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(1887.)
Es war offenbar eine Thorheit, daß ich trotz der Warnung des Wirthes bei dem trübseligen Octoberwetter den Dampfer bestieg, statt die Fahrt von Coblenz nach Mainz auf der Eisenbahn zu machen. Schon am frühen Morgen hatte sich über den Strom ein leichter Nebel gelagert, der sich von Stunde zu Stunde verdichtete, so daß die langsame Bergfahrt nur einen zweifelhaften Genuß versprach. Doch der Himmel weiß welche romantische Laune ließ mich an meinem Vorsatz festhalten. Ich hatte mir's nun einmal eingeredet, eine Fahrt durch die Rheinnebel müsse einen ganz eigenen phantastischen Reiz haben, riesenhafte Nibelungengespenster würden das Schiff umschweben, zwischen den vom Winde zerrissenen Wolkenschleiern die alten Burgen weit märchenhafter hervorblicken, als im nüchternen Sonnenlicht, und hie und da vielleicht auf einem Söller »des Helden alter Geist« erscheinen und »das Schiff wohl zu fahren heißen«.
Nichts von alledem traf ein. Die Ufer zu beiden Seiten verschwanden unter einem mißfarbigen, faltenlosen Flor, und kaum blickte die weiße Schaumspur, welche die Räder zurückwarfen, erkennbar aus der Tiefe herauf. Außer dem Steuermann und dem Kapitän war Niemand auf dem Verdeck geblieben. Ich sah, wie verdrossen Beide ihrer Pflicht oblagen, in dem grauen Zwielicht den richtigen Curs zu halten, und hütete mich, sie anzureden. Nachdem jedoch all meine Versuche, dem wesenlosen Spuk um mich her irgend eine interessante Seite abzugewinnen, erfolglos geblieben waren, entschloß ich mich, in die Kajüte hinabzusteigen und zu sehen, wie meine Schicksalsgefährten sich über die sehr unerquicklichen Stunden hinweghelfen mochten.
Es waren ihrer nicht viele. In der Kajüte zweiter Klasse saß nur ein Kleeblatt junger Handlungsreisender bei einigen Flaschen Moselwein und einem eifrigen Scat, der sie die versagten landschaftlichen Reize der Fahrt leicht verschmerzen ließ. Ein paar ältliche Frauenzimmer strickten in einem Winkel, in leises Geplauder vertieft, das von dem Schnarchen eines dicken Herrn, der sich's auf der einen Bank bequem gemacht hatte, in sonorer Eintönigkeit accompagnirt wurde. Unterhaltung war hier nicht zu hoffen, und der Qualm von den Cigarren der Spielenden, die wohl schon stundenlang auf demselben Flecke gesessen hatten, trieb mich eilig das steile Treppchen wieder hinaus.
Als ich die Kajüte des ersten Platzes betrat, wehte mir ein Duft entgegen, dessen wunderliche Mischung aus Heliotrop, Puder, Juchten und der Blume irgend eines edlen Rheinweines sogleich verrieth, daß hier eine exquisite Gesellschaft zu finden sei. In der That sah ich an einem der kleinen Tische ein junges Paar, eben damit beschäftigt, einem ausgesuchten Frühstück, so fein es die Küche des Dampfschiffs nur irgend herzustellen vermochte, in behaglicher Muße alle Ehre anzuthun. Eine zierliche Kammerzofe der jungen Frau nahm dem Kellner die Speisen ab und reichte sie der Herrschaft, die während des Essens kein Wort mit einander wechselte. Nur einmal erhob der blonde junge Mann, dessen breites und flaches Gesicht ganz mit Sommersprossen bedeckt war, seine Stimme, um mit einigen holländischen Worten dem Mädchen zu sagen, daß der Champagner jetzt entkorkt werden könne. Hierauf verfiel er wieder in sein stummes, fast schüchternes Wesen, indem er nur von Zeit zu Zeit seiner Gefährtin eine Schüssel anbot, oder, ohne ein Wort zu sagen, ein ausgesuchtes Stück ihr auf den Teller legte.
Man sah an seiner starkgerötheten Stirn, daß er die Rheinweinflasche fast allein geleert haben mußte. Ihr Feuer aber schien sein träges Blut in keine raschere Wallung gebracht zu haben.
Ich hatte mich nahe der Kajütenthür niedergelassen und beobachtete, in Ermanglung eines besseren Zeitvertreibs, über ein Zeitungsblatt hinweg den jungen Schwelger, dessen Froschprofil sich drollig genug von der feinen, blankpolierten Holzvertäfelung des Salons abhob. Die Dame sah ich nur vom Rücken. Eine schlanke Figur mit den reizendsten Bewegungen, in einer Toilette, die meinen geringen Kenntnissen nach von ausgesucht aristokratischem Geschmacke zeugte. Zumal das Reisehütchen auf dem kleinen Haupt, dessen lichtbraune Löckchen den feinen Hals umkraus'ten, schien mir die denkbar zierlichste »Krönung des Ganzen« zu sein, und wie magisch angezogen folgte mein Blick dem Nicken und Hin- und Herwanken des kleinen Federschmuckes, da die Stirn darunter leider nicht sichtbar wurde.
Ein vollgeschenkter Römer stand vor ihr, aus dem sie nur ein einziges Mal ein paar Tropfen nippte. Als aber der Kellner den Champagner knallen ließ und eilig mit der Flasche zu der Dame hintrat, ergriff sie ihren Becher und leerte ihn, noch eh' der Schaum verflogen war, in einem ruhigen, schlürfenden Zuge, wobei sie den Kopf weit zurückbog.
Als sie sich dann mit dem leeren Glase zur Seite wandte, um es wieder füllen zu lassen, erblickte ich zuerst einen Streif ihres Gesichts, nur das verlorene Profil. Im Augenblick aber ward ich mir bewußt, daß ich dies Gesicht schon einmal gesehen haben mußte, obwohl der zarte blasse Umriß nichts Auffallendes hatte, weder im Guten noch im Bösen.
Ein kurzes, leicht abgestumpftes Näschen, dessen scharfgezeichnete Flügel sehr bleich waren, ein energischer Mund, an den sich ein kinderhaft weiches Kinn schmiegte, leichtgeschwungene Brauen, die nach Art der japanischen gegen die Schläfen hin ein wenig aufwärts strebten – mit einem Wort unserer französischen Nachbarn une figure chiffonée, wie man vielen begegnet. Nun aber, vielleicht durch eine Bewegung, die ich unwillkürlich machte, an meine Gegenwart erinnert, wandte sie die Augen rasch nach mir um – Augen, in die man freilich nicht lange zu blicken brauchte, um den seltsamen Eindruck so bald nicht wieder zu vergessen.
Ja wohl war ich diesen Augen schon einmal begegnet, und sofort tauchte der Ort und alle Umstände jener ersten Bekanntschaft in meiner Erinnerung wieder auf.
Es war in M… gewesen, an einem Sommerabend. Ein Freund hatte mich in das Haus eines Legationsraths eingeführt, nicht sowohl der Menschen wegen, als um einige treffliche alte Bilder kennen zu lernen, die in dieser Familie von Urvätern her als ein unveräußerlicher Schatz aufbewahrt wurden. Wir hatten dort eine angenehme, vielsprachige Gesellschaft getroffen, in welcher der Hausherr und seine Gemahlin, Beide noch jung, die Frau durch ein schweres Nervenleiden an ihr Ruhebett gefesselt, durch einfache Liebenswürdigkeit eine heitere Stimmung zu erwecken verstanden.
Die Thüren des Salons standen nach einem schöngepflegten Garten offen, in welchem man sich aber nur kurze Zeit aufhielt, um die Hausfrau nicht allein zu lassen. Um diese war mit ausgesuchten Aufmerksamkeiten ein junges Mädchen bemüht, die, wie mein Freund mir sagte, erst vor kurzem als Gesellschafterin und Pflegerin der armen jungen Gräfin ins Haus gekommen war und in kurzem sich unentbehrlich gemacht hatte. Sie war nicht von besonderer Schönheit, bis auf ihren reizenden Wuchs. Als sie mir aber im Verlauf des Abends von dem Thee, den sie selbst bereitet hatte, eine Tasse einschenkte und dabei ihre Augen ruhig auf mich heftete, konnte ich mich eines wunderlich aufregenden Eindruckes nicht erwehren. Aus diesen großen, festen, stahlgrauen Augensternen, über denen die schwarzen Wimpern fast niemals sich zu senken schienen, sah mich ein ungewöhnlicher Geist, ein starker, bewußter Wille, eine so kühle, unzärtliche Seele an, daß ich mich gern mit dem räthselhaften Wesen in ein Gespräch eingelassen hätte, wäre sie nicht von ihren Pflichten beständig in Beschlag genommen worden.
Es fiel mir damals nichts Besonderes auf in dem Verkehr des Ehepaars mit ihrer Hausgenossin. Nur als Fräulein Marion, wie sie genannt wurde, auf die Bitte der Hausfrau, die durch die lange Conversation ermüdet schien, sich an den Flügel setzte, um etwas zu spielen – eine freie Phantasie, wie es mir vorkam, über verschiedene Themata aus Verdi'schen Opern bemerkte ich, daß der junge Graf die Spielerin unverwandt betrachtete, die ihrerseits, während sie in einer Art dumpfer Leidenschaftlichkeit sich beständig steigerte, den Blick über die Köpfe der Anwesenden hinweg auf eines der venezianischen Bilder heftete, die den Anlaß zu meinem Besuche gegeben hatten.
Als sie geendet, oder vielmehr wie in plötzlichem Widerwillen gegen harmonische Klänge mit einem barocken Sturm auf den Tasten das Spiel abgebrochen hatte, schritt der Hausherr auf sie zu und drückte ihr die Hand mit seinen beiden, in einer unverhohlenen Erregung, die sie aber nicht im Geringsten zu beachten schien. Sie eilte sofort zu der Gräfin, kniete neben ihrem Ruhebett hin und machte sich um die bleiche junge Frau zu schaffen, die ihr mit schwesterlicher Geberde das Haar streichelte.
Gleich darauf hatten wir uns empfohlen, und zwei bis drei Jahre lang war mir von dem Hause, in welchem ich jenen Abend zugebracht, keine neue Kunde geworden.
Da begegnete ich eines Tages dem Freunde, der mich dort eingeführt hatte, und unter alten Erinnerungen, die wir wieder auffrischten, gedachte ich auch des jungen gräflichen Paars, dessen Bekanntschaft in M. ich ihm verdankt hatte.
O, sagte mein Freund, und sein Gesicht überzog ein Schatten, weißt du denn nicht? Haben die Zeitungen Nichts davon ausgeplaudert? Aber freilich, ich entsinne mich selbst, eine Notiz darüber gesehen zu haben, in der nur die Anfangsbuchstaben der Namen verrathen waren. Ich lachte dich damals aus, weißt du noch? daß dir Fräulein Marions Augen unheimlich waren. Ich selbst war ein wenig unter dem Zauber, der mir aber nicht lebensgefährlich schien. Nun, diese Hexe, die ich für ein so stilles Wasser hielt, hat sich als eine bodenlose Intrigantin erwiesen. Stell dir vor, daß sie es mit ihren Zauberkünsten dahin gebracht hat, dem Grafen eine wahnsinnige Leidenschaft einzuflößen. Das Kammerkätzchengesicht, neben der bildschönen jungen Frau, die sich freilich neben ihr wie ein alabasternes Madonnenbild neben einem reizend helldunklen Correggio ausnahm! Correggio – das ist das Wort. Er hat auch so impertinente Stumpfnäschen und darüber Augen, die von elegischer Koketterie und mystischen Liebesflammen funkeln. Wirst du glauben, daß unser junger Diplomat auf keine andre Art zu seinem Ziele zu kommen wußte, als daß er offen erklärte, er wolle sich von seiner Frau scheiden lassen und das Gesellschaftsfräulein heirathen?
Und er hat es durchgesetzt?
Der Scandal war so groß, daß selbst die Ausführung des sauberen Planes ihn nicht sehr vergrößert haben würde. Aber der Bruder der Gräfin nahm sich ihrer an, freilich auf etwas unzweckmäßige Weise, indem er den unzurechnungsfähig gewordenen Schwager forderte und ihn über den Haufen schoß. Das Restchen Leben, das er ihm noch gelassen, wurde von der engelhaften Frau, die Alles vergeben und vergessen wollte, in irgend einem südlichen Quisisana noch etliche Monate vor dem Verlöschen behütet. Dann starb sie ihm nach. Und das hat mit ihren Augen das stille Fräulein gethan.
Was aus ihr selbst geworden ist? Wer kann es sagen. Sie verschwand gleich nach dem Duell spurlos. Aber ein solches Unkräutlein findet überall wieder einen Boden, worin es wurzeln und in Flor kommen mag. Jetzt ist Gras über die Geschichte gewachsen, und ihr Name wird nicht mehr genannt.
*
Mir selbst war im Lauf der nächsten Jahre die Erinnerung an diesen trüben Roman jedesmal wieder aufgetaucht, wenn ich einem Gesicht begegnete, das an die Stifterin all dieses Unheils erinnerte. Jetzt aber, von dem Hütchen mit der nickenden Feder eingerahmt – es war nicht der geringste Zweifel, daß sie in Person mir gegenübersaß. Sie schien es ja erreicht zu haben, ob als Frau oder Geliebte eines reichen Mannes, war freilich aus den äußeren Zeichen nicht genau festzustellen. Doch die Kammerjungfer, die sie auf die Reise mitgenommen, mehr noch sein gelangweiltes Gesicht und das tiefe Schweigen, das zwischen ihnen herrschte, deutete mehr auf ein legitimes Verhältniß. Was ging es mich an? Nicht einmal eine oberflächliche Neugierde fühlte ich, den weiteren Schicksalen dieser Abenteurerin auf die Spur zu kommen, deren Anblick mir eine tiefe Antipathie erregte. Es wurde mir unerträglich, in dem engen, niederen Raum die Luft mit ihr theilen. Ich warf die Zeitung weg, stand auf und verließ, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen, die Kajüte.
Droben war's freilich auch nicht geheuer. Der trockene Nebel hatte sich in einen feuchten verwandelt, durch dessen wallenden und wogenden grauen Vorhang allerdings hie und da ein Stück der Ufer hervorblickte. Nachdem ich in meinen Mantel gewickelt ein paarmal die Länge des Verdeckes gemessen hatte, meine Thorheit verwünschend und mit Seufzern nach meiner Uhr berechnend, daß die Nebelfahrt so bald noch nicht am Ziele sein werde, flüchtete ich mich hinter den schwarzen Kessel unter die Brücke des Oberverdecks, wo es wenigstens warm und trocken war, und indem ich mich auf einem der hier herumstehenden Feldstühle niederließ und die Füße auf einen anderen streckte, ergab ich mich einer resignirten Träumerei, die unter dem Einfluß der dämmerigen Nebelluft und des regelmäßigen Stampfens und Rauschens der Maschine bald in einen leichten Tagesschlummer überging.
Auf einmal erwachte ich, nicht durch einen Anruf oder eine Berührung ermuntert, sondern durch einen Duft, der sich in meiner Nähe verbreitete – Heliotrop und Veilchenpuder gemischt – ich wußte, noch ehe ich die Augen aufschlug, wer sich mir genähert hatte. Und wirklich, sie selbst, der ich hatte ausweichen wollen, stand, in ein seidenes Regenmäntelchen gehüllt, die leichte Kapuze über den Kopf gezogen, wie eine gespenstische Nonne vor mir und blickte mich ruhig mit ihren unbewegten Augen an.
Der Widerwille in mir war so stark, daß ich es über meine ritterlichen Gewohnheiten gewann, sitzen zu bleiben und von ihrer Gegenwart nicht die geringste Notiz zu nehmen. Meine Hoffnung aber, sie durch diese ruhige Mißachtung von mir fern zu halten, ging nicht in Erfüllung.
Verzeihen Sie, wenn ich Sie in Ihren dichterischen Träumen gestört habe, sagte sie, mit einer Stimme, die ich jetzt zum erstenmal hörte und die so einschmeichelnd sanft und traurig klang, daß ich den Eispanzer um meine Brust ein wenig schmelzen fühlte. Es ist mir aber unmöglich, Ihnen hier zu begegnen, ohne mir die Gunst der Stunde zu Nutze zu machen. Ich weiß nicht gewiß, ob Sie sich meiner erinnern. Doch glaube ich es, da ich unten in der Kajüte bemerkte, daß Sie mit einer Miene des Hasses oder der Verachtung sich zurückzogen, sobald Sie mein Gesicht erblickt hatten. Ich kann mir das nur zu gut erklären. Die zweideutigen Gerüchte, die über mich herumgetragen worden sind, geben Ihnen vollkommen Recht, wenn Sie es vermeiden, mich wiederzuerkennen. Aber auch mir ist es nicht zu verdenken, daß ich die Gelegenheit begierig ergreife, da mir das Urtheil der Welt gleichgültig ist, mich wenigstens Denen, die ich achte und verehre, im rechten Lichte zu zeigen. Ich weiß, daß ich mich auch dann noch immer nicht sehr vortheilhaft ausnehme. Aber wenn es auch zuviel verlangt ist, daß man Alles verzeihen soll, was man versteht –
Ich begreife nicht, gnädige Frau, unterbrach ich ihre hastige Rede, wie ich dazu komme, Bekenntnisse von Ihnen entgegenzunehmen. Ich läugne nicht, daß ich Sie wiederzuerkennen glaubte, obwohl unser Begegnen vor Jahren ein so flüchtiges war. Aber es steht mir in keiner Weise zu, Sie anzuklagen oder Ihnen irgend etwas zu vergeben. Ich bitte daher in der That –
Sie sah mich so durchdringend an, daß ich mich in meiner Rede verwirrte und sie um so weniger zu Ende brachte, als neben der Abneigung, mich mit der unheimlichen Erscheinung näher einzulassen, doch auch ein psychologisches Interesse sich zu regen begann.
Sie wird dich anlügen und eine Komödie aufführen, sagte ich zu mir selbst. Nun, so brauchst du ja nur auf deiner Hut zu sein.
Als hätte sie mir die Gedanken aus der Brust gelesen, sagte sie plötzlich: Ich bin Ihnen so antipathisch, daß Sie mir nicht einmal den Muth der Wahrheit zutrauen. Aber da Sie für einen Menschenkenner gelten, sollten Sie dies Vorurtheil besiegen. Mein Mann hält unten seine Mittagsruhe, Sie und ich wir langweilen uns auf dieser Nebelfahrt, ich glaube, Sie werden es nicht bereuen, wenn Sie mir auf eine halbe Stunde Gehör schenken. Haben Sie sich doch selbst einmal geäußert, es gehöre zu den angenehmen Seiten des novellistischen Berufs, daß Ihnen allerlei Beichtgeheimnisse selbst von ganz Fremden zugetragen werden. Nun, so ganz fremd bin ich Ihnen ja nicht, und daß man kein ganz reines Gewissen hat, wenn man das Bedürfniß, zu beichten, fühlt, ist Ihnen ja auch nichts Neues. Wenn Sie mir zum Schluß die Absolution verweigern müssen, habe ich mir doch das Herz erleichtert, und Sie haben den Einblick in ein seltsames Menschenwesen gewonnen, woraus Sie meinetwegen einen Roman oder eine Novelle spinnen mögen.
Ich fand es nun doch schicklich, aufzustehen und mit einer leichten Verneigung, indem ich versicherte, daß ihre Mittheilungen mir jedenfalls sehr interessant sein würden, einen der Feldstühle heranzuziehen, auf welchen sie auch ohne weitere Umstände sich niederließ.
Doch blieb es dann wieder eine Weile still zwischen uns. Ihre Augen gingen an mir vorbei nach dem schwarzen Eisenrund des Dampfkessels, sie hatte die beiden kleinen Hände, die in schwedischen Handschuhen steckten, zusammengefaltet um ihre Kniee geschlungen und schaukelte sich leise aus ihrem niedrigen Sitz.
Dann sagte sie, immer ohne mich anzusehen: Sie haben einmal die Geschichte eines Menschen erzählt, den sie einen Märtyrer der Phantasie nennen. Ich kann Ihnen ein Gegenstück dazu liefern. Es giebt auch weibliche Märtyrer, deren Unglück aus derselben Quelle stammt und ihnen ebenso, wie jenem sonderbaren Träumer, als Schuld angerechnet wird.
Ich hatte auf der Zunge zu sagen, daß mir ein Märtyrthum in schwedischen Handschuhen und bei vollen Champagnergläsern nicht allzu mitleidswürdig vorkomme. Aber ich begnügte mich mit einem zweideutigen: In der That? – aus dem ihr feines Ohr denn doch die Ironie heraushörte.
Ja, in der That! wiederholte sie mit einem Seufzer, der die Spitze ihrer Kapuze erzittern machte. Aber freilich betragen sich die Märtyrer meines Geschlechts anders, als jener gute Mensch in Ihrer Novelle, die ja eigentlich auch nur eine Generalbeichte ist. Ich habe oft darüber nachgedacht: es ist seltsam, daß Männer, in denen die Phantasie alle anderen Triebe beherrscht, die Thatkraft darüber einbüßen und sich einem passiven Schwelgen in ihren Einbildungen ergeben, während eine Frau, in der die Phantasie übermächtig ist, sich sofort zum Handeln, zum Verwirklichen ihrer Traumwelt angetrieben fühlt. Wie das zusammenhängt, daß wir unter dem vorwiegenden Einfluß gerade dieses Seelenvermögens unsern Geschlechtscharakter vertauschen, weiß ich nicht. Vielleicht können Sie es mir sagen. Das Factum aber steht fest. Glauben Sie mir: es ist ein Glück, daß die meisten weiblichen Märtyrer der Phantasie in der Schriftstellerei ein Mittel finden, ihre phantastischen Anwandlungen unschädlich zu entladen. Es gäbe sonst viel mehr Verbrecherinnen. Jetzt stehen die Intriguen, Vergiftungen, Ehebrüche und anderen Missethaten zum größten Theil auf dem Papier, während sie, wenn dies Nothventil nicht erfunden wäre, das wirkliche Leben unsicher machen würden. Denn Diejenigen von uns, die nicht schwarz auf weiß, sondern in Fleisch und Blut sündigen – ich bin gewiß, daß sie zum größten Theil gar nicht um der Sache selbst, des Genusses oder Vortheils willen ihre unsittlichen Handlungen begehen, sondern weil sie dem dämonischen Reiz nicht widerstehen können, irgend ein Wahngebilde ihrer Phantasie zu verwirklichen, um es nur loszuwerden. Gewiß mehr Frauen, als man glaubt, haben ihre Männer betrogen, ohne durch ihre Sinne verführt zu sein, nur weil die Vorstellung eines solchen Vergehens sie so lange beschäftigte, bis sie aus einem passiven Traum zur Verwirklichung getrieben wurden. Wenn die Männer ihren Vortheil verstünden, würden sie die schreibenden Frauen in ihrem Thun bestärken, statt sie durch ihr Spotten einzuschüchtern. Litterarische Verbrechen sind denn doch harmloser, als solche, auf denen gerichtliche Strafen stehen.
Ich hörte dieser sonderbaren Einleitung mit wachsendem Interesse zu.
Sie haben so überraschende psychologische Studien gemacht, gnädige Frau, daß ich doch wohl noch eines Tages eine Collegin in Ihnen begrüßen werde, sagt' ich, mich gegen sie verneigend.
Damit ich nicht noch einmal mit dem Strafgesetz in Conflict komme, sondern mir nur von der hochnothpeinlichen Kritik mein Verdict gefallen lassen muß? Seien Sie unbesorgt. Ich hoffe, von beiden unbehelligt zu bleiben. Mein Mann ist von so phlegmatischer Gemüthsart, daß die unruhigste Phantasie neben ihm einschlummert. Aber wenn ich auch wollte, zur Schriftstellerin bin ich verdorben. Ich bin entsetzlich ungebildet, und überdies fehlt es mir an jeder Ausdauer. Nie habe ich einen Brief über die zweite Seite gebracht. Sie würden das begreifen, wenn Sie meine Erziehung wüßten. Denn eigentlich habe ich außer Lesen und Schreiben Nichts gelernt, und selbst mein bischen Klavierspiel verdanke ich nur der verzweifeltsten Langenweile, die mich dazu brachte, nachdem ich nur wenige Stunden genommen hatte, auf eigene Hand mir ohne Noten die Zeit zu vertreiben.
Es ist auch kein Wunder. Ich bin ein Schauspielerkind. Oft habe ich gedacht, daß ich wohl mehr der Vereinigung zweier Phantasieen, als zweier Herzen meine Entstehung verdankte, daß jedes meiner Eltern, die sich auf der Bühne kennen lernten und hinter den Coulissen verlobten, in dem andern nur das Talent gesehen und erst nachher den Menschen entdeckt habe. Zum Glück hatten sie keine sonderliche Enttäuschung zu beklagen, da sie Beide gute und redliche Menschen waren, doch allerdings keine sehr warmen und ausgeprägten Naturen. Meine Mutter war noch die bedeutendere. Doch hatte auch sie nicht mehr Herz, als nöthig war, ihrem Manne treu zu bleiben und ihren Rollen den Schein von Leidenschaft einzuhauchen. Für ihre Tochter blieb kaum ein Pflichttheil übrig.
Sie waren Beide keine genialen Künstler, nur was man in der Sprache der Zunft Utilitäten nennt. Doch hatten sie eine große Meinung von ihrem Talent und arbeiteten sehr gewissenhaft, auch als sie, nachdem der erste Jugendreiz verblüht war, in zweite Fächer zurücktreten mußten. Unser Hauswesen nahm sich ganz bürgerlich anständig und ordentlich aus, und ich hätte mich über meine Kindheit nicht zu beklagen gehabt, wenn irgend andere als Theaterinteressen darin Raum gefunden hätten. Nun urtheilen Sie selbst, was aus einem Kinde werden kann, das ganz ohne Verkehr mit anderen Kindern aufwächs't, – da in den Städten zweiten Ranges, wo meine Eltern ihre Engagements fanden, noch immer die alten Vorurtheile gegen Komödiantenfamilien herrschten – und das doch vom Theater selbst aufs Strengste ferngehalten wurde. Die Mutter traute mir kein Talent zu, und ich sollte nicht aus bloßer Angewöhnung eine schauspielerische Zukunft haben.
Also saß ich die langen Tage und Abende über mir allein, las lange vor dem Erwachen des Verständnisses eine unglaubliche Menge Romane und Theaterstücke, wurde dazu angehalten, Mama's Garderobe auszubessern, und hörte dabei durch die Thüre die abgerissenen Sätze der Rollen, die meine Eltern memorirten und deren leidenschaftlicher Accent mich seltsam aufregte. An den Abenden, da ich nicht mit ins Theater durfte, war Niemand bei mir, ich spielte eine Stunde lang Klavier, las diejenigen Bücher, von denen ich wußte, daß ich mich nicht bei ihrer Lectüre ertappen lassen durfte, und lag in warmen Nächten im Fenster, den Kopf voll ungesunder Träumereien, eigentlich nicht unglücklich, aber leeren Herzens und ohne das Bedürfniß, irgend Wen zu lieben, oder von Jemand wiedergeliebt zu werden.
Denn es ist nicht wahr, daß das Liebesgefühl Jedem angeboren sei, so wenig wie der Reinlichkeitstrieb, das Bewußtsein von Recht und Unrecht, die Wahrheitsliebe und andere schöne Tugenden. Ein Keim desselben mag in jedem normalen Gemüthe schlummern, aber wo er nicht gepflegt und mit Regen und Sonnenschein in der rechten Weise behandelt wird, geht er gewiß neun Mal unter zehnen zu Grunde. Was ihm aber am verderblichsten wird, ist eben die Phantasie.
Sie lächeln über meine dreisten psychologischen Hypothesen. Nun, wenigstens an mir selbst habe ich sie bewährt gefunden.
Sagen Sie selbst: wie soll ein Mensch das Bedürfniß der Hingabe an einen Anderen empfinden, wenn er vor lauter phantastischen Einbildungen überhaupt nicht zu sich selbst kommt? Wenn sein Geist stets geschäftig ist, irgend welche Gestalten zu schaffen, statt sich in das eigene Innere zu kehren und an dem stillen Heranbilden der Seele mitzuhelfen? Ein Kind, das geliebt wird, erhält schon dadurch ein gewisses Selbstbewußtsein, das ihm hilft, seine kleine Persönlichkeit zu entwickeln. Und wenn es nicht eine ganz verschrobene Natur hat, will es sich dankbar zeigen und wieder lieben. Da entfaltet sich denn der oft nur ganz schwache Keim und treibt die zärtlichsten Blüten. Ich – um die sich Niemand von Herzen bekümmerte – wie hätte ich dazu kommen sollen, auf mich selbst Werth zu legen? Ich gehörte Niemand an, am wenigsten mir selbst. Und so konnte mein Geist nach Belieben schwärmen, in fernen, glänzenden, unverstandenen Welten, so daß ich in meiner Einsamkeit nie Langeweile fühlte, aber auch die Gegenwart meiner nächsten Angehörigen nie vermißte.
Daß ich auch keinen Begriff von Wahrhaftigkeit hatte, wird Sie nicht wundern. Mit sieben Jahren war ich eine Virtuosin im Lügen geworden, und wäre meine Mutter scharfsichtiger gewesen, hätte sie auch mein Talent zum Komödiespielen nicht bezweifelt. Denn je künstlicher das Lügengewebe war, mit welchem ich irgend eine kleine Sünde, einen Ungehorsam oder eine Ungeschicklichkeit bemänteln mußte, desto kühner und genialer wußte ich meine Rolle durchzuführen.
Dabei war ich im Grunde nicht schlimmer, als andere kleine Mädchen. Ja ein gewisses Mitleiden mit allen geplagten und mißhandelten Menschen oder Thieren lag mir im Blut, so daß ich in demselben Augenblick, wo ich mir grausame Schickungen und tragische Verhängnisse ausdachte, die sich an mir wohlbekannten Menschen vollzogen, die peinlichsten Schmerzen darüber empfand und gern alle Veranstaltungen zum Vollzuge wieder zunichte gemacht hätte – ungefähr wie es gewissen weichherzigen Dichtern ergangen sein soll, die über das Unglück, das die Helden ihrer Romane erleben sollten, in die bittersten Thränen ausbrachen.
*
Langweile ich Sie mit solchen Herzensergüssen, die Ihnen confus genug vorkommen mögen? Aber bedenken Sie, daß ich diese Selbstschau ohne alle Selbstgefälligkeit vornehme, nur aus dem sehnsüchtigen Wunsch, mich endlich einmal vor Jemand, den ich achte, zu rehabilitiren. Und sehen Sie sich um! die Nebelwand ist noch so undurchdringlich wie zuvor. Falls Sie hier hinter dem schwarzen Kessel nicht eigene Phantasiegeschöpfe auszubrüten dachten, wird es sich immerhin lohnen, noch ein paar Augenblicke den meinigen zu widmen.
Denn von dem Verdacht sind Sie doch frei, daß ich jetzt vor Ihnen Komödie spielte, wie ich mich dessen in meinen dummen Kinderjahren angeklagt habe. Seit ich es als mein Lebensunglück erkannt, daß die Gauklerin Phantasie eine so unwiderstehliche Macht über mich gewinnt, athme ich förmlich aus in den Pausen ihrer Herrschaft, wo ich im Grunde meiner Seele ein reines und einfaches Gefühl entdecke, den Ansatz zu einem eigenen, unverfälschten Charakter, der leider unter jenem verhängnißvollen Triebe verkümmern mußte.
Aber ich muthe Ihnen nicht zu, Wahrheit und Dichtung aus meinem Leben ausführlich anzuhören. Mir liegt vor Allem daran, Ihnen zu erklären, wie es zu jener Katastrophe kam, die mir einen so bösen Ruf gemacht und Jahre lang mein Leben verbittert hat.
Ich war vierzehn Jahre alt, als meine Eltern starben, Beide wenige Monate nach einander. Bei ihrem Tode empfand ich vor Allem Schmerz darüber, daß ich keine tiefere, so recht kindliche Trauer fühlen konnte. Ich weinte ein wenig, es war mir unheimlich in der leeren Wohnung mit unserer alten Magd, aber einen Verlust empfand ich kaum. Jedenfalls überwog ihn der Gedanke, daß mir nun die Thür offen stand in die weite Welt, die ich bisher nur aus Büchern kannte, daß ich die Kleider und die wenigen Schmucksachen meiner guten Mama tragen und ins Theater gehen dürfe.
Das Letztere geschah auch wirklich, noch eh ich die Trauerkleider abgelegt hatte. Einem Schauspielerkinde hielt man diesen Verstoß gegen die Sitte zu gut. Aber ich wurde arg enttäuscht. Von Allem, was meine Phantasie mir vorgespiegelt, fand ich Nichts hinter den Lampen verwirklicht, die rührendsten Scenen ließen mich kalt, ich wußte, wie dergleichen zu Hause einstudiert wurde, und die schönsten Dichterworte begeisterten mich nicht, da Nichts von dem, was eine warmblütige naive Jugend in ihrem Innern trägt, in meinem phantastisch gemüthlosen Wesen einen Wiederhall erweckte.
Das war die erste Leidensstation auf meinem Kreuzwege. Hätte ich damals so empfunden, wie es meinem Alter angemessen war, so wäre ich gewiß zur Bühne gegangen, für die ich wohl mancherlei Gaben hatte. Aber was Andere reizt, kam mir nüchtern und abgeschmackt vor, und nicht von fern zu vergleichen mit den Traumbildern, die mich in meinem engen Stübchen umgaukelten.
Ein alter Oheim hatte mich zu sich genommen, ein grilliger, aber gutmüthiger Junggeselle, der ein kleines antiquarisches Geschäft betrieb, seltene Münzen, Uhren, alte Schmuckstücke und besonders Spitzen einhandelte, für die er seine sicheren Kunden hatte. Da ich mit feiner Nadelarbeit Bescheid wußte, konnte er mich gut brauchen, Risse und Schäden aller Art in den kostbaren Geweben auszubessern, und wenn er mich so fleißig bei der Arbeit sah, ahnte er nicht, welches Gift ich aus diesem alten Kram einathmete. Denn meine Phantasie fing sogleich an zu schwärmen, wenn ich einen Spitzenkragen unter Händen hatte, den nur eine Fürstin zu bezahlen reich genug gewesen war, und ganz wie Ihr »Märtyrer« hinter seinem Ladentisch, erlebte ich die romantischsten Abenteuer mitten unter der alltäglichsten Beschäftigung, so daß ich nach außen den Schein der größten Anspruchslosigkeit erregte, während mir der Kopf von den stolzesten und ausschweifendsten Visionen erfüllt war.
Das dauerte jedoch nur so lange, bis ich völlig erwachsen war. Dann erklärte ich dem guten Oheim eines Tages ganz kaltblütig, ich sei des eingeschlossenen Lebens unter seinem alten Trödel satt, danke ihm für seine bisherige Fürsorge, wolle mich aber auf eigene Füße stellen und sehen, ob ich nicht in der Welt mein Glück finden könne. Er machte einen schüchternen Versuch, als mein Vormund mir dieses bedenkliche Wagniß auszureden. Ich wußte aber schon damals, was mir später oft gesagt worden ist, daß ich über die meisten Menschen Gewalt hatte, wenn ich sie auf eine gewisse Weise ruhig anblickte, und so ließ er mich gewähren, zumal ich Nichts dagegen hatte, mein Kämmerchen in seinem Hause auch ferner als Schlafstelle zu benutzen.
*
Ich hatte eine Stelle angenommen in einem Weißwaarengeschäft, wo viele junge Mädchen beschäftigt wurden, Ausstattungen und feinen weiblichen Toilettenkram anzufertigen. Nie zuvor war ich mit meinesgleichen umgegangen und versprach mir viel Spaß davon. Aber ich fand meine Erwartungen wieder getäuscht. Das ordinäre Geschwätz dieser jungen Geschöpfe, das sich meist nur um Liebschaften drehte, langweilte mich bald, zumal ich selbst durchaus nicht verliebter Natur war und, um nicht immer nur stumm dabeizusitzen, etwas zusammenfabeln mußte, wovon mein Herz Nichts wußte. Ich war siebzehn Jahr alt geworden, die jungen Herren auf der Straße gingen mir so fleißig nach, daß meine Eitelkeit nothwendig geweckt werden mußte, wenn auch meine Sinne noch schliefen und das Vorhandensein eines Herzens überhaupt sehr ungewiß war. Aber da ich all meine Kameradinnen beständig von zärtlichen Dingen reden und ihre überschwängliche Seligkeit preisen hörte, die sie irgend einem schönfrisirten Alphons oder Arthur verdankten, kam ich mir zuletzt gar zu albern vor, daß ich von diesen Herrlichkeiten noch immer Nichts erlebt hatte, und ich beschloß, einen jungen Menschen glücklich zu machen, der mir unter all meinen Bewerbern als der anständigste und liebenswürdigste erschienen war.
Er hatte mich durch eine gewisse melancholische Miene und die respectvolle Art bestochen, mit der er mich grüßte, wenn ich Abends um sieben Uhr das Geschäftslocal verließ, Arm in Arm mit der einzigen sogenannten Freundin, die sich näher an mich angeschlossen hatte. Sie war mir im Grunde so gleichgültig wie alle Andern. Aber ich mochte nicht immer allein gehen, und so war es mir ganz recht, daß wir uns in die beiden Studenten theilten, die regelmäßig nach dem Geschäftsschluß auf uns warteten. Meine Freundin ging mit dem einen, dem Lustigen, voran, ich mit dem Schwermüthigen hinterdrein, indem ich, während er mir auf seine hochtrabende Art von seinen Gefühlen vordeclamirte, beständig in mich hineinhorchte, ob gar keine innere Stimme diesen schönen Worten etwas erwidern möchte.
Es blieb Alles stockstill, obwohl er ein sauberer, interessanter Mensch war, mit ein paar Augen, die all meine Gefährtinnen in Flammen setzten. Daß sie mich um diese Eroberung beneideten, war das einzige Angenehme an der ganzen Sache, wofür ich empfänglich war.
Dann kam es, wie es kommen mußte, bei einer so verschrobenen Natur, wie die meine war.
Ernst hatte mehr als einmal in mich gedrungen, daß wir einen Sonntag-Nachmittag mit einander verbringen sollten, auf einer Landpartie, allein oder mit dem anderen Liebespaar. Nach vielem Weigern, da ich ahnte, daß er es nicht ganz ehrlich und anständig meinte, überwog denn doch endlich die Neugier. Von solchen Ausflügen ins Grüne hatte ich so oft mit Entzücken reden hören, und besonders was man davon mit einem wonnigen Verstummen überging, mußte der Gipfel alles irdischen Glückes sein. Also versprach ich, da Ernst mich aus dem Hause des Oheims nicht abholen konnte, mich, wohlverschleiert, in sein Studentenstübchen zu schleichen, das einen eigenen Eingang von der Treppe aus hatte.
Ich schlief die Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag fast gar nicht. Mein Blut war nicht heißer und ungestümer als sonst, aber in meinem dummen Kopf sah es bunt genug aus. Alle Märchen der Tausend und Einen Nacht wirbelten darin herum, und ich konnte die Zeit nicht erwarten, wo sie zur Wahrheit werden sollten.
Wie schlimm ich enttäuscht wurde, überlasse ich Ihnen sich auszumalen. Es ist so häßlich, daß noch heute die Erinnerung daran mir das Blut ins Gesicht und einen bitteren Geschmack auf die Zunge treibt. Nie hatte mir meine Phantasie einen erbärmlicheren Streich gespielt. Das also war, nachdem sie all ihren lyrischen Aufputz, ihre sentimentalen Schleier von sich gethan hatte, die vielgepriesene Liebe! Eine so ekelhafte thierische Physiognomie kam hinter der melancholischen Engelsmaske zum Vorschein! Der edle, sanfte Jüngling, der mich wie ein Götterbild in Rosenwolken verehrt und hoch über sich gestellt hatte, so tief suchte er mich zu erniedrigen, sobald er mich, unentrinnbar, wie er glaubte, in seiner Gewalt hatte!
Aber zum Glück war bei dem Aufruhr in meinem phantastischen Kopf mein Herz ganz kühl geblieben. Auch seine Schwüre und Betheuerungen, seine Thränen, da er vor mir niederkniete und mich anflehte, ihn zu tödten oder ihm zu vergeben, rührten mich keinen Augenblick. Ich sah ihn mit einem so vernichtenden Blick der grenzenlosesten Verachtung an, daß er mit zitternden Händen, wie ein des Mordes überführter armer Sünder, den Schlüssel hervorzog und die Thür seines Zimmers wieder aufschloß, das ich wie einen Vorhof des Paradieses betreten hatte, und in dem ich nun zu ersticken fürchtete, wenn ich nur noch fünf Minuten die Luft darin hätte athmen müssen.
Glauben Sie nicht, daß ich mir auf meine Standhaftigkeit, meinen Sieg über den Elenden etwas einbildete. Was man so Tugend nennt, war mir ein unfaßbarer Begriff. Ja ich glaube, daß in den Kummer, nun wieder um eine Illusion ärmer geworden zu sein, sich das Bedauern mischte, mich unfähig erkannt zu haben, von dem Rausch und Taumel, der ihn so entstellt hatte, mit ergriffen zu werden. Meine Kameradinnen, die das Alles so ganz anders ansahen, waren mir freilich darum nicht achtungswerther. Aber sie waren vergnügt dabei, während ich nur mit Scham und Abscheu an jene Stunde zurückdenken konnte. Natürlich! Um im Rausch sich selbst zu vergessen und dieses Aufgehen in einen Anderen als eine Erlösung zu genießen, muß man doch ein Selbst besitzen. Und Sie wissen jetzt, wie es zuging, daß ich an der Stelle meines innern Menschen, von der alle dumpfen Gefühle, die uns elend und selig machen, ausgehen, wenn ich bis in den Kern hineinblickte, nur ein großes Fragezeichen fand.
Damals las ich unter dem Bilde Immermann's einen Vers, der mir zu diesem derben, festgezimmerten Gesicht in keiner Weise zu passen schien, während ich ihn als Motto meines Lebens mir oft genug vorsagte:
Nun bin ich auf ewigem Wandern,
Und fände doch gern in mir die Rast,
Fühle mich nur noch in Andern,
Und bei mir selbst bin ich zu Gast.
*
Sie schwieg hierauf eine Weile. Ihr Gesicht war mir, während sie die Verse vor sich hin sagte, seltsam verwandelt erschienen, das stumpfe Näschen hatte sich gestreckt, der Mund einen tragischen Zug erhalten, der ihn fast schön machte. Und wahrhaft imposant strahlten die Augen unter den schwarzen Wimpern, drohend, gebieterisch, hoffnungslos kalt. Ich fragte mich, ob je eine Thräne, außer des ohnmächtigen Zorns, diese großen grauen Sterne verschleiert habe. In der That, sie hatte Recht: eine Seele, eine weibliche zumal, sah aus diesen Augen nicht in die Welt.
Mehr als einmal war, während sie ihre Beichte ablegte, die Schiffsglocke erschollen, und der Dampfer hatte hüben und drüben an den vorgeschriebenen Landungsstellen einen kurzen Halt gemacht. Da aber nur äußerst wenig neue Passagiere und diese nur für den zweiten Platz das Verdeck bestiegen, blieben wir in unserm dunklen Winkel neben der Maschine ungestört.
Ich muß mich sputen, fing sie endlich wieder an. Die Fahrt wird nicht mehr zu lange dauern, und wer weiß, ob mein Mann nicht trotz des schweren Raumthalers früher als sonst von seinem Nachmittagsschlummer aufwacht. Oder ist es Ihnen nicht darum zu thun, was weiter mit mir ward, zu erfahren? Freilich, wer an den Menschen kein tieferes Interesse nimmt, als daß er sie wie die Staffage in einer Wandeldecoration betrachtet, verdient auch kaum, daß man sich für ihn interessire. Bei den Meisten ist es mit der Nächstenliebe wohl auch von Hause aus nicht weit her. Sie lernen aber früh heucheln, und so bildet sich ein stillschweigender Vertrag auf gegenseitige Theilnahme, bei dem vielleicht die Interessen der Gesellschaft ganz gut fahren. Ich hätte das auch mitmachen können. Ich war aber zu stolz und – trotz meiner Schauspielertalente – zu wahrheitsliebend dazu.
So galt ich bei meinen Bekanntinnen für einen kalten Fisch, und sie hatten ja auch Recht. Als Meerweib hätte ich mich in meinem Element gefühlt. Daß ich meinem schönen Studenten den Laufpaß gab, wunderte meine »Freundin« kaum. Sie hatte ihn immer zu philisterhaft, zu »ehrbar« gefunden. Ich hütete mich wohl, sie aufzuklären; denn von allen Scheidungsgründen hätte ihr der wahre am wenigsten eingeleuchtet.
Mit der Liebe also war es ein für allemal für mich vorbei. Was aber blieb nun übrig als Ziel der Hoffnungen und Wünsche, ohne die ein Mensch doch einmal das Leben nicht ertragen kann? Ich war nicht schön, so daß ich an der eigenen Vergötterung mich nicht erlaben konnte. Aber ich war nicht umsonst eine Märtyrerin der Phantasie. Der Gedanke, daß Reichthum die Mittel gewährt, die abenteuerlichsten Träume zu verwirklichen, verließ mich nicht mehr, nachdem er einmal sich mir aufgedrängt hatte.
Es ging mir nicht schlecht; ich entbehrte im Grunde Nichts von dem, was mir zu den Bedürfnissen und Annehmlichkeiten des Lebens gehörte. Aber das war es nicht. Ich beneidete heftig alle Die, die nur die Hand auszustrecken brauchen, um jede tolle Laune zu befriedigen.
Ich bin neugierig, wen du einmal heirathen wirst, sagte meine Freundin lachend.
Einen Nabob oder einen Falschmünzer, gab ich ohne Besinnen zur Antwort. Vielleicht den Letzteren noch lieber, da es in seiner Hand liegt, wie reich er sein will.
Sie lachten Alle über meinen barocken Einfall und bedauerten mich, daß es damit nicht Ernst werden könne. Falschmünzer machten in der Regel mit des Seilers Tochter Hochzeit, und solche Späße mehr. Mir aber war es ganz Ernst damit. Und glauben Sie mir auch das: nicht aus bloßem Hang zum Luxus, vor Allem auch weil ich mir die Macht wünschte, so viele Noth und bitteres Elend zu lindern. Verstehen Sie das? Ich hatte kein Herz in der Brust und liebte keine Menschenseele, und doch konnte ich mich des Mitleids nicht erwehren? Hat denn das seinen Sitz in der Phantasie? Freilich, wer sich in fremde Zustände nicht hineinversetzen kann, wird auch für fremde Noth keine Empfindung haben.
Aber mit diesen dunkeln Fragen will ich Sie nicht aufhalten.
Genug, ich lebte so hin, ganz freudlos und ohne etwas vom nächsten Tage zu erwarten. In unserm Geschäft war ich so anstellig gewesen, daß die Besitzerin mich zu ihrer Adjutantin gemacht und den Verkauf mir fast ausschließlich übertragen hatte. Meine Freundin war mit avancirt. Wir unterhielten uns ganz leidlich, da viel vornehme Damen, interessante Fremde, glückliche Bräute und noch glücklichere junge Mütter bei uns vorsprachen.
Eines Tages hielt vor unserm Laden eine sehr elegante Equipage, ein galonnirter Lakai sprang vom Bock, und nachdem er mit abgezogenem Hut einen Befehl seiner Herrschaft entgegengenommen hatte, trat er zu uns ein und richtete seinen Auftrag aus: die Frau Gräfin wünsche die und die neuen Sachen, die wir angekündigt, zu sehen, und da sie leidend sei und nicht aussteigen könne, möchte ihr das Gewünschte an den Wagen hinausgebracht werden.
Dies geschah auf der Stelle, ich übergab dem Bedienten einige Cartons und folgte ihm auf die Straße hinaus, um zu hören, was die Dame für eine Wahl treffen würde. Sie lag lang ausgestreckt auf einem sehr weichen, mit blauer Seide ausgeschlagenen Polster, in der ausgesuchtesten Toilette, eine reizende Frau, deren zartes, bleiches Gesicht durch seinen Leidenszug nur interessanter erschien. Neben ihr saß ihr junger Gemahl – ich brauche ihn nicht zu beschreiben, da Sie ihn ja nur ein Jahr später in Person kennen gelernt haben. Er gefiel mir auf den ersten Blick durch seine regelmäßigen Züge und seinen vornehmen Anstand. Auf den zweiten aber fand ich ihn unausstehlich. Denn mit einer hochmüthigen Gleichgültigkeit, als ob irgend eine plumpe Dienstmagd, nicht meine eigne zierliche Person an den Wagen herangetreten sei, wandte er, ohne meinen Gruß auch nur mit einem Nicken zu erwidern, den Kopf nach der andern Seite und betrachtete, während seine Frau mit mir verhandelte, die Vorbeigehenden.
Ein feindseliges Gefühl durchzuckte mich, das selbst die Güte und Liebenswürdigkeit der Gräfin nicht verscheuchen konnte. Nachdem sie das Schönste und Theuerste ausgesucht und gebeten hatte, einige Bestellungen möglichst rasch auszuführen, wandte sie sich zu ihrem Manne mit dem Bemerken, daß sie nun fertig sei, winkte mir freundlich zu, und die schönen Pferde saus'ten in prächtigem Lauf mit dem Wagen davon.
Du machst ein so curioses Gesicht, sagte meine Freundin. Die Equipage steckt dir wohl im Kopf? Aber laß sie nur fahren. Soweit bringst du's doch nicht, nicht einmal zu einer Droschke am Sonntag Nachmittag, wenn du fortfährst, die Nonne zu spielen.
Ich lasse dir ohne Neid deine Spazierfahrten, erwiderte ich. Uebrigens – wenn ich wollte – es sollte mich wenig kosten, in einem blauseidenen Coupé herumzukutschiren.
Hat der junge Graf dir süße Augen gemacht? Bilde dir nur Nichts ein. Der ist ein Musterehemann, schon vier Jahre verheirathet und noch immer seiner blassen Gräfin treu, obwohl sie seit ihrem ersten unglücklichen Wochenbett ihm wenig Freude hat machen können.
Dieser Graf? Meinst du, er hätte mich nur eines Blickes gewürdigt? Was liegt mir an ihm! Aber wenn ich wollte – wenn ich wollte –
Sie fuhr fort mich auszulachen und sagte mir ins Gesicht, ich sei in den Grafen verliebt. Ich zuckte die Achseln und schwieg. Ich wußte nur, daß ich diesen übermüthigen Aristokraten haßte, daß ich Gott weiß was darum gegeben hätte, ihn zu demüthigen. Aber das behielt ich für mich. Es wäre wie eine kindische Prahlerei herausgekommen.
Im Stillen verließ mich der Gedanke nicht mehr. Und als einige Tage später die Bestellungen der Gräfin fertig waren, erbot ich mich, unsern Ausläufer, der sie überbringen sollte, zu begleiten, um zu hören, ob Alles nach Wunsch ausgefallen sei.
Ich fand die Gräfin in ihrem Boudoir, auf der Couchette ausgestreckt, in einem reizenden Négligé, ein Buch in der Hand, das sie eilig wegwarf, um sich von mir die neuen Sachen zeigen zu lassen. Sie sagte mir sehr freundlich, es sei ihr lieb, mich wiederzusehen, ich hätte ihr so gut gefallen. ich möchte doch manchmal kommen und ein halbes Stündchen mit ihr chiffons plaudern, das Lesen greife sie an, und sie sei doch so viel allein, da ihr Mann durch seinen Dienst in Anspruch genommen werde. Sie wissen vielleicht besser als ich, ob bei der …schen Gesandtschaft die Last der Geschäfte so groß war, daß ein Attaché, der ein zärtlicher Ehemann war, seiner Frau dadurch übermäßig entzogen wurde. Ich bemitleidete die arme junge Frau aufrichtig, und obwohl ich gar keinen festen Plan hatte, that ich doch Alles, mich ihr angenehm zu machen. Unser tiefsinniges Gespräch über die verschiedenen Spitzengattungen belebte sie sichtlich. Sie stand auf, klingelte ihrer Kammerjungfer, ließ allerlei von ihrer Garderobe holen und führte mich zuletzt selbst in dies Allerheiligste, um meinen Rath über gewisse Aenderungen und Neuanschaffungen zu vernehmen. Doch war die Anstrengung des Stehens, Anprobirens und Hervorkramens zu viel für ihre armen Kräfte. Auf einmal wurde sie todtenblaß, und ihr schönes Gesicht zuckte von einem Nervenkrampf, der sie in einen fast bewußtlosen Zustand versetzte. Ich erschrak und half der Zofe die arme junge Frau auf ihr Ruhebett zurücktragen. Während das Mädchen allerlei Mittel anwandte, die für solches nicht seltenen Fälle bereit standen, war ich vor ihr hingekniet, hatte ihre Füße, die beständig zitterten, in meinen Schooß genommen, ihre kalten, zuckenden Hände in meine warmen, und da ich ähnliche Zufälle schon bei meiner Mutter nach großen Anstrengungen erlebt hatte und wußte, wie wohlthätig die menschliche Wärme einzuwirken vermag, mehr als alle Essenzen, gelang es mir auch nach zehn Minuten, die Leidende zu erleichtern, daß sie ein Wohlgefühl ihre Glieder durchströmen fühlte und mit einem schwachen Lächeln des Dankes die Augen aufschlagend mich anblickte.
In diesem Moment trat der Graf herein. Ich erkannte sofort, daß der Zustand seiner Frau ihm mehr peinlich und widerwärtig, als betrübend war. Sie zog seine Hand an ihre Lippen und sagte ihm ein paar Worte auf englisch, wobei sie auf mich deutete. Jetzt zum erstenmal geruhte er, mir einen Blick zu schenken, und irgend etwas in dem meinigen mußte ihn betroffen haben. Denn er verlor plötzlich seine vornehme kühle Haltung, und indem er die eine Hand auf die Stirn seiner Gattin legte, sagte er: Es scheint wirklich magnetische Einflüsse zu geben. Leider hat meine Hand keine ähnliche Kraft, dich zu beruhigen.
O doch, flüsterte sie. Wenn ich sie immer so nahe hätte. Er runzelte die Stirn und wandte sich ab. Da der Zustand nichts Aengstliches mehr hatte, war meine Gegenwart überflüssig. Ich verabschiedete mich also, nicht ohne daß ich versprechen mußte, bald wieder zu kommen, da wir ja in unserer Spitzen-Conferenz unterbrochen worden waren.
Ich hütete mich aber wohl, mich aufzudrängen. Und meine Zurückhaltung hatte den gewünschten Erfolg. Ein Billet der Gräfin lud mich schon am dritten Tage wieder zu ihr, und hier eröffnete sie mir, es sei ihr einziger Wunsch, mich für immer in ihrer Nähe zu haben, zu ihrer Gesellschaft in guten und zum Beistand in bösen Stunden. Ich machte mich erst ein wenig kostbar. Auch dem Herrn Grafen, sagte ich, glaubte ich unangenehm zu sein, da er mich nicht einmal eines Grußes gewürdigt habe. Sie erröthete und versicherte lebhaft, ich irrte mich durchaus, ihr Mann sei oft zerstreut und achte nicht auf die Umgebung, mehr als sich für einen Diplomaten schicke, doch habe er ihren Wunsch lebhaft gebilligt, da er gesehen, wie wohlthuend ihr meine Pflege gewesen. Und da ich immer noch unschlüssig schien, obwohl ich im Innern frohlockte, daß mein Wille so rasch sich erfüllen sollte, gestand sie mir endlich mit rührender Beklommenheit, sie sei nicht so glücklich, wie sie scheine, und biete mir nicht den Platz einer Dienerin, sondern einer Freundin an, deren sie nur allzu oft bedürfe.
Wie es nun weiter kam, bedarf eigentlich keiner ausführlichen Schilderung. Als ich das erste Mal statt der Gräfin, die ans Bett gefesselt war, in der blauseidenen Equipage vor die Thür meines ehemaligen Geschäftes rollte und der Lakai mir den Wagenschlag öffnete – die Wirkung auf meine früheren Kameradinnen war so unbeschreiblich drastisch, daß ich kaum die nöthige Würde behaupten konnte, um nicht in vollem Lachen in den Laden zu treten. Während ich sehr liebenswürdig ohne jede Spur von falscher Herablassung meine Freundin umarmte, flüsterte diese mir zu: Ist er schon recht in dich verliebt? Hat er dir schon vorgeschlagen, deine Zukunft zu sichern? – Wo denkst du hin! erwiderte ich. Dieser Muster-Ehemann! Und ich, die ich seine eingefrorene Gesandtschafts-Miene unausstehlich finde –!
Zur Hälfte sagte ich die Wahrheit. Meine Antipathie gegen ihn hatte sich im Lauf der ersten Wochen eher gesteigert. Ich sah sofort, daß die Liebe zu seiner Frau, die vielleicht vorhanden war, als er sie heirathete längst einer kühlen, ritterlichen Anerkennung ihrer vielen guten Eigenschaften Platz gemacht hatte, während ihr Herz sich immer leidenschaftlicher an ihn klammerte. Nach außen betrug er sich tadellos. Aber ein Hauch von Eiseskälte ging von ihm aus, sobald sie unter vier – ich muß jetzt sagen unter sechs Augen waren.
Das bestärkte mich in meiner Feindschaft gegen ihn. Das dunkle Phantasiegebilde, diesen eitlen, selbstsüchtigen, undankbaren Mann zu demüthigen, wurde mehr und mehr zu einem ganz bewußten Vorsatz. Aber glauben Sie nicht, daß ich mich kleinlicher Mittel bediente, um ihn auszuführen. Ich wußte: Nichts war erfolgreicher in diesem Falle, als die absolute Gleichgültigkeit, die ich unverändert gegen ihn zur Schau trug. Wenn das strafbar war, da es doch meiner innersten Empfindung entsprach, so bin ich doch wenigstens von dem Vorwurf frei, den ich später so oft habe hören müssen, als hätte ich ihn mit koketten Künsten ins Netz gelockt.
Lieber Himmel, es bedurfte keiner sonderlichen Kunst. Seine eigene Natur that das Beste. Er war, da er für schön galt und es wohl auch war – mir sind diese »schönen Männer« stets sehr gleichgültig gewesen – von den Frauen ungeheuer verwöhnt worden, und seine Unwiderstehlichkeit gehörte zu den wenigen festen Glaubensartikeln seines Diplomaten-Katechismus. Auch mich dem Zauber erliegen zu sehen, hielt er für etwas so Unausbleibliches, daß er sich nicht die geringste Mühe gab, mir liebenswürdig zu erscheinen. Was lag ihm viel daran, die Eroberung einer Gesellschafterin seiner Frau zu machen, die keine Schönheit war und nicht liederlich zu sein schien? Erst als er zu seinem größten Staunen bemerkte, daß er nicht den geringsten Eindruck auf mich machte, daß sein Kommen oder Gehen, seine Kälte oder Herablassung von mir so wenig beachtet wurde, als wäre er nicht der schöne, elegante, hochgeborene Herr des Hauses, sondern etwa der erste beste Haushofmeister, erst da fing er an, sich empfindlich verletzt zu fühlen und von meiner geringen Person mehr und mehr angezogen zu werden.
Meine Geringschätzung konnte natürlich nur zunehmen, da ich sah, wie er nun alle großen und kleinen Hülfsmittel männlicher Koketterie aufbot, um meine Kälte zu besiegen. Ich wußte so gut, daß nicht einmal eine auch nur ganz vulgäre Verliebtheit mit im Spiele war, zu Anfang wenigstens. Also amüsirte mich's nur, zumal er sich vor seiner Frau meisterhaft zu beherrschen wußte, seine thörichten und vergeblichen Bemühungen schon von weitem kommen zu sehen und mich dagegen stets mit derselben unerschütterlichen Kaltblütigkeit zu verschanzen. Nachdem er es auf die verschiedenste Weise umsonst versucht hatte, mir interessant oder gar gefährlich zu werden, sah ich, daß er diesen unerhörten Mißerfolg sich endlich auf eine Weise zu deuten suchte, bei welcher seine verletzte Eitelkeit sich noch am leichtesten beruhigen konnte. Die Gräfin mußte mich ausforschen, ob ich nicht etwa eine heimliche Liebe im Herzen trüge, die mich gegen die gräfliche Unwiderstehlichkeit gefeit machte. Ich konnte mit der unschuldigsten Ruhe beschwören, daß Nichts dergleichen der Fall sei.
Und da geschah es denn, nachdem der Graf eine Zeitlang über dem unlösbaren Problem meiner Unbezwinglichkeit gebrütet hatte, daß er sich alles Ernstes in eine Leidenschaft zu mir verstrickte, die sich bald so sehr seines ganzen Wesens bemächtigte, daß er sie selbst vor den Augen der Welt nicht mehr zu verhehlen mochte.
Ich hatt' es nun erreicht. Er war für seinen Dünkel gezüchtigt worden. Nur hätte ich, da ich die ersten Anzeichen seines armseligen Zustandes bemerkte, aus dem Hause gehen und mich mit der »gnädigen Straf'« begnügen sollen, daß er zum ersten Mal vergebens leidenschaftliche Wünsche in seinem Herzen fühlte. Aber Sie verstehen wohl – wenn Sie es auch nicht billigen können – wie es nicht so leicht war, mich loszumachen. Der Gräfin war ich wirklich unentbehrlich geworden. Da ich ihr ja auch Nichts entzog, was sie wahrhaft besessen hätte, ließ mich mein Gewissen in Betreff ihres verliebten Gatten, den ich nie zu erhören gedachte, in Ruhe. Ich genoß recht behaglich – Sie werden es vielleicht teuflisch nennen – meinen Triumph und suchte ihn zu verlängern, indem ich dem armen Schmachtenden jede Gelegenheit abschnitt, mir unter vier Augen eine Erklärung und eine Scene zu machen, die mich denn doch aus dem Hause getrieben hätte.
Die offenkundige Huldigung des Hausherrn lenkte auch die Blicke der Gäste auf mich, mehr als sonst wohl bei meiner subalternen Stellung der Fall gewesen wäre. Ich hätte damals mehr als Eine glänzende Partie machen können. Aber da ich, wie Sie wissen, über die sogenannte Liebe manche Erfahrungen gemacht hatte und übrigens keinen Vortheil dabei ersah, in andere Verhältnisse zu kommen, blieb ich gegen alle Anträge unempfindlich. Es genügte mir vollkommen, wie man zu sagen pflegt, die Seele dieses Hauses zu sein, das letzte Wort in allen wichtigen Dingen zu sprechen und den Hausherrn, diesen Löwen der Gesellschaft, wie ein zahmes Hündchen an meine Ferse gefesselt zu sehen.
Ich hatte aber doch die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Eines Tages schüttelte der gezähmte Wüstenkönig seine Fesseln ab, und ich durfte noch Gott danken, daß ich mit dem nackten Leben davonkam.
*
Es war am späten Nachmittag. Ich saß bei der Gräfin, die ihre Nervenschmerzen klagelos ertrug, und las ihr einen französischen Roman vor. Sie hatte angefangen, mir französische Stunden zu geben, wofür ich ihr sehr dankbar war; denn die Mängel meiner Erziehung waren mir in diesem Hause sehr drückend geworden, und ich hatte Mühe genug, sie hinter meiner dienstbaren Stellung, die mich in Gesellschaft zur Schweigsamkeit berechtigte, zu verbergen.
Der Bruder der Gräfin, Baron B., trat ein. Ich erhob mich sogleich und verließ das Zimmer, obwohl die Gräfin mir einen flehenden Blick zuwarf, der mich zu bleiben bat. Ich wußte, daß ich dem Baron verhaßt war. Er war der Einzige, der die lebhaften Bemühungen seines Schwagers um mich für mehr als eine alltägliche Galanterie nahm und sich durch die arglosen Versicherungen seiner Schwester darin nicht irre machen ließ.
Er warf mir einen Blick des tödtlichsten Hasses zu, den ich mit der unbefangensten Ruhe von mir abgleiten ließ, stieß das Tabouret, auf dem ich gesessen, mit einer verächtlichen Geberde fort und zog einen andern Sitz neben das Ruhebett. Ich zuckte nur leicht die Achseln, trat in den Salon, wo ich einen Augenblick verweilte, um den Flügel zu schließen, während ich nebenan die rauhe Stimme des Barons sich in heftiger Rede ergehen hörte. Wovon sie handelte, wußte ich, ohne horchen zu müssen, wußte aber auch, daß seine stete Forderung, ich müsse entlassen werden, an dem unerschütterlichen Vertrauen der Gräfin in meine Rechtschaffenheit und an der Unentbehrlichkeit meiner Dienste auch dies Mal scheitern würde.
So verließ ich den Salon und wollte durch den daranstoßenden Speisesaal in mein Zimmer gehen. Aber ehe ich es noch erreichte, stand der Graf plötzlich vor mir.
Ich bemerkte sogleich, daß er sich in einer ungewöhnlichen Aufregung befand. Es fuhr mir durch den Kopf, ob sein Schwager ihn etwa ausgesucht und eine Auseinandersetzung mit ihm gehabt hätte. Doch da ich eben mit einer leichten Verbeugung an ihm vorübergehen wollte, fühlte ich plötzlich meinen linken Arm ergriffen und hörte ihn mit gedämpfter, aber von Leidenschaft bebender Stimme sagen: Sie weichen mir geflissentlich aus, mein Fräulein. Ich muß endlich wissen, woran ich mit Ihnen bin. Was habe ich Ihnen gethan, das Sie berechtigte, mir mit so unverhohlenem Abscheu zu begegnen?
Was kann Ihnen daran liegen? versetzte ich und sah ihn ruhig an, obwohl mir das Herz stark klopfte – denn endlich schien mir der lang ersehnte Augenblick gekommen, wo ich die Genugthuung erhalten sollte, die meine Phantasie mir vorgezaubert hatte, – was kümmert es Sie, Herr Graf, wie eine Dienerin Ihrer Frau Gemahlin von Ihnen denkt?
Er trat noch dichter an mich heran, ich fühlte seinen heißen Athem an meiner Wange, seine Hand hielt noch immer mein Handgelenk umkrampft.
Mädchen, hörte ich ihn flüstern, bringe mich nicht aufs Aeußerste. Du weißt, wie es um mich steht, daß mich diese Leidenschaft toll machen wird, wenn du fortfährst, mich mit höhnischer Gleichgültigkeit zu behandeln. Sage mir endlich –
Ich habe Ihnen Nichts zu sagen, Herr Graf, stieß ich hervor, indem ich mit einem energischen Ruck meinen Arm losriß. Sie vergessen, was Sie sich selbst, was Sie Ihrer Gemahlin schuldig sind, wenn ich auch nicht davon reden will, daß Sie einer schutzlosen Person im Dienste der Frau Gräfin wenigstens so viel Achtung schuldig wären, um sie mit Beleidigungen zu verschonen.
Ich wollte aus der Thüre schlüpfen, er aber vertrat mir den Weg. Ich begreife, sagte er mit plötzlich verändertem Ton, daß Sie mein Betragen verkennen müssen. Aber hören Sie mich ruhig an. Sie werden dann gerechter von mir denken, meine Wünsche, wenn Sie sie auch nicht erhören, wenigstens nicht mit Verachtung strafen.
Ihre Wünsche, Herr Graf? Was wünschen Sie von mir?
Sie selbst, Marion! Ich kann nicht so fort leben, ohne Sie; aber beim ewigen Gott – er erhob feierlich die Schwurhand – ich muthe Ihnen nichts Unehrenhaftes zu. Sprechen Sie ein einziges Wort, daß Sie einwilligen, und ich gehe noch heute, die Scheidung von meiner Frau einzuleiten. Es handelt sich für mich um Tod oder Leben, nie hätte ich gedacht, daß ich einer so unerbittlichen Leidenschaft verfallen könnte, aber sehen Sie mich an, Marion, und haben Sie Mitleiden mit mir. Ich bin ein Mann des Todes, wenn Sie nicht die Meine werden!
Ich sah ihn nicht an. Mir graute vor seinen Augen, deren irre lodernden Blick ich mit körperlichem Schmerz zu fühlen glaubte. Dies war nun der Augenblick meines Triumphes; aber ich empfand kaum eine flüchtig aufzuckende Freude über meinen Sieg. Denn sofort ward mir klar, daß ich ihn allzu theuer würde bezahlen müssen, daß meines Bleibens in diesem Hause neben meiner gütigen Freundin nicht länger sein könne.
Sie wissen nicht, was Sie reden, Graf, erwiderte ich und bemühte mich, den Ton sanfter Ruhe einem Unzurechnungsfähigen gegenüber festzuhalten. Dies ist eine frevelhafte Laune, die Sie schwer büßen müßten, wenn Sie nicht der Vernunft Gehör geben und sie sich aus dem Sinne schlagen. Auch wenn Sie nicht eine Gattin hätten, die ein Engel an Liebenswürdigkeit ist und Sie mehr liebt, als Sie verdienen, würden Sie sich durch die Verbindung mit einem Mädchen meines Standes aus Ihrer angeborenen Gesellschaft verbannen, und die Folgen einer solchen Mesalliance würden Ihr ganzes Leben zerrütten. Kommen Sie zur Besinnung, Herr Graf! Ich will vergessen, was Sie eben gesagt haben, unter der Bedingung, daß nie ein ähnliches Wort –
Aber er ließ mich nicht ausreden.
Die Folgen! rief er. Wie sollte ich feige davor zurückschrecken, da sie nicht schlimmer sein können, als wenn ich das bisherige Leben so fortschleppe! Ueberlassen Sie das mir, Marion! Sagen Sie mir nur, daß Sie für mich sind, und Alle, die sich mir in den Weg stellen, sich anmaßen wollen, in Fragen, die mein Lebensglück betreffen, mich zu meistern –
Dein Lebensglück, Elender! hörte ich plötzlich hinter mir eine heftige Stimme sagen. Was liegt an deinem? Wenn es nicht das Lebensglück meiner Schwester gälte –
Der Baron war plötzlich hinter mir aufgetaucht. Ich sah die beiden Männer einander gegenüberstehen und mit haß- und zornfunkelnden Augen sich messen.
Herr Baron, sagte ich, es thut mir Leid, daß Sie so spät kommen. Sie hätten sonst gehört, daß ich zu diesem Gespräch nicht die geringste Veranlassung gegeben und den Namen Ihrer Frau Schwester als einen Schild vor mich gehalten habe, an welchem all die unerhörten Eröffnungen des Herrn Grafen abprallten. Ich sehe, daß ich die unschuldige Ursache zu sehr traurigen Conflicten gewesen bin, und daß mir Nichts übrig bleibt, als noch in dieser Stunde dies Haus zu verlassen. Meinen Abschied von der Frau Gräfin werde ich schriftlich nehmen.
Damit verneigte ich mich leicht gegen den Baron, streifte den Grafen nur mit einem eisigen Blick und ging aus dem Zimmer.
Eine halbe Stunde später trat ich bei meiner Freundin ein, die über diesen ungewohnten Abendbesuch höchst erstaunt war.
Du mußt mich diese Nacht bei dir behalten, sagt' ich ihr. Ich bin obdachlos geworden, und da mein Onkel sein Geschäft aufgegeben und das Haus verkauft hat –
Sie begriff natürlich noch immer nicht. Ich erzählte ihr, was vorgefallen war. Du siehst, sagt' ich, was dabei herauskommt, wenn die Hirngespinnste einer lebhaften Phantasie sich verwirklichen. Zum Glück bin ich gegen die Liebe gefeit. Wenn ich mich von der Leidenschaft des Grafen hätte anstecken lassen, was wäre dann erst aus mir geworden? Vielleicht schon in Jahr und Tag wären ihm die Augen darüber aufgegangen, welche Thorheit er begangen, und ich führe vielleicht fort, ihn zu lieben. Gieb mir eine Tasse Thee und dann einen Platz auf deinem Sopha für die Nacht. Ich bin wieder heimathlos. Aber gottlob, meine Phantasie habe ich mir noch gerettet, die wird mir schon wieder ein Luftschloß bauen, hoffentlich einmal ein etwas solideres.
*
Sie verstummte hierauf wieder eine Weile und drückte die Augen zu, wie wenn sie häßliche Bilder sähe, vor denen sie Ruhe haben wollte. Dann stand sie plötzlich auf, trat an das Geländer des Verdecks und stand dort eine Weile, den Blick in die Wellen versenkt, die vor dem Ruderkasten silbern aufschäumten. Als sie dann zu mir zurückkehrte, war jede Spur von Aufregung aus ihren beweglichen Zügen verschwunden.
Sie werden Nichts dagegen haben, wenn ich mir eine Cigarrette anzünde, sagte sie. Doch gleichviel. Auch wenn Sie das absurde Vorurtheil so mancher Männer gegen rauchende Damen theilten, ich habe durchaus kein Interesse dabei, mich Ihnen in besserem Lichte zu zeigen, als ich nun einmal bin.
Sie zog ein elfenbeinernes Etui hervor und bot es auch mir an. Bald darauf saßen wir traulich dampfend wieder einander gegenüber auf den alten Plätzen. Die Kapuze war ihr in den Nacken zurückgefallen, ihr feiner Kopf mit dem schönen goldbraunen Haar hob sich anmuthig von dem schwarzen Hintergrunde des Kessels ab.
Sehen Sie, daß ich keine Emancipirte bin? sagte sie. Einer solchen hätte Nichts gelegener kommen können, als was sich an meine Flucht aus dem gräflichen Hause anschloß: das Duell der beiden Schwäger, die Abreise des verwundeten Grafen, die Aufopferungstreue der armen jungen Frau – und dann das schauerlich frühe Ende der beiden Gatten. Ich war plötzlich aus einer unbedeutenden Gesellschafterin zur Heldin eines Sensationsromans geworden. Mein Name wurde zwar mit Grauen und Abscheu von den tugendstrengen Familienmüttern genannt, aber mit Interesse von den Männern, zumal mir im Grunde nichts Schlimmeres nachgesagt werden konnte, als daß der Gatte einer reizenden jungen Frau um mich erst den Verstand und dann das Leben verloren hatte.
Aber so beneidenswerth dieser schlechte Ruf Vielen meines Geschlechts erscheinen mochte, mir selbst, da ich die Welt und ihre Herrlichkeit geringschätzte, lag nicht das Mindeste daran, eine Rolle in den Zeitungen zu spielen. Ich empfand keine eigentliche Reue, denn ich sagte mir, ich hätte ja nur gethan, was ich nicht lassen können und wozu der Dämon meiner Phantasie mich unwiderstehlich gezogen. Aber wenn ich auch die Strafe des Grafen gerecht fand, der Tod der armen jungen Frau ging mir nahe, und ein schwerer Mißmuth nistete sich in mir ein, der natürlich auch durch meine äußere Lage genährt wurde.
Denn auf einmal sah ich mich von allen Wegen zu einem anständigen und auskömmlichen Verdienst abgeschnitten, da überall, wo ich mich meldete, der Ruf einer gefährlichen Person, einer verschlagenen Intrigantin die Leute abschreckte, sich mit mir einzulassen.
Ich selbst hatte dazu beigetragen. Meinen Vornamen Marie, der mir zu alltäglich war, hatte ich eigenmächtig in Marion umgeändert, und in dieser fremdartigen Form war er durch alle Zeitungen gegangen, die sich mit der Scandalaffaire beschäftigt hatten. Nun büßte ich jene kindische Grille. Fräulein Marion war in allen Häusern, die auf gute Sitten hielten, unmöglich geworden.
Ich war aber gar nicht bußfertig gestimmt. Da ich von meinem Gehalt im Hause der Gräfin so gut wie Nichts verbraucht hatte, konnte ich's eine Weile mit ansehen. Ich entschloß mich kurz und reis'te in eine kleine Stadt, wo ich hoffen konnte, unbeschrieen die Zeit abwarten zu können, bis die böse Nachrede aus Mangel an neuem Stoff verstummt wäre und sich irgendwo eine Thür öffnete, durch welche das Glück, auf das ich abergläubisch rechnete, einziehen könnte.
Es klopfte auch wirklich bei mir an, vielleicht das einzige echte und dauerhafte Glück, das mir je geboten wurde. Aber da meine unselige Phantasie mir ein ganz anderes vorgespiegelt hatte, rief ich nicht Herein!
Ich hatte mich im Hause eines Buchhändlers eingemiethet, des einzigen, dessen sich das kleine Nest rühmen konnte, und der zugleich den geringen Bedarf seiner Kunden – meist Schul- und Gesangbücher – selbst mit Einbänden versah. Der Besitzer des Geschäfts war Witwer und Vater von zwei lieben und wohlerzogenen Kindern, ein noch junger Mann, dem eine ältere Schwester den Haushalt führte. Beide Geschwister waren sehr gutartige Naturen, die in größter Eintracht lebten, alle Bücher lasen, die das Geschäft bezog, und sich eines für ihre Verhältnisse beträchtlichen Wohlstandes erfreuten. Doch verkehrte ich mit ihnen nicht viel, wir grüßten uns freundlich, wenn wir uns begegneten, im Uebrigen hielt ich mich auf meinem Zimmer, setzte meine französischen Studien fort, übte mich fleißig im Klavierspiel und baute dazwischen meine Luftschlösser. Auch hielt ich mir eine größere Zeitung, in der ich sorgfältig die Annoncen durchmusterte, ob irgend ein Millionär ein armes Mädchen zur Lebensgefährtin wünschte, oder sonst ein romantisches Angebot meine Begierde reizen möchte.
Darüber waren etwa drei Vierteljahre verflossen, und meine kleinen Ersparnisse schmolzen sichtbar zusammen. Ich bedachte eben eines Morgens, was ich thun würde, wenn ich sans le sou wäre, als die Schwester des Hausherrn bei mir eintrat und mir nach langen verlegenen Umschweifen vertraute, ihr Bruder habe eine heftige Neigung zu mir gefaßt und würde es für das höchste Glück halten, wenn er mich zur Hausfrau gewinnen könnte.
Ich kannte diesen trefflichen Mann hinlänglich, um zu wissen, daß er die Frau, die er liebte, auf Händen tragen würde. Auch hatte ich gegen seine hübsche und ansehnliche Person und seine Bildung und Sitten nicht das Mindeste einzuwenden. Aber bei dem Gedanken, darin werde es mit allen Luftschlössern für immer vorbei sein und das hochgieblige alte Häuschen am Marktplatz einer kleinen Provinzstadt meine Welt bedeuten, erregte mir ein unüberwindliches Grauen.
Hiervon natürlich sagte ich der guten, sanften Schwester, die ihren Bruder vergötterte und mir betheuerte, sie werde gar nicht eifersüchtig sein, dagegen mir alle Wirthschafts- und Erziehungssorgen abnehmen, kein Wort. Zum Glück war mir aus der letzten Zeitung erinnerlich, daß eine ältere Dame eine Begleiterin in ein Seebad suchte. Das nahm ich zum Vorwand, den ehrenvollen Antrag abzulehnen. Ich sei in meiner Gesundheit erschüttert und darum entschlossen, diese günstige Gelegenheit, sie zu befestigen, nicht vorübergehen zu lassen. Glücke es damit, so wolle ich mir's ernstlich überlegen. Jedenfalls bäte ich um einige Wochen Bedenkzeit und würde vom Seebade aus meinen Entschluß mittheilen.
Als ich von den guten Leuten Abschied nahm, Alle in großer Rührung, sogar die Kinder mit ihren Sträußchen so zärtlich sich an mich drängen sah, glaubte ich einen Augenblick der Stimme meines guten Engels nachgeben zu müssen, der mir zuraunte: Hier ist das wahre Glück. Versündige dich nicht an dir selbst, indem du es in nebelhafter Ferne suchst! – Aber der böse Dämon meiner Phantasie behielt das letzte Wort. Ein Geruch von frischem Leim, der aus der offenen Buchbinderwerkstatt zu mir herüberdrang, machte allem Schwanken und Zaudern ein Ende. Auf Wiedersehen! sagte mein treuherziger Bewerber, indem er mir sehr bewegt die Hand reichte. Auf Nimmerwiedersehen! klang das Echo in meinem Innern.
Und nun wäre ich zu Ende. Denn wie es weiter ging, ist mit drei Worten erzählt. –
Sie warf die Cigarrette weg und stand auf. Sie haben Den gesehen, mit dem ich nun fürs Leben verbunden bin. Wie Sie mich jetzt kennen, werden Sie mir nicht zutrauen, daß er mir dazu verholfen, mein Herz zu entdecken. Ich lernte ihn in Scheveningen kennen, wohin ich jene alte Dame, eine recht unliebenswürdige verwitwete Generalin, begleitet hatte. Sie hatte nur die eine sehr vortreffliche Eigenschaft, daß sie nach meiner Vergangenheit durchaus nicht neugierig war. Sagen Sie mir Nichts davon, liebes Kind, unterbrach sie mich, als ich ihr in einer Anwandlung von Aufrichtigkeit meinen Roman, so wie Ihnen, erzählen wollte. Sie werden allerlei erlebt haben, das ist sehr natürlich, geht mich aber Nichts an. Nur ganz unbedeutende Menschen gehen als unbeschriebene Blätter durchs Leben, da Niemand es der Mühe werth findet, seinen Namenszug darauf zurückzulassen. Ich honorire Sie für Ihre Dienste, nicht für Ihre Confessionen.
So machte es auch keinen Eindruck auf sie, als sich in dem Weltbade, wo ich einigen Herren aus dem Bekanntenkreise des Grafen begegnete, meine Geschichte in allerlei abenteuerlichen Veranstaltungen herumsprach. Auch im Uebrigen blieb das für mich ohne unangenehme Folgen. Ich wurde ein wenig mehr angegafft und hörte hinter meinem Rücken zischeln, und daß ein paar Tugenddrachen ihren Stuhl fortrückten, wenn ich mich am Strande in ihrer Nähe niederließ, machte mir wahrlich keinen Kummer.
Nur eine einzige alte Dame, eine Holländerin, die mit uns in demselben Hôtel wohnte, trug ihren Widerwillen gegen mich, so oft sie mir auf der Treppe oder im Conversationssaal begegnete, so beleidigend zur Schau, daß ich im Innersten darüber aufgebracht wurde. Sie war zur Begleitung ihres Sohnes nach Scheveningen gekommen, der gegen seine Vollblütigkeit das Seebad gebrauchen sollte. Der junge Herr war von einer sehr trägen Complexion, hatte, da sein großer Reichthum ihn jeder Lebensmühe überhob, so gut wie Nichts gelernt und fröhnte in den Stunden, die er seine Arbeitstunden nannte, einzig und allein seiner Leidenschaft für das Photographiren, wozu ihm ein Bedienter in Livree den nöthigen Apparat überallhin nachschleppen mußte. Obwohl er dadurch eine ziemlich lächerliche Figur machte, wurde er doch von allen Müttern heirathsfähiger Töchter für einen interessanten jungen Mann und vollkommenen Gentleman erklärt und hatte keine geringe Vorstellung von seinem eigenen Werth. Uebrigens gängelte ihn die Mama, wie einen Knaben, so daß er auch mir gegenüber dieselbe unhöfliche Haltung annehmen mußte, die sie gegen mich behauptete. Beide waren sehr fromm und versäumten keinen Gottesdienst.
Zu Anfang lachte ich über das prüde, abgeschmackte Paar. Als sie es aber einmal gar zu toll getrieben hatten, so daß ich vor Erregung zitternd die halbe Nacht schlaflos lag, fuhr mir der Gedanke durch den Kopf: Wie, wenn du deine ganze Willenskraft aufbötest, dieses große Baby zu erobern? Es wäre ein Triumph, der dir alle bisherigen Beschämungen vergütete!
Und sogleich war meine Phantasie geschäftig, mir das Leben an der Seite dieses reichen Muttersöhnchens auszumalen – ungefähr so, wie es dann wirklich gekommen ist.
Es wird Sie sehr wenig interessiren, zu erfahren, mit was für kleinen Künsten und Kriegslisten ich meine Eroberung zu Stande brachte. Genug, daß ich nicht eine volle Woche brauchte, bis das große Kind, dessen lauwarmes Blut bisher nie eine zärtliche Temperatur erfahren hatte, für mich glühte, so weit ein Häring, nach jenem Heineschen Liede, für eine Auster schwärmen kann, und daß er nach vierzehn Tagen, während deren er zwar nicht Appetit und Schlaf, aber seine Passion für die Photographie verloren hatte, der Frau Mama erklärte, er werde mich auf jeden Fall heirathen, sie möge dagegen sagen, was sie wolle.
Und er hat es durchgesetzt, obwohl er mit seiner Mutter darüber unversöhnlich zerfallen ist. Seit sechs Wochen ist er mein »glücklicher« Gatte, wie ich der Wahrheit gemäß behaupten darf, denn zu allem übrigen Comfort seines vielverwöhnten Lebens hat er nun auch noch eine Frau, die ihn in keiner Weise hindert, die vierundzwanzig täglichen Mußestunden seines jungen Lebens mit Essen, Gähnen, Schlafen und Aufnahme malerischer Gegenden hinzubringen, und die ihm nicht einmal Anlaß zur Eifersucht giebt, da sie sich für die Männer überhaupt so wenig interessirt wie für ihren eigenen.
Sie lächeln. Sie unterdrücken die naheliegende Bemerkung, daß, wenn auch mein Herz ihm nicht untreu werden möchte, da ich eingestandenermaßen keines besitze, meine Phantasie mir und ihm doch vielleicht einmal einen Streich spielen könnte.
Aber das ist sehr unwahrscheinlich. Seit dieser letzten Tücke, die sie mir angethan, bin ich so gründlich mit ihr brouillirt, daß sie sobald nicht wieder Macht über mich gewinnen wird. O wenn Sie wüßten, wie tausendmal ich diesen letzten Schritt bereut habe! Wahrhaftig, wir werden mit dem gestraft, was wir uns gewünscht haben! Dieser mein Reichthum – wenn er auch mich nicht glücklich macht – ich hatte mir's so schön gedacht, Andere damit zu beglücken. Nun sausen wir so durch die Welt, daß mir kaum Zeit bleibt, einem Bettler am Wege einen Thaler zuzuwerfen, der sein Schicksal nicht wandeln kann, und während ich fürstlich zu Mittag esse, stellt meine Phantasie mir die Tausende vor, die froh wären, nur für eine Woche das zu haben, was täglich für unsern Wein draufgeht.
Sie sehen, ganz herzlos ist diese verhängnißvolle Phantasie doch nicht. Aber hier endet meine Macht. Mein Mann hat die Manie des Reisens; wenn er sich von der Stelle bewegt, glaubt er etwas zu thun, und von seiner Mission, die ganze sichtbare Welt zu photographiren, hat er eine hohe Meinung. So fahren wir denn rund um die Erde, ein Courier, der genau weiß, wie es seiner Herrschaft bequem und angenehm ist, reis't voraus, um Quartier zu bestellen, zuletzt wird Nichts übrig bleiben, was ich nicht gesehen, keine Speise, die ich nicht gekostet, keine zahme oder wilde Sprache, in der man mir nicht guten Tag gesagt hätte. Nun, vielleicht ist dies das einzige Mittel, meine Phantasie durch Uebersättigung endlich zur Ruhe zu bringen. Oder glauben Sie, daß, wenn sie auf der Erde fertig ist, sie sich dann zum Monde aufschwingen werde? Nein, die Sterne die begehrt man nicht. Wenn ich von unserer Reise um die Welt zurückkehre, wird hoffentlich mein Martyrium vollendet sein, und ich werde in unsrem Hause in Amsterdam mich für den Rest meines Lebens mit Tulpenzucht beschäftigen.
Sie lachte unheimlich und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Augen. Da kommt meine Zofe, sagte sie, um mir anzukündigen, daß Mynheer seine Siesta beendigt und gefragt habe, wo Myfrouw geblieben sei. Sie werden froh sein, von mir erlös't zu werden. Wenn Sie mich nach all diesen Bekenntnissen mit gutem Gewissen absolviren können, geben Sie mir die Hand. – So! – ich danke Ihnen. Es hat mir wohlgethan, daß ich einem verstehenden Menschen einmal Alles sagen konnte, was ich gegen und für mich auf dem Herzen hatte. Daß Sie es zu einer Novelle verarbeiten, habe ich nicht zu befürchten. Ich weiß, Sie lieben es nicht, unsympathische Frauengestalten zu schildern, und mit all Ihrer Kunst könnten Sie, wenn das Bild ähnlich würde, mich nicht liebenswürdig darstellen. Gleichviel! Ich habe mich nicht gemacht. Es wäre des Martyriums zu viel, wenn ich noch eine besondere Verantwortung dafür tragen sollte, daß ich eben nicht anders bin. Glückliche Reise!
Sie nickte mir mit einer freundlichen Geberde zu. Ich wollte noch Allerlei erwidern, ihr sagen, daß diese Stunde im Rheinnebel mir unvergeßlich sein würde und daß ich nicht dafür stünde, ob ich nicht doch einmal so oder so das Beichtgeheimniß brechen würde. Da war sie mir schon entschwunden, und ich sah nur noch den neugierig listigen Blick, mit dem die Kammerkatze den Vertrauten ihrer Herrin musterte, ehe sie in die Kajüte hinabglitt.
*
Zehn Minuten später verkündete die Dampferglocke, daß wir Mainz erreicht hatten. Gleich darauf tauchte das breite, sommersprossige Gesicht des jungen Ehemanns aus der Tiefe der Kajütentreppe auf, hinter ihm der blasse Frauenkopf in der Kapuze. Das Zöfchen hatte sich mit dem leichteren Handgepäck ihrer Herrschaft beladen, während der Kellner eifrig das Uebrige nachtrug. Am Landungssteg wartete schon ein Mann in tadellosem schwarzen Anzug, in welchem ich den Courier vermuthete, da er den Hut tief abzog und dann einen Bedienten herbeiwinkte, der schon von fern mit dem Mädchen einen vertraulichen Wink ausgetauscht hatte. Ein eleganter Wagen hielt am Quai, den sofort das Ehepaar bestieg. Ehe er fortrollte, erhob sich die junge Frau noch einmal und blickte nach dem Landungssteg zurück, wo ich, nur auf meine eigene Bedienung angewiesen, noch etwas zu thun gehabt hatte. Ich sah deutlich, wie ihre großen, ruhigen Augen mich grüßten, und zog freundlich winkend den Hut. Dann rollte der Wagen davon.
Das Bild meiner seltsamen Reisegefährtin blieb aber noch lange vor meiner Seele, in jener schwankenden Beleuchtung, die eine widerspruchsvolle Empfindung über die Züge eines Menschengesichts zu verbreiten pflegt. Der naive Cynismus, mit dem sie mir von ihrem Thun und Leiden berichtet hatte, die trockene Sachlichkeit, mit der sie ihr Innerstes entblößte und das Secirmesser an Organe legte, die den meisten ihres Geschlechts nur durch ihre Funktionen bekannt zu sein pflegen, war in demselben Augenblicke abstoßend und anziehend gewesen. Ich glaubte ihr jedes Wort, was ich ihr schon hoch anrechnen mußte nach so manchen verschämteren, aber sichtbar zurechtgemachten Heuchelbekenntnissen weit schönerer Seelen, denen ich begegnet war. Je mehr ich über das ungewöhnliche Naturell dieses Weibes nachdachte, je mehr befestigte sich der Eindruck, daß Alles in ihr mit rechten Dingen zuging, so seltsam sich auch die widerstreitenden Elemente ihres Wesens zusammenfinden mochten. Ich bereute lebhaft, sie nicht im letzten Augenblick noch gebeten zu haben, daß sie mir von ihren ferneren Schicksalen einmal Nachricht geben möge. Daß sich das letzte Kapitel ihrer Memoiren in einem holländischen Tulpengärtchen abspielen würde, konnte ich nun und nimmermehr glauben.
So vergingen einige Jahre, in denen der scharfumrissene Charakterkopf meiner »Märtyrerin« durchaus nicht verblaßte, doch ohne daß ein neuer Zug hinzugekommen wäre. Auch hatte ich mich nie versucht gefühlt, mit eigener Phantasie das Bild zu ergänzen. Wie konnte von psychologischer Consequenz, die eine Dichtung doch verlangt, die Rede sein, bei einer Natur, die einer Disciplin des Herzens nicht unterthan ist und keinem anderen Gebote gehorcht als dem »der ewig beweglichen, immer neuen, seltsamen Tochter Jovis, seinem Schooßkinde der Phantasie«!
Und gut, daß ich die Hand davon ließ. Die Enthüllung der wirklichen Entwicklung, wie sie ein glücklicher Zufall mir offenbarte, hätte die sorgfältigste künstlerische Composition beschämen müssen.
Im Hochsommer des vierten Jahres nach jener Nebelfahrt auf dem Rhein hielt ich mich etliche Wochen in St. Moritz auf, nicht in der besten körperlichen und gemüthlichen Stimmung, um mich in die bunte große Welt zu mischen und an ihren mancherlei Veranstaltungen zur Verscheuchung ihrer Langeweile, kleinen Bällen, Dilettantenconcerten und dem ewigen Crocketspiel Theil zu nehmen. Auch die Ankündigung eines Flötenconcerts, das am Abend im Kurhause stattfinden sollte, lockte mich nicht. Der Virtuos, ein Franzose, hatte schon in den andern Hôtels mit vielem Beifall sich hören lassen. Doch da er mit seinem Instrument das ganze Programm allein ausfüllte, gedachte ich jenes alten Scherzwortes: Was ist langweiliger als eine Flöte? – Zwei Flöten! – und wollte eben, da das Publikum sich zu versammeln begann, mich ins Freie flüchten, als einer meiner Bekannten mich festhielt und halb mit Gewalt in den Saal schleppte, da er behauptete, er habe den Mann schon zweimal gehört und komme nun zum dritten Mal, weil sein Spiel in der That etwas Außerordentliches sei und auch seine Frau, die ihn auf dem Flügel begleitete, eine ganz eigene Anziehungskraft ausübe.
Ich ergab mich in mein Schicksal und wir setzten uns in die dritte oder vierte Reihe, während mir mein Gefährte beständig von jenem Musikerpaare vorplauderte, wie rührend es sei, die junge Frau um den blinden Mann bemüht zu sehen, wie sie ihn Morgens zum Brunnen begleite und Nachmittags an die schattigsten Plätze im Wald, und wie man es dem strahlenden Ausdruck seines Gesichts ansehe, daß er in solcher Hut und Pflege die Schwere seines Gebrechens kaum noch empfinde.
Ich hörte nur mit halbem Ohre zu, im Stillen unmuthig, daß ich mich hatte überreden lassen, und entschlossen, mich davonzumachen, sobald mir das süße Getön, das nur im vollen Orchester zu seinem Recht gelangt, auf die Nerven fallen würde. Aber schon der Eintritt des blinden Musikers, den seine schlanke, ganz schwarz gekleidete Frau mit der anmuthigsten Zärtlichkeit an der Hand führte, verwandelte meine Stimmung auf einen Schlag, denn der erste Blick hatte mir gezeigt, daß diese Dame Niemand anders war, als meine wohlbekannte »Märtyrerin«.
Sie war durchaus nicht verändert, seitdem ich sie zuletzt gesehen, ja ich glaube fast, sie trug noch dasselbe Kleid, in welchem sie ihre Hochzeitsreise gemacht hatte. Nur der Mann an ihrer Seite war ein anderer, und auch der Ausdruck ihres Gesichts. Denn wie sie die großen, ruhigen Augen jetzt über den gefüllten Saal schweifen ließ, bemerkte ich statt des kühlen, fast bitteren Zuges ein glückliches Lächeln um ihren Mund, und eine leichte Röthe überflog ihre Wangen, als sie jetzt ihren unbehülflichen Gatten auf das Podium führte, wo er sich mit vollendetem Anstande ins Leere hinein verbeugte. Sie selbst machte keine Verbeugung, als sei sie nur gleichsam die Waffenträgerin eines Helden, der jetzt einen Sieg erkämpfen sollte. Ganz geräuschlos, nachdem sie ihm die Flöte eingehändigt hatte, nahm sie hinter ihm am offenen Flügel Platz und fing sogleich an, mit einigen kräftigen Läufen und Akkorden zu präludiren.
Dann begann er sein Spiel. Ich habe nie ein ähnliches gehört, gewiß kunstvollere, aber keines, das mich so eigenthümlich ergriffen hätte. Aus einer elegisch zarten, kindlich rührenden Cantilene im üblichen Flötenstil entwickelte sich mit wachsender Fülle des Tones ein so männlich klarer und energischer Gesang, der immer kühner und feuriger anschwoll und sich bis zu einer herausfordernden Heftigkeit steigerte, daß man das sentimentale Instrument nicht wiedererkannte und irgend eine Kriegstuba zu hören glaubte. Und doch blieb Alles in den Grenzen edler, charaktervoller Musik, in der sich eben nur das Herausringen einer tapferen Menschenseele aus kleinmüthiger Stimmung zu einer schönen, glücklichen Freiheit und Selbstherrlichkeit auszusprechen schien.
Ich sah auf das Programm. Nr.1, réverie, vom Concertgeber. Ich gestehe, daß mich von allen späteren Stücken, obwohl sie meist berühmte Componistennamen trugen, keines so lebhaft fesselte, wie dieses erste.
Auch der Spieler selbst hatte auf den ersten Blick meine ganze Theilnahme gewonnen.
Eine zartgebaute Gestalt von mittlerer Größe, ein sanftes, fast weibliches Gesicht von schlichtem, blondem Haar umhangen, die umnachteten Augen ohne den traurig gespannten Ausdruck, der Blinden zu eignen pflegt. Sehr schön war die Stirn, von ungewöhnlicher Weiße und Glätte, und während des Spiels konnte ich die Augen nicht wegwenden von den ungemein zarten und schlanken Fingern. Eine solche Erscheinung hätte wohl auch bei geringerer Kunst ein jedes Publikum zu lebhafter Sympathie fortgerissen.
Als das nicht allzulange Programm erledigt war, erhob sich die Klavierspielerin, wartete bescheiden im Hintergrunde, bis der Künstler seine vielfachen Verbeugungen absolvirt hatte, und trat dann leise zu ihm, ihn hinauszuführen. Während sie noch einen letzten Blick in das Publikum warf, hatte sie mich gesehen und auf der Stelle erkannt. Ich sah, daß ihr blasses Gesicht sich leicht röthete, und glaubte einen fast unmerklichen Gruß ihrer Augenwimpern zu gewahren. Hatte ich noch einen Hauch von Zweifel gespürt, ob sie es wirklich sei, so verschwand derselbe nun völlig. Ich erfuhr, daß sich das Paar in einem sehr bescheidenen kleinen Gasthof oben im Dorfe niedergelassen habe. Sie dort noch heut Abend aufzusuchen, schien mir nicht wohlgethan, da das Gesicht des Mannes während des letzten Stücks eine gewisse Abspannung verrathen hatte. Doch nahm ich mir vor, morgen früh zu versuchen, ob ich das Recht der alten Bekanntschaft geltend machen könne, und ob sie geneigt sein möchte, mir die Fortsetzung ihres Lebensromans anzuvertrauen, die wahrhaftig einem unerwartet frühen Schlußkapitel ähnlich sah.
In solchen Gedanken ging ich, meine Cigarre rauchend, auf dem dunklen Platz vor dem Kurhause auf und ab, wo trotz der balsamischen Nachtkühle und der überschwänglichen Sternenpracht kaum noch eine Menschengestalt sich regte, als ich plötzlich hinter mir rasche weibliche Tritte hörte und mich umwendend Diejenige erblickte, mit der meine Gedanken sich beschäftigt hatten.
Sie war in das seidene Mäntelchen eingehüllt, wie an jenem Nebeltage, und hatte wieder das Kapuzchen über den Kopf gezogen. Da sie sah, daß ich ihren Anzug musterte, lächelte sie und sagte:
Kennen Sie ihn noch wieder? Es ist derselbe Regenmantel, nur etwas gealtert, und auch dasselbe Beichtkind, das Sie damals so gütig absolvirt haben, nur so seltsam umgewandelt, daß sie sich oft selbst kaum wiedererkennt. Ich habe Sie noch aufsuchen müssen und bin so froh, Sie gleich gefunden zu haben. Morgen gehen wir fort, es ist eine gar zu hübsche Fügung, daß ich Ihnen hier wieder begegnen sollte. Mein Mann läßt Sie grüßen, er ist immer sehr ermüdet, wenn er gespielt hat, und muß sich vor Erkältung hüten. Er weiß aber, daß ich Sie noch sprechen wollte, und hat gar nichts dagegen. Da er blind ist, muß er mir auch blindlings vertrauen, das ist der Vorzug seines Gebrechens. Wie könnte auch ein Blinder, der eifersüchtig wäre, nur einen einzigen Tag überleben? Und was wäre für ein Reiz dabei, selbst für die Verworfenste, einen Mann, der sie nicht bewachen kann, zu betrügen? Wenn man ihn vollends liebt –
Aber setzen Sie nur Ihren Abendspaziergang fort. Bewegung thut mir gut nach dem langen Spiel, und ich begleite Sie ein Weilchen. Was haben Sie nur gedacht, als Sie mich plötzlich hier auftreten sahen, in so bescheidenen Verhältnissen, ohne Kammerjungfer, Courier und holländischen Nabob als Schatten? Die Abenteurerin! So hat sie's doch nicht auf die Länge ausgehalten und sich von dem Wirbelwind ihrer Phantasie hier herauftragen lassen in Gesellschaft eines fahrenden Musikanten, der so wenig ihr legitimer Gatte ist, wie vielleicht jener photographirende Weltumsegler es war! Gestehen Sie nur, etwas Aehnliches haben Sie gedacht, und ich könnte es Ihnen nicht übel nehmen. Diesmal aber hat Ihr prophetisches Gemüth Sie doch getäuscht. Ich bin wirklich die rechtmäßige Frau dieses armen Blinden, wie ich die angetraute Gattin des Amsterdamer Muttersöhnchens war. Aber dieser Schicksalswechsel hat sich diesmal ohne Einmischung meines Dämons vollzogen, und da Sie wissen, daß ich meiner Phantasie so viel Arges zu danken hatte, wird es Sie auch nicht wundern. daß sie bei all meinen späteren Erlebnissen gar nicht mehr zu Wort gekommen ist.
Einmal freilich hat sie sich noch einmischen wollen und zwar so, daß sie mich ums Haar zum allerdümmsten Streich meines ganzen Lebens verführt hätte. Da rettete mich aber zum Glück noch in der letzten Stunde eine höhere Macht, deren Vorhandensein ich bis dahin nie gespürt hatte. Denken Sie nur, ich bemerkte, daß ich wirklich ein Herz hatte, wenn es auch ziemlich verkümmert und unbeholfen war. Aber seitdem hat es sich doch ein wenig herausgemacht und kann sich jetzt neben manchem anderen, das eine normale Bildung genossen hat, mit Ehren sehen lassen.
Dies Wunder geschah in Konstantinopel. Von Mainz bis dahin zu gelangen, hatten wir Jahr und Tag gebraucht, da es unterwegs gar zu viel zu photographiren gegeben hatte. Süddeutschland, Tirol, Salzkammergut, Ungarn – Sie begreifen, daß wir einen Riesenkoffer voll pittoresker Landschaftsbilder mit uns führten, als wir endlich in Konstantinopel Halt machten, um dort den Winter zuzubringen.
Sei es aber, daß die angestrengte Arbeit meinen armen Mann erschöpft hatte, oder war seine Lebensweise, die er trotz des andern Klimas nicht änderte, seine Neigung zu schweren Weinen daran Schuld, kurz, er erlitt bald nach unserer Ankunft einen leichten Schlaganfall. Vielleicht hätte er ihn bei seiner Jugend noch einmal überwunden, wenn er zur Mäßigung im Photographiren und Trinken zu bewegen gewesen wäre. Doch kaum war er wieder aufgestanden und hatte von dem Anfall nur eine etwas schwere Zunge behalten, so begann er wieder das Leben im alten maßlosen Stil zu treiben, so daß eine Wiederholung des Schlages, diesmal bis in den Sitz des Lebens hinein, unausbleiblich war.
Obwohl ich ihn nie geliebt hatte, war ich ihm doch eine treue Pflegerin, und da er endlich sein bischen Geist aufgab, empfand ich wirklich so etwas wie einen Verlust, eine Lücke in meinem nun wieder ganz halt- und ziellosen Leben. Ich hatte zwar meine Freiheit wiedergewonnen. Aber nicht einmal die Mittel, sie nach Willkür mir zu Nutze zu machen, waren mir geblieben.
Denn noch an demselben Tage, wo mein armer Mann die Augen schloß, verschwand jener Courier, auf den er sein volles Vertrauen gesetzt, dem er mehr und mehr alles Geschäftliche, auch den brieflichen Verkehr mit seinem Bankier überlassen hatte. Mir war der Mensch mit seiner geschmeidigen Unterwürfigkeit stets verdächtig gewesen. Doch hatte ich ihn höchstens im Verdacht bedeutender Unterschlagungen, über die wir bei unserm Reichthum uns trösten konnten. Jetzt aber erkannte ich zu spät, in welchen Händen wir gewesen waren. Der Mensch war nicht nur mit unserer Reisekasse durchgegangen, sondern hatte, das Siegel und die Unterschrift seines Herrn mißbrauchend, auch dafür gesorgt, daß fast unser ganzes Vermögen aus dem Bankhause, wo es deponirt war, in seine Hände übergegangen war, da er vorgegeben hatte, es solle in türkischen und ungarischen Werthen angelegt werden.
Dies erfuhr ich, da ich mich, nachdem das Begräbniß die letzten Mittel verschlungen hatte, nach Amsterdam wendete, um das Geld zur Rückreise zu erhalten. Ein Brief an meine Schwiegermutter, der ich meine Lage schilderte, blieb unbeantwortet. Bekannte und Gönner hatte ich nicht in der wildfremden Stadt, da wir ganz für uns gelebt hatten. So war ich denn ärmer als meine Kammerjungfer, die in meinem Dienst ein hübsches Sümmchen zusammengescharrt hatte, und mußte mir die Demüthigung gefallen lassen, daß die schlaue Person, als ich sie entließ, mir ein Darlehen anbot, was ich natürlich mit einem kaltblütigen Achselzucken zurückwies.
Entmuthigt aber, niedergeschlagen und um den Schlaf gebracht hatte mich diese Tücke des Schicksals keineswegs. Sofort trat meine alte Trösterin, die Phantasie zu mir und erbat sich, statt eines Auswegs aus meiner mißlichen Lage mir hundert anzuzeigen. Ich traute ihr aber nicht mehr, und mit gutem Grunde. Statt mich mit abenteuerlichen Plänen ernstlicher zu beschäftigen, ließ ich mich eine Weile gedankenlos treiben und dachte: wenn ich mein letztes Armband und meine Perlenohrringe verkauft haben werde, ist immer noch Zeit, irgend etwas zu ersinnen, was mich über Wasser halten kann.
Diese Zeit jedoch näherte sich unaufhaltsam. Eines schönen Frühlingsmorgens stand ich auf dem Balcon meines Hôtels und sah in die enge, menschenwimmelnde Gasse hinab, nicht gerade in desperater Stimmung, doch immerhin nachdenklich. Der Kellner hatte mir die letzte Monatsrechnung gebracht. Wenn ich einen großen Diamanten, den ich am Finger trug, zu Gelde machte, blieb mir gerade noch soviel übrig, um einen weiteren Monat hier darauf zu warten, ob ein günstiger Wind heranwehen und mein festgefahrenes Lebensschiffchen wieder flott machen möchte.
Indem ich so über dem Balcongeländer lehnte und mit einem Jasminzweig spielte, entstand unten eine lebhafte Bewegung, und ich merkte, daß man ein ungewöhnlicheres Schauspiel erwartete. Nicht lange, so kam ein glänzender Zug reichgekleideter Berittener daher, der Großherr selbst in ihrer Mitte auf einem schönen, goldgezäumtem Schimmel mit einer gold- und edelsteinblitzenden Suite. Ich hatte den Herrn noch nie gesehen und betrachtete ihn mit neugierigem Interesse, doch ohne mir etwas dabei zu denken. Indem er aber meinem Balcon sich näherte, schlug er plötzlich die Augen langsam zu mir auf, und unsere Blicke trafen sich wohl zehn Secunden lang. Ein eigenes Gefühl übermannte mich. In meiner Verwirrung, und da ich es peinlich empfand, mich wie eine Bildsäule anstarren zu lassen, hob ich, als er dicht unter mir angelangt war, die Hand und ließ mein Jasminzweiglein fallen, das gerade vor ihm auf dem Sattelknopf niedersank. Sofort hatte er es gehascht, bewegte es mit einem leichten, vertraulichen Gruß gegen mich und ritt dann die Straße weiter.
Kaum war er mir entschwunden, so hatte ich eine heftige Anfechtung meines alten Dämons zu bestehen. Du hast ihm offenbar gefallen, raunte er mir zu. Hier könntest du nun dein Glück machen und etwas ganz Unerhörtes erleben. Er wird ohne Zweifel bald durch dieselbe Straße zurückkehren. Mach noch ein wenig Toilette und vollende deine Eroberung. Wer weiß, was daraus wird.
Ich hörte diese Einflüsterungen meiner leichtsinnigen Phantasie mit Herzklopfen an, aber ich hatte doch Vernunft genug, die Schwätzerin zum Schweigen zu bringen. Nur den Platz auf dem Balcon verließ ich nicht, doch mit dem festen Vorsatz, wenn der Großherr wirklich wieder vorbeikäme, ihm durch ein kaltes, hochmüthiges Gesicht jede Hoffnung zu benehmen.
Als ich mehrere Stunden umsonst gewartet hatte, fühlte ich, zugleich mit einer kleinen Kränkung meiner Eitelkeit, gleichwohl eine Erleichterung, daß mir die Probe, die ich vielleicht nicht bestanden haben würde, erspart worden war.
Wie aber erstaunte ich, als am Nachmittag, da ich eben mein bescheidenes Mahl auf meinem Zimmer verzehrte, ein Diener aus dem Serail bei mir eintrat und in gebrochenem Französisch eine Botschaft an mich ausrichtete, die auf nichts Geringeres hinauslief, als auf die Anfrage, ob ich geneigt wäre, in dem Harem seines kaiserlichen Herrn eine meiner Schönheit und Bildung angemessene Stelle einzunehmen.
Statt aller Antwort lachte ich dem Menschen zuerst gerade ins Gesicht. Als aber die glatte Kupplerlarve ganz ernsthaft blieb, wurde auch ich nachdenklich. Daß der flüchtige Traum meiner Phantasie sich, wenn ich nur wollte, verwirklichen könne, natürlich nur wieder zu meinem Unheil, erfüllte mich mit einem gewissen Entsetzen, das aber den Reiz hatte, wie wenn man eingeladen wird, einen Luftballon zu besteigen, und zwischen Furcht und Waghalsigkeit hin und her schwankt. Als der Abgesandte ehrfurchtsvoll schwieg und mein Lachen nicht für einen Bescheid zu nehmen schien, faßte ich mich und erwiderte, ich wisse die mir angetragene hohe Ehre zu schätzen, doch sei mir meine Freiheit zu theuer, um sie gegen ungewisse Vortheile und Annehmlichkeiten hinzugeben. Der Mann aber ließ sich nicht abspeisen. Er gab mir zu verstehen, es sei dem hohen Herrn mit seinem Antrage voller Ernst, und er werde einen so leicht geflochtenen Korb nicht gelassen einstecken. Bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt! klang ans seiner gewundenen Rede heraus, so daß ich es gerathen fand, vorläufig um Zeit zu gewinnen, mich auf Unterhandlungen einzulassen. Ich könne mich höchstens zu einem Versuch verstehen. Da ich von dem Leben im Harem keine Vorstellung hätte, die Person des Großherrn mir ganz unbekannt und es im Abendlande nicht Sitte sei, daß une femme, qui se respecte, sich blindlings verkaufe, so müsse ich, falls ich überhaupt einwilligte, die sicherste Bürgschaft dafür erhalten, daß ich nach überstandenem Noviziat, falls es mir nicht behage, meine Freiheit zurückerlangen könne.
Alle weiteren Einwendungen schnitt ich entschieden ab, und der diplomatische Unterhändler verließ mich endlich, mit dem Bemerken, daß er den Erfolg seiner Mission berichten und am andern Tage die Antwort überbringen werde.
Als ich mich allein sah, wirbelte mir freilich der Kopf, und in demselben Augenblicke, wo ich mir sagte, daß ich das verächtlichste Geschöpf von der Welt wäre, wenn ich auf diesen schnöden Menschenhandel einginge, umgaukelten mich doch auch abenteuerliche Bilder aus tausend und einer Nacht, und alte Anekdoten kamen mir ins Gedächtniß, in denen europäische Damen eine glänzende Rolle gespielt hatten, da sie sich eines Sultansherzens ausschließlich bemächtigt und sich zur Alleinherrscherin des Herrschers aller Gläubigen aufgeschwungen hatten.
Nachdem ich mich aber eine Stunde von guten und bösen Geistern hatte hin und her zerren lassen, schmerzte mir der Kopf so heftig, daß ich, ohne noch zu einer Entscheidung gelangt zu sein, mich ins Freie hinausflüchtete. Als ich den schattigen Hof meines Hôtels betrat, durch den ich auf die Straße gelangen wollte, sah ich einen jüngeren Mann mit langsamen, tastenden Schritten an der Mauer hingehen, wie wenn auch er den Ausgang suche, und erkannte sofort, daß es der blinde französische Flötenspieler war, der vor etlichen Tagen angekommen und seitdem still auf seinem Zimmer geblieben war. Seine Hülflosigkeit rührte mich, sein feines, gutes Gesicht zog mich an. Ich näherte mich ihm und fragte, ob ich ihm irgend einen Dienst leisten könne. Da verklärten sich seine melancholischen Züge, er drückte mir lebhaft die Hand und erzählte mir, sein Reisegefährte, sein Klavierspieler, mit dem er hier zu concertiren gehofft, sei plötzlich nach Paris berufen worden, wo sein Vater im Sterben liege. Er habe noch so weit für ihn gesorgt, daß er ihm einen türkischen Knaben gemiethet, um ihn zu bedienen und auf seinen Ausgängen zu führen, bis er selbst zurückkehren werde. Der Knabe aber, nachdem er ihn hier in den Hof gebracht, um etwas Luft zu genießen, sei fortgelaufen und habe ihn schon seit Stunden allein gelassen. Nun habe er sich in sein Zimmer zurücktasten wollen, würde es aber ohne meine freundliche Hülfe schwerlich gefunden haben.
So nahm er meinen Arm, ich führte ihn in sein Zimmerchen, das schlechteste und verwahrlos'teste im ganzen Hause, und da ich sah, daß meine Unterhaltung ihm wohlthat, ließ ich mich gern bewegen, auf seinem zerrissenen Divan Platz zu nehmen, während er vor mir stehen blieb und mit dem liebenswürdigsten Vertrauen mir von seinen Schicksalen erzählte, seiner Erblindung im fünfzehnten Jahre bei Gelegenheit einer Feuersbrunst, die auch den Wohlstand seiner Eltern vernichtet hatte, seinen Kämpfen um eine Existenz, und wie er endlich, da er sich mit Eifer der Musik gewidmet, nicht nur seinen bescheidenen Unterhalt, sondern auch die Ruhe seines Gemüthes wiedererlangt habe. Ich bat ihn, mir etwas vorzuspielen, und er ließ mich nicht lange bitten. Sie haben ihn gehört und können daher begreifen, wie mir sein Spiel zu Herzen ging, zumal in meiner eigenen aufgeregten Stimmung und in jener elenden Umgebung. Er entschuldigte sich aber noch mit der mangelhaften Resonanz des Zimmers und dem Fehlen der Klavierbegleitung. Ich sagte, daß ich ihn gern accompagniren würde, wenn nur ein Instrument im Hause wäre. Das ergriff er mit Begierde. Wenn es auch heute schon zu spät sei, wolle er morgen dafür Sorge tragen und jedenfalls ein Klavier miethen, um dann gleich mit mir ein kleines Concert zu veranstalten. Morgens! sagt' ich mit einem Seufzer. Gott weiß, was morgen aus mir werden wird! – und erzählte ihm nun mein Abenteuer mit dem Großherrn, in der Meinung, ihn dadurch zu belustigen. Aber sein Gesicht erhielt den Ausdruck des höchsten Entsetzens. Sie sind verloren, Madame, rief er. Sie kennen die hiesigen Zustände nicht und wissen nicht, was eine Laune des Sultans bedeutet. Wenn er auch all Ihre Bedingungen bewilligt, hernach wird er einzig nach seinem Belieben mit Ihnen verfahren und nicht daran denken, Sie wieder freizugeben. Ich beschwöre Sie, fliehen Sie, so rasch Sie können – wenn Sie sich nicht dazu gemacht fühlen, eine richtige Haremsfrau zu werden. Das aber – nein, das kann ich nicht von Ihnen glauben. Ihre Stimme, Ihr edles Betragen gegen einen fremden Unglücklichen – Sie sind tausendmal zu gut für einen Sklavendienst, wie er hier von Ihnen gefordert und durch allen Prunk und Glanz eines Sultansweibes nicht aufgewogen wird.
Er hatte meine Hand ergriffen und bedeckte sie mit Küssen. Wir waren uns in der kurzen Zeit so nahe gekommen, wie sich nur zwei treue Geschwister zu einander fühlen können. Um es kurz zu machen: er überzeugte mich so völlig von der Gefahr, in der ich schwebte, daß ich am andern Morgen, ohne den diplomatischen Botschafter aus dem Serail abzuwarten, einen Dampfer bestieg, der nach Brindisi fahren sollte, und mein morgenländisches Märchen am goldenen Horn ohne Kummer zurückließ. An meinem Arm aber führte ich meinen guten Engel, der mir aus dieser Noth geholfen, und der nun nicht mehr von meiner Seite weichen sollte. Denn schon an Bord des Schiffes gestanden wir uns, daß wir für einander leben wollten, und da wir gelandet waren, wurde der Bund in aller Stille eingesegnet.
Diesmal hatte die Phantasie nicht den mindesten Antheil an dem, was ich that. Ich versprach mir keine großen Herrlichkeiten von dieser Ehe; wir waren Beide gleich arm, und das Leben eines wandernden Musikanten pflegt kein sorgenfreies zu sein, wenn er keine europäische Berühmtheit und sein Instrument – die Flöte ist. Auch hatten wir Anfangs harte Zeiten zu bestehen, da die Concerte im Sommer nicht viel einbrachten und ein Fieber meinen lieben Mann monatelang nicht verließ. Aber glauben Sie mir: nie kam mir der Gedanke, daß ich das Märtyrerthum der Phantasie mit einem Märtyrerthum des Herzens vertauscht hätte. Ein Herz, das wahrhaft liebt, kennt keine anderen Qualen, als sich nicht wiedergeliebt zu sehen. Davor war ich sicher. Und wie wundersam mir war, nun zu fühlen, daß die Mächte, die mich früher beherrscht hatten, ihr Spiel verloren gaben, daß ich nun in der That zu mir selbst gekommen war, nicht mehr »an ewigem Wandern«, daß ein dunkler Kern in mir steckte, aus dem es wie eine warme Quelle hervorbrach und meine dürren Triebe und Kräfte, die sich ins Leere und Abenteuerliche hinausgerankt hatten, auf einmal mit Lebens- und Liebeswonne durchrieselte. Sie lächeln, Sie fürchten, ich möchte mich – auf meine alten Tage – noch der Lyrik ergeben. Seien Sie ruhig. Alles was an Poesie in mir ist, höre ich erklingen, wenn ich meinen Mann spielen höre. Ist es nicht wundervoll, was er aus dem armen Holz zu machen weiß? Wenn er zu phantasiren anfängt, dann wird es in mir ganz still. Ich komme mir dann vor wie ein kleines Kind, das im Arm der Liebe sanft geschaukelt einschläft.
Und Ihnen das zu sagen, drängte mich mein Herz, da ich Sie heut unter unserm Publikum erkannt hatte. Wir gehen morgen fort. Der Himmel weiß, ob ich Ihnen noch einmal wieder begegnen werde. Das aber weiß ich bestimmt: wo und wann es auch sein möge, ich werde Ihnen nichts Interessantes mehr zu berichten haben. Denn mein einziger Ehrgeiz geht darauf hin, für alle Zukunft eine jener guten und glücklichen Frauen zu bleiben, von denen man Nichts zu sagen weiß.
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Buchdruckerei von Gustav Schade (Otto Francke) in Berlin N.
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