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Clelia

(1907)

 

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In einem besonderen Zimmer des Café Doney, des vornehmsten Restaurants von Florenz, hatte ein befreundeter Kreis älterer Offiziere ein kleines Festmahl veranstaltet zu Ehren eines sehr beliebten Kameraden, der sich in Afrika ein hartnäckiges Fieber zugezogen hatte und von der Truppe zurückgeschickt worden war, um in heimathlicher Luft und Pflege zu genesen.

Dies war endlich geschehen, und Oberst Carlo D*** sollte in wenigen Tagen auf seinen Posten zurückkehren. Er stammte aus einem angesehenen, doch etwas herabgekommenen Florentiner Hause, in welchem soldatische Bravour und Tüchtigkeit Familientradition waren, hatte schon früh sich hervorgethan und es zum Colonnello gebracht, auch jetzt noch ein schöner, stattlicher Mann von fünfundfünfzig Jahren, das dichte Haar über der broncefarbenen Stirn schon silberweiß, die starken Brauen aber und der weiche Knebelbart kohlschwarz. Die grauen tiefliegenden Augen waren gewöhnlich etwas verschleiert, wie wenn der Geist in ihnen gleichgültig hinträume. Sobald das Gespräch ihn anregte, wachte der Blick gleichsam auf, und aus der stillen Glut dieser kühnen Seele konnte eine kühne Flamme emporschlagen.

Es war spät geworden und ging auf Mitternacht. Man hatte während des Essens, bei welchem feuriger Chianti und Sekt nicht gespart worden waren, fast ausschließlich von dem afrikanischen Feldzug gesprochen, die Regierung kritisiert, die allen nicht mit dem nöthigen Nachdruck das Abenteuer zu betreiben schien, und nach einzelnen Bekannten gefragt, deren Namen in den aufregenden Bulletins genannt worden waren. Als der letzte Toast ausgebracht war und der Sekt dem Kaffee Platz gemacht hatte, fing man an, von persönlichen Angelegenheiten zu reden und auf allerlei Dinge zu kommen, die sich während der Abwesenheit des Gastes in der florentinischen Gesellschaft zugetragen hatten: Heirathen, Liebschaften, Beförderungen und Duellgeschichten.

Der Oberst hatte das alles ziemlich gleichgültig mit angehört, während der weiße Dampf seiner Virginia aus dem halbgeöffneten Munde durch den schwarzen Schnurrbart quoll. Er war überhaupt nicht sehr redselig und mochte auch Schmerzen an einer alten Wunde leiden. Als aber die Rede auf die Entführung einer berühmt schönen Frau aus der eleganten Welt durch einen Opernsänger kam, sagte er mit einem feinen Lächeln zu seinem Nachbar, einem seiner Vertrautesten noch von der Kriegsakademie her: Und mit der hast du mich verkuppeln wollen, Sandro! Da würde jetzt diese Geschichte auf meine Rechnung erzählt.

Oho! erwiderte der Angeredete, dir wäre das nicht passiert. Du hättest das zügellose Weib gebändigt, wie du deine wilden Pferde zuzureiten pflegst, daß sie zahm und zitternd parieren und glücklich sind, wenn du ihnen die Nase streichelst. War sie doch wahnsinnig in dich verliebt und nahm dann ihren Bankier nur aus dépit. Schau, Carlo, es wäre doch eine ganz gute Sache, wenn du dich jetzt von ihren weißen Händen hättest pflegen lassen können, statt in einem kahlen Hôtelzimmer von einer bezahlten Krankenwärterin. Und wenn sie's nicht war, konnt' es nicht eine Andre sein, mit geringerer Schwäche für erste Tenore? Hattest du nicht die Auswahl unter dem Flor der aristokratischen Jugend, obwohl du eben erst Kapitän geworden warst und deiner Braut nicht viel mehr als deine Gage zu bieten hattest?

Cospetto! rief ein Oberstleutnant, der nicht der Jüngste am Tisch, aber für seine unverwüstliche Neigung zu tollen Liebesaffären bekannt war – Sandro als Eheprediger, das ist neu! »Thu nach meinen Worten, nicht nach meinen Werken« – ist wohl auch deine Devise, carissimo?

Der Verspottete runzelte die Stirn und warf ihm einen wüthenden Blick zu. Es entstand eine peinliche Stille. Einer seiner Nachbarn neigte sich zu dem Ohr des Spötters und raunte ihm etwas zu. Es handelte sich um eine nie ganz aufgeklärte Geschichte, in der Sandro eine Rolle gespielt, die ihm die Heirath mit einer vornehmen jungen Dame unmöglich gemacht und zu einem blutig verlaufenen Duell geführt hatte. Das hatte der Unheilstifter nicht gewußt oder vergessen.

Der Colonnel, dem die Sache in der Seele seines Freundes schmerzlich war, fühlte sich verpflichtet, die Verstimmung zu lösen.

Sandro hat Recht, sagte er rasch. In jungen Jahren denkt man leichtsinnig über das, was gute Bürger ein häusliches Glück nennen. Und auch in unserm Alter freilich, wenn man vor dem Feinde steht, ist man froh, zu Hause nicht Weib und Kind zu wissen, die sich die Augen ausweinen, wenn dem Babbo was Menschliches passiert. Und doch – man ist nicht nur Soldat, und zumal wenn man als ein halber Krüppel aus seinem Lebensberuf hinausgeschoben wird, da beneidet man die friedlichen Hausväter, denen, wenn sie an Influenza leiden, die treue Lebensgefährtin ihren wollenen Shawl um die Brust wickelt und ein Fiebertränkchen eingiebt. Jawohl, Sandro hat Recht. Vielleicht hat sein Freundesherz ihm geweissagt, daß es eines Tags mit mir dahin kommen würde, und er hätte gern für eine legitime barmherzige Schwester gesorgt. Glaubt auch nur nicht, daß ich ein prinzipieller Ehehasser gewesen wäre. Im Gegentheil, ich kann sagen, daß ich mein ganzes Leben hindurch auf dem Quivive gestanden bin, ob die Rechte, die für mich eigens geschaffen wäre, nicht kommen wolle. Leider aber hat sich's wieder einmal bewährt: le mieux est l'ennemi du bien. Ich habe so hohe Ansprüche an meine Frau gemacht und hatte zum Unglück so guten Grund dazu, daß immer noch etwas fehlte, um mein Ideal von Vollkommenheit zum zweiten Male zu erreichen.

Einen solchen Idealisten, Carlo, hätte ich nicht in dir gesucht, sagte einer der Tischgenossen. Du warst doch sonst kein Kostverächter, wenn man der Chronik von Florenz glauben darf.

O, sagte der Colonnel, das ist kein Beweis. Man giebt es nicht auf, zu spielen, wenn man auch nicht Ernst machen will oder kann. Daß ich's aber dazu nicht bringen konnte … Um mich ganz zu verstehen, müßt' ich euch eben meine Geschichte erzählen. Ich seh' auch nicht ein, warum ich es nicht thun sollte. Dreißig Jahre ist's her, seit ich's erlebt habe. Von den Hauptpersonen, außer mir, lebt keiner mehr. Und der Mühe des Erzählens ist's immerhin werth.

*

Ihr müßt aber im Sinn behalten, daß ich damals vierundzwanzig Jahre alt war und in vieler Hinsicht ein so thörichter guter Junge, wie man in diesem Alter zu sein pflegt, wenn man von einer zärtlichen Mutter und einem strengen Vater erzogen worden ist. Dieser Papa brachte es denn auch durch seine Verbindungen dahin, daß ich von Florenz nach Viterbo versetzt wurde, das damals eben erst aufgehört hatte, päpstlich zu sein, und eine kleine Besatzung bekommen hatte. Seit drei Jahren war ich Leutnant, und da ich keine Gelegenheit gehabt hatte, etwas für die Unsterblichkeit zu thun, hatte ich mich sterblich in eine kleine Modistin verliebt und beschlossen, da sie leider tugendhaft war, sie zu heirathen. Trotz dieser Tugend war sie für meine Eltern als Schwiegertochter nicht erwünscht, und so brachte auch meine Mutter das Opfer, den lieben Sohn in die Verbannung zu schicken.

Das war's in der That für einen in meiner Lage. Alles, was den Kameraden dort das Leben erträglich machte, hatte keinen Reiz für mich. Halbe Tage im Café damit zu verbringen, Briscola oder Tresette zu spielen, nach dem See von Bolsena zu reiten, um in Montefiascone den berühmten Wein an der Quelle zu trinken, oder bei dem abendlichen Corso, wenn die Musik spielte, über die Schönen der Stadt Revue abzuhalten, das alles konnte mich für das, was ich in Florenz verlassen hatte, nicht entschädigen. Ich kam mir wie lebendig begraben vor und gerieth in meiner Verzweiflung so weit, daß ich den Petrarca las und wahrhaftig versuchte, ihm seine Seufzer an Laura unter der Adresse meiner kleinen Grisette nachzugirren.

Da kam endlich in die tödtliche Windstille ein frischer Luftzug. Ein gewisser Favilla, der vor etlichen Jahren wegen einer Messergeschichte in die Macchia geflohen war und dort allerlei Unfug getrieben hatte, bis es gelang, ihn zu verjagen, war plötzlich wieder aufgetaucht. Es hieß, ein Mädchen, das seine Geliebte gewesen, habe ihn wieder zurückgelockt. Nur kam er diesmal nicht allein, sondern hatte noch fünf oder sechs Spießgesellen mitgebracht und trieb sein Unwesen jetzt als ein frecher Virtuose, nachdem er als unbeholfener Dilettant begonnen hatte.

Unter den Kameraden war nur eine Meinung darüber, daß es die Ehre der Uniform erfordere, diesem Strauchdieb das Handwerk zu legen, da die Gendarmerie von Viterbo dazu nicht im Stande war. Warum unsere Vorgesetzten die Sache langmüthiger ansahen, konnten wir nicht begreifen. Vielleicht wegen Competenzbedenken zwischen Militär und Polizei.

Letztere hatte in der That ein paar Carabinieri in die bedrohte Gegend geschickt, auf Bitten einer reichen Dame, die fünf Miglien von der Stadt entfernt ein großes Landgut besaß, das sie nach dem Tode ihres Gemahls, eines Marchese Orlandi, selbst bewirthschaftete. Das Erscheinen dieser beiden Dreispitze schien Eindruck auf die Bande zu machen. Wenigstens hörte man ein paar Tage lang nichts von neuen Einbrüchen in einsame Gehöfte oder Beraubungen einzelner Wanderer. Doch eines Mittags, da ich zufällig eben bei meinem Kapitän war, wurde ein Bote von jenem Landgut hereingeführt, der in höchster Aufregung berichtete, der fünfzehnjährige Sohn seiner Herrin, der Donna Isabella, sei gestern Abend, als er von der Stadt, wo er sich etwas verspätet hatte, allein nach Hause ritt, überfallen und samt seinem Maulthier in die Macchia fortgeschleppt worden. Die Familie habe, da sie das Verschwinden des Herrleins sich nicht zu erklären wußte, die Nacht in furchtbaren Ängsten verbracht, am Morgen aber sei eine Botschaft gekommen, man solle zehntausend Lire an einem bestimmten Ort hinterlegen, sonst werde der Signorino am dritten Tage durch einen Pistolenschuß ins Jenseits hinübergeschafft werden.

Die beiden dem Hause als Wächter bestellten Carabinieri seien zu schwach, den Schurken ihren Raub abzujagen. Die Marchesa lasse den Herrn Kapitän um aller Heiligen willen beschwören, Hülfe zu schicken.

Der Bote, kein Geringerer als der Fattore der Herrin selbst, machte eine so herzbewegende Schilderung von dem Jammer der edlen Frau, deren ganze Freude und Hoffnung dieser Sohn und Stammhalter sei, daß mein Kapitän aus seiner Indolenz aufgerüttelt wurde und, nachdem er höheren Befehl eingeholt hatte, mir zu meiner größten Freude die Ordre erteilte, dreißig meiner Leute mit mir zu nehmen und unverzüglich zur Verfolgung des Gesindels aufzubrechen.

Es vergingen aber doch noch ein paar Stunden, ehe wir den Marsch antreten konnten. Als wir bei dem Landhaus ankamen, neigte sich schon der Tag, und ich sah ein, daß wir hier übernachten mußten. Es waren erst allerlei Recognoscierungen vorzunehmen, Erkundigungen einzuziehen und die Karte der Provinz zu studieren, die sich zum Glück im Hauptquartier vorgefunden hatte.

Schon vor der Hausthür des stattlichen Gebäudes, das mitten in einem großen Hofe lag, sah ich ein paar Frauengestalten und eine Schaar von Dienstleuten, die voll Angst und Ungeduld unserm Kommen entgegengesehen hatten. Sobald wir herangekommen waren, eilte die ältere der beiden Damen auf mich zu, ergriff meine beiden Hände und dankte mir mit überfließenden Augen, daß ich als Retter in der Noth erschienen sei. Es war eine stattliche Dame, in der Mitte der Vierziger, wie der Verwalter mir auf dem Marsch erzählt hatte, doch jetzt mit ihrem kummervollen überwachten Gesicht und den unfrisierten, stark angegrauten Haaren erschien sie fast großmütterlich im Vergleich zu dem Töchterchen von neun Jahren, das sich scheu an der Seite der Mutter hielt. Ein wenig hinter diesen beiden stand eine dritte Frauengestalt, wie eine Statue, stumm und steinern, doch denselben Gram in den Augen und um den festgeschlossenen Mund wie auf dem Gesicht der Marchesa, nur daß kein Ton desselben Gefühls über ihre Lippen kam. Meine Schwester Clelia! sagte Donna Isabella. Sie hat unsern armen Verlorenen wie einen eignen Sohn geliebt. Aber Ihr werdet ihn uns wiederbringen, nicht wahr, theurer Herr? O! mit ihm würde auch das Leben von uns armen Geschöpfen verloren sein!

Ich betheuerte, daß ich das eigne Leben daransetzen würde, ihnen den Liebling zurückzugeben, und bat die Herrin des Hauses, für die Nacht meinen Leuten Herberge zu gewähren, was auf ihren Wink der Fattore übernahm. Eine halbleere Scheune wurde ihnen zum Nachtlager angewiesen, nachdem sie an langen Tischen auf dem Hof Essen und Trinken erhalten hatten.

Ich selbst wurde in das Haus geführt, in das Arbeitszimmer des verstorbenen Marchese im ersten Stock, wo ein Bett für mich aufgeschlagen war. Es war sieben Uhr geworden, den Rest des Tages verwendete ich auf Erkundigungen bei den Bewohnern des Landsitzes nach den Wegen und Stegen, die ins Innere des Buschwaldes führten, und nach allem, was man von den Sitten und Neigungen des Signor Favilla wußte. Ein günstiger Umstand war, daß der Vater des Mädchens, mit dem der Bandit eine Liebschaft unterhielt, nach der Villa gekommen war, um seinerseits Hülfe zu holen, da die Tochter bei Nacht sein Haus verlassen hatte. Er war ortskundiger als irgendein Andrer und sollte morgen bei unsrer Razzia als Führer dienen.

Gegen Acht kam die junge Tochter, mich hinunterzubitten, wo die Abendmahlzeit angerichtet war. Ich fand die beiden Frauen im Speisesaal an dem gedeckten Tisch in der Mitte stehend, einen alten Diener an einem kunstreich geschnitzten Büffet, das große Gemach mit ein paar Lampen nur schwach erleuchtet. Die Herrin des Hauses lud mich mit einer leichten Geberde ein, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst, zu ihren Seiten die Schwester und das kleine Fräulein, ich ihr gegenüber. Jetzt erst konnte ich meine Nachbarin genauer betrachten, da ihr sehr blasses Gesicht durch den rothen Lampenschein überschimmert war. Ich erstaunte über den Reiz dieses Frauenkopfes, der in seiner vollen Reife gleichwohl einen eigenthümlich jungfräulichen Eindruck machte, an Tizianische Frauenbilder erinnernd. Ich glaubte, nie schwarze Augen von solchem Edelsteinglanz gesehen zu haben, nie einen süßer schwellenden Mund, der freilich das Lächeln verlernt zu haben schien und sich beim Abschied nur öffnete, um gute Nacht zu sagen.

Es war auch sonst kaum etwas gesprochen worden, und die Speisen wurden, kaum angerührt, wieder abgetragen. Das Töchterchen naschte nur an den Früchten und trank auf einen Zug ein großes Glas Wein. Dann aber, als einmal von der Mutter der Name Emilio ausgesprochen wurde, brach sie in heftige Thränen aus und warf sich wie eine Verzweifelte schluchzend an den Hals der Tante Clelia, die sie mit Mühe beschwichtigte und hinausführte, um sie zu Bett zu bringen.

Auch ich erhob mich und verabschiedete mich von der Hausfrau, um erst noch nach meinen Leuten zu sehen und strengen Befehl zu geben, daß man um zwei Uhr nach Mitternacht marschfertig sein müsse. Es galt, vor Tagesanbruch das freie Land bis an die Macchia zu passieren, um nicht von Spähern oder Spießgesellen des Favilla entdeckt zu werden. Wir mußten alles aufbieten, den Fuchs im Bau zu überraschen, eh er Unrath witterte und sich tiefer in die Berge hinaufflüchtete.

Es war der dritte Juli, die Nacht still und schwül; ich rühmte mich sonst, zu jeder Zeit, wenn ich mich niederlegte, schlafen zu können, aber die Spannung vor meinem ersten kriegerischen Abenteuer hielt mich noch lange wach, wozu auch das Feuer, das gewisse Augen in mir angezündet hatten, das Seine that. Nur ein paar Stunden lag ich in tiefem, traumlosem Schlaf, sprang aber auf, als ich meinen Burschen die Treppe herauskommen hörte, um mich zu wecken, und sah durch das Fenster, das nach dem Hofe ging, meine Leute bereits unten zum Ausrücken fertig beisammenstehen, mit ihnen die beiden Carabinieri und den Bauern, dem die Tochter davongelaufen war. Es konnte also losgehen.

Im Hause rührte sich nichts; ich trat auf den Flur hinaus und wollte die Treppe hinunterschleichen, als ich mich am Arm berührt fühlte. Nur undeutlich konnte ich in dem Zwielicht, das von außen hereindrang, eine weibliche Gestalt erkennen, doch eine Stimme hörte ich, deren Ton mir unvergeßlich war, so wenig Worte ich von ihr vernommen hatte.

Sie sind es, Fräulein Clelia? flüsterte ich. Was führt Sie noch zu mir? Bleiben Sie ruhig in Ihrem Bett, ich verspreche Ihnen –

Ich bringe Ihnen ein Kleinod, das mir von meiner Mutter gegeben wurde, antwortete sie ebenso leise. Es ist ein Medaillon, in dem eine Reliquie sich befindet, die Sie schützen soll bei Ihrem gefährlichen Gang. O, Herr Leutnant, wenn Sie ihn retten, wenn es nicht zu spät ist, unsern Emilio aus den Klauen des Ungeheuers zu befreien – auf den Knien wie einem Heiligen will ich Ihnen danken!

Seien Sie überzeugt, Madamigella, sagte ich, daß Sie mich ohne Ihren Liebling nicht wiedersehen werden.

Ich nahm hastig das Medaillon, das an einem feinen goldnen Kettchen hing, küßte die Hand, die es mir gereicht hatte – sie zitterte und war kalt wie Eis –, und glitt an der dunklen Gestalt vorbei die Treppe hinunter.

*

Mit dem ausführlichen Bericht über diese Expedition werde ich euch verschonen, zumal da ich mich als ein Neuling im Krieg mit Strauchdieben ziemlich ungeschickt benahm, es mir auch an aller Lokalkenntniß gebrach und ich auf unklare und widersprechende Angaben angewiesen war. So verlor ich mit Herumtappen auf unsicheren Fährten übermäßig viel Zeit, und es war fast Mittag geworden, als es endlich gelang, das Wild in einem Kesseltreiben zu stellen und zu Schuß zu bringen.

Das übrige war nun keine schwere und halsbrechende Arbeit mehr.

Fünf arme Teufel, halb verhungert und schlecht bewaffnet, die uns freilich anfangs übel mitspielten, da sie hinter Bäumen und Felsstücken Deckung hatten und wüthend mit dem Muth der Verzweiflung ihre Pistolen und Karabiner auf uns abfeuerten. Vier von meinen Leuten wurden auch verwundet, zum Glück nicht schwer. Aber unsre Übermacht war zu groß, die Kerle wurden von allen Seiten umgangen und überwältigt; nur einer entkam, der über einen tiefen Graben sprang, so daß er einen Vorsprung hatte, ehe man ihm nachsetzte.

Ich hatte mein Pulver gespart und mich vor allem bemüht, den Rädelsführer auszuspüren, der unter den Fünfen nach der Beschreibung nicht sein konnte. Schon dachte ich, der Schurke habe sich ferngehalten und sein Volk im Stich gelassen, um sich für bessere Zeiten zu sparen, als plötzlich aus einer dicht verwachsenen Ecke ein Schuß erklang und eine Kugel hart an meinem Nacken vorbeisauste. Im nächsten Augenblick fühlte ich mich von hinten umschlungen und zu Boden gerissen, so daß ich von meinem Revolver keinen Gebrauch machen konnte, sondern nur wüthend gegen den geschmeidigen Leib der wilden Katze, die mich angefallen, ankämpfte.

Endlich gelang es mir, durch eine geschickte Wendung mich der Umstrickung zu entwinden, wobei mir aber die Waffe entfiel, und ein paar Minuten lang währte das wilde Ringen mit dem Feinde, der sein Messer gezückt hielt und nach meiner Kehle zielte. Aber nur in den linken Oberarm fuhr die Klinge, ich hatte noch eben Zeit, den rechten Arm freizumachen und den Dolch zu fassen, den ich ihm gleich darauf von oben herab in die Schulter stieß, bis zur Lunge hinunter. Ein dunkler Blutstrom brach hervor, die Arme, die mich bis zum Ersticken umschnürt hatten, fielen auf einmal von mir ab, der Bursch sank auf den steinigen Boden zurück und verdrehte die Augen, während aus dem stöhnenden Munde weißer Schaum drang. Ich hatte mich rasch erhoben und betrachtete den Feind, der nun ein stiller Mann war, mit einem gemischten Gefühl, Genugthuung und Bedauern. Es war ein schöner Mensch, nicht viel älter als ich, noch in seiner Verwilderung mit einem Anstrich von kühnem Stolz, der einer Prinzessin so gut wie einem Landmädchen gefährlich werden konnte.

Wo aber war diese seine Geliebte? Ja, wo befand sich der junge Herr, zu dessen Rettung wir ausgezogen waren, und ohne den nicht wieder vor ihr Antlitz zu treten ich der schönen Zia Clelia gelobt hatte?

Von der gefesselt und am Boden liegenden Bande war keine Auskunft darüber zu erlangen. Nachdem sämtliche Wunden von einem der Carabinieri, der sich darauf verstand, schlecht und recht verbunden worden waren, mußten wir uns aufmachen, das Versteck zu suchen, in dem der Räuber seine lebendige Beute verborgen hatte.

Bei den Gefangenen blieben die nöthigen Wachen zurück, ich selbst mit dem Vater des Mädchens schlug einen Pfad ein, auf dem die Fährte eines Vierfüßlers zu erkennen war. Und richtig dankten wir es diesem, will sagen dem Maulthier, das den Signorino getragen hatte, daß wir an dem Ort, wo unsre Vermißten untergebracht waren, nicht blind vorüberrannten.

Aus einem Dickicht von Tannen und Unterholz, das unverdächtig schien, so wild verwachsen war's, hörten wir eine kräftige Stimme in der bekannten mißtönenden Melodie zwischen Eselsgeschrei und Pferdegewieher, und als wir uns Bahn gebrochen durch das Gestrüpp, welches noch eigens künstlich durcheinandergeflochten war, sahen wir das junge Paar, Emilio und das Mädchen, am Boden liegen, an Baumstämmen festgebunden, während das Maulthier vergebens zwischen dem Gestein nach genießbaren Halmen schnupperte.

Seine Anwesenheit war höchst erwünscht. Denn als wir den Juvenil losgebunden hatten, zeigte sich's, daß er von den überwundenen Ängsten und Strapazen zu sehr geschwächt war, um auf seinen Füßen stehen oder gar den weiten Weg nach der Villa zurücklegen zu können. Auch im Sattel hielt er sich nur mit Mühe, und einer mußte nebenher gehen und Acht auf ihn haben.

Das Mädchen war von stärkeren Nerven. Als es seinen Liebsten todt im Blute liegend fand, that es einen Schrei, daß man meinte, ihr zerspringe das Herz im Leibe. Dann aber legte sie mit Hand an, ihn auf die Bahre von schlanken Stämmen zu betten, auf der meine Leute ihn forttragen sollten. Die andern Gesellen, so sauer es manchem wurde, traten den Rückweg zu Fuß an, je einer zwischen zwei Soldaten, die ihn mit Kolbenstößen aufrüttelten, wenn er zusammenbrechen wollte.

*

Es war fünf Uhr Nachmittags geworden, als unsre seltsame Colonne bei der Villa Orlandi wieder anlangte.

Das Gerücht von unserm Siege war uns vorangeflogen. Schon eine weite Strecke vor dem Hause kamen uns die beiden Schwestern mit der kleinen Angelina entgegen, weiße Tücher schwingend, und als sie uns erreicht hatten und Emilio vom Pferde herabgehoben worden war, gab's eine Scene stillen und lauten Jubels, ein Umarmen und Küssen, ein Händedrücken und Lachen und Weinen durcheinander, die sich nicht schildern läßt. Mich selbst schloß die Mutter des Geretteten mit überströmender Zärtlichkeit in die Arme und wußte nicht genug zu sagen, wie sie in alle Zukunft mich als einen zweiten Sohn betrachten und lieben werde. Zia Clelia war stumm an mich herangetreten und hatte mir, holdselig durch Thränen lächelnd, beide Hände entgegengestreckt, die ich mit Küssen bedeckte. Ich bemühte mich, so gut ich konnte, dem Übermaß des Dankens und Rühmens Einhalt zu thun, indem ich sagte, wie wenig Ehre bei diesem Sieg einer so starken Überzahl zu holen gewesen sei. Die Wunde an meinem Arm, obwohl nur eine unbedeutende Fleischwunde, und mein Ringen auf Tod und Leben mit dem Anführer der Bande, wovon meine Leute nicht geschwiegen hatten, genügten aber, mir eine Glorie um die Heldenstirn zu legen. So wurde ich im Triumph von den Geschwistern an den Händen ins Haus geführt, während der Chirurg, den die Marchesa vorsichtigerweise aus der Stadt hatte kommen lassen, sämtliche Verwundete, Banditen wie Soldaten, untersuchte und verband.

Es war noch früh genug am Tage, um in die Stadt zurückzukehren. Als ich aber davon sprach, daß ich ein paar Bauernwagen requirieren wolle, die Gefangenen darauf zu transportieren, erklärte mir Donna Isabella, ich würde ihr einen wahrhaften Schmerz bereiten, wenn ich die Nacht nicht unter ihrem Dache verweilen wollte. Die Kinder drängten sich an mich und riefen, sie würden mich um keinen Preis fortlassen, und als nun auch Zia Clelia mit einem Blick ihrer unwiderstehlichen Augen einfach sagte: Ihr werdet bleiben, ich weiß es! – gab ich jeden Widerstand auf, zumal ich sah, daß auch meinen Leuten ein Gefallen damit geschah, eine so reichliche und freundliche Gastfreundschaft noch eine Nacht zu genießen.

Für meine Person, da man sich in Anerbietungen, mich zu erquicken, erschöpfte, bat ich um nichts andres, als daß man mir ein laues Bad rüsten möchte. Es war mir Bedürfniß, Staub und Schweiß und die eklen Spuren meines Ringkampfs mit dem verwilderten Burschen abzuspülen. Nachdem dies geschehen war, zog ich mich in mein Zimmer zurück und schrieb den Rapport über die Expedition an meinen Kapitän, mit dem ich einen meiner Truppe in die Stadt schickte, meine Rückkehr auf den nächsten Morgen ankündigend.

Das abgethan, warf ich mich aufs Bett, um ein halb Stündchen zu ruhen, ehe ich wieder zu der Familie hinunterging. Ich fühlte eine seltsame Müdigkeit und Niedergeschlagenheit, nicht bloß in den Gliedern, sondern etwas wie eine moralische Depression, die sehr natürliche Gründe hatte. Nach der Aufregung des Kampfes und der Gefahr mußte ein Rückschlag eintreten, vor allem, da es das erste Mal war, daß ich Blut vergossen und einem Menschen ans Leben gegangen war. Es ist auch was andres, eine Kugel auf einen entfernten Feind abzuschießen, als Brust an Brust mit ihm zu ringen und den Stahl ihm mit eigner Hand ins weiche Fleisch zu stoßen. So empfand ich, obwohl es in berechtigtem Angriff und dringender Nothwehr geschehen war, kaum so etwas wie Siegesfreude, sondern einen Ekel und Abscheu vor der eignen That.

Der Chirurg hatte, als er die Sonde in die tiefe Wunde einführte, plötzlich eine Regung von Leben gespürt und erklärt, es sei nicht ausgeschlossen, daß die stählerne Natur des Burschen die Todesgefahr überwände. Das war ihm freilich kaum zu wünschen; wenn er genesen sollte, hatte er nur den Bagno zu erwarten. Und doch erleichterte es ein wenig meine düstere Gemüthsstimmung. Ehe ich mich's versah, war ich fest eingeschlafen.

Der Abend war hereingebrochen, als ich die Augen wieder aufschlug. Eine Berührung meiner Hand weckte mich, ich sah das schlanke Gestältchen der kleinen Angelina an meinem Bette knieen, ihr weiches Mündchen auf meine Hand gedrückt. Als ich mich bewegte, schnellte sie in die Höhe und flog nach der Thür. Ich rief sie an und bat sie, zu bleiben. Sie schüttelte den lockigen Kopf und sagte: Sie sind alle unten, sie warten auf Euch. – Das brachte mich zur Besinnung.

Ich sah, daß ich zwei Stunden verschlafen hatte, aber es hatte mich unglaublich erfrischt. Auch die seelische Verstimmung war von mir gewichen.

Doch als ich hinunterkam, fiel wieder ein Druck auf meine Brust. Statt die Familie allein zu finden, trat ich in eine zahlreiche Gesellschaft, die auf mich wie auf einen berühmten Helden gewartet hatte, um mich anzugaffen und zu feiern.

Die Nachricht von unserm Zug in die Macchia hatte sich in der Umgegend wie ein Lauffeuer verbreitet, einige befreundete Familien aus den benachbarten Gehöften waren herbeigeeilt, Donna Isabella zu beglückwünschen und sich von Emilio erzählen zu lassen, was er unter den Räubern ausgestanden hatte. Diese alle hatte die Marchesa bewillkommnen und für ihre Bewirthung sorgen müssen, und ich sah es ihr an den Augen an, wie gern sie dieser Pflicht überhoben gewesen wäre.

Ein größerer Gegensatz ließ sich nicht denken, als zwischen dem gestrigen Abend, der von innen und außen in diesem Gemach so trübselig vergangen war, und dem heutigen mit seinen strahlenden Lichtern und der durcheinander schwirrenden, schwatzenden und lachenden Gesellschaft. Am liebsten wär' ich auf der Schwelle wieder zurückgetreten, aber ein Blick auf Zia Clelia, die mir auch wie eine völlig verwandelte Erscheinung entgegenkam, bewog mich, zu bleiben.

Jetzt erst erschien sie mir in dem vollen Glanz ihrer Schönheit, die ein festlicher Anzug aufs reizendste hervorhob. Sie trug ein einfaches Kleid von einem leichten granatrothen Stoff, der sich ihrer schlanken und doch vollen Gestalt anschmiegte, oben nur den Hals frei ließ, dessen bleiche Haut durch den röthlichen Schein ein wenig belebt wurde. Die Arme waren bis zu den Ellbogen frei – ich hatte nie schönere gesehen. In dem schwarzen Haar nur eine einzelne rothe Rose, in den kleinen Ohren einfache goldene Ringe. Aber dies Gesicht – dies Lächeln an dem halbgeöffneten Munde, die ganze himmlische Ruhe und Sanftmuth des wundervollen Wesens – ich stand wie verzaubert, als sie mich anredete, und mußte alle Besinnung aufbieten, ein paar Worte hervorzustammeln.

Sie lächelte über meine Verwirrung und trat hinter der Schwester zurück, die sich meiner bemächtigte, mich den übrigen Gästen vorzustellen. Was dann geredet wurde, wie ich mich in meiner Geistesabwesenheit ausgenommen haben mag, wissen die Götter. Ich war endlich froh, daß die Kinder mich zu einem Tischchen führten, wo für sie angerichtet war, und mich nicht wieder hergaben, obwohl die Mutter ungehalten darüber war.

Mit dieser liebenswürdigen Jugend – denn auch der Signorino war ein völlig unverdorbener anmuthiger Jüngling – fand ich mich ein wenig zurecht und ließ während unsres harmlosen Geplauders nur verstohlen meine Augen zu einem der andern Tische schweifen, wo das herrliche Gesicht, das es mir angethan hatte, zwischen gleichgültigen Alltagsphysiognomien zu erblicken war.

Gegen zehn Uhr brachen die fremden Gäste auf. Die Kinder waren schon vorher zu Bett geschickt worden, da Emilio nach allem Ausgestandenen der Ruhe bedurfte. Als auch ich mich zurückziehen wollte, sagte die edle Frau: Ich habe noch eine Bitte an Euch, lieber Carlo. Ich wünschte, daß Ihr von mir ein Andenken annehmen möchtet, das Euch Euer Leben lang an eine alte Frau erinnern möchte, der Ihr den größten, unschätzbarsten Dienst erwiesen habt, den eine Mutter überhaupt Jemand zu danken vermag. Dieser Ring – und sie zog einen breiten Goldreif vom Finger, in dem ein tiefrother Rubin funkelte – dieser Ring ist das erste Geschenk, das mir mein unvergeßlicher Gatte nach unsrer Verlobung machte. Er war mir von all meinem Schmuck das Theuerste, wird es mir aber nun erst recht bleiben, wenn die Hand ihn trägt, die das Leben meines Emilio gerettet hat. Erlaubt, daß ich ihn selbst an diese Hand stecke. Sie ist zum Glück so fein gebaut, daß ein Frauenring an ihren kleinen Finger paßt. Und nun segne Euch Gott und mache Euch so glücklich, wie Ihr es um mich, um uns Alle verdient habt! – Damit umarmte und küßte sie mich.

Ich war so bewegt durch diese Worte und Alles, was an Liebe und Seelengüte darin lag, daß ich nur unbeholfen etwas zu erwidern vermochte und, ohne weiter Abschied von den beiden edlen Frauen zu nehmen, hastig hinauseilte, da ich fühlte, daß mir die Augen überzugehen drohten. Ich war doch eben noch sehr jung und ein weichgewöhnter Muttersohn. Indessen war ich doch auch Soldat genug, um meine Pflicht zu thun und nach meinen Leuten zu sehen.

Sie fühlten sich an ihrem reichversorgten Tische, auf dem schon eine ganze Batterie von Flaschen aufgepflanzt war, so wohl, daß sie am liebsten bis Mitternacht weiter geschwelgt hätten. Als ich sie mit einiger Mühe zu Bett gebracht hatte, wollte ich erst noch nach unsern Freunden aus der Macchia sehen, die in dem festverschlossenen Keller auf Stroh lagen. Der Fattore ersparte mir den fatalen Gang. Er hatte selbst vor kurzem den improvisierten Kerker inspiciert, Alle, nachdem man ihnen zu essen gegeben, in tiefem Schlaf gefunden, den Favilla aus dem Fiebertraum phantasierend. Es war mir lieb, ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. So sagte ich dem wackern Manne, der mir für die Rettung des Signorino so dankbar war, als wenn's sein eigen Kind betroffen hätte, gute Nacht und stieg nachdenklich die Treppe zu meinem Schlafzimmer hinauf.

*

Es war still im Hause, Alle schienen zur Ruhe gegangen zu sein. Ich tappte mich behutsam die dunklen steinernen Stufen hinauf, um kein Geräusch zu machen; dabei athmete ich schwer, denn die Luft war schwül und beklommen, und seltsam stand vor meinen Augen beständig das Bild der schönen Frau im rothen Kleide, wie sie mir zugenickt hatte, als ich mich vorhin von ihr verabschiedete. Ich nannte sogar halblaut ihren Namen, und eine brennende Begierde regte sich in mir, sie noch einmal zu sehen, heute, in dieser Stunde, da ich gebeten hatte, morgen früh mich mit meiner Truppe abziehen zu lassen, ohne sich den Morgenschlaf abzubrechen.

So erreichte ich mein Zimmer. Wie ich aber die Thür öffne – ich glaubte, ein Spuk meiner Sinne äffte mich und zeigte mir in einer Hallucination das Bild, außer mir, das ich in mir getragen hatte.

Eins der beiden Fenster stand offen. Auf dem Stuhl daneben saß sie, in dem Anzug, den sie während des Abends getragen hatte. Nur ein feiner grauer Schleier hing hinten auf dem Nest ihrer Haare und fiel über die Schultern herab. Die Lampe auf dem Schreibtisch, der zwischen den Fenstern stand, beleuchtete die rechte Seite der regungslosen Figur, von der andern drang der weiße Schein der sternklaren Nacht über das reizende Gesicht, das mit dem Ausdruck eines lieblichen stillen Ernstes mir zugekehrt war, aber sich nicht regte, als ich in höchstem Erstaunen nah an der Schwelle stehen blieb.

Das Herz schlug mir bis an den Hals hinauf.

Ist es möglich oder nur ein Traum? brachte ich endlich stockend hervor. Ihr kommt noch einmal zu mir – Ihr wollt mir noch ein Abschiedswort gönnen –

Ein scheues Lächeln flog über ihr Gesicht. Auch sie hatte offenbar Mühe, zu sprechen, und sagte endlich leise: Ich wollte noch einmal nach Eurer Wunde fragen, ob sie Euch nicht sehr schmerzt, dann würde ich den Doctor noch einmal bitten, nach ihr zu sehen. Ihr waret nicht heiter unten in der Gesellschaft, es lag Euch was auf dem Herzen.

Ich erwiderte, daß sie sich keine Sorge machen dürfe, ich fühlte die leichte Wunde kaum. Wenn ich etwas verdüstert gewesen sei, trage das Gefühl die Schuld, daß ich zum erstenmal Blut vergossen. Es sei thöricht. Mein soldatisches Handwerk bringe das ja mit sich.

Nein, erwiderte sie, es ist nicht thöricht, sondern edel und human, und beweist, daß Ihr über dem Soldaten nicht vergeßt, Mensch zu sein, und das ehrt Euch mehr in meinen Augen, als wenn Ihr noch größere Heldenthaten vollbracht hättet. Ich darf Euch das sagen, denn ich bin überhaupt gekommen, Euch meine Liebe zu gestehen, Euch zu bekennen, daß mir nie ein Mann begegnet ist, der so werth gewesen wäre, von der edelsten und schönsten Frau geliebt zu werden, wie Ihr.

Sie sagte diese glühenden Worte mit einer Stimme, die so klang, als spräche sie nur aus, was ihr selbst etwas längst Bekanntes, Selbstverständliches sei, das sie gar nicht mehr aufrege. Wie man eine Zeile aus dem Credo hersagt. Auch blieb ihre Gestalt regungslos, und nur die Wangen hatten sich geröthet.

Was mich bei diesem Geständniß an ungeahnten Gefühlen überströmte, läßt sich nicht schildern. Ich stand sprachlos und starrte sie hingerissen an, und mir ging's durch den Sinn: Ist es denn möglich? Hier stehst du, und diese Frau spricht so zu dir, und du findest kein Wort, ihr zu erwiedern – –

Sie schien aber an meinem Verstummen nichts Seltsames zu finden.

Lieber Freund, fuhr sie mit derselben innigen Ruhe fort, Ihr werdet Euch vielleicht wundern, daß ich Euch dies vertraue und Euch in mein Herz blicken lasse. Denn es wird für unschicklich, ja für ein Verbrechen gehalten, daß ein Mädchen dem Mann, den sie liebt, zuvorkommt und ihm ihre Liebe entgegenbringt, wie ein demüthiges Geschenk, nur freilich in der Gefahr, sich tödtlich verletzt zu fühlen, wenn er es ablehnt. Dies aber habe ich von Euch nicht zu befürchten. Ich habe an Euren Blicken und dem Beben Eurer Stimme, wenn Ihr das Wort an mich gerichtet, erkannt, daß ich Euch im Herzen wohne, wie Ihr seit der ersten Stunde mein ganzes Herz Euch zu eigen gemacht habt. Damals konnt' ich die Wonne eines solchen Erlebnisses nur dunkel in mir verspüren, da ich in tödtlicher Angst um das liebe junge Leben schwebte. Aber nach der Rettung – gestern – o!

Sie schloß die Augen und lehnte den Kopf ein wenig in den Nacken zurück.

Ich fühlte ein heißes Verlangen, meine Arme um sie zu schlingen und sie zu mir emporzuziehen. Aber ich wagte es nicht, so hoch über allen Frauen, die ich bisher geküßt, erschien sie mir. Und nun öffnete sie auch wieder die Augen und sagte: Wenn Ihr mein Leben kenntet, Ihr würdet Euch nicht wundern, daß mein Herz endlich alle Riegel sprengt und sich dahin flüchtet, wo sein Heil ist. Haben wir Mädchen nicht warmes rothes Blut und heiße Träume und zärtliche Wünsche wie ihr Männer, und sind dazu verurtheilt, all diese Schätze geheimzuhalten und zu warten, bis ein Mann kommt, der danach begehrt? Und wenn keiner kommt, müssen wir all das Liebe und Holde, das einen sterblichen Menschen beseligen könnte, begraben und verderben lassen wie eine reife Frucht, die ungenossen verdorrt oder verfault?

Seht, Carlo, so ungerecht habt ihr Männer die Rollen vertheilt, euch alles fröhliche Zugreifen und Genießen vorbehalten, uns das Loos, unthätig zu hoffen und zu harren, wie eine Gefangene auf dem Sklavenmarkt, ob einer kommen werde, sie nach seinem Geschmack zu finden und nach seinem Hause zu führen, aus einer Sklaverei in eine andre.

So hab' ich bei meinem Vater gelebt – die Mutter war mir früh gestorben –, und als meine Schwester die reiche Heirath machte, wollte der Vater mich nicht von sich lassen, obwohl Mancher mich trotz meiner Armuth genommen hätte, da ich schön war. Er aber – ein alter invalider Offizier aus dem Krimkriege – wollte mich als Pflegerin behalten, und nichts galt ihm mein eignes Glück. Ich fügte mich jahrelang in seinen harten Willen, auch fand ich keinen so liebenswerth, daß ich dem Vaterfluch um seinetwillen getrotzt hätte. Aber als der Vater endlich starb – da war meine Jugend vorbei, und niemand beeilte sich, die Fünfunddreißigjährige, die von der Gnade ihres Schwagers lebte, für die Entbehrungen ihrer schönsten Jahre zu entschädigen.

Nun seid Ihr gekommen, Carlo, und ich habe mir gesagt: Wenn dieser dich liebgewinnen könnte, willst du dich ihm schenken, um nicht aus dem Leben gehen zu müssen, ohne das Süßeste genossen zu haben, was Gott den armen Menschen zum Trost für all ihr Elend gegönnt hat: die selige Selbstvergessenheit, in der ein reines Weib und ein edler Mann einander Leib und Seele hingeben, und die nur tückischer Neid und dumpfe Verblendung für eine Sünde halten können. So bin ich zu Euch gekommen und frage Euch, liebster Freund, ob Ihr so gesinnt zu mir seid wie ich zu Euch. Und wenn unsern Bund auch kein Priester einsegnet, der Segen einer edlen Frau fehlt ihm nicht. Als ich meiner Schwester sagte, was ich zu thun vorhatte, küßte sie mich und sagte: Geh zu ihm. Er ist es werth.

Sie hatte die Augen gesenkt, hob sie jetzt aber mit einem rührend liebevollen und doch schüchternen Blick zu mir auf, daß ich mich nicht halten konnte und vor ihr niederstürzte.

Ich ergriff ihre beiden kleinen Hände, die wie hülflos nebeneinander in ihrem Schooß lagen, und ein Strom leidenschaftlicher Worte, Dank und Jubel und Betheurungen ewiger Liebe und Treue floß mir vom Munde.

Ihre Augen hingen mit inniger Zärtlichkeit an meinen Lippen, doch als ich endlich schwieg, schüttelte sie leise den Kopf und sagte: Du bist ein phantastischer Schwärmer, mein Geliebter. Auch ich werde dich ewig lieben und dir nie die Treue brechen, was du mir nicht geloben sollst, da du es nicht halten könntest. Denn ich bin vierzig Jahre alt und du vierundzwanzig. Wenn du in der Fülle deiner reifen Männlichkeit stehst, werde ich eine alte welke Frau sein, da wir in unsrer Familie rasch verblühen, wie du an meiner Schwester sehen kannst, die nur vier Jahre älter ist als ich. Das wirst du dann auch an mir sehen, und alles, was du aus ritterlicher Schonung mir dann noch gewährst, wird mich nicht darüber täuschen, daß die schöne Flamme verlodert ist und nur noch Kohlen unter der Asche glimmen. Nein, mein Liebster, was so schön wie ein unbegreifliches Wunder begonnen hat, soll nicht als ein elender Aschenrest vergehen. Nur diese Nacht gehört dir. Wenn morgen der Hahn kräht, bin ich wie ein Schatten aus deinem hellen Leben hinweggeschwunden.

Sie stand auf und zog mich mit sich in die Höhe. Da schlang ich die Arme um ihren Nacken, und mein Mund suchte den ihren. Ich fühlte, daß ein Schauer durch ihren warmen Leib ging, da ich sie küßte. Als unsre Lippen sich endlich trennten, lag ein Zug von Verklärung auf ihrem Gesicht. O, es war süß, hauchte sie, zum Sterben süß!

*

Die Stimme des Erzählers war immer bewegter und leiser geworden, nun verstummte sie ganz. An der Tafelrunde herrschte ein athemloses Schweigen. Erst als der Colonnel jetzt aufstand und ein paarmal durch das Zimmer ging, löste sich die Spannung, in der alle Zuhörer dagesessen. Die Gläser wurden neu gefüllt, die Cigarren wieder in Brand gesetzt, doch sprach auch jetzt keiner ein Wort, als ihr Freund an den Tisch zurückkehrte und seinen Sitz wieder einnahm.

Ich habe mir zuviel zugetraut, sagte er. Ich dachte, ich würde von diesem Erlebniß reden können wie von einem alten Roman, den ich als junger Mensch gelesen. Ich sehe, es ist alles in mir so neu und lebendig, als hätte sich's gestern erst zugetragen. Aber ich will zu Ende kommen. Am andern Morgen um sechs, als ich mich mit Aufbietung aller Kraft unter bittern Schmerzen aus den geliebten Armen losgerissen hatte und hinunterkam, fand ich meinen Trupp bereits marschfertig im Hof, die gefesselten Räuber auf einem Ackerwagen, unter ihnen Favilla. Der aber hatte die Nacht nicht überlebt, den Verband abgerissen und sich verbluten lassen. Wir alle gönnten ihm dies heldenmüthige Ende.

Meine Leute waren in der fröhlichsten Stimmung. Die Marchesa hatte durch den Fattore tausend Lire unter sie vertheilen lassen. Sie waren drauf und dran, ein Lied anzustimmen, was ich ihnen energisch verwehrte. Es drängte mich, den Marsch anzutreten, ehe die Bewohner des Hauses erwachten. Doch als das Hofthor schon geöffnet war, that sich die Thür des Hauses auf, die Mutter trat heraus mit den beiden Kindern, und es kam noch zu einem gerührten Umarmen und erneuten Danksagungen. Emilio lief in den Stall, zäumte sein Maulthier auf und bestand darauf, mir noch eine Strecke das Geleit zu geben.

Plötzlich rief Angelina: Wo bleibt Zia Clelia? Sie wird sich verschlafen haben, ich muß sie holen! Und wie der Wind ins Haus zurück, ohne darauf zu achten, daß die Mutter ihr nachrief, sie solle bleiben und die Tante nicht stören.

Die Marchesa blickte mich an, und ich flüsterte: Ich will fort! Grüßt die Schwester. Ich darf nicht bleiben.

Sie verstand mich und ließ es geschehen, daß ich den Zug meiner Soldaten ordnete und die Wagen fortzufahren befahl. Da erschien das Mädchen wieder mit verstörtem Gesicht: Zia Clelia liegt wie todt auf ihrem Bette! Komm und hilf ihr, Mama!

Ich erschrak heftig. In dem fassungslosen Zustand, in dem ich sie verlassen hatte – was konnte sie sich nicht angethan haben! Doch wie ich einen Schritt nach der Thür hin machte, hielt mich Donna Isabella zurück. Ihr dürft nicht! raunte sie. Bedenkt ihren Ruf! Ich aber kenne ihre Natur, bei jedem Angriff auf ihr Herz schwindet ihr die Besinnung. Ich sende Euch Nachricht.

Damit eilte sie ins Haus, die Kleine ihr nach.

Zehn Minuten angstvoller Spannung vergingen, dann öffnete sich oben ein Fenster, Angelina's schwarzer Lockenkopf kam zum Vorschein. Es war nur eine Ohnmacht! rief sie. Zia Clelia ist wieder aufgewacht, sie läßt Euch grüßen und Lebewohl sagen!

Mit welchen Gefühlen ich mich entschloß, dies Haus zu verlassen, an das mich mein Herz fesselte, könnt ihr denken. Ihr werdet auch begreifen, daß alles, was mir in Viterbo an Liebe und Ehre geschah, als ich mit meinem siegreichen Trupp meinen Einzug hielt, das Lob meiner Vorgesetzten, die Herzlichkeit, mit der mich die Kameraden empfingen, endlich die Rolle, die ich bei den Schönen der Stadt spielte – daß dies alles mir sehr gleichgültig war. Die Erinnerung an jene Nacht legte sich wie ein Schleier um meine Sinne und Gedanken, durch den ich die wirkliche Welt um mich her nur undeutlich sah und hörte. Wenn es im Leben eines jungen Offiziers ein Ereigniß ist, durch eine erste glückliche Waffenthat sich die Sporen verdient zu haben, wie verschwindet das gegen die Offenbarung einer ersten großen Leidenschaft, die im Aufglühen sogleich die Erfüllung bringt und im vollen Besitz eine unendliche Sehnsucht erregt.

Ich hatte ihr versprechen müssen, nicht zu schreiben. Sie müsse zu vergessen suchen, daß es einen Weg zwischen uns gebe, auf dem ich erreichbar sei. Ich fügte mich ihrem Willen, aber an die Schwester schrieb ich, sobald man mich allein gelassen hatte, und erbat Nachricht von ihrem Befinden und fügte tausend glühende Worte an sie hinzu. Sie war ja die Vertraute unsres kurzen Glücks.

Der Bote brachte die Antwort zurück: Clelia habe sich völlig erholt, sie werde mich nie vergessen, fordere aber von mir, daß ich sie betrachten möchte, als sei sie aus der Welt verschwunden, sonst werde sie nicht die Kraft haben, weiterzuleben.

Wie sollte ich die Kraft haben, mich in dies Gebot zu fügen!

Ich war fest entschlossen, zwar nicht wieder zu schreiben, aber an einem der nächsten Tage wieder hinauszueilen und Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um die Geliebte zu überzeugen, daß ich ohne sie nicht leben könne. Auch jetzt, wenn ich mit kühlerem Blut zurückdenke, scheint es mir nicht zweifelhaft, daß es mir gelungen wäre, daß ich sie im Sturm erobert und wenn nicht als Frau, so doch als meine einzige Geliebte viele Jahre besessen hätte.

Das Schicksal hatte es anders beschlossen.

Nicht acht Tage nach meinem Zug in die Macchia waren vergangen, da erhielt ich einen Brief von meiner Mutter mit der Nachricht, mein Vater sei schwer erkrankt und verlange mich zu sehen.

Ich erschrak, als ich an sein Bett trat, so verwandelt waren seine Züge, so erloschen sein Blick und seine Stimme. Ich hatte diesen Vater sehr geliebt, und der Gedanke, ihn so plötzlich verlieren zu sollen, war mir furchtbar. Und doch, zu meiner Schande muß ich's gestehen – so tyrannisch ist leidenschaftliche Liebe, daß sie kein noch so heiliges Gefühl neben sich duldet –, während ich an seinem Bette saß und seinen väterlichen Worten zuhörte, die mich ermahnten, ein braver Mensch zu bleiben und seinem Namen Ehre zu machen – dazwischen hörte ich eine süße dunkle Frauenstimme und sah ein holdes Gesicht, das sich zwischen meine Augen und die langsam verlöschenden meines theuren Vaters drängte.

Noch vier Tage dauerte dies schwere Scheiden. Als wir ihn bestattet hatten, erklärte mir der Freund unsres Hauses, der im Ministerium meine Versetzung nach Viterbo bewirkt hatte, er habe dafür gesorgt, daß mir erlaubt werde, bei meiner Mutter zu bleiben, die ihren Gatten über alles geliebt habe und ohne die Stütze ihres Sohnes zusammenbrechen würde.

So war es entschieden, ich sollte meine Geliebte nicht wiedersehen.

Doch daß es für immer sein würde, das einzusehen, konnte ich nicht über mein Herz bringen.

Ich hatte die Todesanzeige an die Marchesa geschickt und eine kurze Condolenz zurückerhalten. Dem Namen Isabella war von anderer Hand Clelia hinzugefügt. Das war alles.

Aber auch die klarste Erkenntniß, daß sie beschlossen hatte, mein Dasein vor sich selbst zu verleugnen, konnte an meinem Gefühl nichts ändern.

Ich hatte so viel Gewalt über mich, daß ich die tiefe innere Verstörung vor meiner Mutter verbarg und alles that, sie durch zärtliche Sorge und Liebe aufzurichten. Gegen die Gesellschaft und alte Beziehungen zu Jugendfreunden schloß ich mich ab, und man fand es natürlich, da ich Trauer hatte.

Das hübsche Kind, das es mir vor ein paar Monaten angethan hatte, war wie ausgelöscht aus meiner Erinnerung. Als ich ihr einmal auf der Straße begegnete – beim Begräbniß hatte ich sie völlig übersehen –, that es mir einen Augenblick weh, ihrem traurigen, vorwurfsvollen Blick zu begegnen. Das alles aber versank in dem Abgrund von Sehnsucht und Schwermuth, der mich vom Leben trennte und täglich hoffnungsloser wurde.

Das dauerte den ganzen Winter.

Als die ersten Frühlingslüfte wehten, sah ich ein, daß es so nicht weitergehen könne, ohne mich zu vernichten. Auch meiner Mutter war ich es schuldig, auf meine Rettung bedacht zu sein. Natürlich hatte ich ihr verschwiegen, was ich in Villa Orlandi erlebt hatte. Daß sie es billigen würde, wenn ich eine so viel ältere Frau heimführte, konnte ich nicht hoffen. Aber ich verzweifelte nicht daran, Clelia zu diesem Entschluß zu bewegen – auch sie mußte ja in dieser langen Zeit erkannt haben, daß wir vom Schicksal für einander bestimmt waren –, und wenn sie dann in all ihrer Holdseligkeit vor meine Mutter hinträte, würde auch die es begreifen, daß es für ihren Sohn kein andres Glück gäbe als der Besitz dieser Frau.

Ich bat sie also, da ich dringend einer Zerstreuung bedürfe, um mein schweres Blut vom Kopf abzulenken, daß sie mir einen Ausflug erlauben möchte, am liebsten nach Viterbo, wo ich gute Kameraden verlassen hätte. Auch von meinem Regiment erhielt ich ohne Schwierigkeit Urlaub auf mehrere Wochen und bereitete in froher Erwartung glücklicher Tage meinen Aufbruch vor, als ein schwarzgeränderter Brief mir die Nachricht brachte, am zehnten Februar habe die Marchesa Isabella Orlandi ihre heißgeliebte Schwester Clelia durch einen sanften Tod verloren.

*

Der Schlag hatte mich mit solcher Gewalt getroffen, daß ich unfähig war, vor den Augen der Mutter mich aufrecht zu erhalten. Sie fand mich in einem jammervollen Zustand, und es wurde ihr leicht, mir den Grund herauszulocken. Aber aller liebevolle Trost war an mir verloren.

Nur der Gedanke hielt mich aufrecht, so bald als möglich an die Stätte zu eilen, wo dies geliebte Leben erloschen war.

Als ich das Haus wieder betrat, die edle Frau mir entgegenkam und mit ausgebreiteten Armen mich an ihr Herz schloß, wir beide uns in unversieglichen Thränen auflösten, fühlte ich erst an ihrem Gram eine Art Linderung des meinen. Sie faßte sich zuerst und suchte mich zu beruhigen. Sie erzählte von ihr, wie Clelia gelebt habe, nachdem sie mich verloren. Ein seltsamer Glanz sei in ihren Augen gewesen, wie überirdisch, als ob sie nicht mehr diesem Leben angehöre und schon Wonnen eines verklärten Daseins genieße. Sie sei gegen alle Menschen noch gütiger gewesen, als schon sonst ihre Gewohnheit war, habe, wie wenn sie sich überreich gefühlt hätte, immer nur schenken wollen und Freude machen. Gelacht habe sie nie mehr, aber mit einem sanften Lächeln dabeigesessen, wenn andre um sie her lustig waren, doch wenn man sie fragte, gezeigt, daß sie nicht aufgemerkt, was gesprochen worden sei. Dabei sei ihre Schönheit noch mehr aufgeblüht, und den Fremdesten sei es aufgefallen.

Ein Freund des Hauses, nur ein paar Jahre älter als sie, der schon, als ihr Vater noch lebte, sich um sie bemüht und sie gern heimgeführt hätte, sei wieder aufgetaucht, nach langer Abwesenheit in diplomatischem Dienst. Und da er sie wiedergesehen, sei er so von ihr bezaubert gewesen, daß er wie ein Jüngling für sie geglüht und ihr, der Marchesa, angetragen habe, den Freiwerber bei der Schwester für ihn zu machen.

Sie habe es gern gethan, da sie den Freund sehr geschätzt und die Schwester ihm gegönnt habe. Die aber habe sanft den Kopf geschüttelt und erwidert: Red es ihm aus. Ich könnte ihn nicht glücklich machen. Ich habe das Höchste genossen, was einem Menschenkind von Gott gegönnt werden kann. Alles andere wäre ein Herabsinken in das gemeine Menschenloos. Davor mich zu bewahren, bin ich meinem Freunde schuldig, der mich gelehrt hat, was Liebe heißt.

So habe sie noch eine Zeitlang hingelebt. Dann aber sei plötzlich ein seltsamer Verfall eingetreten, als habe die ungestillte Sehnsucht alle Lebenskraft in ihr aufgezehrt. Sie habe ihr Zimmer nicht mehr verlassen können, kaum noch Nahrung aufgenommen, auch in ihrem Äußern sich verändert, so daß sie plötzlich wie eine alte Frau erschienen sei. Aber nachdem sie den letzten Athemzug gethan, sei ihre volle Schönheit zurückgekehrt. Wie ein Marmorbild eines großen Künstlers habe sie auf ihrem Lager geruht, ein Lächeln auf den blassen Lippen, als sei sie mitten im höchsten Glück hinübergeschlummert.

 

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