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Achtes Schriftstück

Seit ich Dir, meine über alles geliebte Mutter, den letzten Brief aus Bukarest sandte, sind mehr Wochen vergangen, als meine Genesung in Anspruch nahm, aber in der Villa zu Saarow-Pieskow am Scharmützelsee wohnen wir noch immer nicht. Das geht nicht so rasch, wie Paul es sich gedacht hatte. Vorläufig wohne ich bei ihm in seiner möblierten Vierzimmerwohnung am Bayerischen Platz zu Wilmersdorf.

Auch manches andere ist inzwischen anders gekommen, als ich es mir gedacht hatte.

Das Schlimmste war mein Auftreten im Fuchsbau. In jenen Wochen, wo meine Bukarester Erfolge im Theater Carol sich als zuverlässig zu erweisen schienen, hatte die Direktion einen Vertrag mit mir geschlossen, der mich für die im Herbst beginnende neue Saison zum Star ihres Berliner Kabaretts machte. Auch Peterchen, mein goldiges Äffchen, war sozusagen mit engagiert worden, denn der Kontrakt enthielt mehrfach die halb scherzhaft, halb ernst gemeinte Wendung, daß ich mit Peterchen auftreten müsse. Da im Garten des Theaters Carol gerade meine Szenen mit Peterchen so stürmisch applaudiert worden waren, versprachen Julius und ich uns auch für den Berliner Fuchsbau großen Erfolg von dem »Auftreten« meines vierhändigen Lebensgefährten. Auch das ist anders gekommen, als ich es mir gedacht hatte. Während der rumänischen Reisen stand Peterchen immer unter dem Schutze unseres Kapellmeisters und Theatersekretärs Lazureanu, so daß also mein goldiges Äffchen in der Unglücksnacht vom 13. zum 14. August wohl geborgen war und von allem Unheil kein bißchen zu spüren hatte. Aber als ich soweit genesen war, daß man mir das geliebte Tier zum erstenmal ans Bett bringen durfte, erkannte Peterchen mich nicht wieder. Er weigerte sich, die im Krankenbett liegende, hagere, bleiche Vogelscheuche als seine einst so schöne Herrin anzuerkennen, und als ich ihn anrief, überkam ihn eine unbeschreibliche Angst. Er sprang mit einem Satze von Lazureanus Arm in die Zimmermitte, auf den Fußboden, kreischte vor Furcht laut auf, und sah mit kreisrunden, großen Augen zitternd um sich. Kein Zureden half, er feixte nur immer noch lauter, und als Lazureanu, dem er sonst aufs Wort zu gehorchen pflegte, nach ihm greifen wollte, kletterte das scheu gewordene arme Tier an der Gardine empor, blieb hoch oben auf der Gardinenstange hocken und feixte zum Gotterbarmen. Viertelstundenlang. Nun kam auch Dr. Ermelio, er verlangte kategorisch, daß der aufregenden Szene ein Ende bereitet werden müsse, aber dieses Ende wurde noch aufredender als der Anfang. Leitern wurden ins Krankenzimmer gebracht, eine wilde Jagd auf Peterchen erhob sich. Der geängstigte Vierhänder schoß, schnell und im Zickzack wie der Blitz, umher. Kein Möbel, von dem er nicht irgendeine Kostbarkeit herunterwarf, das brave, verständige Tier, das sonst nie den kleinsten Schaden angerichtet und sich immer so geschickt um alle aufgestellten Nippsachen herumgeschlängelt hatte! Kascha, die dicke Köchin, griff ihn – er biß sie in den Arm, daß sie laut aufquietschte und ihn losließ. Nun spielten die anderen nur noch die Treiber, fassen sollte ihn Lazureanu, der am besten mit ihm umzugehen wußte ... Als der Kapellmeister das wahnsinnig gewordene Tierchen endlich ergriffen hatte, biß Peterchen wie wild um sich, seine scharfen Zähnchen preßten sich in Lazureanus Daumen, daß ich das rote Blut des Theatersekretärs in einem kleinen Strahl aufspritzen sah. Lazureanu ließ ihn nicht los, trug Peterchen hinaus und sperrte es in den schilderhausähnlichen Käfig. Von dieser Stunde an biß Peterchen jeden, der ihm nahe kam, verweigerte die Futteraufnahme, nur Wasser trank er noch, unheimlich viel. Noch ein paar Tage, und Peterchen wurde schwermütig, hockte in einer Ecke seines Käfigs und hörte auf keinen Anruf mehr. Eines Morgens lag er tot im Käfig. Doktor Ermelio bestand darauf, daß mein Wunsch, man möge mir die kleine Leiche ans Bett bringen, unerfüllt blieb. Peterchen wurde im Garten der Villa bestattet, ich habe das arme Tierchen nie wieder zu sehen bekommen. Tagelang weinte ich um ihn, ich hatte ihn so lieb gehabt, den guten, lustigen Kameraden schöner, glücklicher Zeiten.

Peterchens Hinsterben war ein böses Vorzeichen für mein Berliner Fuchsbau-Debüt. Tischler-Ruß hatte sich eine Reihe wunderhübscher Einzelheiten für seine nächste Revue ausgedacht, Szenen, die ich mit Peterchen in Berlin aufführen sollte. Das mußte nun alles wegfallen, wenn sich für Peterchen kein Nachfolger finden ließ. Und es ließ sich keiner finden, trotz aller Bemühungen des Direktors, des Kapellmeisters und anderer Freunde. Die Tiere, die uns angeboten wurden, waren plump und ungelehrig. Mein Peterchen war nicht zu ersetzen.

Am 26. September reisten Paul Trapp und ich von Bukarest ab. Doktor Ermelio, Lazureanu, und die anderen Mitglieder der nur für Bukarest engagiert gewesenen Kapelle, auch Kascha und Sonja, begleiteten uns zur Bahn. Dem großen Publikum war, auf Ermelios Rat, die Abfahrt seines Lieblings Domina Dolorosa nicht mitgeteilt worden. Kascha und Sonja vergossen viele Tränen, ich dachte an Peterchen, den ich hier in der Villa der Strada Cobalcescu zurücklassen mußte, und auch ich konnte meinen Tränen nicht das Strömen verbieten. Seltsam. Man reist aus einer Stadt ab, wo man Hunderte freundlicher Menschen kennengelernt hat, aus einer Stadt, wo ich Triumphe gefeiert, wo ich den guten Freund Julius gewonnen, und den alten Freund Paul zurückerobert habe, und die Seele ist erfüllt von dem Gedanken an ein totes Äffchen. Wir kamen am 28. September in Berlin an, am 29. stand ich auf dem Podium des häßlichen, nüchternen Probe-Saales im Fuchsbau. Auch auf diesem Podium ist manches anders gekommen, als ich es mir gedacht hatte. War der Kabarettdirektor Tischler-Ruß so kalt zu mir, weil ich nun, durch seine eigene Vermittlung, wieder zu dem Holzhändler Paul Trapp hielt?

Wie einst Erhard König während jener Nacht in meiner Atelierwohnung in der Fürther Straße mein Herz feierlich an Paul Trapp übereignet hatte, genau so hatte mich ja doch eigentlich auch Julius – nur daß ich nicht Zeugin des Verhandelns war – in Bukarest noch als pflegebedürftige Patientin an Paul Trapp verschachert und verschoben. Wie man einen Waggon Schokolade verschiebt. Und wie damals über Erhard, so mußte ich nun über Tischler-Ruß denken: »Ich bin ihm Schokolade.« Aber nicht verliebte Dinge allein konnten es sein, die Julius zur Kühle führten, es waren auch geschäftliche Erwägungen dabei, die ihn in seiner Eigenschaft als Kabarett-Direktor mich mit anderen Augen betrachten ließen. Ich war nicht mehr so schön wie damals, als ich von der Proszeniumsloge aus mit ihm kokettierte. Das fürchterliche Erlebnis im Walde von Comana lag noch in meinen Zügen, in meiner Haltung. Meine Stimme hatte sich noch nicht wieder erholt, und mein gebrochenes Fußgelenk, das den Verband noch nicht entbehren konnte, machte mir das Tanzen unmöglich. Am 7. Oktober sollte die neue Revue uraufgeführt werden. Eigentlich hatte sie heißen sollen »Die Dame mit dem Affen«, aber nach Peterchens Tod mußte das geändert werden. Sie hieß nun »Die blonde Rumänin«.

In meiner Rolle mußte in aller Eile für vieles Gestrichene Ersatz gedichtet werden; in der gedrückten Stimmung, in der sich Julius: befand, gelangen ihm keine richtigen Schlager. Oder bildete ich mir das nur ein? Lag alles an mir? Reichte meine Begabung für Berlin nicht aus, sondern nur für das anspruchslosere Publikum des Balkans? Waren meine Reize verblüht und mit ihnen meine Begabung? Es gab am 7. Oktober bei der Uraufführung für mich einen Mißerfolg, wie er nicht schlimmer gedacht werden konnte. Nicht einmal Zeichen des Mißfallens hatte das Publikum für mich, es übersah mich einfach, als ob ich die letzte Statistin wäre. In der Proszeniumsloge gähnte ein Zuhörer, als ich das Kouplet vortrug, da» ich für den besten Schlager des Abends gehalten hatte. Statt der bewundernden Blicke, die ich gewohnt war, trafen mich prüfende, mitleidige.

Der Morgen des 8. Oktobers brachte die jämmerlichsten Zeitungskritiken, die der Fuchsbau je hatte über sich ergehen lassen müssen. Die neue Revue wurde abgesetzt, noch am selben Abend wurde das vorgestern abgesetzte Sommerstück wieder aufgeführt. An diesen 8. Oktober werde ich denken. Schon morgens um halb elf brachte mir der Theaterdiener einen Brief der Direktion, den ich quittieren sollte und der nicht von Julius, sondern von Direktor Fuchs unterschrieben war; der Fuchsbau verzichte auf mein weiteres Auftreten. Als Grund wurde mit boshafter Liebenswürdigkeit höflichst vermerkt, ich sei »mit dem Affen Petrello« engagiert, um die Hauptrolle in der Revue »Die Dame mit dem Affen« zu kreieren. Beim Durchlesen des Vertrages werde ich das wörtlich bestätigt finden. Da jedoch der Affe Petrello eingegangen und Ersatz für ihn nicht zu beschaffen war, sei der Vertrag hinfällig.

Ich ließ durch meine Zofe Minna – Paul hatte sie gleich bei unserer Ankunft in Berlin für mich engagiert – in das Bureau der Holzhandlung telephonieren, Paul solle sich sofort ein Auto nehmen und zu mir kommen. Er tat's, las den Vertrag, telephonierte an den treuen alten Justizrat Blumenfeld, der sich in Theatersachen genau so gut auskannte wie in Holzgeschäften. Blumenfeld antwortete, am Fernsprecher ließe sich da wenig sagen, er würde mal gleich zu der schönen Frau herumkommen, wir sollten unterdes den Vertrag heraussuchen und bereitlegen. Zwanzig Minuten später war er da. Als er den heutigen Brief und den in Bukarest geschlossenen Vertrag für die Herbstrevue gelesen hatte, fragte er mich:

»Sind Sie Mitglied der Bühnengenossenschaft, Gnädigste?«

»Nein ... daran habe ich noch nicht gedacht. Aber ich kann's ja werden, Herr Justizrat.«

»Das würde wahrscheinlich nichts mehr an der Sache ändern. Wenn Sie bei Unterzeichnung dieses in Bukarest abgeschlossenen Kontraktes nicht Genossenschaftsmitglied waren, dann existiert wohl kein Zweifel darüber, daß es sich hier eigentlich weniger um einen Bühnenvertrag handelt als vielmehr um einen Artistenvertrag ... Nach dem Wortlaut von § 1 und § 5 des Vertrages wird das Gericht entscheiden, daß Sie als Artistin zum Auftreten mit einem dressierten Affen verpflichtet sind. Ist der Affe denn wirklich eingegangen?«

»Peterchen«, sprach ich, »armes Peterchen ...«

»Ja, Herr Justizrat,« bestätigte Paul, »der Affe ist tot.«

»Dann wird nichts zu machen sein, Gnädigste, dann ist die Leistung unmöglich geworden und der darauf gerichtete Vertrag ist hinfällig.«

»Ich – ich bin keine Schauspielerin mehr, weil ... weil Peterchen gestorben ist ...?«

»Verehrte Gnädigste, hätten Sie vor dem Unterschreiben des Vertrages meinen Rat eingeholt, mit ein paar Worten hätte ich den Text so geändert, daß Sie gegen alle Eventualitäten geschützt gewesen wären. Jetzt ist es zu spät. Aber es ist vielleicht gut so für Sie. Wie ich aus Ihrer Art zu sprechen empfinde, sind Sie doch noch ein wenig schonungsbedürftig. Sie hätten es gar nicht ausgehalten, jetzt schon jeden Abend auf der Bühne zu stehen. Freuen Sie sich, daß der kleine Lapsus im Kontrakt Sie zu unfreiwilligen Ferien zwingt, die werden Ihnen vorzüglich bekommen. Und in zwei, drei Monaten sind Sie dann so weit erholt, daß auf Grund Ihrer fabelhaften Bukarester Erfolge jede Berliner Bühne Sie mit Kußhand engagieren wird.«

»Das sagen Sie nur, um mich zu trösten, lieber Herr Justizrat.«

»Nein, Gnädigste, ein halbes Dutzend Theaterdirektoren sind meine Klienten; ich habe die Leute über Ihre rumänischen Erfolge reden hören. Wenn es so weit ist, erinnern Sie sich an mein Versprechen, Sie dürfen mich beim Wort nehmen, ich werde alles für Sie tun was ich kann.«

Dann empfahl er sich, er mußte zu einer Gerichtsverhandlung.

Als ich mit Paul allein war, begann er in herzlichem Tone auf mich einzusprechen. Seit er den Justizrat, auf dessen Ansicht er große Stücke hält, reden gehört hatte, sah Paul meinen gestrigen Mißerfolg in einem anderen Lichte. Das schien ihm nun ein großes Glück zu sein, ein Glück für mich, ein Glück für Paul, und insbesondere ein großes Glück für seine künftige » kleine Dolly«, die einst in unserem Garten in Saarow-Pieskow am Scharmützelsee spielen sollte. Fern von den Zerstreuungen des Bühnenlebens würde ich mich nun um so eher entschließen, seine richtige, standesamtlich angetraute Frau zu werden. Und könnte eine um so bessere, sorglichere Mutter sein, sobald auch dieser Segen uns beschert werden würde. Schließlich könne eine berühmte Schauspielerin nicht ewig polizeilich angemeldet bleiben als »Hausdame« des Trappschen Junggesellenheims ...

Hier mußte ich Paul unterbrechen. Seine Meinung, ich sei als Hausdame in der Wohnung am Bayerischen Platz angemeldet, beruhte leider auf einem Irrtum, den ich nicht länger obwalten lassen konnte. In Wirklichkeit war die Sache so:

Am 28. September waren wir in Berlin angekommen und ich war zu Paul nach dem Bayerischen Platz in seine möblierte Vierzimmerwohnung gezogen. Dort standen von früher her meine Koffer, die ich in Berlin zurückgelassen hatte, als ich nach Rumänien fuhr. Am 1. Oktober kam der Portier des Hauses zu Paul und verlangte, daß meine Zofe und ich polizeilich angemeldet würden. Eine Handvoll abscheulicher gelber Formulare brachte er mit. Paul war eben im Begriff, ins Bureau zu gehen, wo wichtige Geschäfte auf ihn warteten. Paul unterschrieb rasch drei von den abscheulichen, gelben Formularen. Nur unterzeichnen tat er sie, die Ausfüllung sollte nach seinem Fortgehen ich besorgen. Über die Art des Ausfüllens war keine weitere Besprechung nötig, wir hatten ja schon früher davon gesprochen, daß ich in diesem Junggesellenhaushalte der hohen Behörde gegenüber nichts anderes vorstellen konnte als die »Hausdame«. Aber Paul ließ sich die Gedankenlosigkeit zu schulden kommen, daß er dem im Flur harrenden Hauswart zurief: »Ich muß gehen, unterschrieben habe ich, das Ausfüllen besorgt meine Frau.« Das hatte ich gehört. Die Tür fiel ins Schloß. Paul war fort. Konnte ich mich nun in den abscheulichen, gelben Formularen, auf die der Portier wartete, als »Fräulein« und »Hausdame« bezeichnen, während Paul mich eben noch seine Frau genannt hatte? Das wäre unsagbar lächerlich gewesen, um so lächerlicher als auch meine Zofe, die Minna, von meiner Gattinnenherrlichkeit überzeugt bleiben sollte. Kurz entschlossen füllte ich also in dreifacher Ausfertigung die Spalten mit der unumgänglichen Lüge, daß ich Frau Dolorosa Trapp sei, geborene Meister, Beruf: Schauspielerin – und dann kam die Notiz für die frisch zugezogene Zofe.

»Verdammt nochmal!« entfuhr es dem sonst so ruhigen Paul, als ich ihm jetzt, am 8. Oktober, am Tage nach der verunglückten Fuchsbau-Premiere, diesen an sich so selbstverständlichen Vorgang beschrieb.

»Aber Paul,« sagte ich, »tut es dir leid, daß ich mich als deine Frau bezeichnet habe? Es war doch sonst immer dein sehnlichster Wunsch, mich so zu nennen?«

»Natürlich, mein Liebling. Ich nehme es dir auch gar nicht übel, daß du es so gemacht hast,« meinte Paul nun zögernd, »du konntest nicht anders. Aber wenn der alte, treue Justizrat Blumenfeld die Sache zu begutachten hätte, er würde feststellen, daß dein Zettelausfüllen nahe an Urkundenfälschung grenzt.«

Da in diesem Augenblick Minna ins Zimmer kam, wechselten wir das Thema, und auch später kam Paul nicht weiter darauf zurück. Ich bin also nun auch polizeilich seine Frau, Aus meinem Bukarester Gepäck war noch einiges unausgepackt. Minna fragte, ob ich jetzt zum Auspacken Lust hätte. Das erste, das aus der Kiste kam, war der kleine Film, auf dem mein goldiges Peterchen mit mir aufgenommen war. Ich öffnete das Paketchen, hielt den langen Filmstreifen gegen das Licht und erklärte meinem lebhaft interessierten Ehemann den dargestellten Vorgang. Der Film zeigte mich, wie ich bei grellem Tageslicht in dem sonst menschenleeren Garten des Theaters Carol an einem Marmortischchen Kaffee trank. Peterchen saß auf dem Tisch. Ich füllte ein kleines Likörglas aus meiner Mokkatasse, Peterchen ergriff mit drollig ernster Gebärde das Glas mit beiden Vorderhändchen, trank es würdevoll in zwei langen Zügen leer, und gab es mir dann feierlich zurück, wobei aus seiner Haltung die deutliche Erwartung sprach, daß ich ihm das Glas frisch gefüllt zurückreichen würde. Ich erfüllte seinen Wunsch, aber bei dieser zweiten Auflage war Peterchen ungeschickt, sein Mokka floß über die Tischplatte, Peterchen legte sich auf den Bauch, mit der Zivilisation war es zu Ende, mein kleiner vierhändiger Kamerad leckte die gesüßte Flüssigkeit auf, wie eine Katze aus der Milchschüssel leckt. Hier war der kurze Film zu Ende. Paul lachte, Minna quietschte vor Vergnügen und schlug sich mit der flachen Hand auf ihre vollen Oberschenkel, ich aber konnte nur matt lächeln, das Weinen stand mir nahe, als ich das arme tote Tier nun im Film so vergnügt und lebendig wiedererstanden sah. Mein eigenes Elend kam mir wieder voll zum Bewußtsein: vorbei war es mit Peterchen, vorbei mit der Schauspielerin, vorbei mit dem alle berückenden Glanze meiner Jugend und Schönheit.

Das alles las mir Paul von den Augen ab. Er ging an diesem Tage nicht wieder ins Bureau, machte auch nicht den Vorschlag, daß wir zusammen ausgehen, sondern blieb bei mir und war so lieb und gut zu mir, daß ich schließlich zu der schweigenden Überzeugung kam: gar so häßlich mußte ich doch wohl noch nicht sein, sonst hätte ein schönheitsdurstiger junger Mann, wie er, mich nicht stundenlang mit den zartesten Liebkosungen bedacht. »Hausfrau sein, Mutter werden!« sagte Paul, »darin liegt das Glück für dich.«

Am nächsten Tage führte er mich zum erstenmal nach Saarow-Pieskow, das ich noch nicht kannte und zu dessen Besuch ich während der Fuchsbau-Proben zur »Dame aus Bukarest« keine Zeit gehabt hatte. Die Villa, die nun uns gehörte, und an deren Instandsetzung tüchtig gearbeitet wurde, liegt nahe am See, der Garten grenzt ans Wasser. Die Landhauskolonie ist entzückend. Sie ist vollkommen anders als alle Berliner Vororte, geradezu als kleiner Kurort gedacht. Vortreffliche Hotels liegen zwischen den vielen hübschen Villen eingestreut, von denen manche zwar einen verkappten Palazzo vorstellen wollen, andere aber in reizend bescheidenem, märkischen Landhaus-Stil gehalten sind. Unsere Villa ist ein entzückendes Landhaus, das von außen fast klein aussieht, innen aber acht oder neun, zum Teil recht weitläufige Räume hat. Am besten gefällt mir die große Diele, die so viele gemütliche Ecken und Winkel hat, und im ersten Stock das Eckzimmer mit See-Aussicht, das unser Schlafzimmer werden soll. Pauls früherer Prozeßgegner steht jetzt freundschaftlich mit uns und hat uns von den Möbeln, Teppichen, Haus- und Gartengeräten vieles zu niedrigem Preis überlassen, wogegen er sich das Recht ausbat, ab und zu sein altes Besitztum wieder besichtigen zu dürfen. Und niedrige Preise sind wichtig heutzutage, wo das gute, alte Geld von früher nur noch den tausendsten Teil seines einstigen Wertes besitzt. Alles spricht nur noch vom Dollarkurs, ganz Deutschland ist ein großes Irrenhaus, wo alle Wahnsinnigen nur noch in Ziffern reden. Ich kannte den früheren Saarower Villenbesitzer noch nicht persönlich, aber Paul war so begeistert von der Liebenswürdigkeit seines einstigen Feindes, daß er sogar mit dem Gedanken umging, ihm und seiner Frau ein eigenes Fremdenzimmer einzurichten.

Die Eisenbahnverbindung von Berlin nach Saarow ist in diesen schlechten Zeiten mangelhaft. Um den Tag für uns zu haben, hatten wir reichlich früh von. Berlin aufbrechen müssen. Von der Stadtbahn aus fährt man ab; in Fürstenwalde, wo man nach einer Stunde ankommt, muß man altfränkisch-umständlich durch Gleis-Überschreitung oder Tunneldurchwanderung auf eine Bimmelbahn umsteigen, aber man ist entschädigt, wenn man, etwa eine Viertelstunde nachher, den hübschen Saarower Bahnhof sieht, der im freundlichen Kurort-Stil hübsche Kolonnaden und Gartenanlagen zeigt. Paul hatte eigentlich zur Fahrt ein Auto mieten wollen, aber seit der Unglücksnacht vom 13. August habe ich eine unüberwindliche Abneigung gegen Autos. Trotzdem wird Paul Trapp sich nächstens einen eigenen Wagen anschaffen, denn das erfreuliche Anwachsen seines Holzgeschäftes zwingt ihn zur restlosen Ausnutzung der Tagesstunden. Aber es ist von vornherein ausgemacht, daß Pauls neues Automobil sozusagen ein geschäftliches Möbel bleibt, das in meinem Privatleben keine Rolle spielt.

Unser Mittagessen nahmen wir an diesem Tage im Kurhaus-Hotel »Schloß Pieskow«, einem der schönstgelegenen Hotels am Scharmützelsee. Von unserem Tisch hatte man eine herrliche Fernsicht über das Wasser, die Herbstsonne strahlte und erinnerte mich an den bezaubernden Tag auf der Insel Ada Kaleh. Die Welt hat viele Reize, der Mensch weiß nur zu wenig davon. Es gibt hunderttausend Berliner, für die der Scharmützelsee eine unbekannte Größe bleibt, und Europa hat Millionen wohlsituierter Einwohner, die sich eine Reise nach Ada Kaleh leisten könnten, aber den göttlichen Fleck Erde nicht einmal dem Namen nach kennen.

Als wir in Schloß Pieskow am Kaffee hielten, der den Abschluß des Diners bilden sollte, traten Herrschaften in den Saal, die mit dem zweiten Zuge gekommen waren, Paul murmelte mir eine kurze Entschuldigung, erhob sich und ging freudestrahlend einem sympathischen Ehepaar entgegen, das er an unseren Tisch führte und mir als Frau und Herrn Ebers, den ehemaligen Prozeßgegner, vorstellte.

»Selbstverständlich war nicht nur ich sein Gegner, sondern sein Hauptgegner war meine Frau,« sagte der liebenswürdige, herzhaft korpulente Kunstmaler zu mir.

»Ja,« bestätigte Frau Ebers lachend, »wir beide halten immer zusammen.« Sie sprach mit leicht ausländischem Akzent, in der Unterhaltung erfuhr ich, daß sie eine geborene Bukaresterin ist. Da gab es tausenderlei zu erzählen und zu fragen. Das Ehepaar Ebers nahm Kaffee und Kuchen, dann unternahmen Paul und der Kunstmaler eine kurze Segelfahrt auf dem Scharmützelsee, während die anmutige, interessante Rumänin mir im Hotel Gesellschaft leistete, denn mit meinem noch immer schonungsbedürftigen Hinterbein mußte ich trotz all meiner Liebe zum Wasser und zum Sport mir die Teilnahme an der Segelpartie versagen.

Meine rumänischen Landeskenntnisse brachten es mit sich, daß die Unterhaltung zwischen uns beiden Frauen schnell herzliche Form annahm. Schon während dieses allerersten Geplauders unter vier Augen merkte ich, daß die Ebersche Ehe das merkwürdigste ist, was mir an Ehen bisher bekannt wurde. Diese guten Leutchen, der herzhaft korpulente deutsche Kunstmaler und seine rumänische Gattin, sind seit mehr als zwölf Jahren miteinander verheiratet, haben kein Kind und sind in diesen langen zwölf Jahren einander nicht einen einzigen Tag fern geblieben. Er reist nicht ohne sie, sie reist nicht ohne ihn. Als er, trotz seines überstattlichen Umfanges und seiner vollkommensten Ungedientheit, im Krieg als Landsturmmann zur Feldartillerie nach Breslau mußte, überwand seine Frau alle Hindernisse und reiste nach Breslau am gleichen Tage wie er. Am darauffolgenden Tage kam er frei, teils, weil für seine herzhafte Korpulenz keine passende Militärhose aufzutreiben war, teils weil bei der Nachuntersuchung sich Zweifel an seiner Dienstfähigkeit einstellten. Seine Gattin führte ihn im Triumph als Zivilisten nach Berlin zurück, und – ohne daß es damals ausgesprochen worden wäre, – war jeder der beiden Teile überzeugt davon, daß nur ihr treues Zusammenhalten den Kunstmaler davor bewahrt hatte, gegen die Landsleute seiner Frau ins Feld ziehen zu müssen.

Aber noch mehr erfuhr ich von der anmutigen Rumänin: seit sie und ihr Mann verheiratet sind, nahmen sie alle Mahlzeiten gemeinsam, hat noch nie einer von beiden einen Bissen gegessen oder einen Schluck getrunken, ohne daß der andere dabei ist. Hat die Dame Einkäufe zu besorgen, ihr Mann begleitet sie. Hat der Kunstmaler geschäftliche Besuche zu machen, seine Frau begleitet ihn. Handelt es sich um Konferenzen, bei denen die Anwesenheit einer unbeteiligten Dame stören könnte, wie etwa bei Redaktions-Sitzungen illustrierter Zeitschriften, dann begleitet Frau Ebers ihren Mann bis zur Tür des Geschäftshauses und wartet in der nächsten Konditorei auf ihn.

»Halt, gnädige Frau,« lachte ich, als sie das erzählte, »jetzt habe ich Sie auf eine Ausnahme festgelegt! In der Konditorei müssen Sie doch etwas verzehren ohne daß Ihr Gatte dabei ist.«

»Nein, gnädige Frau,« antwortete die anmutige Rumänin mit mädchenhaftem Erröten. »Wir halten das anders. Natürlich bestelle ich mir in der Konditorei irgend etwas, Kaffee oder Kuchen oder beides. Aber ich nehme nichts davon, bevor Egon da ist. Auf der anderen Seite – er sucht selbstverständlich die Konferenz nach Möglichkeit abzukürzen oder frühzeitig zu verlassen. Aber selbst wenn es noch so lange dauert, mit dem Essen und Trinken warte ich, bis er kommt.«

»Ich bewundere Sie, gnädige Frau, und dieses Erwarten in der Konditorei geht, seit Sie vermählt sind?«

»Nein. Anfangs versuchten wir, uns zu der Zeit, zu der er etwa frei sein würde, in einer verabredeten Straße zu treffen, wo ich auf und abging, bis er kam. Aber da geschah einmal ein großes Unglück ...«

»Das tut mir leid.«

»O, nicht so. Ich will es Ihnen erzählen. Wir hatten uns für den Fehrbelliner Platz verabredet. Ich war aber damals in Berlin noch fremd und wartete in der Fehrbelliner Straße, die in einer andern Stadtgegend ist. Er hatte versprochen, spätestens um vier Uhr da. zu sein. Als es halb fünf war und er noch nicht kam, überfiel mich die Angst. Da ich die Straße, um ihn nicht etwa zu verfehlen, nicht verlassen durfte, bat ich Vorübergehende, für mich am nächsten Fernsprecher zu telephonieren.«

»Wohin denn?«

»Zuerst nach Hause, aber da war niemand.«

»Auch kein Dienstbote?«

»Wir halten uns nie ganztägiges Personal. Wenn man sich lieb hat, stört jede Bedienung.«

»O, wie wahr, gnädige Frau, aber man lebt doch bequemer, wenn man bedient ist?«

»Zuerst die Liebe, dann die Bequemlichkeit, denke ich. Als sich nun ergab, daß mein Mann nicht zu Hause war, bat ich wieder einen Vorübergehenden, mit der Firma zu telephonieren, wo Egon die Konferenz gehabt hatte. Nun kam Antwort.«

»Er war noch dort?«

»Nein, er war um halb vier fortgegangen, er hätte längst da sein müssen. Wieder hielt ich Passanten an, die für mich an den Fernsprecher gingen. Bei allen unseren Bekannten ließ ich herumtelephonieren, vergebens. Einen vorübergehenden, dienstfreien Schutzmann bat ich, nach der Polizei zu telephonieren, nach der Unfallstation. Nach einer schrecklichen halben Stunde kam er zurück ... nichts. Nun ließ er sich den Zusammenhang nochmals genau von mir berichten, dabei sagte ich in meiner Erregtheit bald Fehrbelliner Platz und bald Fehrbelliner Straße, und der verständige Beamte brachte mich auf den Gedanken, daß Egon vermutlich am Fehrbelliner Platz im Westen Berlins auf mich warten würde, während ich hier in der Fehrbelliner Straße im Norden der Stadt, meilenweit entfernt von ihm, wartete. Ich eilte zur Hochbahn. Ein Unglück kommt nie allein. Als mein Zug zwischen Spittelmarkt und Hausvogteiplatz war, trat eine Verkehrs-Störung ein, ich saß im langen Keller der Bahnstrecke eine endlose Viertelstunde fest. Es war halb neun Uhr abends, als ich am Fehrbelliner Platz ankam. Da stand mein Egon, transpirierend vor Erregtheit und Besorgnis. Fast fünf Stunden hatte er da auf mich gewartet, der Ärmste.«

»Und das Unglück?«

»Ist das kein Unglück, seinen Mann fünf Stunden auf der Straße warten zu lassen? Seit damals treffen wir uns nur noch in Konditoreien, weil man da schlimmstenfalls den andern telephonisch oder sonstwie benachrichtigen kann.«

Die Herren kamen von der Segelpartie zurück, unser Geplauder zu zweien schloß damit, daß ich Frau Marietta versprechen mußte, meinem Mann nichts von den ungeschriebenen Einzelheiten ihres Ehevertrages weiterzusagen, das müsse unter uns Frauen bleiben. Unter uns Frauen! Dir, meine über alles geliebte Mutter durfte ich es also erzählen.

Ist es nicht wunderbar, daß es in unserer Welt noch solch ein Turteltauben-Ehepaar gibt? Ich mußte in den nächsten Tagen und auch später noch oft und lange über Egon und Marietta nachdenken. Haben sie recht? Ist das die rechte Art zu leben und zu lieben? Freilich, von mir kann ich mir dergleichen nicht vorstellen. Wenn ich die letzten zwölf Jahre alle meine Mahlzeiten mit ein- und demselben Manne hätte einnehmen sollen, – die köstlichsten Stunden und die seligsten Erlebnisse wären meinem Dasein fern geblieben. Nein, ich habe tiefe, berauschende Züge aus dem Becher des Glückes und der Freude genossen – – ich tausche nicht mit Frau Marietta!


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