescheinen zu lassen. Er trat freundlich zu ihnen und verhieß mit einem Schwur demjenigen eine Zechine zu schenken, welcher ihm beweisen möchte, daß er unter all 24 seinen faulen Genossen der Faulste sei. Da sagten sie ihm alle voll froher Hoffnung, der Eine dies, der Andre jenes, um zu beweisen, daß er der Allerfaulste sei. Der Letzte aber sprach: »Siehe, o Herr, ich liege, und die Sonne sticht mir scharf in die Augen und blendet mich heftig; ich aber bin trotz dieses Schmerzes zu faul, die Lider zu schließen, und ob mich gleich heftig verlangt, von der Mühe des langen Liegens mich mit einem Schläfchen zu erholen, bin ich dennoch zu faul, einzuschlafen. Glaube mir, ich bin der Faulste.«
»Da erstaunte der wohlgesinnte Mann und sprach:
»Ohne Zweifel bist Du der Faulste und hast den Lohn nach meiner Verheißung füglich wohl verdient. Nimm hier die Zechine und stecke sie zu Dir.«
»Als er das sagte, sah der Faule mit einem schmerzlichen Blicke zu ihm auf und sprach:
»Ach, Herr, wie sollte ich es denn fertig bringen, die Hand zu erheben und das Geld zu ergreifen? Nein, sondern Du mußt es mir selbst in die Tasche stecken.«
»Da erstaunte der wohlgesinnte Mann noch mehr und that unverzüglich nach seinem Begehren.
25 »Zugleich aber nahm er seinen Stab und walkte ihn nach allen Kräften durch, in der Hoffnung, daß er seine Glieder rühren und davonlaufen möchte. Jener aber lag ganz still und schaute nur mit beweglicher Bitte zu ihm empor.
»Da zog der gerührte Geber eine zweite Zechine hervor, steckte sie ihm zu und sagte milde:
»Wer das, was er ist, ganz ist, der ist ein echter Mann und verdient doppelten Lohn.«
»Mit diesen schönen Worten ging er nachdenklich seines Weges.
»Eine ähnliche That nun, ihr wackern Leute, bin ich gesonnen, heute an Euch zu thun, um mir Eure Freundschaft zu erwerben. Seht her, hier ist ein wohlgeprägtes Silberstück venezianischer Münze: das soll demjenigen zu eigen gehören, der an diesem Tage in Eurem Dorfe der Allerfaulste gewesen ist. Da ich selbst aber nicht Alle zugleich in jedem Augenblicke gesehen habe, so berathet Euch jetzt sogleich friedlich miteinander und zeiget mir den Würdigen, dem Ihr den Preis am liebsten zuerkennt.«
Ob solcher Rede schüttelten die Männer ihre Köpfe, zweifelnd, ob sie dem Ernst seiner Miene 26 trauen sollten. Denn er hatte mit feierlicher Stimme geredet, als ob er vor ihnen auf der Kanzel stünde. Da sie jedoch das blinkende Silberstück in seiner Rechten ein wenig länger betrachteten, schwoll ihnen der Muth und die hoffende Lust, es zu erwerben. Sie wichen zurück, ihre Reihen lösend, und vereinigten sich wieder zu wechselnden Gruppen in eifriger und sorglich wägender Berathung.
Nach einer langen Zeit aber, während Marsilio sich herzlich an seiner Schalkheit ergötzte, traten sie wieder zu ihm mit sehr feierlichen und fast betrübten Mienen, und jener Alte, der ihm zuvor Auskunft gegeben, sprach zu ihm mit bescheidener Rede:
»Herr, wir haben Deine Worte wohl überdacht und sind zu einem gemeinsamen Schlusse gekommen: es ist an diesem Tage in diesem Dorfe nur ein Einziger ganz faul gewesen; alle Andern haben ihre Arbeit nach rechtem Maß gethan und mit ihren Händen so viel erworben, als sie für ihres Leibes Nothdurft brauchen. Der Einzige, welcher gar Nichts that und ganz müßig war, lieber Herr, bist Du selber. Denn Du hast den ganzen Tag hindurch auf dem Rasen gelegen, ohne Dich zu rühren, und hast Dir nicht einmal die Mühe gemacht, ordentlich 27 zu essen, wie Christen thun, sondern hast aus der Tasche geknabbert und aus der Flasche gesogen. Ja, Du mochtest nicht einmal Deine Augen aufmerksam herumwenden, nach den Oliven zu blicken und andern nützlichen Dingen, wie wir an Feiertagen thun; vielmehr hast Du immerfort nur gerade vor Dich hin ins Weite gestarrt, wie ein Säugling, der noch nicht gelernt hat, eine einzelne Sache fest ins Auge zu fassen. Denn Du wirst nicht sagen wollen, daß es dahinten auf den kahlen Bergen oder gar am Himmel etwas Rechtes zu sehen gebe. Ein solcher Müßiggang ist in unserem Lande an einem erwachsenen Manne noch niemals beobachtet worden.
»Darum ist unsere Meinung diese: die Silbermünze gebührt Dir allein und Keinem unter uns: es sei denn, daß Dir die Mühe zu groß wäre, sie wieder einzustecken oder in der Hand festzuhalten; in solchem Falle wollen wir sie gern an uns nehmen und zu einem angenehmen Zwecke verwenden.«
Ueber diesen Bescheid ward Marsilio im ganzen Angesichte roth vor Zorn; denn es hatte noch nie ein Mensch gewagt, auch nur im Scherze ihm eine gleich schwere Wahrheit zu sagen, geschweige denn in so ruhigem Ernst, wie ihn der wackere Greis 28 und die Andern in ihren Zügen zeigten. Er fand jedoch im Augenblick nichts Triftiges darauf zu erwidern, das die einfältigen Köpfe eines Bessern hätte belehren können, und schämte sich auch ein wenig, ihnen seinen großen Aerger offen einzugestehen.
Darum ersann er etwas Anderes, um sie doch vorläufig ein Weniges zu strafen für ihren Urtheilsspruch, und sagte:
»Nicht doch, meine Lieben, sondern da ich das Geld nach Eurem höchst gerechten Spruche zurückerhalten habe, so will ich es zum andern Mal im entgegengesetzten Sinne als Preis aussetzen; nämlich ich will sie dem Fleißigsten unter Euch geben, oder richtiger, dem einzig Fleißigen, welcher in diesem ganzen Thale als einem Thale des Müßiggangs und der Laster zu finden ist: das aber ist jener Mann, den Ihr mit nichtsnutzigem und höchst albernem Spotte Gaidari, den Esel, nennt. Dieser erhält den Preis als einer, der dessen wahrhaft würdig ist.«
Hiernach ließ er sich von den etwas verdutzten Leuten das Haus des Gaidari Genannten weisen, trat ein und bat um ein Nachtlager und ein Abendbrot, wofür er ihm als Entgeld das Silber bot. 29 Denn es war unterdessen spät geworden und dunkelte, und es behagte Marsilio nicht, bei nächtlicher Weile den Weg zur Stadt noch zurückzulegen; auch hatte er noch etwas Anderes in diesem Dorfe zu verrichten im Sinne.
Gaidari, welcher mit seinem rechten Namen Artemisios hieß, sagte nicht Nein, sondern machte sich hurtig daran, den beiden Forderungen des fremden Gastes Genüge zu thun. Dabei fand nun Marsilio gute Gelegenheit, seinen Wirth in der Stille zu beobachten, und er bemerkte, wie derselbe sich allerdings mit einer kläglichen Rastlosigkeit tummelte und nicht leicht die Zeit eines einzigen Herzschlages oder Augenblickes vergehen ließ, ohne irgend etwas Nützliches zu vollbringen. Ja, wo es irgend anging, sah er ihn auch mehrere Dinge zu gleicher Zeit betreiben: während er mit den Armen das Holz klein hackte, mühte er sich zugleich schon mit dem Munde, das Feuer auf dem Herde anzublasen und trat mit dem Fuße ein Brett, welches in einfacher Weise eine Oelpresse in Thätigkeit setzte. Ebenso, während er mit der linken Hand das Hühnchen, welches er zwischen den Knieen hielt, hastig rupfte, klapperte die rechte schon mit Tellern und Schüsseln 30 auf dem Tische, und dabei spähte sein Auge unruhig umher, ob sich nicht noch ein weiteres Werk zugleich abthun ließe. Bei allen diesen Verrichtungen aber machte er ein trübseliges und fast ängstliches Gesicht, als ob er es immerwährend peinlich beklage, daß ihm die Natur eine so sehr geringe Zahl von werkfähigen Gliedern bewilligt habe.
Als er nun solcherart in unglaublich kurzer Zeit angerichtet und den geistlichen Herrn höflich, doch ohne recht anmuthende Freudigkeit an seinen Tisch genöthigt hatte, setzte er sich ihm gegenüber und begann hastig zu kauen und zu schlucken, wobei er immer noch munter umheräugte und oftmals plötzlich aufspringend zwischen zwei Bissen schnell noch eine kleine Arbeit anfing und vollendete. Von dem Wein genoß er nur ein Paar Tropfen, die er mit so viel Wasser mischte, daß diese fade Flüssigkeit kaum durch einen leichten Anflug von Roth ermuntert wurde. Auch verhielt er sich stumm und zeigte geringe Lust zu guter Unterhaltung.
Der Gast jedoch, welchen der Sonderling ergötzte, begann trotzdem ein Tischgespräch und fragte ihn, nachdem er erst vergebens anschleichend ein wenig 31 umhergeredet, gradezu und ehrlich, wie es komme, daß er allein mitten in einem Volk behaglicher Faulpelze sich so ruheloser Arbeit annehme, obgleich diese ihm doch nach allem Augenschein weder selbst rechtes Vergnügen mache, noch ihm unter den Leuten Ehre eintrage, vielmehr sogar das gerade Gegentheil zu bewirken scheine.
Gaidari entgegnete, ohne seine sauertöpfische Miene sonderlich aufzuhellen:
»Ich habe mir's angewöhnt; die Ruhe ist mir ein Greuel, außer wenn ich fest schlafe.«
»Seit wie langer Zeit aber,« forschte Marsilio weiter, »hast Du diese Angewöhnung?«
Jener dachte nach und erwiderte:
»Seit mein Vater zu Schiff ging, um Gold zu erwerben, und ertrank.«
»Ließ er Dich ganz allein in der Heimat zurück?«
»Auch meine Mutter.«
»Und für sie mußtest Du frühzeitig arbeiten?«
»Ich that's, weil es ihr schwer ward und sie sich unmäßig um ihren Mann grämte. Es gibt nichts Grausameres, als wenn ein armes Weib mit ihrem Kinde ohne den Schützer zurückbleibt.«
Marsilio zuckte zusammen, als habe ihm Jener 32 einen Schlag versetzt, wischte sich dann mehrmals den ausbrechenden Schweiß von der Stirn und schwieg eine Weile, als wäre er verlegen. Endlich aber hub er doch von Neuem an:
»Machte Dir damals die Arbeit Vergnügen?«
»Damals sang und pfiff ich bei der Arbeit wie die Andern.«
»Und seit wann nicht mehr?«
»Seit meine Mutter todt ist.«
»Und doch arbeitest Du rastlos weiter, obschon Du für Niemand zu sorgen hast und für Dich nichts bedarfst, nicht einmal Wein?«
»Was soll ich anders thun, um die Zeit hinzubringen?«
»Die Ruhe nach mäßiger Arbeit ist ein freundlicher Genuß.«
»Nein. Mir nicht. Nichts greulicher, als wachend zu liegen, ehe ich schlafen kann.«
»Allein die Mitte zwischen Schlaf und Wachen, nämlich das Träumen, ist ein anmuthiger Zeitvertreib.«
»Ich kenne keine Träume, und wünsche sie nicht zu kennen; denn sie sind nutzlos und etwas Unwirkliches.«
33 »Dann freilich magst Du auch kaum verstehen, wie man sogar im vollen Wachen und freiwillig sich die süßesten Träume vorgaukeln, wie man ruhend sich so herrliche Bilder vor die Seele zaubern kann, daß sie trotz ihrer lustigen Unwirklichkeit doch Dem, welcher sie erzeugt, ein köstlicheres Glück gewähren als alle leibhaften Genüsse, die er mit seinen Händen greift! Nur ein anderes Glück noch ist jenem gleich oder ähnlich, ob es schon ebenfalls nur halb etwas Wirkliches zu nennen ist, nämlich das sinnende Entzücken an den schönen Dingen der Welt um uns her, die uns zwar nach unserm Vortheil nichts angehen, aber doch unser Auge erfreuen, sei es nun der leuchtende Himmel oder das Meer oder ein Berg oder ein Baum oder ein Gemälde, das dieses Alles nachahmt, oder auch ein lebendiges schönes Menschenbild. Und noch ein drittes Glück giebt es – aber sage mir doch eines: hast Du niemals ein holdseliges Weib mit ruhendem Genießen oder sanftem Begehren angeschaut?«
»Nein,« sagte der Jüngling, »niemals habe ich so Etwas begangen; denn ich weiß, daß die Frauen geringere Geschöpfe sind als wir Männer; wie sollte es mir also einfallen, sie so wunderlich anzustarren ohne jeden Nutzen?«
34 »Wie bist Du dessen so gewiß, mein Sohn, daß es ohne Nutzen wäre? Freilich Geld bringt es nicht ein, noch ähnliche Güter, aber ich sage Dir, es könnte Deinem Herzen vielleicht die Ruhe gewinnen, deren es jetzt ermangelt, daß Du fortan mit Frieden arbeitetest und mit Freuden, wie zu der Zeit, da Deine Mutter lebte, ohne Hetzen und ohne Hast, wie ein Mensch und nicht wie ein Lastesel. Denn es kann die Liebe zu einem schönen Weibe so Wunderbares wirken, daß sie das Herz eines Mannes auf viele Jahre mit Süßigkeit durchtränkt und er noch spät in Seligkeit von vergangenem Glücke träumt, als wäre es immerdar von Neuem gegenwärtig. Die liebliche Sehnsucht ist es, welche solche Wunder schafft.«
»Ich aber habe andere und weit üblere Wunder von solcher Sehnsucht nach einer vergangenen Liebe gesehen,« versetzte Gaidari, »nicht allein an meiner Mutter, da ihr der Gatte entrissen wurde, sondern fast noch mehr an einem anderen Weibe hiesigen Ortes, welches auch von dem Manne verlassen ist, den sie liebte und den sie ihren Gatten nennt, ob ihn gleich Niemand kennt noch gesehen hat. Dieser Frau hat die Sehnsucht und der Schmerz so sehr den 35 Verstand verwirrt, daß sie seit all den Jahren, es mögen wohl ihrer zwanzig sein, an jedem Morgen den Berg dort hinter Gasturi hinaufsteigt, um nach dem Schiffe jenes Entschwundenen auszuspähen; denn die Thörichte bildet sich ein, ihn auf eine so große Entfernung erkennen und von anderen Landenden unterscheiden zu können: daran merkt man vornehmlich die Verkehrtheit ihres Sinnes, ob sie gleich sonst bei gutem Verstande scheint, und auch an dem Andern, daß sie immer noch auf seine Heimkehr inbrünstig hoffend vertraut, da er sie doch ohne allen Zweifel über andern Weibern zehnmal vergessen hat. Sieh, o Herr, solche Früchte der Sehnsucht und Liebe habe ich hierzulande gefunden und bin nicht lüstern geworden, solche zu pflücken.«
Unter dieser Erzählung des Jünglings waren die Augen des geistlichen Marsilio groß und starr geworden, und seine Lippen zuckten sonderbar, wie wenn ein Kind mit Thränen kämpft; und zuletzt fragte er leise, daß es fast zagend klang:
»Wie heißt dieses treugesinnte Weib?«
»Jannula heißt sie,« antwortete Gaidari, »und Du kannst sie morgen sehen, wenn Du früh genug auf bist.«
36 Marsilio redete nun nichts mehr, sondern sank in Sinnen und trank viel Wein, der ihm die träumerische Sehnsucht nährte; Gaidari aber stand auf, schnitt seinem Vieh das Futter vor und that viele andere nützliche Dinge.
Am andern Morgen erhob sich Marsilio sehr frühe von seinem Lager und schritt eiligen Fußes durch die thauige Frische jener Höhe entgegen, welche ihm Gaidari bezeichnet hatte. Je weiter er hinaufstieg, desto leichter wurde sein Tritt und desto glänzender sein Auge; seine Seele weitete sich und ward wieder jung wie in andern Tagen, und er sprach freudig zu sich selber: »So ist es erwiesen, daß die Zeit keine Macht hat über ein heiter empfindendes Herz. Denn dies Herz will überquellen vor süßem Verlangen nach der Geliebten meiner Jugend. O, Penelope! O, Penelope!«
Er rief das Wort jugendlich frohlockend in die sonnige Weite hinaus, und plötzlich, da der Pfad, auf welchem er stieg, eine rasche Wendung machte, sah er auf einem erhöhten Vorsprunge gegen den lichten Morgenhimmel ein Frauenbild stehen, dessen Schönheit seinem Auge vertraut erschien, schlank, von hoher Haltung, das Antlitz ihm abgewendet, mit 37 dem Blick aufs Meer hinaus. Die spähenden Augen hatte sie mit der Hand überschattet und den so erhobenen Schleier füllte der Morgenwind.
So sah er das Weib wieder, das einst seine Jugend beglückt hatte, und sein verlangendes Herz schwoll in neuer Wonne. Doch da er etliche Schritte weiter gethan hatte, und die Frau ihm ihr Antlitz entgegenkehrte, da sah er etwas Anderes, als seine schwärmende Seele sich erhofft hatte; denn ob er gleich Zug um Zug die ehemals Geliebte wiedererkannte, so war doch der Reiz der Jugend ganz von ihr gewichen, und nur die todte Spur der alten Schönheit war in den edlen Linien zurückgeblieben. Allen Duft und Schimmer aber hatte die Zeit und die lange Sehnsucht hinweggezehrt, nur daß in den braunen Sammetaugen noch ein matter Widerschein aus alten Tagen glomm.
Marsilio seufzte bei diesem Anblicke aus tiefster Seele auf und klagte bei sich selber: »Wie ist es doch so trübselig in der Welt bestellt, daß die herrlichste Schönheit und die feurigste Jugend vergeht wie der Rauch in der Luft, und ist heute ein trüber Schatten geworden, was gestern die Wonne unserer Augen war!«
38 So dachte er, bekümmert, erschrocken und beschämt und trat verlegen einen kleinen Schritt zurück; die Frau aber, sobald sie ihr Auge ihm zugewandt hatte, streckte die Arme aus, brach aufschluchzend in die Kniee und rief.
»O, Du mein Gatte und Herr, Du bist gekommen, mich heimzuholen.«
Da ergriff ihn eine große Wehmuth und viel Mitleid, und er hatte etliche Mühe, sich selbst zu trösten: »Sieh, wenn die mütterliche Natur selbst so treulos ist, einem armen Weibe die holden Gaben der Jugend und Schönheit in wenigen Jahren zu rauben, wie sollte ein schwaches Menschenkind doch festeren Sinnes sein? Und wie war es doch mit jenem Odysseus? Hat er seiner edlen Gattin die Treue mit ganzer Strenge gehalten? Nein, sondern er hat sich sowohl mit der Kirke als mit der schönen Nymphe Kalypso in Liebe ergötzt, unbeschadet aller Sehnsucht nach dem Jugendgemahl! Solche Sehnsucht aber habe auch ich heute redlich empfunden, und nicht heute allein, sondern auch schon gestern und ehegestern. Die holde Nausikaa aber, welche ihn liebte und ihm viel Gutes gethan, hat er unbekümmert verlassen und nicht weiter an ihr schmerzliches Geschick gedacht: 39 in diesem Vergleich habe ich mich sogar redlicher bewiesen als Jener, doch schreibe ich dieses Verdienst nicht mir, sondern dem Christenthume zu, welches unsere Herzen läutert: denn ich mußte zwar auch wie er das Mädchen, das mich liebte, verlassen, um zu meiner Braut und Gemahlin, der Kirche, heimzukehren; aber ich bin doch nun wieder gekommen, die Gute zu trösten!«
Mit solchen Gedanken beruhigte er das große Unbehagen, welches ihn bei den Worten des treuen Weibes übermannt hatte. Und er legte die Hand freundlich segnend auf ihr Haupt und sprach mit geistlicher Stimme:
»Gute Frau, freilich bin ich gekommen, Deine Seele heimzuholen und aus ihrer Trübsal aufzurichten. Zuvörderst aber mußt Du erfahren, daß ich um meiner Sünden willen ein Priester meiner Kirche geworden bin, und Du weißt, daß unsere römische Lehre den Geistlichen verbietet, ein Weib zu nehmen, damit sie um die weltlichen Freuden nicht ihre heiligen Pflichten versäumen. Aber wäre auch das nicht, so würde es uns dennoch nicht mehr ziemen, an uns selbst und unsere Lust zu denken; denn wir sind Beide alt geworden, und dem Alter steht es besser an, 40 sein selbst zu vergessen und einzig für das Glück des jungen Geschlechtes zu sorgen, das wir uns erzeugt haben, und das zu unsern Füßen herangewachsen ist. Ein Vater, dem ein Kind geboren ist, hat mit diesem Augenblicke aufgehört, im weltlichen Sinne zu leben und hat sein eigenes Wesen, sein Glück und seine Hoffnung freiwillig hinübergepflanzt in ein neues Geschöpf, das an seiner Statt den Funken des irdischen Lebens weiter tragen soll. Er selbst aber wird nur noch für sein Kind sorgen und außerdem für seine unsterbliche Seele, die nichts mit diesen Dingen der Erde gemein hat. Und dieselbe Entsagung ziemet nicht minder einer Mutter. Ich habe nun aber bereits mit Freuden in Erfahrung gebracht, daß Du mir eine Tochter geboren und nach meinem Namen getauft hast: laß uns also fortan nur noch an diese denken und zusehen, wie wir für ihr Glück und Wohlsein am besten sorgen können.«
Während der geistliche Marsilio diese herrlichen Worte sprach, erfaßte ihn immer mächtiger eine Rührung über die Schönheit seiner Gedanken und die Trefflichkeit seiner Gesinnung, und was im Anfang nur die Ausflucht einer gutmüthigen Verlegenheit gewesen, ward ihm unter dem Reden selbst zu einer 41 aufrichtigen Meinung, und es erwuchs wie eine Blume in seiner Brust eine Liebe zu der Tochter, die er zwar nur ein einzigesmal und von ferne gesehen, in welcher ihm aber all' jene Schönheit wieder erstanden schien, die von der Mutter gewichen war. Und er ward nun zu dieser Stunde von allem Eifer erfüllt, in Treuen für ihr Glück zu wirken und zu opfern, soviel er opfern könne.
Das Weib aber, Jannula, kniete vor ihm in langem Schweigen, und dann nahm sie die beringte, schöne Hand des Mannes, hielt sie neben die ihrige, welche rauh war von Arbeit, und sagte:
»Diese Hand ist zu schön geblieben für mich; sie darf mich nur noch segnen. Ich bin zufrieden mit meinem Glück, wenn Du meiner Tochter ein Vater sein willst.«
Mit diesen wenigen Worten begrub sie die sehnsüchtige Hoffnung der langen Jahre. Und sie küßte seine Hand mit demüthigen Thränen.
Da ward seine Rührung noch stärker, und er fragte mit bewegter Stimme, die nicht mehr geistlich, sondern menschlich klang:
»Was soll ich unserer Tochter geben, das für ihr kindliches Herz das Köstlichste und Liebste wäre?«
Jannula antwortete ohne Zaudern:
42 »Das Beste, was ein Weib auf Erden gewinnen kann, ist ein Gatte, der treu und dauernd an ihr hängt, bei ihr weilt, mit ihr arbeitet und ihren Kindern ein Vater ist. Wenn Du ihr den geben kannst, darf sie nichts weiter begehren.«
Marsilio wandte sein Antlitz ein wenig abseits und strich sich mit der Hand über die Stirn, denn er fühlte, wie eine starke Röthe ihm bis dort hinaufstieg, und er sagte sanft:
»Ich will streben, ihr einen solchen Gatten zu finden, und ich hoffe, daß es mir gelingen wird. Sende das Kind mir morgen hinab in die Stadt, daß ich mich seines Anblicks erfreue und sein Herz erforsche, damit ich wisse, wie ich am Besten sein Glück erbauen kann. Jetzt aber laß mich von hinnen gehen zu stiller Sammlung, denn die Gewalt dieser Erinnerungen greift allzu heftig an meine Seele.«
Hiernach legte er die weiche Hand noch einmal auf ihr Haupt und wandte sich des Weges hinab, den er gekommen war.
Als er im Wandern noch einmal umschaute, sah er das Frauenbild aufgerichtet stehen und starr hinausblicken, nicht dahin, wo er ging, sondern auf das Meer, das ihn einst in die Ferne hinausgetragen.
43 Er kam nun wieder hinab zu seinem Wirthe Gaidari und fragte diesen sogleich sorgfältig aus, was er von der Jungfrau Marsilia wisse und wie sie ihm gefalle; denn es war ihm unterwegs ein besonderer Gedanke aufgestiegen, der auch Jenen betraf.
Gaidari aber erwiderte kurz und kühl:
»Ich weiß nichts Gutes von ihr zu melden; sie ist unter vielen Faulen im Lande die Faulste, unlustig zu allem Thun und nicht einmal munter genug, auf dem Markte die Käufer anzurufen; sie ist von Hause aus eine Träumerin.«
Marsilio ward betroffen über einen so übeln Leumund seiner Tochter und fragte:
»Sollte also ihre Mutter sie nicht gut erzogen oder ihr vielleicht auch selbst ein falsches Beispiel gegeben haben?«
»Nein,« versetzte Gaidari, »Jannula ist eine wackere Frau und würde ein gutes Muster für ihre Tochter sein; vielmehr ist für sicher zu erachten, daß diese den schlechten Hang als eine Erbschaft von ihrem landstreichenden Vater überkommen habe.«
Auf diese Rede wandte der geistliche Mann sich zornig ab und verließ mit flüchtigem Abschied den Gastfreund, der ihm verwundert nachschaute, sich 44 dann aber sogleich mit großer Hast an seine Arbeit begab.
Nach solchen Erlebnissen kehrte Marsilio endlich in die Stadt zurück, und nachdem er sich reichlich ausgeruht, erzählte er seinem vertrauten Diener Spiridon getreulich Alles, was ihm auf seiner Wanderfahrt begegnet war; denn er hoffte von dem gewandten Menschen einen brauchbaren Rath zu empfangen betreffs der Verheirathung seiner Tochter.
Dieser Spiridon aber war ein Schlaukopf, gewinnlustig und in allen Welthändeln durchaus gerieben. Derselbe hatte sich noch während sein Herr redete, hurtig sein besonderes Plänchen geschmiedet.
»Wie wäre es,« dachte er, »wenn du dieses Töchterlein selbst heirathen dürftest? Erstens ist es ehrenvoll und sehr vortheilhaft nicht allein für die Seele, sondern fast mehr noch für das irdische Theil, der Eidam eines fetten Kirchenlichtes zu sein, und zweitens ist das Persönchen hübsch, und auch dieses ist eine Eigenschaft, aus welcher ein kluger Ehemann manchen Gewinn herausschlagen kann, auch ohne seiner Ehre zu schaden, und drittens ist es überhaupt an der Zeit, daß ich ein seßhafter Mann 45 daheim werde und aus dem Dienste meines Herrn ungebüßt entkomme. Es könnte doch sein, daß er trotz der Trägheit seines Sinnes einmal einen Argwohn schöpfe und mir einen Theil meines redlichen Gewinnes wieder abjage. Denn bei aller Gutmüthigkeit ist er in dem Punkte so engherzig wie alle Dienstherren, daß er seinem Knechte keinen andern Lohn der Arbeit gönnt, als den er selbst ihm aus freien Stücken auszahlt, und doch beträgt derselbe kaum den zehnten Theil dessen, was ein geschickter Diener ohne Aufsehen erübrigen kann.«
Solche Gedanken gaben ihm Lust zu der Sache; doch fürchtete er ernstlich, eine Fehlbitte zu thun, und beschloß deshalb, lieber einen krummen Weg zu wandeln, der ihm ohnehin vertrauter und lieber war als der gerade.
»Es wird nicht ganz leicht sein,« sagte er deshalb bedächtig, »einen soliden Freier heranzulocken für ein Mädchen, dessen Vater sich ein wenig lange im Verborgenen hielt. Es käme also vor Allem darauf an, diesen Mangel durch ein sehr reichhaltiges Heirathsgut zu ersetzen.«
Marsilio nickte bestätigend, machte aber doch ein bedenkliches Gesicht. »Du weißt,« sagte er, »es 46 ist mit meinen jährlichen Einkünften so bestellt, daß ich sie immerdar bis auf den letzten Heller verausgabe und meist noch Etwas darüber; wie sollte ich also eine beträchtliche Summe für eine solche Aussteuer noch nebenher herbeizaubern, ohne mich in unziemliche Schulden zu stürzen?«
»Das ist nur zu wahr,« bemerkte Spiridon mit einer unschuldsvollen Miene; »es würde also nöthig sein, daß wir um des lieben Kindes willen uns eine Zeit lang etliche kleine Entbehrungen auferlegen, wie auch andere Väter thun, wenn ihre Töchter heirathsfähig werden. Wir könnten dann wohl gar Manches ersparen –«
Der Geistliche seufzte. »Das können wir. Das müssen wir. Ich sehe, es ist nothwendig. Allein wo sollen wir beginnen mit der Sparsamkeit? Ich finde bei schärfstem Spüren nichts, das wir entbehren könnten –«
»Wir könnten vielleicht ein Paar Dutzend neuer eingebundener Bücher oder kostbarer Handschriften jährlich weniger kaufen?«
»Mein Sohn, das wäre wider die Würde der Wissenschaft.«
»Oder wir könnten an den gemalten Bildnissen 47 Euer Hochwürden und schöner Frauen ein wenig sparen?«
»Sollen zehn gottbegnadete Künstler verhungern um eines Mägdleins willen?«
»Man könnte den Weingenuß bei den großen Gastmählern einschränken.«
»Soll ich, der ich ein Vorbild für Andere sein will, die gute Sitte mit Füßen treten?«
»So könntet Ihr selbst Euch ein Jahr lang des feinen Weines enthalten und Krätzer trinken.«
»Du bist ein Narr und ein Unverschämter. Ich bedarf der Stärkung in meinem schweren Amte, das ich zum Besten Anderer verwalte.«
»Dann müssen wir etwas Anderes ersinnen.«
»Ersinne es.«
Spiridon verstummte für eine Weile; dann sprach er ruhig:
»Ich habe es ersonnen.«
»So sprich.«
»Wir müssen die große Ausgabe für den Wein ersparen, das Geld für die Ausstattung verwenden und dennoch das köstliche Getränk uns auf andere Weise verschaffen.«
»So werden wir es stehlen müssen.«
48 »Da sei Gott vor, daß wir jemals Diebstahl oder Betrug begingen. Sondern wir wollen uns den Wein von den Freiern unserer Tochter selbst nach ihrem freien Willen ins Haus liefern lassen.«
»O, thörichter Schwätzer! Um Freier zu finden, bedürfen wir der Aussteuer, und um die Aussteuer zu erschwingen, bedürfen wir der Freier! Das ist für jeden Kenner der Logik ein circulus vitiosus, eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt, ein unlösliches Problema.«
»Welches Lob erhielte ich also, wenn ich das Unlösliche löse? – Ist es nicht richtig: je größer die Aussteuer sein wird, desto mehr Freier werden sich melden?«
»Ich zweifle freilich nicht daran.«
.,Wenn Ihr also von jedem Bewerber auf irgend eine kluge Weise eine gewisse Schatzung als Einlage erheben könntet, so würde der sichere Erfolg sein: je mehr Ihr bietet, desto mehr werdet Ihr empfangen.«
»Das ist listig erdacht und dennoch einem plumpen Verstande entsprossen. Glaubst Du denn wirklich, es würde einem Diener der Kirche würdig zu Gesichte stehen, mit Leib und Seele einer Christin, 49 nicht zu sagen der eigenen Tochter, ein Kaufgeschäft zu treiben, ja noch mehr, die seltene Waare gleichsam in einem Glücksspiel gegen einen Einsatz zu verloosen?«
»Wie sollte ich doch Euch, Herr, den ich kenne, einen so schändlichen Rath geben? Ihr mißversteht mich; verzeiht mir, daß ich meinen Vorschlag nicht in die richtigen Worte zu kleiden wußte; denn auf die Kleidung kommt, Ihr wißt es, hier wie beim Menschen Alles an. Höret also: ist es nicht Eure Absicht, für das Kind den besten und würdigsten Mann herauszusuchen, der auch zugleich bereit wäre, es zu nehmen?«
»So ist es.«
»Wie wollt Ihr den nun finden, da Ihr selbst im Lande fremd geworden seid und auf das Gerede der Leute wenig zu geben ist?«
»Darin eben liegt für mich die Schwierigkeit.«
»Nun also. Ihr müßt selbst die Leute auf eine Probe stellen, und wer sich in dieser als der Tüchtigste erweist, den wählet!«
»Ein seltsamer Einfall! Was aber sollte das für eine Probe sein?«
»Ist nicht der fleißigste und geschickteste Mann 50 der tüchtigste? Müßiggang ist aller Laster Anfang, der Fleiß aber nicht allein die Wurzel, sondern zugleich auch die Krone und Blüthe aller Tugenden. Wer fleißig ist, der hat nicht Muße, an Böses zu denken, wer aber faul ist, dem ruhet die Sünde vor der Thür. Sollte es nun schwer sein, den Fleißigsten zu erproben? Nein! Schreibet eine nützliche und große Arbeit aus: wer sie am Besten und Feinsten vollbringt, der ist der tüchtigste Mann, den Ihr sucht und der Eurer Tochter wahrhaft würdig wäre. Habe ich nicht Recht? Welche Arbeit ist aber zugleich so nützlich und erfordert so viel Fleiß und edle Sorgfalt, als die Erzeugung und feine Bereitung des Weines? Denn die Pflege dieses zarten Getränkes ist ein langwährendes Werk unablässiger Arbeit, und an dem Feuer und dem Duft des Erzeugnisses kann man gar leicht die Tüchtigkeit des Winzers ermessen. Derselbige Boden und dieselbige Traube gibt guten, mäßigen oder schlechten Wein je nach der Sorgfalt und Geschicklichkeit, mit welcher Alles von Anfang bis zu Ende behandelt wird.
»Thuet also folgendermaßen: machet im Volk der Insel bekannt, Ihr wollet ein Mädchen, das Ihr um ihrer Tugend willen lieb gewonnen habet, 51 mit einer glänzend reichen Aussteuer Demjenigen zur Gattin geben, der sich durch eine solche Probe als der Würdigste erweise. Zum Zwecke solchen Erweises aber solle im kommenden Herbst jeglicher Bewerber Euch ein Fäßchen selbstgewonnenen Weines einliefern, auf daß Ihr reiflich und mit aller Gewissenhaftigkeit prüfen könnet, welcher darunter den Preis verdiene.
»Ihr werdet nun bald sehen, daß die Freier sehr gerne diesen mäßigen Einsatz wagen werden, wenn Ihr nur ein stattliches Heirathsgut aussetzet: und so wird es Eurer Tochter an einem wackeren oder richtiger dem allerwackersten Manne nicht fehlen; Ihr selbst aber erhaltet Eure Auslagen unter der Hand zurückgezahlt, indem Ihr Wein genug für den Bedarf eines Jahres ins Haus bekommt und die Kosten für den Ankauf spart. Denn Ihr wißt auch, daß der Wein dieser Gegend von ausgezeichneter natürlicher Beschaffenheit ist, und wenn die Leute bisher auch zu träge waren, aus ihm etwas ganz Edles herauszuarbeiten, so wird das für diesesmal wenigstens anders werden. Aus all' diesem erseht Ihr schon, daß mein Vorschlag weder schändlich noch ungeschickt war, sondern höchst 52 geeignet, das Wohl Eures Kindes mit dem Eurigen weise zu paaren. Dazu will ich Euch noch zwei besondere Vortheile sagen; erstens: als einem Menschenkenner ist Euch bewußt, daß für uns Menschen oder doch für uns Laien jedes beliebige Ding, nach welchem wir Andere mit starkem Eifer trachten sehen, dadurch allein an Werth ungemein erhöht wird, wenn es auch sonst durchaus unverändert bleibt, woraus zu ersehen ist, daß auch Neid und Eifersucht etwas Gutes wirken können. Nun denket, wie hoch wird das Mädchen im Preise steigen und wie sehr künftig geehrt werden, wenn sich eine recht ansehnliche Zahl von Freiern zur Mitbewerbung herandrängt! Daß Ihr mir nur die Aussteuer nicht zu knapp bemesset! Denn es wäre Euer eigner Schade.
»Und zweitens habt Ihr Gelegenheit, an jenen thörichten Bauern, welche Euch der Faulheit zu bezichtigen die namenlose und fast wahnsinnige Dreistigkeit gehabt, eine anmuthige Rache zu nehmen, indem Ihr ihnen für diesen ganzen Sommer eine mühsame und für diese Faulen ohne Zweifel sehr betrübende Arbeit durch List aufzwingt, ohne daß sie doch nach aller Wahrscheinlichkeit zuletzt des 53 Lohnes theilhaftig werden. Das scheint mir eine hübsche und lustige Zugabe zu dem andern großen Gewinn.«
Als Spiridon diese seine lange und wohlgefügte Rede beendet hatte, fiel ihm der gute Geistliche vor Freude um den Hals, segnete ihn dreimal und erließ ihm seine zukünftigen Sünden auf ein Jahr hinaus.
Denn der Rathschlag leuchtete ihm so sehr ein, daß er beschloß, ihn ohne Verzug ins Werk zu setzen. Er hatte aber zugleich den stillen Gedanken: »Halt! So wird gewiß jener Fleißbold, den sie den Lastesel nennen, der Erkorene werden, und das ist gut; denn vermöge seiner Arbeitskraft wird es der zukünftigen Herrin seines Hauses an nichts mangeln, zumal er auch früher seiner Mutter sich als ein guter Sohn bewährt hat. Und wenn sein Fleiß zur Zeit noch etwas allzu Gewaltsames und Ungemüthliches hat, so besitzt dafür meine Tochter nach allem Anschein einen nicht minder großen Ueberschuß an Faulheit, also daß sie Beide einer Ergänzung ihrer Tugenden bedürfen und ein besonders wohlgefügtes Pärchen abgeben werden. Auch mag es leicht geschehen, daß im Laufe der 54 Zeit ihre entgegengesetzten Eigenschaften auf einander einwirken und sich ausgleichen, gleich wie eine heiße und eine kalte Flüssigkeit, in dasselbe Gefäß gebracht, einander durchdringen und sich so vermischen, daß sie gemeinsam eine mittlere Wärme gewinnen.«
Marsilio beauftragte also seinen Diener, sogleich alle Schritte zur Einfädelung dieser Sache zu thun und freute sich im Stillen schon des sicheren Erfolges.
Spiridon that eifrig, wie ihm geheißen war. Zu allererst freilich erkundigte er sich unter der Hand, wo die besten Weinberge im Lande zu finden seien; dann ging er hin, kaufte einen derselben, der ihm besonders glücklich gelegen schien, und setzte einen alten, sehr erfahrenen Winzer darauf, ihn mit aller Sorgfalt zu bearbeiten, indem er dem Manne für eine gute Ernte noch einen besonderen Lohn in Aussicht stellte. Zugleich aber schrieb er heimlich nach Malvasia um ein kleines Fäßchen des besten Levanteweins, mit dem er sein eigenes Erzeugniß zum Ueberfluß noch ein wenig zu veredeln gedachte.
Nach diesen Besorgungen ließ er durch einen Ausrufer die Botschaft des geistlichen Herrn 55 Marsilio durch das Land tragen und setzte zugleich einen Tag der nächsten Woche fest, an welchem die zur Wettbewerbung gestellte Jungfrau besichtigt werden könne. Denn auch dieses hielt Spiridon für nützlich, die Freier zu locken.
Auch erschien an diesem Tage wirklich, von Neugier getrieben, die unbeweibte Jugend der umliegenden Dörfer in hellen Haufen, und mit Erstaunen erkannten die von Gasturi in der feierlich vorgeführten ihre Marsilia, die Tochter der Jannula. Obschon sie aber ihnen Allen wohlbekannt war, so erschien sie ihnen doch plötzlich als eine ganz Andere und als eine so viel Schönere, daß sie dieselbe kaum noch für das nämliche Mädchen erkennen mochten.
Und allerdings war sie nun angethan mit neuen, sehr feinen und sauberen Kleidern, deren künstlicher Schnitt die Anmuth ihrer Glieder und den Liebreiz des Angesichts in das allerbeste Licht setzte. Auch stand sie nun hoch und keck, die herrlichen Flechten stolz um das Haupt geringelt und mit einem goldenen Bande durchflochten; die Lippen lächelten mit leiser Schalkheit, und aus den sammtenen Augen leuchtete ein neues Feuer heiteren Selbstbewußtseins.
56 Als die versammelten Jünglinge diese ganz reizende Person betrachtet hatten und dazu die Trefflichkeit ihrer Mitgift ernstlich bedachten, kam sogleich ein herrlicher Eifer über sie Alle, und es war kaum ein Einziger unter ihnen, dem nicht Arbeitsmuth und freudige Hoffnungen die Brust geschwellt hätten.
Wie die Bienen schwärmten sie in ihre Dörfer zurück, stürmten, ohne nur erst zu Hause anzukehren, Jeglicher in seinen Weinberg und begannen daselbst ein so heißes Hantieren und Wirthschaften mit Karst und Spaten, als wollten sie sich selbst unter ihren Weinstöcken begraben.
Und es ward ein Wetteifer ohne Gleichen im Lande diesen ganzen Sommer hindurch. An allen Enden blitzten die Winzermesser im Sonnenschein; die Reben sahen so glänzend und sauber aus, als ob jedes Blättchen täglich besonders polirt werde, dahingegen die Hände der munteren Arbeiter mit jedem Tage härter und schwieliger und ihre Gesichter dunkler gefärbt wurden. Denn sie waren allzumal mit dem ersten Sonnenstrahl aus ihren Betten, gruben, schnitten und begossen bis zum späten Abend, und wenn sie gar nichts Anderes mehr zu thun 57 fanden, trabten sie unermüdlich in ihrem Weingütchen herum und wogen von Stock zu Stock die einzelnen Trauben in der Hand, um ihr Wachsthum zu prüfen.
Und mit der Zeit empfand ein Jeder die Größe seines Fleißes so tief und lebendig in seinem Herzen, daß er nimmer zweifelte, er müsse alle Andern bei Weitem übertreffen und als belobter Sieger im Herbste den Preis davontragen.
Die stille Sonne aber, um welche sich alle diese flinken Gestirne drehten, die schöne Marsilia, saß inzwischen guter Dinge daheim, ganz der Schonung ihrer Hände hingegeben, und ließ sich mit den kleinen Gaben, die ihr Spiridon häufig von seinem Herrn überbrachte, so unschuldig ernähren, wie ein unflügges Vöglein von seinen Alten. Auch gedieh ihr die Ruhe und gute Nahrung vortrefflich, und ihre Schönheit nahm täglich zu; ihre Haut ward so weich und die Farbe ihres Angesichts so zart wie die einer Fürstin. Spiridon freute sich ihres häufigen Anblicks und benutzte die Gelegenheit, ihr fleißig den Hof zu machen; denn es schien ihm für alle Fälle gut, auch ihre Gunst zuvor zu gewinnen, da es ihm nicht unbekannt war, daß die jüngsten 58 Mädchen manchmal urplötzlich ihren Kopf für sich bekommen und die feinsten Fäden mit einem eigensinnigen Nein durchkreuzen. Und indem er hier den guten Bauerjungen, welche sich nicht im Mindesten um Marsilia's Gunst oder Ungunst kümmerten, einen kräftigen Vorsprung abgewann, reifte ihm zugleich auf seinem heimlichen Weinberg unter der Hand des kundigen Alten seine Hoffnung der schönsten Ernte entgegen.
Nun gab es jedoch noch einen jungen Menschen im Dorfe Gasturi, dem ein ganz andersartiges Schicksal bescheert war, als allen seinen Genossen: das war Artemisios, der Lastesel.
Derselbe hatte sich mit den Andern gleichmüthig zu der öffentlichen Brautschau hinbegeben, nicht sowohl um das Mädchen, das er von Ansehen leidlich kannte, als um die gute Zugabe zu besichtigen.
Es ist aber eine Eigenthümlichkeit des menschlichen Sinnes – sei es nun ein Vorzug oder ein Mangel, – daß er ein und dasselbe Ding je nach den begleitenden Umständen mit ganz verschiedenen Augen anzuschauen vermag. Als Gaidari von dieser Fahrt zurück kam, war ihm zu Muthe, als sei eine zweite Sonne am Himmel aufgegangen, welche 59 die altgewohnte Begleiterin seiner Tagesmühen an Glanz und Wärme noch um ein Erhebliches übertreffe. Und auch noch in einem besonderen Betracht glich das neue Gestirn der Sonne: wie man in diese nicht voll hineinsehen kann, ohne lange Zeit nachher noch ihr Abbild im Auge zu tragen, für andere Gegenstände aber geblendet zu sein, so sah dieser einzig das Bild des schönen Mädchens überall vor sich herschweben; für all die nützlichen Dinge aber, auf die er sonst geachtet, schien er blind geworden zu sein.
Gleich einem betrunkenen Manne kehrte er nach Hause zurück und aß sein einsames Mahl ganz langsam und mit nachdenklichen Pausen, ohne irgend eine Arbeit dazwischen vorzunehmen. Und auch wie ein vom Wein Berauschter immerfort nach neuem Trunk begierig ist, als ob die schrecklichste Nüchternheit ihn jäh zu überrumpeln drohe, so genoß er zum ersten Mal hastig schlürfend reichlicheren Wein und gerieth dadurch erst ganz in eine schwindlig beseligte Stimmung, welche sogar die ganze Nacht hindurch nachwirkte und ihm die köstlichsten Träume voll leuchtender Mädchenbilder bescheerte.
Als er am Morgen erwachte, stand die Sonne 60 schon hoch am Himmel, und es erfand sich, daß er zwei Stunden länger geschlafen hatte, als sein Gebrauch war.
Vom Triebe der Gewohnheit geleitet und zugleich des neuen Zweckes sich bewußt werdend, begab er sich hurtig zur Arbeit in seinen Weinberg. Als er jedoch hier den ersten Spatenstich that, erinnerte ihn die schwarz aufquellende Erde in merkwürdiger Weise – denn die Aehnlichkeit war sehr gering – an das lockig schwarze Haar der Marsilia, und er hielt ein Weilchen in der Arbeit inne, um das ihm herrlich aufgehende Bild so lange als möglich vor den inneren Blicken festzuhalten. Zu diesem Zwecke schloß er die leiblichen Augen, und es gelang ihm sein Streben auf das Trefflichste: er sah die anmuthvolle Gestalt so klar, wie sie gestern leibhaftig vor ihm gestanden; sie bewegte sich sogar, lächelte, sprach, nickte ihm zu, scherzte und begegnete ihm zuletzt so lieblich, wie er es kaum von einer erklärten Braut hätte verlangen können. Das gefiel ihm sehr, und er hütete sich wohl, die Augen voreilig wieder aufzuthun. So stand er über den Spaten gelehnt wohl eine Stunde lang, ohne weiter einen Stich zu thun.
61 Endlich begann ihn der Rücken zu schmerzen; das Traumbild entfloh; er that die Augen auf und sah vor sich in die aufgeworfene Scholle. Nun erschien ihm diese plötzlich ganz widerlich, recht wie ein häßliches Zerrbild der dunkeln Lockenfülle, und vor Widerwillen vermochte er es nicht über sich, diese Art der Arbeit fortzusetzen.
Er warf den Spaten von sich und nahm sein krummes Messer, die Weinstöcke zu beschneiden. Doch ehe er sich dessen versah – vielleicht daß die schmiegsame Rebe ihn an ein anderes schlankes Geschöpf denken ließ – war die Erscheinung wieder da und ließ sich nicht abweisen. Diesmal setzte er sich gleich etwas bequemer mit dem Rücken gegen einen Erdhügel, und so währte denn sein harmloses Glück um ein Beträchtliches länger als zuvor. Zuletzt war es sein Magen, der ihn zum Irdischen wieder erweckte.
Er ging ins Haus und aß; da er aber, der gestrigen Freuden gedenkend, wieder Wein trank, so blieb er nicht nur eine köstliche Weile müßig sitzen, sondern legte sich am Ende gar auf das Lager, um seine Träume voller zu genießen.
Als er aufwachte, war es später Nachmittag 62 und fast Abend. Er sah ein, daß es überflüssig sei, heute noch einmal die Arbeit zu beginnen, und verschob das Werk auf den folgenden Morgen.
Am nächsten Tage erging es ihm jedoch fast noch schlimmer. Seine Augen blieben geblendet und bezaubert und sahen über allen Dingen und in allen Dingen ein verführerisches Köpfchen schweben. Es kam aber dazu eine drangsalvolle Sehnsucht, das schöne Geschöpf selbst noch einmal leibhaftig vor sich zu sehen und die Bilder seiner Seele dadurch aufzufrischen. Nach kurzem Kampf überließ er seine Reben dem Segen des Himmels und eilte pochenden Herzens in die Nähe des Hauses der Jannula.
Nach etlichen Stunden vorsichtigen Anschleichens und Umherspähens hatte er das Glück, hinter einem Baume versteckt die ersehnte Gestalt in anmuthig trägem Gange an sich vorüberwandeln zu sehen, während ihre Hand lässig mit einer wilden Rose spielte.
Nun war er so volltrunken von Glück und Schönheit, daß er für die nächsten Tage ganz und gar untauglich war zu irdischen Dingen. Doch auch die selige Ruhe der ersten Traumesstimmung war von ihm gewichen, ein unbestimmtes Verlangen 63 trieb ihn, tagelang rastlos über Berg und Thal zu wandern, wobei ihn seine Füße alle Mal zuletzt an dem Häuschen der Jannula vorübertrugen. Die einzige Arbeit, welche er dabei vollbrachte, war die, daß er sich nach jeder Blume am Wege bückte und sie mit sich nahm, nicht zu irgend einem Zwecke, sondern weil ihn alles Farbige und Duftende an die Herrin seiner Gedanken mahnte. So geschah es, daß er an jedem Abend einen so ansehnlichen Strauß mit nach Hause brachte, daß er damit bequem eine Ziege hätte ernähren können.
Eine so wunderbare Verkehrung seiner Lebensweise mußte nach dem Lauf der Dinge nothwendig sehr bald unter den Leuten ruchbar werden, und sie blickten mit vielem Kopfschütteln auf den unbegreiflichen Sonderling, noch mehr aber mit Vergnügen, weil der allergefährlichste Nebenbuhler im Wettfleiß so offenbar sich selbst freiwillig des Preises beraubte. Darum hüteten sie sich auch weislich, ihn zu hänseln oder ihm laut einen neuen Spottnamen zu geben; heimlich aber sagten sie: »Er gleicht auch jetzt wieder dem Esel, welcher nicht um eines edlen Zieles willen arbeitet, sondern einzig, weil der Knüppel ihn zwingt, ohne diesen aber 64 das trägste aller Geschöpfe ist.« Nur welche Art Knüppel ihn früher gezwungen habe und wie er desselben jetzt ledig geworden, das vermochten sie sich nicht zu deuten.
Es konnte nicht fehlen, daß durch solche Gespräche und eigene Wahrnehmungen auch Marsilia's Aufmerksamkeit erregt wurde.
Die Entdeckung machte ihr jedoch keineswegs ein besonderes Vergnügen, sondern weckte im Gegentheil ihren ernsten Unwillen. Nicht daß sie sich zu irgend einer Zeit mehr um diesen Mann gekümmert als um alle andern oder gar eine Vorliebe für ihn gehegt hätte; aber es war nur zu deutlich, daß dieser Eine unter so Vielen sich mit böslicher Absicht dem allgemeinen Wettkampfe entzog, und dafür vermochte sie beim besten Willen keinen anderen Grund aufzufinden als eine gröbliche und wahrhaft kränkende Mißachtung ihrer eigenen Person.
Nachdem sie erst ein wenig vor Zorn geweint hatte, beschloß sie, sich diesen Menschen doch einmal etwas genauer aus der Nähe zu betrachten, ob er denn etwa ein so ganz einziges und auserlesenes Menschenkind darstelle, daß ein derartiger Hochmuth entschuldbar sei. So faßte sie ihn bei der nächsten 65 Begegnung ernsthaft ins Auge; doch da geschah es ihr: sie konnte es sich selbst nicht leugnen, so gern sie auch wollte, daß Wuchs und Antlitz desselben ihr angenehmer erschien als Spiridon's und der andern Freier.
Durch diese Erkenntniß ward ihre Stimmung keineswegs gebessert, vielmehr begann sie, heimlich darüber nachzudenken, wie sie es etwa anstellen könne, diesen Widerspenstigen zu einer anständigen Sinnesart zu bekehren.
Da ihr nicht gleich Etwas einfiel, weinte sie sich noch einmal aus, und dann warf sie ihren ganzen Haß auf ihn und beschäftigte sich fortan tagelang einzig mit dem Gedanken an ihn und wie sie ihn bestrafen und demüthigen könnte.
Endlich kam ihr eine etwas hellere Erleuchtung. Sie benutzte eine Stunde, da sie ihn wie sonst hatte in die Berge wandern sehen, und beschloß, sich mit Augen von dem Zustande seines Weinbergs zu überzeugen. Da fand sie denn Alles so verwildert und ungepflegt, wie sie es gefürchtet hatte; die Blätter und Ranken waren ausgewuchert, strotzten in Saft und verbreiteten einen derben Schatten über die Trauben, denen dadurch auch die Sonne außer dem Saft entzogen war, so daß sie ein dürftiges Ansehen 66 zeigten und schwerlich im Stande sein konnten, im Herbst einen preiswürdigeren Wein als den schäbigsten der landläufigen Krätzer zu ergeben.
Niedergeschlagen durch diese Bestätigung ihrer Sorge ging sie einige Schritte weiter über den Weingarten hinaus auf das Haus zu: da fand sie an der Stelle, wo sonst der Misthaufen zu liegen pflegt, einen ansehnlichen Berg frischer und vertrockneter Blumen.
»Was ist das?« dachte sie erstaunt, »was will er mit diesem Zeuge? Gedenkt er etwa, ein Tausendblumenwasser herzustellen. das den besten Wein an Duft überträfe, und sich auf solche Art den Preis zu erlisten?«
Allein sie erkannte bald den Irrthum dieser Vermuthung, weil man ein solches Duftwasser wohl riechen, aber nicht trinken kann. Vielmehr führte ihr kluges Herz sie binnen Kurzem sehr nahe an die ahnende Erkenntniß des wahren Zusammenhangs. Diese Ahnung machte sie zugleich lachen und weinen, und sie wußte sich selbst in ihren Meinungen darüber nicht mehr zurechtzufinden. Darum beschloß sie, ihren Freund Spiridon als einen gewitzten Menschen darüber zu Rathe zu ziehen.
67 Spiridon lachte, als sie ihm ihre Beobachtungen mittheilte, und weil sie sich in unfreundlichen und höhnenden Ausdrücken über den Gaidari erging, fürchtete er keine Gefahr von dieser Seite und sagte:
»Der Mensch ist offenbar bis über die Ohren in Dich verliebt.«
Dieser Bescheid ging ihr so lieblich ein, daß sie selbst darüber erstaunte; doch sie fragte weiter:
»Wie könnte er in diesem Falle ein so ungeheurer Narr sein, daß er gar nichts thäte, um mich zu gewinnen, da dies doch in seine Hand gegeben ist?«
»Vielleicht gehört er auch zu den ganz Klugen und Vorsichtigen,« meinte Spiridon, »welche sich damit begnügen, den Duft der Rose zu genießen, ohne ihren Dorn kosten zu wollen. Denn es gibt Männer, welche sich zwar gern verlieben und die Süßigkeit dieses köstlichen Gefühls ausschmecken mögen, aber keineswegs zu einer ehrlichen Ehe zu schreiten geneigt sind, weil diese allerdings nach Aussage vieler glaubwürdiger Personen nicht so sehr einem Paradiese, wie die Liebe, als vielmehr einem läuternden Fegefeuer und nicht selten auch einer rechten Hölle zu vergleichen ist. Darum fürchten 68 sich die Männer immer ein wenig vor ihr, woraus man sehen kann, daß sie mit Unrecht das starke oder muthige Geschlecht genannt werden; denn fast niemals zeigen die Männer einen so ungestümen Wagemuth, sich in die Gefahren der Ehe zu stürzen wie die Frauen, trotz all ihrer angeborenen Zartheit und sanftmüthigen Schwäche. Wer freilich wie ich nicht nach dem Angenehmen trachtet, sondern nach dem Guten, dem wird eine solche Furcht vor der Ehe immer fremd bleiben.«
Marsilia achtete nicht auf die listige Schalkheit seiner Rede, sondern dachte einzig mit verstärktem Groll an den Gaidari und wie sie ihm zur Strafe einen guten Schabernack spielen könnte. Davon sagte sie jedoch dem Spiridon nichts, sondern machte ihren Plan still für sich.
Am andern Tage schlich sie zum andernmal in den Weingarten des Artemisios und begann daselbst ein absonderliches Treiben. Sie trug ein Winzermesser in der Hand und gab sich mit einem gewaltigen Eifer daran, die vernachlässigten Weinstöcke zu säubern und zu beschneiden.
»Noch ist nicht Alles verloren,« sagte sie dabei, »der frühere Fleiß dieses Mannes kommt dem Boden 69 zu Gute, und es ist möglich, daß die Trauben noch wieder zu Kräften kommen, wenn sie mit rechter Sorgfalt verpflegt werden.«
Nun wurde ihr diese Arbeit zwar sehr schmerzlich sauer; sie seufzte vielmals bitterlich und ließ die weichen Hände verzweifelnd in den Schoß sinken, aber sie raffte sich immer wieder gewaltsam auf, als würde sie durch eine geheime Kraft von innen heraus zum Werk getrieben. Ehe sie es sich versah, stand sie immer wieder gebückt vor einer Rebe, schnitt und schnitt, daß die Blätter und Ranken nach allen Seiten flogen und bald der Boden umher mit einem raschelnden Gewirre bestreut war. So schaffte sie emsig weiter den ganzen Tag hindurch bis gegen die Dämmerung, nicht ohne zu guterletzt das Messer zornig zur Erde zu werfen, alle Arbeit bis an ihr Lebensende zu verschwören und den Faulpelz Gaidari mit den bittersten Worten laut zu schmähen.
Am andern Morgen kam sie aber doch wieder und ließ nicht ab von ihrer sauren Bemühung von Tag zu Tage, obgleich ihr häufig große Thränen auf die vom Schlingwerk befreiten Trauben niederfielen.
Es ist jedoch möglich, daß grade diesen warmen 70 Thränen eine besonders befruchtende Kraft innewohnte; denn wie es oft mit Kindern ergeht, daß sie, durch Krankheit im Wachsthum zurückgehalten, plötzlich um so kräftiger auslegen und das Versäumte in kurzer Frist nachholen, so geschah es auch an den Trauben des Gaidari. Sobald sie wieder Sonne und Saft bekamen, quollen sie herrlich auf, und schon nach etlichen Wochen ward Marsilia's Arbeit von sichtlichem Erfolge belohnt.
Da hüpfte ihr das Herz vor Freude, und sie rief ganz laut, indem sie dazu mit den Händen klatschte:
»Ei, warte, Du Tolpatsch! Das wird eine lustige Ueberraschung für Dich, wenn wider Dein Wissen und Wollen Dein Wein den Preis gewinnt! Das wird ein Vergnügen, Dein entsetztes Gesicht zu sehen, wenn es plötzlich heißt: Nun hurtig ins Joch der Ehe hinein! Aber natürlich, wenn ich Dich dann eine tüchtige Weile geängstigt habe, sage ich: Nein, ich will Dich nicht! Und dann bist Du der Beschämte und Verschmähte statt meiner! Dieser Tag soll wahrlich das schönste Fest meines Lebens werden!«
Während dessen lebte Gaidari ahnungslos 71 immerfort in ungemischter Faulheit und vermied seinen Weinberg auf das Aengstlichste; sobald er ihn auch nur von ferne erblickte, empfand er einen heftigen Stich im Herzen und nagende Reue, daß er aus eigener Schuld sein Glück versäumt hatte; denn er verzweifelte schon lange an der Möglichkeit, jetzt noch etwas wieder gut zu machen, wenn er auch die Kraft dazu besessen hätte. So merkte er durchaus nichts von Marsilia's keckem Unterfangen, und der Sommer ging ihm herum wie ein Traum.
Als nun der Herbst sich nahte, entsann sich Marsilia, daß sie sich wohl auf die Pflege des Weinstocks, aber sehr wenig auf die Kelterung und die feine Bereitung des flüssigen Saftes verstand, und sie ging deshalb wiederum ihren Freund Spiridon um Rath an. Sie sagte ihm aber auch jetzt nicht die Wahrheit, vor deren Offenbarung sie eine wundersame Scheu empfand, sondern gebrauchte eine List.
»Ich habe mir etwas Neues erdacht,« sagte sie. »Ist es denn recht und schön, daß ich mich wehrlos soll verloosen lassen, ohne ein Wort mitsprechen zu dürfen, ob mir der Ehemann gefällt oder nicht? Es könnte doch sein, daß mir ein Anderer lieber wäre, als der, welcher mich gewinnt 72 aus keinem andern Grunde, als weil er den besten Wein zu bauen versteht, und doch hat diese Kunst gar nichts mit der Zuneigung und Freundschaft des Herzens zu thun. So bist Du mir, um ein Beispiel zu nennen, seit Langem ein guter Freund gewesen, aber ich glaube nicht, daß Du darum auch ein guter Weinküfer sein würdest, denn Du hast von Hause aus dieses Handwerk nicht gelernt, sondern ein anderes und feineres.«
Spiridon schmunzelte vergnügt bei diesen ihren Worten und zweifelte nun nicht mehr, daß er die ganze Zuneigung ihres Herzens gewonnen habe. Sie aber fuhr fort:
»Da ich jedoch nun einmal meine Einwilligung zu diesem Handel gegeben habe, so will ich auch ehrlich bei meinem Worte bleiben und kein Aergerniß geben. Ich meine aber dennoch ein Mittel zu wissen, mich auch so nach meinen Wünschen aus der Sache zu ziehen, indem ich nämlich selbst als Mitbewerber aufstehe und, wenn Gott und ein Freund mir hilft, den Preis erhalte. Ich besitze einen kleinen Weinberg, den ich fleißig bearbeitet habe und dessen Trauben nun reif sind; doch von der Kunst des Kelterns, Gährens und Klärens und Allem, was daraus folgt, 73 verstehe ich nichts und bitte Dich deshalb, mir einen Rathgeber zu suchen, mit dessen Hilfe ich meinen Plan nach Wunsch vollenden könne. Es ist aber offenbar: wenn mir der Preis zugesprochen wird, so habe ich damit die freie Bestimmung über meine Hand gewonnen, an die Keiner mehr Anspruch hat; es steht also darnach in meiner Macht und Freiheit, mir denjenigen zum Manne zu wählen, der mir am Besten gefällt und mir die meiste Freundschaft erzeigt hat.«
»Tausend Wetter!« dachte Spiridon, »ist dies ein gewitztes Köpfchen! Dieses ihr sauberes Plänchen gefällt mir um so mehr, als ich selber dabei unzweifelhaft der Gewinner bin. Denn daß sie mich wählen würde und keinen Andern, hat sie mir gar deutlich zu verstehen gegeben, und es ist dies offenbar eine viel schönere Art, in ihren Besitz mit der Aussteuer zu kommen, als wenn ich selbst mit meinem Weine den Sieg erringe. In diesem Falle könnte mein Herr mich vielleicht doch zuletzt als einen unrechtmäßigen Mitbewerber zurückweisen, wenn er etwa grade über ein fehlendes Schmuckstück oder Geldsümmchen übler Laune ist: wie aber, wenn sie selbst mit aller Gewalt mich haben will 74 und das Recht zu wählen sich ehrlich erworben hat, was will er dann machen? – Es ist Alles in Ordnung, und ich darf die schöne Person bereits als mein eigen betrachten!«
Nach dieser klugen Erwägung sprang er ihr sogleich mit allem Rathe bei, und verrieth ihr auch die treffliche List, die er für sich selbst mit dem kostbaren Malvasiawein ersonnen hatte. Und er verhieß ihr, das ganze Faß, das er hatte kommen lassen, ihr zuzustellen, da könne der Sieg ihr gewiß nicht entgehen. Er selbst verzichte auf den Wettbewerb, da er sehe, daß es ihr nicht genehm sei, in solcher Art zur Gattin gewonnen zu werden. Kein anderer Grund in der Welt, fügte er bedeutend hinzu, würde ihn je zu solcher Entsagung vermocht haben. –
Nun kam mit all' seinem goldenen Gepränge der Herbst ins Land. Für die arme Marsilia ging jetzt erst die Fülle der Arbeit an, da sie Alles allein und im Geheimen vollbringen mußte, das Lesen der Trauben, das Stampfen, Keltern, Packen, Gießen, Mengen, Schwenken, Schwefeln und so fort. Es ging ihr aber selbst schon sehr viel leichter von der Hand, weil sie das Ziel so nahe vor Augen sah, ihre Kräfte durch Gewohnheit sich gestählt hatten 75 und ihre Hände die allzugroße Zärtlichkeit bereits eingebüßt hatten. So kam die wackere Küferin denn endlich soweit, daß sie den Malvasier, welcher gewaltig duftete, zu dem eigen gebauten Weine ins Fäßlein goß und dann mit fröhlichen Hieben den Zapfen ins Spundloch schlug. Damit hatte sie ihr großes Werk vollbracht und konnte der Dinge warten.
Inzwischen, während die Fässer allerorten gefüllt und der Kreislauf der Winzerarbeit vollendet wurde, waren auch die Verhandlungen zwischen beiden Kirchen nach unzähligen Collocutionen, Disputationen und Poculationen zum völligen Scheitern gediehen, und Marsilio rüstete sich zur Heimkehr nach Venedig.
Zuvor aber hatte er noch die Angelegenheit seiner Tochter zu erledigen, die ihm bei der Masse und Wichtigkeit seiner Amtsthätigkeiten fast ganz aus den Augen entschwunden war. Jetzt aber gedachte er, die Sache zu einem schönen Fest zu gestalten, um ihr eine größere Würde und Weihe zu geben und zugleich von den Amtsbrüdern aus dem feindlichen Lager einen anständigen Abschied zu nehmen. Er lud deshalb die Vornehmsten von ihnen zu einem großen Gelage in seinen Palast, und Spiridon verstand es, Alles auf das Pünktlichste anzuordnen.
76 Mit Verwunderung sahen die geistlichen Würdenträger, als sie hereinwallten, im Saale siebenundsiebenzig artige Fäßlein aufgeschichtet und erfuhren ohne Verdruß, daß sie berufen seien, dieselben sammt und sonders auszuproben und gemeinsam mit ihrem Wirthe den besten Trank herauszuschmecken.
Sie machten sich sogleich mit Freuden an die Arbeit, und es ward an diesem Tage der Beweis erbracht, daß die zwei getrennten Glieder der christlichen Kirche bei aller Meinungsverschiedenheit doch aufs Schönste zu guten Dingen zusammenzuwirken vermögen. Es ward eins der einträchtigsten und heitersten Gastmähler, davon man im Lande Korfu je vernommen. Keiner aber war vergnügter als Marsilio, denn noch nie war es ihm vergönnt gewesen, so viele Brüder mit so geringen Unkosten zu tränken.
Er wie alle Andern probten die siebenundsiebenzig Fässer gewissenhaft durch, indessen sechsundsiebenzig Freier draußen im Hofe standen, lagen und hockten, jeglicher mit munterem Hoffen der Entscheidung harrend. Der Letzte aber, nämlich Artemisios, ward vermißt, und die Andern lachten herzlich über den Tropf, der sich nach unendlichem, nutzlosem 77 Fleiße im unrechten Jahre dem Nichtsthun ergeben hatte. Sie wußten aber nicht, daß auch unter seinem Namen ein Fäßlein gekommen war, denn Keiner hatte es bringen sehen. Marsilio aber richtete von vornherein seine besondere Aufmerksamkeit auf eben dieses, weil er dem angeblichen Absender das Beste zutraute, und empfahl es auch den Brüdern: und siehe da, ihre Hoffnung ward nicht zu Schanden; es entquoll diesem Spunde ein Wein von so großem Feuer und so würziger Blume, wie sie noch kein einheimisches Gewächs getrunken hatten.
In eben diesen Stunden aber saß jener Artemisios in sich selbst gebückt auf der Schwelle seines Hauses und überlegte, welche Weise die beste sein würde, seinem unseligen verlornen Leben ein Ende zu machen. Zuletzt schien es ihm das Gerechteste, sich mitten in seinem Weingarten mittelst einer recht biegsamen Rebe aufzuhenken, weil er doch gerade an seinen Weinstöcken gesündigt und sich dadurch selbst aller Lebenshoffnung beraubt hatte.
So beschritt er seit all' den Monaten zum erstenmal wieder seinen Weinberg, um sich eine zweckentsprechende Ranke auszusuchen. Da entdeckte er mit gewaltigem Staunen, daß es in seiner vergessenen 78 Pflanzung aussah wie in einem Putzstübchen, Alles blank und sauber, wie er nur selbst es früher gehalten, und überdies alle Stöcke der Trauben längst entledigt.
Diese Ueberraschung weckte in ihm einen heftig auflodernden Zorn und erlöste ihn aus der träumerischen Versunkenheit endlich wieder zu einem überaus starken Thätigkeitsdrange, welchem er ohne Zaudern Genüge zu thun beschloß. Die Arbeit aber, welche er sich als die letzte vor seinem schmerzlichen Ende vorgesetzt hatte, war keine andere, als denjenigen, der ihn so schamlos bestohlen hatte, mit allen Kräften seiner guten Fäuste durchzubläuen und ihm solcherart Wermuth in den Preiswein zu schütten.
So schnitt er die biegsame Rebe vorerst zu diesem neuen Zweck und rannte damit spornstreichs in die Stadt, woselbst er athemlos ankam und mit rollenden Augen unter den Haufen Derer trat, welche im Palasthofe des Marsilio harrten.
Es fügte sich aber, daß im gleichen Augenblick aus dem Innern des Hauses ein jubelnder Lärm ertönte und gleich darauf Spiridon heraustrat, um die Bauern in den Saal zu bescheiden, woselbst sie den Spruch der weinkundigen Richter vernehmen sollten.
79 Gaidari drängte sich hurtig mit den Allerersten hinein, indem er das ernste Gelübde that, denjenigen, der den Preis erhaschen würde, als den ertappten Dieb zu betrachten und ihm im Angesichte der römischen und griechischen Geistlichkeit mittelst seiner schlanken Rebe unverzüglich zu einem Brauttanz aufzuspielen.
Zugleich mit den Freiern ward auch die Braut von zwei Mädchen hereingeführt. Sie war wunderschön gekleidet und geschmückt; ihre Wangen aber brannten von einem herrlichen Roth, und in ihren Augen sprühte eine zornige Freude; denn sie letzte ihr Herz an der nahen Lust, den böslichen Verschmäher ihrer Hand mit ungeheurer Ueberraschung erst zum Schein zu erheben und dann um so tiefer zu demüthigen. Durch diesen feurigen Ausdruck ihrer Augen ward ihre Schönheit noch um ein Merkliches erhöht, wie wenn ein glänzendes Glas von der Sonne durchleuchtet wird.
Während nun Alles im Schweigen athemloser Erwartung stand, trat Marsilio feierlich vor die Schar der geistlichen Herren und verkündete mit lautschallender Stimme: Nach einstimmigem Urtheil verdiene das Fäßlein, welches den Namen Artemisios 80 von Gasturi trage, den Preis vor allen andern, und so werde denn hiemit genanntem Jünglinge in aller Form das Recht zuerkannt, die schöne Braut mitsammt der Mitgift heimzuführen.
Nach dieser Verkündigung trat zuerst ein erstauntes Umherblicken und ein Verstummen ein; Niemand aber konnte so überrascht und verwundert blicken als Artemisios selber, dem so plötzlich wie vom Himmel her das ungehoffte Glück vor die Füße fiel, in der nämlichen Secunde noch, da er das Gelübde that, eben diesen Gewinner des Glückes mit einer Weinrebe zu mißhandeln. Allein obgleich er von dem Zusammenhange dieser Ueberraschung auch nicht das kleinste Fädchen entdecken konnte, so gewöhnte er sich doch mit stürmischer Geschwindigkeit an den Gedanken, daß wohl um seinetwillen auch einmal ein himmlisches Wunder geschehen könne, und stand in wehrloser Glückseligkeit vor den geistlichen Herren, für die es ja freilich keine so absonderliche Verrichtung war, sich mit Wundern abzugeben.
Nun hatte auch Marsilia mit etlicher Verwunderung entdeckt, daß der Jüngling selbst anwesend sei, und ihr allererster Gedanke war: »Halt, das ist ein trefflicher Zufall, daß ich ihn gleich in 81 Person zausen kann!« Zugleich aber überfiel sie ein starkes Zittern, ihr Gesicht ward bläßlich, und alle Geisteskraft schien von ihr zu weichen, wie es galt, ihr schön geplantes Vorhaben keck ins Werk zu setzen. Und wie sie ihn nun dastehen sah mit herrlichen Blicken und die höchste Glückseligkeit sichtbarlich all' seine Züge durchleuchtete, da ward sie ganz verwirrt und verlor den Glauben an ihre eigenen Gedanken.
Indessen war es geschehen, daß die übrigen Freier sich von der ersten Ueberraschung wieder gesammelt und besonnen hatten, und sie fingen an, laut und sehr zornig zu murren.
»Wie soll das zugehen?« riefen sie empört. »Von diesem Menschen wissen wir Alle und haben täglich mit Augen gesehen, daß er unermeßlich faul gewesen ist den ganzen Sommer hindurch und hat auch während der Ernte immerfort nur müßig herumgelungert, wie darf der also den Preis empfangen, der dem Fleißigsten zugesagt ist? Wie kann er einen guten Wein erzeugt haben, da er überhaupt keinen Wein bereitet und nicht einmal die Trauben gelesen hat? Er ist ein Betrüger, der sein Faß entweder gestohlen oder wider den Vertrag von einem Andern 82 käuflich erstanden hat. Wir lassen es nimmermehr geschehen, daß dieser Schleicher seines Raubes genieße!«
So drohten sie mit Lärm und wild geschwungenen Fäusten, und die Tapfersten packten ihn schon.
Da schrie Marsilia laut auf, machte sich hastig Bahn durch die tobende Menge und warf sich mit feurigem Muth vor den bedrohten Mann, ihn zu schützen. Und als vor ihr die Dränger ein wenig wichen, fiel sie weinend dem geistlichen Marsilio zu Füßen und bat ihn herzlich, ihr im Geheimen einen Augenblick Gehör zu schenken.
Lächelnd bewilligte er das seinem Kinde, und nachdem er zuvor durch einen strengen Wink den Artemisios vor seinen Feinden gesichert hatte, legte er in einem traulichen Winkel sein Ohr an ihren Mund. Und sie beichtete ihm Alles, wie es zugegangen war, und wie sie es angestellt hatte, den Jüngling zum Gewinnen des Preises zu zwingen, den ihm seine träumerische Trägheit unfehlbar entzogen haben würde. Sie offenbarte ihm auch den großen Zorn, den sie wider Jenen empfunden habe und noch empfinde, doch vergaß sie in der Verwirrung des Augenblicks hinzuzufügen, welche Absicht sie hege, 83 den verdienstlosen Sieger nunmehr zurückzuweisen und öffentlich zu verschmähen.
Der kluge Marsilio begriff Alles genau in seinem innern Grunde, sowohl die Faulheit des Fleißigen als auch den zornigen Fleiß des trägen Kindes, und beschloß, mit kluger Rede, die ihm verliehen war, Alles zum Rechten zu führen. Darum nahm er das Mädchen an der einen Hand, ergriff vortretend den Artemisios mit der andern und sprach vor den versammelten Bauern also:
»Ihr habt dem Scheine nach Recht, meine Freunde, wenn Ihr diesen Euren Genossen des Unfleißes bezichtiget, und seid doch in Wahrheit völlig im Unrecht. Denn trotz Allem, was Ihr zu wissen meint und gesehen habt, ist er der Fleißigste von Euch Allen gewesen, nur hat er in einem andern Weinberge gearbeitet und in demselben so süße Frucht erzielt, daß deren Duft ihn, wie wir hoffen, durch sein ganzes Leben begleiten wird. Und dieses eben war der Weinberg und der Wein, den ich meinte, da ich den Preis aussetzte. Sehet, was Ihr an Arbeit gethan habt, das hättet Ihr gewiß auch geleistet um den Gewinn eines schönen Pferdes oder eines köstlichen Mastschweines; es ist also nichts gar 84 Sonderliches, was Ihr vollbracht habt, ob es schon an sich löblich ist: Jener aber hat all seinen großen Fleiß, den Ihr kanntet, da er ihn an geringere Dinge wandte, jetzt vielmehr mit verständiger Wandlung auf etwas viel Besseres gerichtet, nämlich auf das redliche Bemühen, das heilige Gefühl der Liebe in seinem Herzen zu pflanzen und noch sorgsamer auszupflegen, als Ihr andern Eure irdischen Weinstöcke gepflegt habt. Und nicht in seinem eigenen Herzen allein; sondern er hat es auch verstanden, noch ein anderes Erdreich aufzulockern und herrliche Reben darin zu bauen, nämlich in der Seele dieses guten Mädchens, um welche Ihr andern Euch so wenig bekümmert habt als um Eure eignen Seelen.
»Obgleich er aber also, wie es Euch harten Köpfen nun klar sein muß, mit seinem scheinbaren Unfleiße das bessere Theil erwählt hat, ist es ihm dennoch gelungen, nebenher auch im wörtlichen und irdischen Sinne den wohlschmeckendsten Wein zu erzielen, wie Niemand leugnen kann, der von jenem Fasse, das seinen Namen trägt, gekostet hat.
»Durch welches Wunder hat er dies zu Wege gebracht? werdet Ihr fragen. Durch gar kein Wunder, meine Freunde, sondern auf die einfachste 85 Weise von der Welt. Nämlich dieses Mädchen hat mit ihren zarten Händen seinen Wein gepflegt und so fein bereitet, daß er des ersten Preises würdig befunden ist. Das aber, sage ich, ist nicht ihr Verdienst, sondern das seine, und er hat es durch sie gethan, so daß Niemand murren darf, wenn er für ihre Arbeit gekrönt wird.
»Denn Ihr wißt doch: wenn bei einem Wagenrennen der Preis vertheilt wird, so erhält ihn nicht derjenige, der selbst vielleicht am schnellsten laufen kann, sondern der das schnellfüßigste Pferd besitzt und es am besten zu lenken versteht. So ist Jener hier gleichsam der geschickte Wagenlenker gewesen, der das Mädchen mit kräftiger Hand am Zügel hielt und dahin lenkte, wohin es für ihn nützlich war: und wenn sie als sein Pferdchen sich schnellfüßig gezeigt hat, so ist es billig und allem Herkommen entsprechend, daß dies dem Wagenlenker zu Gute komme. Darum vergönnet dem Sieger sein Glück und versuchet einzusehen, daß seine Art des Fleißes die allervornehmste war und den Preis verdiente, obgleich auch die Eurige eines Lobes werth ist, das ich Euch hiermit im Namen und im Angesicht der hier versammelten Geistlichkeit ertheilt haben will.«
86 Dieser weisen und schönen Rede klatschten beide Kirchen so lebhaften und einmüthigen Beifall, daß die Bauern alsbald die sichere Ueberzeugung gewannen, es müsse Alles mit rechten Dingen zugegangen sein; denn ob sie gleich selbst nicht völlig die Meinung verstanden, so hielten sie es doch für unrecht und fast für unmöglich, anderen Sinnes zu sein als die Geistlichkeit. So zogen sie denn in guter Zufriedenheit ihres Weges und nahmen sich nur in der Stille vor, künftig mit ihrem Fleiße um Vieles vorsichtiger hauszuhalten.
Artemisios freilich hatte die Richtigkeit der Sache mit wunderbarer Schnelle begriffen, und er begriff auch, daß es nun an ihm sei, das gleichsam im Traume erarbeitete Glück fortan mit regsamer Hand festzuhalten. Marsilio segnete das Paar zum Abschiede und sprach zu ihnen die letzten Worte:
»Du, mein Sohn, wirst nun gelernt haben, daß es in der Welt das Klügste und Schönste ist, alle Dinge mit vernünftigem Maß und ohne Ueberschwang zu betreiben, auch die guten Dinge, von denen die Arbeit eines der besten ist, und Du wirst ferner noch lernen, wie man etliche Tagesstunden auch ohne Unrast und ewige Plage angenehm 87 hinbringen mag. Du aber, meine Tochter, hast die andere Erkenntniß gewonnen, daß die Arbeit, die Du sonst flohest, eine schöne und erfreuliche Sache ist, dafern sie zu einem schönen Zwecke geschieht. So gehet denn hin in Frieden und wirket fortan fröhlich mit einander.«
Sie küßten ihm die Hand und gingen einträchtig zusammen ins Freie, und es gelang ihnen schon auf dem Wege zu ihrem Dorfe, sich noch über manches Andere auf das Vollkommenste zu verständigen.
Für Marsilio indessen gewann das so herrlich begonnene Verlobungsfest seiner Tochter zuletzt noch einen Abschluß, der ihm nicht so völlig erwünscht war, wie das bisher Ergangene.
Es begab sich nämlich, daß seinen geistlichen Gästen der sinnreich erworbene Wein des römischen Amtsbruders über die Maßen herrlich mundete, und sie es deshalb nicht für einen Raub hielten, außer der schönen Länge des Tages auch die Nacht hindurch noch bei den Fässern beisammenzubleiben und sich darnach in der Frühe bei einer feuchten Morgensprache zu einer neuen Tagsatzung vorzubereiten. Der verzweifelnde Wirth aber vermochte weder durch schmerzliche Geberden noch durch etliche sanftmüthige 88 Anspielungen gegen ihren Willen Etwas auszurichten, sondern mußte ihnen Stand halten, da er einsah, daß er sie nicht ungastlich in die Nachtluft hinausstoßen könne.
Nun war da aber Spiridon, der Diener, dem an diesem Tage seine glänzende Hoffnung ganz unvermuthet zu Schanden geworden war, ohne daß er das geringste Wörtlein dagegen einwenden durfte, wenn er nicht seine eigenen vergeblichen Ränke ans Licht ziehen und zum Schaden den Spott einheimsen wollte. Er trachtete jedoch um so eifriger, sich auf irgend eine Weise schadlos zu halten.
Als nun die Herren allzumal so fröhlich geworden waren, daß sie nichts mehr von dem sahen, was um sie her geschah, bohrte er heimlich von hinten in jedes Faß ein besonderes Loch, das er nachher wieder verstopfte, so daß es nicht sichtbar blieb, und zog mittelst eines Röhrchens den Wein sorgsam in große Bockschläuche ab, die er selbst herein- und hinaustrug, draußen auf einen Wagen lud und bei Seite schaffte. So arbeitete er unermüdlich die ganze Nacht hindurch, ohne daß es Jemand merkte; denn er schien nur den Mundschenk von den Fässern 89 her zu machen, und als das Gelage endlich aus freiem Verzicht der Theilnehmer ein Ende nahm, verkündigte er seinem Herrn mit niedergeschlagener und bestürzter Miene, die ehrwürdigen Väter von der griechischen Kirche hätten die Fässer insgesammt bis auf das letzte Restchen leergetrunken, was indessen immerhin insofern noch als ein Glück anzusehen sei, als sie sonst sicherlich auch jetzt noch lange nicht daran gedacht haben würden, die Tafel aufzuheben.
Bei dieser Nachricht entsetzte sich Marsilio über alle Maßen und befahl, ohne Verzug sein Schiff zur Abfahrt zu rüsten, denn es habe der Verlauf der Dinge jetzt allzu deutlich bewiesen, daß gegen den griechischen Starrsinn in Glaubenssachen nicht aufzukommen sei.
Zuletzt bat ihn Spiridon um seinen Abschied, denn er wolle nach so vielen Jahren treuen Dienstes nun in der Heimath bleiben und daselbst von seinen kümmerlichen Ersparnissen einen kleinen Weinhandel errichten, da er gute Bekanntschaften unter den Winzern des Landes gewonnen habe. Auch würde er es mit großem Danke annehmen, wenn ihm der Herr in seiner gewohnten Gnade als Grundlage 90 des neuen Geschäfts die siebenundsiebenzig leeren Fässer hinterlassen wolle.
Das bewilligte Marsilio gern, segnete ihn und entließ ihn.
Als er nun sein Schiff bestiegen hatte und eines starken Nordwindes wegen den Sund von Korfu durch den südlichen Ausgang verließ, warf er einen Blick hinüber nach dem Berge, auf welchem er diejenige wiedergesehen hatte, die er vor zwanzig Jahren verlassen, als er zum ersten Mal, wie er heute wieder that, von der lieben Heimath geschieden war. Und er wußte nicht, ob es Augentäuschung sei oder Wahrheit, aber er glaubte ihre Gestalt deutlich dort oben zu erblicken, wie sie mit sehnsüchtigen Augen aufs Meer hinausspähte. Doch schien sie ihm wie damals in süßester Jugendschönheit zu blühen, und auf einmal überkam ihn ein großer Schmerz, als sei er selber plötzlich in einer jungen Welt alt geworden, und es sei heute der Tag, da er von seiner Jugend scheide.