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Siebtes Kapitel.

Garde à vous!

Die alte Erlaucht ging in ihrem Kabinet, die Hände auf dem Rücken in einander gelegt, bequem auf und ab. In der Ecke des tiefen Sopha's lehnte Hugo's Vater, Graf Wolfgang, und sah mit auf die Hand gestütztem Haupt gedankenvoll zu dem tiefbogigen Fenster hinüber, durch welches das Gemach sein Licht empfing. Beide schwiegen, und erst nach einer geraumen Weile warf Gräfin Charlotte die Bemerkung hin: »ein wirklich wunderbar liebenswürdiger Mann! Ich freue mich wahrhaft auf seine Rückkehr.«

Graf Wolfgang schüttelte leise den eisgrauen Kopf, aber sein Gesicht mit den – man möchte sagen: stillen Zügen blieb ohne jegliche Bewegung! und als die Gräfin das bemerkte, sagte sie, vor ihm stehen bleibend: »Sie stimmen nicht mit mir überein, Cousin Wolfgang?« – Er schüttelte wieder den Kopf. »Nicht ganz, Cousine,« versetzte er ruhig. – »Und weßhalb nicht, Cousin?« – Der Graf schlug langsam die großen Augen zu ihr auf und schaute sie einen Augenblick schweigend an. »Ihren persönlichen Empfindungen widerspreche ich nicht,« sprach er dann; »die sind Ihr Eigenthum, meine Theure. Ich will Sie auch nur darauf aufmerksam machen, daß diese Empfindungen nicht überall dieselben sein möchten.« – »Und was haben Sie am Grafen Raimund auszusetzen?« fragte die Gräfin ein wenig verdrießlich und wandte sich wieder ihrem Spaziergange zu. –

»Es ist freilich auch wenig mehr als ein persönliches Gefühl,« erwiderte er, ohne seine Stellung zu ändern. »Ich kenne ihn noch zu wenig, er scheint auch mich nicht zu goutiren. Allein was ich so bei seinem Auftreten, seinem Benehmen empfunden habe, spricht nicht für ihn: natürlich ist er nicht, meine Cousine. Es kommt mir vor, als kenne er mehr von Welt und Gesellschaft, als er uns glauben machen will. Seine Unerfahrenheit ist mir ein wenig zu naiv, seine Schüchternheit ein wenig zu groß oder zu gering. Und –«, er ließ die Hand auf die Sophalehne sinken und wandte seine Augen mit ernstem Blick der alten Dame zu – »und zum Gemahl für unsere Margarethe möchte ich ihn nicht erwählen und kann es der Kleinen nicht verdenken, wenn sie ihn entschieden ablehnt. Ein Paar, das weniger harmonirte, habe ich noch nie gesehn.«

Die Gräfin zuckte die Achseln, wandte sich am Ende des Gemachs um und setzte ihren Gang ungestört fort. »Hm!« machte sie ein wenig verächtlich. »Die Harmonie wird sich hier so gut finden, wie anderwärts. Sie könnte schon jetzt da sein, wenn das dumme Mädchen sich nicht die unsinnigen Gedanken an den Menschen drüben in Willsburg in den Kopf gesetzt. Doch das wird sich geben, und um so schneller, je mehr sie aus unserm festen Willen merkt, daß es sich geben, daß sie sich fügen muß. Ich garantire Ihnen die Harmonie, Cousin. Ich kenne den Grafen Raimund, es ist ein Mann von Ehre, von solidem Charakter, von gutem Herzen, von vielem Gefühl,– ein Cavalier von altem, ächtem Schlage. Und wenn das dumme Mädchen vernünftig gewesen wäre, hätte sie das alles schon längst auch selbst wissen und fühlen müssen. Er hat sich ihr ritterlich, offen und hingebend gewidmet.«

Der Graf spielte mit der schweren Quaste, die vorn am Seitenpolster hing. »Was ich dagegen einwende, wissen Sie,« versetzte er nach einigen Augenblicken ruhig. »Außerdem sehe ich aber wirklich nicht ein, meine theure Cousine, weßhalb wir Margarethe so eilig und zwar ganz gegen ihre Neigung verheirathen müssen? Was drängt uns? Sie ist jung und liebenswürdig genug, um noch die besten Partieen haben zu können. Und eine Comteß Hirschegg, däucht mir, kann überhaupt ohne Sorge ihrer Zukunft entgegensehn.« – Die Gräfin runzelte die Stirn und warf ihm einen finstern Blick zu. »Sie vergessen diese Dummheit mit dem Menschen – dem Gerhard,« sprach sie verstimmt. –

Graf Wolfgang zuckte die Achseln. »Ich vergesse sie nicht,« erwiderte er gleichmüthig, »ich denke nur gar nicht daran. Es ist, wie Sie selbst sagen, eine Dummheit, wie mancher sie in der Jugend einmal beging und nachher belachte. Was ist daran gelegen? Sie ist jetzt abgemacht bis auf die Erinnerung, und wenn man den beiden Menschenkindern Ruhe läßt, so wird sich auch die verlieren oder in's richtige Maß ziehn. Darüber, dächte ich,« setzte er hinzu und ein leises Lächeln glitt zum erstenmal durch sein, leidendes Gesicht, – »darüber brauchten mir beide uns keinerlei Sorge zu machen, Cousine. Gerhard so gut wie unser Kind find am Ende verständige Menschen.«

Gräfin Charlotte schien durch diese Gleichgültigkeit des Verwandten überrascht zu sein und sah ihn mit einem einigermaßen zweifelhaften Blick eine Sekunde lang schweigend an. Dann schüttelte sie den Kopf, und ihren Spaziergang wieder aufnehmend, bemerkte sie: »nun Cousin, wir reden noch mehr darüber. – Im Uebrigen – eine bessere Partie gibt es für Gretchen nicht. Graf Raimund ist vom besten Stande und sein Vermögen so groß, daß ein Vermögen seiner Frau diesmal ganz gleichgültig, ja überflüssig ist. Gretchens Stellung wird eine gesicherte, eine beneidenswerthe sein. Darauf haben wir denn bei dem Kinde, der Tochter unserer beiden Häuser doch auch zu sehn. Wir sind beide alt, Cousin.« – Der Graf lächelte wieder. »Verzeihen Sie mir, Cousine,« versetzte er, »aber ich muß es sagen: diese Angst vor Margarethens Zukunft und Vermögenslosigkeit scheint Sie wie eine fixe Idee zu beherrschen. Und wenn Sie sich nicht selbst täuschen wollen, müssen Sie sich doch gestehn, daß nicht der geringste Grund zu solcher Angst vorhanden ist.«

Die Erlaucht fuhr mit der Hand langsam über die Stirn. »Sie wissen es nicht, Cousin, wie das thut, wenn man als armes Fräulein in ein vornehmes und doch nur mäßig begütertes Haus heirathet und seinen Kindern dann nichts zu hinterlassen hat. Mein seliger Herr hat mich das nie empfinden lassen, wie mancher Andere bei Gelegenheit sicher gethan. Aber ich habe es selbst nur zu bitter gefühlt und fühle es noch alle Tage. Und Gretchen würde es anderwärts ebenso gehn. – Und dann,« fuhr sie fort, »denken Sie daran, daß die Partie vollkommen standesgemäß wäre. Wo finden sich deren noch viele für eine Familie, wie die unsere, und unter diesen Verhältnissen? Ich bestehe nicht grade auf solche Partie, aber wenn sie sich einmal findet –.« – »Ich denke vor allen Dingen, daß eine Comteß Hirschegg nicht gekauft werden kann,« sagte der Graf, als er die alte Erlaucht nach dem letzten Wort ihren Weg schweigend fortsetzen sah, und der Inhalt seiner Rede kontrastirte auf das seltsamste mit der Ruhe des Sprechers und seinem vollkommen unbewegten Gesicht. »Dazu reicht kein Vermögen aus und wär' es das eines Königs.«

Die Erlaucht blieb überrascht auf der Stelle stehn, die sie grade erreicht, und wandte sich jäh zu ihrem Verwandten um. Ihre großen Augen schauten ihn starr an, die Hände hatte sie vom Rücken genommen und zog nun ihr Taschentuch langsam durch die Finger. Im nächsten Augenblick aber hob sie den Kopf ein wenig auf, und die Stirn gefaltet und die Brauen zusammengezogen, sprach sie mit tiefer, fester Stimme: »das ist ein Ausspruch, der zugleich hart und seltsam ist. Aber er rührt mich nicht, wie er mich nicht trifft, Cousin Hirschegg. Ich weiß, was ich will und thue – ich habe dem Herrn Grafen Raimund von Ruysbroek die Hand meiner Enkelin versprochen und – ich habe noch stets Wort gehalten.«

Durch das Gesicht des Grafen glitt ein feines Lächeln und er wiegte leise den Kopf. »Aber meine liebe Cousine,« entgegnete er und wandte die tiefliegenden Augen mit einem unendlich ruhigen Blick zu der alten Dame, »wie werden Sie sich bei solcher Entschiedenheit dann nur mit Margarethen selbst und denen vereinigen, die neben Ihnen noch über das Geschick meiner Nichte zu entscheiden haben und, so viel ich schließen kann, mit derselben Bestimmtheit diese Sache von der Hand weisen dürften?«

Die hohe Stirn der Dame überzog sich mit einer dunklen Röthe, aus ihren Augen brach der Zorn wie ein heller Blitz auf den kaltblütigen Gegner, und ihre Lippen öffneten sich zu einer sicher herben und harten Antwort. Allein es kam nicht dazu, da in eben diesem Augenblick die Thür geöffnet ward und hinter Hugo auch den Kammerdiener hereinließ, welcher meldete, daß der Forstmeister Wolthusen so eben angekommen sei und die Erlaucht sogleich sprechen müsse. – Die Dame zuckte bei Gerhard's Namen zusammen; dann erhob sie ihren Kopf noch höher und sagte nach einem zornigen Blick auf Hugo: »wir können jetzt keinerlei Störung brauchen. – Und Gerhard – was will denn der? – Sagen Sie, ich sei nicht zu sprechen, Karl; der Herr Forstmeister kennt seine Herrschaft in Willsburg.« Hugo hatte auf seinen Vater und die Gräfin einen schnellen Blick geworfen und ließ die letztere, trotz seiner sichtbaren Aufregung, ungestört ihre Rede beendigen. Dann aber winkte er dem Kammerdiener Schweigen zu und bemerkte hastig und mit blitzenden Augen: »und doch werden Sie Gerhard anhören müssen, meine erlauchte Tante; er besteht darauf augenblicklich vorgelassen zu werden, und das Wort, das er mir bei seiner Ankunft sagte, gibt ihm ein Recht dazu, wie es auch mich hieher treibt.« –

Die Erlaucht warf ihm einen finstern Blick zu und versetzte stolz: »in diesem Gemach gibt es kein ander Recht als meinen Willen, mein Herr! Und es existirt in keiner Sprache ein Wort, das hier den Eintritt erzwingen könnte. Gehn Sie, Karl, es bleibt dabei.« – Da, bevor der bestürzte Kammerdiener noch diesem Befehl folgen konnte, trat Hugo nahe an die Dame heran und sagte mit gedämpfter Stimme: »Großtante, es gilt die Ehre des Hauses, und das Wort Gerhard's lautet – garde à vous!«

Die Gräfin taumelte wie vom Blitz getroffen, zurück und hielt sich nur mit Mühe an der erfaßten Lehne eines Stuhls aufrecht: ihre Augen blickten starr, ihr Gesicht war leichenbleich, ihre Lippen bebten. Erst als Hugo und sein Vater, der bei den Worten gleichfalls jäh aufgesprungen war, herzueilten und ihre zitternde Gestalt unterstützten, vermochte sie sich wieder zu fassen, und im nächsten Augenblick stand sie stolz aufgerichtet und sprach, wenn auch noch mit bebender Stimme: »du hast sehr recht, mein Kind! Das Wort öffnet auch diese Thür bei Tag und Nacht. – Lassen Sie Gerhard augenblicklich herein, Karl. Ihr Beide bleibt gleichfalls hier.«

Als Gerhard gleich darauf eintrat und sich gegen die Anwesenden verbeugte, musterte die Erlaucht seine äußere Erscheinung mit einem finstern Blick, und als sie seine hohen bespritzten Stiefel und den ganzen, vom Wetter und Weg hart mitgenommenen Anzug bemerkte, sagte sie: »du hast Eile gehabt?« – Der junge Mann verbeugte sich. »Euer Erlaucht wollen meine Kleidung entschuldigen,« versetzte er; »ich bin gestern Abend zu Pferde gestiegen, wie ich eben war, und ritt die Nacht durch, denn ich glaubte mich nicht aufhalten zu dürfen mit den Nachrichten, die ich gestern empfing.« – »Nachrichten?« fragte sie. »Wohlan, was bringst du?« – Er zog zwei Briefe aus der Brusttasche und reichte den einen davon der Dame hin, indem er dabei sagte: »wollen Euer Erlaucht das Siegel betrachten.«

Die Gräfin nahm den Brief mit fester Hand, sah nach der Aufschrift, die in französischer Sprache an Gerhard lautete, wandte ihn darauf um und hielt ihn weit von sich, um das Wappen erkennen zu können. Ihre Lippen bebten, aber sie sagte kein Wort, ließ keinen Laut hören, sondern reichte das Papier nur langsam dem Grafen Wolfgang hin. In dem Siegel zeigte sich in der That das ebenso alterthümlich geformte Wappen wie auf dem Knopf – die erhobene Faust mit dem Streitkolben, und darüber die Worte: garde à vous!

Als auch Hugo den Brief angesehn und auf den Tisch gelegt, wandte die Erlaucht ihre Augen, mit denen sie bisher das Papier bewacht hatte, starr und fest auf Gerhard und fragte mit heiserer Stimme: »von wem ist der Brief?« – »Vom Grafen Ruysbroek,« lautete Gerhards langsam und deutlich betonte Antwort.

Diesmal ließ die Erlaucht sogar einen dumpfen Ton des Schreckens hören und griff, erbleichend, von neuem nach der Stuhllehne. Erst nach einer Pause, die keiner der übrigen Anwesenden zu stören wagte, redete sie mit gepreßter Stimme und ohne den starren Blick von Gerhard zu verwenden: »was hat der Herr Graf von Ruysbroek mit dir zu correspondiren?« – Ueber das Gesicht des jungen Mannes glitt ein trübes Lächeln, und ohne auf des Grafen Wolfgang mißbilligendes Kopfschütteln und Hugo's Achselzucken zu achten, erhob er seine Augen ruhig und ernst zu dem Gesicht der alten Dame und versetzte: »der Brief liegt offen vor Euer Erlaucht. Der Herr Graf bietet mir für den Fall, daß ich gewisse Ansprüche aufgebe und seine Wünsche durch meine Zustimmung befördere, eine Abfindungssumme.«

Nach diesen Worten wandte sich Graf Wolfgang schweigend um und setzte sich langsam in seine Sophaecke zurück, während Hugo dem Freunde herzlich seine Hand über den Tisch hinüberreichte. Gräfin Charlotte blickte finster zu Boden.

Endlich schaute sie wieder auf. »Daß der Graf Ruysbroek nicht selbst jener Fremde in Lautenthal gewesen sein kann, ist sicher,« sprach sie düster: »er zählt wenig Jahre mehr als seit der Ermordung meines Gemahls verflossen sind. Aber wir müssen uns mit jeder weitern Auskunft gedulden. Der Herr Graf ist vor einer Stunde abgereist und kommt erst in acht Tagen wieder.« – Gerhard trat bestürzt einen Schritt zurück. »Also zu spät!« rief er heftig. »So schnell hätt' ich mir das Ende nicht gedacht!« Und indem er den zweiten Brief öffnete und, mit dem Finger auf eine Stelle deutend, zu Hugo hinüberreichte, setzte er hinzu: »wollen Sie die Güte haben, Herr Graf, diesen Absatz aus dem Briefe eines Wiener Freundes vorzulesen?« – Hugo folgte der Bitte und las folgendes.

»Eine gute Geschichte zum Schluß. – Erinnerst du dich noch des Barons Menars, der vor sieben Jahren in Baden der Fürstin F. den Hof machte, und von dem man so viele seltsame Dinge erzählte? Er sollte auch in Paris beim falschen Spiel ertappt sein. Derselbe ist vor kurzem hier unter dem Namen eines Vicomte Ruysdael aufgetreten und hat unter dem Vorwände einer großen Erbschaft, die er in Ungarn gemacht haben wollte, mehrere Personen um unglaubliche Summen betrogen. Er soll den unerfahrenen, schüchternen Landjunker aus Belgien, der von seinem Glück ganz niedergedrückt war, und noch mit Gott weiß was für Klauseln zu kämpfen hatte, die ihn bisher am vollen Genuß desselben verhinderten, – ganz süperbe gespielt und Papiere vorgewiesen haben, welche seine Angaben durchaus zu bestätigen schienen. Denn manche der Betrogenen glauben noch felsenfest an seine Ehrlichkeit. Seit ihn jemand als Baron Ménars erkannte und in Gegenwart eines Andern also anredete, mit dem er als Vicomte Ruysdael verkehrte, ist er verschwunden und wird vergebens verfolgt. Er versteht es, neue Namen für sich zu finden. Seine Thätigkeit muß eine ausgebreitete gewesen sein, alle Tage hört man von neuen Opfern. Die Welt will betrogen werden.«

Der Vorleser legte das Blatt zusammen; es war im Gemach eine tiefe Stille. Die Erlaucht setzte sich wie zerbrochen in einen Lehnstuhl und legte den Kopf auf die zitternde Hand.

Hugo ging ein paarmal gedankenvoll auf und nieder. Endlich blieb er wieder am Tisch stehn und sagte: »Sie haben also recht gehabt mit ihrem Verdacht, Gerhard; aber zu spät kommen Sie für die Hauptsache nicht, das größte Unglück ist noch verhütet worden. Auch, meine ich, ist noch Aufklärung möglich, denn des ehrenwerthen Herrn Grafen ehrenwerther Herr Diener ist zurückgeblieben. Der arme Mann soll krank sein, oder den Spion spielen. Vom Morde möchte er eher etwas wissen als sein Herr. – Wo ist der Knopf von Lautenthal? Ich will Hubert instruiren und ihn damit auf die Fährte schicken. Der läßt ihn nicht los.«

Die alte Erlaucht hatte bisher schweigend und ohne irgend eine Bewegung in ihrem Stuhl gelehnt. Bei Hugo's Frage nach dem Knopf erhob sie das bleiche, abgespannte Gesicht und holte tief Luft. Dann stand sie auf, nahm den Knopf aus einem geheimen Fache ihres Schreibtisches und gab ihn schweigend an Hugo. Während die beiden jungen Männer das Gemach verließen, blieb sie bei dem Möbel stehn und stützte sich schwer auf die ausgezogene Platte. Dann murmelte sie kaum hörbar vor sich hin: »mein armer alter Bruder!« und ließ den Kopf tief auf die Brust sinken. –

Graf Wolfgang erhob sich: die Gleichgültigkeit und Ruhe seiner Züge war dem Ausdruck einer fast finsteren Strenge gewichen. »Nun Cousine,« sprach er, »danken Sie Gott, daß Sie noch nicht zu sagen brauchen: arme Margarethe! Das wäre ein nie gut zu machendes Elend gewesen: alles übrige, denke ich, ist dagegen – eine Bettelei.«– Die Erlaucht sah ihn einen Augenblick mit einem zerstreuten Blicke an, dann als erwache sie nun erst zum vollen Bewußtsein des Geschehenen, schlug sie sich mit der flachen Hand vor die Stirn und rief heftig: »Sie haben recht, Cousin! Schelten Sie mich! Verdammen Sie mich! Sie können's nicht bitterer thun als ich selbst. O über mich alte Närrin!« – Er lächelte begütigend. »Ei, ei, Cousine,« meinte er, »können auch Sie die Contenance verlieren? Das habe ich noch nie erlebt. Lassen Sie doch die Thorheit vergessen sein, wie Sie so manches im Leben vergessen mußten; die Sache ist ja zu Ende.«

Die Gräfin schüttelte beinah wild ihr graues Haupt. »Das vergesse ich nie!« sagte sie dumpf. »Was kümmern mich die paar tausend Gulden, um die er mich beschwatzt! Aber daß mich ein feiler, elender Betrüger so zur Närrin machen konnte vor den Meinen und mir selbst –.« – »Garde à vous!« unterbrach sie der Graf, ihre Hand ergreifend. »Wir haben anderes zu thun, Charlotte!« – Da zuckte sie zusammen, strich sich mit der Hand über die Stirn und sprach, sich aufrichtend, plötzlich gefaßt: »Sie haben recht, Cousin. Wir wollen nach dem Diener sehn.«

Inzwischen hatten die beiden jungen Männer Hubert alsbald aufgetrieben und schnell von der Lage der Dinge unterrichtet. Die Augen des Jägers brannten in wilder Freude. »Den werde ich Hetzen, so daß es ihm grün und gelb vor den Augen wird!« sprach er. »Ich habe dem schleichenden heimtückischen Gesellen nie getraut und stets gewußt, daß es ein Schuft wäre. Und will's Gott, packen wir den sauberen schielenden Herrn Grafen auch noch, der so fremd thut und doch deutsch redet wie Unsereiner, und hier so zahm und jüngferlich ist und drunten in Königshofen jeder Schürze nachläuft.« – »Woher weißt du das?« rief Hugo betroffen. – »Hab' ihn gestern Abend mit seinem Diener deutsch reden hören, und das Andere habe ich auch gestern vom Löwenwirth drunten erfahren. Er ist mehrmals Abends heimlich dort gewesen, wenn wir ihn in den Federn glaubten, aber man hat ihn doch erkannt, und einmal hat's sogar argen Skandal gesetzt.«

Die beiden Andern sahen sich verwundert an. »Und du hättest es zugeben können, daß er die Erlaucht noch weiter betrog, Hubert?« rief Gerhard vorwurfsvoll. – Der Alte lachte finster. »Bah, ich würde ihr schon zur rechten Zeit das Licht angesteckt haben. – Aber nun vorwärts!« Sie gingen zum Zimmer des Dieners in den Josefsbau hinüber; die beiden jungen Männer traten in das angrenzende Gemach und legten, beide wohl zum erstenmal in ihrem Leben, das Ohr an die Verbindungsthür, um zu horchen.

Als Hubert eintrat – der Schritt der Nahenden war auf dem mit Matten belegten Corridor nicht hörbar geworden – sprang der Diener erschrocken von seinem Stuhl am Fenster auf, wo er anscheinend mit der Durchsicht von Papieren beschäftigt gewesen. »Was beliebt?« fragte er sich vergessend auf deutsch und setzte dann schnell, und als ob er den Eintretenden erst jetzt erkenne, Hinzu: »Ah, monsisur Hubert!«

Der Alte hatte mit einem raschen Blick das Zimmer gemustert – den Tisch mit den Papieren am Fenster, zwei aufgeschlagene Koffer, deren Inhalt theilweise herausgenommen und auf ein paar Stühle gelegt war, darunter eine Livree – dunkelgrün und amarantfarben und mit Knöpfen, die das bekannte Wappen zu zeigen schienen, – endlich ein großes Bund der verschiedenartigsten Schlüssel zu oberst in dem einen Koffer. Während der Diener, dies gleichfalls bemerkend, flüchtig erröthete und die Koffer zuschlagend, die Unordnung im Zimmer entschuldigte – der Herr Graf habe ihm Rechnungen zu ordnen befohlen, die er lange habe suchen müssen – und den Alten zum Sitzen nöthigte, sagte dieser phlegmatisch: »danke, Herr Kammerdiener. Lassen wir aber das ausländische Gewälsch, ich versteh's nicht mehr recht, und der Herr Kammerdiener kann ja mit mir so gut deutsch reden, wie gestern Abend mit seinem Herrn. Bei unsern Herrschaften ist das was Andres.« – Der Diener lächelte befangen. »Daß Sie das auch hören mußten!« bemerkte er die Hände reibend. »Der Herr Graf übt sich heimlich, er will die Erlaucht und die Damen überraschen. Verrathen Sie uns nicht, Herr Hubert.« – »Schon gut,« versetzte der Jäger kalt. »Nun aber, Herr Kammerdiener – ich wollte nur fragen, ob Er das Dings da Verloren? So viel ich weiß, ist das seines Herrn Wappen, und ich hab's im Park gefunden.« Und damit reichte er dem Andern den Knopf hin.

Der Diener nahm ihn an und betrachtete ihn genau. »Das ist allerdings mein Knopf,« erwiderte er. »Aber wie zum Henker kann ich den verloren haben, da ich die Livree hier noch gar nicht getragen? Mein Herr liebt die bunten Farben nicht, und ich trage sie nur bei besondern Gelegenheiten. Früher war das was Andres,« setzte er hinzu und nahm die Livree vom Stuhl, um nachzusehen, wo ein Knopf fehlen möchte; »da mußte ich sie stets tragen.«

»Wie dazumal in Lautenthal,« bemerkte Hubert mit tiefer Stimme. Dem Andern fiel das Kleidungsstück aus der Hand und er schaute den Jäger mit großen Augen entsetzt an, während sich sein gelbes faltiges Gesicht mit einer aschfarbenen Blässe überzog. »Lautenthal? Was ist das? Bin da nie gewesen,« stammelte er verwirrt. – Der Jäger trat auf ihn zu und schlug ihm mit der Hand auf die Schulter. »Ei, besinn' dich nur,« sagte er langsam und deutlich, ihn dabei starr ansehend, »in Lautenthal, beim Lindenwirth, mit deinem Herrn, der dich am Tage vor Allerheiligen mit einem Briefe nach Königshofen schickte, du mußtest aber sagen, du kämst von Waldseck, und gabst ihn Seiner Erlaucht selbst.« – Der Mensch taumelte zurück und hart gegen die Thür. »Bist du Satan selbst?« stammelte er, in die Knie stürzend.

Hubert riß ihn herzuspringend wieder empor, und indem er ihn mit der Faust im Genick vorwärts gegen die hereineilenden Freunde stieß, rief er diesen mit grimmigem Jubel zu: »da ist der Hund, Euer Gnaden! Da ist der feige Hund! Wage noch zu leugnen, Canaille, und ich erwürge dich!« – Der zitternde Mensch ward nur durch des Jägers Faust gehalten. Er streckte den Eintretenden die krampfhaft gefalteten Hände entgegen und ächzte: »retten Sie mich vor dem Teufel da! – Ich will alles bekennen!« –

Da trat auch Graf Wolfgang mit der Erlaucht am Arm an die geöffnete Thür: dem Jäger ward befohlen, seinen Gefangenen los zu lassen und ohne Aufsehn ins Kabinet der Gräfin zu schaffen. Doch ließ es der Alte sich nicht nehmen, dort mit den Uebrigen einzutreten; hinausweisen mochte ihn niemand, und so lehnte er mit untergeschlagenen Armen an der Thür und horchte wie die Andern auf die Beichte des Dieners.

»Der Mörder des Herrn Grafen,« fing er an, »war mein jetzt Verstorbener alter Herr – der Marquis von Montarliers.« – Hugo und Gerhard fuhren zusammen – war es möglich, daß der Schwiegersohn am Vater seiner Gattin solche That begangen? – Hubert ballte grimmig die Faust; die Erlaucht aber warf dem Grafen Wolfgang einen finstern Blick zu, worauf dieser mit leisem Kopfnicken antwortete, und dann richtete sie die Augen zu dem Diener und sagte: »unser Verdacht wandte sich damals schon auf den Marquis, obgleich wir anscheinend gar keinen Grund dazu hatten. Allein es ist nicht sein Wappen. Wie erklärt sich das?« – »Es ist das alte Wappen einer Nebenbesitzung des Herrn Marquis, der Herrschaft Rochebrun, nach welcher sich früher die nachgebornen Söhne genannt hatten,« versetzte der Mann demüthig. »Ich werde davon erzählen,« Und dann begann er aufs neue seinen Bericht. Daraus ging denn Folgendes hervor.

Die Verhältnisse des Marquis waren schon in Deutschland in großer Verwirrung gewesen, wozu sein im Geheimen höchst ausschweifendes Leben nicht wenig beigetragen hatte. Er gedachte sich durch eine reiche Heirath zu retten und warf seine Augen auf Blanka, da er wußte, daß ihre Mutter ein großes Vermögen besessen hatte. Er war daher wie vom Donner gerührt, als er erst am Tage der Hochzeit bei Unterzeichnung der Ehepakten genau erfuhr, daß die Gräfin Leonore, wie auch, die letzten Gräfinnen vor ihr, den größten Theil ihres Vermögens und ihrer Besitzungen der Grafschaft zugewendet hatten, weil nur auf solche Weise der Ruin des Hauses vermieden werden konnte. Der Tochter fiel nur eine geringe Summe über das im gräflichen Hause herkömmliche Heirathsgut zu. Der Marquis war von dieser Kunde so übernommen, daß er für den Augenblick kein Wort der Widerrede fand. Bisher hatte er es in seinem Leichtsinn nicht der Mühe werth gefunden, besondere Erkundigungen über diese keineswegs verborgenen Verhältnisse anzustellen, und als er nun am folgenden Morgen vor der Abreise das Vermögen seiner Frau übernahm und dabei in grimmige Vorwürfe und sogar Schmähungen und Drohungen ausbrach, mußte Graf Wolf Christoph um so mehr überrascht und verletzt sein, da er nie an eine Verheimlichung gedacht und voraussetzen mußte, daß sein Schwiegersohn sich vor seiner Verheirathung von dem Vermögensstande seiner Braut unterrichtet haben werde. Er antwortete daher um so entrüsteter, da er auch seine Tochter sich in diesen Streit mischen sah. Wie die Leser aus der Erzählung der alten Erlaucht wissen, trennten sie sich in dieser Verstimmung, welche, als der Marquis bald darauf in Paris einen großen Theil des Vermögens im Spiel verlor, und die Aussicht auf Wiedererlangung seiner französischen Besitzungen immer mehr schwand, seinerseits zu neuen schriftlichen Forderungen und Drohungen und, was Graf Wolf Christoph unter dem Siegel der Verschwiegenheit nur dem Grafen Wolfgang mitgetheilt hatte, zur Einleitung eines Prozesses führte.

Bald nach dem Beginn desselben ging der Marquis mit seiner Gattin nach Westindien hinüber, kehrte jedoch, nach Blanka's bald erfolgtem Tode, schon 1803 nach Frankreich zurück und kompromittirte sich bei der Verschwörung von George Cadoudal und Pichegru so sehr, daß er mit Noth der Verhaftung entging und kaum noch auf einem amerikanischen Schiff entweichen konnte. Als Herr von Rochebrun kehrte er dann nach England zurück, ergab sich immer mehr dem Spiel und setzte den Prozeß fort, indem er die Handschrift seiner Gattin nachahmte und sogar den gefälschten Taufschein eines von ihr geborenen Sohnes beibrachte. Da Graf Wolf Christoph von all diesen Dingen niemals geredet und nie einer weitern Nachricht von dem Ergehn seiner Tochter gedacht hatte, so war nur anzunehmen, daß er diese ganze Angelegenheit für zu schmachvoll gehalten, um sie nicht in sein tiefstes Innere zu verschließen.

Der Prozeß ging im Jahre 1806 zu Ende und für den Marquis verloren, und hierüber von Wuth erfüllt und einsehend, daß durch vielerlei Gaunerstreiche, Betrügereien und Fälschungen auch der längere Aufenthalt in England für ihn unmöglich geworden, ging er nach Deutschland hinüber mit dem festen Entschlusse, an seinem Schwiegervater sich so oder so zu rächen und sich auf irgend eine Weise in den Besitz des Vermögenstheils zu setzen, um den er seiner Ansicht nach betrogen worden war. Auf all seinen Reisen und Unternehmungen wurde er von dem Erzähler, den er schon auf der Hochzeitsreise in Mainz als Diener angenommen, begleitet.

Der Marquis war von allen Seiten verfolgt und trat daher auch in Deutschland wieder unter anderem Namen auf. Seinem Schwiegervater wagte er sich um so weniger zu entdecken, da er wußte, daß derselbe ihn sicher von sich stoßen werde, und annahm, daß der Graf sich eher durch plötzliche Ueberraschung oder geheimnißvolle Drohungen einschüchtern und zum Nachgeben zwingen lassen werde. Ueberdies sann er auch, wie schon bemerkt auf Rache, oder wie er es nannte, auf die gebührende persönliche Bestrafung seines Schwiegervaters. – Seiner alten Leidenschaft für das Spiel folgend, trieb er sich aber noch ein paar Wochen in den Bädern umher und knüpfte in dieser Zeit ein Verhältniß mit einer Schauspielerin an, dem einige Zeit darauf der sogenannte Graf Ruysbroek sein Dasein verdankte. Dann näherte er sich allmälig Königshofen und ließ sich in Lautenthal nieder, wo er sicher war, nicht erkannt zu werden. Von dort streifte er mehrmals gegen Königshofen hinüber, ohne jedoch, wie er hoffte, jemals dem Grafen allein zu begegnen.

Da erfuhr er die Abwesenheit der Gräfin und schrieb an den Grafen jenen früher erwähnten Brief, den Josef, der Diener, abschreiben und überbringen mußte. Er sagte darin, ohne seinen Namen zu nennen, daß er davon unterrichtet sei, wie der Graf seine Tochter um ihr Vermögen betrogen und den Prozeß nur durch Bestechung gewonnen, und drohte mit Veröffentlichung dieser Sache und mit der Rache der Betrogenen, wenn der Graf nicht innerhalb weniger Tage eine sehr bedeutende Summe an eine beigefügte Adresse übermache, oder sich zu einer Unterredung und Verständigung mit dem Schreiber dieser Zeilen am Samstagmorgen an einem bestimmten Orte allein einfinde. Die Antwort sollte nach einer nahen Poststation so bald wie möglich gerichtet werden. Jede angestellte Untersuchung oder Nachforschung ward mit furchtbarer Rache bedroht. –

Da die Antwort ausblieb – denn der Graf hielt das Ganze, wie wir wissen, für eine großartige Bettelei und verachtete die gedrohte Rache, – der Graf auch nicht beim Rendezvous erschien, und noch weniger das Geld schickte, so brach der Marquis am Sonntagmorgen wüthend und mit dem Entschlüsse von Lautenthal auf, sich im Nothfall mit Gewalt in den Besitz des Geldes zu setzen. Er hatte nicht nur erkundet, daß große Geldsummen in Königshofen liegen müßten, sondern kannte auch das Schloß und die gewöhnliche Lebensweise in demselben von früher ganz genau, und hatte überdies durch Zufall einmal einen geheimen Weg entdeckt, der von draußen in die Privatkanzlei führte und dem Grafen sowohl wie allen Bewohnern unbekannt schien. Zugleich, da er wußte, daß der Leibjäger im Vorzimmer schlief und früher Abends vor dem Schlafengehen zum Mißfallen seines Herrn gewöhnlich ein Glas Grog getrunken hatte, versah er sich mit einem Schlaftrunk für denselben. Er fürchtete, daß er des riesenstarken Mannes bei entstehendem Lärm im Wachen nicht Herr werden dürfte, ohne alle andern in der Nähe Schlafenden auf die Beine zu bringen.

Unterwegs sahen sie, im Walde versteckt, den Grafen und Rolof an sich vorbeireiten und den Herrn bald darauf allein zurückkehren. Der Marquis erhob schon im rachsüchtigen Grimm die Flinte, um ihn niederzuschießen, und ward vom Morde nur durch Josefs Eingriff und dessen Vorstellung abgehalten, daß das Ausbleiben des Grafen augenblicklich auffallen und einen Einbruch fürs erste unmöglich machen müsse. – Dann näherten sie sich dem Schloß, konnten es jedoch, durch allerlei Zufälle und die rings herrschende lebhafte Bewegung der Diener und Beamten aufgehalten, erst gegen acht Uhr betreten, in die Privatkanzlei gelangen, die Pistolen auf des Grafen Schreibtisch entladen und den Schlaftrunk bereiten, der diesmal so gute Wirkung thun sollte, obschon Hubert, seinem Herrn zu Liebe, der Gewohnheit längst entsagt. Sie waren mit diesen Vorbereitungen eben fertig, als der Leibjäger erschien, so daß sie sich kaum noch in das Kassenzimmer flüchten konnten. Hubert blieb da, nicht lange nachher kam der Graf, und erst als dieser schon eine geraume Zeit allein und in die Arbeit vertieft war, wagten sie Licht anzuzünden und sich weiter umzusehen. Da der Graf den Nachmittag abwesend gewesen, fanden sie die Kassen verschlossen und mit ihren Nachschlüsseln nicht zu eröffnen.

Sie warteten daher noch eine Weile, um sicher zu sein, daß Hubert schlafe: dann trat der Marquis leise ins Kabinet, und als der Graf das Geräusch vernehmend, aufsprang, schlug er ihn mit einem Hiebe des Hirschfängers zu Boden, bevor der Ueberraschte nur das ganz nahe liegende Pistol ergreifen konnte. Dann, da sie seines Todes sicher waren, eilten sie die kleine Kasse zu öffnen, zu der sie den Schlüssel fanden, suchten das Gold aus und beluden sich mit dem, was sie fortbringen konnten, und schlichen, nachdem der Marquis auch noch seinen Brief vom Donnerstag gefunden und an sich genommen, schnell und unbemerkt aus dem Schloß. – Gleich darauf verließen sie Europa und gingen nach Amerika hinüber, wo sie zuerst von dem geraubten Gelde, nachher von allerlei Schwindeleien und wenig ehrenvollen Unternehmungen lebten.

Obgleich von dem Morde und den folgenden Untersuchungen und Nachforschungen nichts verlautete, wagte sich der Marquis erst viele Jahre später nach Europa zurück. Sein Ruf war überall gleich schlecht, es lebten auch zu viele, die von ihm so oder so einmal betrogen worden, und als er endlich im Anfang der dreißiger Jahre selbst den Boden Nordamerikas für sich zu heiß fand und wieder in Frankreich auftrat, geschah es nicht nur wieder unter anderm Namen, und als Bürger der nordamerikanischen Freistaaten, sondern auch mit einem Aeußern, das durch alle Künste der Toilette umgestaltet war. Durch Zufall entdeckte und erkannte er in einer Pariser Spielhölle seinen Sohn, der von seiner Mutter bis zu ihrem Tode besser erzogen und gebildet worden, als man es von einem so leichtsinnigen Wesen hatte erwarten sollen. Doch war diese Erziehung nicht nachhaltig gewesen. Politische Verbindungen und Schwärmereien trieben ihn nach Frankreich. Er fand bald Geschmack an Schwindeleien und hatte sich jetzt, durch Gott weiß was für Mittel, als Vicomte von Rochebrun eine Stellung in der Gesellschaft zu schaffen gewußt. Als Spieler und Gauner von Profession trat er nun dem ebenso gearteten Vater entgegen und vereinigte sich von da ab mit ihm zu gemeinsamen Spieler- und Beutezügen, welche sie, bald unter diesem, bald unter jenem Namen, besonders in die deutschen Bäder führten.

Nach einigen Jahren fiel der Marquis in einem Duell, das er sich durch falsches Spiel zugezogen, und der Vicomte ging aus demselben Grunde mit dem alten Diener seines Vaters außer Landes. Dort kombinirte er den Plan, den er in Wien zur Ausführung brachte. Papiere hatte er sich verfertigt oder sonst zu verschaffen gewußt, und spielte seine Rolle so trefflich, daß ihn kein Verdacht traf und er eine reiche Ernte hielt. Der Baron Berndingen war eins seiner letzten Opfer; durch ihn ward er auf die Familie Königshofen aufmerksam gemacht und ergriff diese Gelegenheit fortzukommen und wo möglich einen größern Fang als je zu machen, mit beiden Händen, da es ihm in Wien nicht mehr geheuer schien. Josef folgte nur ungern nach dem Schauplatz jener blutigen That des Vaters, wagte aber dem Sohne nichts davon zu entdecken, da selbst der Marquis stets darüber geschwiegen, und er auch fürchtete, daß ein neuer Mitwisser das Geheimniß aufs neue gefährden könne. Ueberdies wußte er, daß Raimund ihn nur noch bei sich duldete, weil er in alle Streiche und Betrügereien des Herrn eingeweiht war. Er wollte daher nicht durch die Entdeckung dieses Verbrechens sich seinerseits ihm ganz in die Hand geben.

Von dem Weitern ist wenig zu sagen. Der Leser weiß, wie Raimund auftrat und sich der Gunst der alten Erlaucht versicherte. Den Nebenbuhler wußte er fortzuschaffen und sich immer fester zu setzen, und so schien alles auf dem besten Wege zu sein, bis Graf Wolfgang Hirschegg anlangte und sich von vornherein dem Fremden so abgeneigt zeigte, daß Raimund es für das beste hielt, während der Anwesenheit desselben seinerseits Königshofen zu verlassen. Dazu kam, daß er am Tage vor seiner Abreise erfuhr, man sei in Wien den großartigsten Betrügereien auf die Spur gekommen, und habe die eifrigsten und ganz geheim betriebenen Nachforschungen begonnen. In der, selbst den feinsten Gaunern eigenthümlichen Verblendung hatte er sich bisher für völlig sicher gehalten. Den alten Baron Berndingen, gegen den er am weitesten herausgegangen, hielt er durch die Erlaucht in seiner Hand. So reiste er mit einigen Summen, die er der Dame schon jetzt abzuschwindeln gewußt, ab, nicht um eine Stunde zu früh. Er wollte draußen umherhorchen und nach Umständen davongehen oder zurückkehren. Josef blieb zur Beobachtung einstweilen zurück.

Der Diener blieb ungern. Er war von Angst und böser Ahnung gequält und wäre schon heut auf und davon gegangen, wenn er nicht seinen Herrn gefürchtet, dessen Plane er überdies so kurz vor dem Gelingen auch nicht stören wollte. An den Mord dachte er gar nicht mehr, und um so furchtbarer war sein Schreck, als er grade den entdeckt sah. Da brach er zusammen und leistete in nichts mehr Widerstand.

Zum Schluß des langen Berichts mußte er seinen Zuhörern den geheimen Weg zeigen, der damals den Mörder zu seinem Opfer führte. Im Kapellenthurm war zwischen der großen Terrasse und der Bibliothek neben einem breiten Strebepfeiler eine kleine, fast vergessene und niemals mehr benützte Pforte, deren Schloß sich auch jetzt noch mit einem krummen Nagel aufsperren ließ. Die Pforte, welche aus dem Thurm in den Corridor neben der Privatkanzlei führte, untersuchte Hubert damals zwar jeden Morgen und Abend; außer derselben aber führte auch noch vom kleinen Orgelchore aus eine versteckte Oeffnung ebendahin, die nur dann sichtbar ward, wenn man durch den Druck auf eine Feder eine dort befindliche, anscheinend massive, inwendig aber hohle Säule bewegte, und also hinübergelangte. Der Marquis, als leidenschaftlicher Orgelspieler dort öfter verweilend, hatte durch Zufall diesen Mechanismus entdeckt, der unzweifelhaft zu einer Zeit mit den ähnlichen Spielereien des Josefsbau's entstanden war. Diese erste Entdeckung führte den neugierigen jungen Mann zu einer zweiten, ähnlichen. Es hatte ihn schon immer gewundert, daß das naheliegende Kabinet des Grafen ohne jede andere Verbindung mit dem Corridor sein sollte, als durch den Archivsaal und das kleine Vorzimmer. Und doch war dieser Schloßtheil die Privatwohnung des Grafen Wolf Josef gewesen, unter dem alle die Künsteleien entstanden. Er suchte nach und fand einen neuen kleinen Knopf ganz unten am Fußboden, der ein Stück Wand mit dem anstoßenden Theile des drinnen stehenden Repositoriums in Bewegung setzte und so eine schmale Thür öffnete. Die Federn waren so trefflich und die Fugen schlossen so genau zusammen, daß die Thür sich ohne Geräusch und leicht bewegte, und selbst bei der genauen Untersuchung nach dem Morde nicht entdeckt wurde. –

Gegen Abend, als Josef in Gewahrsam gebracht und, auf des Grafen Wolfgang Betreiben, die Botschaft an das Gericht abgegangen war, saßen die beiden alten Verwandten wieder einsam im Kabinet der Erlaucht und besprachen, was zunächst geschehen müsse. Zum Schluß der Unterredung rief die Dame den Kammerdiener und befahl ihm, Gerhard herbeizurufen. »Ich muß ihm danken – von ganzem Herzen!« sprach sie zum Grafen Wolfgang. »Was er auch sonst verschuldet haben mag – hier hat er wie sein Vater gehandelt; er hat unser Haus – nein, er hat unsere Ehre gerettet.« Aber der Kammerdiener kam ohne Gerhard zurück. »Der Herr Forstmeister,« meldete er, »sei gleich nachdem die Herrschaften aus der Kapelle zurückgekehrt, aufs Pferd gestiegen und nach Willsburg zurückgeritten.«

Die Erlaucht sah ihren Vetter bestürzt an. – »Haben Sie etwas Anderes von ihm erwartet, Cousine?« fragte dieser mit leisem Lächeln. »Er that hier, was seine Pflicht war, dann ging er wieder. Er ist eben ein wackerer Mann.« Die Gräfin sagte kein Wort und betrachtete stumm den alten Wappenknopf.


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