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(1911)
Seit Jahren war der Medizinalrath gewohnt, an einem bestimmten Abend in der Woche seine Freundin, die Professorin, zu besuchen, auf ein Plauderstündchen, aus dem gewöhnlich zwei wurden. Beide waren schon alt, er ein großer, etwas hagerer Mann an der Schwelle der Siebzig, grauhaarig und mit einem gütigen, geistvollen Gesicht, die Professorin nur sechs Jahre jünger und gleich ihm seit Jahren verwittwet. Beide hatten ihre verheiratheten Kinder wegziehen sehen und die meisten alten Freunde durch den Tod verloren. In der Stadt munkelte man, die kleine Frau mit dem silberweißen Haar, die bis in ihr hohes Alter noch sehr anziehend war und wegen ihres munteren Geistes und ihrer Herzensgüte allgemein verehrt wurde, habe es ihrem Hausarzt vor Zeiten sehr angethan, so daß es sie nach dem frühen Tode ihres Gatten, der Professor der Pandekten gewesen, nur ein Wort gekostet hätte, Frau Medizinalräthin zu werden, da auch der Arzt vereinsamt war. Sie aber setzten trotzdem ihr freundschaftliches Verhältniß unbefangen in alter Weise fort, ohne daß auch die bösesten Zungen sie deshalb zu verdächtigen wagten.
Wenn er am Samstag Abend bei ihr erschien, stand die Theemaschine schon bereit, daneben auf einem kleineren Tischchen war das Schachbrett aufgestellt, das aber oft nicht berührt wurde, wenn ein wichtigeres Thema zwischen ihnen zur Sprache gekommen war. Zuweilen saßen sie, wie alte Freunde wohl pflegen, nur in einer stummen Zwiesprache einander gegenüber, der alte, sonst sehr lebhafte Herr rauchte sinnend seine Cigarre, seine Freundin bewegte ihre Häkelnadel, und nur in großen Pausen gab Eins dem Anderen zu erkennen, wie wohl ihm dies trauliche Ausruhen unter vier Augen that, da Jedes ohne Worte so ziemlich wußte, womit die Gedanken des Anderen beschäftigt waren.
Heute aber, da er bei ihr eintrat, blieb die Professorin in ihrem Lehnstuhl regungslos sitzen, statt wie sonst mit einem liebenswürdig lächelnden Gesicht aufzustehen und dem alten Freunde die hübsche kleine Hand zu bieten, auf die er mit etwas altväterischer Galanterie die Lippen drückte.
Die Zeitung, in der sie gelesen, war von ihrem Schooß auf den Boden geglitten, sie blickte ihn kummervoll an, und da sie seine betroffene Miene sah, sagte sie: Verzeihen Sie, lieber Freund, daß ich Sie so zerstreut und unfroh begrüße. Was ich aber eben hier in der Zeitung gelesen habe, hat mich so bestürzt, ich kann mich noch gar nicht fassen, nicht daran glauben, daß wieder das unselige Vorurtheil seine Opfer gefordert hat, zwei hoffnungsvolle junge Leben – und eines, dessen Schicksal einer meiner ältesten Freundinnen das Herz brechen wird, da die Wunde schwerlich je heilt und dem Unglücklichen für immer ein Makel anhaften bleibt.
Wovon reden Sie, liebe Freundin? sagte der alte Herr, indem er ihr nähertrat. Sie wissen, ich lese die Zeitung erst spät am Abend und auch dann zuweilen nur die Telegramme. Was steht denn in der heutigen, das Sie so erschüttert hat? Es scheint sich um ein Duell zu handeln.
Statt zu antworten, reichte sie ihm das Blatt. Er hatte sich auf seinen gewohnten Sitz niedergelassen, und während sie in stummer Versunkenheit vor sich hinstarrte, las er den ziemlich ausführlichen Artikel, den sie ihm bezeichnet hatte. Dann legte er das Blatt achselzuckend beiseite und sagte: Die alte Geschichte! Kampf bis aufs Messer zwischen zwei leichtsinnigen jungen Menschen um ein anrüchiges Weib, das keinen Schuß Pulver werth ist und keinem dieser Narren eine Thräne nachweint, sondern ihnen nur dankbar ist für die Reklame, die sie ihr machen. Dieser junge Graf war ein bekannter Lebemann, Spieler und Rennstallbesitzer, um den es schwerlich schade ist. Der Assessor, dessen Mutter Sie so herzlich bedauern, lebt ja noch und kommt vielleicht mit ein paar Jahren Festung und einer beschädigten Lunge davon. Ob ihm selbst oder der Welt damit ein Gefallen geschieht, müssen wir abwarten.
Wie Sie nur so kaltherzig davon reden können! rief die kleine Frau sehr erregt. Es ist ja nicht allein der einzelne Fall, der mich so schmerzt. Von dem ganz abgesehen: ist es nicht empörend, daß der Staat noch immer keine Anstalten macht, dem Unheil zu steuern, den Zweikampf mit so gründlichen Strafen zu belegen, daß diese Schande unserer gepriesenen Kultur auch bei uns endlich vollständig aufhört, wie das ja schon, so viel ich weiß, in England längst erreicht worden ist?
Durch Strafen, liebe Freundin? Nein, durch die Zunahme der Vernunft und praktischen Klugheit. Oder welche Strafen sollten einen Menschen von einer Handlung zurückhalten, bei der er sein Leben einsetzt für einen Zweck, der ihm wichtiger ist als das Leben? Ebenso zweckmäßig wäre es, den Selbstmord verhindern zu wollen, indem man die Todesstrafe darauf setzte. Ein wenig besser ist's damit freilich geworden, seit man über den falschen sogenannten Ehrbegriff, der bei uns idealistischen Deutschen so viel Unheil stiftet, klarer zu denken begonnen hat. Die klassischen Völker kannten ihn gar nicht. Kein Grieche oder Römer glaubte es einem elenden Schuft, der ihm etwas Schandbares nachgesagt hatte, schuldig zu sein, sich Faust gegen Faust mit ihm zu messen. So fromm sie waren, sie dachten nicht daran, die ewigen Götter würden sich's angelegen sein lassen, durch ein »Gottesgericht« zu erweisen, wer gelogen habe, der Verläumder oder der bis dahin für einen Ehrenmann Gehaltene. Unter diesem Unsinn haben die biederen Germanen Jahrhunderte lang geseufzt. Jetzt endlich sorgt man in den Ehrengerichten dafür, daß nicht jedem boshaften Halunken das Recht zustehen soll, einen Biedermann, den er haßt, niederzuschießen wie einen tollen Hund und dadurch seine eigene schmutzige Ehre reinzuwaschen. Aber freilich, so lange der Staat, obwohl er selbst das Duell für strafbar erklärt, Offiziere, die eine von ihren Kameraden gebilligte Forderung ablehnen, der Ehre, die Uniform zu tragen, für verlustig erklärt, wird die Sache so heillos widersinnig bleiben, daß der Betroffene ausrufen muß: »Unsinn, du siegst, und ich muß untergehen!« oder wie Fra Basilio in seiner schönen Arie über die Verläumdung sich äußert. Wer damit nicht zufrieden ist und empört, daß er an keine höhere Instanz appellieren kann, der mag denn nur auf seine Rechnung und Gefahr zu der ultima ratio der Selbsthülfe greifen.
Entsetzlich! rief die Professorin, deren Gesicht sich lebhaft geröthet hatte. So lebten wir ja trotz all unserer hohen sittlichen Kultur heute noch nicht viel anders als in den Zeiten des mittelalterlichen Faustrechts?
Und glauben Sie wirklich, Beste, daß die Menschheit auf diesen Zeiten je herauskommen, jemals Ernst machen wird mit dem christlichen Gebot, das der sonderbare russische Schwärmer schon jetzt von Neuem gepredigt hat: dem Unrecht sich wehrlos zu fügen? Daß es irgend einer Religion der Welt gelingen möchte, die Menschen von Grund aus gut zu machen, so daß es keinem mehr einfiele, seinen Lüsten und Leidenschaften die Zügel schießen zu lassen und schwächere Nebenmenschen zu vergewaltigen? Ja, wäre selbst zu denken, daß alle so hochherzig oder – schwachmüthig würden, die linke Wange hinzuhalten, wenn man sie auf die rechte geschlagen, – hoffentlich würde es immer noch ritterlich empfindende Charaktere geben, denen das Blut in den Adern siedet, wenn sie Andere, Wehrlose, mißhandeln sähen, und wäre das Opfer nur ein gequälter Hund, den man nicht todtprügeln lassen kann. Käme da die öffentliche Gerechtigkeit nicht zu Hülfe, so bliebe Nichts als die eigene Faust, und wir hielten wieder bei dem von der Natur uns eingepflanzten Faustrecht. Es würde dem Menschengeschlecht nur Ehre machen, wenn bis zum jüngsten Tage der Trieb der Gerechtigkeit unausrottbarer in ihm bliebe, als selbst der der Selbsterhaltung.
Die beiden alten Menschen saßen eine Weile schweigend einander gegenüber. Der Medizinalrath zog endlich sein Etui heraus, zündete sich eine Cigarre an und sagte: Geben Sie mir eine Tasse Thee, liebe Frau Julie. Beim Sprechen über so viel Thorheit, Verblendung und Heuchelei in unserer Weltanschauung ist mir die Zunge bitter geworden. Ich möchte den Schmack hinwegspülen. Denn wenn ich an ein paar Fälle denke, die ich vor Jahren selbst erlebt habe, muß ich mir sagen, wie problematisch das Alles ist, was man über dieses Thema denken und sagen kann, wie schwach es um unsere vermeintliche Vernunft steht, wenn sie abwägen soll, was in einem besondern verzweifelten Fall zu thun oder zu lassen wäre, und was man für das größere Übel halten sollte, dem man das kleinere vorzuziehen hätte.
*
Ich selbst zwar bin nie in einen solchen Fall gekommen. Aber zwei seltsame Geschichten habe ich miterlebt, die mich in der Überzeugung bestärkt haben, daß alle fortschreitende ethische Aufklärung nicht dahin gelangen wird, das Faustrecht vollständig abzuschaffen.
Als der erste Fall sich ereignete, waren Sie noch nicht hier, ich selbst noch in den Anfängen meiner Praxis. Da Ihr Mann erst sechs Jahre später die Professur an der hiesigen Universität erhielt, war längst Gras über der Sache gewachsen, so großes Aufsehen sie auch gemacht hatte, und so werden Sie sich schwerlich der Zeitungsberichte darüber erinnern.
Nun also damals – dreiunddreißig Jahre sind darüber vergangen – unser Theater fing eben an, etwas in Flor zu kommen, nachdem ein neuer, fähiger Intendant dem früheren Schlendrian ein Ende gemacht hatte. Zumal in der Oper zeigte sich ein rasches Aufblühen, was man dem kräftigen Eingreifen eines sehr talentvollen und energischen Kapellmeisters zu danken hatte.
Vollends nun, als zu den übrigen guten Kräften ein förmlicher Stax hinzukam, eine Sängerin, die außer einer entzückenden Stimme und reizenden Gestalt ein dramatisches Temperament besaß, mit dem sie die schwersten Aufgaben spielend bemeisterte. Sie war vorher am Hannover'schen Theater engagiert gewesen, auch dort ungeheuer beliebt und gefeiert. Trotzdem erreichte es unser Kapellmeister, sie von dort zu entführen, was ihm schwerlich gelungen wäre, wenn seine persönliche Erscheinung nicht mehr Gewicht bei ihr gehabt hätte, als die unbedeutend höhere Gage, die er ihr bieten konnte.
Mit ihrem ersten Auftreten hatte sie das gesammte Publikum erobert, und die Begeisterung wuchs mit jeder neuen Rolle. Ich selbst, der ich bisher ein etwas kühles Verhältniß zur Musik gehabt hatte, war bald wie alle Anderen im Bann dieses wundersamen Mädchens, das zu ihrer Kunst auch alle weiblichen Gaben und Tugenden besaß und von den Biedermüttern der Stadt ebenso verehrt wurde, wie angebetet von der gesammten Männerwelt. Allen Huldigungen begegnete sie mit einer freundlich dankbaren, aber unnahbaren Holdseligkeit, und es war bald für Niemand ein Geheimniß, daß ihr Herz in festen Händen war, – denselben, die den Taktstock regierten, wenn sie sang.
Daß der Glückliche, der dies große Loos gezogen hatte, von allen hoffnungslosen Mitbewerbern beneidet wurde, war begreiflich. Selten aber wird es geschehen sein, daß alle Concurrenten einstimmig anerkannten, sich mit ihm in keinen ernstlichen Vergleich einlassen zu können. Denn auch er war ein Liebling der ganzen Stadt, nicht nur wegen seiner Kunst, da er zuerst als Geigenvirtuose sich einen Namen gemacht und sich dann als Dirigent so glänzend bewährt hatte, sondern wegen seiner persönlichen Liebenswürdigkeit, obwohl er durchaus kein sogenannter schöner Mann war. Doch wenn er mit seinen feurigen Augen in sein Orchester hineinblickte und sie dann zu den Sängern auf der Bühne erhob, ging ein Zauber von seiner Person aus, dem Niemand widerstehen konnte.
So war man darüber einig, daß man sich kein harmonischer zu einander passendes Paar denken könne, als diesen Kapellmeister und diese Primadonna.
*
Am Morgen des letzten Spieltages vor den Sommerferien war die Verlobungsanzeige in der Zeitung erschienen. Am Abend – es wurde Gluck's »Iphigenie auf Tauris« gegeben – fand der Bräutigam, als er heraustrat, sein Pult aufs Herrlichste mit Rosen bekränzt, und Iphigenie konnte vor Rührung lange keinen Ton herausbringen, als sie mit Blumen und Applaus bei ihrem Auftreten überschüttet wurde.
Es war ein großes Familienfest, an dem die ganze Stadt theilnahm.
Nach der Vorstellung, die mit den gleichen herzlichen Ovationen geschlossen hatte, fanden sich in der Restauration des Theaters die gewohnten Stammgäste zusammen, die jeder Theaterabend hier bis Mitternacht vereinigte. Heute saß man um eine Bowle herum, die zur Feier des großen Ereignisses gebraut worden war, und natürlich drehte sich das Gespräch lange um das junge Paar.
Einer der älteren Herren hatte einen launigen Toast ausgebracht und allerlei Eigenschaften des Bräutigams gerühmt, die seinem Herzen darum nicht weniger Ehre machten, weil er sie nicht zur Schau trug, zum Beispiel seine zarte Fürsorge für eine alte, gebrechliche Mutter, und daß er keinem Thier wehthun könne. Er habe, was sogar eine Schwäche gewesen, nicht den Muth gehabt, seinem Hunde, der ein Bein gebrochen, durch einen Schuß aus dem Leben zu helfen.
Man sprach dann von dem Einfluß der Musik auf den Charakter. Das alte Wort wurde angeführt: emollit mores, nec sinit esse feros – die Musik verweichlicht die Sitten und nimmt ihnen ihre Wildheit.
Da hörte man plötzlich vom Ende der langen Tafel eine etwas dünne, heisere Stimme sagen: Nun, an Muth fehlt es unserem verehrten Kapellmeister doch wahrhaftig nicht.
Alle wendeten sich fragend nach dem Sprecher hin, der soeben sein Glas wieder geleert hatte und große blaue Wolken aus seiner Cigarre in die Luft blies.
Es war das ein Journalist, Theaterreferent des »Tageblatts«, ein noch ziemlich junger Mann, der wegen seiner scharfen Zunge berüchtigt und auch sonst wenig beliebt war. Ich hatte mich nie entschließen können, mich näher mit ihm einzulassen, und den Meisten in diesem Kreise wäre ein Gefallen damit geschehen, wenn man ihn hätte loswerden können. Doch war er klug genug, sich keine Blöße zu geben, an der er zu fassen gewesen wäre.
Auch seine anfängliche unfreundliche Haltung gegenüber unserer Sängerin hatte er nicht fortgesetzt, nur dann und wann irgend einen technischen Fehler ihr aufgemutzt und nur den Erfolg beim Publikum kaltherzig zu Protokoll genommen. Man raunte sich zu, er habe wohl, da er ebenfalls aus Hannover zu uns gekommen, sich ihr dort zu nähern versucht und ihre Abweisung ihr nicht verzeihen können.
Ich hatte ihn im Stillen beobachtet und gesehen, daß er in verdrossener Stimmung hastiger, als gut war, getrunken hatte, so daß sein bleiches Gesicht glühte und seine Augen mit Blut unterlaufen waren.
Nach jener Äußerung, die er laut in die Gesellschaft hineingeworfen, war es ein paar Augenblicke still geworden; dann sagte der alte Landesgerichtsrath, der den Toast ausgebracht hatte: Was haben Sie damit sagen wollen, Herr Doctor, daß es dem Kapellmeister wahrlich an Muth nicht fehle?
Nun, erwiderte der Andere sehr ruhig, nichts Besonderes. Es ist ja immer riskiert, eine Dame vom Theater zu heiraten, die jeden Abend das Ziel von hundert Operngläsern ist und der Gegenstand von hundert Kritiken. In unserm Falle vollends – nach der Geschichte mit dem Großfürsten Wladimir –
Man erklärte betroffen, von einer solchen Geschichte nichts zu wissen.
Seltsam! sagte der Doctor und zuckte die Achseln. Es ging doch durch alle Zeitungen und ist noch nicht lange her. Aber ich will die Sache schlafen lassen, zumal ich nicht mehr davon weiß, als ganz Hannover.
Damit wollte man sich nun nicht beruhigen und bestand darauf, zu erfahren, was ganz Hannover wisse.
Der Doctor lächelte hämisch.
Ich erkläre feierlich, daß ich kein Wort sagen würde, was einen Schatten auf die Ehre unserer großen Künstlerin würfe. Daß der Großfürst, der einen Besuch bei unseren Herrschaften machte, als ein bekanntermaßen großer Musikfreund unsrer Diva wegen länger, als er vorgehabt, dablieb und keinen Abend, wenn sie sang, versäumte, dafür konnte sie doch nicht, und wenn er sie in einer der aristokratischen Gesellschaften traf, wo sie eingeladen wurde, um vor dem Souper zu singen, nahm sie seine auffallend lebhaften Huldigungen mit taktvoller Höflichkeit hin, so daß niemand darüber reden konnte. Die Sache wurde erst verfahren, als der Großfürst in seiner Loge nicht mehr erscheinen konnte, weil er sich beim Herausspringen aus seinem Wagen den Fuß verletzt hatte. Da er ein sehr leidenschaftliches Naturell hatte und nicht gewöhnt war, so leicht auf ein Vergnügen zu verzichten, gerieth er auf den Einfall, die Sängerin zu sich einzuladen und mit der Begleitung durch seinen Kammerherrn, der sehr musikalisch war, auf seinem Ruhebett liegend sich von ihr vorsingen zu lassen. Es war etwas unvorsichtig von ihr, daß sie der Einladung folgte. Sie wußte aber wohl nicht, in wie schlechtem Ruf dieser hohe Herr stand, und da es immer am Tage geschah und ihre ehrwürdige Gardedame sie begleitete, es ihr auch schmeicheln mußte, mit ihrer Kunst die Schmerzen eines Anbeters lindern zu können, that sie, was sie wohl besser hätte lassen sollen.
Man kann denken, was in der Stadt darüber geredet wurde. Vollends als man erfuhr, der Fürst habe ihr eine herrliche Perlenkette geschenkt, da er diese Concerte unter acht Augen plötzlich abbrechen mußte, weil sein Vetter, der Zar, ihn aus irgend einem Grunde nach Hause rief. Er soll darüber in helle Wut ausgebrochen sein und verlangt haben, sie solle ihn begleiten. Als sie darauf nicht einging – die Unterhandlungen mit dem hiesigen Theater waren schon im Gange – habe er ihr eine fürchterliche Scene gemacht und gedroht, in kurzem wiederzukommen – alles, wie wenn sie seine Leibeigene wäre. Natürlich waren alle Gerüchte, die daraus gesponnen wurden, leere Erfindungen. Aber daß die Nachricht von ihrer Verlobung den tollen Menschen außer sich bringen werde, daß er, ehe man's denkt, wie der Blitz hier hereinfahren und dem Herrn Bräutigam zu verstehen geben wird, daß er ältere Rechte habe, muß Jeder voraussehen, der den Roman bis zu diesem Kapitel kennt und den hohen Herrn nur einmal in seiner Loge sitzen sah, von wo er die schöne Künstlerin mit den Augen verschlang.
Während er dies Alles sagte, immer die Augen auf das Glas vor ihm geheftet, hatte sich kein Laut im Zimmer gerührt. Mir aber, der ich ihm gerade gegenüber saß, stockte der Athem, als ich während der letzten Sätze seiner Erzählung die Thür hinter ihm sich leise öffnen und den Kapellmeister eintreten sah. Beim ersten Wort, das er verstand, blieb er wie angewurzelt stehen, während der Andere ahnungslos fortfuhr. Dann trat er auf den Sprecher zu und sagte mit einer vor Erregung zitternden Stimme, doch in gedämpftem Ton: Ich scheine einen sehr interessanten Bericht über einen Roman versäumt zu haben. Vielleicht haben Sie die Güte, mir das Wesentliche zu wiederholen. Ich hörte so etwas von einer Perlenschnur und älteren Rechten. Ich möchte bitten, sich näher darüber zu erklären.
Die Meisten, die um den Tisch saßen, waren bestürzt aufgesprungen. Der Doctor hatte sich nur umgedreht, sein Gesicht war todtenfahl geworden, doch beherrschte er sich äußerlich und sah dem Anderen dreist ins Gesicht.
Ich habe nichts zu erklären, mein Herr, sagte er. Die Anwesenden werden mir bezeugen, daß ich nur Ihren Muth bewundert habe, unter solchen Umständen –
Er vollendete den Satz nicht. Ein heftiger Schlag traf ihn mit solcher Gewalt ins Gesicht, daß er vom Stuhl heruntertaumelte und einen Augenblick am Boden lag. Im nächsten hatte er sich aufgerafft und aus den Angreifer geworfen, mit einem zischenden Ton wie ein gereiztes wildes Thier. Die Nächsten sprangen herzu, die beiden Wüthenden zu trennen, und mit einiger Mühe gelang es, den Doctor so weit zu bringen, daß er, unartikulierte Verwünschungen stammelnd, es geschehen ließ, daß man ihm Hut und Stock in die Hände drückte und ihn aus dem Saale hinausschob.
*
Sie können denken, liebe Freundin, in wie peinlicher Stimmung wir zurückblieben.
Unser Freund, der Bräutigam, war auf einen Stuhl gesunken und starrte mit finsteren Augen vor sich hin, während man auf sein Verlangen ihm Alles erzählen mußte, was sein Gegner gesagt hatte. Es war um so bitterer für ihn, da der nichtswürdige Verläumder beständig betheuert hatte, er selbst glaube von all dem Ehrenrührigen kein Wort, so daß er formell seinen Angreifer ins Unrecht setzte, so sehr die infame Absicht aus Allem hervorleuchtete. Was man also auch sagen mochte, um den schwer Getroffenen, dem sein schönster Tag so kläglich zu Ende ging, zu beschwichtigen – es wollte nicht gelingen, und man sah ihn endlich in Hast aufbrechen, ohne daß nur ein Tropfen unserer zu seiner Feier gebrauten Bowle seine Lippen genetzt hätte.
Am nächsten Tage in aller Frühe erhielt er den Besuch der Sekundanten, die ihm die Forderung seines Gegners brachten. Die Sache hatte in der Stadt das ungeheuerste Aufsehen gemacht. Alle glaubten, ein Duell sei unvermeidlich, und wünschten doch nichts lebhafter, als daß ein Ausweg gefunden werden könnte. Es war ja auch entsetzlich, denken zu müssen, daß die Entscheidung durch die Waffen gegen den Unschuldigen fallen könnte, mit dessen Schicksal zwei andere so innig verbunden waren, das der alten Mutter und der jungen Braut.
Doch sollte es anders kommen.
Der Kapellmeister war als Reserveleutnant dem Ehrengericht unterworfen, und dieses entschied, daß er die Forderung nicht annehmen dürfe, da der Andere nicht satisfactionsfähig sei. Er habe, da er ebenfalls sein Jahr abgedient, bei einem nicht ganz aufgeklärten Pferdehandel einen Kameraden geschädigt und sei wegen unehrenhaften Betragens im Regiment übel angesehen worden. Da man die neue häßliche Geschichte ihm ebenfalls sehr verdachte und Alles thun wollte, dem Kapellmeister und seiner Braut ihr Glück gegen jede Tücke des Schicksals zu sichern, sollte das Duell keinesfalls vor sich gehen.
In der Stadt athmete man auf. Auch der Verlobte beruhigte sich bei dieser Entscheidung, da er von allen Seiten die Versicherung erhielt, daß kein Mensch jenes Gerücht als etwas Anderes als eine böswillig aufgebauschte Skandalgeschichte betrachtete. Eine Art Genugthuung war ihm ja auch gewesen, daß seine erste Wuth sich in dem Schlag ins Gesicht seines Feindes entladen hatte. Und so ließ sich Alles dazu an, daß das Geschehene versunken und vergessen bleiben und eine fröhliche Hochzeit den Roman beschließen sollte.
Nur war es den näheren Freunden und Bekannten auffallend, daß auf dem schönen Gesicht der Braut ein Schatten zurückblieb, der nicht weichen wollte.
Man bekam sie freilich nur selten zu sehen. Wenige von Denen, die sie besuchten, um ihr zu sagen, wie empört sie über den Vorfall seien und wie die ganze Stadt sich freue, daß der tückische Mensch für seine schmachvolle Insinuation mit allgemeiner schweigender Verachtung gestraft werden solle, ließ sie überhaupt vor und verhielt sich dann seltsam zerstreut und einsilbig. Auch der Bräutigam ließ sich wenig blicken. Aus der Gesellschaft im Theaterrestaurant blieb er seit jenem Abend fort, wer ihm auf der Straße begegnete, fand seine Miene auffallend verändert, und auf die Frage, wann die Hochzeit sein würde, gab er ausweichende Antworten. Einer, der zufällig einmal am Hause der Sängerin vorbeigekommen war, als der Kapellmeister es verließ, erzählte, er habe ein Gesicht gehabt nicht wie ein glücklich Liebender, der von seiner Geliebten komme, sondern wie ein Mensch, der soeben einen Korb bekommen.
Die Lösung all dieser Räthsel ließ nicht lange auf sich warten.
Auch der Anstifter des ganzen bösen Handels hatte sich möglichst unsichtbar gemacht. Er erschien nur regelmäßig auf seiner Redaktion und blieb aus dem Gasthaus weg, wo er früher zu Tische gegangen war. Man sprach sogar davon, daß er die Stadt verlassen wolle, in der er sich unmöglich gemacht hatte.
Eines Mittags aber, als er in einer der entlegenen Straßen auf dem Wege nach seiner Wohnung hinging und um eine Ecke bog, sah er plötzlich gerade Die auf sich zukommen, der auszuweichen er den weitesten Umweg gemacht hatte. Als sie ihn erblickte, blieb sie stehen, und auch er fuhr zurück. Einen Augenblick standen sie so regungslos sich gegenüber. Er mochte wohl überlegen, ob er dreist an ihr vorübergehen oder gar sie anreden sollte, sein Bedauern über das Vorgefallene äußernd. Sie ließ ihm aber nicht lange Zeit. Sie griff in die Tasche, zog einen kleinen Revolver heraus und drückte ihn gegen ihn ab. Aus einem der nächsten Häuser hat man gesehen, wie er zusammenbrach, sie aber, ohne eine Miene zu verziehen, die Waffe neben ihn hinwarf und sich ruhig entfernte.
Was nun folgte, ist kurz erzählt.
Dieses dramatische Finale, das natürlich viele Wochen das Interesse der Stadt in Athem hielt, wurde in sehr verschiedenem Sinne beurtheilt. Die Meisten, besonders Jüngeren, waren von dem heroischen Entschluß des stolzen Mädchens, sich selbst Genugthuung zu verschaffen, aufs Höchste begeistert, und es fand sich auch ein dichtender Verehrer, der in der Zeitung ihre That verherrlichte. Die Kühleren und Gemäßigteren fanden es höchst überflüssig, da der Spruch des Ehrengerichts zu ihren Gunsten entschieden hatte, sich nicht damit zu begnügen, sondern sich noch eine eigene blutige Satisfaction zu schaffen auf völlig ungesetzlichem Wege, statt sich in den Mantel ihres reinen Bewußtseins zu hüllen.
Der Schuß hatte zum Glück nur die linke Schulter getroffen und die Lunge gestreift. Immerhin sah es nach einem Mordversuch aus und konnte nicht ungeahndet bleiben.
Als die Thäterin einige Wochen später, während deren sie sich verpflichtet hatte, ihr Haus nicht zu verlassen, vor Gericht erschien, ohne Begleitung, selbst die ihres Bräutigams, war der Saal so überfüllt, daß in der That keine Nadel zu Boden fallen konnte. Ich hatte zum Glück einen Platz erhalten und weiß noch, wie mir das Herz klopfte, als ich sie eintreten sah, in einem einfachen weißen Gewande, wie bei ihrem letzten Auftreten als Iphigenie, die schönen blonden Haare mit einem schwarzen Schleier umwunden. Sie sah starr an der hundertäugigen Menge vorbei und schritt ruhig, doch, wie mir schien, in etwas theatralischer Haltung, zu den Richtersitzen und Geschwornen vor, sich kaum merklich verneigend. Dann, aufgefordert, sich über ihre Tat auszusprechen, erklärte sie mit gelassener Stimme: sie könne das Geschehene so wenig bereuen wie leugnen. Da unter den Männern sich Niemand gefunden, selbst nicht der nächste Freund, einen Elenden zu züchtigen, der die Ehre eines wehrlosen Weibes verdächtigt habe, und auch die staatliche Gerechtigkeit ihr jeden Schutz versage, sei ihr Nichts übrig geblieben, als sich des Rechts der Nothwehr zu bedienen, da ein Makel, der ihrer Person angespritzt worden, so nichtig die Verläumdung auch erscheine, an ihrem Rufe haften bleiben müßte, wenn er nicht mit Blut abgewaschen würde. Kein Ehrengericht könne von dieser Pflicht entbinden. Den Ausschlag gebe nur das Gefühl der Beleidigten, und wenn dies Gefühl nicht durch eine volle Sühne beruhigt würde, müsse das unschuldige Opfer einer empörenden Bosheit sich bis ans Ende vor der Welt entehrt finden.
Diese Verantwortung ihrer That machte einen so tiefen Eindruck, daß nach kurzer Berathung ein einstimmiger Freispruch erfolgte, obwohl der Staatsanwalt nicht ganz damit einverstanden schien. Desto mehr das Publikum, das in enthusiastischen Beifall ausbrach und sich herzudrängte, als sie ohne Geleit, wie sie gekommen war, den Saal verließ. Selbst den Arm ihres Bräutigams, den er in größter Aufregung ihr anbot, lehnte sie mit einer ruhigen Gebärde ab und bestieg draußen, wo eine Schar von Verehrern ihr eine begeisterte Huldigung darbrachte, mit ihrer alten Gesellschafterin den Wagen, der sie nach ihrer Wohnung zurückbrachte.
Am anderen Morgen verbreitete sich das Gerücht, daß sie die Stadt verlassen habe. Wenige Wochen später las man in den Zeitungen von ihrer Ankunft in Amerika, wo sie im nächsten Winter wieder auftrat und ganz New York zu ihren Füßen sah.
Unsern Kapellmeister hat es auch nicht lange in der Stadt geduldet. Er soll ihr nach Hamburg nachgereist sein und dort noch einmal Alles aufgeboten haben, sie zurückzugewinnen. Umsonst. Sie konnte es ihm nicht verzeihen, daß er sich von Anderen zu thun verbieten ließ, wozu die Ritterpflicht gegen seine Braut ihn verpflichtet hätte.
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Der alte Herr schwieg und zündete sich die Cigarre wieder an, die ihm während seiner Erzählung längst ausgegangen war. Nach einer Weile sagte er: Nun, liebe Freundin? Sie verrathen ja mit keinem Wort, was Sie von der seltsamen »Rächerin ihrer Ehre« denken. Es scheint, Sie finden ihr Betragen unverzeihlich, da ja das Glück dessen, der sie liebte, dadurch zerstört werden mußte, daß sie ihrem ausschweifenden Ehrgefühl den Zügel schießen ließ. Wenn Sie sie aber vor dem Gericht gesehen und gehört hätten –
Ich sah sie in Ihrer Schilderung, lieber Freund, und gewiß, auch ich hätte sie freigesprochen. Ich verurtheile Niemand, der im Einklang mit seinem Herzen handelt, wenn er sich damit auch in Zwiespalt setzt mit irgend einem der zehn Gebote oder tausend Verbote der menschlichen Gesellschaft. Beklagen aber kann ich ihn, wenn er allzu leidenschaftlich nur auf die Stimme seines Innern hört, das ihm oft etwas Thörichtes zur Pflicht macht. Diese stolze Künstlerin – die reine »Prinzessin auf Erbsen« in dem Andersenschen Märchen – konnte sie sich nicht mit dem Zeugniß ihres Gewissens beruhigen, das durch die Volkesstimme bekräftigt worden war? Würden nicht die meisten ihrer Colleginnen, selbst bei geringerem Recht dazu, sehr damit zufrieden gewesen sein, daß ihnen nachgesagt würde, ein russischer Großfürst sei sterblich in sie verliebt gewesen und habe ihnen eine Perlenschnur geschenkt? Und diese überspannte Thörin verlangt von ihrem Geliebten – ja, was denn eigentlich? – daß er einen Bravo dingen sollte, um den tückischen Verläumder aus der Welt zu schaffen? Und da sich der nicht dazu herbeiläßt, an das Faustrecht zu appellieren, kauft sie selbst sich einen Revolver, um die Lücke in der heute geltenden Gerechtigkeit auszufüllen!
Eine Lücke, liebe Freundin, die, wie ich schon sagte, bis an den jüngsten Tag offen bleiben wird. Ich wollte Ihnen aber noch einen zweiten Fall erzählen, wo man der Meinung war, ein Verbrechen, gegen das kein Richterspruch angerufen werden konnte, durch ein anderes Verbrechen zu sühnen. Und der Held dieser Geschichte war mir ein sehr lieber Freund. So weit sie auch zurückliegt, fühle ich noch heut eine schmerzliche Bewegung, wenn seine Gestalt und sein Schicksal in meiner Erinnerung wieder auftauchen.
*
Ich hatte mich nämlich seit drei Jahren hier etabliert und durch ein paar glückliche Kuren ein wenig bekannt gemacht, als ich eines Tages zu einer Kranken gerufen wurde, die einen Ohnmachtsanfall gehabt hatte, ein junges Fräulein von siebzehn Jahren, das mir schon manchmal auf der Straße aufgefallen war, immer in Begleitung einer älteren Dame, die ich für ihre Mutter hielt. Es war aber nur ihre Tante, bei der sie, seit die Eltern gestorben waren, mit ihrem um sechs Jahre älteren Bruder zusammen gelebt hatte. Die Mutter war eine Französin gewesen, die der deutsche Vater, ein Kaufmann, in Straßburg kennen gelernt hatte. Sie waren dann hieher übersiedelt, wo der Sohn Herbert sich zum Maler ausbilden wollte. Auch das Schwesterchen, Zerline, zeigte großes Talent, auch hierin ihrem Bruder ähnlich. Denn dem Äußeren nach hätte, wer sie nebeneinander sah, sie für Zwillinge gehalten.
So glichen sich auch ihre Charaktere.
Man konnte nichts Liebenswürdigeres sehen als diese Verbindung von Zartheit und Anspruchslosigkeit mit verhaltener leidenschaftlicher Energie, die besonders in dem Bruder bei allen Anlässen zu Tage trat, wo sich's um seine künstlerischen Ideale oder um geistige oder sittliche Fragen handelte. Dann funkelten seine ernsten Augen, und sein Gesicht rötete sich. Auch die Schwester konnte dann, obwohl sie in der Regel nicht sehr gesprächig war, sondern mit dem Mienenspiel ihres feinen Gesichtchens jedes Wort des Bruders accompagnierte, aus ihrer Zurückhaltung herausgehen und förmlich beredt werden.
Die Tante war eine gute Seele, die nur das eine Interesse hatte, es »ihren Kindern« an nichts fehlen zu lassen, was sie mit ihren beschränkten Mitteln erreichen konnte. Da sie aber wenig Bildung besaß, war es natürlich, daß die Geschwister sich immer inniger aneinander anschlossen und auch nach Freundschaften mit Altersgenossen kein Verlangen trugen.
Bei meinem ersten Besuch, wo ich den Anfall bereits überwunden fand und nur einige Vorsichtsmaßregeln verordnete, erkannte ich freilich, daß dies holde junge Geschöpf mit einem allzu reizbaren Herzen begabt war. Auch die Mutter war daran gestorben, und es galt vor allem, den Gesamtorganismus zu kräftigen und jede heftige Aufregung zu vermeiden. Ich hatte Mühe, den Bruder zu beruhigen, daß bei der sonst so herrlichen Constitution des Fräuleins von einer Gefahr nicht die Rede sein könne, wenn sie ihr stilles Leben fortsetzten und für körperliche Abhärtung sorgten. Zerlinchen hatte das alles mit einem ganz heiteren Gesicht mitangehört. Ich bin nur froh, sagte sie endlich, daß mir nicht das Malen verboten worden ist. Tanzen habe ich nie geliebt, und im Fluß baden war meine Passion.
Obwohl ich nun keinen ärztlichen Grund hatte, die Geschwister bald wieder zu besuchen, hatten sie mich doch so für sich eingenommen, daß ich allerlei Vorwände brauchte, die Bekanntschaft fortzusetzen. Ich lud sie in meine bescheidene Häuslichkeit ein und hatte die Freude, daß auch meine Frau dasselbe herzliche Gefühl für sie empfand, während das junge Mädchen sich innig an sie anschloß. Es war außer mit ihrem Bruder das einzige wahrhafte Herzensverhältniß, da sie, wie gesagt, zu den Institutsgenossinnen auf einem ziemlich gleichgültigen Fuß gestanden hatte und mit der bigotten Tante sich in den meisten Dingen nicht verstehen konnte.
Von Bällen und größeren geselligen Veranstaltungen blieben sie auch den nächsten Winter wie alle früheren fern, nur in Concerte und Theater begleiteten sie uns, und es war immer merkwürdig, das junge Mädchen hernach über ihre Eindrücke sich äußern zu hören. Ich sagte manchmal meiner Frau, wenn ich ihren leidenschaftlichen Antheil an den großen tragischen Werken der Dichter wahrnahm: Gott gebe, daß ihr Herz keine Prüfungen solcher Art zu bestehen haben möchte, sondern ein heiteres Liebesglück fände. Sie ist von dem allerdings wissenschaftlich nicht recht beglaubigten Geschlecht der sogenannten »Bluter«, deren kleinste Verwundung sich nicht wieder zu schließen vermag.
Der Bruder hatte inzwischen ein erstes größeres Bild in Angriff genommen, das von den wenigen Collegen, die er in sein Atelier hin und wieder einließ, höchlich gepriesen wurde. Das Zerlinchen saß bei solchen Besuchen hinter einer spanischen Wand und pinselte eifrig an ihrer eigenen Leinwand.
Eines Abends kamen sie Beide zu uns, und Herbert erzählte, es sei ihm der Antrag gemacht worden, Tizians Assunta in Venedig zu kopieren, in der Größe des Originals. Ein reicher Kunstliebhaber – Sie entsinnen sich vielleicht, liebe Freundin, des Mannes, der damals anfing, eine Galerie zusammenzubringen, des großen Fabrikanten Veit Froberg, der dann früh starb und seine Bilder dem Museum vermachte – nun, dieser Mäcen hatte bei einem Aufenthalt in Venedig sein Herz an die Assunta gehängt und wollte nicht ruhen, ehe er in den Besitz einer Copie gelangte. Der Direktor der Akademie hatte als den Geeignetsten, dem die Arbeit anzuvertrauen sei, den jungen Herbert vorgeschlagen, dem natürlich der hohe Preis verlockend sein mußte. Überdies war er bei seinem eigenen Bilde zu einem Punkte gelangt, wo ihm gewisse Zweifel aufgestiegen waren, so daß es gerathen schien, die Augen eine Zeit lang von der Leinwand abzuwenden. Dazu konnte Nichts nützlicher sein, als die Vertiefung in ein großes Meisterwerk.
Wir gratulierten ihm zu diesem doppelten Glücksfall, der ihn aber nicht besonders heiter stimmte. Denn er sah ein, daß er nicht daran denken konnte, seine Schwester mitzunehmen. Erst als meine Frau versprach, mütterlich für sie zu sorgen und keinen Tag vergehen zu lassen, ohne ihm eine Postkarte über ihr Befinden zu schicken, von ihrem Leibarzt beglaubigt, erhellte sich seine Stirn, und wir feierten ein kleines Abschiedsfest in meiner Wohnung, bei dem es sehr lustig zuging und wir, ehe wir uns trennten, paarweise mit einander Brüderschaft tranken.
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Dann vergingen ein paar Wochen, in denen Alles im ruhigsten Geleise blieb. Unser Pflegekind kam täglich gegen Abend, wenn sie mit ihrer Tagesaufgabe fertig geworden war, aus Venedig schrieb der Bruder sehr entzückt von allen Herrlichkeiten, die ihn umgaben, nur daß er leider einsehen müsse, die große Aufgabe sei nicht in vier Wochen, wie er gedacht, durchzuführen, sondern werde vielleicht mehr als die doppelte Zeit kosten.
Auch mir begegnete etwas Unerwartetes. Für einen meiner Patienten war es nothwendig geworden, sich nach dem tiefen Süden zu begeben, und da er ziemlich gebrechlich war, durfte man ihn bei der weiten Reise nach Kairo nicht bloß seinem Bedienten anvertrauen, sondern ein Arzt mußte ihm zur Seite bleiben. Nicht nur das ansehnliche Honorar war mir willkommen, sondern auch die Gelegenheit, das ferne Land zu sehen, da ich bisher über Paris und Florenz nicht hinausgekommen war. Ich übertrug also die Verantwortung für meine Pflegebefohlene einem älteren Collegen, zu dem ich volles Zutrauen hatte, und entschuldigte mich in einem Briefe gegen den Bruder, so gut es gehen wollte, vor allem mit der nun verdoppelten Pflege und Sorge meiner Frau.
Es ließ sich auch Alles aufs Beste an. Nur daß auch meine Rückkehr wie die Herberts sich über den angenommenen Termin hinaus verzögerte, da ich meinen Patienten, nachdem ich ihn installiert hatte, nicht sogleich verlassen konnte. Eine Verschlimmerung seines Zustandes war eingetreten, die erst abgewartet werden mußte, worüber Wochen und Wochen vergingen.
Doch gab mir meine Frau immer die erwünschtesten Nachrichten. Nur ihr Pflegekind, das Zerlinchen, habe seit einiger Zeit seine Munterkeit verloren, ohne einen erkennbaren Grund, da sie körperlich sich gerade besonders blühend zeige, während eine seltsame Ungleichheit ihres Betragens zwischen Melancholie und übermäßiger Lustigkeit ihr ja sonst nicht eigen gewesen sei. Sie gehe übrigens nach wie vor regelmäßig in das Atelier ihres Bruders und habe ein paar schöne Studien vollendet, mit denen sie ihn bei seiner nahe bevorstehenden Rückkehr zu überraschen gedenke.
Mitte September aber kam ein Brief, der mich in die höchste Bestürzung versetzte.
Das Zerlinchen, schrieb meine Frau, sei plötzlich erkrankt, der Arzt, der mich vertrat, habe sofort die Sache als sehr ernst betrachtet, die sorgfältigste Behandlung angeordnet, an den Bruder sei telegraphiert worden, und man erwarte sein Eintreffen von einem Tage zum andern.
Nun war auch meines Bleibens nicht länger in der weiten Ferne, zumal ich meinen Kranken mit gutem Gewissen einem französischen Collegen anvertrauen konnte. Mit dem nächsten Schiff ging ich in See, nachdem ich telegraphisch meine Heimkehr gemeldet hatte, machte die Fahrt aber mit schwerbedrückter Seele, da ich unterwegs keine Nachricht mehr erhalten konnte, und betrat mein Haus in banger Ahnung.
Es überraschte mich kaum, daß meine Frau in Trauerkleidung mir entgegentrat. Die Thränen stürzten ihr aus den Augen, als sie mir in die Arme sank, sie konnte lange die Sprache nicht finden. Als sie sich endlich soweit gefaßt hatte, daß ihre Thränen versiegten, sagte sie: Ihr ist wohl. Als wir sie vor zehn Tagen zur Ruhe betteten, war uns bei allem Jammer über das unbegreifliche Schicksal eine Last vom Herzen. Wir ahnten aber nicht, daß das Furchtbarste noch bevorstand. Vorgestern hat man ihren Bruder ins Gefängniß gebracht, da er einen Menschen erschossen hat, ohne daß man die geringste Ahnung hätte, was ihn dazu gebracht; es scheint ein plötzlicher Irrsinn bei ihm ausgebrochen zu sein, da er den Verlust dieses einzig geliebten Wesens nicht zu ertragen vermocht hatte.
Wie furchtbar ich erschrak, können Sie denken. Es war mir unfaßbar; und was meine Frau mir noch weiter berichtete, machte die Sache nur immer räthselhafter.
Der Getödtete war ebenfalls ein junger Maler, ein Ungar, von dem Herbert zuweilen gesprochen hatte, als von einem sehr talentvollen Schüler der Akademie, der ihm aber nicht sympathisch sei, ein cynischer Geselle, Weiberjäger und Spieler. Doch hatte er ihn auch nicht gemieden, eben weil er ihn als Künstler interessierte. Einige Zeit nach Herberts Abreise hat dieser windige Patron sich verlobt, mit der Tochter eines reichen Gutsbesitzers, und die Hochzeit sollte in den nächsten Tagen stattfinden. Nun, gerade am Morgen des Hochzeitstages war der Bräutigam todt vor der Thür seines Hauses gefunden worden, ein Schuß in die Brust hatte ihn niedergestreckt, da er um Mitternacht von der Feier des Polterabends nach Hause gekommen war.
Die Polizei war gleich zur Stelle gewesen und hatte nicht lange zu suchen, um auf die Spur des Thäters zu kommen. In der Blutlache neben dem Todten lag ein unscheinbares Taschenbuch, in dem allerlei Notizen über eine Reise nach dem Süden eingetragen waren, die bis Venedig führten. Die Schrift wurde rasch erkannt. Es war die meines jungen Freundes.
Als die Gendarmen ihn in seiner Wohnung aufsuchten, fanden sie ihn noch im Bett; er stand aber ohne sonderliche Überraschung auf und erklärte, er wisse schon, was man von ihm wolle. Vor den Polizeidirector geführt, gestand er ganz ruhig seine That, auf die Fragen aber, was ihn dazu bewogen, gab er wunderliche Antworten, wie wenn er die Sache als eine Posse betrachtete, oder den Beamten, der ihn verhörte, zum Besten halten wollte. Dieser Mensch habe in der Kunst einer falschen Richtung angehangen, wodurch er Jüngeren gefährlich werden konnte; das habe er, Herbert, nicht ruhig mit ansehen können. Auch seien ihm die zu starken violetten Schatten, die er liebte, greulich gewesen. Ein solcher Kunstverderber habe sich selbst das Urtheil gesprochen und unter der Sonne nicht länger herumgehen können. Als er gefragt wurde, ob etwa Eifersucht auf das Mädchen der Grund seines Hasses gewesen sei, habe er erklärt, man beleidige ihn, wenn man ihn fähig halte, an irgend ein weibliches Wesen zu denken, da er eben vor acht Tagen das reinste und holdeste Geschöpf, das die Erde getragen, begraben habe. Zwischen diesen ernsten Reden habe er zuweilen kurz aufgelacht, mit einer listigen Geberde wie ein Irrsinniger, der ein Geheimniß zu verbergen hat und die neugierigen Menschen im Stillen verhöhnt, daß sie nicht dahinterkommen können.
Es ließ mir keine Ruhe, ich mußte klar werden über das entsetzliche Unglück.
Vom Polizeidirector erfuhr ich nichts Anderes, als daß der Ärmste, ehe er vor die Geschwornen käme, auf seinen Geisteszustand untersucht werden würde. Da ich meine Bitte, zu ihm gelassen zu werden, mit der Erklärung, sein nächster Freund zu sein, unterstützte, hatte der Beamte auch nichts dagegen, ja er versprach sich sogar von einem vertrauten Gespräch mit dem in Haft Genommenen irgend welche Aufschlüsse über die räthselhaften Motive der That.
Der Gendarm, der mich zu ihm führte, blieb im Corridor vor seinem Zimmer zurück. Mit klopfendem Herzen trat ich über die Schwelle. Ich fand ihn mitten in dem kahlen Raum an einem Tische sitzend und in einem großen Skizzenbuch mit Kohle zeichnend. Als er mich erblickte, sprang er auf und ging mir entgegen. Sein Gesicht verklärte sich.
Du bist's, Bruder? sagte er. Das ist schön, daß du mich besuchst – ich habe sonst ja Niemand. Aber wie ist es denn? Warst du nicht weit weg in Afrika drunten?
Ich konnte erst kein Wort herausbringen. Das Herz schlug mir bis in den Hals hinauf, als ich den geliebten Menschen hier wiedersah, so heiter und ohne eine Spur von all dem Entsetzlichen, was hinter ihm lag, so daß auch ich daran glauben mußte, sein Gehirn sei völlig verstört und habe jedes Urtheil über das, was er gethan, verloren.
Ich habe mich kaum getraut, sagt' ich endlich, dir wieder vor Augen zu kommen, da ich dir doch mein Wort nicht gehalten habe. Wäre ich hier geblieben, hätte sich das Alles vielleicht nicht zugetragen.
Er schüttelte plötzlich düster den Kopf.
Glaube das nicht! Du hättest Nichts verhindern können, und Alles wäre gekommen, wie es kam. Sie war eben ein Engel, da findet sich immer ein Teufel, der Alles dransetzt, ihn aus der Welt zu schaffen. Willst du sie noch einmal sehen? Ich bin eben dabei, sie zu zeichnen, als Assunta.
Er führte mich zu dem Tisch und hielt mir das Blatt hin. Es ist erst eine flüchtige Skizze; wenn ich sie fertig gemacht habe, rühre ich keinen Stift oder Pinsel mehr an. Ist sie nicht schön und schon ganz ähnlich? Nur Eins habe ich ihr nicht verzeihen können: daß sie ihre Himmelfahrt allein machte und mich nicht mitnahm.
Ich starrte unverwandt auf das Bild, das die lieblichen jungen Züge in höchster Lebendigkeit trug, ganz den schwärmerischen Ausdruck, mit dem sie nach oben blickte, die zarten Arme ausgebreitet, nur das Gewand in leichteren Falten um den schlanken Leib gelegt. Nicht lange aber, so erlosch mein Blick unter den hervorbrechenden Thränen, und ich wandte mich laut schluchzend ab.
Da fühlte ich die Hand des Freundes sanft auf meine Schulter gelegt.
Beruhige dich, Lieber! Es ist ja nun Alles vorbei. Ich selbst bin ja ruhig, da Nichts mehr zu thun bleibt. Siehst du, die dummen Leute haben sich durch meine verrückten Reden täuschen lassen und glauben, ich hätte die That im Wahnsinn gethan. Ich war so kaltblütig dabei, wie ein Mensch, der eine lästige Fliege zerquetscht, die ihm beständig um die Ohren summt. Hätt' ich's nicht gethan, so wäre es für alle Zeit um meinen Schlaf geschehn gewesen. Du sollst es wissen, du allein. Von Einem Menschen muß ich hören, daß ich kein Mörder bin, sondern ein Richter, der es auf sein eigenes Gewissen nimmt, eine ruchlose That zu bestrafen, für die es im Bürgerlichen Gesetzbuch keinen Paragraphen giebt. Sie hat mir Alles gestanden: daß dieser elende Wicht einmal die Thür des Ateliers offen fand, die sie sonst immer verschlossen hielt. Wie er sich dann einschlich, sich entschuldigte, aber blieb, mit großem Lobe von meinen Sachen sprach, an ihrer Arbeit herumkritisierte, so daß sie dachte, weil er nicht schmeichelte, er meine es redlich, und dann bat, ihr ein wenig Anleitung geben zu dürfen, damit ich, wenn ich heimkehrte, Freude über ihre Fortschritte hätte – und sie, das unschuldige Herz – so dankbar – und dann nach und nach wie der Vogel vor dem Rachen der gleißenden Schlange – ich aber hatte versäumt, sie unter junge Leute zu führen, daß sie einen Blick für die Braven und die Schurken bekommen hätte – o, und dann – dann –
Er sank auf das Bett und bedeckte das Gesicht mit den Händen, während ein lautloser Krampf seine Brust erschütterte. Dann sprang er plötzlich wieder auf.
Wirst du's nun begreifen, Bruder? Daß ich, als sie mir Alles gestanden hatte – ihr ahnungsloses seliges Hinleben, nachdem er ihr versprochen, sie zu seiner Frau zu machen – dann die furchtbare Erkenntniß von seiner Niedertracht, als es ruchbar wurde, daß er um eine Andere warb, bloß weil sie reicher war – daß ich den Schurken nicht vor die Klinge forderte, wodurch die Entehrung des armen Kindes an den Tag gekommen wäre? Und doch – auch kein Gericht hätte ihr Genugthuung geben können. Wo giebt es eine Sühne für den Frevel an einem gläubigen Herzen! Aber Rache giebt es, und die zu vollziehen, war meine Pflicht.
Ich kann mir sehr wohl denken, daß ein Mensch in hochgesteigerter selbstloser Sittlichkeit so weit kommt, nach dem christlichen Gebot selbst seine Feinde zu lieben, daß alle Niedertracht und Tücke elender Menschen ihn völlig kalt läßt und er für alles Böse, was ihm angethan wird, nur Verachtung hat. Aber wenn man sich an Denen vergreift, die ihm theuer sind und keine Waffen haben, sich zu wehren?
Ich sollte es ruhig dulden, daß der Mörder meiner Schwester in Glück und Ehren herumging, die Früchte seines Verbrechens genoß, und ich trug die nie vernarbende Wunde ergeben wie ein Schicksal in der Brust, zugleich mich verwaist fühlend und als ein Feigling vor mir selbst, daß ich nicht mit eigener Hand mir Sühne geschafft?
Vielleicht wirst du es nicht verstehen, daß ich die Nacht, nachdem ich es gethan, schlafen konnte, wie etwa ein Diener der Vehme in alten Zeiten, der ein Todesurtheil heimlich vollzogen hat in höherem Auftrag. Ja, ich glaube, ich hätte die Kraft besessen, wenn das verlorene Büchlein, das ich mit dem Revolver aus der Brusttasche gezogen, mich nicht verrieth, weiterzuleben, als wäre Nichts geschehen, hätte meine Bilder gemalt, und freilich auf andere Lebensfreuden verzichtet, da ich zu frohen Menschen zu treten nie das Herz gehabt hätte. Du siehst aber hieraus, daß ich mein Gewissen rein fühle. Ich war nur ein Vollstrecker der himmlischen Gerechtigkeit gewesen, da die irdische mich im Stich gelassen. Aber freilich, ein Scharfrichter verlernt das Lachen. Auch dein Haus hätt' ich gemieden. Nun ist es ohnehin anders gekommen.
Habe nochmals Dank, daß du zu mir gekommen bist. Es war mir eine Wohlthat, mein Herz vor einem einzigen Menschen auszuschütten, der das traurige Geheimniß ewig bewahren wird. Und nun lebe wohl! Wir werden uns nie wiedersehen. Grüß mir auch deine liebe Frau. Der allein, nach einiger Zeit, magst du anvertrauen, was ich dir gesagt. Sie hat das Zerlinchen so sehr geliebt, daß ihr nie etwas über die Lippen gehen wird, was einen Makel auf die arme Todte werfen könnte.
Wir hielten uns lange umarmt, ich in Thränen aufgelöst, während seine düsteren Augen trocken blieben.
Als ich am andern Morgen noch einmal versuchen wollte, ihn zu sprechen, wurde ich nicht vorgelassen. Der Gerichtsarzt war bei ihm. In der Nacht zuvor hatte er ein Ende gemacht, indem er sich an seinem zerschnittenen Taschentuch erhängte.
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