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Zehntes Schriftstück

Lieber hätte ich noch zehn Nächte bei Sturm und Regen im Walde zu Comana in der hohen Ulme gezittert und gebebt – als daß ich diesen Brief von Dir lesen mußte, meine Mutter!

Absage. Glatte Absage. Du kommst nicht zu mir. Vater läßt Dich nicht fort. Vaters Sinnlichkeit ist zu Dir zurückgekehrt und hat sich in glühende Eifersucht verwandelt? Und mit zu mir kommen will er nicht? Du schriebst es, meine Mutter, und ich mußte es glauben.

Aber es war ein sehr harter Schlag für mich. – Du kannst mir nicht übelnehmen, daß nun viele Monate verflossen sind zwischen jener heißen Bitte des Wiedersehens und dem heutigen Tage, da ich seit langer, langer Zeit wieder den ersten ausführlichen Brief an Dich niederzuschreiben beginne. Von einem Monat verschob ich's auf den andern. Nun ist wahrhaftig mehr als ein Jahr vergangen seit ich Dir nicht mehr schrieb.

Übrigens hat sich in den ersten Monaten meines Schweigens auch durchaus nichts Erwähnenswertes zugetragen. Ich habe hier in Saarow-Pieskow von Landluft und Sanatoriums-Höhensonne gelebt, von Wassersport und Krampfadern-Treue. Was ich nicht mißzuverstehen bitte. Deine schöne Tochter ist wieder so schön wie je, die Krampfadern hat der Herr des Hauses, mein innigstgeliebter Paul, der langweilige Patron, der es nicht verdient, daß eine so schöne Frau wie ich ihm so lange treu war.

War, Mutter, nicht ist.

Vorbei. Überwunden. Durchlöchert. Was soll nun aus ihm werden, aus mir und dem andern?

Neben dem Holzhändler Paul Trapp leuchtet am Himmel meiner Liebe wieder eine neue Sonne – oder vielmehr eine alte: Professor Erhard König, mein Maler.

Wie das entstand?

Mein Gott, wie so etwas eben entsteht ... in dieser närrischen Zeit, in der Du nun glücklich eine Milliarde Mark bezahlen mußt, wenn Du ein Butterbrot essen willst. Die Dollars sind verboten, aber wer keine hat, der verhungert. Nun, der Holzhändler Paul Trapp hat Dollars. Und der Professor Erhard König auch.

In Saarow-Pieskow am Scharmützelsee gibt es Anstalten zur Verpflegung landluftbedürftiger Großstadtkinder. In einem solchen Kinderheim ist der kleine Heinz König untergebracht. Seine Eltern, die zwar noch immer nicht geschieden sind, aber getrennt leben, statten ihm abwechselnd an jedem Besuchstag eine Visite ab. Schon einige Male war mir auf der Straße eine marmorkalte, schwarzhaarige, junonische Schönheit begegnet, bei deren Anblick ich mir dachte, so müsse Frau Eva König aussehen. Endlich sah ich sie gar einmal mit dem sechsjährigen Heinz, der seinem Vater so ähnlich schaut, daß ich mir keinen Augenblick im Zweifel blieb.

Da ich mich selbst scharf zu beobachten pflege, fiel mir auf, wie häufig seit damals meine Besorgungen mich in die Nähe des Kinderheims führten, wo Heinz untergebracht war.

Und eines Tages geschah das lang Ersehnte: ich begegnete meinem Maler! So oft ich mir in der letzten Zeit dieses Wiedersehen im Geiste ausgemalt hatte, nahm ich an, daß Erhard bei meinem Anblick stark erstaunt sein müsse, während ich selbst ja sozusagen auf den seinen vorbereitet war.

Das Gegenteil traf ein.

Wie der Blitz schlug es in mich, als ich den Professor aus dem Heim treten sah, in das er – wie er mir später sagte – eben nach gemeinsamem Spaziergang den Jungen zurückgeführt hatte. Ich, die ich sonst die Beherrschtheit in Person bin, zuckte zusammen, fühlte wie mein Blut in Wange und Ohren stieg und wußte, daß Erhard mein Erröten entdecken mußte, weil man in Saarow-Pieskow nur wenig Puder aufzulegen pflegt. Aber Erhard schritt mit voller Ruhe auf mich zu, zog den Hut und reichte mir die Hand, als wären unsere guten Beziehungen nie zerrissen gewesen. An seiner Gelassenheit richtete ich mich rasch wieder auf, als alte Bekannte freundschaftlich plaudernd, schritten wir nebeneinander durch die Straßen von Saarow-Pieskow.

Was lag nicht alles zwischen der Nacht unserer Trennung und dem Tage unseres »unverhofften« Wiedersehens! Wie Kinobilder zogen die Erinnerungen an mir vorüber, er bat mich zu erzählen, und ich erzählte ihm von dem Abend, wo ich aus der Proszeniumsloge mit Tischler-Ruß kokettierte, von meinem Engagement als Schauspielerin. Dann schilderte ich die rumänische Tournee, die nun längst verblaßte Zeit meiner Bühnenerfolge, die schreckliche Nacht im Walde von Comana. Aus ein paar andeutenden Worten ließ ich den Maler auch Einblick in meine Beziehungen zu Julius gewinnen, verschwieg auch nicht, daß mir die rumänischen jungen Offiziere gut gefallen haben, die in ihrer hübschen Operetten-Uniform niedlich aussehen wie verkleidete junge Mädchen, und daß einer von ihnen – Take Titesku – in seiner Eigenschaft als Neffe des Villenbesitzers manchmal in Juliussens Abwesenheit gekommen war, um in der Strada Cobalcescu nach dem rechten zu sehen.

Meine Krankheit schilderte ich dem teilnahmsvoll zuhörenden Professor, und wie an meinem Bukarester Krankenlager plötzlich der Holzhändler Paul Trapp als Pfleger aufgetaucht war und daß ich seit damals meinem hölzernen Manne treu sei.

»Deinem Manne? du bist also wirklich regelrecht verheiratet?«

Sollte ich die Geschichte von den greulichen gelben Formularen auftischen? Langweilig! Da geschah's, daß ich den wiedergefundenen Erhard beharrlich anlog.

»Ja, ich bin regelrecht verheiratet.«

Er war über diese Tatsache so tief betrübt, so stark verstimmt, daß mir die Lüge gleich wieder leid tat. Aber so rasch den Rückzug antreten, das »liegt« mir nicht.

»Wo habt ihr euch trauen lassen, Dolly?«

Ich log: »Im Standesamt zu Wilmersdorf.«

»Seit wann bist du verheiratet, Dolly?«

»Mußt du das so genau wissen, Erhard?« versuchte ich auszuweichen.

Er bestand darauf, den Tag meiner Eheschließung zu wissen. Da nannte ich aufs Geratewohl ein Datum höchst präzise: Tag, Monat, Jahr. Er ließ mich das Datum noch zweimal wiederholen, dann atmete er erleichtert auf.

Ich sah ihn groß an: »Nun bist du auf einmal zufrieden, Erhard?«

... Ja, Dolly. Denn nun weiß ich, daß das mit der Heirat nur ein Scherz war. An dem Tage, den du nanntest, waren ja als Streikdemonstration gegen den jüngsten politischen Putsch alle deutschen Amtsgebäude geschlossen – das war der einzige Tag, an dem du nicht heiraten konntest!«

Pech.

Oder Glück?

Nun war ich aus dem einen Schwindel heraus und gestand auch den andern, jenen schriftlichen Schwindel: wie ich durch die kleine Falschmeldung auf den greulichen gelben Formularen mir das Heiraten selber unmöglich gemacht hatte. So ganz sicher war ich nicht, ob Erhard in seiner Redlichkeit mir die unbewußte Urkundenfälschung nicht bitter krumm nehmen möchte. Aber er drückte mir die Hand und sagte:

»Dolly – meine Dolly! Da haben wir noch einmal Glück gehabt!«

»Wir?« fragte ich zurück.

»Du und ich. Denn ich denke: einmal wird unser Weg uns doch für immer zusammenführen.«

Als ich ihn zweifelnd ansah, fing er an, von sich zu erzählen. Er hatte die gemeinsame Wohnung in der Neuen Winterfeldtstraße Nummer 127 seiner Frau überlassen, die dort mit ihrem ihr treu gebliebenen Dienstmädchen allein wirtschafte. Das Kind – ich wußte ja schon: war im Kinderheim zu Saarow-Pieskow gut untergebracht.

»Und wo wohnst du in Berlin, Erhard?«

Wieder zuckte ich zusammen und fühlte mich rot werden, als der Professor antwortete:

»In deiner alten Atelierwohnung, Dolly, in der stillen Fürther Straße, vier Treppen hoch.«

Das war schön von ihm, daß er – zum Gedächtnis an mich – die Wohnung gewählt hatte, in der er mich zum letztenmal sah. Ich preßte seine Hand, daß mir meine weh tat.

»Und weißt du, Dolly, was ich inzwischen gemalt habe? Dich. Immer nur dich. Aus dem Gedächtnis.«

»Aber ich habe in letzter Zeit nichts davon auf Ausstellungen gesehen?«

»Ausstellen hab' ich nicht mehr nötig. Fritz Simonis, mein alter treuer Bilderhändler, verschachert all meine Erzeugnisse sozusagen frisch aus dem Backofen heraus, noch brühwarm an das dollarzahlungsfähige Ausland. Aber viele Bilder von dir habe ich auch behalten. Mein Atelier hängt voll von schönen, blonden Dollys.«

Um meine Rührung zu verbergen, wollte ich ablenken: »Deine Dolly hatte inzwischen Zeiten, in denen sie welk, alt und schlaff war.«

»Für mich, Liebling, warst du immer jung, strahlend, schön.«

»Du, Erhard, darf ich in dein Atelier kommen und meine Bilder sehen?«

»Das mußt du, Dolly.«

»Was rede ich da. Ich kann ja gar nicht. Ich komme so selten nach Berlin und dann immer nur für ein paar Stunden, weil die Zugverbindung in diesen jämmerlichen Inflationszeiten so schlecht geworden ist. Paul kann den Tag besser ausnutzen, der fährt in seinem Auto früh hier fort und spät zurück. Aber ich mit meiner Idiosynkrasie gegen die schrecklichen Automobile bin auf die Eisenbahn angewiesen, und während der paar Stunden Berlin muß ich so viel für Paul, für unser Haus, für mich besorgen.

»Es geht also wirklich nicht, Dolly?«

»Da kennst du mich schlecht, Erhard! Was ich will – das geht. Ich will zu dir – ich komme. Von dieser Stunde an erkläre ich meine Angst vor dem Auto als endgültig überwunden. Die Idiosynkrasie ist geheilt! Morgen früh um acht fahre ich mit Paul in seinem Automobil nach Berlin. Zwei Stunden später, um zehn, bin ich in deinem Atelier, Erhard! Abgemacht!«

Brauche ich Dir, meiner über alles geliebten Mutter, zu sagen, daß in Erhards Atelier, zwischen den wundervollen Bildern, die er – ohne mich – von mir gemalt hat, der Phönix unserer Liebe aus der Asche unserer Gefühle strahlend wieder aufstieg!

O, was war das für ein köstlicher Tag! Die alte, junge Dolly erwachte wieder in mir, als ich früh morgens zu dem erstaunten Paul vor der Tür unseres Landhauses in sein Auto stieg.

»Du, Dolly, um acht Uhr früh schon reisefertig?« staunte mein sogenannter Gatte.

»Ja, gutes Paulchen. Ich habe so viele Einkäufe in Berlin zu besorgen, daß ich heute mit der Eisenbahn nicht zurechtkomme.«

»Und deine unüberwindliche Abneigung gegen das Autofahren?«

»Ist erledigt, liebes Paulchen. Eine gute Hausfrau muß jedes Opfer bringen können. Und wenn die Sache heute klappt, begleite ich dich von jetzt ab mindestens zwei-, dreimal die Woche in deinem Wagen nach Berlin.«

»Das ist lieb von dir, Dolly. Was meinst du damit, daß die – Sache klappt?«

War er mißtrauisch?

Mit der vollkommensten Ruhe erwiderte ich:

»Nun, daß eben alles so geht, wie ich es gern möchte.«

»Wird schon, Dolorosa, wird schon!« tröstete er mich.

Nein, mein liebes gutes Paulchen war nicht mißtrauisch.

Als ich Punkt zehn Uhr – bei Erhard bin ich immer pünktlich, ich weiß selbst nicht wieso – in der stillen Fürther Straße die vier Treppen nach meiner alten Atelierwohnung hinaufhuschte, klopfte mir das Herz vor freudiger Erwartung. Mein Maler war allein. Er öffnete, bevor meine Finger den Klingelknopf berührten, denn er hatte lauschend hinter der Tür gestanden. Wie wonnige Küsse tauschten wir! Erhard hatte im Atelierraume, der gegen damals viele Veränderungen zeigt, einen molligen Klubsessel rings mit großen Vasen voll hoher, bunter Blumengarben umstellt. In dieses blühende Gebüsch sollte ich mich setzen. Erhard stand vor mir, schaute mich minutenlang an und sagte immer wieder:

»Dolorosa ... meine Dolorosa ist nun wieder da ...«

Es ist nun unbeschreiblich, auf welche verliebten Einfälle wir zwei an diesem entzückenden Tage kamen. Wir kochten Mittag, tranken Tee, alles in der Wohnung, die ich erst gegen Abend verließ, um Paul aus dem Bureau zur Rückfahrt nach Saarow abzuholen. Wir waren ungestört geblieben, nur einmal klingelte eine Frau, die ein paar Pakete brachte.

»Mein Gott,« sagte ich, als ich in der Atelierwohnung den Hut aufsetzte, »was sage ich Paul bloß, wo ich so lange gewesen bin. Ich hatte Dutzenderlei einkaufen wollen ...«

»Ja,« nickte Erhard, »ich weiß. Du hast mir gestern in Saarow eine lange Liste vorgeplaudert, was du heute in Berlin alles einkaufen könntest. Schrubber, Bürste, Zahnpasta, Bohnerwachs, Mundwasser, zwei Meter grünes Taillenfutter, Zigaretten, Seifenpulver, Ölsardinen, Aprikosenmarmelade –«

»Was du für ein Gedächtnis hast, Erhard! Professoren vergessen doch sonst alles?«

»Was meine Dolly sagt, davon vergesse ich nichts!« lachte er. »Und weißt du, was in den Paketen war, die meine Wirtschafterin vorhin gebracht hat? Alles, was du kaufen wolltest: von Schrubber und Bürste bis zur Aprikosenmarmelade.«

Daran hatte er also auch gedacht. Und für seine professorale Lehrtätigkeit an der Hochschule hatte er für diesen Tag einen begabten Schüler als Vertreter bestellt. An alles hatte er gedacht. Nun konnte ich sogar noch ein halbes Stündchen länger bleiben und diese halbe Stunde war die schönste des Tages.

Als ich ins Bureau kam, sagte Paul: »Ach, du bist schon da?« Er konferierte eben noch mit dem alten, treuen Justizrat Blumenfeld, der schon seit Stunden bei ihm saß.

»Ich bin so müde und elend, daß ich kaum noch ins Auto kriechen kann,« stöhnte Paul, als wir uns endlich zur Abfahrt anzogen.

Dann fuhren wir, und ich staunte wieder über die tollen Scherze des Lebens: ein mehr als fünfzigjähriger Professor, mit dem ich einen Tag lang gescherzt, gekost und gelacht hatte, war an Ausdauer und Genußfähigkeit ein Jüngling; der Dreißiger neben mir im Wagen war ein müder Greis.

Und weil am ersten Tage die Sache »geklappt« hatte, weil alles so gegangen war, wie ich es gern mochte, fuhr ich von jetzt ab oft, sehr oft mit meinem lieben guten Paulchen in seinem Auto nach Berlin.

»Überanstrenge dich nicht!« sagte er zärtlich, wenn ich ihn ins Bureau begleitet hatte und er mich zu meiner vorgeschützten Einkaufsreise entließ, für die mein Maler stets im voraus eingekauft hatte.

»O,« tröstete ich meinen sogenannten Gemahl, »ich bin wieder jung und gesund, ich kann einen ganzen Posten vertragen.«

Hundertmal betrachtete ich mir jedes Bild, das Erhard, ohne daß ich dabei war, gemalt hatte. Als ich ihm aber nun von neuem »Modell« stand und er Bilder von meinem persönlich anwesenden Ich schuf, dämmerte mir doch ein wahrnehmbarer Unterschied zwischen diesen und jenen Gemälden auf.

»Erhard,« fragte ich hochnotpeinlich, hielt ihn am Mittelknopf seiner Weste fest und schaute ihm scharf in seine blauen Augen – »Erhard sag die Wahrheit! Hast du die Bilder dort wirklich ohne Modell gemalt?«

Er leugnete keinen Augenblick.

»Ohne Modell? Das hab' ich nie behauptet, Dolorosa. Ohne dich. Mit anderen Modellen. Aber gedacht hab' ich dabei nur an meine Dolorosa.«

Da fragte ich ihn über dieses Kapitel nicht weiter.

Wir werden immer verliebter ineinander, Erhard und ich. Wenn ich ihm versprochen habe, zu einer bestimmten Stunde bei ihm zu sein, komme ich jetzt nicht mehr pünktlich, sondern eine Viertel-, halbe, ja, eine ganze Stunde zu früh. Er hat mir einen Schlüssel zu seiner Entreetür gegeben, den trage ich ständig bei mir, im Handtäschchen. Auch solch ein komischer Vergleich: einen Schlüssel zum eigenen Besitz in Saarow nehme ich niemals mit, der Schlüssel zu dem verschwiegenen Tempel in der stillen Fürther Straße begleitet mich auf allen Wegen. Neulich rutschte er aus dem Täschchen, als ich mit Paul im Auto saß. Trotzdem mein Mann müde war wie immer, bückte er sich darnach.

»Das ist wohl der Schlüssel zu deinem Wäscheschrank, Dolly? Sehr vernünftig, daß du ihn einsteckst,« lobte Paul.

Ich platzte fast beim Hinunterschlucken der Antwort, die ich jetzt eigentlich geben wollte. Nur der eine Gedanke brachte mich ins Gleichgewicht: daß ich morgen meinem Maler diese drollige Begebenheit erzählen konnte.

Ich werde immer kecker in meinen Verabredungen mit Erhard. Nun treffen wir uns nicht mehr ausschließlich im Atelier in der stillen Fürther Straße, sondern wir promenieren gemeinsam in den Straßen Berlins, besuchen zusammen Fünfuhrtees in den großen Berliner Hotels. Daß wir meinem Mann begegnen, ist nicht zu fürchten. Er hat von früh bis spät entweder in seinem Bureau zu tun oder autelt nach seinem Holzlagerplatz hinaus. Die Straßen dahin kenne und meide ich. Und wenn uns ein Dritter sieht, was ist da groß dabei? Ich kann den Professor vor einer Viertelstunde zufällig ganz harmlos getroffen haben.

Manchmal verabrede ich mich mit Erhard für Saarow. Im Ort nicht, da wird leicht geklatscht. Aber auf dem Wasser! Ich habe mein eigenes Boot, im Rudern und Segeln bin ich bewandert, Erhard mietet sich ein Leihboot ... »ganz zufällig« rudern oder segeln wir eine Weile nebeneinander her und wenn wir bei einer hübschen, einsamen Uferstelle sind, landen wir, machen die Boote fest und plaudern uns gründlich aus.

In den letzten Wochen bin ich sogar noch ein bißchen kecker geworden, aber nur ich, Erhard weiß noch nichts davon. Ich habe Heinrich, unseren Chauffeur, einen blutjungen, braunen Burschen, der mich immer mit so sanften, treuen Foxterrier-Augen ansieht, ins Geheimnis sozusagen mit eingeweiht. Beim ersten Versuch ließ ich den braven Heinrich mit dem Wagen, den mir mein »Mann« für einen Besuch bei der Schneiderin zur Verfügung gestellt hatte, plötzlich halten und sagte zu ihm:

»Hören Sie, Heinrich, ich möchte anstatt zur Schneiderin so gern zum Fünfuhrtee eines großen Berliner Hotels fahren.«

»Gnädige Frau haben nur zu befehlen,« stotterte der Chauffeur.

»Ja, Heinrich, die Sache hat einen Haken. Mein Mann will nicht, daß ich Fünfuhrtees besuche.«

Der gute Paul, welche Verleumdung.

Aber so mußte ich anfangen.

»Bitte sehr, gnädige Frau,« stotterte Heinrich; er hatte den Zusammenhang noch nicht erfaßt.

»Verstehen Sie, Heinrich,« lächelte ich, »Sie dürfen meinem Mann also nicht verraten, daß Sie mich nach dem Hotel gefahren haben. Wenn er zufällig darauf verfällt, Sie zu fragen, müssen Sie sagen, Sie hätten mich zur Schneiderin gefahren.«

Jetzt verstand Heinrich.

Er wurde rot vor Freude darüber, daß er mir eine Gefälligkeit erweisen konnte und versicherte eifrig, für mich tue er alles, was ich befehle.

Wie fest ich den jungen braunen Burschen vor den Triumphwagen meiner Schönheit gespannt habe, merke ich nun an jeder seiner Bewegungen. Es existiert nichts auf der Welt für ihn als die »Gnädige Frau«. So oft ich ins Auto steigen will – er in seiner mokkafarbenen Livree herunter vom Chauffeursitz und hilft mir so kavaliermäßig wie nur möglich. Er hüllt mich in Decken ein und ist glücklich, wenn ich ihm erlaube, die Decken fest um meine Beine zu legen. Du solltest einmal sehen, Mutter, wie er sich da zu schaffen macht, bis die schützende warme Kamelhaardecke nur ja recht angeschmiegt und glattgestrichen um meine wohlgeformten, geraden, schlanken Beine liegt.

Seit jenem Tag, wo Heinrich mir Verschwiegenheit über die Ziele meiner Ausfahrten gelobte, kann ich mit dem braunen Jungen anfangen, was ich will. Er gehört mir, wie mein Foxterrier Hans mir gehört. Jetzt kann ich meine Zeit in Berlin viel besser ausnützen, keinen Weg brauche ich mehr zu Fuß zu machen, Heinrich fährt mich im Auto zu Erhard, holt mich pünktlich auf die Minute vor Erhards Atelierwohnung in der Fürther Straße wieder ab, und wenn Paul wirklich mal an den Chauffeur zufällig eine Frage stellt, dann hat Heinrich mich zur Modistin, zum Zahnarzt, zur Schneiderin gefahren, Heinrich geht für mich durchs Feuer.

Wir bauen jetzt auf unserem Grundstück in Saarow einen kleinen Teepavillon direkt unten am Wasser des Scharmützelsees. Wenn Paul eine Ahnung hätte, woher die Anregung dazu stammt! Nämlich – als ich wie in den guten alten Zeiten wieder einmal unbekleidet Modell saß, skizzierte Erhard um mich herum einen phantastischen Pavillon. Der gefiel mir so gut, daß ich meinen Maler bat, die Linien des Pavillons mir mit Bleistift auf ein Blatt Papier zu zeichnen. Er tat es. Ich behauptete vor Paul, ich hätte mir die paar Striche aus einer Modezeitschrift abgepaust. Hat Paul je schon etwas bezweifelt, das von meinen Lippen kam?

Auch meinem Gatten gefiel der Entwurf, den nun ein. Saarower Baumeister in Stein übersetzt.

Als kürzlich der Dramatiker Petrowski mit seiner Gattin wiedermal bei uns waren, sprach Paul, der so gerne mit Ziffern jongliert, darüber, daß jetzt Mauersteine, wie sie zum Bau des Pavillons gehören, so unverhältnismäßig teuer geworden sind. Früher das Stück zwei Pfennig, jetzt das Stück viele Milliarden Mark! Wir saßen im Garten, es war ein kühler Tag, ich trug meinen dicken, grünen Flauschmantel, der so weite Taschen hat. Petrowski, der ungewöhnlich große Kenntnisse auf fast allen Gebieten des Wissens besitzt, verteidigte den Preis des Mauersteins als gerecht und verhältnismäßig.

»Der Mauerstein,« sagte Petrowski, »ist sozusagen ein Stiefkind der Phantasie. Das bauende Publikum, das fast niemals einen Mauerstein anfaßt, glaubt, er wird aus Luft hergestellt. Stecken Sie mal, gnädige Frau, in jede von den beiden Seitentaschen Ihres Mantels einen oder zwei Mauersteine, Sie werden sehen, die Last ist so schwer, daß Sie kaum zu gehen vermögen. So viel Material gehört zu solch ein paar Steinen! Und soll gerade vor diesem Bedarfsgegenstand unsere scheußliche Inflation haltmachen?«

Ich ging lachend auf seinen Vorschlag ein. Jede Tasche faßte zwei Steine. Als mein Mantel so um das Gewicht von vier Mauersteinen beschwert war, vermochte ich kaum zu gehen. Als ich's trotzdem versuchte, rissen die Taschen; sie krachten in den Nähten, und meine Zofe Minna wird mit dem Ausbessern ein tüchtiges Stück Arbeit haben.

Ein im Garten arbeitender Maurerpolier, der aus einiger Entfernung die Szene mit angesehen hatte, kam herbei, um im Anschluß daran unter vielem eigenen Lachen folgende » lustige Geschichte« zu erzählen: Als er noch Lehrling war, hat sich einer seiner Jugendfreunde, auch ein Handwerkslehrling, aus unglücklicher Liebe im See ertränkt. Damit er bestimmt untergeht, hatte er sich vier Mauersteine in die Taschen gesteckt. Die versteckten seine Leiche so dauerhaft, daß sie erst viele Jahre später gefunden wurde, als ein Taucher nach einem untergegangenen Motorboot tauchte. Das war die » lustige Geschichte« die der freundliche Handwerker unter zahllosen »Haha's« und »Hihi's« auftischte, um uns auch einmal ein vergnügtes Viertelstündchen zu bereiten. Als er fertig war, fragte ihn Petrowski:

»Haben Sie den Krieg mitgemacht?«

»Vier Jahre im vordersten Schützengraben,« war die stolze Antwort.

Erst als wir außer Hörweite waren, sagte Petrowski zu uns, wie erklärend: »Für solche Männer hat der Tod seinen Schrecken verloren.«

Für den nächsten Tag hatte ich geplant, in Saarow zu bleiben. Paul sollte allein nach Berlin auteln. Als er abfahren wollte, erklärte Heinrich, es ginge nicht, der Wagen sei beschädigt und brauche mehrtägige Reparatur. Paul fuhr mit der Eisenbahn. Heinrich klopfte am Auto herum, gegen Mittag meldete er mir, jetzt sei die Ausbesserung beendet, und wenn ich bei dem schönen Herbstwetter eine Autofahrt um den See machen wollte, stünde nichts im Wege. Mir gefiel dieser Gedanke, denn in der langen Zeit meines hiesigen Aufenthaltes hatte ich noch nie eine Rundfahrt um den See im Auto gemacht, weil ja die Abneigung gegen dieses Gefährt mich bis vor kurzem davon zurückgehalten hatte. Und zu Fuß kann man den Weg um den Scharmützelsee kaum machen, das würde acht Stunden dauern.

Beim prächtigsten Schein der Herbstsonne begann die Fahrt. An einer einsamen, menschenleeren Stelle hielt Heinrich an.

»Was ist denn, Heinrich? wieder eine Panne?

Er sah mich mit seinen braunen Foxterrieraugen ratlos an.

Ich schaue ihm ruhig ins Gesicht.

In seinen Augen begann ein Glühen. Seine Blicke flackerten an mir herum.

»Warum halten Sie, Heinrich?«

»Ich ... ich ...«, stotterte er, »ich sah, die Decke über den Knien der gnädigen Frau hat sich verschoben. Ich muß sie festlegen, sonst verlieren wir sie.«

Kein Wort wahr.

Aber ich ließ ihn.

Er strich über meinen Knien an der Decke mit beiden Händen eifrig herum. Dann strichen seine zittrigen Finger die Linien meiner geraden, schlanken Beine außen über der Decke nach. Plötzlich senkte er den Kopf und preßte seinen Mund auf die Kamelhaardecke, auf die Stelle, unter der er mein rechtes Bein fühlte.

»Diese Beine!« knurrte er dabei. »Sie machen mich noch verrückt!«

Meine rechte Hand versetzte ihm einen leichten Stoß vor die Brust.

Er erwachte wieder zur Wirklichkeit, seine Augen starrten verstört und nahmen endlich wieder den treuen Foxterrier-Blick an.

»Weiter, Heinrich!« sagte ich. Sonst kein Wort.

Der hübsche braune Bursche kletterte auf den Chauffeursitz und zwanzig Minuten später waren wir zu Hause.

Ich sprach nie über den Vorfall, und Heinrich hat nie wieder Anlaß zu Klagen gegeben. Er weiß, daß er für mich nichts weiter sein kann, als – Chauffeur. Er schickt sich darein.

So schwimme ich denn nun wieder in einem Meer von Liebe; an jedem Tage, wenn ich es will, kann ich im Auto vom Scharmützelsee nach Berlin fahren, neben einem Gatten, der mich verehrt, – gefahren von einem Chauffeur, der mich anbetet, – erwartet von einem Maler, den ich liebe. Aber wie soll das enden, Mutter, wie soll das alles enden! Und für einen amerikanischen Dollar bekommt man jetzt hundert Milliarden deutsche Mark!


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