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Der Siebengescheidte.

(1894.)

Ich gehe nicht gern über die Friedhöfe großer Städte. Alle Schooßsünden unserer civilisirten Welt, die vor der Majestät des Todes sich beugen sollten, Eitelkeit und Heuchelei, Prunksucht und falsche Sentimentalität, erheben hier noch einmal dreist ihr Haupt und verewigen sich in Denkmälern aus Stein und Erz. Und ich lese nie die Inschriften, die in Goldbuchstaben auf den Grabsteinen stehen, ohne an Giusti's höhnische Verse zu denken:

Wenn einst die Enkel mit
Andachtsgeberden
Die Schrift im Lügenfeld
Entziffern werden,
Dann heißt's: O freute
Man sich noch heute
So edler Gattinnen,
So braver Leute!

Komm' ich aber aufs Land hinaus oder in die Berge, so dauert es nicht lange, und ich betrete den schlichten Dorfkirchhof, um zwischen den kleinen Kreuzen und schiefgesunkenen Grabsteinen eine Weile andächtig herumzuwandeln, die verdorrten Kränze zu betrachten und die frommen, schlechtgereimten Verschen zu lesen, die fast immer nur die Hoffnung auf ein Wiedersehen in einer besseren Welt aussprechen. Ich weiß wohl, auch diese bescheidenen Todtengefilde sind vielfach nur ein » Lastrico delle bugie«, ein Lügentrottoir, wie der toscanische Satiriker die Friedhöfe nach dem Muster des von San Miniato nannte, dessen Boden mit lauter glattpolirten Grabplatten gepflastert ist. Auch die Armen am Geist bringen's so wenig wie die geistreichen Großstädter übers Herz, ihre Todten, selbst wenn sie im Leben ihnen wenig hold gewesen sind, mit einem unfreundlichen Wort zu verabschieden. Hier aber geschieht es in naiven, von uraltem Herkommen geprägten Worten, gleichsam um dem Abgeschiedenen, wenn er vor seinen Richter tritt, nicht ein Zeugniß anzuhängen, das ihm drüben schaden könnte, wie man einem faulen und unredlichen Dienstboten, den man entläßt, in sein Dienstbuch zu schreiben pflegt, daß er »treu und fleißig« gewesen; zu geschweigen der versöhnenden Kraft des Todes, der über allen Zwist und Groll der Zeitlichkeit den Mantel der Liebe breitet.

Auch hat es mich immer traulich angemuthet, wie auf dem Lande die Todten mitten im Ort um ihre Kirche gebettet werden, während man die Friedhöfe großer Städte weit vor den Thoren suchen muß. Gewichtige Rücksichten nöthigen dazu, aber die Folge ist, daß den Meisten der Weiterlebenden das Andenken an die Abgerufenen früher erlischt – aus den Augen, aus dem Sinn –, während die dörfliche Gemeinde wenigstens allsonntäglich beim Kirchgang die Namen der Ihrigen auf den stillen Hügeln lies't.

In solchen Gedanken hatte ich eines Tages den kleinen Friedhof eines Dorfes betreten, das in unserm bayrischen Oberland ziemlich unbekannt und bahnentrückt, aber lachend zwischen Wäldern und Wiesengründen liegt. Ich war am Abend vorher angekommen und gedachte zeitig am andern Morgen weiter zu wandern. Aber die Lieblichkeit der Gegend hielt mich fest, und ich beschloß, diesen Tag wenigstens mich erst in der Nähe umzusehen, ehe ich höher hinaufstieg.

Man hat Tage, an denen einem Alles gefällt. Der Kirchthurm mit seinem Zwiebeldach, das alte Portal, über dem ein ländlicher Künstler eine gutgemeinte und schlechtgezeichnete Krönung Maria gepinselt hatte, der Friedhof selbst, der etwas erhöht über der Dorfgasse lag, mit einer niederen, epheuumwucherten Mauer eingefaßt, und über den Schindeldächern der grell getünchten Häuser die Wipfel der Obstbäume, die eben in Blüte standen – Alles erregte das Gefühl eines bescheidenen, friedlichen Daseins, aus dem die Schläfer unter den grünen Hügeln gewiß nicht gerne geschieden waren. Auch hatten sie sich, wie die Daten auf ihren Grabsteinen auswiesen, gewöhnlich lange bitten lassen, bis sie sich hier zum ewigen Schlummer niederlegten. Es fehlte nicht an Achtzigjährigen, und Zwei oder Drei hatten die Neunzig erreicht, was unter den hart arbeitenden Leuten auf dem Lande sonst nicht häufig zu geschehen pflegt.

Schon hatte ich meine Wanderung fast vollendet, als ein ziemlich großer Grabstein meine Blicke auf sich zog, nicht sowohl durch die Form, die höchstens etwas plumper als die der andern war, als durch seine Inschrift in großen schwarzen Lettern. Sie besagte, hier ruhe in Gott »der ehrengeachtete Herr Firmian Weber, Oekonom zu ***, im Alter von 50 Jahren von schwerer Krankheit durch einen gnädigen Tod erlöst«. Unter diesen Worten aber, die nichts Absonderliches waren, las ich folgende Zeilen:

Thu nur nicht Recht behalten
Und bleib fein dumm!
Laß unsern Herrgott walten,
Der weiß, warum.

Ich blieb vor dem Grabhügel stehen, der übrigens ungepflegter als die benachbarten erschien, und versank eine Weile in ein rathloses Grübeln über den Sinn der seltsamen Worte, die dieser Herr Firmian Weber doch wohl als sein Lebensmotto und eine posthume Warnung für nachdenkliche Leser seiner Grabschrift auf den Stein hatte meißeln lassen.

Thu nur nicht Recht behalten
Und bleib fein dumm! –

ein Text, über den ein Philosoph für die Welt allerdings eine tiefsinnige Predigt halten könnte. Wie aber war dieser »Oekonom« darauf gekommen, da die »Bauernschlauheit« sonst hoch im Preise steht und jedenfalls ein dörflicher Vater seinen Kindern sonst nicht den Rath geben wird, dumm zu bleiben und Alles gehn zu lassen, wie's Gott gefällt?

Macht Ihnen das Sprüchel auch den Kopf warm, Herr? hörte ich jetzt eine Stimme hinter mir. Ja, ja, das hat's schon Manchem gethan, doch nur Solchen, die hier fremd waren. Die Ansässigen denken nichts Anderes dabei, als, wenn sie's überhaupt anschauen: das hat auch nur der Firmian sich einfallen lassen können. Sieht ihm ähnlich, dem Siebeng'scheidten! Ist natürlich bloß so einer von seine überhirnische Sprüch'. Ja, ja!

Ich hatte mich umgedreht und meinen Hut gezogen, da ich den Pfarrer erkannte, mit dem ich gestern Abend im Herrenstübel des Wirthshauses zusammengesessen war. Ein stattlicher, noch jugendlicher Mann, doch ohne die pfäffische Schmunzelmiene und das Bäuchlein, das man auf gewissen Klosterbildern zum Ueberdruß zu sehen bekommt. Er hatte erst eine Weile dem Tarok zugeschaut, den der Lehrer, der Postexpeditor und der Förster miteinander spielten. Dann und wann, wenn ein Streit sich erhob, gab er ruhig seine sachverständige Meinung dazu, sagte mir aber nachher, als wir miteinander bekannt geworden waren, er spiele nicht mehr, seit er im Amt stehe, er halte es nicht vereinbar mit der geistlichen Würde. Auch ließ er sich den Krug nur ein einziges Mal neu füllen und ging früh weg. Seine festen klugen Augen und maßvollen Reden hatten mich sehr für ihn eingenommen. Nun stand er vor mir wie gerufen, da ich an dem Räthsel jenes Sprüchleins herumsann.

Ja, der Firmian! fuhr er lächelnd fort, nachdem ich ihm gestanden hatte, daß ich ihm für eine Aufklärung dankbar sein würde, er hat auch im Leben zu den Unverstandenen gehört, dergleichen es in jedem Lebenskreise giebt, aber am Land sind sie rar. Darf ich Sie einladen, mich in mein Haus zu begleiten? Ich bin halt noch nüchtern – (er kam aus der Kirche, wo er die erste Messe gelesen hatte) – wenn Sie mir erlauben, meinen Kaffee dabei zu trinken – vielleicht nehmen Sie Theil daran – aber Sie werden längst gefrühstückt haben – nun, jedenfalls plaudert sich's im Sitzen angenehmer.

Ich folgte dem hochwürdigen Herrn in sein Pfarrhaus; die alte Haushälterin erwartete ihn schon. Es war ein helles, einfach weißgetünchtes Zimmer mit einem hartgepolsterten Sopha, auf dem ich mich niederlassen mußte, an der Wand nur ein paar Heiligenbilder in schlechten Oeldrucken, neben dem Pult zwei Bücherständer, an den Fenstern Blumenstöcke, Geranien und Nelken. Obwohl das Dorf eines der reichsten dieser Gegend war, schien es seinen Seelenhirten nicht eben weich gebettet zu haben.

Ich konnte die Cigarre, die er mir anbot, nachdem er seine Tasse geleert hatte, nicht ablehnen, ein so zweifelhaftes Aussehen sie hatte. So saßen wir erst eine Weile, rauchten und sprachen von gleichgültigen Dingen. Dann besann er sich plötzlich, weßhalb er mich hergeführt hatte.

Ja, um auf diesen sonderbaren Heiligen, den Firmian, zurückzukommen, sagte er, ich selbst war schon vier bis sechs Wochen hier installirt, und noch war ich seiner nicht ansichtig geworden, obwohl – das muß ich meinen Beichtkindern nachsagen – in der Predigt fehlt keins ohne eine zwingende Abhaltung. Ich hatte auch in der ersten Bank unter den Weibern eine große, sehr stattliche Person bemerkt mit vielem silbernen Geschnür am Mieder und drei oder vier goldenen Brochen übereinander auf dem seidenen Brusttuch, und mein Meßner hatte mir gesagt, das sei die Krannewittbäuerin, die Erste im Dorf, ihre beiden Buben säßen gegenüber unter den Mannsleuten, der Vater könne nicht kommen, weil er die Gicht habe. Ich hielt es denn endlich für meine Pflicht, mich nach diesem umzuschauen, falls er geistlichen Trostes bei seinem Gebresten bedürftig wäre, und machte mich eines Nachmittags nach seinem Hofe auf, dem großen Hause mit dem rothen Ziegeldach, das Ihnen gewiß aufgefallen ist, am Ende des Dorfs, zwei hohe alte Kastanien stehen davor, und eine feste Mauer umgiebt in weitem Umkreis das Anwesen mit Stall und Scheune, während die Andern sich höchstens mit einem Lattenzaun abgrenzen.

Die Bäuerin kam mir knixend entgegen, küßte mir die Hand und that so unterwürfig, wie mir's nie gefallen will. Als ich aber nach dem Bauern fragte, setzte sie eine eiskalte Miene auf, zuckte die Achseln und wies auf ein Thürl, das in eine Hinterstube führte.

Ich klopfte an und hörte eine dünne Stimme herein! rufen.

Drinnen fand ich einen kleinen, hageren Mann, der in einem ledernen Großvaterstuhl ganz eingesunken saß, um die Beine eine bunte wollene Decke gewickelt, die Füße in groben Filzschuhen auf ein Schemerl gestellt. Das schmale Gesicht mußte in der Jugend ganz hübsch gewesen sein. Jetzt war es fahl und dürr, mit schlechtrasirten Bartstoppeln bedeckt, das dünne graue Haar hing ihm tief in den Nacken hinab, nur die Augen glänzten aus der Verwahrlosung klar und blank hervor.

Er saß nicht an dem einzigen Fenster, das auf den Hof hinausging, sondern mitten im Zimmer neben einer Drehbank, auf der allerlei Werkzeug zum Drechseln und einige angefangene Arbeiten lagen, ein Pfeifenkopf aus Buchs, ein Becherl und so Sächlein mehr. Auf den Knieen hatte er ein Buch, in dem er eben gelesen zu haben schien, als mein Klopfen ihn unterbrach.

Als er mich erkannte, machte er Anstalten, sich zu erheben, sein gichtischer Leib sank aber gleich wieder zurück, und er wies mit einem schmerzlichen Lächeln auf seine geschwollenen Gliedmaßen, sich entschuldigend, daß er mich im Sitzen empfangen müsse.

Ich beruhigte ihn darüber und sagte, es sei meine Schuldigkeit, ihn zu begrüßen, ich wisse ja, was ihn ans Haus gefesselt halte. Was er dann sagte, wie er mir für meinen Besuch dankte, mich einlud, gleichfalls Platz zu nehmen, das Alles gefiel mir, es war respectvoll und doch nicht kriecherisch, man merkte gleich, daß der arme Lazarus in besseren Tagen bessere Gesellschaft gesehen hatte.

Also setzte ich mich zu ihm, und wir kamen bald in einen lebhaften Discurs miteinand.

Gleich in dieser ersten Stunde ließ er mich in sein innerstes Gemüth blicken; es war, als hätte er seit Jahren sich darnach gesehnt, einmal einem Menschen, der ihm verständig zuhörte, zu sagen, wie ihm ums Herz war, und was er vom Leben gelitten habe.

Sehen Sie, Hochwürden, sagte er, mein ganzes Unglück kommt davon her, daß ich ein bissel g'scheidter war als die Andern und immer Recht behalten hab'. Ja, das werden Sie nicht gleich verstehn, 's ist aber doch so, und geht mir noch bis an mein Lebensend' nach, das, wie ich verhoff', nimmer fern sein wird.

Und als ich ihn so verwundert anschaute, wie ungefähr Sie heute das Sprüchel auf seinem Grabstein, fing er an, mir seinen ganzen Lebenslauf zu erzählen.

Er sei ein Siebenmonatskind gewesen, ein schwaches Würmerl, dessen die Mutter, die eine resolute, herrische Frau war, sich geschämt hätt' und 's am liebsten gleich auf den Friedhof hätt' tragen mögen. Aber eine gute Magd hab' den Serbling ins Herz geschlossen und aufgefüttert, so daß er nach Jahr und Tag doch auf seinen schwachen Beinen gestanden habe. Doch sei ihm zeitlebens keine rechte frische Gesundheit beschert worden, so daß er für schwere Arbeit auf dem Feld und im Stall verdorben gewesen sei, und auch in der Schule, wenn's zum Raufen mit den Kameraden kam, habe er mit Schmerzen empfinden müssen, auch in solchen Fällen sei Geben seliger als Nehmen.

Ihn habe das aber wenig gekümmert, da er frühzeitig eine besondere Lust am stillen Denken und Sinniren und auch am Lesen gefunden hab'. Und nur das sei dabei schlimm gewesen, daß es ihn klüger gemacht hab', als die Andern. Das aber, Hochwürden, sagt' er, ist das Aergste, was einem Menschen begegnen kann. Denn wenn man's noch so gut meint mit seinem guten Rath, es wird einem nicht bloß nicht gedankt, sondern von den Dummen sogar für übel genommen, und man macht sich nur verhaßt mit all seiner Nächstenlieb'. Die Dummen nämlich wollen Alles nach ihrem Kopf machen. Hat man sie dabei gewarnt, und hernach sehn sie ein, daß der gute Freund Recht gehabt hat, so kehren sie sich in ihrem Aerger nicht gegen sich selbst, sondern gegen Den, der g'scheidter gewesen ist, als wie sie, wollen sich aber nicht eingestehn, daß sie sich vor ihm zu schämen hätten, sondern werden ihm gram und aufsässig und hören das nächste Mal erst recht nicht auf ihn.

Und nun sagte er etwas, das in der That über einen gewöhnlichen Banernschädel hinauszugehen schien und manchem Seelenforscher von Profession Ehre gemacht hätte.

Sehn Sie, Hochwürden, sagte er, es ist damit, wie mit unserm Gewissen, das ist auch g'scheidter, als wir selbst meistens sind, da unsere sündigen Begierden uns verblenden und benebeln. Wenn wir dann auf seine Warnung nicht gehört haben und haben was Verkehrtes oder Sündhaftes begangen, dann merken wir freilich, daß es Recht behalten hat, aber wir danken's ihm hinterher gar nimmer, sondern es ist uns nur lästig, und wir gäben was drum, wenn wir's mundtodt machen könnten, um nur die Reue loszuwerden.

So bin ich als Bub bei keiner Menschenseele gut gelitten gewesen, da ich noch so unvorsichtig war, mit meinem Besserwissen überall herauszuplatzen. Hätt' ich zwei grobe Fäust' brauchen können und mit meinem derben Kopf durch alle Wände rennen, so wär' ich den Andern nicht so unbequem gewesen, sondern sie hätten mir nachgesagt: ich sei zwar ein Flegel und Lackel, aber ein ganzer Kerl. Ja, selbst wenn's zum eignen Schaden ausfällt, nimmt der Mensch sich's minder übel, sobald er nur seine Kräfte gezeigt hat, wie ungeschlacht und vernunftlos sie sein mögen. Er hat freilich den Schaden, aber weil er gefürchtet wird, kann er vorm Spott sicher sein.

Nun, an Schaden und Spott hat es mir nie gefehlt. Ich hab' mir aber wenig draus gemacht, weil ich mir bald aus allen Menschen Nichts mehr gemacht hab'.

Nun erzählte er mir, wie er's in seinem Elternhause nicht gut gehabt habe. Der Vater war gestorben, da er noch ganz klein war. Die Mutter, ein Gewaltsweib, hab' sich seiner geschämt, da er so ein hintersinniger Knirps gewesen, und habe den älteren Bruder, einen derben Knüppel mit sehr kleinem Hirn in seinem Dickschädel, in alle Wege vorgezogen. Das hätt' ihn, den Firmian, wenig gekränkt, wenn sie ihn nur sonst hätt' gewähren lassen. Aber sie hab' ihn den ganzen Tag gezankt und vor den Knechten und Mägden heruntergehunzt, zumal während der Bruder, der ihm noch ein bissel die Stange gehalten, zum Militär hat fortmüssen. Er selbst war untauglich befunden worden, wegen allgemeiner Körperschwäche. Er hab' sich meist still im Haus gehalten, Wirthshaus und Tanzboden nicht besucht, seine einzige Freud' sei das Lesen gewesen, und dann – er hab' eine große Passion fürs Drechseln gehabt, wär' am liebsten bei einem ordentlichen Meister in die Lehr' gegangen, aber damit durft' er der Mutter nicht kommen, die sei fuchsteufelswild geworden bei dem Gedanken, ein Sohn der Krannewittbäuerin, der reichsten im Dorf, hab' ein kümmerlichs Handwerk gelernt. Und so hab's täglich Streit und Hader gesetzt.

Bis endlich, als er mündig geworden, da hab' er der Mutter gesagt, sie möcht' so gut sein, ihm sein väterlich Erbtheil auszahlen – den Hof kriegte ja doch der Bruder, der bald ausgedient hatte, – damit wolle er in die weite Welt gehen, und sie solle Nichts mehr von ihm zu hören kriegen.

Das hoffährtige Weib hab' denn auch eingewilligt, um ihn nur aus den Augen zu bekommen, und so hab' er seine sieben Zwetschgen zusammengepackt und sei fort. Habe dann erst in München, dann in Ulm und zuletzt in Geislingen sich aufgehalten und überall das Drechseln betrieben, drei, vier Jahre lang, die seine glücklichsten gewesen seien. Dabei habe er sich die Welt und die Menschen darin betrachtet und allerlei Nebel und alte Spinnweben, mit denen man ihm zu Haus noch die Augen verklebt hatte, gründlich weggewaschen. Von seinen Leuten aber sei ihm all die Zeit kein Sterbenswort zugekommen, was ihm wenig Kummer gemacht hab'.

Eines Tags aber kam doch ein Brief, von der Mutter, sein Bruder sei plötzlich mit Tod abgegangen, in Folge einer unsinnigen Wette, eine ganze Maß Wachholderschnaps auf Einen Zug auszutrinken. Als der Krannewittbauer hab' er geglaubt, eine solche Großthat sich schuldig zu sein. Nun müsse er, der Firmian, einrücken, da sie selbst nimmer ganz rüstig sei – sie stand schon in den Sechzigen und war auch mehr als gut dem Trank zugethan, von dem ihr Hof den Namen hatte, da in der Familie ein Recept von besonderer geheimer Trefflichkeit forterbte, jenen Schnaps zu brauen.

Ich hab' gemeint, sagte der Firmian, man verlies't mir mein Urtheil, das mich zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verdammt. Was half's aber? Ich mußt' heim.

Gleich am ersten Blick der Mutter hab' ich ihr angemerkt, daß sie an dem Wiedersehn auch eben keine große Freud' gehabt hat. Und in der ersten Stund' hat sie mich gefragt, was nun werden sollt'. Ich müss' drauf denken, ohne Aufschub zu heirathen, damit wenigstens eine gehörige Bäuerin ins Haus käm', da der Bauer nicht viel nutz sei, und sie hab' auch schon dran gedacht, wer es sein könn'. Ich hatt' auch dran gedacht. Vor ich fortgegangen, hatt' ich so eine unschuldige Liebschaft angebändelt mit einem lieben, blutjungen Ding, der Rosel vom Schullehrer, dazumal sechzehn Jahr, aber ein herzigs Käferl, wie Milch und Blut und fleißig und bescheiden. Jedermann mußt' seine Freud' an ihr haben, wenn sie vorbeiging. Die hätt' ich mir am liebsten gleich mitgenommen, denn sie hat mich auch gern gehabt, aber sie war doch noch gar zu jung, und mir steckte das Wanderfieber im Blut. Nun sagt' ich der Mutter – ich hatt' nicht das Herz, ihr dabei ins Gesicht zu sehen – die woll' ich haben, denn ich wüßt', sie war mir treu geblieben und inzwischen noch sauberer geworden. Aber da kam ich schön an. So eine Bettlerin, die kaum ein ungeflickts Hemd auf dem Leib habe! Die wär' die Rechte auf dem Krannewitthof! Nein, die Stasi vom Sägmüller, das sei eine ganz Andere, hätt' Arme und Glieder zum Schaffen für Zwei, und ihr Vater kam' gleich hinter ihnen selbst im Steuerbuch. Mutter, sagt' ich, glaubt mir, wir Zwei taugen nicht zusammen. Die Stasi mag mich nicht, sie hat immer über mich gespöttelt, und wenn sie mich jetzt nimmt, ist's nur um den Hof, nicht um mich. Ihr werdet sehen, Mutter, sagt' ich, es ist zu meinem Unglück. – Da hat sie mich so von oben angeschaut, als ob ich noch ein kleiner Bub gewesen war', und nur gesagt: So lang' ich leb', leid' ich keinen Widerspruch. Du wirst morgen mit mir hingehen und deinen Antrag machen. Die in der Mühle wissen schon drum, es gäb' Todfeindschaft, wenn jetzt Nichts draus würd'!

Sehn Sie, Hochwürden, sagt' er, so ist's gekommen, ich hab' leider Recht behalten. Aber wenn ich Manns genug gewesen wär', meine Meinung durchzusetzen, statt bloß davon zu schwätzen – am End', ich war's doch auch dem armen Ding, der Rosel, schuldig. Ich wußt' ja, wie's der das Herz abstoßen würd', wenn ich eine Andere nähm'. Und richtig, noch eh' ich Hochzeit mit der Stasi gehalten hab', ist das Mädel auf und fort in die Stadt, dort in einen Dienst zu gehn.

Sie war kreuzbrav gewesen, aber in der großen Stadt, so ganz ohne Freund und Berather – hübsch war sie ja auch, mehr als gut war – no, im zweiten Jahr hat sie sich von irgend einem nichtswürdigen Kerl beschwatzen lassen, und wie sie gemerkt hat, daß sie Glück und Ehr' verscherzt hat, ist sie in die Isar gesprungen, weil sie die Schand' nicht hat ertragen können.

Mein Weib war grausam genug, mir auch das vorzureiben, als hätt' ich mein Herz an ein schlechtes Ding gehängt. Schuld war ich freilich daran, daß sie ein so schlimmes Ende nahm, aber anders, als sie sich's dachte. Ich schwieg dazu, wie ich überhaupt wenig mit meinen Leuten sprach. Denn, wenn ich's einmal nicht aushalten konnt', stillschweigend geschehen zu lassen, was unrecht oder verkehrt war, gleich wurde mir übers Maul gefahren: ich verstünd' das nicht, ich sei halt der Siebeng'scheidte, und wer nicht mit thue, der sollt' auch nicht mit reden. Da schwieg ich denn und ließ Alles gehn, wie's Gott gefiel, oft drunter und drüber.

Die Mutter starb nach ein paar Jahren. Sie möcht' vielleicht noch leben, wenn sie auf mich hätt' hören wollen und das verdammte Trinken lassen. Dann kamen die Sorgen um unsere zwei Buben, die, gerad' wie ich selbst und mein Bruder, ganz ungleich waren, der Aeltere ein stämmiger Bursch mit Gliedern wie ein junges Fohlen und nicht mehr Grütz im Kopf, als ein solches; der Zweite mir nachgeartet, bloß nicht ganz so dürftig, und weil er ein sauberes Gesichtl hatte, von früh an der Mutter ihr Liebling. Auch bestand sie drauf, der Klein' sollt' einmal den Hof bekommen, der Andre, der Seppl, geistlich werden, wozu er so gut taugte, wie der Esel zum Lautenschlagen. Sie hat's aber richtig durchgesetzt, obwohl ich dies eine Mal geradezu in Wuth gerathen bin und mächtig aufbegehrt hab'. Aber sie sagte zuletzt, sie hab', als sie mit dem Seppl in der Hoffnung war, ein Gelübd' gethan, ihn der Kirche zu widmen, und obwohl ich's ihr am Gesicht las, daß es gelogen war, ich konnt' nicht mehr dagegen reden.

No, 's ist denn auch ausgegangen, wie ich's ihr vorhergesagt hab'. Der Bub' hat im Seminar einen so schlechten Fortgang gehabt und nebenbei so grobe Streich' ausgehn lassen, daß man ihn nicht hat behalten wollen, und eines Tags ist er uns mit Schimpf und Schand' zurückgeschickt worden. Der Klein' aber, der Toni, hat an der Feldarbeit kein'n rechten Geschmack finden können und ist alleweg wegen seiner Faulheit und seinem Ungeschick gescholten worden. Wie 's jetzt weiter gehn wird, mag unser Herrgott wissen. Ich selbst werd' nimmer lang den Kummer haben, mit allem Besserwissen es nicht besser machen zu können.

Nun, Weber, sagt' ich, so steht's doch noch nicht um Euch. Mit der Gicht kann man steinalt werden. Und wenn's jetzt mit den Söhnen anders wird und jeder an den rechten Platz kommt, könnt Ihr noch Freud' an ihnen haben und dem Toni seine Primiz vielleicht noch erleben.

Da sah er mich wehmüthig an, hielt mir seine dürren Hände mit den verschwollenen Gelenken hin und sagte: Meinen Sie, Hochwürden, daß die Knollen da noch einmal vergehen können? Ich hab' von einem Doctor gelesen, der für die Gicht ein so gutes Rezept hab', aber mein Weib will nichts davon hören, und der Doctor, zu dem sie Vertrauen hat und den sie allein zu mir laßt, ist ein Esel, der macht mit seine Mixturen die Sach' immer schlimmer. Ja, wenn die Händ' noch einmal würden, da hätt' ich doch noch ein klein bissel Freud' am Leben – und dabei warf er einen schier zärtlichen Blick auf die Sächlein, die halb fertig auf der Drehbank lagen. – So aber – schauen Sie, Hochwürden, da hab' ich mir in Ulm eine Bibel gekauft – ich weiß, Sie sehen's nicht gern – es ist eine lutherische, aber sie kam mir grad' in die Hände für ein paar Markl – da les' ich das Buch Hiob – dem hat's auch nicht geholfen, daß er Recht behalten hat, seine eigne Freund' haben's ihm übel genommen, also muß ich wohl stillhalten, zumal ich keine Freunde hab', die mit mir streiten könnten. Schon wie ich noch gesund war, sind sie mir Alle ausgewichen. Den armen Bresthaften vollends besucht keine Katz' und kein Hund. Nun, wie Gott will!

Er versank einen Augenblick in Brüten, dann sah er wieder auf und sagte ganz heiter: Ich möcht' Ihnen gern was anbieten, Hochwürden, ein Gläsel von unserm Hausschnaps; aber Sie müßten so gut sein, mein Weib zu rufen, die hat die Schlüssel zu Allem. Stasi! rief er dann plötzlich, da er draußen im Flur Schritte hörte. Es kam aber Niemand. Ich reichte ihm die Hand und dankte, ich nähme zu dieser Zeit kein geistiges Getränk, und dann sagt' ich noch ein paar freundliche Worte und ging.

Noch auf der Schwelle hörte ich seine Bitte, doch ab und zu wieder bei ihm vorzusprechen, und sagt' es ihm auch zu. Die Bäuerin verschwand draußen um eine Ecke, da sie die Thür gehen hörte. Sie mochte wohl gehorcht haben und nicht danach verlangen, zu hören, was ich zu der christlichen Liebe sagen möcht', mit der sie ihrem Ehemann seine schwere Lebensbürde tragen half.

Ich hatte mir ernstlich vorgenommen, bald wieder den Einsamen aufzusuchen. Aber die Amtsgeschäfte, in denen ich noch ein Neuling war, hielten mich mehrere Wochen so in Athem, daß ich nicht dazu kam.

So vergingen vierzehn Tage.

Da sitz' ich eines Abends spät hier in meinem Zimmer noch mit Schreiberei beschäftigt, als es an meine Thüre pocht und der jüngere Sohn des Firmian Weber, der Toni, hereintritt, ich möcht' geschwind zum Vatter kommen, es steh' sehr schlecht mit ihm, er woll' sterben und bäte mich, seine Beicht' zu hören und ihn zu versehen.

Der Bub war ganz verstört, er hatte immer zum Vater gehalten, der Einzige in Haus und Dorf.

Also lass' ich den Meßner rufen, der schon zu Bett gegangen war, wir holen die heiligen Geräthe aus der Kirch', und hin zum Krannewitthof,

Die Bäuerin kommt uns aus der Küch' entgegen, ganz roth im Gesicht, aber nicht von Grämen und Weinen, sondern von Zorn und Bosheit. Ich möcht' entschuldigen, daß der Bub' mich so spät noch hergesprengt hab', obwohl's nicht noth gewesen wär'. Der Doctor sei erst zu Mittag dagewesen und hab' gesagt, es sei kein Drandenken, daß er so geschwind abfahren müßt', er könn' es noch drei, vier Wochen dermachen, es sei nur so eine Einbildung von ihm, aber er wiss' eben Alles besser, der Siebeng'scheidte.

Damit öffnete sie uns die Thür zum Krankenzimmer, sie selbst blieb draußen.

Nun, Weber, sagt' ich, als ich den armen Menschen ganz zusammengeschnurrt sitzen sah, und in seinen Augen flackerte schon so ein Widerschein vom überirdischen Licht, wie steht's? Soll's wirklich Ernst werden?

Er versuchte, sich in den Kissen aufzurichten, die man ihm in den Rücken gestopft hatte – auch jetzt noch saß er in dem Großvaterstuhl, da er's im Liegen nicht aushielt vor Beklemmung – aber er war zu schwach, nur einen Arm zu regen. Und mit einer ganz leisen Stimm', die wie das Pfeifen einer Maus klang, sagte er: Grüß' Gott, Hochwürden, und ich dank' schön, daß Sie kommen. Ja wohl, es geht aufs Letzte, und freut mich diesmal nur, daß ich Recht behalt' gegen den Esel, den Doctor, denn ich weiß gewiß, die Nacht überleb' ich nimmer. Sind's so gut, Hochwürden, und versehen's mich, daß ich doch wie ein Christenmensch aus der schlechten Welt geh'.

Der Meßner und der Toni gingen aus dem Zimmer, ich nahm ihm die Beicht' ab und versah ihn mit den heiligen Sterbsacramenten, wobei er gar andächtig und freudig dreinschaute. Als er nun wieder zurückgesunken in seinen Kissen lag und die Augen eingedrückt hatte, wie wenn er jetzt friedlich einschlafen wollte, fragt' ich ihn: Weber, sagt' ich, Euer ewiges Theil ist nun mit seinem Herrn und Schöpfer versöhnt. Aber vielleicht habt Ihr noch eine irdische Sorg', die Ihr nicht gern mit hinübernähmt. In dem Fall bin ich gern bereit, Euer Herz zu erleichtern.

Ich wußt' nicht, ob er mich verstanden hätt', denn er blieb eine Weile ganz still. Dann nickte er ein bissel mit dem grauen Kopf und flüsterte: Ich hätt' freilich noch was, 's ist nix von Geld und Gut, das ist meinem Weib verschrieben, und die Buben – no, die werden's so weitertreiben, wie sie können und mögen. Daß sie einen Stiefvater kriegen, das kann ich nicht abwenden, obwohl ich ihre Mutter gewarnt hab'. Aber ich werd' wieder Recht behalten, sie wird den Lorenz freien, den Großknecht, auf den hat sie schon immer ein Aug' gehabt. Nehmen's sich des Kleinen ein bisserl an, Hochwürden, der Groß' schlägt sich schon durch, er hat die Fäust' dazu. Aber – noch Eins wenn's mir zu Lieb' thun möchten – und dabei griff er mit der zitternden Hand zwischen die Kissen hinter sich und holte ein versiegeltes Papier hervor – wenn's dafür sorgen wollten, Hochwürden – ich hab' da aufgeschrieben, was ich möcht' daß man mir auf meinen Grabstein schreiben sollt' – die Stasi könnt' Einspruch thun, aber wenn Sie drauf bestehn, Hochwürden, wird sie sich geben müssen. Wollen Sie mir's versprechen?

Wenn's nichts gegen unsere heilige Religion ist, Weber –

O nein, Sie wissen ja, ich sterb' als bußfertiger Christ, aber bei alledem – da nehmen's das Papierl, Sie werden's schon lesen können, obwohl ich's mit meine krumme Finger – o Gott und Vater, in deine Hände –

Er schloß die Augen, und der Kopf fiel ihm zurück, der Athem ging immer leiser, ich dacht', es sei das Ende. Eben wollt' ich sacht' hinausgehen, das Weib und die Kinder hereinzurufen, da hör' ich ihn noch einmal laut aufseufzen, und mit einer ganz erlöschenden Stimme sagt' er:

Wenn ich nur nicht – auch damit Recht behalt'!

Womit, Weber? frag' ich sehr gespannt.

Daß es Nichts ist mit dem ewigen Leben. Gelt, Herr Pfarrer, das ist sündhaft, so zu denken, aber Gott verzeih' mir's, ich kann mir nicht helfen, es kommt immer wieder.

Aber Weber, sagt' ich, Ihr habt noch eben erklärt, Ihr sterbt im Glauben an Jesus Christ und Gottes Barmherzigkeit, und schon in der Kinderlehr' habt Ihr gelernt –

Wohl, wohl, Hochwürden, fiel er mir ins Wort – und wenn ich denk, ich soll die Rosel nimmer schauen – nimmer – nimmer – nimmer! Und doch – es kommt immer wieder, daß ich denken muß, 's ist aus, ganz aus mit mir – hab' ich doch nicht einmal Kraft gehabt für die paar Jahrerl hie unten, wie soll ich – die ganze lange Ewigkeit –

Sein aschgraues Gesicht verzerrte sich, wie wenn er zu weinen anfangen wollte, aber nur ein krampfhaftes Schluchzen kam aus der Kehle, das gleich in ein Röcheln überging – seine Beine streckten sich – er sank zurück und war verschieden.

Als ich hernach in meinem einsamen Zimmer den Zettel öffnete, las ich das Sprüchel, das jetzt auf seinem Grabstein steht. Er hat auch damit Recht behalten, es hat Müh' gekostet, seine Wittwe zu bereden, daß sie's drauf eingraben ließ – die Kosten reuten sie. Denn ihr zweiter Mann ist geizig und hält den Knopf auf dem Beutel. Wir aber dürfen vertrauen, seine letzte Sorge wenigstens sei eitel gewesen: er möcht' auch damit Recht behalten, daß er seine Rosel am End' nicht wiedersehen würde.


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