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(1874.)
Sempre i codardi e l'alme
Ingenerosse, abbiette
Ebbi in despregio.
Leopardi.
Lieb war mir immer dieser kahle Hügel
Und diese Hecke, die dem Blick so Viel
Vom fernsten Horizont zu schau'n verwehrt.
Und wenn ich sitz' und um mich blicke, träum' ich,
Endlose Weiten, übermenschlich Schweigen
Und allertiefste Ruhe herrsche dort
Jenseits der niedern Schranke, und das Herz
Erschauert mir vor Grau'n. Und hör' ich dann
Den Wind erbrausen im Gezweig, vergleich' ich
Die grenzenlose Stille dort, und hier
Die laute Stimme; und des Ew'gen denk' ich,
Der todten Zeiten und der gegenwärt'gen
Lebend'gen, und wie ihre Stimme klingt.
Im uferlosen All versinkt mein Geist,
Und süß ist mir's, in diesem Meer zu scheitern!
Er hatte diese Verse in ein kleines Taschenbuch geschrieben, das auf seinen Knieen lag, in Einem Zuge, ohne ein Wort auszustreichen, wie er es sonst fast in jeder Zeile pflegte. Denn nie that er sich genug, so verwöhnt war sein Ohr, so empfindlich sein innerer Sinn gegen jede Fälschung seines Gedankens durch hastig aufgegriffene Worte. Wie er aber jetzt das Geschriebene sich laut wieder vorlas, schien es ihm Alles zu sagen, was er fühlte. Das Büchlein glitt ihm aus der Hand. Er lehnte sich gegen den Hügel zurück, legte die Arme unter den Kopf und richtete die Augen gegen den stahlblauen, wolkenlosen Himmel. Das Rauschen in den Bäumen über ihm wurde still, Nichts erklang mehr in der weiten Runde, als das scharfe, schrillende Lied der Grillen und dann und wann ein Rascheln durch bröckelndes Gestein und dürres Gras, wenn eine der zahllosen Eidechsen, die hier in der Oede wohnen, sich nah heranwagte, um den Fremdling mit ihren blanken Augen neugierig zu betrachten.
Er war der Neugier wohl werth, auch in den Augen weiserer Geschöpfe. War er jung oder alt? häßlich oder schön? schlaftrunken oder wach? War die Helle dieser großen, ruhigen blauen Augen ein Wiederschein des Aethers oder eines wolkenlosen Herzens?
Kein Lächeln glitt über das blasse Gesicht und den wie dürstend halbgeöffneten Mund. Die Augen lagen tief unter den feinen Bogen. Darüber wölbte sich eine mächtige Stirn, von keiner Falte gefurcht, der Spur mühseligen Denkens; als sei in diesem edlen Hause des Geistes nie Streit gewesen über das, was Geringere nur mit Kampf und Sorgen ins Klare bringen. Nur die eingesunkenen Wangen und ein leises Zucken der Augenlider verrieth die beständige Gegenwart großer Leiden.
E il naufragar m'è dolce in questo mare! sagte er leise vor sich hin, und jetzt ging ein schwermüthiges Lächeln über die bleichen Lippen, und ein Seufzer hob seine Brust. Er genoß die Wonne, die es immer gewährt, wenn man die Fülle der Empfindungen, die ein augenblicklicher Zustand erregt, in ein ewiges Wort zu fassen vermocht hat.
Glockenton drang aus der Ferne zu ihm herüber. Er schloß die Augen, wie um abzuwarten, ob diese Klänge, die ihm aus der Kindheit vertraut waren, sein waches Bewußtsein einlullen würden. Die Sage fiel ihm ein von dem Schiffer, der nah am Strande versunken ist und nun unten bei der Meerfrau wohnt, und wenn Sonntags die Kirchenglocken läuten, fühlt er ein Heimweh nach seiner armen Oberwelt, deren Erinnerung ihm alle unsterblichen Freuden der Tiefe nicht auslöschen können. Ein bitterer Zug strafte dieses Märchen Lügen. Ihn zog Nichts dahin zurück, wo die Glocken das Ave Maria einläuteten; kein Heimweh nach der Heimath; kein Verlangen, seine kühle Tiefe wieder mit den Wohnungen der Menschen zu vertauschen.
Das Geläute war verstummt. Der Schatten, den die niedrige Hecke warf, reckte sich länger und länger und wuchs ihm schon über die Kniee hinauf. Eine kühlere Luft fing an durch die Büsche und um die nackten Klippen dieser Höhe zu wehen, und die Glieder des Ruhenden überlief ein leichtes Frösteln. Langsam stand er auf, drückte den Hut in die Stirn und kletterte den steinigen Abhang hinunter, wobei er oft stehen blieb, als würde jeder Schritt ihm sauer, oder als koste es ihn immer neue Ueberwindung, den Heimweg einzuschlagen.
Man konnte nun sehen, wie stiefmütterlich die Natur diesen ihren Sohn, der sich so innig an ihre Brust drängte, mit leiblichen Gaben ausgestattet hatte. Seine Gestalt war klein und verbildet, der Rücken verkrümmt, der große Kopf erschien zu schwer für den dürftigen Körper. Wie er matt und mühsam hinwankte, manchmal den Schweiß von der hohen Stirn wischend, zuweilen auf einem Steine rastend, hätte man ihn für einen eben von schwerer Krankheit Genesenen gehalten, der den ersten Ausgang gewagt und seine Kräfte noch überschätzt habe.
Als er die Straße erreicht hatte, die auf der Höhe des Gebirges hinläuft, breit genug, daß Ochsengespanne die beladenen Wagen nach der Stadt ziehen können, ging er noch langsamer, obwohl ihm der ebene Weg minder beschwerlich sein mußte. Vor sich, etwa noch eine halbe Stunde entfernt, sah er die weißen Häuser und grauen Dächer seiner Geburtsstadt Recanati herüberwinken, ein Anblick, der ihm jedesmal das Herz zusammenschnürte. Denn obwohl dort seine Eltern und die Geschwister wohnten, an denen er mit lebhafter Zärtlichkeit hing, sah er diese Stadt dennoch als die Quelle all seiner Leiden an, ihre feuchte, scharfe Luft als die Ursache seiner Krankheit, ihre Bewohner als die Urbilder aller unmenschlichen und empörenden Eigenschaften, die ihn die Menschenwelt hassen und schon den Knaben die Gesellschaft der Bücher suchen gelehrt hatten.
Er hemmte unwillkürlich den Schritt, als er das alte Bergnest drüben in der Abendsonne liegen sah. Wieder in den Kerker zurück! schien der düstere Ausdruck seines Auges zu sagen. Drüben, zu seiner Linken, leuchtete das ferne Meer mit einem dunkelblauen Streif herauf; die hohe Kette des Appennin streckte sich vor ihm aus gegen Süden; hier in der herrlichen Höhe –: wie war es nur möglich, daß so viel kleiner, engherziger Sinn, so dumpfe Beschränktheit, so allem Ewigen abgekehrte Armseligkeit wuchern und mit tausend zähen Ranken eine freigeborene Brust umstricken konnten, daß ihr die Lust zum Athmen verging!
Schon mehr als Einmal hatte er sich loszuwinden gesucht. Sobald er den scheuen, trotzigen Knabenjahren entwachsen war, in denen er lieber das Unerträgliche duldete, als daß er den Vater, der sein Wesen verkannte, mit einer Bitte anging, hatte er sich aufgemacht in die Welt, die er bisher nur im Duft der Abend- und Morgenröthe von dem einsamen Fenster aus mit seiner Sehnsucht durchschweift hatte. Nach Rom war er gegangen. So jung er war, klang doch sein Name den besten Männern seines Landes nicht mehr fremd. Man wußte, daß Wenige so tief wie er in den Schacht hellenischer und römischer Bildung hinabgestiegen waren, daß in einem Alter, wo Andere auf der Schulbank widerwillig Silben stammeln und Sätze zusammenstoppeln, dieser einsame Knabe Räthsel der Wissenschaft gelös't hatte, die den Meistern zu rathen aufgegeben. Ohne Lehrer hatte er außer den alten Sprachen Französisch, Englisch, Spanisch gelernt und mit den Juden in Ancona hebräische Gespräche geführt. Freilich war die Bibliothek seines Vaters, der sich selbst für einen Gelehrten hielt, die reichste in der Provinz, und der alte Graf Leopardi öffnete sie für Jedermann; aber Niemand betrat sie je, außer dem Sohne, der sich mit ihren Schätzen gegen den Andrang aller Jugendsehnsucht, aller versagten Lebensfreuden verschanzte. Denn früh schon hatte eine geheime Stimme ihm zugeraunt: das Schicksal, das du fromm und vertrauend anflehst, giebt dir statt des Brodes einen Stein, statt des Glückes Weisheit, und auch diese ist hart und bitter.
Er dachte, nur der Ort sei daran Schuld. Er sollte in Rom lernen, daß er sein Schicksal überall mit sich trug. Was war ihm der Ruhm, dessen Glanz ihn zu trösten versprach? Eine Fackel, die nur ihn und seine Leiden Anderen sichtbar machte, sein Herz aber nicht wärmte, seinen Geist nicht erleuchtete. Er wandte sich enttäuscht hinweg und flüchtete unter das väterliche Dach zurück, wo er wenigstens nichts Liebliches sah, das ihm seinen elenden Körper zwiefach mitleidswürdig erscheinen ließ, wo er in der Abgeschiedenheit sich für einen Gestorbenen halten durfte, der mit den Schatten großer Todten auf der Asphodeloswiese Zwiesprach halten und das trügerische Glück Derer, die im Lichte wandeln, verwünschen konnte.
Und doch war er noch allzu jung, um für immer in seiner lebendigen Gruft auszudauern. Auch scheuchten ihn die rauhen Winter aus dem Gebirge wieder in die mildere Luft von Florenz und Pisa hinab, wo seine beklommene Brust leichter athmete und ein feineres Geschlecht auf Stunden und Tage seinen Geist für die Entsagung entschädigte, in welcher sein Herz und seine Sinne schmachten mußten. Eine feurigere Seele, ein heißeres Bedürfniß nach Schönheit, ein heftigeres Verlangen nach erwiederter Leidenschaft war nie in eine athmende Brust gesenkt worden. Und nun begegnete dies suchende Auge überall, wo es auf einer reizenden Gestalt ruhte, einem unverhohlenen Befremden, in hundert Fällen dem offenbaren Hohn, denn gesunde Jugend pflegt grausam zu sein, im besten Fall einem Mitleiden, das weher that, als der Hohn, da es aus einer liebenswürdigeren Seele stammte.
Er hätte auch das ertragen und zuletzt sich gewöhnt, Athmen und Denken für eine Gunst des Himmels zu halten, die noch immer der Mühe werth sei. Aber auch diese karge Wohlthat ward ihm beschränkt durch die Unfreiheit, sich den Ort zu wählen, wo er am schmerzlosesten hätte athmen und denken können.
Sein Vater, der Graf Monaldo Leopardi, war ein Landedelmann in herabgekommenen Verhältnissen, die gerade nur ausreichten, den Schein eines standesmäßigen Behagens zu retten, wenn die fünf zum Theil schon erwachsenen Kinder fortfuhren, die Füße unter den Tisch des Hauses zu strecken, und sich begnügten, nur in dem armseligen Recanati die Vornehmen zu spielen.
Aber seine Söhne in die Welt zu schicken, auch wenn sie, wie der älteste Giacomo, durchaus nicht den Ehrgeiz hatten, an den Höfen zu glänzen, sondern nur mit Gelehrten und Dichtern Verkehr zu pflegen, dazu war Graf Leopardi zu arm; und mußten nicht auch für die Mitgift der Tochter Paolina die Mittel zusammengehalten werden?
Gleichwohl liebte er von seinen Kindern keines so sehr, wie diesen Giacomo, auf keines war er so stolz, wenn ihm auch das innere Leben von keinem der übrigen so fremd war, wie das Gemüth dieses unglücklichen Knaben. Er fehlte ihm, sobald er den Fuß aus dem Vaterhause gesetzt hatte. Mit Ungeduld erwartete er seine Briefe und beklagte sich lebhaft, wenn sie nicht von Versicherungen ehrfurchtsvoller Zärtlichkeit überflossen, über die Kälte des Sohnes. Er hatte nur selten Grund dazu; denn auch der Sohn liebte diesen Vater, dem er so wenig glich, der ihn in ewiger Unmündigkeit an seiner Seite halten wollte, damit er ihm Alles verdanken, ihn um Alles, was er brauchte und wünschte, bitten sollte. Nie bat ihn der Sohn um etwas Anderes, als um Bücher. Und nur die bitterste Noth konnte ihn einmal dahin bringen, von Florenz aus an den Vater zu schreiben:
»Ich weiß nicht, ob die Verhältnisse der Familie Ihnen gestatten werden, mir eine kleine monatliche Rente von zwölf Scudi zu gewähren. Mit zwölf Scudi kann man nicht einmal in Florenz, wo man billiger lebt als irgendwo, wie ein Mensch leben. Aber ich verlange auch gar nicht, wie ein Mensch zu leben. Lieber wäre mir freilich der Tod; aber den Tod muß man von Gott erwarten.«
Der Vater gewährte die Bitte. Was noch dazu fehlte, um, wenn auch nicht »wie ein Mensch«, doch ohne zu erröthen das theure Leben hinzuschleppen, mußte der karge Ertrag von Arbeiten bringen, deren Werth nur die vornehmsten Geister der Nation zu würdigen vermochten. Und doch ertrug er dies mühselige und beladene Dasein in der Ferne leichter, als in der unwirthlichen Luft der Heimath, in die er immer wieder zurück mußte, getrieben vom Gefühl der Pflicht gegen die alten Eltern und von der brüderlichsten Neigung zu den Geschwistern, die Alles thaten, was sie konnten, ihm sein Loos minder hart zu machen.
Auch im Jahre 1825 war er wieder nach Hause gekommen, ein wenig erfrischt und gehoben durch den Beifall, den seine ersten zehn Canzonen überall in Italien gefunden hatten. Sie waren im Jahre vorher in Bologna erschienen. Die gewichtigsten Stimmen hatten den siebenundzwanzigjährigen Poeten beglückwünscht. Er fing an, eine Zukunft zu hoffen, die ihm wenigstens seine äußerlichen Sorgen erleichtern würde. Durch alle Leiden hindurch folgte ihm das Bewußtsein, daß er nicht umsonst gelitten habe, daß er seinem Lande, an dem er mit leidenschaftlicher Liebe hing, ans Herz wachsen sollte, wie nur die Größten und Besten der alten Zeit. Eine Art Waffenstillstand seines kämpfenden Lebens war eingetreten; er kam zu den Seinigen, um sie diese seltene Ruhezeit seines Unglücks mitgenießen zu lassen.
Wie anders fand er es, als er geträumt!
Von den vier Exemplaren seiner Canzonen, die den Weg nach Recanati gefunden hatten, waren zwei in die Hände der Geistlichkeit gerathen, die in diesen Blättern einen Geist der Auflehnung gegen alle kirchliche Autorität, eine bittere Verachtung ihres Trostes, eine Ansicht der Welt und ihres Schöpfers witterte, die zu den Wiegenliedern von einer gütigen Vorsehung in grellem Widerspruche stand. Der alte Graf, anfangs arglos, da er die heidnische Gesinnung des Sohnes für nichts Schlimmeres hielt, als einen dichterischen Nachklang seiner klassischen Studien, hatte sich den Vorstellungen seines Seelsorgers nicht verschließen können und es für seine Pflicht gehalten, den Heimkehrenden ins Gebet zu nehmen. Mit aller Schonung, wie sie dem von Vorurtheilen eingeengten Vater gegenüber geboten war, hatte der Sohn seine Sache geführt. Es war wieder zu einem leidlichen Einverständniß gekommen. Aber in der reizbaren Seele des Kranken war eine Wunde mehr zurückgeblieben, die alle Liebkosungen der Schwester, alle muntere Wärme des Bruders nicht zu heilen vermochten. Mehr als je fühlte er, daß er unter den Seinigen ein Fremdling war. Unter dem Vorwande, das Sprechen werde ihm schwer, zog er sich meist in sein Zimmer oder auf die einsame Berghöhe zurück und zählte die Tage, bis er diese Stätte wieder verlassen und allein mit seinem Genius verkehren durfte.
So war er auch heute in die Einöde geflohen. Stundenlang hatte er an seinem Lieblingsplatz geruht und sich in den Abgrund der Betrachtung versenkt, wo er die Welt, die ihm verhaßt, und sein eignes Herz, das sein grausamster Feind war, vergessen konnte. Nun rief ihn die Abendglocke nach Hause. Der Vater hielt darauf, daß keiner der Hausgenossen bei den gemeinsamen Mahlzeiten fehlte.
Noch einen letzten Blick warf er auf das Meer, das so grenzenlos im Duft des Abends mit dem Himmel zu verfließen schien; dann raffte er sich auf und folgte der Fahrstraße. Er war aber keine zwanzig Schritte gegangen, als er hinter sich eine helle Stimme hörte, die seinen Namen rief.
Er blieb stehen und wandte sich um.
Eine schlanke Mädchengestalt kam eilig, aber nicht laufend, sondern mit den zierlichen Schritten eines jungen Vogels die Straße daher und hielt Etwas über ihrem Haupt, welches mit einem verblichenen, abgegriffenen Strohhütchen gegen die Sonne geschützt war. Als er stillstand, blieb sie gleichfalls einen Augenblick stehen, wie um Athem zu schöpfen. Nun sah er, daß sie sein Taschenbuch, in welches er auf dem Hügel die Verse geschrieben, in der erhobenen Hand hielt; zugleich betrachtete er genauer das anmuthige Figürchen, das ihm nicht ganz unbekannt schien, obwohl er nicht sogleich wußte, wo er es schon gesehen haben mochte. Das Mädchen trug die Tracht der geringeren Bürgerstöchter von Recanati, aber die wilden Blumen, die es auf seinem Strohhut befestigt hatte, schmückten es sehr, und wie es jetzt gegen den leuchtenden Abendhimmel auf der freien Höhe stand, daß Alles dunkel erschien außer dem Weiß der Augen und den blitzenden kleinen Zähnen, hätte es das verwöhnteste Malerauge entzückt.
Dies ist Euer Buch, Graf Giacomo! sagte sie jetzt und machte noch die paar Schritte zu ihm hin. Ich hab' es oben an dem Hügel gefunden. Nicht wahr, es gehört Euch?
Ja, sagte er. Es ist mein. Ich danke dir, daß du es aufgehoben hast. Aber wie wußtest du, daß es mir gehört?
O, lachte sie, wem sollt' es sonst gehören? Niemand kommt dahin außer Beppo, der Ziegenhirt, und der trägt keine Büchlein bei sich.
Er nahm es ihr aus der Hand, die klein war und bleich, wie auch ihr junges Gesicht nicht gebräunt erschien, sondern von einem gleichmäßigen sanften Blaß, das die schwarzen Augen nur glänzender machte und oft eine flüchtige Röthe durchschimmern ließ. Sie mochte nicht über siebzehn Jahre sein; das Gesicht aber, so weich und kindlich die Züge waren, trug doch schon eine Spur von nachdenklichem Ernst, sobald sie die Lippen schloß. Eine große Last tiefschwarzer Flechten lag ihr im Nacken; die kleinen Ohren glänzten wie aus reinem Elfenbein gemeißelt daraus hervor.
Wenn Niemand außer mir zu jenem Hügel kommt, sagte er nach einigem Schweigen, was hat dich denn dahin geführt? Es giebt doch schönere Stellen im Gebirge, wo man weit ins Land hinausblickt. Auch die Blumen auf deinem Hut sind nicht an den Klippen dort gewachsen.
Ich? ich bin in der Irre gelaufen, erwiederte sie und erröthete bis in die Schläfen. Ich hatte einen Gang zu machen in die Nachbarschaft; da hielt mich eine Tante meiner Mutter auf, und wie ich fort wollte, merkt' ich erst, wie spät es war, und aus Furcht, ich möchte zu Hause gescholten werden, verfehlte ich noch obendrein den Weg. An dem Hügel da fand ich mich erst wieder zurecht. Da sah ich das Büchlein liegen und nahm es und dachte, ich wollte es Euch ins Haus zurückbringen, in Casa Leopardi. Nun treff' ich Euch noch unterwegs.
Aber warum dachtest du, daß nur ich es verloren haben könnte?
Weil –: weil ich Euch schon einmal dort habe sitzen sehen; –: ich habe mich wohl gehütet, Euch zu stören. Und dann –: wie ich es aufhob, ging es von selber auf; da sah ich, daß Verse darin standen. Ich habe sie nicht gelesen, wahrhaftig nicht, so große Lust ich dazu hatte. Wer weiß, für wen sie sind, dacht' ich.
Und woher weißt du, daß ich Verse mache?
O, sagte sie und strich sich mit der Hand über die Stirn, da ihr die Haare über die Augen fallen wollten, Ihr seid ja ein Dichter, Graf Giacomo, das weiß ein Jeder. Und ich habe auch Eure Gedichte gelesen. Aber nicht wahr, Ihr sagt es nicht weiter –: es ist mir selbst so entschlüpft. Die Sofia, die bei Eurer Mutter, der Frau Gräfin, dient, –: Ihr müßt mir aber versprechen, daß Ihr sie nicht darum schelten wollt –:
Ich versprech' es dir. Was ist auch Böses dabei?
Sie hat mir Eure Gedichte einmal zu lesen gegeben, ganz heimlich, nur auf eine einzige Nacht; die Frau Gräfin durft' es nicht merken. Ich habe die Nacht kein Auge zugethan, sondern immer wieder von vorn angefangen, sobald ich zu Ende war. Am Morgen steckt' ich das Buch der Sofia wieder zu. Ich hatte es ganz sauber gehalten, in ein seidenes Tüchlein gewickelt. Nicht wahr, Ihr werdet mich nicht verrathen?
Sie sah ihn so treuherzig und dabei mit einem leichten Zuge von Schalkhaftigkeit an, daß er einen Augenblick ganz in die Betrachtung des reizenden Gesichts versunken war und die Antwort schuldig blieb.
Wie heißest du, liebes Kind? fragte er endlich.
Sie lachte hell auf.
Kennt Ihr mich denn wirklich nicht mehr? Ihr seid freilich ein paar Jahre fort gewesen, und indessen –: die Leute sagen, ich sei sehr gewachsen in der letzten Zeit, und damals war ich noch ein halbes Kind. Aber Ihr habt doch manchmal mit mir gesprochen und mir sogar einmal ein Papier mit kleinen Kuchen ins Fenster hineingeworfen, von Eurem Balcon aus, und jetzt –:
Nerina! fiel er ihr ins Wort. Wo hatt' ich denn nur meine Augen? Du bist es! Aber freilich, du bist eine ganz Andere geworden. Nimmermehr hätt' ich gedacht, daß du so schön werden könntest. Gieb mir deine Hand, Nerina, meine kleine Nachbarin.
Sie reichte ihm ihre Hand ohne jede Verlegenheit, ohne über das Lob, das er ihrer jungen Schönheit gezollt, zu erröthen. Sie wußte selbst, daß sie schön geworden war; es war ihr das so natürlich, wie daß sie heute zwei Jahre älter war, als damals.
Es freut mich, Graf Giacomo, daß Ihr Euch meiner noch erinnert, sagte sie und nickte ihm freundlich zu. Freilich, es ist kein Wunder, daß Ihr draußen in der Fremde nicht an mich gedacht habt. Ihr hattet Besseres zu thun. Bleibt Ihr nun ein wenig hier? Und wie geht es Euch sonst? Aber das ist eine dumme Frage. Ich weiß ja, wie es Euch geht. Ihr habt es ja in den Gedichten gesagt. Ich bedaure Euch so, Graf Giacomo! Und gerade Ihr solltet so glücklich sein!
Glücklich? Und warum ich gerade mehr als Andere?
Weil –: weil Ihr so unglücklich seid –: nein, verbesserte sie sich rasch, weil Ihr so gut seid und so gescheidt und ein Dichter! Aber ich muß nach Hause. Wollt Ihr mit mir gehen?
Er antwortete nicht sogleich, aber da sie sich wieder zum Gehen anschickte, ging auch er. Er sah wohl, daß sie ihre flinken Schritte mäßigte, damit er neben ihr bleiben konnte.
Du bist noch so jung, Nerina, sagte er. Wenn du älter wirst und mehr weißt von Glück und Unglück, wirst du es ganz in der Ordnung finden, daß gerade Der am unglücklichsten sein muß, der, wie du sagtest, gut ist und gescheidt und ein Dichter. Denn wenn er das Alles wirklich ist, so fühlt er mehr als Andere, daß die Natur ihre Kinder nicht zum Glück geschaffen hat, und seine Klugheit lehrt ihn, daß es immer so war und immer so sein wird, und wenn er ein Dichter ist, kann er es aussprechen, mit Worten, vor denen er dann selbst erschrickt. Oder glaubst du, daß ein Uebel dadurch erträglicher werde, wenn man es sich in klaren Worten eingesteht? Glaubst du, daß ich meine Krankheit und diesen gebrechlichen Körper minder fühle, wenn ich in den Spiegel blicke?
Ich weiß nicht, erwiederte sie nach einem kleinen Besinnen. Und doch –: seht Ihr im Spiegel nicht auch Eure Augen? Muß es Euch nicht trösten und auf Besserung hoffen lassen, wenn Ihr seht, wie hell sie sind und welch ein Geist darin lebt? Und so ist es, mein' ich, auch mit den Gedichten. Ich bin ein ungelehrtes Mädchen, und Ihr werdet lachen über mein Geschwätz: aber es kommt mir vor, als sähe da auch ein Geist heraus, anders als aus anderen Schriften, die man sonst lies't, und wer so schöne Verse schreibt, wenn sie auch traurig klingen, der müßte einen mächtigen Trost daran finden, wie an dem Bilde seiner Augen im Spiegel. Verzeiht, daß ich so in den Tag hinein schwatze, was mir durch den Kopf geht. Ich bin immer so allein, da lehrt mich Niemand, wie man denken soll.
Theures Kind, rief er und faßte ihre Hand, danke Gott, daß nicht fremde Gedanken deine eigenen ersticken, wie ich dir danke, daß du mir diese lieblichen Dinge sagst, die aus deinem eigenen Herzen stammen. Nur wundert es mich, daß du an den Gedichten, die alle so traurig sind und von klugen Leuten eintönig gescholten werden, Gefallen finden konntest. Oder sagst du es nur, weil du gehört hast, daß Dichter sich gerne loben lassen?
Gewiß nicht Herr, betheuerte sie nachdrücklich. Es ist Alles, wie ich Euch sagte. Und um ehrlich zu sein: ich habe auch gar nicht Alles verstanden. Aber selbst das, was ich nicht begriff, und die fremden Namen und schweren Worte, Alles hab' ich immer wieder lesen müssen, nicht mit den Augen bloß, versteht Ihr, sondern laut mit der Stimme. Und Manches hab' ich auch behalten, daß ich's nachsagen könnte wie das Vaterunser. Es ist wohl Alles traurig, wie Ihr sagt, aber süß, viel süßer als die Lieder, die ich früher gehört und gesungen habe. Ich selbst –: ich bin auch nicht mehr so lustig, wie sonst –: ich weiß nicht, warum. Noch vor einem Jahre –: wer weiß, ob Eure Gedichte mir da so gefallen hätten. Da wußte ich mir noch nichts Lieberes, als zu tanzen und am Feiertag über Feld zu gehen und Blumen zu pflücken. Jetzt –:
Sie verstummte und bückte sich nach dem Rande des Weges, wo sie eine kleine Blume brach.
Wie alt bist du denn? fragte er.
Noch drei Wochen und drei Tage, so werde ich siebzehn. Ich bin schon sehr alt, nicht wahr? Zwar zum Tanzen noch nicht zu alt. Die Nenna und Maria sind älter und doch viel lustiger als ich. Freilich, sie sind auch größer und stärker, und ich –: wenn ich jetzt so recht aus voller Brust singen oder lachen will und tanzen, bis die Welt mit mir im Kreise geht, plötzlich fühl' ich einen kleinen Stich am Herzen, –: hier –:, daß ich auf einmal still stehn und mich besinnen muß. Herr Matteo, der Chirurg, der ein Vetter meines Vaters ist, meint, das werde vergehen, das liege so in den Jahren, und wenn ich erst –:
Sie stockte wieder. Sie waren Beide stehn geblieben, an einer Wendung des Wegs, wo sich das Meer wieder zeigte, in das der dunkelrothe Sonnenball eben versank. Er betrachtete ihr junges Gesicht und sah jetzt, wie bleich ihr Mündchen war und wie dunkel der Glanz ihrer Augen.
Kind, sagte er, die Luft hier oben ist auch dir nicht heilsam. Nun entsinn' ich mich, daß ich dich früher habe tanzen sehen, da warst du die Wildeste von Allen. Ich sehe noch, wie die Zöpfe dir losgegangen waren und dem Knaben, mit dem du tanztest, um den Kopf schlugen, daß er meinte, du wolltest ihn verhöhnen, du aber lachtest immer toller, und das Gesicht brannte dir vor Lust und Leben. Und jetzt bist du stiller geworden und blasser. Du solltest die Mutter bitten, dich den Winter nach Ancona zu schicken. Habt ihr nicht Verwandte dort?
O ja, sagte sie, und ich war auch einmal dort, und es war mir wohler da, und ich wäre gern geblieben. Und doch –: sie erröthete wieder –: zuletzt war ich froh, daß ich nach Hause zurück durfte. Die Leute dort, unsre Verwandten, sind reich, und wir sind arm. Es war mir so fremd zu Muth in dem blanken Hause –: so gut sie zu mir waren. Konnt' ich hinaus, am liebsten ganz allein mich wegstehlen und ans Meerufer mich hinsetzen eine Stunde lang, da fiel es mir immer wie ein Berg von der Brust. Kennt Ihr das Meer, Herr? Aber natürlich, Ihr seid ja viel weiter gereis't als ich. Seht, ich weiß mir nichts Lieberes, als am Strande auf und ab zu gehen, oder gar zu liegen, und zu horchen, wie die Wellen kommen und wieder zurückmüssen und wieder heranbrausen, und das Land stößt sie wieder von sich, und so in alle Ewigkeit. Es ist auch nicht lustig und immer derselbe Klang, gerade wie in Euren Gedichten, aber ich werde es nie satt zu hören, ich vergesse all mein eigenes Leid darüber und daß ich älter werde und nicht weiß, ob das Glück je kommen wird oder gar schon vorbeigegangen ist, und ich habe es nicht einmal geahnt. Und wenn ich dann aufstand und wieder zu den Menschen kam, fühlte ich eine Kraft in mir und eine Ruhe, als könne mich nun gar Nichts mehr erschüttern oder niederwerfen, da Alles, was von Menschen komme, doch geringer sei als das furchtbare Meer und der Wille Gottes, der es regiert.
O Nerina, rief er, hingerissen von dem Zauber ihrer seelenvollen Stimme und dieser schwermüthigen Bekenntnisse, weißt du wohl, daß du eine Dichterin bist, daß du Alles, was du mir eben gesagt, nur aufzuschreiben brauchtest, um gerade so viel oder so wenig Trost und Wonne daraus zu schöpfen, wie aus dem Büchlein, das die Sofia dir zu lesen gegeben?
Sie schüttelte mit einem Seufzer den Kopf.
Ich kann nicht schreiben, sagte sie. Und wenn ich es auch könnte, –: ich habe nicht die Zeit. Ich bin keine Gräfin, daß ich thun und lassen dürfte, was mir beliebt. Spinnen muß ich und nähen, sticken und im Hause schaffen. Auch scherzet Ihr bloß. Woher sollte ich es haben, da ich nie Künste und Wissenschaften gelernt habe und nichts gelesen, außer ein Büchlein von dem großen Petrarca und ein paar alte Geschichten mit Bildern und dann Eure Gedichte? Nein, das sind Possen, und Ihr wißt recht gut, daß Nerina nur ein kindisches Ding ist und doch zu verständig, um sich was in den Kopf setzen zu lassen. Da seht, da verschwindet eben der letzte rothe Streif der Sonne. Nun wird auf einmal Alles grau. Ich muß eilen, daß ich nach Hause komme.
Sie ging hastig vorwärts; es schien, als liege ihr nicht mehr daran, daß er mit ihr Schritt halten möchte. Ein paar Männer aus Recanati, die auf dem Wege nach der Stadt zurück an ihnen vorbeikamen und den jungen Grafen ehrerbietig grüßten, hatten mit verwunderten Blicken das Mädchen an seiner Seite betrachtet. Das war ihr nicht entgangen.
Aber er beschleunigte gleichfalls seinen Schritt, um dicht neben ihr zu bleiben.
Sie hatte, sobald die Sonne herunter war, das Strohhütchen abgenommen, als wäre es ihr zu heiß darunter geworden. Der feine Kopf, ganz in die dicken, dunklen Haare gehüllt, war jetzt noch reizender, der Umriß des Gesichtchens so zart und edel, die schlanke Gestalt, wie sie mit in einander gelegten bloßen Armen hinwandelte, hielt seine Augen beständig gefangen.
So jung! sagte er halb, für sich hin, und warum schon so reif? –: Sein Herz zog ihn zu dem holden Geschöpf, wie nie ein weibliches Wesen ihn gerührt hatte. War es Liebe, Trauer, Mitgefühl oder nur der Reiz des Wundersamen, was aus dieser einsam aufgeblühten Seele ihm entgegenduftete?
Jetzt trat der Mond in hellem Golde aus dem erblassenden Abendhimmel hervor.
Siehst du ihn wohl, Nerina? sagte ihr Begleiter, nachdem sie eine Zeitlang stumm neben einander hingegangen waren. So sieht das Leben aus, wenn die Jugend verschwunden ist; es ist Alles bleich und still, keine belebende Flamme mehr, nur so viel Licht, daß man zur Noth seinen Weg findet –: bis dahin, wo man schlafen geht. So ist mein Leben, Nerina. Dir aber scheint noch die schöne Sonne; du bist noch jung, und Jugend ist das einzige Glück, das uns armen Menschen gegönnt ist. Du mußt es dir nicht selbst zerstören, Liebste, nicht die Läden zuschließen am hellen Tag und im Dunkeln deine Gedanken spinnen, bis du dich vor deinem eigenen Herzen zu fürchten anfängst und dich krank dichtest, wie eine Pflanze erbleicht, die ohne Sonne aufwächs't. Versprich mir, Nerina, daß du dich solcher Träumereien entschlagen und wieder lachen und singen willst und auch tanzen, nicht bis zum Schwindligwerden, wie sonst, aber so, daß das Blut in deinen Adern es spürt, wie jung und warm es noch ist. Willst du mir das zu Liebe thun, meine kleine Freundin?
Sie nickte ernsthaft, ohne ihn anzusehen.
Ich will es versuchen, wenn Ihr es wünscht. Es ist aber schwer, wenn es nicht von selber kommt. Wollt Ihr aber nicht auch wieder an die Sonne zurückkehren? Ihr seid doch noch nicht alt, und ich meine, es müßte mir selbst leichter werden, wieder lustig zu sein, wenn ich Euch einmal lachen hörte.
Ich, ein unseliger Mensch, den Niemand liebt, Niemand entbehrt! Du wirst noch einmal verstehen, Nerina, wie unmöglich das ist, was du von mir verlangst, wenn du selbst das Glück kostest, das mir auf immer versagt ist, wenn dir die Flamme aus den Augen schlägt, die deine Brust durchglüht, und das Herz dir im Leibe lacht, weil du schön und jung und lieblich und geliebt bist. Dann wirst du wissen, warum ein Mensch, der mir gleicht, nicht lachen kann, ohne daß es schlimmer klingt, als weinen. Aber das muß dich nicht kümmern, Liebe. Ich beklage mich auch nicht; ich weiß, ich theile das Schicksal aller sterblichen Geschöpfe, die alle, die einen früher, die andern später, die Nichtigkeit dieses irdischen Traumes erkennen. Nur warum gerade mir das Loos fiel, daß ich nie jung sein, niemals mich an dem süßen Wahn berauschen durfte, auch ich sei zum Glück geschaffen, –: doch nein –: auch ich war ja einmal jung und thöricht, und darum wünsch' ich dir, daß du es lange bleiben und die vorwitzige, traurige Weisheit vergessen mögest, die du aus meinen Gedichten gelernt hast!
Er blieb stehen. Das hastige Reden hatte ihn erschöpft. Auch sie stand ein Augenblick still, den Kopf auf die Brust gesenkt, die lebhaft athmete.
Plötzlich richtete sie sich auf und sagte: Ich will voran gehen, Graf Giacomo. Es giebt so viel müßige Leute in der Stadt, die gleich davon reden, wenn Etwas geschieht, was sie nicht alle Tage sehen. Wenn man mich neben Euch durch die Straße gehen sähe, –: Niemand würde glauben, wie traurig das Alles war, was Ihr mir gesagt habt. Gute Nacht!
Gute Nacht, Nerina! Gehe nur! Du hast Recht. Ich danke dir, daß du mir begegnet bist; daß du auf der Welt bist und so lieb und schön, daß es Wohlthat ist, dich zu sehen und deine Stimme zu hören. Sei glücklich, meine kleine Freundin, und lebe wohl!
Sie hörte die letzten Worte nur aus der Ferne, so rasch hatte sie sich von ihm abgewandt, und schon war sie auf der dämmerigen Straße eine gute Strecke vorausgeeilt, als auch er sich mit einem tiefen Seufzer aufraffte, um sich langsam hinschleppend die Stadt zu erreichen.
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Er fand die Seinigen schon um den Tisch versammelt, auf dem das einfache Nachtessen aufgetragen war. Heiterer als sonst begrüßte er die Eltern, küßte die Schwester auf die Stirn und reichte den Brüdern die Hand. Aber er sprach noch weniger, als seine Gewohnheit war, und berührte die Speisen kaum. Nur dem rothen Landwein sprach er begierig zu und antwortete auf die Frage der Mutter, wie es ihm gehe: ihm sei wohl; nur habe der weite Gang ihn ermüdet, er freue sich auf den Schlaf.
Als er sich dann in sein Zimmer zurückgezogen hatte, öffnete er sogleich die Thür des Balcons und ließ die breite Welle des Mondlichts hereinströmen. Das kleine Haus gegenüber, das Nerina's Eltern gehörte, stand im Schatten. Aus keinem Fenster drang ein Lichtschein. Er lehnte am Geländer des Balcons und sah in die Straße hinab, wo die Leute vor den Hausthüren saßen, die Männer rauchend und ihren behaglichen Discurs führend, die Frauen die halbnackten, schlafenden Kinder im Schooß, während die größeren Mädchen, sich an den Händen haltend, langsam auf und ab gingen und mit einander flüsterten. War Nerina unter ihnen? Er strengte seine Augen vergebens an, ihre zarte Gestalt, deren Umriß er aus hunderten herausgefunden hätte, unter den wandelnden Schatten drunten zu erkennen. Von fern hörte man allerlei Gesang, vom Nachtwind durcheinandergewirrt, herübertönen und verwehte Guitarrenaccorde, die eine Serenade begleiteten. Dem Einsamen droben auf dem Balcon schwoll das Herz, eine süße Unruhe erregte ihm das Blut, er öffnete die Lippen, wie wenn er den berauschenden Hauch der Mondnacht einsaugen und darin Vergessenheit all seiner Leiden trinken wollte. Gerade über ihm stand das Siebengestirn. Er blickte unverwandt hinauf, bis ihm die Augen zu schmerzen anfingen. Vaghe stelle dell' Orsa! murmelte er. Seine Seele war voll bis zum Ueberfließen. Er trat ins Zimmer zurück, zündete eine Kerze an und schrieb wie im Fieber phantasirendphantasirend die folgenden Verse:
Ihr schönen Siebensterne, nimmer glaubt' ich,
Daß ich euch wieder so begrüßen würde,
Hoch über meines Vaters Garten funkelnd,
Und Zwiesprach mit euch halten aus den Fenstern
Des Hauses, drin ich schon als Kind gewohnt
Und meiner Freuden frühes Ende sah.
Wie viele Bilder einst, wie viele Märchen
Schuf mir im stillen Innern
euer Anblick
Und eurer leuchtenden Gefährten, damals,
Als wortlos ich auf grüner Scholle sitzend
Die halben Nächte zu verbringen pflegte
Gen Himmel blickend und dem fernen Ruf
Der Frösche lauschend draußen in der Ebne.
Und an den Hecken, auf den Fluren hin
Schweifte der Glühwurm, säuselten im Nachtwind
Die duft'gen Laubengäng' und die Cypressen
Im Walde dort, und aus dem Vaterhaus
Erklangen Wechselreden und der Diener
Gelass'nes Treiben. Wie unendliche
Gedanken, wie viel süße Träume hauchte
Das ferne Meer mir zu, die blauen Berge,
Die hier mein Blick erreicht und die ich einst
Zu überschreiten hoffte, neue Welten,
Ein neues Glück verheißend meinem Dasein.
Nicht kannt' ich mein Geschick und wußte nicht,
Wie oft ich dies mein leidvoll ödes Leben
Gern würde tauschen mögen mit dem Tod!
Weissagte doch mein Herz mir nicht, ich sei
Verdammt, die grüne Jugend hinzuzehren
Hier in der wilden Heimath, unter Menschen,
Die roh und niedrig, denen Wissenschaft
Und Weisheit fremde Namen, oft ein Anlaß
Zu Spott und Lachen, die mich fliehn und hassen,
Doch nicht aus Neid, da sie nicht höher mich
Erachten, als sich selbst: nur weil sie meinen,
Ich dünk' es selbst mir insgeheim, obwohl ich
Nach außen mir's vor Niemand merken ließ'.
Hier bring' ich meine Jahre hin, verlassen,
Verborgen, fern von Lieb' und Leben, muß
Im Schwarm Mißwollender zuletzt verhärten,
Mich aller Mild' und Tugenden entwöhnen
Und zum Verächter noch der Menschen werden
Durch diese Horde! Und indeß enteilt
Die theure Jugendzeit, die theurer ist,
Als Ruhm und Lorbeer, theurer als das Licht
Des Tages und des Athems Hauch; so nutzlos,
Ohn' irgend eine Lust verlier' ich dich
An diesem Ort unmenschlich öder Qual,
O du, des dürren Lebens einz'ge Blüte!
Er lehnte sich einen Augenblick auf das Ruhebett zurück und schloß die Augen. Draußen vom Thurme der Hauptkirche hörte er den Stundenschlag; es war zehn Uhr. Die Stimmen und der Gesang verstummten allgemach. Auch im Hause hörte er die Thüren gehen zu den Schlafzimmern seiner Geschwister, und Alles versank in tiefe Stille. Nun richtete er sich wieder auf und schrieb weiter:
Der Wind trägt mir den Klang der Stunde zu
Vom Glockenturm des Städtchens. Wohl gedenk' ich,
Wie dieser Klang mir Trost war in den Nächten,
Wenn ich als Knab' in meinem dunklen Zimmer,
Umlagert rings von Schrecken, wachend lag
Und nach dem Morgen seufzte. Alles rings,
Was ich nur seh' und höre, bringt ein Bild mir
Zurück und weckt ein süß Erinnern auf,
Süß in sich selbst; doch mischt sich schmerzlich ein
Der Gegenwart Gefühl, vergebne Sehnsucht
Nach alter Zeit und der Gedank': ich
war! –:
Dort der Altan, der nach den letzten Strahlen
Der Sonne blickt, –: hier die bemalten Wände,
Die Heerdenbilder und der Sonnenaufgang
Ueber dem öden Feld: in meiner Muße
Wie freuten sie mich tausendfach, da noch
Mein übermächt'ger Wahn mir schmeichelnd nah war,
Wo ich nur weilte. Diese alten Säle,
Wenn hell der Schnee hereinschien und der Wind
Um ihre weiten Fenster pfeifend schnob,
Erdröhnten vom Gelächter und Gelärm
Des Knaben, zu der Zeit, da noch das herbe,
Arglist'ge Weltgeheimniß uns so süß
Entgegenblickt, da noch der Jüngling, wie
Ein unerfahrner Liebender, sein Leben
Gleich einer ersten Liebe hätscheln mag,
Von selbsterträumter Himmelsschöne trunken.
O all ihr Hoffnungen, du holder Trug
Der Jugendtage! Immer kehrt die Seele
Zu euch zurück. Denn wie die Zeit auch eilt,
Wie sich Gedanken und Gefühle wandeln,
Niemals vergess' ich euch! Trugbilder, weiß ich,
Sind Ruhm und Ehre; Glück und Wonne nur
Ein eitler Wunsch; das unfruchtbare Leben
Ein nutzlos Elend, Dennoch, ob auch leer
All meine Jahre, dunkel und verödet
Mein sterblich Dasein, raubt das Glück –: wohl seh' ich
Es ein –: mir wenig nur. Doch ach, so oft ich
An euch, ihr Jugendhoffnungen, gedenke,
An das, was einst so hold mir vorgeschwebt,
Und dann mein jammervoll armselig Leben
Erwäg', und daß von so viel schöner Hoffnung
Der Tod allein mir heut noch übrig bleibt:
Krampft sich mein Herz zusammen, und mir ist,
Als gäb' es keinen Trost für solch ein Schicksal,
Und wenn nun dieser oft erflehte Tod
Mir nahe tritt und ich am letzten Ziel
All meines Unglücks stehe, wenn die Erbe
Ein fremdes Thal mir wird und meinem Blick
Die Zukunft schwindet: euer dann gewiß
Werd' ich gedenken, euer Bild wird mich
Den letzten Seufzer losten, bitter mahnend,
Daß ich umsonst gelebt, und in die Süße
Des schicksalvollen Tags mir Wermuth träufeln.
O, schon im ersten stürmischen Jugenddrang
Der Freuden, Aengste und Begierden rief ich
Den Tod so manches Mal und konnte lang'
Drauß an der Quelle sitzend drüber brüten,
Ob ich nicht besser thäte, Schmerz und Hoffnung
In ihrer Fluth zu stillen. Dann, durch schleichend
Siechthum gerissen an den Rand des Grabes,
Weint' ich um meine schöne Jugend, um
Der armen Tage Flor, der schon so früh
Hinwelkt'; und manchen Abend, wenn ich traurig
Auf meinem Bette, dem vertrauten, saß
Und bei dem trüben Lämpchen dichtete,
Klagt' ich im Einklang mit der nächt'gen Stille
Um meinen flücht'gen Geist und sang mir selbst,
Als schwänd' ich scheidend hin, das Todtenlied! –:
Wer kann an euch gedenken ohne Seufzen,
O erster Jugendaufgang, o ihr schönen,
Ihr unaussprechlich holden Tage, wenn
Dem sel'gen Sterblichen ein Mädchenlächeln
Zuerst entgegenglänzt! Rings in die Wette
Lacht ihn dann Alles an; es schweigt der Neid,
Noch schlummernd, oder schonend; und die Welt –:
O seltnes Wunder! –: scheint dem Unerfahrnen
Die Hand zu seiner Hülfe darzubieten,
Entschuldigt sein Verirren, feiert Feste
Dem neuen Lebensantritt und empfängt ihn
Und schmeichelt täuschend ihm als ihrem Herrn.
Die flücht'gen Tage! Wie ein Wetterleuchten
Sind sie verweht. Und welcher Sterbliche
Weiß noch vom Unglück nichts, dem schon die holde
Jahrszeit entschwunden, seine
gute Zeit,
Dem schon die Jugend, ach, die Jugend auslosch!
Da fing draußen plötzlich eine zarte Mädchenstimme an zu singen, ganz leise und heimlich, wie manchmal die Vögel in sehr klaren Nächten, wenn sie aufwachen und nicht gleich wissen, ob es schon wieder tagen will.
Es war eine jener zahllosen Strophen, wie sie dort im Süden von Mund zu Mund gehen, von Jedem, der sie singt, umgedichtet, ein Schatz, der Allen gehört, weil Alle ihn hüten und mehren. Die Weise, halb schwermüthig halb gedankenlos, klang wie das Rauschen von Wind und Wellen.
Ich sah ein Rößlein gehn mit muntern Sprüngen,
Auf einer Wiese sah ich's angebunden.
Es kreis't und kreis't, der Strick muß sich verschlingen,
Und dennoch kreis't's rundum zu allen Stunden.
So macht's der Mensch, wenn er ein Lieb gefunden:
Er glaubt noch frei zu sein, und ist gebunden.
So macht's der Mensch, der Liebesleid erfuhr:
Er knüpft die Schlinge fest und fester nur.
Leopardi war aufgesprungen und auf den Balcon hinausgetreten. Die Stimme, wie er wohl wußte, kam aus dem kleinen Fenster gegenüber, das ein wenig tiefer lag, als die seinigen. Jetzt brannte ein Licht drüben, ein schwaches, rothes Flämmchen in einer irdenen Lampe. Aber es leuchtete genug, daß er seine junge Nachbarin sehen konnte, die vor einem handgroßen Spiegelchen ihre schwarzen Zöpfe flocht. Sie war ihm halb abgekehrt, noch in ihren Kleidern; von dem schmalen Bett war nur das Fußende zu sehen, neben dem Fenster der Spinnrocken und ein Nelkentopf mit einer Menge dunkelrother Blüten.
Nerina! rief er mit gedämpfter Stimme hinüber.
Die kleine Evastochter that, als höre sie ihn nicht. Sie fuhr ruhig fort, sich zu strählen und das Haar wieder aufzustecken. Dabei sang sie von Neuem:
Mein Liebster singt am Haus im Mondenscheine,
Und ich muß lauschend hier im Bette liegen.
Weg von der Mutter wend' ich mich und weine;
Blut sind die Thränen, die mir nicht versiegen.
Den breiten Strom am Bett hab' ich geweint,
Weiß nicht vor Thränen, ob der Morgen scheint;
Den breiten Strom am Bett weint' ich vor Sehnen,
Blind haben mich gemacht die blut'gen Thränen.
Nerina! rief er nun lauter und so vernehmlich, daß man es nicht wohl überhören konnte. Das Mädchen wandte sich alsbald um, steckte rasch die letzten Nadeln ins Haar und kam ans Fenster.
Seid Ihr noch wach, Herr Giacomo?
Ich bin eine Nachteule, Nerina. Ich schlafe selten vor Mitternacht. Aber du, gehst du so spät zu Bette? Bist du noch spazieren gegangen mit einer Freundin oder einem Schatz?
Ich habe keinen Schatz, und die Mutter erlaubt auch nicht, daß ich Nachts mich auf der Gasse herumtreibe. Aber ich bin so lustig heute, ich konnte noch nicht an Schlaf denken. Ich saß lange am Herde und blies in die Kohlen und freute mich, wie die Funken tanzten. Endlich schickte mich die Mutter in meine Kammer. Aber Gott weiß, wann ich einschlafen werde. Der Mond scheint so hell, da fallen mir alle Lieder ein, die ich jemals gehört, lustige und traurige; aber auch die traurigen machen mich nicht betrübt. Geht es Euch auch so, Herr Giacomo?
Liebe Nerina, sagte er, mich haben auch die Mondstrahlen nicht schlafen lassen. Ich glaube fast, ich habe auf dich gewartet, dir noch einmal gute Nacht zu sagen. Leider habe ich heute Nichts, was ich dir ins Fenster werfen könnte, keine süßen Früchte oder kleine Kuchen, wie sonst.
Danach verlangt mich auch jetzt nicht mehr, lachte sie. Aber Ihr hattet wohl etwas Anderes –: das würd' Euch freilich zu kostbar sein für so ein dummes Ding.
Was meinst du?
Wenn Ihr mir die Verse hersagen wolltet, die Ihr heut an dem Hügel draußen in Euer Büchlein geschrieben habt. Scheint es Euch sehr unverschämt, daß ich um so etwas bitte?
O Kind! rief er lächelnd, du könntest ein großstädtisches Fräulein sein, so gut weißt du, was man von Unsereinem bitten muß, um sicher keine Fehlbitte zu thun. Bist du nicht auch mein einziges Publicum hier auf zwanzig Meilen in der Runde? Warte, ich hole dir die Verse!
Er verschwand rasch im Zimmer, zog sein Büchlein hervor, nahm dann einen reinen Bogen Papier und schrieb das Gedicht mit großen, deutlichen Zügen darauf ab. Dann kehrte er auf den Balcon zurück. Sie hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Während er jetzt die Verse recitirte, langsam, mit seiner tiefen, etwas umschleierten Stimme, sah er, wie sie die Augen schloß und das Gesicht wie in seliger Verklärung gegen den Mondhimmel richtete.
»Und süß ist mir's, in diesem Meer zu scheitern!« hörte er sie ganz leise wiederholen, als er geendigt hatte.
Nun? fragte er scherzend. Und die Kritik? Mein kleines Publicum muß mir nun auch sagen, ob es versteht, was ich meine, ob es mich ehrlich loben kann, oder etwas zu tadeln findet.
Sie schwieg noch eine Weile. Dann sagte sie plötzlich:
Herr Giacomo, wollt Ihr mir das Blatt schenken? Ich will es gewiß gut aufheben. Aber ich möchte es immer wieder lesen und dabei an Euch denken und an alles Freundliche und Gute, was Ihr mir gesagt habt.
Gern! erwiederte er. Ich hab' es schon für dich abgeschrieben. Nun will ich es nur noch zusammenfalten.
Er suchte auf seinem Tisch nach einem Umschlage. Dabei fiel ihm ein Exemplar seiner Gedichte in die Hand. Darein legte er das beschriebene Blatt, machte eine kleine Rolle aus dem Ganzen und band eine Schnur darum.
Kannst du fangen? rief er, als er wieder an die Brüstung trat.
Sie streckte die Arme über das Gesims hinaus; die Rolle hatte keinen weiten Weg zu machen, und die schlanken Händchen empfingen sie geschickt. Wartet ein wenig! rief sie, indem sie statt des Dankes nur mit dem Kopf nickte. Ihr sollt auch nicht ganz leer ausgehen.
Hastig pflückte sie alle Blumen von ihrem Nelkentopf und griff dann nach einer Scheere, die auf dem Fenstersims lag. Im Nu hatte sie eine lange, feine Strähne ihres schwarzen Haares abgeschnitten, die band sie um den Strauß und warf ihn so muthwillig hinüber, daß er ihm gegen das Gesicht flog. Gute Nacht, gute Nacht! hörte er sie noch rufen. Als er aber das Sträußchen vom Boden aufhob und ihr einen Dank hinüberschicken wollte, war die Kammer drüben dunkel, das kleine Fenster geschlossen.
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Er schlief wenig diese Nacht. Mehr als der Mondschein auf dem Estrich seines Zimmers hielt der Glanz der schwarzen Augen ihn wach, die er immer über seinem Bette sah, und die helle, leise Stimme, deren Lachen und Gesang ihn beständig umschwirrten.
So macht's der Mensch, wenn er ein Lieb gefunden:
Er glaubt noch frei zu sein, und ist gebunden –:
Immer wieder mußte er diese Worte vor sich hin sagen. Dann stand er wieder auf, die Decke seines Bettes schien ihm so schwer wie der Deckel eines Sarges; er riß die Balconthür weit auf und badete seine schwüle Brust in dem scharfen Mitternachtswinde. Ein Gefühl von Kraft und Frische, wie es ihm lange fremd gewesen, drang ihm durch die Glieder. Warum könnte es denn nicht sein? sagte er vor sich hin, die Augen durch die Geländerlücken des Altans auf das kleine dunkle Fenster geheftet. Muß es denn für ewig mit mir aus und vorbei sein? Kann nicht ein Wunder geschehen und etwas Liebliches sich auch einmal dem Unglücklichen zuneigen? Ihr Götter, wenn es so wäre! –: wenn ihr euch den großmüthigen Plan ausgedacht hättet, euren Verächter zu beschämen, meine bittere Weisheit Lügen zu strafen! Wenn ein Tropfen Wonne meine heißen Lippen kühlen sollte, –: mehr als ein Tropfen: ein langer, begieriger Zug aus dem vollen Becher! –: –: Und warum wäre es unmöglich? Hier freilich! –: Aber ist mir hier nicht ohnehin der Tod gewiß, ein früher, unfruchtbarer Tod, ehe ich noch gelebt habe? Statt dessen –: draußen an irgend einem stillen Ort, unter milderem Himmel, mit einer Seele, die mich versteht, mich liebt, nicht bloß aus Mitleid –: Und wenn ich arm bin und immer bleiben werde –: ist sie nicht Armuth gewöhnt? Muß ich nicht dem Schicksal danken, das mir keine Schätze beschert hat, da ich nun frei bin, mich zu Meinesgleichen zu gesellen? Wer kann mir zumuthen, eines kahlen Titels wegen meine einzige Lebenshoffnung zu verscherzen? Fahre hin, Grafenthum, du verschämter Bettlerstand, wenn ich mein Menschenthum dafür eintausche und in aller Armuth reich bin am Busen der Natur und meines Weibes! –:
Er warf sich wieder auf sein Lager, das Blut pochte ihm in den Schläfen, ihm schwindelte vor den kühnen Glücksträumen, die an seiner Seele vorüberzogen. Nerina! rief er leidenschaftlich und streckte die Arme aus, als stünde sie neben ihm und er könnte sie an seine Brust ziehen. Dann plötzlich wurde seine Traumwonne getrübt.
Rasender! rief er und stützte sich in den Kissen auf. Dieses arglose holde Geschöpf, das deine schönen Worte bethört haben, willst du an deine Seite locken? ihre blühende Jugend mit deinem siechen Elend verkuppeln? Und wenn sie dir Kinder bringt, die dir gleichen, die den Fluch ihres Vaters fortpflanzen durch Geschlechter hindurch, –: wenn du diese glänzenden Augen nur noch in Thränen siehst und dir sagen mußt: die fließen um deine eigensüchtige Thorheit! –: wärst du dann nicht tausendmal elender, als in aller Entsagung und stolzen Einsamkeit? Was bleibt dir verstoßener Sohn des Glücks, als das Bewußtsein, daß du schuldlos leidest? Wie konntest du den Tag herankommen sehen, an dem du die Augen nicht mehr zum Himmel aufschlagen dürftest und fragen: was hab' ich dir gethan, daß du mich mißhandelst? –:
Noch eine Stunde lag er und sann. Dann wurde es still in ihm und immer stiller. Die früh geübte Kunst, sich alles Selbstbetrugs zu erwehren, kam ihm zu Statten. Als er endlich einschlief, war der Entschluß in ihm gereift, jeder neuen Begegnung mit dem lieblichen Wesen auszuweichen und ein Zimmer des Hauses zu beziehen, wo der Klang ihrer Stimme ihn nicht erreichen könnte.
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Er erwachte spät nach unruhigen Träumen, mit dem Gefühl aller seiner Leiden. Die Morgenstunden waren von je seine qualvollsten gewesen. Als er sich mühsam erhoben und in die Kleider geworfen hatte und nun im Lehnstuhl liegend darüber nachdachte, durch welche Arbeit er am besten seinen Geist von der trübseligen Genossenschaft des Leibes abtrennen könne, pochte es an der Thür, und Pietro, sein alter Diener, trat herein. Er meldete, daß ein Mann aus der Stadt den jungen Grafen Giacomo zu sprechen verlange; er rede von einem Bilde, das er ihm zu zeigen wünsche; es sei nicht recht klug daraus zu werden, der Herr Graf würde schon sehen, was an der Sache sei.
Ein Mann aus der Stadt? Ob er ihn kenne.
Er werde ihn ohne Zweifel kennen, es sei Niemand anders als der Luigi, der Hutmacher, dem das Haus gegenüber gehöre.
Leopardi war aufgesprungen, das Herz klopfte ihm heftig; nur mit einer Geberde konnte er dem Diener bedeuten, daß er den Mann hereinlassen möge.
Ein schlichter, anständig gekleideter Bürger trat ein, verneigte sich ehrerbietig, aber mit einer treuherzigen Miene, wie wenn er sagen wollte: wir kennen uns ja schon lange! –: und trat dann näher auf den jungen Grafen zu, indem er ihm seine derbe, gebräunte Hand entgegenstreckte.
Signor Contino, sagte er, oder Excellenz Herr Graf, wie es sich jetzt besser schickt, ich bitte um Verzeihung für meine Zudringlichkeit, aber Noth bricht Eisen, und da ich den jungen Herrn Grafen noch im Kinderröckchen gesehen habe –: und wegen der nahen Nachbarschaft –: und weil ein Sohn Adam's dem andern helfen soll –: so will es unsere heilige Religion –: nehmt es daher nicht für ungut, daß ich mich mit einem Vorwand hier eingeschlichen, lieber junger Herr Graf. Denn warum? Ich konnte doch dem Pietro, der es gleich der Sofia und der Martina wieder erzählt hätte, nicht sagen, daß es nur um mein armes Ding von Tochter ist, daß ich dem jungen Herrn Grafen seinen Beistand in Anspruch nehme. Und darum sagte ich das von dem Bilde, und das Bild besitz' ich wirklich, Signor Giacomo, und wenn der Herr Graf mir meine Bitte gewährt, kann ich es ihm zeigen. Obwohl ich gar nicht glaube –: wie ich's dem Pietro weisgemacht habe –: es sei eine sonderliche Rarität mit der alten Schwarte, und wenn ein Kenner es zu sehen bekäme, hundert oder zweihundert Scudi und mehr könnt' ich dafür kriegen, –: sondern nur, damit ich gleich einen Vorwand wüßte, weßhalb der junge Herr Graf mir die Ehre anthun konnte, in mein Haus zu kommen und meinem dummen Ding von Mädel den Kopf zurecht zu setzen, wenn Ew. Gnaden sich soweit herablassen wollten zu einem armen Nachbarn und Hausvater, der seine liebe Noth mit diesem einzigen Kinde hat.
Was fehlt Eurer Nerina? Und was könnte ich dabei thun? stammelte Leopardi.
Sehen Sie, lieber Herr, fuhr der Biedermann eifrig fort, den Stuhl, den der junge Mann ihm bot, mit dem Rücken der Hand wegschiebend, Sie müssen wissen, es ist das beste Kind von der Welt, ein wahres Kleinod von einer wohlgerathenen Creatur, und bis vor wenigen Monaten hat es uns nie eine böse Stunde gemacht, vielmehr es war der Kuchen auf unserm armen Tisch und die Blume an unserm Fenster. Wir sind zurückgekommen, seit wir den Prozeß verloren haben –: Ew. Gnaden werden sich entsinnen –: böse Menschen haben mich da ins Verderben gelockt –: seitdem geht es nicht mehr vorwärts mit meinem Geschäft und sonst mit Nichts, was ich angreife. Nun hab' ich einen Vetter in Ancona, einen sehr wohlhabenden Kaufmann, und der hat einen Sohn Antonio, einen jungen Menschen, schön wie gemalt und von guten Sitten und so recht einer fürs Haus und das Geschäft, daß Alle sagen, er werde noch zehnmal reicher werden, als sein Papa. Nun, unsrer Verwandtschaft wegen und vielleicht auch, weil er von unserm Mädel hatte reden hören –: eines Tages –: es ist nun bald ein Jahr –: kommt dieser Antonio nach Recanati herauf, und unsere Nerina sehen und sich sterblich in sie verlieben, war Eins. Wir –: was konnte uns Glücklicheres beschert werden, als das Kind so herrlich versorgt zu wissen? Und auch sie schien der Sache nicht abgeneigt, obwohl von so erschrecklicher Verliebtheit, wie bei dem Jüngling, nichts bei ihr zu verspüren war. Damals war sie erst sechszehn; ein Jahr macht viel bei den Weibern, und jedenfalls, da sie nicht die Stärkste auf der Brust ist, sollte sie noch ein Jahr bei uns im Hause bleiben, wozu der Antonio, ein verliebter Orlando wie er war, ein saures Gesicht schnitt. Endlich mußte er doch nachgeben, und wir versprachen, in diesem Frühjahr die Braut zu seinen Eltern auf Besuch zu bringen, hinunter nach Ancona. O lieber Herr Graf, von da fing unser Unglück an! Seitdem haben wir uns mit Sorgen ins Bett gelegt und sind mit Seufzen wieder aufgestanden.
Was ist geschehen in Ancona? Sind etwa die Eltern ihr nicht freundlich begegnet?
O, nicht doch, Signor Conte! Auf Händen hat man sie getragen, Alle und Jeder, und die Alten haben's womöglich noch närrischer mit ihr getrieben, als der Sohn. Aber Alles hat nichts bei ihr verfangen. Von den ersten Stunden, wo sie ihren Verlobten wiedergesehen, hat sie der Mutter erklärt, man möge sie nur gleich wieder wegführen, Den könne sie nicht lieben, und seine Frau zu werden, mache ihr Grauen. –: Was sie denn gegen ihn einzuwenden hätte? –: O nichts; aber er sei ihr wie jeder Andere, und sie werde ihn niemals lieber haben, als den Ersten Besten, nur vielleicht hassen und fürchten, bloß weil sie ihm gehören solle. Stellen Sie sich vor, Signor Giacomo, ein siebzehnjähriges albernes Ding, das bis in den Himmel vergnügt sein sollte, eine Partie zu machen, um die alle reichen und angesehenen Bürgerstöchter in der Mark Ancona sich die Augen aus dem Kopf und die Seele aus dem Leibe beten würden, daß die Madonna ihnen das Glück bescherte, und unser dummes Kind sagt: ich mag nicht, und damit basta! –: Wie uns zu Muthe war, und wie wir endlich, nachdem Alles umsonst gewesen, wieder abzogen und in unsere kümmerliche Hütte zurück –: nun, der Himmel schickt eben Jedem seine Prüfung. Und dabei konnten wir dem Kinde nie recht von Herzen böse sein; es ist eine zu süße Creatur. Wenn ich manchmal mir vorgenommen, ich wollte recht derb ihr ins Gewissen reden, was sie an sich und uns für ein Unrecht thut, die einfältige Gans, die sie ist, –: sie braucht mich nur ganz stillschweigend anzublicken und nicht mit einem Wörtlein sich zu vertheidigen, gleich werde ich wie umgewandelt, daß ich mich in Acht nehmen muß, sie nicht noch am Ende um Verzeihung zu bitten, weil die beste Heirath, die sich nur auf hundert Meilen blicken ließ, uns gerade gut genug war für das eigensinnige, garstige Mädel. O Herr Graf, wenn Sie sie kennten, wie wir! Es ist eine harte Sache, große Kinder zu haben, die Vater und Mutter am Bändel führen, statt sich von ihnen regieren zu lassen.
Ich beklage Euch aufrichtig, guter Freund. Aber noch immer seh' ich nicht ab, warum Ihr bei mir Hülfe in Eurer Noth sucht.
Der wackere Mann sah ihm zutraulich ins Gesicht. Er zögerte aber dennoch, mit seinem eigentlichen Ansinnen herauszurücken.
Es ist zu viel verlangt, ich weiß es, sagte er kopfschüttelnd. Ihr seid ein Gelehrter, ein großer Professor, und kennt alle alten Schriften und habt keine Zeit, Euch um solche Kindereien zu kümmern. Und doch, wie mein Mädel gestern nach Hause kam und erzählte, daß sie Euch draußen angetroffen habe, und wie freundlich Ihr Euch mit ihr eingelassen, und daß sie vor keinem lebendigen Menschen größern Respect hätte, als vor Euch, und was Ihr zu ihr sagtet, das sei ihr wie Gottes Wort, geradezu ein Evangelium, –: und dann war sie den ganzen Abend so aufgeräumt und gesprächsam, wie seit Ancona nicht mehr, ja wir haben sie sogar ganz spät noch singen hören. Mann, sagte mein Weib noch gestern Abend zu mir, wenn du am Ende zu dem jungen Grafen gingest, daß Der mit unsrer Nerina redete und sie zur Vernunft brächte! Denn wenn es noch Einer zu Wege bringt, kann Der es –: der Signor Contino; –: hast du nicht gesehen, wie ihr die Augen leuchteten, als sie von seinem Genie und seiner großen Gelehrtheit sprach? –: Und so –: sehen Ew. Gnaden –: so sprach mein Weib, und heute früh fing sie gleich dasselbe Lied wieder an, und darum habe ich mir ein Herz gefaßt, lieber Herr Graf, Euch zu besuchen und zu bitten, ob Ihr nicht einmal herüberkommen möchtet und bei unserm Kind, unserm Augapfel, nach dem Rechten sehen.
Leopardi war in den Lehnstuhl zurückgesunken; er hatte die Augen geschlossen und glich mehr einem Schlafenden, als einem Menschen, in dessen Brust heftige Gefühle mit einander streiten. Auch als der bekümmerte Vater seinen Spruch geendigt hatte, blieb er noch unbeweglich, und schon glaubte der wackere Mann, er habe einen vergebenen Gang gemacht; dieser junge Graf, den seine Tochter so hoch gerühmt, dünke sich zu gut, um einen armen Nachbarn nur anzuhören, und stelle sich schlafend, um ihn wieder los zu werden: als der jüngere Bruder, Carlo, der Liebling Giacomo's, ins Zimmer trat und mit einem heiteren »Guten Morgen!« die bange Stille verscheuchte.
Der Dichter stand langsam auf, reichte dem verdutzten Biedermann die Hand und sagte: Es bleibt also dabei, Herr Luigi. Heute Nachmittag komm' ich zu Euch hinüber und sehe mir das berühmte Bild an, und der Himmel gebe, daß es ein Werk des großen Rafael selber sein und Euch fünfzigtausend Scudi ins Haus bringen möge. Gehabt Euch wohl und grüßt mir Eure gute Frau, und dankt ihr einstweilen in meinem Namen, daß sie eine so gut Meinung von meinem Kunstverständniß gefaßt hat.
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Die Stunden der Siesta waren kaum vorbei, als der Dichter aus dem Portal der Casa Leopardi trat und auf die niedrige Thür des Nachbarhauses zuschritt. Hinter einem viereckigen Schiebfenster neben dem Eingang kündigten ein paar Hüte in der Form, wie sie die Gebirgsbewohner tragen, den Laden des Hutmachers an, und auf einem schwarzen Schilde mit weißen Buchstaben über dem Thürsims stand der Name. Der Meister selbst aber schien den Tag, an welchem seinem niedern Dache die Ehre dieses Besuchs widerfahren sollte, als einen Feiertag anzusehen; er saß in vollem Anzuge auf dem Steinbänkchen neben der Thür, stand sofort höflichermaßen auf und geleitete seinen vornehmen jungen Gönner mit vielen Kratzfüßen ins Haus.
Wir haben dem Kinde gar nichts davon gesagt, raunte er Leopardi zu, als sie im finstern Hausflur die steile Treppe hinaufstiegen. Sie ist so curios, am Ende wäre sie uns weggelaufen, und die Mühe, die Ew. Gnaden sich geben, wäre umsonst gewesen. Hier, rechts hinein, wenn Ihr die Gnade haben wollt. Ihr müßt vorlieb nehmen mit unserer schlechten Einrichtung. Geringe Leute, lieber Herr Graf, geringe Leute, und wir haben bessere Tage gesehen, und sie könnten wiederkommen, wenn Alles ginge, wie es gehen sollte.
In dem großen, aber niedrigen und kahlen Zimmer, dessen Steinboden nur mit einer ellenbreiten Strohmatte bedeckt war, trat Nerina's Mutter ihnen entgegen und begrüßte den Besucher mit anständiger Freundlichkeit. Sie war offenbar von besserer Herkunft und feinerem Blut, als ihr Mann; oder war es nur, daß die Züge des stillen blassen Gesichts und die kohlschwarzen, aber erloschenen Augen an ihre Tochter erinnerten, jedenfalls hätte ihr Betragen keinem vornehmen Hause Unehre gemacht. Auch war ihre einfache Kleidung sauber und stand der noch immer nicht verfallenen Gestalt mit einer gewissen Zierlichkeit an.
Das Bild, das den Vorwand zu diesem Besuch hergegeben, hing im schlechtesten Lichte zwischen den beiden Fenstern, die auf die Straße gingen. Gleichwohl fand Leopardi auf den ersten Blick, daß es der Mühe nicht lohnte, es herabzunehmen und am Fenster sorgfältiger zu untersuchen. Es war eine Schülercopie nach einer bekannten Madonna des Guido, die auf einem Hausaltar ihren Platz ganz wohl ausfüllte, sonst aber sich über ihre ruhmlose Verbannung in das Haus eines kleinen Bürgers von Recanati nicht beklagen durfte.
Er habe es wohl gedacht! sagte der Besitzer achselzuckend, indem er mit einem Tüchlein den verstäubten Rahmen ein wenig blank putzte. Etwas Gutes verirre sich nicht zu ihm; er sei einer von Denen, die nie den Löffel hätten, wenn es Brei regne; wenn seinetwegen ein Wunder geschähe, so wäre das das größte Mirakel von allen; übrigens würde er darum nicht klagen, wenn nur sonst –:
Er verstummte, da eben die Thür sich aufthat und das Mädchen hereintrat. Sie hatte in der That nicht erfahren, wer kommen sollte, denn sie zeigte sich ganz, wie sie immer im Hause herumging, in einem ausgewachsenen Röckchen, das nur eben bis an die schlanken Knöchel reichte, über dem Mieder ein leichtes Tuch kreuzweis um Hals und Busen geschlagen, die Arme darunter bloß. Auch erröthete sie und that einen leisen Schrei, als sie Leopardi bei den Eltern stehen sah. Aber sie besann sich sogleich, strich nur einmal mit der Hand über die Haare und trat dann unverlegen näher. Er fand sie noch reizender in ihrer Haustracht; auch schien ihm das Gesichtchen heute voller und alle Farben frischer, da er es mit den gealterten Zügen der Mutter verglich. Und wie hell und schalkhaft klang ihr Lachen, als ihr der Vater das Märchen von dem Bilde vortrug, das er für was Apartes gehalten, und nun habe der Herr Graf ihm gesagt, es sei nicht eben viel Aufhebens werth.
Habt Ihr nicht in Ancona die Bilder gesehen im Dom, Babbo? sagte das Mädchen. Da konnte man doch sehen, was schöne Meisterstücke sind. Mir aber ist unser Bild dennoch lieb. Ich habe es schon immer betrachtet, wie mich die Mutter noch auf dem Arm trug. Und später, wenn mir etwas weh that, ist mir immer wohler geworden, wenn ich die Augen recht still darauf richtete. Nicht wahr, Mutter, wir geben es nicht her um viel Geld? Und zum Glück will es ja auch Niemand haben.
Die Mutter, die nicht ein Wort gesprochen, aber das Kind mit einem langen Blick kummervoller Liebe angesehen hatte, ging jetzt hinaus. Nach fünf Minuten öffnete sie wieder die Thür und rief ihrem Manne, er möchte doch einen Augenblick hinunterkommen, es sei Jemand da, der eine Bestellung zu machen habe.
Der Meister entschuldigte sich bei seinem Gast und verließ das Gemach, Leopardi war mit dem Mädchen allein.
Er hatte sich in den Stunden über Tag mit nichts Anderem beschäftigt, als wie er die Rolle eines Beichtigers, die ihm aufgedrängt worden, auf die unmerklichste Art durchführen solle. Nun verließ ihn, diesen arglosen Augen gegenüber, all seine künstliche Ueberlegung.
Nerina, sagte er und faßte ihre Hand, hast du ein wenig Zutrauen zu mir?
O, viel! erwiederte sie und sah ihm mit einem Blick reinster Hingebung in die Augen.
Ich weiß es, meine kleine Freundin, fuhr er fort. Und darum bin ich herübergekommen, um Etwas mit dir zu besprechen, was mir Sorge macht. Du hast so gute Eltern, Nerina. Liebst du sie nicht?
Sie nickte nur, aber recht ernstlich und lebhaft, und legte dabei die Hand aufs Herz.
Wenn du sie aber liebst, wie sie es verdienen, warum betrübst du sie denn? Dein Vater hat mir erzählt, daß du verlobt gewesen seiest mit einem sehr braven jungen Menschen, und daß diese Heirath ein Glück für euch Alle wäre. Warum hast du nun plötzlich Alles umgestoßen und willst nichts mehr von diesem Bräutigam wissen und sagst nicht einmal der Mutter einen ordentlichen Grund, warum du plötzlich deinen Sinn geändert hast?
Bei den ersten Worten, die ihre Verlobung berührten, hatte sie sich abgewendet und den Kopf auf die Brust sinken lassen. Er sah, wie es sie heftig angriff, daß er auf diese Sache zu sprechen kam. Hat mich der Vater verklagt? brachte sie endlich mit stockender Stimme hervor.
Er liebt dich, Nerina, und möchte dich gern glücklich sehen, und betrübt sich, weil du nichts von dem Glück wissen willst, das er dir ausersehen hat.
Ein Glück für mich! –: und sie kehrte ihm das über und über glühende Gesicht wieder zu. O wenn Ihr wüßtet, Signor Giacomo! –: Aber wozu davon reden? Ihr könnt die Dinge doch nicht anders machen, als sie sind. –: Und doch –: Ihr allein –: von Euch allein hab' ich's ja, daß das kein Glück wäre –: keins für mich –: wenn es auch dem babbo und der mamma so scheinen mag –: denn Keiner ist ja dem Andern gleich, und Jeder will doch nur sein Glück –: ist es nicht so, Signor Giacomo?
Du hast Recht, Kind, und ich, wahrlich, ich werde dir nicht Unrecht geben. Auch mir muthet man zu, glücklich zu sein mit dem, was vielleicht Andere trösten könnte. Aber wo hätte ich dich das gelehrt? Wann haben wir je von Liebessachen gesprochen?
Sie schüttelte den Kopf. Gesprochen nicht! Aber doch weiß ich es nur von Euch, was Liebe ist. O, Herr Giacomo, Ihr werdet mich verachten, daß ich mir das erst von einem Dichter hab' müssen sagen lassen. Aber seht, wie der Antonio zuerst nach Recanati kam, war ich noch so viel jünger und kindischer, und weil er mir Bänder und Tüchlein und eine Kette von Korallen schenkte und selbst so hübsch gekleidet war, auch singen und tanzen konnte, besser als die andern jungen Leute hier oben, da glaubte ich, ich könnte recht von Glück sagen, wenn ich seine Frau würde, und ich hätte ihn lieb. Obschon –: auch damals gleich merkt' ich, daß er mir gar nie fehlte, wenn er nicht da war, und daß mir die Zeit nur länger war, bis er wieder ging. Aber ich dachte, das sei nur, weil ich mich vor ihm scheute und schämte; ich sei eben noch ein zu kindisches Ding, um eine Liebschaft zu haben, wie die größeren Mädchen. Aber dann, wie er schon lange wieder fort war und schrieb mir die schönsten Liebesbriefe, die wenigstens der Mutter ausnehmend wohlgefielen, da war's, vor drei Monaten, daß die Sofia mir Eure Gedichte lieh, und da –:
Sie stockte einen Augenblick. Dann aber, die Augen fest auf das alte Bild geheftet, fing sie an, während eine liebliche Glut ihre Wangen färbte, die Verse herzusagen:
Ich weiß den Tag, da ich zum ersten Mal
Den Kampf der Liebe stritt und zu mir sprach:
Ist
das die Liebe, weh, wie schafft sie Qual!
Am Boden haftete der Blick, doch ach,
Ich sah nur
Sie, die mit unschuld'gem Triebe
Zuerst sich Bahn zu diesem Herzen brach.
Wie schlimm mißhandelt hast du mich, o Liebe!
Warum nur stürzt uns diese süße Lust
In solcher Schmerzen sehnliches Getriebe!
Nicht sanft, nicht freudig ward ich mir bewußt
Der neuen Macht. Sie kam mit Weh' und Klagen
Und schnürte mir mit dunkler Angst die Brust …
Wie leibhaft stand die reizende Gestalt
Im Finstern da, und ob ich auch die Lider
Zudrückte, sie erblickt' ich tausendfalt.
Wie floß mit süßem Grau'n durch meine Glieder
Verworr'ne Glut, wie wogten ohne Stocken
Gedanken durch den Sinn mir auf und nieder …
Und dann die Stelle, wissen Sie:
Wach lag ich noch in frühen Morgenstunden,
Da stampfend schon an unsres Hauses Thor
Die Räuber meines Glücks, die Rosse, stunden.
Und ich, verzagt und stumm, ein blöder Thor,
Hielt zum Balcon hin in den Finsternissen
Umsonst mein Aug' und mein begierig Ohr,
Ob ich noch einmal, eh' sie würd' entrissen,
Die Stimme hörte, die geliebte, traute,
Die Stimme nur! Mehr sollt' ich ewig missen.
Wie oft verletzten widrig rohe Laute
Mein zweifelnd Ohr; ein Frösteln fiel mich an,
Daß kaum das Herz zu klopfen sich getraute.
Und als die theure Stimme endlich dann
Mir an die Seele drang und von den Rossen
Und Rädern schlug der Lärm zu mir hinan,
Da, wie verwais't, die Augen fest geschlossen,
Krümmt' ich mich zuckend auf der Lagerstatt,
Die Hand aufs Herz gepreßt, in Gram zerflossen.
Dann schleppt' ich mich auf schwanken Knieen, matt,
Stumpfsinnig durch das schweigende Gemach
Und frug: was ist's, das dich erschüttert hat?
Und bitterlich ward die Erinnrung wach
In meiner Brust, für jedes Bild verschlossen,
Für jede Stimme, die zum Herzen sprach.
Ein öder Schmerz war über mich ergossen,
Wie wenn der Regen weit und breit ins Land
Herniederrieselt, traurig und verdrossen.
Noch hatt' ich dich, o Liebe, nicht gekannt,
Und achtzehn Sommer lebt' ich bis zum Tage,
Wo ich mit Thränen deine Macht empfand! –: –:
Aber Sie werden mich für eine Närrin halten, unterbrach sie sich plötzlich. Ich wiederhole Ihnen da Ihre eigenen Verse und noch dazu so ungeschickt, wie ich bin, denn ich weiß gar nicht, wie man so schöne Worte hersagen muß; man sollte sie nur immer singen, wie die Rispetti, nicht wahr? nur mit einer viel, viel schöneren Melodie. O, Herr Giacomo, wie ich dies Gedicht von der ersten Liebe zuerst las, da wurde mir zugleich so froh und so traurig wie nie zuvor. Ich wußte auf einmal, daß ich Antonio nie geliebt hatte und nie lieben würde, und das ängstigte mich, denn es that mir leid um ihn und um mich. Zugleich aber fühlte ich auch, was für eine Paradieseswonne man erleben müßte, wenn man wirklich liebte; denn schon im bloßen Denken daran und wenn ich wieder und wieder las, wie Euch zu Muth war, als Ihr diese bitteren Wonnen zuerst erlebt, –: nein, es war eine Seligkeit über alle irdischen Freuden, und was sie mir sonst als ein Glück vorgestellt, das mir Antonio bereiten würde, wenn ich seine Frau wäre, –: nicht den Finger hätte ich danach ausstrecken mögen, geschweige meine beiden Arme!
Sie sah mit erhobenen Augen durch das Fenster gegen den Himmel, von dem ein kleines Stück über das Dach hereinblaute. Ihn selbst, zu dem sie Alles sagte, trafen ihre Blick nicht; es war, als spräche sie nur mit sich allein und seinem Genius, der ihr aus den Versen wieder nahe getreten, aber kein Zuhörer in Fleisch und Blut stände neben ihr. Und er war zu tief bewegt, um sie an seine Gegenwart zu erinnern. Nie waren seine eigenen Worte ihm so schön erschienen, wie auf ihren Lippen, von einem so dunklen Ton getragen, als kehrten sie aus weiter Ferne, von einem zarten Echo wiederholt, zu seinem Herzen zurück.
Und so kam es! fuhr sie mit einem stillwehmüthigen Kopfnicken fort. So hab' ich ihn mit Zittern wiedergesehen, und Nichts hat sich in mir geregt, als die namenlose Angst, daß ich ihn niemals lieben würde. Einen Grund hätt' ich der Mutter sagen sollen? Ich hatte keinen andern, und den sagt' ich ihr, aber sie wußte nicht, was ich meinte. Sie ist so gut, und holte mir die Sterne vom Himmel, wenn sie könnte, aber doch will sie mir ein Glück schaffen, das mich zu Grunde richten würde. Ich hab' es ihr zu erklären gesucht; darauf hat sie zu dem Gevatter geschickt, dem Chirurgen, der hat gesagt, sie sollten mich noch eine Weile in Ruhe lassen, es würde sich von selber geben. Ich glaubte es gleich damals nicht –: und jetzt –: jetzt weniger als je!
Sie trat von ihm weg an das Fenster und bog sich hinaus; die Wangen brannten ihr, und sie fächelte sich Kühlung zu mit dem Zipfel ihres Busentuchs. Indessen hatte er Zeit gehabt, sich zu fassen und das zu überlegen, was er ihr zu sagen für seine Pflicht hielt.
Liebste Nerina, fing er zögernd an, es thut mir leid, daß ich dies Unheil mit verschuldet habe durch die unseligen Verse. Aber sieh, Kind, ich bin damals in einem andern Fall gewesen, als du; ich wurde nicht geliebt, wie du, da wächs't dann die Glut zu so heftiger Flamme an, daß sie hernach auch ganz Fremde mit ansteckt. Wenn aber die Liebe erwidert wird, bleibt sie eine sanfte Glut, die das Herz erwärmt und belebt und das Haus und den Herd traulich macht und von Jahr zu Jahr wohler thut, und nur weh in der letzten Stunde, wenn Eins früher als das Andere aus der Welt gehen muß. Du solltest deinem Schutzengel danken, Nerina, daß er dich vor einem so wilden Brande bewahren möchte, wie er aus diesen Versen lodert. Sieh mich an, und frage dich, ob dir ein Glück beneidenswerth scheint, daß den, der es besitzt, so verzehrt und erschöpft, sein Gesicht ausgedorrt und seine Glieder entkräftet hat. Und es ist noch gütig von der Natur, daß sie nur Wenigen dies Loos zuertheilt, so leidenschaftlich sich verzehren zu müssen. Viele Tausende erfahren es nie, was in der Brust eines unglückseligen Poeten für süße Qualen sich regen, und wenn sie den feuerspeienden Vesuv von ferne donnern hören und die Glut aus ihm hervorbrechen sehen, mögen sie an ihrem stillen Herde sich segnen, daß ein wohlthätiges Feuer darauf brennt, das ihnen und den Ihrigen Wärme und Nahrung spendet, ohne ihre Hütte zu verwüsten. Sieh, mein theures Kind, so wird es auch dir ergehen, wenn du nicht diesen gefährlichen Träumen nachhängst, sondern annimmst, was das Leben dir Gutes bietet. Wer weiß, ob du nicht, wenn du es verschmähst, alt und grau wirst und immer einsam bleibst, und immer wartest, ob dich nicht eine Leidenschaft ergreifen möchte, und niemals kommt Der, der sie in dir erwecken könnte, und statt dessen kommt der Tod, und du hast dein Leben versäumt!
Er hatte ihre Schulter berührt und sie sacht vom Fenster zurückgezogen. Plötzlich wandte sie sich nach ihm um und stürzte ihm an den Hals, in Thränen ausbrechend und das glühende Gesicht an seiner Schulter verbergend.
Er erschrak heftig. Einen Augenblick drohten ihm die Sinne zu vergehen.
Er hielt die heftig zuckende Gestalt an seine Brust gedrückt, sein Mund ruhte auf ihrem weichen Haar, das Herz wollte ihm springen vor Weh und Wonne.
Dann kehrte ihm die Besinnung zurück, zugleich mit einem Gefühl schneidenden Schmerzes, das ihn eisig durchschauerte.
Nerina, flüsterte er, mit Heldenstärke sich aufrichtend, mein armes, armes Herz, was thust du? Zu mir flüchtest du dich in deinem Kummer? Ich –: ich Armseliger –: ich vom Glücke Gemiedener –: ein ruheloser Flüchtling von einem Ort der Qual zum andern! –: Komm! Komm zu dir! Sei stark, meine kleine Freundin! nimm dein Herz in deine Hände, eh' es dir ausbricht aus der zarten Brust! Nie werde ich vergessen, was mir diese bittere Stunde an Seligkeit beschert hat, nie werde ich dein Bild aus dem tiefsten Herzen verlieren, Nerina, und doch –: es muß sein! wir müssen scheiden, heute noch, und für immer!
Sie ließ ihn plötzlich mit einem krampfhaften Schauder, wie wenn sie sich an eine Leiche geklammert hätte, aus ihren Armen. Ihr Gesicht, das er ganz dicht vor sich sah, war völlig entfärbt, ihre Lippen geöffnet, aber die weißen Zähne auf einander gepreßt, als ob sie einen Schrei zurückzuhalten hätten.
Ich muß fort, wiederholte er langsamer. Die Worte kosteten ihn eine unsägliche Mühe. –: Ja wohl, Liebste, mein Verhängniß will es so. Wir werden uns nie wiedersehen. Aber damit ich nicht in alle Zukunft dein Angedenken mit mir trage wie eine mahnende Stimme der Schuld und Reue, versprich mir Eins, Nerina.
Sie sah ihn unverwandt an, und nur ein fast unmerkliches Bewegen der schwarzen Wimpern sagte ihm, daß sie hörte, was er sprach.
Versprich mir, wenn ich nun fort bin, daß du dir Mühe geben willst, dich in das Leben zu finden, wie es Tausende thun. Ich muthe dir nicht zu, deinem Herzen Gewalt anzuthun. Aber du bist jung, Nerina, und das Leben verwandelt uns wundersam, und wenn wir die Tage nur machen lassen und uns nicht selbst gegen ihre Macht verstocken, –: es werden Dinge möglich, die wir vor Jahr und Tag nicht zu denken vermocht haben, und Manches beglückt uns einst, was wir erst mit Abscheu von uns gewiesen haben. Nur daß du der Zeit Zeit lassen willst, nicht eigensinnig dich in deine Träume einspinnen, daß du bedenken willst, wie elend du mich machen würdest, wenn ich dich einst nicht glücklich denken dürfte, nur das versprich mir, meine geliebte Schwester. Willst du das, Nerina?
Er hielt ihr die Hand entgegen; sie berührte sie aber nicht. Eine Weile schien sie nachzudenken, dann erschütterte ein tiefer Seufzer die schlanke Gestalt, und sie sagte mit einer Stimme, die ihm durch die Seele ging:
Ich will es versuchen –: um Euretwillen! –: Lebt wohl!
Dann schritt sie langsam an ihm vorbei, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen, und verließ das Zimmer.
——————
Der Vater kam wieder herein, die Mutter folgte ihm. Sie fanden Leopardi am Fenster stehend, so tief versunken, daß er sie lange nicht bemerkte.
Als er sich endlich besann, wo er war, und den umflorten Blick aufhob und die Gesichter der guten Leute erkannte, die mit ehrerbietiger Zurückhaltung abwarteten, was er ihnen mitzutheilen hätte, zwang er sich mit äußerster Mühe, freundlich und gelassen zu erscheinen, sagte ihnen, daß sie die Hoffnung nicht aufgeben sollten, es werde sich noch Alles zum Guten wenden; nur gedulden sollten sie sich, das Mädchen nicht drängen und ängstigen; es sei ein wundersames Kind, es werde immer das Rechte und Rechtschaffene thun, wenn man es gewähren lasse, –: es habe ein Herz von Gold und einen Geist so rein wie die Himmelsluft.
Und nun gab er Beiden die Hand; der Mutter standen die Thränen in den Augen. Der Vater geleitete ihn mit vielen Betheuerungen seines Dankes bis zum Portal des gräflichen Hauses zurück; als Leopardi sich von ihm verabschiedete, warf er einen Blick auf das Fensterchen oben, an welchem der Nelkenstock blühte. Es war fest geschlossen.
Es öffnete sich auch nicht am Abend und nicht in der Nacht. Nur als am frühen Morgen der Wagen vorfuhr, der den jungen Grafen hinunterführen sollte, erschien ein blasses Gesicht oben hinter den Scheiben. Der Scheidende, nachdem er sich aus den Umarmungen der Seinigen gerissen hatte, bog sich im Fortfahren noch einmal aus dem Wagen und sah nach dem kleinen Fenster zurück. Als er die Hände erblickte, die ihm nicht nachwinkten, sondern still in einander gelegt auf dem Fenstersims ruhten, schnitt der Schmerz dieses Abschieds auf Nimmerwiedersehn ihm wie mit Messern durchs Herz. Er warf sich in den Wagen zurück und verbarg die überquellenden Augen in seine Hände.
Es hatte ihn keine geringe Mühe gekostet, Vorwände zu ersinnen, die seine übereilte Abreise vor den Eltern rechtfertigten. Nur das Versprechen, daß er zurückkehren würde, sobald die dringenden Geschäfte, die ihn nach Florenz riefen, abgethan seien, hatte ihm endlich Urlaub erwirkt.
Er konnte sein Versprechen nicht halten. –: Eine schwere Krankheit erbarmte sich seiner und umhüllte ihm wochenlang das Bewußtsein. Als er endlich zum Gefühl seines Unglückes wieder genas, brach ein früher Winter herein, und es war nicht daran zu denken, daß er in die rauhe Höhe seiner Heimath zurückkehrte. Er schleppte sich nach Pisa und verbrachte dort die Jahreszeit, die ihm immer am feindlichsten war, unter trefflichen Menschen, die ihn zu schätzen wußten und Alles thaten, seine Leiden zu lindern. Er lächelte wehmüthig zu diesen Bemühungen. Wußte er doch, daß Alles, was zu gewinnen war, nur eine neue Ruhepause seiner körperlichen Anfälle sei, in welcher seine Seele um so ungestörter ihrem Gram um das ewig Versagte nachhängen konnte.
Er schrieb fleißig an die Seinigen. Oft in den Briefen an Paolina wollte ihm die Frage aus der Feder, was Nerina mache. Doch immer wieder hielt er an sich. War es die Scheu, sein Geheimniß preiszugeben? oder die Furcht vor der Antwort, die, wie sie auch lauten mochte, seine Wunde von Neuem aufreißen mußte?
Gegen das Frühjahr endlich faßte er sich doch ein Herz, und in einer langen Liste von kleinen Erkundigungen nach allerlei Bekannten von Recanati ließ er auch die Frage mit einfließen, ob ihre kleine Nachbarin noch so hübsche Lieder singe, oder ob sie etwa nach Ancona übergesiedelt und glücklich unter die Haube gekommen sei.
Schwester Paolina schrieb zurück, alle Anderen seien wohlauf und ließen ihn aufs Schönste grüßen und hofften, er werde bald in Person den Beweis führen, daß auch berühmte Leute die Luft von Recanati ertragen könnten. Was die kleine Sängerin im Nachbarhause betreffe, so sei ihre Stimme seit dem Sommer schon verstummt, und in den ersten Frühlingstagen habe man das arme Kind hinausgetragen an die Stätte des ewigen Schweigens. Ihre Brust sei zu schwach gewesen für die hellen Töne, die sie gern angestimmt. Es sei eine große Trauer um sie gewesen in der ganzen Stadt; Jedem scheine sie nun zu fehlen, obwohl Keiner vorher viel von ihr gewußt habe. Aber sie nur zu sehen, habe Jedem wohlgethan, und nun sei wieder eine Gestalt weniger vorhanden, die dem alten, häßlichen Häuserhaufen (auch Paolina verabscheute ihren Geburtsort) für Menschen, die das Schöne lieben, zum Schmuck gereicht habe.
Als Leopardi diese Botschaft empfangen, schloß er sich mehrere Tage selbst gegen seine Vertrautesten ab. Niemand ahnte den Grund. Niemand als der Schwester hat er je sein Herz über dieses Schicksal geöffnet.
Und auch diese Wohlthat, sich ihrer mitempfindenden Seele zu vertrauen, genoß er erst im folgenden Jahre. Er fühlte nicht früher die Kraft, den Ort wiederzusehen, der ihm jetzt mehr als je das Grab all seiner Jugendhoffnungen war.
Als er sein Zimmer in Recanati zuerst wieder betrat, war er zu feige, die Thür des Balcons zu öffnen und nach dem Fenster hinüberzublicken. Er verbrachte die Nacht in dumpfer Trauer. Am Morgen, nachdem ihn kaum ein kurzer Schlaf ein wenig gekräftigt hatte, klopfte es wieder wie damals an seine Thür, und wieder trat der Nachbar Luigi bei ihm ein; doch sah er aus, als ob zehn Jahre zwischen dem Heute und dem Damals lägen. Das ehrliche Gesicht war tief gefurcht, die struppigen Haare ergraut, der Anzug vernachlässigt.
Er entschuldigte sich, mit einer Stimme, die barsch und müde klang, daß er den Herrn Grafen noch einmal belästige. Doch habe er einen Auftrag an ihn, der es ihm zur Pflicht mache. Sein Kind –: der Herr Graf werde sich wohl noch entsinnen, er habe ja selbst eine so gute Meinung von der Nerina gehabt –: nun, der Herrgott habe wohl auch eingesehen, daß sie zu gut für diese Welt sei, und habe sie in sein ewiges Paradies eingehen lassen. Alle menschliche Mühe und Pflege sei umsonst gewesen, auch eine Krankheit habe man nicht eigentlich an ihr bemerkt, sie sei so hingeschmolzen und vergangen an den ersten Strahlen des April, wie der weiße Schnee auf dem Felde. Ganz so rein sei sie auch gewesen, nur nicht so kalt; denn je näher ihr Ende gekommen, je mehr habe sie sich Mühe gegeben, ihrer Mutter und ihm alles Liebe und Gute anzuthun. Zuletzt sei es übermenschlich gewesen, welch ein Herzweh sie um das liebe Kind ausgestanden hätten, das immer sanfter und heiterer geworden. In der letzten Nacht habe sie die Mutter an ihr Bett gerufen und sie gebeten, wenn sie nun todt sei und der Graf Giacomo komme einmal wieder herauf in die Stadt, so möchte sie ihm dies Täschchen geben und ihn von der Nerina grüßen. Die Mutter habe ihr das heilig angeloben müssen; sie wüßten ja auch, wie viel Respect und Zutrauen das Kind immer für den Herrn Grafen gehabt habe. Auch habe man auf ihr Bitten das kleine Büchlein mit seinen Canzonen ihr unter das Kissen legen müssen, auf dem sie nun den letzten Schlaf bis zur Auferstehung schlafe. Und hier sei das Täschchen; sein armes Weib habe sich nicht getraut, es dem Herrn Grafen selbst zu überbringen. Es greife sie noch immer so hart an, von dem Kinde zu reden.
Er wickelte aus einem leinenen Tuch, das er in der Brusttasche bei sich trug, ein kleines, viereckiges Täschchen heraus, das er dem Tieferschütterten übergab. Es war kunstreich aus schwarzen Seidenläppchen zusammengenäht, die Ränder mit goldenen Schnürchen eingefaßt, auf der einen Seite ein Kranz von kleinen Lorbeerblättern aus grüner Seide gestickt, ein L aus Goldfäden in der Mitte. Drinnen aber steckte, sorgfältig zusammengelegt und ganz rein gehalten, das Blatt, auf welchem Leopardi an jenem Abend ihr die Strophe aufgeschrieben, die er am Hügel gedichtet. Die letzte Zeile war mit einem feinen Bleistift dreimal unterstrichen, als ob sie ihn hätte wissen lassen wollen, wie oft sie die Worte nachgesprochen:
»Und süß ist mir's, in diesem Meer zu scheitern!«
——————
Als der Abend kam und das Siebengestirn wieder über der schlafenden Stadt leuchtete, saß Leopardi auf dem Balcon, die Mappe auf den Knieen, in der er –: mit welchen Schauern der Erinnerung! –: erst heute jenen langen Herzenserguß wiedergefunden hatte, den Zeugen der glücklichen Nacht, da er noch einmal an seine Jugend glaubte. Das Nelkensträußchen lag dabei, die Blumen waren dürr und gebräunt, die Schnur aus den schwarzen Haaren glänzte noch an dem Licht der Lampe, als er sie aufhob und betrachtete. Das Alles hatte er damals zurückgelassen, als er so eilig floh. Nun verschärfte es seine Schmerzen.
Wie es Mitternacht schlug, kam eine Stille über ihn. Er nahm das Blatt und schrieb unter die lange Beichte seiner »Erinnerungen« noch die folgenden Verse:
Und du, Nerina! Reden denn nicht auch
Von dir all diese Stätten? Wie? Du wärst
Mir aus dem Sinn geschwunden? Wohin gingst du,
Daß ich hier einzig nur dein Angedenken
Noch finde, Süßeste? Ach, deine Heimath
Erblickt dich nimmer; jenes Fenster dort,
Wo du mit mir geplaudert, drinnen jetzt
Sich nur so trüb der Strahl der Sterne spiegelt,
Ist leer. Wo bist du, daß ich deine Stimme
Nicht tönen höre, wie in jener Zeit,
Wo jeder ferne Laut von deinen Lippen,
Der zu mir drang, das Blut mir aus der Wange
Zum Herzen trieb? Vorbei! Vergangen ist
Dein Dasein, süßes Lieb; vergangen bist du.
Nun kommt's an Andre, durch die Welt zu wandeln
Und diese duft'gen Hügel zu bewohnen.
O, rasch vergingst du, und dein Leben war
Nur wie ein Traum! Als du dort tanztest, glänzte
Die Lust dir an der Stirn, glänzt' in den Augen
Die ahnungsvolle Zuversicht, das Licht
Der Jugend, –: da verlöscht' es das Geschick,
Und stille lagst du. Ach, Nerina, immer
Herrscht noch in mir die alte Liebe. Oft
Bei Festen, in Gesellschaft sprech' ich heimlich
Zu mir: O nicht zu Tanz und Festen mehr,
Nerina, schmückst du und gesellst du dich! –:
Und wenn der Mai kommt, grüne Zweig' und Lieder
Verliebte Knaben ihren Mädchen bringen,
Sag' ich: Nerina, nimmer kehrt für dich
Der Frühling wieder, nie die Liebe wieder!
An jedem heitern Tag, bei jeder Flur
Voll Blumen, jeder Freude, die ich fühle,
Sag' ich mir: Ach, Nerina freut sich nimmer,
Sieht Erd' und Himmel nicht! –: Du gingst dahin,
Mein ew'ger Seufzer, gingst dahin! und mir
Bleibt treu gesellt bei allen lieblichen
Gefühlen, allem Süßen, Trüben, Theuren,
Was mich bewegt, ein herbes Angedenken!
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Gebauer-Schwetschke'sche Buchdruckerei in Halle.
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