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Achtes Kapitel.

Die alte Erlaucht

Willsburg, d. 6. Jan. 1841
»Meine verehrte, theure Mutter!

»Wollen Sie es mir zu gut halten, wenn ich erst heut auf Ihren freundlichen und liebevollen Brief vom 29. December antworte. Die vergangenen Tage waren geschäftsvoll, und auch des armen Leo Zustand nahm mich sehr in Anspruch; er ist melancholischer und dabei unruhiger als seit mancher Zeit und will mich stets in seiner Nähe haben. Und auch ich selbst fühle mich in diesen Tagen immer traurig. Es sind so schöne Feste, die wir in dieser Zeit begehn; sie sollen uns an all den Segen erinnern, der durch Gottes Gnade, über die Erde und ihre Menschen gekommen, und sollen auch uns selbst an den Segen mahnen, an den Frieden, den uns das Bewußtsein eines ehrlichen, tapfern Ringens, eines treuen Handelns und Schaffens in unserm Berufe verleiht. Wir sollen uns der Früchte unserer Treue freuen, und den Segen und Frieden in uns und um uns finden als herrlichsten, unvergänglichsten Lohn. »Sehn Sie, meine Mutter, ich finde diesen Segen und Frieden nicht in mir, nicht um mich; und jetzt, wo Sie mich mit Ihren herzlichen und liebevollen Worten daran erinnern, daß meines armen Leo Hand seit vollen fünfundzwanzig Jahren in der meinen liegt – jetzt stehe ich oft mit tiefer Trauer und heißen Thränen: Herr, zeige mir, wo ich fehle! – Denn ich sehe wohl, meine Mutter – meine Treue war noch nicht treu, mein Ringen nicht ernst genug, mein Handeln und Schaffen nicht das richtige. Mein Wollen ist das beste gewesen alle Zeit – aber was half es dem armen Mann, was half es mir? Der Segen blieb aus; ich stehe noch, wo ich vor fünfundzwanzig Jahren stand und mein Lebenlang stehn werde. Und das macht mich – nicht müde, meine Mutter – o nein! Es soll an mir nicht fehlen und ich ringe immerfort mit aller Treue und Ehrlichkeit, die ich in mir zu finden weiß. Aber es macht mich traurig, und nicht allein für mich, sondern auch für alle diejenigen, denen ich ein ähnliches Loos drohen sehe, ohne ihnen helfen zu können.

»Aber für die, denen ich helfen kann, – für die regt sich auch mein ganzes Herz und meine ganze Kraft, und ich spanne alles an, was ich habe und vermag. Ein solcher Fall scheint mir jetzt vorzuliegen und ich will offen darüber zu Ihnen reden. Es bedarf wohl kaum noch der Namen – Sie wissen, daß ich unsere Margarethe und Wolthusen meine.

»Als Sie mir vor sechs oder sieben Wochen die erste Andeutung gaben und auf des Grafen Hirschegg und meine Zustimmung den Forstmeister zu uns übersiedeln ließen, mußte ich, wie Sie, annehmen, daß der wackere Mann, der uns allen so lieb ist, diese Neigung allein hege und, wie sogar aus Ihrem ungewöhnlich verstimmten Briefe hervorging, ehrlich mit der Besiegung derselben ringe, weil er sie als aussichtslos erkannt. Daher stimmte ich gern zu, ihn aus Margarethens Nähe zu bringen, und nahm mir gleich vor, demnächst mit ihm über die Sache offen zu reden; denn ich weiß, daß er Vertrauen zu mir hat.

»Statt des Erwarteten erfuhr ich aber, daß die Liebe gegenseitig und längst ausgesprochen war, daß die beiden armen Menschen seit Jahr und Tag dagegen ankämpften, weil beide die Vorurtheile kannten, die ihnen ihr Glück, wenn nicht unmöglich machen, doch verkümmern würden; und Gerhard ließ mich tief in sein Herz schauen und in die Kämpfe, die es zerrissen, in diesen grausamen Conflikt, zwischen der vollen innigen Liebe und der Dankbarkeit gegen unser Haus. Er bekannte mir, wie er gerungen, gezagt und geschwankt in seiner beengenden, qualvollen Lage; und er gestand mir, daß ihn eigentlich erst eine Unterredung mit Hugo, der das Verhältniß entdeckt hatte, aus seinem Schwanken emporgerissen. Hugo sagte ihm sehr vernünftig, daß ein Mädchen wie Margarethe verdient sein wolle und daß es eine Feigheit sei, einer solchen Liebe wegen äußerer Hindernisse zu entlaufen. Daran schloß sich eine ernste Prüfung und die Erkenntniß, daß weder Margarethe noch er selbst jemals ihre Liebe aufzugeben im Stande seien. Und dazu kam dann das Auftreten jenes – Grafen Ruysbroek oder Ruysdael oder wie er sonst heißt, und dessen Aufnahme, woraus Gerhard deutlich erkennen mußte, daß es im Hause Hirschegg-Königshofen nicht auf das Glück seiner Mitglieder ankomme, sondern nur auf die äußere, gesicherte Stellung, und daß der Einzelne nicht nach seinem eigenen eingebornen Recht Ansprüche ans Leben zu machen, sondern nur ihm durch Vorurtheil und veraltetes Herkommen auferlegte Pflichten zu erfüllen habe.

»Das schloß ihm die Augen vollends auf – es galt die Geliebte nicht mehr allein zu lieben, sondern auch zu retten. Er erhob sich zum Handeln für sein Glück, er suchte nach einer Stellung, die ihn unabhängig uns gegenüberstelle und zugleich der Geliebten ein ehrenvolles, gesichertes Leben an seiner Seite verheißen könne. Seine einzige Qual war noch die Verletzung der Dankbarkeit gegen die Familie, die ihn bisher zu ihren treusten Dienern gezählt, die ihn zu dem gemacht, was er sei. – Von der Dankbarkeit, meine Mutter, habe ich ihn frei gesprochen. Ich habe ihn auf die Stellung seines Vaters hingewiesen, der nicht unser Diener war, aber uns Dienste leistete, die mit nichts ganz zu vergelten waren; und als derselbe in der Förderung unserer Interessen den Tod fand und seine Frau nach sich zog – da sei es unsere heiligste Pflicht gewesen, an seinem Kinde gut zu machen, was in unsern Kräften stand. Ich habe ihm gesagt, wir hätten dankbar gesehn, daß er sich bisher unserm Dienste geweiht und uns seit seiner Jugend vielfältig und reichlich unsere Freundlichkeit vergolten; aber ein Opfer seines Glücks und seiner Zukunft könnten wir niemals annehmen. Er solle seinem Glück nachgehn und sicher sein, daß er im Hause des Reichsgrafen von Hirschegg-Königshofen stets willkommen und auf seinem Wege von uns stets mit Rath und That gefördert sein würde. So sehe ich, so sehen hoffentlich wir alle die Sache an.

»Einstweilen bedarf er weder Rath noch That. Seit vorgestern hat er seine Ernennung zum Forstrath in der für Forstwesen gebildeten Abtheilung des Ministeriums. Daß Gerhard seine Carriere, und zwar eine glänzende macht, bin ich sicher. Seine Fähigkeiten sind, wie wir alle wissen, die besten, seine Kenntnisse umfangreich; im Sommer sprach man mir in B. mit der höchsten Anerkennung über seine Verwaltung unserer Forsten und wünschte über alles einen ähnlichen Mann für den Staat haben zu können. Jetzt hat man ihn.

»Nun, meine Mutter, als ich so Unerwartetes von ihm erfuhr, wandte ich mich an Margarethe und verlangte Auskunft von ihr über ihre eigenen Gefühle und Ansichten. Sie gab sie mir mit Wehmuth, aber trotzdem mit einer ruhigen Klarheit und Entschiedenheit, die mich von ihr überrascht, aber auch sehr erfreut hat. Es ist nicht ein schwärmerisches Wort, nicht ein Zug von Trotz in ihrem Briefe. Sie ist bereit, dem Willen der Ihren sogar ihre Liebe zu Gerhard zum Opfer zu bringen, aber sie erklärt auch fest und ruhig, daß sie dagegen niemals ihrer Familie zu Liebe einem Mann die Hand geben werde, dem sie nicht auch ihr Herz zuwenden könne. – Das war in jenen unglücklichen Tagen vor der Weihnacht, liebe Mutter, deren wir wohl am besten nie wieder gedenken. Ich gab ihr aber nicht nur für damals recht – ich thu es für immer und überall.

»Meine Mutter! In den Ehen, welche bisher im Hause Hirschegg geschlossen werden mußten, ist wenig – o wie wenig Segen gewesen! Aus Liebe ward nicht eine einzige geschlossen. Und wie viel Ehre, wie viel Ansehn und Reichthum das Haus hat – der Segen fehlt ihm allüberall. – Meine Mutter, lassen Sie uns dahin streben, denselben durch Demuth, durch Achtung vor den Rechten des Herzens nicht nur, sondern des Menschen, uns wiederzugewinnen! Lassen Sie uns die furchtbare Sünde wieder gut zu machen suchen, die man mehr als einmal in diesem Hause nicht zufällig oder gleichgültig, sondern mit vollem kaltem Bewußtsein begangen. Lassen Sie uns versuchen, ob wir nicht Gottes gerechtes Zürnen versöhnen und seine Gnade uns wieder zuwenden können.

»Lassen Sie es mich Ihnen offen gestehn – als Sie für Ihren Stiefsohn bei meinen Eltern um meine Hand warben, und diese die Verbindung schlossen, gab ich nach, wie ich es stets gemußt; nach meinem Willen war auch sonst nie gefragt worden, und ich hatte bisher auch nie einen gehabt. Mein Loos schien mir schwer, aber ich nahm es gehorsam an, wie jeden Befehl meiner Eltern, ohne Zögern, ohne Widerstand, ohne mir, wie ich glaube, recht klar zu machen, was man mir auferlegte. Als mir dann aber durch meine Stellung bald ein Wille aufgezwungen ward – ein Wille nicht allein für mich, sondern auch für Leo, für die Verwaltungsgeschäfte einer solchen Herrschaft – als ich klar werden, als ich selbständig zu fühlen, zu denken beginnen mußte – auch über mich selbst, meine Mutter! – da regte sich in mir ein tiefer, finsterer Groll über die unmenschliche Sünde, die man gewissenlos an mir, und in mir an der Menschheit begangen. Ich fühlte nur zu gut, daß dadurch nichts geändert ward, mein Loos war abgeschlossen; ich rang daher auch ernst und traurig gegen mein Herz. Aber ich habe Jahre – langer Jahre bedurft, bis ich mich fassen, beruhigen, zurechtfinden konnte. Und ich weiß es nicht, Mutter, ob ein anderes Herz den Kampf endlich so gut bestanden und zu Ende geführt haben würde. Wenn ich den Segen in unserm Hause irgendwo finden soll, so suche ich ihn darin, daß mir Gott die Kraft verlieh, in diesem Kampfe, wenn auch schwer, doch endlich zu siegen.

»Kann uns die Sühne so schwer werden? Liegt nicht der Weg offen und klar vor uns, und winkt am Ende nicht ein so schönes Ziel – der Dank und das Glück von zwei treuen und wackern jungen Herzen? Können wir das Geschick unseres Kindes in bessere Hände, können wir das Kind an eine treuere Brust legen als an die Gerhards? – Sie sind nie hochmüthig gewesen, meine theure Mutter, und so vorurtheilsfrei, wie ich kaum jemand kenne. Sehn Sie sich um, Mutter, mit ruhigem, festem, klarem Auge – überall gehn die alten Geschlechter zu Grunde, oder sie verjüngen sich durch frisches, neues Blut. Von dem Grundsatz, nur unsres Gleichen gelten zu lassen, sind wir längst abgewichen, – denn wie viele gibt es noch? – Und wenn wir nur auf die Tugenden und Vorzüge sehn wollen, die vordem die ächten Ritter zierten – mir däucht, Gerhard hat sie uns gezeigt und am meisten damals, als er nicht nur das Geheimniß unseres Hauses aufklärte, sondern auch ein Elend und eine Schmach von uns wandte, wie sie niemals furchtbarer den Glanz unseres Wappens zu besudeln gedroht. – Und lassen Sie uns nicht vergessen: Margarethe ist ein liebenswürdiges Mädchen, Gerhard ein wackerer, liebenswerther Mann und bisher hoch in unser aller Gunst. Und die Beiden sind so lange einsam neben einander gewesen. Wäre es nicht unnatürlich, meine Mutter, wenn sie sich nicht gefunden hätten?

»Zum Schluß noch eine Mittheilung, die vermuthlich nicht Sie, aber unsern Vetter Wolfgang interessiren dürfte. Sie haben vielleicht erfahren, daß mein alter Vetter, Graf Eyberg, vor kurzem gestorben und mit ihm unser Geschlecht im Mannsstamm erloschen ist. Gerhard las uns die Feierlichkeiten bei der Beerdigung aus der Zeitung vor, ohne zu wissen, wie nahe mich die Sache anging, und lächelte dabei. Auf meine verwunderte Frage, sagte er: ›es ist eigentlich Geheimniß, aber Ihnen gegenüber nicht, auch ist es jetzt gleichgültig. Bei dem Begräbniß hätte ich ein ganz romantisches Aufsehen machen können, wenn ich Fahne und Wappen, Helm und Siegel wieder aus der Gruft heraufgeholt. Mein Vater war nicht Deserteur oder dergleichen, sondern ein geborner Graf Eyberg.‹ Und als ich mehr wissen wollte, brachte er mir die Papiere, die Rolof versiegelt hinterlassen und die Gerhard uneröffnet empfangen. Darin war ein Papier mit der Aufschrift: ›dreißig Jahre nach meinem Tode zu eröffnen.‹ Es enthält die Angabe, daß Rolof der Graf Richard von Eyberg sei, der im Jahre 1787 seine Familie, wegen der Härte seines Vaters verlassen, seinen Namen abgelegt, seinen Stand und Namen verflucht hatte und nun in romantischer Ueberspannung als ein anderer Karl Moor in die Wälder ging und, um sich jede Rückkehr unmöglich zu machen, Wilddieb ward. Von Richards Existenz und Verschwinden weiß ich selbst aus den Erzählungen meiner Mutter, seiner leiblichen Schwester. Uebrigens beweisen auch die beigefügten Papiere die Wahrheit seiner Angabe. Weßhalb er diese Papiere nicht vernichtet, weiß weder ich noch Gerhard. Vielleicht, weil er sich später seiner anfänglichen Verirrungen schämte und seinen Nachkommen in besserem, richtigem Licht erscheinen wollte? Er macht es aber Frau und Kindern zur Pflicht, nie von diesem Geheimniß, nie von dem Namen Gebrauch zu machen. Sie sollten Wolthusen bleiben und heißen.

»Uebrigens entbehrt Gerhard damit nichts; mein Vetter starb verarmt, wie unsere ganze Familie war. Das habe ich ihm gesagt; er schüttelte dazu den Kopf und meinte: er dächte überhaupt nicht daran, seinen Namen zu ändern, und habe niemals Werth auf dies ihm schon vor zwei Jahren bekannt gewordene Geheimniß gelegt. Er hoffe auch seinen Namen zu Ehren zu bringen, wie das ja schon seinem Vater gelungen.

»Und nun, meine Mutter, lassen Sie mich schließen. Wenn Sie wollen, machen Sie von dieser letzten Mittheilung gegen Graf Wolfgang Gebrauch; Ihnen, weiß ich, wird sie bei Ihrem Handeln in dieser Angelegenheit gleichgültig sein. – Gott lenke Ihr Herz und Ihre Entschlüsse! –

Ihre treue Tochter Leopoldine.«

Das war der Brief, den die alte Erlaucht eben erhalten und gelesen hatte und der nun, ihrer Hand entsunken, auf ihrem Schooße lag. Sie hatte ihren kleinen Kopf in beide Hände gelegt und sich seitwärts gegen die hohen Polster ihres alterthümlichen Stuhls gelehnt, und ohne daß sie darauf achtete, ja vielleicht ohne daß sie's wußte, drängte sich Thräne auf Thräne aus ihren Augen und rollte langsam über die gefurchten Wangen hinab auf das kleine Spitzentuch, welches sie jetzt wie immer über ihrem hoch hinaufgehenden dunklen Kleide trug. Der Brief hatte die alte Frau furchtbar erschüttert und bis in die Tiefe ihres Wesens getroffen.

Es waren nicht allein die Vorwürfe von derjenigen, die sie höher achtete und wahrhafter liebte als jeden andern Menschen, zu der sie, das Haupt der Familie und die um vieles ältere Frau, mit einer Art von Ehrfurcht emporsah, – es war die Gerechtigkeit dieser Vorwürfe, die sie sich weder verbergen wollte noch konnte, und das Gefühl, wie schwer sie, wenn auch in der besten Absicht, gesündigt, wie wenig sie davon wieder gut machen könne. Sie wußte wohl, wie sie im Lande, unter ihren Bekannten umhergesucht, um für den Stiefsohn, dessen Zustand sie besser kannte als alle übrigen, die rechte Frau zu finden. Sie wußte wohl, wie ihre Augen auf Leopoldine gefallen und wie sie und die Eltern das Opfer von der Tochter verlangt, ohne sich drum zu kümmern, ohne dran zu denken, welch ein Opfer das sei – ein frisches, junges, hoffnungsvolles Leben an eine Existenz zu knüpfen, die kaum eine war; ein Dasein zu führen, das nichts bot als Entsagung, keine Freude, keine Besserung, keine Hoffnung! –

Das hatte sie, leise wenigstens, schon damals gefühlt, als sie die Braut mit dem unglücklichen Verlobten zusammen sah; aber damals überwog bei ihr die von den Aerzten offen gelassene Aussicht, daß Leo's Zustand sich durch eine Heirath bessern könne, und die also noch mögliche Erhaltung des alten Stammes jede andere Rücksicht, jedes Bedauern. Und später, wie sie die junge Frau sich so gut in ihr Loos finden, so würdig ihrer Stellung genügen sah, mit milder Festigkeit, mit klarer Ruhe, mit steter Geduld, und niemals auch nur mit der leisesten Klage – da achtete und ehrte sie ihre Schwiegertochter wie keinen andern Menschen; wenn sie über das Verhältniß nachdachte, war es allein mit dem Dank zu Gott, der alles so gnädig, so gut, so – erfreulich gefügt und ihr Auge bei der Wahl von Leo's Pflegerin und Hüterin so gesegnet hatte. – Aber nun! –

Aber nun! – Leopoldinens Brief öffnete ihr die Augen und zugleich das Herz. Und es war nicht allein die Trauer darin, sondern auch eine tiefe Scham über ihre Selbstsucht, über ihre Verblendung.

Die alte Dame fühlte sich ganz zerbrochen, sie weinte bitterlich, wie sie in ihrem Leben nicht geweint. Der Brief Leopoldinens hatte nur den Ausbruch dieses Schmerzes veranlaßt, weil er ihr, wie bemerkt, Augen und Herz öffnete, die in der letzten Zeit verschlossen oder verblendet gewesen. Nun fühlte und sah sie die vergangenen Wochen mit all den seltsamen, trüben und thörichten Ereignissen in einem ganz andern Licht. Es kam ihr alles wieder in den Sinn – alles! Der Betrug, dem sie zum Opfer gefallen, sie die kluge, die erfahrene, die stolze Frau, und doch die einzige Blinde in ihrem ganzen Familienkreise! – Sie erinnerte sich jener Morgenstunde, in der sie Gerhard mit Härte vor dem Fremden verleugnete, und mit Scham dachte sie an die Worte, mit denen sie den treuen, wackern Mann auch vor sich selbst damals heruntergesetzt, mit Trauer an alle Härte, die sie nachher gegen ihn ausgelassen. Und sie gedachte dann des Leids, das sie Margarethen in den letzten Wochen bereitet – und für wen? Für den Elenden, der sie und ihr Haus dem Abgrund nahe geführt! Und sie wußte doch noch sehr wohl, was sie ihr einmal gesagt: »ich dränge mich nicht in dein Vertrauen. Ein Graf braucht's nicht zu sein, den du erwählst; aber es muß ein ehrenwerther Mann sein und in selbständiger Stellung. Sonst gebe ich dich ihm nicht.« – Das wußte sie, denn so dachte und fühlte sie sonst auch immer. –

Seit sie nach Gerhards Enthüllungen sich damals vor dem Grafen Wolfgang selbst anklagte und ihre Verblendung schalt, war die alte Dame so düster und verschlossen hingegangen, wie sie niemand bisher gesehn. Sie rang und kämpfte furchtbar mit sich und gegen sich selbst; sie fand keine Ruhe, keine Klarheit; ihre Schuld lag auf ihr wie ein Alp, ohne daß sie noch begriff, wie sie dieselbe los werden, wie sie bessern sollte. Dumpf und stumpf, mochte man sagen, dachte sie all der Schrecken, all des Peinlichen. Es war zu viel für sie geworden. Nun brachte der Brief sie zum Bewußtsein – er löste die Starrheit, er nahm den Druck von ihrem Herzen.

Sie ging im Zimmer auf und ab, mit gerungenen Händen, mit wildem Kopfschütteln, und mehr als einmal rang es sich aus ihrer Brust: »Charlott', Charlott', wohin ist es mit dir gekommen! – Hast du darum zweiundsechzig Jahre in Ehren gelebt, mit Wärme und mit Treue Welt und Menschen aufgenommen, und Nachsicht gehabt mit jedermanns Schwächen, auf daß man Nachsicht habe mit deinen eigenen Fehlern – um jetzt noch Haß zu säen und für einen Schwindler zur Närrin zu werden? – Charlott', Charlott'! – Du hast recht, Christoph, mein Herr und Gemahl! Sieh mich an mit deinem ernsten, strafenden Auge! – Du hast recht, Leopoldine – ich bin nicht ich gewesen! – Zweifle an mir! Schilt mich! Ich hab's verdient, ich alte kindische Frau!« – Dann las sie wieder den Brief und die Thränen kamen ihr wieder in die Augen. »Armes Kind! Armes Kind!« murmelte sie; »wie konnte ich so verblendet sein – fünfundzwanzig Jahre lang! – Wie soll – wie kann ich bessern?« – Und endlich kniete sie in ihrem Betstuhl nieder und legte den Kopf auf das Pult und ruhte so, lange – lange Zeit, ohne Laut und ohne Regung.

Als sie sich endlich wieder erhob, war es im Gemach ganz finster geworden; sie zündete Licht an und ging von neuem auf und ab; allein ihr Gang war jetzt wieder ruhiger und gleichmäßiger, und auch in den Zügen des Gesichts, in ihren braunen Augen zeigte sich ein Abglanz der alten Ruhe und Heiterkeit, die seit manchen Wochen dort niemand mehr erblickt. Da der Kammerdiener jetzt mit der Meldung eintrat, daß der Thee bereit sei, versetzte sie milde: »bitten Sie die Herrschaften, mich heut Abend freundlich zu entschuldigen. Es ist mir heut unmöglich. – Lassen Sie sogleich einen Reitknecht satteln und melden Sie mir, wenn er parat ist; wählen Sie den zuverläßigsten Menschen, Karl. Er muß die Nacht durchreiten und morgen Mittag in Willsburg sein.« Dann setzte sie sich an den Schreibtisch und schrieb ihrer Schwiegertochter.

»Mein theures, geliebtes Kind!

»Dein Brief hat mich sehr ergriffen und mich einmal recht aus dem Grunde aufgerüttelt. Ich danke dir vielmal dafür. – Wenn der Gerhard in die Residenz geht, soll er über Königshofen kommen; ich bin ihm noch eine Antwort auf seinen Abschiedsbrief schuldig und will sie ihm mündlich geben. Auch ist der hochmüthige Mensch neulich sans adieu und ohne unsern Dank anzunehmen, davongelaufen, wofür ich ihm den Kopf waschen muß; denn er ist noch unser Diener und muß Ordre pariren. Sage ihm das. Und er soll mir auch seine Papiere mitbringen.

»Und nun, mein geliebtes Kind, lebe wohl. In vierzehn Tagen denke ich Dich mit den Uebrigen in Willsburg zu sehn. Habe Geduld mit mir, wie Du sie Dein Lebenlang gegen jedermann geübt. Du wirst zufrieden sein mit

Deiner treuen alten Mutter

Charlotte.«

Als der Brief abgesendet war, nahm sie auch die andern Schreiben vor, die sie vorhin mit der Post erhalten und bisher über das von Leopoldinen zu lesen versäumte. Eines davon war mit dem garde á vous Siegel geschlossen, und der sogenannte Graf von Ruysbroek meldete darin, daß sich ein plötzlicher Prozeß über seine Erbschaft entsponnen, daß er daher aufs schleunigste nach Wien zurückkehren müsse, wo er, wie sein Geschäftsführer meine, wenig Aussicht auf den Sieg habe. Einstweilen müsse er daher als ehrlicher Mann auf Margarethens Hand resigniren, da er vielleicht nicht so viel übrig behalte, um selbst davon leben zu können. Die vorgestreckte Summe vermöge er für den Augenblick nicht zurückzugeben. Er hoffe aber bald bessere Nachrichten geben zu können, denn bei seinem Recht halte er das Verlieren des Prozesses für unmöglich. – Die Erlaucht warf den Brief verächtlich auf die Seite. »Frech, heuchlerisch und Lügner bis zum Schluß!« murmelte sie und ging zu andern Papieren über. –

»Komm her, Gretchen, mein Kind,« sagte sie am folgenden Tage zu ihrer Enkelin, als sie wie üblich erschien, um der Großmutter guten Morgen zu sagen. »Setze dich einmal wieder auf meine Knie und lasse mich deinen trotzigen, harten Kopf küssen, ob er nicht wieder weich und sanft werden will.« – Das überraschte Mädchen schlang beide Arme um der Großmutter Hals und brach in Thränen aus. »O Großmama, Großmama,« stammelte sie, »Gott segne dich für deine Freundlichkeit! Habe dein Kind wieder lieb. Ich kann so nicht mehr leben.«

Die Erlaucht sah lächelnd, aber mit feuchten Augen zu ihr nieder. »Ist das wirklich so, du Trotzkopf?« fragte sie. »Ist dir's wirklich noch um deine alte Großmama zu thun? Ich meinte schon, ich hab' es ganz mit dir verdorben, du seiest mir bitterbös und all deine Liebe sei – für andere Leute da.« – »O Großmama!« – »Sieh mich einmal an, Gretchen – aber nicht mit diesen heiligen Augen, die machen mich bange! – nein, mit deinem alten treuen, innigen Blick! – So! – Nun sage mir – hast du den – Menschen so ganz von tiefstem Herzen lieb?« – »Ja, Großmama.« – »Hast du volles Vertrauen zu ihm? Stehst du für ihn ein, für seine Redlichkeit, seine Kraft, seine Treue?« – »Ja, Großmama.« – »Und doch hat er so lange gezagt – gerungen! Doch hat er Hugo gesagt: er wäre am liebsten todt, denn er könne dich doch nie erhalten. – Ist das kräftig, redlich, treu gegen dich?« – »Großmama – das war vordem. Es muß für ihn ein furchtbar Leben gewesen sein. Glaube mir, seine Schwäche war ich! – Ich zögerte – ich zagte – ich bangte, ich hielt ihn von allem zurück.« – »Nun aber zagst und bangst du nicht mehr, Gretchen?« – »Nein, Großmama, für Gerhard und meine Liebe nicht; nur noch darum, daß du uns zürnst.«

Die Erlaucht schob die Enkelin leise von ihren Knieen, stand auf und ging ein paarmal stumm auf und nieder. Dann blieb sie vor Margarethen stehn, und die Arme langsam über die Brust zusammenlegend, sprach sie mit einem leisen Lächeln: »nun, Gretchen, was bekomme ich, wenn ich dir nicht mehr zürne und – auch ihm nicht? – Wenn ich – einmal mit euch thöricht sein will, ihr kleinen Thoren, und – eure Liebe segne – ?« – »O Großmama, Großmama!« rief Margarethe und warf mit hervorstürzenden Thränen ungestüm wieder beide Arme um der alten Dame Hals. – »Still, du Trotzkopf,« versetzte sie zitternd; »Geduld, wir sind noch nicht fertig. – Willst du auch nie wieder trotzen, nie wieder traurig sein? Soll ich auch wieder das goldene Lachen meines einzigen Kindes hören und ihre heitern glänzenden Augen sehn?« – »O Großmama!« stammelte sie schluchzend. Da umschlang die Erlaucht das bebende Kind und drückte es fest an sich.

So standen sie einige Augenblicke, bis die alte Frau ihre Enkelin leise auf die Stirn küßte und freundlich sagte: »nun geh und fasse dich, mein Kind. Ich erwarte deinen Onkel Wolfgang. Aber sei ruhig und überlasse alles mir. Einstweilen schweige noch gegen jedermann.« Und nach erneuter Umarmung und heißem Kuß sprang Margarethe aus dem Zimmer. Lächelnd sah ihr die Gräfin nach. Dann setzte sie sich still und nachdenklich in den Lehnstuhl und blieb so, bis Graf Wolfgang eintrat. Da stand sie auf, gab ihm freundlich die Hand und befahl dann dem Diener im Vorzimmer, jede Störung fern zu halten.

Ihr Gespräch währte lange und mochte sehr ernst sein, denn der im Salon beschäftigte Kammerdiener horte zwar keine lauten Worte, aber langes und anhaltendes Reden bald von der Stimme des Grafen, bald von der kaum weniger tiefen der Erlaucht, und er kannte seine Herrin zu genau, um nicht zu wissen, daß sie in solchen Tönen nur aus dem tiefsten Herzen, mit dem größten, heiligsten oder zornigsten Ernst sprach. Dann klang ihre Stimme eine ganze Zeitlang so eintönig hin, als ob sie etwas vorlese, und dann standen die Herrschaften auf und gingen auf und ab, was man daran hörte, daß die Stimmen bald ferner, bald näher und verständlicher klangen. Einmal sprach der Graf: »in dem Falle – das wäre was Andres. Denn –« damit aber verloren sich seine Worte wieder, und das nächste Verständliche war der Ausruf der Erlaucht: »Unsinn, Cousin! Unsinn! – Lassen Sie uns –«

Karl fühlte sich höchst unglücklich; sein Geschäft im Salon ging zu Ende, gradezu zu horchen wagte er auch nicht, und doch hätte er für sein Leben gern mehr von dem gewußt, was bei den Herrschaften seit manchen Tagen vorging. Hätte er vorhin erst Margarethe so jubelleicht und doch die Augen voll Thränen das Kabinet verlassen gesehen! – Dafür ward ihm aber auch das Glück, nach einigen Stunden den Abschied der Beiden zu beobachten. Gräfin Charlotte begleitete ihren Vetter bis an die Thüre des Vorzimmers. Da gab sie ihm die Hand, und die seine festhaltend und ihm mit einem seltsamen, halb wehmüthigen, halb launigen Blick in die Augen sehend, sagte sie: »also Cousin – ein Mann ein Wort?« – Er zuckte lächelnd die Achseln und neigte sein graues Haupt. »Hugo hat recht, Cousine,« erwiderte er, »gegen Ihre Caressen und Bitten gibt's keinen Widerstand. Sie haben mein Wort – und – sei es denn! – von Herzen.« – »Gottes Lohn!« rief sie freudig.

Nach dem Diner nahm Graf Wolfgang wie meistens Margarethens Arm und ging mit ihr plaudernd zu seinem gewöhnlichen Spaziergang auf die Terrasse hinaus. Diesmal jedoch verließ das Paar diese bald und schritt langsam gegen den Park zu. Hugo, der ihnen nachgesehn, wandte sich mit einem leuchtenden Blick zur alten Erlaucht und ergriff und küßte ihre Hand. »Großtantchen,« flüsterte er dabei, »wenn ich Ihnen nur recht – recht was zu Liebe thun könnte!« – »Wie kommt dir das?« fragte sie lächelnd. – »Weil ich Gretchen ihr Haupt aufheben sehe, wie eine Blume, die aus – der Traufe wieder in den Sonnenschein kommt. Und weil ich meines Herrn Papa Gesicht kenne; er sieht milde aus, da ist alles gut.« – Die Erlaucht lachte. »Schlaukopf!« sagte sie; »und wenn du mir was zu gut thun willst, so mische dich nicht in anderer Leute Angelegenheiten. Wir Alten werden auch noch fertig. Du kannst nur bei dir und deinen Affairen bleiben.« – »Das will ich von jetzt auch immerdar,« rief er lustig und schlang seinen Arm um die herzutretende Diana. »Aber hierbei, Großtantchen – mußte ich dabei sein, ich Hugo, Graf von Hirschegg, Erb- und Gerichtsherr von – Diana Kaufberg!« Und munter zog er die Braut mit sich fort.

Nach einigen Tagen reiste Graf Wolfgang mit den Seinen ab und Königshofen ward wieder einsam. Die einsamste von allen war Margarethe. Sie ging meistens allein und wie eine Träumende; aber es waren gute Träume, denn ihre Wange glühte und ihr Auge glänzte, und wenn sie vom Wall aus in die weite Winterlandschaft hinaussah, gegen Nordwest, an den blauen Wäldern entlang, immer weiter, immer ferner, – da drückte sie zuweilen die Hände fest auf ihr Herz und ihre Augen füllten sich mit Thränen, und sie flüsterte leise einen Namen vor sich hin, als wolle sie ihn aufrufen aus seinem langen Säumen.

Und eines Morgens war er da und im Salon der alten Erlaucht, die selber stolz aufgerichtet vor ihm am Tisch stand, den Kopf erhoben, das Auge voll Ernst, die Rechte fest auf den Tisch gelegt, als sei es eine Gestalt aus einem jener prachtvollen alten Bilder, auf denen wir noch stolze Männer und Frauen finden, in aller Herrlichkeit und Kraft, wie wir ihnen unter den Lebenden nur selten noch begegnen. Und sie sprach zu ihm.

»Nun du unhöflicher Mensch, bist du denn endlich doch noch zu der alten Frau gekommen, die dich von Jugend auf gepflegt und geliebt hat und die dir nun zu soviel Dank verpflichtet ist? Meinst du, daß dir mein Dank und Segen Schaden thun könnte, du stolzer Gesell?« – »Erlaucht!« bat er innig und griff nach ihrer herunterhängenden Hand. – Sie zog sie rasch zurück. »Sachte! So weit sind wir noch nicht,« sagte sie – sie konnte nicht ganz ein leises Lächeln unterdrücken –, »ich weiß gar gut, wie das alles war. Da hatte man sich was in den Kopf gesetzt: da hatte man kein Vertrauen und betrieb Geheimnisse, und als dies und jenes davon dennoch verlautete und nicht alle Welt gleich nach eurem Kopfe dachte, nach eurem Herzen fühlte, da wurdet ihr trotzig, – da gingst du mit Freuden aus deiner Heimat –.« – »Erlaucht!« – »Ja, Gerhard, so thatest du. Wärst du der alte Gerhard gewesen, du wärst trotz all meiner Härte, wie bitterböse ich dir war, nicht von meiner Schwelle gewichen, bis du mich gesprochen. Du mußtest mich kennen; verblendet mag ich werden – aber blind nicht, und ich habe noch stets mein Unrecht einsehn können. Es muß mir nur mit Manier gezeigt werden. Aber so seid ihr jungen Menschen. Mit euch soll man Geduld haben, aber ihr habt sie mit uns Alten wahrhaftig nicht.«

Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort. »Aber wir wollen das vergessen; du bist keine Ausnahme, ihr macht's alle nicht besser. Nun aber – du willst auch fort von uns. Du bist Forstrath geworden – auch nicht mehr Gerhard Wolthusen, sondern Graf Eyberg –«

Gerhard zuckte zusammen. Dann jedoch versetzte er mit trübem Lächeln: »Euer Erlaucht irren, ich bin und bleibe Gerhard Wolthusen, nichts mehr. Das Andere geht mich nichts an; mein Vater hat den Stand und Namen abgelegt und den Seinen jede Wiederaufnahme untersagt.« – Sie sah ihn kopfschüttelnd an. »Ich denke nicht – wenigstens nicht im Ernst. Weßhalb hätte er dann ein Fräulein geheirathet? Du bist in standesmäßiger Ehe geboren.« – Gerhard trat betroffen einen Schritt zurück. »Euer Erlaucht scherzen,« versetzte er. »Meine Mutter, das arme Waisenkind aus Rodingen – « – »War allerdings arm wie eine Kirchenmaus und eine Waise, ohne Vater und Mutter, barmherzigerweise vom Prediger dort aufgenommen, weil ihr das alte Schloß über dem Kopf zusammenfiel,« unterbrach sie ihn. »Aber sie war ein Fräulein von Rodingen, das einzige Kind des letzten alten wilden Junkers. Wußtest du das nicht?« – »Nein,« entgegnete er nach einer Pause, »davon habe ich nie erfahren.« – »Ist mir lieb! Ich fürchtete es fast,« sagte sie. »Und nun, Gerhard?« – Erst nach einer Weile des tiefsten Schweigens schlug er die Augen ruhig zu ihr auf und erwiderte: »es bleibt bei Gerhard Wolthusen, Erlaucht. Ich mag die Eyberg nicht wieder aus ihrer Gruft holen. Was mein Vater und ich genützt, geschaffen, geleistet, haben wir unter unserm neuen Namen gethan.«

Da nahm sie die Hand vom Tisch und reichte sie ihm mit einer schnellen und doch festen Bewegung hin. »Schlag ein, Gerhard,« sprach sie herzlich, »so ist's recht! du bist mein Mann. Das wär' wie ein Roman, und die lieb' ich nicht. Und nun,« redete sie weiter, seine Hand festhaltend, »du gehst aus unserm Dienst, deine Entlassung ist unterzeichnet. Aber die Hirschegg-Königshofen können dich nicht scheiden lassen ohne Dank. Dein Vater hat uns viel Gutes gethan, unser Haus gerettet aus Kriegsnoth, treu zu uns gehalten, bis er für uns starb. Du hast uns viel gute Dienste geleistet; du hast meine Enkelin vom Tode errettet, du hast jenes Geheimniß aufgeklärt, das die Trauer meiner Tage und die Qual meiner Nächte war: du hast endlich die Schmach von uns abgewendet, die uns drohte. Wir sind dir viel Dank schuldig und wollen ihn redlich abtragen. Meine Schwiegertochter meint – weil du denn doch einmal ein Graf seiest, müsse der Lohn auch ein gräflicher sein,« fuhr sie lächelnd fort. Dann ging sie zur Thüre ihres Kabinets, ließ Margarethe eintreten und sagte: »komm her, Gretchen, und frage ihn, ob er dich dafür gelten läßt. – Ja, es ist ein hoher Preis,« setzte sie ernst hinzu. »Aber die Königshofen haben nie geknausert.«

Die beiden jungen Leute beugten sich über ihre Hand. Sie zog Margarethe an sich und küßte sie mit feuchten Augen; Gerhard reichte sie die Hand hin und drückte die seine. Dann sprach sie: »Gott segne euch, meine Kinder, Gott wolle alles zum Besten wenden!« Und darauf wandte sie sich ab, und dem Paar noch einmal freundlich zunickend, ging sie schweigend in ihr Kabinet. Als bei dem Diner die alte Erlaucht das Paar den Uebrigen vorgestellt hatte, gab es bei allen eine herzliche und freudige Aufregung. Alle sprangen auf und drängten sich herzu und reichten und schüttelten beiden die Hände. Nur Diana blieb neben der alten Gräfin sitzen und schnitzelte finster an ihrer Brodrinde. Endlich, da die Andern schon wieder zu ihren Plätzen zurückkehrten, stand sie plötzlich auf und ging mit festem, elastischem Schritt auf Gerhard zu. »Da,« sagte sie noch immer mit einem leisen Trotz in der Stimme und in den blitzenden Augen und bot ihm die Hand hin, »da nehmen Sie denn auch meine Hand. Sie ist fest. – Halten Sie mir die Margot gut, sonst – !« – Margarethe zog sie ungestüm in ihre Arme.

Vom Waffenthurm wehte das Banner der Hirschegg-Königshofen frisch auf in der leuchtenden Luft des hellen Wintertags, und verkündete es weit umher, daß im alten Hause neue Freude und neuer Segen aufgegangen sei.


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