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(1874.)
Vor mehreren Jahren erneuerte ich auf der Fahrt von Dresden nach Leipzig eine Bekanntschaft, die im Schatten des hängenden Thurms von Pisa begonnen und in Florenz am Fuß von Giotto's Glockenthurm geendet hatte.
Der Mann in den Fünfzigen, den ich anfangs nach seiner Kleidung und gewissen brittischen Accenten seiner deutschen Rede für einen Engländer gehalten, hatte sich bald als einen guten Deutschen zu erkennen gegeben, der in jüngeren Jahren nach London übergesiedelt war, wo er ein großes Geschäft mit Juwelen, geschnittenen Steinen und alterthümlichem Goldschmuck etablirt hatte. Er pflegte alle drei, vier Jahre Italien zu bereisen, um Einkäufe zu machen. Daß er glücklich verheirathet sei, ein Haus voll wohlgerathener Kinder habe und sich von Jahr zu Jahr schwerer von seinem behaglichen Herde trenne, erfuhr ich schon in der ersten Stunde unseres Beisammenseins, da wir in derselben Trattorie unser Mahl einnahmen. Denn so sehr er im äußeren Zuschnitt zum Engländer geworden war, so wenig hatte er von der Zugeknöpftheit seiner neuen Landsleute angenommen. Vielmehr schien es ihm herzlich wohlzuthun, Jemand begegnet zu sein, der das Heimweh nach Frau und Kindern ganz in der Ordnung fand.
Seine Frau, erzählte er mir, war eine Deutsche, die Kinder alle deutsch erzogen. Er selbst zeigte sich ungewöhnlich gebildet, da er beständig deutsche Bücher las, um mit allen geistigen Bewegungen in seinem Vaterlande fortzuleben. Auf meine Frage, warum er bei so starkem Heimathsgefühl dennoch in der Fremde sein Leben gegründet habe, erwiederte er kurz: in seiner jungen Zeit habe er keine freie Wahl gehabt, und später –: sei es eben zu spät gewesen.
Sein helles, offenes Gesicht –: er war noch immer ein auffallend schöner Mann, ohne ein einziges Zeichen des Alters –: verdunkelte sich einen Augenblick; der Schatten einer ernsthaften Erinnerung flog darüber hin. Sogleich aber wurde er wieder heiter und blieb es die vier Tage hindurch, die wir noch zusammen verlebten. Er hatte alle Winkel Italiens durchstöbert, kannte überdies Spanien und Griechenland und ein gut Stück von Frankreich, und die Feinheit und Eigenheit seines Kunsturtheils hätte manchen unserer Professoren der Kunstgeschichte beschämt, die nur ein paar Museen durchlaufen haben.
Als wir uns in einer schönen Sommernacht auf dem Florentiner Domplatze trennten, versprachen wir uns freilich von einander hören zu lassen. Es kam, wie vorauszusehen war, nicht dazu. Desto größere Freude war es mir, zehn Jahre später das wohlbekannte Gesicht im Gewühl des Dresdener Bahnhofs wieder auftauchen zu sehen.
Er war völlig unverändert, die blonden Haare ein wenig gelichtet, aber immer noch ohne einen Anflug von Grau. Auch seine herzliche Art, sich mitzutheilen, war sich gleich geblieben.
Sie werden mich etwas stiller und einsilbiger finden, als bei unserm ersten Begegnen, sagte er. Aber wenn Sie bedenken, daß ich seit fünfunddreißig Jahren zum ersten Mal wieder in diese Gegend komme, wo ich eigentlich zu Hause bin, können Sie wohl begreifen, daß mir allerlei durch den Kopf geht. Ich werde das natürlich für mich behalten; meine sentimental journey soll Sie nicht langweilen. Plaudern wir lieber von der Kunst; nur nicht von den beiden Holbein'schen Madonnen, über die jetzt ein so hitziger Kampf entbrannt ist. Ich gestehe Ihnen, daß ich trotz des englischen Klima's nicht gern im Nebel fechte, und ehe hier die matter-of-fact-Frage deutlicher zu Tage liegt, ich meine, ehe man nicht die Darmstädterin von allen späteren Zuthaten gereinigt hat, möchte ich nicht für oder wider plaidiren.
Ich hatte eben so wenig Lust dazu, und so waren wir bald wieder weit weg von deutschen Kunsthändeln, mitten in südlichen Erinnerungen.
Ich bemerkte aber wohl, daß mitten im lebhaftesten Gespräch mein trefflicher Freund zuweilen verstummte, die Gegend, die wir durchflogen, musterte, oder in seine Gedanken versank. Als wir endlich Grimma erreichten, erhob er sich von seinem Sitz und griff nach dem Handgepäck.
Hier bleibe ich über Nacht, sagte er. Ich bin hier geboren worden und möchte mich einmal umsehen, ob die alte Fürstenschule, wo ich mein bischen Latein gelernt habe, noch auf dem alten Flecke steht. Sehen wir uns in Leipzig? Wir hätten uns doch wohl noch Manches zu sagen.
Sie werden heute Abend lieber allein sein wollen, versetzte ich. Sonst würde ich Ihnen auch in Grimma so gern wie in Pisa Gesellschaft leisten.
Ist das Ihr Ernst? fragte er rasch. So halte ich Sie beim Wort. Ich gestehe Ihnen, daß ich mit einer gewissen Gespensterfurcht daran denke, hier zu übernachten, und Ihnen sehr dankbar sein werde, wenn Sie bei mir bleiben wollen.
Aber freilich, setzte er nach einer kleinen Weile hinzu, die nächsten Stunden werde ich nicht mit Ihnen theilen können. Wir finden uns dafür Abends desto behaglicher wieder zusammen, wenn ich meine Runde gemacht und Alles hinter mir habe, was dahinten liegt.
So geschah es denn auch.
Der »Kronprinz« in Grimma, obwohl das vornehmste Hotel der Stadt, ist noch ein Gasthof des guten alten Schlages, wo dem Reisenden zu Muthe wird, als genösse er die Gastfreundschaft menschenfreundlicher guter Leute, die ihre eigene Wohnung räumen, um Fremden darin eine Herberge zu gewähren. Das stattliche Auftreten meines Begleiters, obwohl er sich als ehemaligen Mitbürger der alten Wirthin nicht sogleich zu erkennen gab, verschaffte uns die Begünstigung, daß man uns das beste Zimmer aufschloß, einen förmlichen Saal mit fünf Fenstern, mit Möbeln ausgestattet, die vor fünfzig Jahren das Neueste und Kostbarste gewesen waren, was zu einer Brautaussteuer nur aufgetrieben werden konnte. Es fehlte auch nicht die »Servante« mit vergoldeten Tassen, silberner Zuckerschale und Zuckerzange, dem Bouquet aus Haarblumen, dem Pudel aus Filigranglas und mancherlei künstliche Sächelchen, und die Wände waren mit alten Kupferstichen reichlich behangen. Zwei bequeme altmodische Betten standen in den entgegengesetzten Ecken, die Sauberkeit der Vorhänge und des Linnenzeugs stammte gleichfalls aus der guten alten Zeit.
Sie haben doch nichts dagegen, daß wir Schlafkameraden sind? sagte mein Begleiter. Ich verspreche, Sie nicht zu stören, auch wenn ich selbst etwa lange wach bleiben sollte. In diesem Zimmer geistet es ein wenig. Hier habe ich die silberne Hochzeit meiner Eltern mitgefeiert. Die Gäste von damals sind jetzt sämmtlich »beim Nachtmahl«, wie Hamlet sagt, bis auf mich selbst, der damals doch nicht der Jüngste war. Aber ich will Sie nicht mit meinen Reminiscenzen von long long ago langweilen. Good bye und auf Wiedersehen at supper!
Er verließ mich, und ich folgte ihm nach einiger Zeit, um die Stunden bis zum Dunkelwerden mit einer Wanderung durch das Städtchen hinzubringen. Es war im April, eine rauhe Schneeluft strich durch die sauberen Straßen, draußen an den Ufern der Mulde, die im Sommer sehr lieblich sein mögen, jetzt aber noch in den ersten fröstelnden Knospen standen, war es so wenig geheuer, wie droben auf der Gattersburg, wo ich froh war, die Aussicht hinter sicheren Scheiben zu genießen. Fast bereute ich es, meinem englischen Freunde, der vielleicht nur aus Höflichkeit meine Gesellschaft angenommen hatte, hierher gefolgt zu sein. Ein Gefühl der Leere und Zwecklosigkeit, das auf der Reise sich nur allzu leicht einstellt, eine ganz unfruchtbare Melancholie und stimmungslose Nüchternheit überschlich mich immer verdrossener. Ich war froh, als der Tag zu Ende ging und mit dem Abendessen wenigstens eine greifbare Aufgabe an mich herantrat.
Auf dem Rückwege nach dem Gasthofe war ich beim Kirchhof vorbei gekommen, hatte mich aber wohl gehütet, ihn zu betreten, da ich meinen Gefährten darin herumwandeln sah. Ich war darauf gefaßt, ihn von diesem nachdenklichen Gange in sehr gedrückter Stimmung zu mir zurückkehren zu sehen. Desto erfreulicher überraschte mich die heitere Miene, mit der er in den Speisesaal eintretend mich begrüßte. Es schien nun wirklich Alles »hinter ihm zu liegen«.
Das Wort »Speisesaal« ist mir nur aus Versehen in die Feder geflossen, da man gewohnt ist, den Raum so zu benennen, der in einem Gasthof zum Einnehmen der Mahlzeiten dient. In Wahrheit besitzt der »Kronprinz« nur ein einziges Gemach, das über das übliche Zimmerformat hinausgeht: unsern fünffenstrigen Schlafsaal. Die beiden Zimmer zu ebener Erde nächst der Küche gelegen erfüllen indessen den Zweck, hungrige Wanderer zu laben, darum nicht schlechter, weil sie zugleich die Wohnzimmer der Familie sind, die sich bescheiden in einen Winkel zurückzieht, sobald die beiden Gasttische sich füllen. Nur der Nähtisch auf dem erhöhten Tritt an dem einen Fenster, der Großvaterstuhl an dem andern und der kleine alterthümliche Schreibsecretär erinnern an die anderen Arbeiten, denen man zwischen diesen traulichen Wänden obzuliegen pflegt. Nicht zu vergessen das anmuthige Gesicht der jungen Wirthstochter, die der Kellnerin selbst beim Bedienen der Gäste an die Hand geht, während in der fernsten Ecke die alte Wirthin Alles überwacht und dafür sorgt, daß die Ehre des Hauses keinen Schaden leide.
Es war heut ungewöhnlich leer und still hier unten. Nur ein einzelner Weinreisender, ein paar sehr alte Stammgäste und eine Base der Haustochter saßen vereinzelt in den beiden Zimmern, und kaum ein Flüstern wurde zwischen den Frauenzimmern in der Ofenecke hörbar. Der tückische Nachwinter hatte alle Frühlingsgäste, die sonst von Leipzig herüberschwärmen, fern gehalten. Im Uebrigen ist Grimma nicht eben ein Ziel für Touristen. Wir Beide, mein Londoner Freund und ich, erregten deßhalb einige Neugier bei dem weiblichen Personal, da man uns nicht für Kaufleute nehmen wollte und sich über den Zweck unseres Aufenthalts fruchtlos den Kopf zerbrach.
Wir hatten halblaut und von gleichgültigen Dingen geplaudert, während wir unser sehr lobenswürdiges Mahl verzehrten und einen ländlich sittlichen Wein dazu tranken. Dann bestellte mein Gefährte zwei Gläser Punsch, stand zugleich auf, und indem er der Wirthin näher trat, bat er mit der gewinnenden Gentleman-Höflichkeit, die ihm eigen war, um Erlaubniß, den Punsch an ihrem Tische und in ihrer Gesellschaft trinken zu dürfen, da er ein alter Bekannter sei, dessen sie sich freilich wohl nicht mehr entsinnen werde.
Diese Worte wirkten wahrhaft zaubergleich auf die Stimmung der guten Frauenzimmer, die auf einmal von ihrer Spannung in Betreff unseres Reisezweckes erlös't und mit einem endlosen Gesprächsstoff versehen wurden. Ich machte bei all diesen persönlichen Nachfragen und Auskünften den schweigsamen Zuhörer, bis ich merkte, daß der jungen Tochter die alten Familiengeschichten nicht viel interessanter waren, als mir, worauf wir uns in ein lebhaftes literarisches Gespräch einließen. Das Jungfräulein hatte an dem Nähtischchen in der Fensternische manche Stunde die Nadel ruhen lassen über einem neuen Buch und sich mehr dabei gedacht als manche großstädtische Leserin.
Dazwischen hörten wir Beide auch wieder dem Gespräch der Anderen zu, und als mein Freund bemerkte, daß er auf dem Kirchhof gewesen, seiner Eltern Grab nach seiner Anordnung wohl gepflegt, aber viele der merkwürdigsten Grabsteine nicht mehr vorgefunden habe, bemerkte die Tochter des Hauses, es sei ihr selber um Manches leid, was beim Aufräumen zertrümmert oder beseitigt worden sei, vor Allem um einen alten Denkstein, den sie jedesmal betrachtet habe, so oft sie den Friedhof betreten.
Sie beschrieb das Bildwerk darauf sehr anschaulich. Es stellte die feierlich-groteske Scene dar, wie am Todtenbette einer Frau ein Engel und ein Teufel sich um die arme Seele streiten, die mit dem letzten Athemzug dem Munde der Sterbenden entfährt. Der Engel habe an dem rechten Arm gezerrt, der Teufel am linken, es sei aber deutlich zu erkennen gewesen, daß die Gnade den Sieg behalten werde.
Jetzt habe man das Monument, das freilich stark verwittert gewesen, im Innern der Kirche an einer dunklen Wand eingemauert, wo es kaum noch zu erkennen sei.
Sie glauben doch nicht mehr an Teufel und Engel, Fräulein? mischte sich auf einmal der Weinreisende in das Gespräch. Er hatte sich eine Cigarre angezündet und blies mit überlegenem Lächeln den Rauch in kunstvollen Ringen in die Luft, während er in der offenen Thür zwischen beiden Zimmern gar anmuthig seine schlanke Figur schaukelte.
Das Mädchen, aus ihrer Harmlosigkeit aufgeschreckt, hatte nicht gleich eine Antwort auf diese Gewissensfrage. Ich aber, durch den Umgang mit meinem verstorbenen Freunde Julius Braun, der ein Buch: »Die Naturgeschichte des Teufels« schreiben wollte, in diese Materie tiefer eingeweiht und überdies geneigt, die Partei des Schwächern zu nehmen, konnte der Versuchung nicht widerstehen, gegenüber diesem hochmüthigen Teufelsleugner den advocatus diaboli zu machen. Ich erklärte, die neueren Forschungen hätten es wieder sehr wahrscheinlich gemacht, daß es über- und unterirdische Gesellschaftsklassen gebe, die sich bisher aller Statistik und Volkszählung entzogen hätten. Ein Mann der Wissenschaft, Geheimrath Ringseis in München, habe ein werthvolles und sehr beachtenswerthes Buch über die Krankheiten der Engel geschrieben. Was den Teufel betreffe, so sei derselbe von zu derber Constitution, um der medicinischen Facultät jemals interessant zu werden. Desto mehr gebe er sämmtlichen anderen Wissenschaften auf zu rathen, von der Theologie ganz zu schweigen, die ihn bekanntlich aus jedem einzelnen Christen bei der Taufe austreibe und ein lebhaftes Interesse dabei habe, ihn nie ganz los zu werden. Ja, wenn es wirklich keinen gäbe, würde sie sich einen erfinden, aus Zweckmäßigkeitsgründen, die nicht hierher gehörten. Es sei aber keine Gefahr. Die Weisheit aller Völker von den ältesten Zeiten an –:
Und hier folgten nun so massenhafte Citate aus dem ungeschriebenen Werke meines mythologischen Freundes, daß dem leichtfertigen Materialisten auf der Thürschwelle das Lachen verging und die Uebrigen mir mit so großen Augen zuhörten, wie wenn ich die schönsten Spukgeschichten erzählte.
Nur das junge Mädchen schien zweifelhaft, ob es mir mit meiner Gelehrsamkeit rechter Ernst sei. Als ich endlich mit der Schutzrede für jenen schwer Verkannten zu Ende war, wandte sie sich an meinen älteren Gefährten, der bei der ganzen Teufelsdebatte kein Wort hatte laut werden lassen.
Glauben Sie auch daran? fragte sie treuherzig. Sie schien das Zutrauen zu ihm zu haben, daß er in einer so ernsthaften Angelegenheit sich keinen Scherz mit ihr erlauben würde.
Er antwortete auch mit ganz ruhiger Miene, so daß ich selbst nicht sogleich wußte, ob doch wohl der Schalk dahinter lauere:
Ich, liebes Fräulein? Ich bezweifle nie, was ich mit Augen gesehen habe.
Und Sie hätten wirklich –: Etwas gesehen?
Mehr als mir lieb war, und zwar in derselben Stunde Teufel und Engel neben einander, so leibhaft, wie ich Sie jetzt vor mir sehe.
Das gute Kind fuhr unwillkürlich zusammen. Sie wollen mich necken, sagte sie, und eine leichte Röthe flog über ihr hübsches Gesicht. Sie hätten, bei vollem Verstande und ganz wach –: einen Engel gesehen und –:
Und einen Teufel, gewiß, so satanisch als man ihn sich nur vorstellen mag.
O erzählen Sie! bat die junge Base, während sie zugleich ihrer Freundin näher rückte und den Arm um ihren Leib schlang.
Ich bin begierig, wahrhaftig! rief der Weinreisende, der jetzt in unser Zimmer trat.
Nein, was man nicht Alles erlebt! sagte die Wirthin, indem sie die Lampe etwas höher schraubte.
Mein Freund blieb immer noch ernsthaft. Die Sache ist nur allzu wahr, fügte er hinzu. Aber eben deßhalb bin ich leider nicht in der Lage, sie Ihnen mittheilen zu können. Auch ist es spät; wir wollen morgen mit dem ersten Zuge weiter. Sie haben wohl die Güte, Frau Wirthin, mich um halb sechs Uhr wecken zu lassen. Gute Nacht, meine Damen!
Mit diesen Worten stand er auf und sah sich nach seinem Leuchter um. Der Weinreisende ließ ein kurzes Auflachen hören, wie wenn er sagen wollte: So kann man sich freilich bequem aus der Affäre ziehen! Dann empfahl er sich mit einer eleganten Verbeugung gegen die jungen Damen und mit der Bemerkung, wenn er auch im Uebrigen nicht an Engel glaube, so seien die Anwesenden doch allemal ausgenommen.
Damit ging er achselzuckend, ohne uns zwei Abergläubige eines Grußes zu würdigen, eine Arie aus Robert dem Teufel pfeifend in sein Zimmer hinauf.
Wir folgten ihm auf dem Fuße. Oben jedoch merkten wir zu unserm Verdruß, daß wir seine Gesellschaft so bald noch nicht loswerden würden. Er wohnte in dem Zimmer nebenan, das nur durch eine dünne Wand aus Fachwerk von unserm Sälchen geschieden war. So hörten wir nicht nur sein ganzes Opernrepertoire, das er unermüdlich herunterpfiff, von Mozart bis Offenbach, sondern auch dazwischen seine Unterhaltung mit dem Stubenmädchen, der er alle Augenblicke klingelte, um ihr zu erklären, daß sie ein Engel sein würde, wenn –:
Das Uebrige mehr im Offenbach'schen, als im Mozart'schen Stil.
Mein Gefährte, nachdem er dies eine Weile geduldet hatte, ergriff seinen Hut. Es ist zwar nicht die beste Temperatur für einen Nachtspaziergang, sagte er. Aber ich werde doch noch ein paar Straßen ablaufen, bis die Luft hier rein ist. Wollen Sie mit mir gehen?
Ich war gern dazu bereit. Als wir in der todtenstillen Straße etwa hundert Schritte gewandelt waren, sagte mein Begleiter:
Es hilft nichts, ich werde diese Bilder nicht los. Und nach Allem, was wir Zwei von einander wissen, käme es mir fast wie ein Unrecht vor, wenn ich auch Ihnen die Geschichte vorenthielte, die mir vorhin bei Ihrem theologischen Gespräch durch den Kopf ging. Die Einzigen, denen ich es schuldig wäre, das Schweigen nicht zu brechen, sind nun auch heimgegangen; und für die Incarnation des Bösen, die dabei eine Rolle gespielt und seitdem spurlos verschwunden ist, ist mir nicht bange. Wenn sie wirklich noch zwischen Himmel und Erde herumspukt, wird sie es sich zur Ehre rechnen, daß ihr Andenken noch nicht erloschen ist.
Machen Sie sich aber auf keine unerhörte Begebenheit gefaßt, auf kein Mysterium oder Mirakel. Wenn Himmel und Hölle mitspielten –:
Aber ich will Sie mit allen Vorreden verschonen.
Bemerken Sie dort in dem engen Gäßchen das Haus mit dem steilen Giebel? Es sieht sich nur bei Nacht noch ähnlich, durch jenes hohe Dreieck, das es nach wie vor der Straße zukehrt. Im Uebrigen ist jetzt eine blanke Façade darangetüncht, und Niemand ahnt, wie armselig das Häuschen vor sechs Jahrzehnten aus den kleinen geflickten Scheiben sah, als meine geringe Person dort zum ersten Mal die Wände anschrie.
Ich war das sechste Kind meines Vaters, der als Zeichenlehrer der hiesigen Fürstenschule nicht gerade in glänzenden Verhältnissen lebte. Meine Geschwister, fünf muntere Mädchen, wurden frühzeitig ehrlich und nothdürftig untergebracht, ich aber blieb bis in mein achtzehntes Jahr bei den Eltern, theils weil ich als Lehrerssohn die Schule frei hatte, theils weil mein guter Vater eine wahrhaft närrische Liebe zu mir hegte und auf mein Zeichentalent die größten Hoffnungen setzte.
Wie ich nun aber die Prima absolvirt hatte, sanza infamia e sanza lodo, da in der That meine paar künstlerischen Gaben den strengeren Studien hinderlich waren, war's zum größten Kummer des guten Alten mit seinen eigenen Kräften so auf die Neige gegangen, daß er seine Stelle aufgeben, sich mit der schmalen Pension begnügen mußte und auch nicht daran denken konnte, seine Privatstunden fortzusetzen. Damit fiel das schöne Luftschloß über den Haufen, daß ich die Dresdener Akademie besuchen und dort ein berühmter Maler werden sollte.
Was aber nun mit mir anfangen? Zum Studiren, auch wenn es minder kostspielig gewesen wäre, zeigte ich geringe Lust; zu einem Handelsgewerbe noch weniger. Also erschien es wie ein ganz besonderes Glück, daß sich ein Leipziger Juwelier, dessen Name damals sehr bekannt war, in der Zeitung nach einem jungen Menschen umsah, der Talent zum Zeichnen habe und bei ihm in die Lehre treten wolle.
So kam ich als ein achtzehnjähriger junger Bursche, an Leib und Seele unschuldig, ein rechter Muttersohn, aber die ganze Seele voll Lebensdurst und Sehnsucht nach allem Schönen und Herrlichen in die große Stadt, und in dieser gleich in das Haus, das für all diese jugendlichen Triebe mehr Nahrung bot, als irgend ein anderes des damaligen Leipzig.
Mein Brodherr und Meister war ein jüdischer Mann, David Stern geheißen, einer der seltensten Menschen, die mir je begegnet sind. Aus kleinen Anfängen als Händler mit Juwelen und alten Kunstwerken hatte er sich zu einem der bedeutendsten Kunstkenner jener Zeit heraufgearbeitet und sein Juweliergeschäft dergestalt in Flor gebracht, daß man in England, Frankreich und Italien seinen Namen kannte und seine Geschäftsverbindungen sogar bis nach Amerika hinüberreichten. Er selbst war einige Jahre in Rom gewesen, um dort an der classischen Quelle des Geschmacks sich in der Juwelierkunst auszubilden. Als er zurückkehrte, richtete er sofort mit einigen Gehülfen, die er mitgebracht, eine Werkstatt ein, in welcher nur das Feinste und Beste gearbeitet wurde. Auch den Bilderhandel trieb er daneben fort, seine Hauptleidenschaft aber waren Gemmen und Cameen, und die seltensten Stücke, die er besaß, wuchsen ihm persönlich so ans Herz, daß er selbst den lockendsten Gelegenheiten, einen vortheilhaften Handel damit zu machen, widerstand und seinen Reichthum lieber auf andere Weise vermehrte, als mit der Zersplitterung seiner Sammlung.
Es war überhaupt ein großartiger Zug in ihm, weit erhaben über der gewöhnlichen jüdischen Gewinnsucht, und neben dem Hang zur Kunst hatte seine Seele noch Raum für die Schätze der Weisheit, die er zunächst in den Ueberlieferungen seines Volkes aufgespeichert fand, ohne daß er, was man so sagt, ein Stockjude gewesen wäre. Er sprach nicht viel davon, aber in seinen freien Stunden las er Alles, was die Philosophie jener Tage Bedeutendes hervorbrachte, und unter den klugen Leuten, die er oft an seinem Tische sah, behielt er wenigstens in meinen Augen immer Recht, wenn auch durchaus nicht immer das letzte Wort.
Er war nichts weniger als schön, oder auch nur von jener imposanten patriarchalischen Würde der Erscheinung, wie man sie in seinem Volke so häufig findet: eine unansehnliche Gestalt von mittlerer Größe, die Haare schon im Ergrauen, die Züge des Gesichts schlicht und fast alltäglich, bis auf ein paar außerordentlich kluge braune Augen und einen Mund, der beständig zu sprechen schien, und dem man nicht zutraute, daß er jemals ein hartes, rohes oder einfältiges Wort über die Lippen bringen könne. Wenn er aber lachte oder eines der unzähligen drolligen oder tiefsinnigen jüdischen Geschichtchen erzählte, konnte ihm Niemand widerstehen, und selbst schöne Frauen gestanden dann, daß David Stern durchaus kein häßlicher Mann sei.
Die Schönste von Allen, denen er je zu gefallen gewußt hatte, war sein eigenes Weib.
Ich bin jetzt ein ziemlich alter Mensch, habe, da ich weit herumgekommen bin und überall die Augen offen hatte, mehr Frauenschönheit gesehen, als die Meisten sich nachsagen können, und bin mit einer Frau verheirathet, die noch jetzt, da wir große Kinder haben, wie in meinen Bräutigamstagen meinen Augen wohlgefällt. Und doch, wenn ich an die Stunde denke, wo ich zum erstenmal vor der Frau meines Lehrherrn stand, ist mir's, als spürte ich wieder den elektrischen Schlag, der mich damals vom Kopf bis in die Fußspitzen durchzuckte.
Ich war freilich ein grüner Neuling damals. In meiner kleinen Vaterstadt hatte ich wohl allerlei hübsche Mädchen gesehen und vor Kupferstichen und Gypsköpfen, die ich zeichnete, eine schüchterne Ahnung gewonnen, daß es noch ganz andere Wunder Gottes geben müsse, als die Tochter des Apothekers und die Nichte des Rectors. Nach Dresden in die Galerie war ich nie gekommen. Und was ist auch in so blutjungen Jahren alle Wonne und Herrlichkeit eines Tizian oder Rafael gegen ein Stück vollkommener Natur, das athmet und lächelt und sich regt und bewegt!
Und nun diese Frau!
Sie war höchstens ein oder zwei Jahre älter als ich, aber schon vier Jahre verheirathet. Sie wissen, wie früh die Jüdinnen ausreifen. Als ich von ihrem Manne, der mich gleich als einen zum Hause Gehörigen, förmlich wie einen eigenen Sohn empfing, in das Gartenzimmer geführt wurde, damit auch die Frau mich kennen lernte, stand sie gerade an einem großen Fenster, vor welchem tropische Gewächse grünten, und hielt auf jedem Arm ein Kind. Ein Jahr nach ihrer Verheirathung hatte sie Zwillinge geboren, hernach kamen keine Kinder mehr. Die Knäbchen waren etwa im zweiten Jahr, die Abbilder ihrer schönen Mutter, die von der doppelten Last, obwohl es ungewöhnlich kräftige Kinder waren, durchaus nicht beschwert schien. Sie war, wie ich später bemerkte, –: denn in jener ersten Stunde schwankten mir alle Sinne –: vom schönsten Wuchs, einen halben Kopf größer als ihr Gatte, in späteren Jahren wurde sie etwas zu stark; damals aber war es nur die schönste Lebenskraft und Fülle des jungen Weibes, das nie eine kranke Stunde gehabt, nie Mangel gelitten hatte und, was die Hauptsache war, das Blut eines jener alten königlichen Geschlechter des Orients unvermischt in den Adern trug.
Ich will Ihnen das Gesicht nicht zu schildern versuchen. Nur das noch, daß die Züge nicht eigentlich die regelmäßigsten waren, aber auch den sogenannten jüdischen Typus nicht auf den ersten Blick verriethen. Nur die ganze Complexion, das unschuldige Feuer in den Augen, die milchweiße, ganz gleichmäßige Blässe der zarten Haut –: basta! ich merke, ich fange doch an zu malen.
Sie hieß mich, ohne die Bübchen von den Armen zu lassen, mit der gütigsten Miene willkommen, fragte nach meinen Leuten zu Haus und sagte, daß ich mich nur dreist an sie wenden möchte, wenn ich irgend ein Anliegen hätte. Es solle mir in ihrem Hause hoffentlich heimisch werden. Dann reichte sie die Kinder dem Vater hin, der ihnen die kleinen Lockenköpfe streichelte und sie dann der Mutter wiedergab. Er war nicht eben freigebig mit äußeren Zeichen seiner Zärtlichkeit. Seiner Frau vollends habe ich ihn nie vor anderen Leuten auch nur die Hand drücken sehen. Wer ihn neben ihr sah, konnte sich kaum vorstellen, daß sie ein Ehepaar seien. Aber in ihrem Blick, der beständig mit einer scheuen und reizenden Demuth auf ihn gerichtet war, schien eine wahrhafte Liebe zu dem um mehr als dreißig Jahre älteren Manne zu leuchten.
Ich war nun in der That wie ein Kind des Hauses, und vor Allen die Hausfrau hielt darauf, eine Art mütterlicher Stellung mir gegenüber einzunehmen. Mein Stübchen lag oben in dem Mansardengeschoß; ich saß aber den ganzen Tag unten in der Werkstatt und war fleißig, da ich einen brennenden Ehrgeiz fühlte, es dem Herrn des Hauses recht zu machen und dann und wann vor der Frau von ihm gelobt zu werden. Dies war nicht bloß eine schülerhafte Begier nach Lob oder eine Regung der Eitelkeit, in den Augen der schönen Frau als ein talentvoller junger Mensch zu erscheinen, sondern Alles entsprang aus dem erst dumpfen, dann immer deutlicheren Bewußtsein, daß ich um jeden Preis es dahin bringen müsse, dem Hause unentbehrlich zu werden, da ich glaubte, elend umkommen zu müssen, wenn ich das schöne Wesen nicht mehr sehen dürfte.
Mißverstehen Sie mich nicht: ich war tausend Meilen weit von dem Gedanken entfernt, als sei ich in meine Lehrherrin verliebt. Ich hätte, wenn mir dieser Gedanke gekommen wäre, mich selbst verabscheut, als den ruchlosesten Undankbaren, den je die Erde getragen. Meine Verehrung für meinen Lehrherrn war so enthusiastisch, meine Ergebenheit gegen seine Frau so schwärmerisch andachtsvoll, –: wie ein Tempelschänder wäre ich mir vorgekommen, wenn ich Das, was in mir wogte und wallte, für eine sinnliche Regung erkannt hätte. Auch war ein so reiner patriarchalischer Hauch in diesem Hause, daß, selbst wenn junge Leute zu Gast kamen –: Verwandte der Frau oder Durchreisende, die manchmal von weit her an David Stern empfohlen waren –: nicht das Geringste vorfiel, was irgend nach Courmacherei oder Frivolität geschmeckt hätte, so sehr das sonst in den reichen Häusern damals guter Ton war.
Es konnte mir daher auch nicht auffallen und über meinen innern Zustand die Augen öffnen, daß ich gegen die Reize der jungen Mädchen –: und es waren ein paar echte Racegesichter darunter, die in der Stadt für große Schönheiten galten –: vollständig kalt blieb. Ich redete mir ein, ich sei es dem Hause, wo ich so gütig aufgenommen war, schuldig, all die dummen Schülerstreiche und kindischen Liebeleien, wie ich sie wohl früher betrieben hatte, ein für allemal zu unterlassen, um keinen Anlaß zu Aergernissen zu geben. Einen strafenden Blick aus den Augen der verehrten Hausfrau glaubte ich nicht überleben zu können.
So verbrachte ich drei fleißige Jahre in einer wahrhaft exemplarischen Solidität unter diesem Dache. Meine Altersgenossen sahen mich für einen Philister der schlimmsten Sorte an, meine Eltern für die Perle aller Söhne. Was mein Lehrherr von mir dachte, wußte ich nicht so recht; er munterte mich aber eher auf, mir einmal ein Vergnügen zu machen, als daß er mein einsames Haushocken begünstigt hätte. Frau Judith blieb sich in ihrem Betragen immer gleich; ich traf sie nie allein; sie sprach nie mit mir über andere als alltägliche Dinge. Ueberhaupt war sie meist wenig gesprächig.
Wenn aber einmal ein größerer Kreis versammelt war und die Funken von Scherz und Witz frei herumflogen, schien auch bei ihr eine heimliche Kraft der Schalkhaftigkeit und des Humors sich zu entfalten, daß sie oft die Witzigsten aus dem Felde schlug und ein so reizendes Lachen anstimmte, wie sonst nur ganz junge Mädchen zu lachen pflegen.
Sie erröthete dann selbst über ihren Uebermuth und warf einen gleichsam abbittenden Blick auf ihren Gatten. Der aber schien Alles in der Ordnung zu finden, nickte ihr lächelnd zu und sagte: Du hast deinen guten Tag, mein Kind. Weisheit, die man nicht braucht, und ein vergrabener Schatz –: wozu sind sie nütze?
Eines Abends, als ich nach dem Schluß der Werkstatt mich wie gewöhnlich an dem häuslichen Tisch einfand, wo noch der Buchhalter und ein paar ältere Hausfreunde die stehenden Gäste waren, traf ich ein fremdes Gesicht dort an, das mir gleich beim ersten Blick einen unerklärlich abstoßenden Eindruck machte. Es war ein junger jüdischer Arzt aus einem in Portugal angesiedelten Seitenzweige des Stern'schen Geschlechtes, der lange in Paris gelebt hatte und jetzt plötzlich –: der Himmel weiß, aus welchen Ursachen –: den Plan gefaßt hatte, sich in Leipzig niederzulassen und hier Praxis zu suchen. Dr. Asser Alcobara war sein Name. Er mochte um zehn Jahre älter sein als ich, hatte aber eine jener Physiognomieen, die niemals jung gewesen sind und nie älter zu werden scheinen. Jeder Zug darin war Geist und Leben, der große Mund, auch wenn er schwieg, von kleinen, schlangengleichen Fältchen umspielt, in den Flügeln der leicht gewölbten, schmalen Nase zitterte beständig etwas wie Hohn und Menschenverachtung und rücksichtslose Willenskraft, die gelblichen Wangen, ein wenig hager und eingesunken, habe ich nur ein einziges Mal die Farbe wechseln sehen.
Er mußte nicht in den besten Verhältnissen sein. Wenigstens war sein schwarzer Anzug ziemlich abgetragen, was ihn jedoch nicht hinderte, mit der größten Sicherheit in diesem fürstlich eingerichteten Hause sich zu bewegen. Ich hörte gleich denselben Abend, daß der Hausherr in seiner gewohnten hülfreichen Art ihm eine Wohnung eingeräumt hatte in dem größten der drei oder vier Häuser, die er in Leipzig besaß.
Es war dies allerdings ein Quartier, das nicht Jedem zugesagt hätte. Das Haus, drei Stockwerke hoch, stand das ganze Jahr über leer, da alle Räume an Handelsleute vermiethet waren, die nur zu den Meßzeiten nach Leipzig kamen und die großen Zimmer einzig als Magazine für ihre Waaren benutzten. Nur im dritten Stock hatte der Buchhalter des Eigenthümers zwei niedrige Zimmerchen, die nothdürftig zum Wohnen eingerichtet waren, da er in den Meßwochen dort sein Comptoir aufschlug, um für die kommenden und gehenden Miether gleich bei der Hand zu sein.
In diesem unheimlich öden Magazinhaus sollte der Doctor wohnen, bis er ein passenderes Unterkommen gefunden hätte. Frau Judith, die ihm, wie allen Anderen, mit ihrer holdseligen Güte begegnete, fragte ihn lächelnd, ob er keine Gespensterfurcht habe. Es wandle sie selbst, wenn sie nur in den Hof jenes Hauses trete, jedesmal ein so beklemmender Schauer an, daß sie sich noch nicht habe entschließen können, hinaufzusteigen und die langen, engen Gänge und dumpfen Räume des Innern sich einmal anzusehen.
Er sei spukfest, erwiederte der Gast mit einem eigenthümlichen Lächeln. Alle guten Geister lobten ihren Meister, und die bösen hätten erst recht keine Gewalt über ihn.
Ich weiß nicht, was mir an dieser Aeußerung, die den Anderen als ein Scherz erschien, so besonders auffiel. Ich sah den kalten, scharfen Blick der schwarzen Augen und das leise Beben der Nasenflügel, und so gründlich mir dies Gesicht zuwider war, mußte ich doch, wie durch einen heimlichen Zauber gefesselt, beständig darauf hinstarren. So entging es mir nicht lange, ein wie seltsamer Ausdruck seine Züge belebte, so oft er die Frau des Hauses betrachtete.
Niemals hatte ich einen Menschen so hingerissen und zugleich so selbstwillig und fast gebieterisch eine schöne Frau anblicken sehen. Er benahm sich kalt und gemessen gegen sie, richtete das Wort meist an ihren Gatten und schien in der unbefangensten Laune, nur darauf bedacht, die Tischgesellschaft durch scherzhafte Reden und allerlei bunte Abenteuer aus fernen Ländern, die er bereist, zu ergötzen. Wenn Alles sich dem Reiz seiner Unterhaltung überließ und auch der Hausherr in das Lachen mit einstimmte, warf er aus seinen tiefen Augenhöhlen hervor einen langen, glänzenden Blick auf die schöne Frau, die aber so wenig wie alle Anderen ein Arg dabei hatte, daß er selbst nicht lustig aussah, während er Alle belustigte.
Ich haßte ihn von dieser Stunde an, haßte ihn um so heftiger, weil ich erst durch ihn über meinen eigenen Zustand furchtbar aufgeklärt worden war. Das leidenschaftliche Verlangen, das ich in seinem Blick entdeckte, das mir wie eine Todsünde gegen diese herrliche Frau erschien, wie ein Tempelraub am Allerheiligsten dieses glücklichen Hauses, –: mit tödtlichem Entsetzen mußte ich mir hernach in meinen stillen vier Wänden sagen, daß eine ähnliche verderblich sündige Flamme auch in meinem Innern fortgebrannt habe, die plötzlich, durch die Eifersucht auf diesen Fremden geschürt, aus ihrem Versteck hervorzubrechen und mir überm Kopf zusammenzuschlagen drohe.
Welche Nacht ich zubrachte, wie ich dann dem Tage kaum ins Gesicht zu sehen wagte, –: davon lassen Sie mich schweigen. Die Hausgenossen, Frau Judith vor Allen, befragten mich, was mir fehle. Ich sollte gleich den Doctor Alcobara zu Rathe ziehen, der schon als eine Art Hausarzt angesehen wurde. Sie können sich vorstellen, wie mir bei diesem Gedanken zu Muth war, wie ich mich zusammennahm, um mein krankes Gesicht durch ein munteres Betragen Lügen zu strafen. Alle täuschte ich; nur die Anstifterin des Uebels selbst betrachtete mich mit stillem Befremden; ich sah öfter als sonst ihre sanften Augen auf mir ruhen.
Für den Doctor schien ich so gut wie nicht auf der Welt zu sein. Ich dankte ihm im Stillen für seine offenbare Geringschätzung. Nun konnte ich ihn nach Herzenslust und mit gutem Gewissen weiterhassen.
Ich merkte bald, daß ich der Einzige war, der gegen seine verführerischen Künste gefeit schien. Keine Woche verging, so hatte er sich nicht bloß im Stern'schen Hause eingenistet, als wenn man ohne ihn sich nicht mehr behelfen könnte, sondern in allen jüdischen Kreisen der Stadt, und einigen christlichen dazu, fing er an Regen und Sonnenschein zu machen. Zu uns kam er dennoch jeden Abend, manchmal erst ganz spät, wenn er eine Einladung in ein anderes Haus nicht hatte ablehnen können. Der alte David Stern war trotz seiner hohen Weisheit und Menschenkennerschaft förmlich von ihm bezaubert. Er sprach freilich über Dinge mit ihm, für die er sonst nur selten einen ebenbürtigen Mitredner fand. Frau Judith allein schien eine geheime Abneigung nicht los werden zu können. Aber ich sah wohl, daß sie sich ihrem Gatten zu Liebe alle Mühe gab, dies Vorurtheil gegen den neuen Hausfreund nicht aufkommen zu lassen.
Und ich –: immer stummer, linkischer, trübseliger in diesem belebten Kreise, nur daß auf die Länge meine veränderte Stimmung Niemand mehr Theilnahme einflößte. Man fand mich seit einiger Zeit nicht mehr so liebenswürdig, wie ich früher hatte sein können; die jungen Mädchen neckten mich damit; auch das wurde ihnen endlich langweilig. Sie horchten lieber dem geistreichen Geplauder des Doctors, der sie alle um den Finger hätte wickeln können.
Daß er es bei Keiner der Mühe werth fand, sein Glück zu nutzen, »beleidigte und verführte« erst recht.
Und doch, wenn ich jetzt an diese Höllenzeit zurückdenke, –: mitten in meinen Qualen war ich nicht ganz elend. Eine erste heftige Leidenschaft, sie mag so trostlos, sündhaft und lebensverderblich sein, wie sie will, ist für einen jungen Menschen immer eine so wundersame Offenbarung seines eigenen Innern, daß er die wüthendsten Schmerzen nicht missen möchte, um den Preis, von seinem Herzen dann Nichts mehr zu wissen. Ich ging herum wie in einem magischen Traum, ich begriff nicht, wie ich so lange dies Gesicht hatte sehen können, ohne zu fühlen, daß es mich zum Wahnsinn bringen würde; es verließ mich jetzt keine Secunde mehr, nicht bei der Arbeit und nicht im Schlaf. Nur wenn ich es leibhaftig vor mir sah, war etwas in der unschuldigen Hoheit dieser Erscheinung, was mein brennendes Blut ein wenig kühlte. Der Ingrimm, daß noch andere Augen an dieser einzigen Gestalt sich berauschten, lenkte meine Leidenschaft ab, und der Widerwille gegen meinen Nebenbuhler verdrängte dann eine Weile alle Regungen, die ich mir als Sünde anrechnete.
Ein paar Sommermonate waren darüber vergangen. Die Familie pflegte sonst die heiße Jahreszeit auf einer ländlichen Besitzung, eine halbe Stunde von der Stadt nahe bei Schönefeld, zuzubringen. Diesmal zögerte man mit der Uebersiedelung, augenscheinlich aus Rücksicht auf den Doctor, den seine eben aufblühende Praxis in der Stadt zurückhielt. Aber es rächte sich in ungeahntem Maße. Einer der Zwillinge, jetzt ein vierjähriger kleiner Junge, fiel in eine schwere Krankheit. Der alte, sehr erfahrene Arzt, der auch seit Doctor Alcobara's Auftauchen das Stern'sche Haus noch besuchte, schüttelte bedenklich den Kopf. Ich sah zum ersten Mal diese von allem Glück bisher ausgesucht begünstigten Menschen in tödtlichster Bangigkeit; Frau Judith war mir nie schöner erschienen, als mit den großen, überwachten Augen, die Wangen erblichen, dabei ohne Klage, in aller Hoheit des tiefsten Mutterschmerzes. Selbst in diesen Tagen des Unheils und der Sorge blieb meine Leidenschaft mein einziger Gedanke, so lieb ich das arme Kind gehabt hatte, das nun zwischen Tod und Leben schwebte.
Als der alte Medicinalrath auf die Frage des Vaters erklärt hatte: die Wissenschaft sei hier machtlos; wenn die Natur sich nicht noch wunderbar helfen wolle, sei keine Rettung zu hoffen, –: brach die Mutter zum ersten Mal fassungslos am Bett des Kleinen zusammen. In diesem Augenblick kam Alcobara dazu. Wollen Sie mich gewähren lassen? fragte er den Vater. Wer hätte Nein sagen können! Sogleich übernahm er die Behandlung nach einer Methode, die er, wie er sagte, in Indien vielfach bewährt gefunden.
In drei Tagen war jede Gefahr vorbei. Nach einer Woche sprang das Kind wieder so munter durch den Garten, als hätte es nie einen Augenblick Sorge gemacht.
Sie können denken, wie das seinem Retter gedankt wurde. Aber von Allem, was man ihm Liebes und Gutes erwies, schien Nichts für ihn Werth zu haben, als daß die Mutter des Geretteten ihm mit einem warmen Blick begegnete und seine Gesellschaft jetzt gleich allen Anderen eher suchte als vermied.
Nur mit mir war Alles beim Alten geblieben. Die Genesung des Kindes, für die ich sonst gern das größte Opfer gebracht hätte, machte kaum einen andern Eindruck auf mich, als daß ich froh war, nun ohne jeden Nebengedanken meiner jammervollen Leidenschaft nachhängen zu können. Ich spielte bei dem fröhlichen Feste, mit welchem die Eltern die Rettung des Kindes feierten, eine triste Rolle und entfernte mich, sobald ich konnte, von den Uebrigen, um im Garten einsam in meinen Schmerzen zu wühlen.
Es war da ziemlich am Ende des kleinen Parks ein schattiger Pavillon, eine einfache Rindenhütte, in der ich manchmal an heißen Nachmittagen den verlorenen nächtlichen Schlaf nachholte. Auch sonst steckte ich manche Stunde dort verborgen in der kühlen Einsamkeit; ich glaube gar –: verzeih' mir's Gott! –: ich habe dort Verse gemacht.
An jenem Tage aber war ich selbst dazu nicht fähig, sondern warf mich auf das Bänkchen drinnen, das an der vorderen Wand angebracht war, und von dem langen Zwang, den ich mir über Tische hatte anthun müssen, erschöpft, fiel ich bald in eine wohlthätige Selbstvergessenheit.
Eine Stimme, die draußen sich näherte, weckte mich; ich merkte an der Dunkelheit in der Hütte, daß ich ein paar Stunden geschlafen hatte. Die Stimme klang jetzt ganz dicht vor der Thür, es war die des Doctors, meines Todfeindes. Ich hoffte, er würde vorübergehen. Statt dessen öffnete er jetzt die Thür, sah flüchtig hinein und sagte: Es ist Niemand hier und sehr kühl drinnen. Wollen wir nicht einen Augenblick hineintreten, Frau Cousine? Sie sind etwas angegriffen von dem langen Diner.
Ich bleibe doch lieber in der freien Luft, hörte ich jetzt die Stimme antworten, die mir immer bis ins Mark drang.
Nun, wie Sie wollen, sagte der Doctor wieder. Aber dann setzen Sie sich fünf Minuten hier draußen nieder. Die Gartenstühle sind recht bequem, und Sie müssen mir schon erlauben, Sie etwas zu tyrannisiren. Sie haben die letzten schweren Tage gut zu machen, es hat Sie härter mitgenommen, als Sie selber ahnen. Dergleichen rächt sich erst später, wenn man nicht Vorsicht braucht.
Ein paar Stühle befanden sich draußen vor dem Pavillon, gerade vor der Wand, hinter der meine Ruhebank stand. Ich mußte jede Silbe hören; daß es nicht für anständig gilt, fremde Gespräche zu belauschen, kümmerte mich keinen Augenblick. Diesen Mann haßte ich, und diese Frau liebte ich. Das war genug, um alle Bedenken niederzuschlagen.
Auch war anfangs nichts Verfängliches in ihrer Unterhaltung, nichts, was die Rede des Doctors von seiner gewöhnlichen Conversation unterschied, als etwa höchstens der Ton seiner Stimme. Der kam mir noch einschmeichelnder, schmiegsamer und dabei aufgeregter vor, als sonst, und die Art, wie er von seinen Reisen erzählte, hatte etwas leidenschaftlich Schwermüthiges. Er sprach davon, daß er überall vergebens Glück und Ruhe gesucht, oder auch nur die Erkenntniß, ob Glück und Ruhe sich mit einander vertrügen.
Er sei immer, wo es ihm am besten ergangen, am schnellsten wieder aufgeschreckt worden, durch bittere Erfahrungen oder eine geheime Stimme in seinem Innern, die ihm zugeraunt: sein eigentliches Glück, seine Bestimmung, die Lösung aller seiner Lebensräthsel erwarte ihn nicht dort, sondern an einem ganz andern Orte. So hätten auch die Frauen in keinem Lande ihn fesseln können.
Und nun erging er sich in einer, wie es schien, ganz kühlen, fast ethnographisch-gründlichen Abhandlung über Frauenschönheit unter den verschiedenen Himmelsstrichen. Auch die bedenklichsten Details, die er dabei zur Sprache brachte, wußte er mit so gleichmüthiger Manier als etwas Selbstverständliches zu erwähnen, daß selbst eine zartfühlende Frau, wenn sie nicht die Prüde spielen wollte, ihm ohne Einrede zuhören konnte. Mich aber empörte diese wissenschaftliche Zügellosigkeit in die Seele der edlen Frau hinein, die hier stillhalten mußte, wenn sie Denjenigen, dem sie eben so viel Dank schuldig geworden, nicht verletzen, oder in seinen Augen als eine enge und unfreie Natur erscheinen wollte.
Ich hörte indessen, wie sie mehrfach versuchte, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Er aber that, als sei er von seiner melancholischen Stimmung zu sehr hingenommen, um sich auf andere Dinge einzulassen. O meine theure Cousine, rief er, wenn man wüßte, was die Jahre aus einem machen können! Ich denke an kein weibliches Wesen mit tieferem Mitgefühl, als an eine Frau, die ich in Paris kennen lernte. Seien Sie außer Sorge, daß ich Ihnen eine unglückliche Liebesgeschichte zum Besten geben möchte. Ich finde nichts so geschmacklos, als dergleichen Confidencen, zumal zwischen zwei Menschen wie wir. Denn abgesehen von dem Geckenhaften einer solchen Beichte, –: muß es einer schönen Frau nicht höchst langweilig oder im besten Fall gleichgültig sein, zu hören, daß es auch andere schöne Frauen giebt? Jede Schönheit ist die einzige, mit vollem Recht: sie ist nie dagewesen und wird nie wieder da sein. Und wenn sie nicht das alberne deutsche Vorurtheil hat, daß sie allein von ihrer Schönheit nichts wissen dürfe, so hat sie ein Recht, an sich selbst Freude zu haben, ohne alle Vergleiche mit Anderen. Jene Dame, von der ich spreche, war bereits über alle Versuchung, noch gefallen zu wollen, hinaus, etwa im Alter ihres Mannes, und daß Jeder ihr ansah, wie reizend sie in ihrer Jugend gewesen sein mußte, –: wer sollte nicht glauben, daß dies eine Art Trost in ihrer freudlosen Existenz hätte sein müssen? Bei ihr aber schärfte es nur noch das Bittere der Verlassenheit und Leere ihres Lebens in ungewöhnlichem Maße. Sie hat mir selbst gestanden –: und dabei wirkliche nasse Thränen geweint, wie sie sonst in Paris selten geweint werden, –: daß sie oft mitten in der Nacht laut aufschreien müsse vor Grimm und Gram, wenn der Gedanke sie plötzlich überfalle, wie sündhaft sie das Glück ihrer Jugend versäumt habe, mit leeren Tugendhirngespinnsten sich das Leben verdorben, ihr Herz kasteit, ihre Sinne verdorren lassen, und jetzt –: über alle sieben Todsünden hinweg würde sie den Arm ausstrecken, wenn drüben in einem Becher noch ein Trunk Glück für sie stände, an dem sie sich berauschen und ihre Reue einlullen könnte.
Es war eine Weile still draußen vor der Hütte. Dann hörte ich die sanfte Stimme der geliebten Frau:
Ja wohl, sagte sie, es muß furchtbar sein, sein Alter einsam hinzuschleppen, ohne Mann und Kinder!
Es giebt etwas noch Traurigeres, hörte ich ihn darauf sagen –:: Mann und Kinder haben und trotzdem einsam sein.
Jene Dame, fuhr er fort, da Frau Judith im Augenblick keine Erwiederung fand, jene alte Frau von fünfundfünfzig Jahren, die man allgemein für eine sehr glückliche mère de famille hielt, –: ihr Mann verehrte sie sehr, ihre Kinder trugen sie auf Händen –: gleichwohl in einer jener Stunden, in denen die innerste Natur aus so einer streng behüteten Weiberseele hervorbricht, wahrhaft als gehorchte sie einem dämonischen Zwange, gestand sie mir, daß sie es sich nicht verzeihen könne, das einzige volle Glück, das ihr einmal nahe gekommen sei, nicht beim Stirnhaar erfaßt zu haben. –: Und was nennen Sie ein volles Glück? fragte ich mit verstellter Naivetät; denn ich wußte die Antwort im voraus. –: Eine erwiederte Leidenschaft, die den Menschen über sein enges Tagesgeschick hinaushebt, ihn zum unumschränkten Herrscher über sein eigenes Leben macht, daß er sich verschenkt, wegwirft, vernichtet –: Alles was er will, nur frei aus dem Innersten heraus, ganz rücksichtslos und jeder Consequenz in die Zähne. Das habe sie verpaßt; aus Feigheit, aus anerzogener Zahmherzigkeit, aus –: Gott weiß was für jämmerlichen Vorurtheilen. Nun gehe es ihr ewig nach als die schlimmste Todsünde gegen ihre eigene Natur, nicht bloß, weil sie auch einen Andern dadurch elend gemacht habe, sondern sie schäme sich schon jetzt bei dem Gedanken, daß beim jüngsten Tage –: sie war eine gute Katholikin –: der ewige Richter sie fragen würde: Wie hast du mit dem Glückspfund, das ich dir anvertraut, gewuchert? –: und sie dann nur antworten könne: Ich habe nie ein Gesetz der bürgerlichen Gesellschaft übertreten und meine Menschenrechte über meinen Hausfrauenpflichten vergessen.
Und wie urtheilen Sie über diese Frau? sagte Judith, nachdem sie wieder eine Weile geschwiegen hatte.
Ich finde ihr Loos tragisch und die Freimüthigkeit, es sich selbst und einem Freunde einzugestehen, erhaben.
Und mir kommt ihre Stimmung, so weit ich mich überhaupt hineindenken kann, als eine unnatürliche Krankheit vor und der Muth, Sie darin einzuweihen, wahrhaft abscheulich. Mein Gott, dies Paris! Was für Verzerrungen der Natur muß man dort antreffen! Eine Frau, die sich ihre Rechtschaffenheit zum Verbrechen macht –: sprechen wir nicht mehr davon! Wenn Sie selbst einmal glücklicher Gatte und Vater sind, werden auch Sie anders darüber denken und jene Dame nicht mehr bewundern.
Ihre Voraussetzung ist unmöglich, hörte ich ihn mit ganz leiser Stimme erwiedern. Sie wissen es selbst am besten. Es ist nicht gütig von Ihnen, zu all meinem Unglück mich noch zu verhöhnen.
Ich Sie verhöhnen? Wenn ich die Hoffnung ausspreche, Sie glücklich zu sehen?
Heucheln Sie nicht, Cousine. Wen wollen Sie täuschen, mich oder sich selbst? Sie brauchten nicht diese scharfsichtigen Weiberaugen zu haben, die Sie besitzen, um zu wissen, daß ein friedliches Glück, wie man es so nennt, eine behagliche bürgerliche Versorgung des Herzens in einer der landläufigen Ehen für mich unmöglich ist, –: seit ich in Ihr Haus gekommen bin.
Ich hörte, wie sie plötzlich aufstand. Er aber schien sie zurückzuhalten.
Warum soll man über so etwas sich nicht aussprechen in aller Freundschaft? sagte er ohne sonderliche Erregung in der Stimme. Seien Sie doch nicht kleiner, als Sie sind, und weichen der Erörterung unabänderlicher Dinge aus, die davon nicht besser werden, nicht angenehmer oder minder wahr und gewiß, weil man ihnen die Ehre nie anthun will, davon zu reden. Wenn ich Ihnen bei diesem Anlaß –: wahrhaftig ganz zufällig und ohne Nebenabsichten –: nicht gesagt hätte, daß mir alle anderen Frauen gleichgültig sind, seitdem ich Sie gesehen habe, daß ich das Wasser verschmähe, wenn ich meinen brennenden Durst nicht in Wein kühlen darf, –: wüßten Sie es darum minder? Und können Sie mir wirklich, wenn Sie ehrlich sein und nicht alltägliche Reden nachbeten wollen, einen Vorwurf daraus machen, daß es so ist? Daß das Feuer brennt und das Eis, so sehr es zu kühlen scheint, die Haut ebenfalls zum Glühen bringt, wenn man sie daran reibt, –: das sind Naturgesetze, die wir mit all unserm zimperlichen Sträuben nicht umstoßen werden. Und Sie sehen, wie wenig Ursache Sie haben, mich darum zu hassen oder zu fürchten. Die Sache ist mir viel zu ernst –: und allerdings handelt sich's dabei um mein sogenanntes Lebensglück –:, als daß ich Redensarten machen und Sie mit überschwänglichen Floskeln behelligen könnte. Warum falten Sie nun Ihre Stirn, Judith, und thun, als hätte ich Ihnen etwas sehr Ueberraschendes und Empörendes mitgetheilt?
Seine Stimme war so tonlos geworden, daß ich mein Ohr dicht an die Rindenwand drücken mußte, um jedes Wort zu verstehen. Ich zitterte dabei so heftig, daß ich jeden Augenblick glaubte, Die draußen müßten wahrnehmen, daß Jemand in der Hütte sei.
Nun aber hörte ich ihre Stimme, ganz klar und fest, als wollte sie zeigen, daß sie nicht ein Wort zu sagen hätte, das nicht Jeder hören könnte.
Sie sind sehr im Irrthum. Nie im Leben hat mich Etwas mehr überrascht, als Ihre Worte; nie Etwas mehr empört, als daß Sie für natürlich und selbstverständlich halten, was mir abscheulich dünkt. Ich bin es gewöhnt, daß man mich schön findet; eine heuchlerische Thörin müßte ich sein, wenn ich das leugnen wollte. Aber ich war auch immer gewohnt, daß die Ehrfurcht vor meinem Mann und die Achtung vor meinem unbescholtenen Leben so wahnsinnige Gefühle, wie Sie sie mir eben zu äußern gewagt, zum Schweigen gebracht haben. Das kann ich Ihnen heilig versichern: jedem Andern, als Ihnen, hätte ich nach dem ersten Wort den Rücken gekehrt. Sie aber haben mir mein Kind gerettet, darum würdige ich Sie einer Antwort. Und aus demselben Grunde werde ich es unterlassen, was ich sonst für meine Pflicht gehalten hätte, meinem Manne zu sagen, was ich von Ihnen gehört, und ihm die Antwort darauf anheimzustellen!
Ihrem Mann? fiel er ihr rasch ins Wort. O meine theure Cousine, wie gering denken Sie von der Weisheit und Menschenkenntniß David Stern's, wenn Sie glauben, Sie würden ihm damit etwas Neues sagen! Meinen Sie wirklich, er könnte sich einbilden, eine solche Frau zu besitzen und allein von allen Männern, er, der Fünfundfünfzigjährige, Augen zu haben für ihren Reiz, ihre Anmuth, ihre Macht über Herzen und Sinne aller Männer und Jünglinge? Ein Blinder müßte ja sehen, wie unter Anderen der arme Blondkopf, der bei Ihnen als Sohn des Hauses gehalten wird, sich in blöder Sehnsucht nach seiner schönen Pflegemutter verzehrt. Der Junge ist nicht sonderlich nach meinem Geschmack; aber wenn er gerade wegen der Eigenschaften, die ihn mir äußerst uninteressant machen, bei eben dieser schönen Frau in Gunst stände, –: ich selbst würde mich so wenig darüber wundern, wie mein verehrter Cousin, Ihr Gatte. Und doch duldet er ihn im Hause, und doch thut er, als sähe er's nicht, wenn dieser schmucke Bursche seinem Weibe gegenübersitzt wie Butter an der Sonne. Und Sie wollen diesem wahrhaft weisen Mann die Augen über irgend Etwas öffnen, was um ihn her vorgeht? Ihm, der sich sagt, daß er den Schatz, den er besitzt, entweder vergraben und einmauern, oder sich darein ergeben muß, daß er auch andere Augen und Begierden lockt? Meine theure Cousine, versuchen wir doch nicht, uns selbst zu belügen. Ich kenne keine andere Sünde als diese. Die Sachen ehrlich und unerschrocken nehmen wie sie sind, wenn sie uns mißfallen, sie möglichst unschädlich machen, wenn sie uns wohlgefallen, uns ihrer nach Möglichkeit bedienen, um dies abgeschmackte Leben etwas zu würzen –:
Genug! unterbrach sie ihn. Ersparen Sie mir Ihre Philosophie, die niemals die meinige sein wird. Und nun noch Eins, ehe ich für immer dies Thema verlasse: was den Lehrling und Pflegesohn meines Mannes betrifft, so verleumden Sie ihn schwer, wenn Sie ihm ähnliche Gedanken zutrauen, wie sie leider Ihnen von Ihren Pariser Erfahrungen her geläufig zu sein scheinen. Er hat Alles, was Ihnen fehlt, um die Pietät, die Ehrfurcht und Dankbarkeit gegen das Haus, das ihm zu einem zweiten Elternhause geworden, nie auch nur im Traum zu verletzen. Und nun ein für alle Mal genug und zu viel von solchen Dingen! Ich werde diese Stunde zu vergessen suchen; ich bin Ihnen zu Viel schuldig geworden, um Ihnen nicht diesen Beweis meiner Dankbarkeit zu geben, –: so schwer er mich ankommt. Helfen Sie mir dabei; damit allein können Sie wieder auslöschen, was Sie in meinen Augen entstellt hat.
Sie entfernte sich rasch von der Hütte. Ich hörte ihren leichten Schritt über den Kies rauschen; gleich darauf erhob auch er sich von seinem Sitz, aber es schien ihm nicht darum zu thun, sie einzuholen und mit ihr zusammen das Haus wieder zu erreichen. Einige unarticulirte Laute vernahm ich, ein seltsames Knirschen und Schnauben, dann ein gewaltsames Auflachen und den Versuch, ein spanisches Liedchen zu trällern, das aber schon nach anderthalb Versen wieder verstummte. Darauf setzte er sich langsam in Bewegung, und seine Tritte verhallten in den tieferen Gängen des Parks.
Erst eine ganze Stunde später hatte ich mich von der furchtbaren Aufregung, Betäubung und Verstörung so weit erholt, daß ich meine Gliedmaßen zusammenraffen und aus der Hütte schleichen konnte. Mein Zustand war unbeschreiblich; aber wenn man sich überhaupt so viele Jahre zurück noch über chaotische Gemüthsverfassungen Rechenschaft geben kann, muß ich fast glauben, daß weder die Empörung über die kaltblütig lauernde Keckheit dieses satanischen Menschen, noch die Verehrung der hohen Frauenreinheit und ruhigen Unantastbarkeit in meinem confusen Innern die Oberhand behielt, sondern eine sonderbar schauerliche Wonne, ein unheimliches Triumphgefühl darüber, daß mein Geheimniß verrathen war, ihr verrathen, vor der ich es so angstvoll gehütet hatte, und die der Enthüllung nicht den geringsten Glauben zu schenken schien.
Nie hätt' ich es selbst über die Lippen gebracht, gegen keinen Menschen, am wenigsten gegen sie selbst. Und nun plötzlich wußte sie's! Es war märchenhaft, es brachte mich fast um den Verstand, wenn ich mir den Gedanken recht klar zu machen suchte.
Fast söhnte mich dieser Dienst, den der Doctor mir hinter meinem Rücken geleistet, mit dem so bitter Gehaßten aus. Auch schien er mir auf einmal, da er nun der Abgewiesene und Beschämte war, ordentlich bemitleidenswerth, und ich wäre eines gewissen großmüthigen Betragens gegen ihn fähig gewesen, da ich es ja selbst gehört hatte: ich besaß Alles, was ihm fehlte.
Aber sobald ich ihn nur wiedersah, noch den nämlichen Abend, merkte ich wohl, daß dieser Mensch nie in die Lage kommen konnte, irgend eines andern Menschen Schonung und Mitgefühl zu bedürfen.
Es fanden sich Abends die bekannten Gesichter wieder bei der Lampe in Frau Judith's Zimmer ein; keins war heiterer und gleichmüthiger, als das meines Feindes. Er scherzte mit Allen in alter Weise, verwickelte den Hausherrn in ein Gespräch über ein neues englisches Buch, das er ihm gebracht hatte, sprach mit einer alten Tante der Frau Judith über das Turnen, das damals gerade aufkam und von ihm auch für die Zwillinge empfohlen wurde, so klein sie noch waren, und forderte sogar mich gegen seine Gewohnheit auf, mit der einen Nichte, einem sehr schönen Mädchen, ein Lied zu singen, von dem neulich die Rede gewesen war. Ich war ein sehr mäßiger Sänger, konnte aber nicht ausweichen, und wir executirten unser Duo leidlich genug. Während des Gesangs erhaschte ich einmal einen Blick der holden Frau, der mich anders als früher zu messen schien. Es war etwas befremdet Trauriges im Ausdruck ihres Gesichts, nicht unfreundlich, aber zerstreut und müde, als habe sie einem Räthsel lange nachgesonnen und endlich darauf verzichtet, die Lösung zu finden.
Mit dem Doctor sprach sie kein Wort diesen Abend. Es fiel aber Niemand auf.
Nach diesem Tage ging das Leben im Stern'schen Hause fort, als ob Nichts geschehen wäre. Frau Judith schien es mit ihrem Vorsatz, das Gespräch am Pavillon zu vergessen, in der That ernst zu nehmen. Wenigstens begegnete sie dem Doctor bald wieder ganz wie vorher, so daß ich manchmal, wenn sie auf einen Scherz von ihm munter erwiederte, mich plötzlich besinnen mußte, ob ich denn jene Reden alle geträumt hätte, die doch sonst zwischen zwei Menschen für immer einen gewissen Zwang herbeizuführen pflegen. Wie ihm dabei zu Muth war, hätte ich für mein Leben gern gewußt. Sie fühlte sich offenbar in ihrem Innersten ganz gewaffnet gegen jeden Einfluß dieses gefährlichen Menschen. War das Natur oder die Frucht eines besonnenen Willens? Ich konnte mir's nicht erklären.
Aber ich merkte, daß in dem Verhältniß zu mir jene Stunde eine Veränderung bewirkt hatte, unter der ich nicht wenig litt. Sie vermied es, so viel sie irgend konnte, mit mir zusammenzukommen, lud mich fast nie mehr ein, außer den durch die Hausordnung festgesetzten Stunden irgend etwas mit ihr zu theilen, einen Spaziergang, eine Stunde in der Kinderstube, und richtete nur selten das Wort an mich. Es wollte mir sogar vorkommen, als habe sie mit ihrem Mann meinetwegen gesprochen; denn auch der Hausherr hielt mich etwas ferner, gab mir mehr Arbeit als sonst und verwendete mich gern zu kleinen Geschäftsreisen, als ob er es darauf abgesehen hätte, mich auf andere Gedanken zu bringen. Uebrigens, wenn er mit mir zu sprechen hatte, war sein Ton ganz so liebreich und väterlich, eher noch etwas wärmer, wie früher.
Aber an meinem inneren Zustande konnte das Alles nichts ändern. Ich machte nach wie vor meine schlechten Verse und spann mich in ein Labyrinth leidenschaftlicher Träume ein, jetzt nur um so hoffnungsloser, seit ich in das Gemüth der angebeteten Frau tiefer hatte hineinblicken können und es so unzugänglich für alle weibliche Schwachheit erkannt hatte.
Eines Nachmittags wurde ich aus der Werkstatt zu dem »Alten« gerufen, wie die Lehrlinge und Gehülfen ihn zu nennen pflegten. Ich fand ihn in seiner Bibliothek, er hatte Briefe geschrieben, die Frau war damit beschäftigt, einen Koffer zu packen, sein alter Buchhalter war gleichfalls da und erwartete die Befehle des Herrn. Er theilte uns mit, daß einer seiner Londoner Freunde und Gönner gestorben sei. Die sehr werthvolle Kunstsammlung desselben solle versteigert werden, er müsse hin, um eine Collection geschnittener Steine an sich zu bringen, ein Geschäft, das er Niemand sonst anvertrauen könne. Er denke in drei Wochen wieder zurück zu sein. Bis dahin wolle er uns verschiedene Arbeiten und Geschäfte übertragen, mir insbesondere die Sorge für sein Haus, und bei Feuersgefahr die Rettung gewisser Chatoullen, in denen er die unersetzlichsten Pretiosen aufzubewahren pflegte. Mehr aber noch sollte ich verantwortlich sein für das Wohlbefinden und den Schutz seiner Familie. Sie wissen, Benjamin, sagte er mit seinem milden und durchdringenden Blick –: er nannte mich immer nur bei diesem Namen, den mir mein Vater zu meinem eigentlichen Rufnamen, Heinrich, noch gegeben hatte, weil er dachte, ich würde der Jüngste bleiben, –: Sie wissen, lieber Sohn, welches Vertrauen ich Ihnen damit beweise. Sie werden dessen würdig sein, ich kenne Ihr Herz.
Er reichte mir die Hand, ich stammelte verwirrt und glühend im Gesicht ein paar Worte. Bei jedem Andern wäre ich nach dieser Scene wieder zweifelhaft geworden, ob seine Frau ihm wirklich Alles gesagt habe, was mich betraf. Bei diesem seltenen Mann war ich nun erst recht überzeugt, daß er Alles wußte.
Als er fort war, machte ich in der That zum ersten Mal eine herzhafte Anstrengung, die verderbliche Flamme in mir zu ersticken. Ich stellte mir den letzten Blick des alten väterlichen Freundes beständig vor, und wie tief ich mich verachten müßte, wenn ich auch nur eins der mir anvertrauten Juwelen mit begehrlichen Augen ansehen könnte, und nun vollends –:! Genug, ich faßte die besten Vorsätze.
Um mir selbst die Sache zu erleichtern, kam ich auf den Einfall, der schönsten unter den beiden Nichten, mit der ich manchmal Duette sang, den Hof zu machen. Das gute Mädchen war seit David Stern's Abreise zu Frau Judith einquartiert worden, damit diese eine Gesellschaft habe. So konnte ich sie den ganzen Tag sehen, und sie war wirklich so allerliebst, daß es eher seltsam gewesen wäre, wenn ein junger Hausgenosse ihr nicht gehuldigt hätte. Und da auch ich ihr gefallen mochte und der Garten groß genug war, um sich darin nach Herzenslust zu verlieren und wiederzufinden, auch die Sommernächte mit Schwüle und Jasminduft und gefühlvollem Mondschein das Ihrige thaten, so kam wirklich ein kleiner Roman in Gang, höchst unverfänglich und fast kindisch für ein so erwachsenes Pärchen, aber nach meiner bisherigen auffallenden Tugendhaftigkeit doch eine so unerhörte Sache, daß im Hause davon gesprochen wurde.
Man hatte das gesellige Leben auch nach der Abreise des Hausherrn fortgesetzt, der Doctor kam jeden Abend, es wurde gesungen, vorgelesen, allerlei Gesellschaftsspiele gespielt, und Fräulein Dinah und ich, wie das so Sitte ist, vielfach auf Umwegen dabei geneckt und gehänselt. Ich ertrug das um so gelassener, weil mich das gute Mädchen eigentlich sehr wenig anging und ich meiner sicher war, daß ich's nie über eine gesellige Galanterie hinaustreiben würde. Um so betroffener war ich daher, als eines Abends, da man schon auseinandergegangen war, Frau Judith mich noch einmal zurückrief: sie habe mir noch ein Wort zu sagen.
Lieber Heinrich, sagte sie, und das schöne Gesicht röthete sich dabei in mädchenhafter Befangenheit, Sie dürfen es mir nicht übelnehmen, wenn ich einmal meine mütterlichen Rechte geltend mache und Sie bitte, ein wenig Acht auf sich zu geben. Ich müßte mich sehr irren, oder Sie haben meiner kleinen Dinah etwas in den Kopf gesetzt. Sie sind anders gegen sie, als früher, und so ein junges Ding –: Sie wissen, es ist leichter, Unheil anzustiften, als wieder gut zu machen.
Ich war sehr bestürzt über diese mütterliche Ermahnung und betheuerte stotternd, daß ich mir bei meinen kleinen Aufmerksamkeiten nie etwas gedacht hätte.
Das ist es eben, fuhr sie jetzt lebhafter fort; das habe ich Ihnen wohl angemerkt, und eben darum mußte ich mit Ihnen sprechen. Wenn Sie wirklich eine Neigung zu dem lieben Mädchen gefaßt hätten, warum sollten wir uns nicht darüber freuen? Sie sind noch sehr jung, aber mein Mann hält große Stücke auf Sie und würde Ihnen gewiß dazu helfen, bald irgend etwas Selbständiges anzufangen und ein Hauswesen zu gründen. Zu einem bloßen Spiel jedoch ist sowohl meine Dinah zu gut, als Sie selbst, –: nicht wahr, Sie fühlen das auch? Es steht Ihnen noch schlechter als Anderen, Sie sind ein zu ernster und guter Mensch, um mit dem Glück und der Ruhe eines Herzens es leicht zu nehmen. So, und nun bin ich fertig mit meiner kleinen Predigt. Nun gehen Sie und versprechen mir, darüber nachzudenken. Ich weiß, wir sind ganz Einer Meinung.
Ich konnte kein Wort erwiedern. Meine ganze Seele brannte wieder hellauf diesem einzigen Wesen entgegen; ich hätte mich ihr zu Füßen werfen und stammeln mögen: wenn du wüßtest, warum ich mich in das leichtsinnige Spiel gestürzt habe! welchen viel schlimmeren Ernst ich dadurch betäuben wollte!
Ich hielt an mich. Als sie mir aber ihre Hand bot, eine Gunst, die sehr selten bei ihr war, ergriff ich sie leidenschaftlich, drückte stürmisch meine Lippen darauf und stürzte von ihr weg wie ein Unsinniger.
Sie war viel zu gescheidt, um darin nicht Mehr zu sehen, als Reue und Zerknirschung über meine leichte Versündigung an dem harmlosen Mädchen. Ich begegnete am nächsten Tag seltener ihrem Blick; sie vermied wieder meine Nähe.
Dagegen hatte mich seit einiger Zeit der Doctor entschieden in Affection genommen, ohne es irgend zu beachten, daß ich nach wie vor spröde gegen ihn blieb. Ich zerbrach mir den Kopf, was ihm jetzt auf einmal »interessant« an mir geworden sein konnte. Er behandelte mich zwar noch immer halb ironisch, aber wie einen Menschen, den er gern hatte, so sehr er ihn übersah. Dazwischen konnte er mich auch wieder stundenlang für voll nehmen und Gespräche aufs Tapet bringen, die sonst nur für sehr eingeweihte Lebemänner geeignet waren. Bald nachdem ich mich von meiner jungen Dame wieder etwas mehr zurückgezogen hatte, –: sie empfand es tiefer, als ich geglaubt, und ich war daher in einer recht fatalen Stimmung –:, brach er eines Abends im Garten die Gelegenheit vom Zaun, mich vor diesen scheinbar unschuldigen Tändeleien zu warnen.
Ihr jungen Leute in Deutschland, sagte er fast ärgerlich, seid im Grunde viel schlimmer mit euren schöngeistigen, sentimentalen Liebeleien, als ein hartgesottener junger Don Juan in Frankreich oder Spanien, der genau weiß, was er will, und nie auf halbem Wege stehen bleibt. Einem Gänschen mit Schmachten und Girren das Herz confus machen –: pfui Teufel! Beide Theile haben Nichts davon, als verlorene Zeit und eine flaue Erinnerung, wie man sich etwa den Magen verdirbt an zu vieler Limonade.
Seien Sie ein Mann, werthester Herr Heinrich. Ich kann Ihnen sagen, daß es ein recht erbärmliches Spectakel ist, wie Sie Ihre schönste Zeit so armselig verpassen, statt Ihren Vortheil zu verstehen, die Augen aufzumachen und endlich zu sehen, was alle Welt sieht. Sie halten mich nicht für Ihren Freund, das weiß ich wohl, und thun mir sehr Unrecht. Aber selbst meinen ärgsten Feind möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken sehen. Carramba! als ob es eine so große Kunst wäre, endlich aus der Haut zu fahren, die einem seine biedere Frau Mutter mitgegeben hat und die einem, wenn man vom Gängelband los ist, an allen Ecken und Enden zu knapp wird. Uebrigens ist das Ihre Sache, ob Sie lieber beneidet oder beachselzuckt sein mögen.
Wie eine solche Rede auf mich wirkte, können Sie sich vorstellen, da Sie nun hinlänglich wissen, weß Geistes Kind ich damals war. Ich erwiederte nicht eine Silbe, so beklommen machte mich diese Eröffnung, so unergründlich war mir das Räthsel, was meinen Rivalen und Leidensgefährten plötzlich dazu bewegen konnte, mich in meinen sündhaften, verzweifelten Wünschen aufzumuntern, statt sie im eigensten Interesse zu bekämpfen.
Zwar war er so guter Laune, so ganz harmlos und behaglich der Frau gegenüber, daß jeder Andere geglaubt hätte, es sei ihm gelungen, seine Leidenschaft zu besiegen. Nur ich konnte das nicht wahrscheinlich finden; ich wußte, wie unmöglich es war, den Zauber zu brechen, selbst wenn man fühlte, daß es einem das Leben kostete.
Und die drei Wochen waren längst verstrichen, und der Herr des Hauses kehrte immer noch nicht zurück. Er hatte der Einladung eines andern seiner Geschäftsfreunde nicht ausweichen können, der ihm auf seinem Landsitz eine Menge neuer Ankäufe zur Schätzung vorlegen wollte. Daran hatten sich andere, so ehrenvolle wie gewinnreiche Verbindungen geknüpft, von Woche zu Woche mußte die Abreise aufgeschoben werden. Er schrieb aber fast täglich, ließ auch mich regelmäßig grüßen und hatte, da sich jetzt wieder für einen Monat zu thun gefunden, seiner Frau anheimgestellt, ob sie nicht doch lieber allein aufs Land hinausziehen wolle.
Frau Judith kam dieser Vorschlag gerade gelegen, um mich von Dinah zu trennen.
Sofort wurde das Nichtchen mit den Zwillingen und ausreichender Bedienung auf das Landgut vorausgeschickt, Frau Judith wollte in einigen Tagen nachkommen, da sie erst noch Mancherlei in ihrem Stadthause zu ordnen und für das Landhaus vorzusorgen hatte. Ich sollte in der Stadt bleiben, nur zu kürzeren Besuchen mich draußen einfinden. Der Doctor versprach ein Gleiches zu thun.
Ich erschrak heftig, als ich von dieser Trennung in Kenntniß gesetzt wurde. Aber andererseits war ich fast froh, daß nur überhaupt eine Veränderung in meiner Lage eintrat, die nachgerade kaum mehr zu ertragen war.
Als Alles so weit vorbereitet war, daß die Mutter den Kindern nachkommen konnte, lud sie mich und den Doctor ein, sie hinauszubegleiten, zumal gerade ein Feiertag war und eine sehr angestrengte Arbeitswoche hinter mir lag. Die Tage fingen schon an kürzer zu werden, es war Anfang September. Doch war es noch so heiß, daß Frau Judith die noch übrigen Koffer mit ihrer treuen Dienerin vorausschickte und selbst zu ihrer Uebersiedelung den Abend abwartete.
Wie nun der Wagen sich in Bewegung setzte und wir Drei durch die dämmernden Straßen der Stadt rollten, schlug der Doctor, der in besonders guter Laune war, seiner Cousine vor, den kleinen Umweg nicht zu scheuen, um endlich einmal, wie sie längst versprochen, seine Wohnung in dem großen Magazinhause anzusehen. Sie kämen dann immer noch hinaus, ehe die Kinder zu Bett gebracht wären, nach denen die Mutter schon große Sehnsucht geäußert hatte.
Frau Judith schien sich erst ein wenig zu besinnen. Da aber in der That kein Grund war, den Vorschlag abzulehnen, wurde der Kutscher angewiesen, bei dem wohlbekannten Hause zu halten.
Auch auf mich hatte dasselbe mit seinen stets geschlossenen Fenstern und dem dunklen Hausflur, wo selbst am Mittag eine Gasflamme brannte, immer einen unheimlichen Eindruck gemacht. Heute aber, Dank der übermüthigen Stimmung des Doctors, war es mir ganz erwünscht, einmal in das labyrinthische Innere einzudringen, zumal in ihrer Gesellschaft, die mir jeden Ort zu einem reizenden Aufenthalt machte.
Das schwere Thor war schon geschlossen, als der Wagen davor hielt. Erst auf wiederholtes Anläuten öffnete der Hausmann, der ganz allein darin die Wache hatte, ein in dem großen Hauptflügel angebrachtes Pförtchen, entschuldigte seine Saumseligkeit damit, daß er von dem Besuch der Herrschaft nichts gewußt und ein wenig geschlafen habe, und ließ uns mit vielen Verbeugungen in den düstern Flur treten, wo heute, des Feiertags wegen, auch die Gasflamme gespart worden war. Der Doctor, auf solche Fälle schon gerüstet, zog ein Taschenlaternchen hervor, zündete rasch das Kerzchen darin an und ging, sorgsam die ausgetretenen Stufen beleuchtend, uns voran die Treppe hinauf.
Sie führte aber nur bis ins erste Geschoß. Dort war der Raum des Treppenhauses sogleich zum Verschluß von Waaren verwendet worden, und man mußte die langen, schmalen Corridore, die den Hof von drei Seiten einfaßten, durchwandern, um die Hintertreppe zu erreichen und auf dieser höher hinaufzuklettern. Ich werde nicht versuchen, Ihnen den verwickelten Grundriß dieses seltsamen Bauwesens klar zu machen. Wir können, wenn Sie Lust dazu haben, in Leipzig das Haus aufsuchen, das noch heute unverändert ist, nur noch verstaubter und verwahrlos'ter als damals. Am hellen Tage wird uns wenigstens minder grauslich darin zu Muthe sein, als mir an jenem Abend, wo das blasse Lichtchen von Zeit zu Zeit das fahle Gesicht und die scharfen schwarzen Augen unseres Führers beleuchtete, wenn er sich umsah, ob die schöne Frau ihm auch nachkomme, und ich, dem nur ihr Kleid rauschen zu hören einen Schauer über den Leib jagte.
Keins sprach ein Wort. Auf dem Corridor der zweiten Etage blieb der Doctor einen Augenblick stehen und öffnete eine Thür, die einzige, die unverschlossen war!
Hier nur einen Blick hinein, Cousine! sagte er. Es ist eine Kapelle. Die Meßgriechen haben den Saal gemiethet und zu ihrem Cultus hergerichtet.
Er leuchtete eine Strecke weit hinein. Das gelbe Metall der Leuchter auf dem Altar, die fabelhaften Heiligenfiguren auf Goldgrund, all das blinkte einen Augenblick aus der schwarzen Finsterniß auf, und ein Rest von Weihrauch wehte uns entgegen. Es war zum Ersticken dumpf, alle Fenster geschlossen. Nur eine Katze saß oben auf der Kanzel und schien sich dort wohlzubefinden. Sie richtete ihre gelben Augen gleichgültig auf uns und schlief dann wieder ein.
Nebenan liegt ein Rest Kattunwaare, der die nächste Messe abwartet, und an der andern Seite hat ein Cigarrenfabrikant sein Lager. Es ist merkwürdig, wie gut sich Gott Mammon mit der Dreifaltigkeit verträgt.
Der Doctor lachte gegen seine Gewohnheit laut über seinen eigenen Scherz.
Er war überhaupt, wie wenn er Wein getrunken hätte. Uns Anderen –: der Hausmann hatte sich unten im Flur in seine Wächterzelle zurückgezogen –: uns war viel zu unheimlich zu Muth, um in die muntere Laune unseres Führers einzustimmen.
Und noch eine Stiege ging's hinauf, da endlich standen wir vor der Thür, die in des Doctors Wohnung führte. Als er uns eingelassen und die Lampe angezündet hatte, zeigte sich ein geräumiges Gemach, aber niedrig und nicht viel besser gehalten, als das ganze Haus. Große, alterthümliche Möbel standen unregelmäßig herum, in der Mitte ein mächtiges Sopha, das Tischchen davor mit Büchern und Scripturen bedeckt, in dem Zimmer nebenan Nichts als eine schmale Bettstatt, die aber nicht zum Schlafen zu dienen schien, denn die Kissen waren alle übereinandergethürmt und nicht überzogen.
Ich gehe schon seit Jahren nicht mehr zu Bette, erklärte der Doctor, als er dem verwunderten Blick seiner Cousine begegnete. Es ist eine sehr unnütze Mühe für einen praktischen Arzt, der jede Stunde in der Nacht abgerufen werden kann. Da auf dem Sopha, ohne viele Umstände, schläft und träumt sich's so gut oder so schlecht, als ein armer Einsiedler es nur irgend wünschen kann. Wollen Sie es nicht einmal probiren, Cousine? Das Polster ist nicht das Schlechteste in dieser Eremitage.
Sie nickte leicht mit dem Kopf, nahm aber auf einem Sessel neben dem Tische Platz. Ich war an eines der drei niedrigen Fenster getreten und sah nach den Dachstuben hinüber. Unser Haus stand an einer Straßenecke, die Front der breiten Straße zugekehrt. Die Zimmer des Doctors gingen auf die schmale Gasse hinaus. Man hätte die Dachfenster drüben fast mit den ausgestreckten Händen erreichen können.
Indessen hatte der Doctor ein Schränkchen aufgeschlossen und zwei seltsam geformte Flaschen, einen Teller mit Backwerk und ein Körbchen mit Birnen und Aprikosen herausgenommen.
Ein Schelm giebt mehr als er hat, scherzte er, indem er die Bücher vom Tische warf und die Flaschen nebst einigen Gläsern darauf hinstellte. Hätte ich mir diesen hohen Besuch unter meinem niedern Dache träumen lassen, so wäre natürlich besser dafür gesorgt, daß ich hier den Wirth machen könnte. Zum Glück ist dies ein echter Alicante und ein wenigstens gut verbürgter Xeres. Spanische Freunde haben mir ein Kistchen dieser edlen Landsleute geschickt. Kosten Sie doch, Cousine. Nur ein paar Tropfen von jedem. Und diese Biscuits, die freilich schon zwei Tage alt sind, –: ein Arzt, der manchmal die halbe Nacht bei einem Patienten zubringt, muß immer so einen Bissen für den Nothfall bereit halten. Was observiren Sie denn da drüben, junger Freund? Nicht wahr, die Schneidersfrau ist nicht übel? Aber seien Sie auf der Hut mit Ihren Huldigungen über die Gasse. Der Gatte ist fürchterlich eifersüchtig.
Ich konnte nicht umhin, in seinen lustigen Ton einzustimmen, um eine kleine Verlegenheit zu verbergen. Denn in der That hatte ich einer idyllischen Ehestandsscene drüben in der Dachstube zugeschaut und das glückliche junge Paar im Stillen beneidet.
Nun trat ich an den Tisch, kostete die beiden Weine, die süß und feurig waren, und stieß auch mit Frau Judith an, als der Doctor vorschlug, aus diesen Zwillingsflaschen auf die Gesundheit ihrer beiden Knäbchen zu trinken. Er wußte, daß sie einer solchen Aufforderung nicht widerstand, obwohl sie sonst den Wein nicht liebte. Diese süßen jedoch fand sie vortrefflich, und ihre Stirn fing an sich etwas zu entwölken.
Wir hatten uns zuletzt ganz in eine Art Behagen hineingeschwatzt, der Doctor schleppte aus Kisten und Kasten seltsamen Kram zusammen, Andenken an seine Reisen, Photographieen von Städten, Bildern und Menschen, immer wieder etwas Neues und Merkwürdiges. Dabei wurden die Spitzgläschen leer und wieder gefüllt, und da wir alle Fenster geöffnet hatten, machte die hereinströmende Abendluft das Zimmer kühl und erfrischte auch unsere Stimmung.
Auf einmal aber hörten wir einen seltsamen Glockenton durch das Haus schallen.
Der Doctor fuhr in die Höhe. Verwünscht! murmelte er. Warum auch gerade jetzt! –: Es ist meine Patientenglocke, wandte er sich an Frau Judith. Aber wenn es nicht etwas sehr Dringendes ist, –: heute wenigstens möcht' ich es einmal so gut haben, wie ein anderer Mensch, der nicht bloß für den Husten und das Leibweh seiner Nebenmenschen auf der Welt ist.
Er ging an eine Oeffnung in der Wand, die, wie wir jetzt sahen, das Mundstück eines Sprachrohrs war, und rief Etwas hinein. Gleich darauf kam aus der Zelle des Hausmanns unten die Antwort. Beides war uns unverständlich.
Es ist, als hätte der Teufel sein Spiel dabei! rief er mit allen Zeichen des heftigsten Aergers. Muß nun gerade diese verrückte alte Generalin schicken, die schon seit Jahr und Tag in den letzten Zügen zu liegen glaubt und vielleicht uns Alle überlebt. Und ich darf es nicht mit ihr verderben; ihr verdanke ich meine ganze Praxis unter der Leipziger Christenheit!
Aber wenn Sie nun schon mit uns draußen auf dem Lande wären?
Das ist es eben. Ihr Bedienter hat vorher unten in der Gasse spionirt und das Licht in diesem Zimmer bemerkt. Es ist rein unmöglich, sagt mir der Hausmann, daß ich mich verleugnen lasse. Hole der Kukuk –: aber Verzeihung, beste Cousine, wenn ich mich so ungesittet ausdrücke. Möge Gott die Excellenz leben lassen noch hundert Jahr –: wenn ich nur diese nächsten vierundzwanzig Stunden –:
Halt! unterbrach er sich plötzlich. So geht's, so komme ich aus der Klemme. Würden Sie mir erlauben, theure Cousine, mich nur auf eine kleine Viertelstunde des Wagens zu bedienen, der unten auf uns wartet? Eine Droschke ist heut am Feiertag nicht aufzutreiben, sie sind alle ins Grüne hinaus. Aber in fünf Minuten bin ich bei meinem alten Plagegeist, fünf Minuten um ihren Puls zu fühlen, ihre Zunge zu besehen und das nöthige Unnöthige auf einen Receptstreifen zu kritzeln, fünf Minuten zur Rückfahrt –: in Summa eine Viertelstunde, für die Ihnen ein geplagter Wohlthäter der Menschheit ewig danken wird.
Ich sah, daß ein Schatten über das schöne Gesicht flog. Er schien aber die Gewährung seiner Bitte so selbstverständlich zu finden, und ihre Güte war so erprobt, daß er ohne eine directe Antwort abzuwarten seinen Hut ergriff und aus der Thür stürmte.
Gleich darauf hörten wir unten die Hausthür gehen und den Wagen fortrollen.
Und nun allein mit ihr –: eine ganze Viertelstunde! Kein Wort konnt' ich sagen, so stark klopfte mir das Herz. Ich hatte eine Birne aus dem Körbchen genommen, die fing ich nun an zu schälen, so behutsam, als gälte es ein Kunststück fertig zu bringen. Und wirklich, ich weiß es noch ganz genau, was ich mir dabei dachte: wenn du die Schale herunterbringst, ohne das dünne Streifchen zu zerreißen, so vergeht diese Viertelstunde wie hundert andere. Wenn es abreißt, –: so kommt Etwas, das du nicht ahnst, das dich sehr elend oder sehr glücklich macht. –: Was? davon hatte ich keine Vorstellung. Ich heftete den Blick unverwandt auf die kleine Frucht in meinen Händen –: ich hätte mir nicht um die Welt getraut, die Frau mir gegenüber anzusehen. –: Was sie inzwischen für Augen machte, ob sie mich ansah, oder gar woran sie dachte, –: ich wußte es nicht. Ich fühlte nur, daß ich's nicht lange so durchführen konnte, meine Hände zitterten immer mehr –: und jetzt stand sie plötzlich auf, da fuhr das Messer in die Schale und durchschnitt sie und schnitt mir zugleich in die Hand, so sehr hatte mich ihre rasche Bewegung erschreckt.
Was haben Sie gemacht? hörte ich sie sagen –: noch immer konnte ich sie nicht ansehen –:; Sie haben sich in die Hand geschnitten, es blutet ja ganz gefährlich –: und nun gerade, wo wir den Doctor nicht haben, der Sie verbinden könnte, –: mein Gott, ich glaube gar, eine Arterie ist verletzt –:
Es ist Nichts, sagte ich, ich war ungeschickt. Sehen Sie, das Blut hört schon auf zu fließen.
Ich drückte mein Schnupftuch dagegen. Aber es quoll darunter vor.
Lassen Sie mich versuchen, ob ich nicht eine Art Verband zu Stande bringe, sagte sie rasch. Ich bin ganz geschickt in solchen Dingen.
Nun faltete sie ihr feines Tuch zu einem schmalen Streifen zusammen, und wirklich, es gelang ihr, die verletzte Stelle am Daumen so fest zu umschnüren, daß das Blut zurückgehalten wurde. Mit einer Art Wollust erlitt ich den Schmerz, den das Zuziehen des Knotens machte.
Können Sie es so fest ertragen? fragte sie.
Es thut nicht weh! stammelte ich und sah sie einen Augenblick dabei an. Ihr Gesicht war ein wenig geröthet, ein leichter Seufzer hob ihre Brust, sie zog sofort ihre Hände zurück, in denen ich das Blut hatte klopfen fühlen.
Sie sind sehr unvorsichtig! war Alles, was sie erwiederte. Dann trat sie von mir weg an eines der offenen Fenster.
Ich wollte erst am Tische sitzen bleiben und nahm sogar ein Buch in die Hand, aber die Buchstaben verschwammen mir vor den Augen. Eh' ich recht wußte, was ich that, stand ich neben ihr am Fenster.
Die Dachkammer drüben war niedriger als unser Zimmer. Wir konnten sie fast der ganzen Tiefe nach übersehen. Die Schneidersfrau hatte eben das Nachtessen abgetragen, der Mann saß auf einem schlechten Sopha und rauchte eine Cigarre. Nun kam das hübsche junge Weib wieder herein, nahm eine Näharbeit von der Kommode und setzte sich damit neben ihren Mann, der allerlei zu ihr sagte, worüber sie lachen mußte. Sie sah allerliebst aus mit ihren blanken Zähnen und den Grübchen in den runden Wangen, und so dürftig sie gekleidet war, fehlte es ihr doch nicht an kleinen koketten Künsten, die sich aber sehr harmlos ausnahmen, weil sie nur ihrem Manne galten. Nach und nach fing ein neckischer kleiner Krieg zwischen ihnen an, Jedes wollte das Licht näher zu sich hinziehen –: er hatte ein Zeitungsblatt vor sich liegen –: darüber kam es zu einem kleinen Handgemenge, er nahm sie einmal mit der einen Hand beim Ohrzipfel und küßte sie auf den Hals, sie stellte sich böse und wollte weiter von ihm wegrücken und das Licht nachziehen, und während er ebenfalls danach griff, fiel das zinnerne Leuchterchen vom Tisch, und die Kammer war stockfinster.
Als wenn sie aus einem Traum aufwachte, fuhr Judith plötzlich vom Fenster zurück.
Mein Gott! sagte sie, wo sind wir denn? Wie sind wir hierhergekommen? Richtig –: so kam es –: eine Viertelstunde, hat er gesagt –: was ist denn die Uhr? Ich hoffe doch, er hält Wort. Ich habe Kopfweh bekommen, ich sehne mich ins Freie hinaus –:
Er muß jeden Augenblick zurückkommen. Die Viertelstunde ist herum.
Sie athmete hörbar auf, als fiele ihr ein Stein von der Brust. Dann durchmaß sie das Zimmer, ohne ein Wort zu sprechen, nur von Zeit zu Zeit stand sie still und schien hinauszuhorchen, ob von den Wagen, die unten durch die Straße fuhren, keiner vor dem Hause anhielt.
Eine zweite Viertelstunde war so vergangen.
Es ist unverantwortlich! brach sie jetzt heraus, mit einer Heftigkeit, die ihr sonst nicht eigen war. Er wußte doch, daß mir daran lag, beizeiten zu den Kindern zu kommen. Nun schlafen sie am Ende schon. Aber es geschieht mir Recht; warum habe ich eingewilligt? Wer kann wissen, was einem Arzt begegnet, was ihn länger festhält, als er selbst gewollt? Ich war gleich dagegen, ihm den Wagen zu lassen, er hätte am Ende auch zu Fuß gehen können. Nun sind wir hier wie in einem –:
Gefängniß, wollte sie sagen. Aber irgend Etwas schnitt ihr das Wort ab. Ich lehnte am Fensterbrett, den Rücken der Gasse zugekehrt; keine Silbe hätte ich zu sprechen vermocht vor Herzklopfen.
Ich will hinaus! sagte sie plötzlich. Gleichviel, wohin –: aber hier –: nein, hier erstickt man. Bitte, nehmen Sie die Lampe, Heinrich. Wir wollen hinuntergehen, uns das Haus öffnen lassen und dann sehen, ob wir eine Droschke –: o, es ist abscheulich!
Ich hatte zwei Leuchter im Schlafzimmer stehen sehen, die holte ich stillschweigend herein und zündete sie beide an. Sie nickte, als ich ihr den einen reichte, aber sie sah mich nicht an. Sie war so sonderbar aufgeregt, wie ich sie nie gesehen, ein Zug von Zorn und Bitterkeit bebte um ihre Lippen, aber dies Gesicht konnte eben Nichts entstellen. Sie war mir nie so wahrhaft königlich vorgekommen, so ähnlich einer jener stolzen Frauen ihres Stammes, von denen die Legenden erzählen.
Hastig ging sie mir voran, –: die Lampe ließen wir brennen und tasteten uns nun mit den flackernden Lichtern durch die langen Corridore. Ich hatte den Plan des Hauses so ziemlich begriffen und konnte die Führung übernehmen. Als wir aber die drei Treppen hinuntergestiegen waren und unten im dunklen Hausflur anlangten, fanden wir zu unserm Schrecken, daß die Thüre fest verschlossen und die Zelle des Hausmanns, in der nur ein schwaches Nachtlicht dämmerte, leer war.
Auch das noch! hörte ich Judith vor sich hin murmeln. Rufen Sie den Mann, Heinrich. Er muß doch im Hause sein –:
Ich rief und spähte im Hof und den angrenzenden Winkeln herum. Keine Spur von einer lebendigen Seele.
Als ich zu der Harrenden zurückkehrte, stand sie dicht an das Thürschloß gelehnt und horchte hinaus. Der Schein der Kerze zeigte ein ganz bleiches, ängstlich gespanntes Gesicht.
Ich suchte sie zu beruhigen: der Hausmann müsse jeden Augenblick kommen, er könne unmöglich weit sein, auch der Wagen werde nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Es war, als hörte sie gar nicht, was ich sagte.
Wenn wir hier ans Thor klopfen, bis von den Vorübergehenden draußen Jemand uns hört, daß wir einen Schlosser rufen und das Thor könnten aufbrechen lassen –:
Ich stellte ihr das Aufsehen vor, das ein so gewaltsames Verfahren machen würde.
Es ist wahr! nickte sie düster vor sich hin. O, es ist teuflisch, teuflisch!
Wieder horchten und warteten wir zehn athemlose Minuten. Dann richtete sie sich entschlossen auf.
Bleiben Sie hier, sagte sie leise. –: Ich –: ich will wieder hinaufgehen. Sobald Jemand kommt, das Haus zu öffnen, benachrichtigen Sie mich. Hier zu bleiben –: ist unmöglich. Es ist eine Kellerluft hier –: ich habe auch mein Tuch oben gelassen –:
Ich erbot mich, es zu holen; ich suchte es ihr auszureden, daß sie die steilen Treppen noch einmal und ganz allein hinaufsteigen wollte.
O, sagte sie und bemühte sich zu lächeln, aber ihr Mund zitterte dabei, ich fürchte mich gar nicht –: die bösen Geister sind nicht mehr unter diesem Dach –: lassen Sie mich nur unbesorgt hinauf und bleiben Sie hier auf dem Posten –: ich nehme ein Buch und lese –: es kann ja nun nicht mehr lange dauern.
So ließ sie mich unten allein. Ich hörte ihren Schritt die Stufen der ersten Treppe hinaufeilen, dann sah ich den Schein ihrer Kerze durch die Fenster des Corridors hinwanken und glaubte nun, sie wisse den Weg. Ich athmete ein wenig freier, da ich allein war. Die Schwüle, die mich neben ihr zu ersticken drohte, wich langsam von mir. Ich räthselte daran herum, wie das Alles gekommen sei, was es für einen Zusammenhang habe, daß der Wagen ausblieb, der Wächter das Haus sich selbst und –: uns überließ, was sie mit den Worten gemeint habe: Es ist teuflisch! Eine Ahnung durchzuckte mein Gehirn, ich sah das Gesicht wieder, mit welchem der Doctor uns die Thür seiner Wohnung aufgeschlossen hatte, das Grinsen –: in der That, es hatte einen Zug vom Satanischen, und seine seltsame Lustigkeit, sein Bemühen, uns von dem Wein trinken zu machen –: o wenn das Alles zusammenstimmte, wenn eine Absicht dahinter steckte –: –:
Aber es sollte ihm nicht gelingen. Ich fühlte mich plötzlich durch die Empörung über diese teuflische Tücke so gestählt von Kopf bis Fuß, mit allen Mächten der Finsterniß hätt' ich es aufnehmen wollen. Ich fühlte freilich auch, wie mir das Blut in den Schläfen hämmerte und wie meine Lippen brannten. Ich drückte das Gesicht gegen das eiserne Thürschloß und sog durch das Schlüsselloch die kühlere Luft ein, die durch die Straße wehte. Dann rief ich mir das Bild meines Wohlthäters zurück, die letzten Worte, mit denen er mir die Sorge für sein Haus anvertraut hatte, ich dachte an meine Mutter, an das lange Leben, das noch vor mir lag und das ich durch eine einzige wahnsinnige Minute vergiften konnte, ich dachte –:
Ein jäher Schrei zerriß plötzlich meine Gedanken. Meinen Namen hatte ich rufen hören –: es war Judith's Stimme –: jetzt noch einmal: Heinrich! mit einem Jammerton, der mir das Haar sträubte –: und dann Alles still.
Im Nu war ich auf der Treppe, ich flog die Stufen hinauf, so rasch ich nur konnte, ohne das Licht in meiner Hand erlöschen zu lassen, ich spähte die Gänge entlang und rief ihren Namen –: nirgend ein Wiederschein oder Wiederhall. In der fürchterlichen Aufregung taumelte ich selbst auf Irrwegen umher, verfehlte die rechte Etage, glaubte schon in der dritten zu sein, da ich erst die zweite erreicht hatte –: der Angstschweiß trat mir auf die Stirn –: ich rief, ich schrie, ich strauchelte auf den morschen Stufen, raffte mich wieder auf –: und da endlich, als ich den Lichtschein in den langen Corridor vorauswandern ließ, –: da lag Etwas am Boden, das einem zusammengesunkenen Weibe ähnlich sah.
Im nächsten Moment war ich bei ihr –: sie lag vor der Thür der griechischen Capelle, die halb offen stand, wahrscheinlich hatte sie, da der Schlüssel hier steckte, geglaubt, an des Doctors Zimmer angekommen zu sein. Der Zugwind hatte ihr beim Eintreten das Licht ausgelöscht –: und jetzt sah ich auch, was sie so jählings niedergeworfen hatte: die Katze, die noch dort am äußersten Ende des Ganges ruhig am Boden kauerte, mußte ihr in der Finsterniß entgegengesprungen sein und der heftige Schrecken sie in Ohnmacht gestürzt haben.
Ich stellte meinen Leuchter vorsichtig nieder und beugte mich zu der Regungslosen hinab. Ihr Oberleib lehnte am Thürpfosten, ihr Gesicht war auf die Brust gesunken. Wie ich mich bemühte, sie wieder aufzuwecken, berührte mein heißer Mund ihre kalte Wange. Ich kam von Sinnen; ich zitterte wie vom Fieber geschüttelt, aber indem ich mich anstrengte, die fühllose Gestalt aufzurichten, bedeckte ich ihre Stirn, ihre Augen, ihr Haar mit brennenden Küssen, dazwischen ihren Namen flüsternd, den Mund dicht an ihr Ohr gepreßt –: Alles umsonst! –: bis meine Lippen sich zu ihrem kalten, halbgeöffneten Munde verirrten. Da war es, als zucke ein elektrischer Schlag durch ihre bewußtlosen Glieder, die Arme regten sich, der Mund begann zu athmen, sie erwiederte wie träumend meine Küsse –: plötzlich schlug sie die Augen auf: O mein Gott! hauchte sie –: was ist geschehen!
Sie erholte sich im Nu, richtete sich vollends auf und stand nun am Pfosten, mit den Händen sich das lose Haar von der Stirn zurückstreichend.
Wo sind wir denn hier? sagte sie. Im Himmel oder in der Hölle? Verlassen Sie mich –: warum sind Sie gekommen? Ich –: ich will –:
Sie wußte nicht, was sie wollte. Ich hatte mich ihres Armes bemächtigt, den andern Arm stützend um sie geschlungen. Lehnen Sie sich an mich! flüsterte ich. Ich führe Sie hinauf. Hier können wir nicht bleiben.
Sie ließ Alles geschehen. Ich hatte das Licht ergriffen und geleitete sie langsam den Gang zu Ende und die Treppe hinauf. Mein Mund suchte immer noch ihre Wange; sie ließ auch das geschehen, aber ihren Mund durfte ich nicht wieder berühren.
O mein Gott, o mein Gott –:!
Das war Alles, was von Zeit zu Zeit von ihren Lippen kam.
Wo waren in diesem Augenblick alle die guten Geister, die ich kurz zuvor so inbrünstig angerufen hatte?
Auch meine Kerze war unterwegs erloschen. Aber nun war oben die Thür zu dem Zimmer erreicht, wo wir die Lampe hatten brennen lassen. Ich weiß nicht, was mich draußen an der Schwelle einen Moment zögern machte. War es, daß ich mich vor dem hellen Licht fürchtete, als ob es uns aus dem sündigen Traumglück aufschrecken würde, wenn es uns plötzlich entgegenleuchtete? Ich drückte die immer noch in den Knieen wankende Gestalt noch einmal fester an mich –: sie litt es einen Augenblick, ihr Mund begegnete noch einmal dem meinigen, dann tastete sie selbst an der Thür, bis sie die Klinke fand, und öffnete in ängstlicher Hast.
Aber welch ein Anblick erwartete uns!
An dem Tisch vor dem Sopha, gerade da, wo ich gesessen hatte, als ich mir die Hand verwundete, saß ein Kind, ein Mädchen von etwa sieben Jahren, in einem sauberen Nachtröckchen, die braunen Haare fielen ihm ungeflochten über die Schultern herab. Es schien in die Betrachtung der kleinen Kuchen und des Korbes mit Früchten vertieft, die auf dem Tische standen. Besonders die geschälte Birne mochte durch die Blutflecken auf dem Teller seine Aufmerksamkeit gereizt haben. Doch hatte es die Hände mit ausgespreizten Fingerchen daneben auf den Tisch gelegt und sah uns jetzt, die wir von ihrer Erscheinung wunderbar betroffen auf der Schwelle standen, mit großen, schüchternen, aber klugen Augen an.
Der Blick machte, daß ich den Arm, der Judith umschlungen hielt, wie ein ertappter Dieb herabsinken ließ. Sprachlos starrte ich das Kind an, das sich auf seinem Stuhl nicht rührte, nur zutraulich mit dem Kopfe nickte.
Ich habe nichts gegessen, sagte es mit einem hellen, treuherzigen Stimmchen. Gewiß nicht! Nur angesehen hab' ich die Kuchen, und vielleicht schenkt mir der Herr Doctor einen. Nicht wahr, Vater wird nicht schelten, weil ich aus dem Bett wieder aufgestanden bin? Es war so heiß in der Stube, und dann hörte ich draußen gehen, ich dachte, es wäre der Herr Doctor, er schenkt mir manchmal einen kleinen Kuchen, mich hungerte noch ein bischen –: aber nehmen darf man nichts, es ist Sünde, nicht wahr?
Ich wollte, ich könnte Ihnen das Kindergeplauder genau so wiedersagen, wie wir es hörten, mit dem Ton und den kleinen holden Mienen, damit Sie verstehen könnten, wie es uns ins Innerste traf, gewaltig wie eine Stimme des jüngsten Gerichts.
Aber das Plaudern verstummte. Denn mit einem Aufschrei, wie wenn ein lebendig Begrabener den Gruftdeckel sprengt und das Licht des Tages wieder begrüßt, –: ich habe nie einen ähnlichen Laut gehört, –: wie außer sich stürzte die Frau zu dem Kinde hin, riß es vom Stuhl an ihre Brust, drückte es an sich, als wäre es ihr eigenes verloren geglaubtes, bedeckte sein helles Gesichtchen über und über mit Küssen und gab es erst wieder frei, als es selbst sich zu fürchten anfing und sich den stürmischen Liebkosungen der fremden Dame zu entziehen suchte.
Nun aber mußte es dicht neben ihr auf dem Sopha Platz nehmen, wobei die schönen Hände beständig das kleine Köpfchen und blasse Gesichtchen streichelten. Von Allem sollte es nun essen, was auf dem Tische stand, nur den Wein durfte es nicht kosten. Dabei ließ die Frau ihre Augen nicht los von den Augen des Kindes und plauderte unaufhörlich mit ihm und schien gar nicht mehr zu wissen, wer noch mit ihr im Zimmer war, –: nicht eigentlich im Zimmer freilich; denn ich hatte meinen Platz am Pfosten der offenen Thür nicht verlassen.
Ich hatte nicht den Muth, auch nur mit einem Wort mich in die Unterhaltung der Frau mit dem Kinde zu mischen. Wie gelähmt war ich in all meinen Sinnen und Gedanken. Nur wie aus weiter Ferne drang manchmal ein Wort verständlich an meine Seele. Ich war in mir selbst so völlig vernichtet, ich wünschte mir die Kraft, den Athem so lange anzuhalten, bis ich entseelt hinsänke; ein Leben über diese Stunde hinaus schien mir völlig widersinnig und unmöglich. Und dabei fühlte ich gar keine Neugier, zu erfahren, wie dies Wunder sich zugetragen, woher das Kind plötzlich erschienen sei, ob es wirklich ein Engel sei, wie die leidenschaftlich erregte Frau es unter ihren Liebkosungen einmal übers andere nannte, oder ein gewöhnliches Menschenkind, dessen plötzliche Erscheinung hier in dem öden Hause ganz mit rechten Dingen zugehe.
Auch der Frau schien dies Alles gleichgültig zu sein, und das Kind selbst, da es nicht gefragt wurde, fühlte kein Bedürfniß, der schönen Dame, die es mit Kuchen und Früchten fütterte, Aufschlüsse über seine Familienverhältnisse zu geben. Erst später erfuhr ich, daß es die Tochter des Hausmanns war, der außer seiner Wächterzelle unten noch eine kleine Wohnung im dritten Stock inne hatte. Da er ein Wittwer war, kam über Tag eine Nachbarsfrau, seine kleine Küche zu versehen und für das Mädchen zu sorgen, das schon in die Schule ging und nicht viel Aufsicht bedurfte. Denn es war durch den frühen Verlust der Mutter und das Leben in dem einsamen Hause besonnen und bescheiden gemacht worden und hütete sich selbst. Wie es an jenem Abend das ungewöhnliche Hin- und Hergehen vernahm, war es aufgewacht und hatte der Neugier nicht widerstehen können, zu sehen, was es gebe. So hatte es sich nach dem Zimmer des Doctors hingetastet und beschlossen, dort die Rückkehr desselben abzuwarten, da die geschälte Frucht gar zu lockend auf dem Teller lag.
Ich weiß es nicht, wie lange wir Drei in der wundersamsten Stimmung von der Welt da oben noch allein gelassen wurden. Aber weniger als eine volle Stunde kann es nicht gedauert haben, bis wir den Wagen unten auf der Straße wieder heranrollen hörten.
Keins von uns veränderte seinen Platz. Judith saß noch auf dem Sopha neben dem Kinde, ich lehnte in der offenen Thür, als wir eilige, aber leise Tritte die Stiege heraufkommen hörten.
Das fahle Gesicht des Doctors tauchte im Corridor auf, er war ohne Licht, obwohl er das Taschenlaternchen vorhin wieder zu sich gesteckt hatte; als er den breiten Lampenschein bemerkte, der aus der offenen Thür auf den Gang hinausdrang, stutzte er einen Augenblick. Dann aber beschleunigte er seinen Schritt und trat hastig an mir vorbei in das Zimmer.
Ich sah deutlich, wie ein Ausdruck grimmiger Enttäuschung seine Züge verzerrte. Aber er faßte sich sogleich.
Da finde ich ja die schönste Gesellschaft! sagte er. Wie hat sich denn meine kleine Anna hier zu Gaste geladen? Nun, um so eher wird die Frau Cousine mir ihre Verzeihung gewähren, daß die Viertelstunde sich so ungebührlich hinausgedehnt hat. Ich fand in der That einen so bedenklichen Zustand, daß es so herzlos als pflichtvergessen gewesen wäre, wenn der Arzt –:
Die Frau stand plötzlich auf. Sie hatte keinen Blick für den Eintretenden gehabt. Gute Nacht, Aennchen, sagte sie, das Kind noch einmal in ihre Arme schließend. Morgen lass' ich dich abholen, aufs Land hinaus, wenn dein Vater es erlaubt. Da sollst du schöne Blumen pflücken und Birnen und Pfirsiche essen, und für eine Puppe wird auch gesorgt sein. Schlaf wohl, mein kleiner Engel! schlaf wohl! und Gott behüte dich vor allen bösen Geistern.
Sie ließ das Kind aus ihren Armen auf den Boden gleiten und ging an dem Doctor und mir vorbei, als wären wir nicht vorhanden. Alcobara hatte kaum Zeit, die Lampe vom Tisch zu nehmen und ihr nachzueilen; ich folgte ihm auf dem Fuß. Vergebens suchte er auf dem Weg die Stiegen hinunter ein Wort von ihr zu erhaschen, indem er höchst unbefangen von der Krankheit der alten Dame und seinem Unmuth, nicht von ihr loszukommen, weiterschwatzte. Den Hausmann habe er nach der Apotheke schicken müssen, da der Bediente der Excellenz seinen Feiertag sich zu Nutze gemacht habe. Es thue ihm außerordentlich leid, wenn seine Cousine ihm diesen unfreiwilligen Aufenthalt übelgenommen hätte.
Wir waren unten beim Wagen angelangt, Judith stieg hinein und machte den Schlag hinter sich zu.
Ich werde morgen hinauskommen, sagte der Doctor mit mühsam verhaltener Aufregung. Hoffentlich hat dann die Nacht meiner theuren Cousine mildere Gedanken über meine geringe Verschuldung gebracht.
Geben Sie sich keine Mühe, antwortete die Frau mit lauter, fester Stimme. Ich werde Befehl geben, Sie nie wieder vorzulassen. Ich habe Sie heut zum letzten Mal gesehen.
Sie gab das Zeichen zum Fortfahren. Im nächsten Moment stand ich dem Verhaßten allein gegenüber. Die Lampe, die er in der Hand hielt, schien ihm hell ins Gesicht. Zum ersten Mal sah ich diese kalte Teufelslarve von einer dunklen Glut übergossen.
Auch ich sollte sie zum letzten Mal gesehen haben.
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Diese Nacht –: und der nächste Morgen –: und die Tage, die darauf folgten! –: Sie erlassen mir, Ihnen zu schildern, in welcher Verfassung ich sie zubrachte.
Nicht ein Wort hörte ich von ihr, nicht ein einziges Mal kam sie wieder in das Stadthaus, wie sie sonst pflegte während ihres Landaufenthaltes, zumal in der Abwesenheit des Mannes. Daß ich nicht nach alter Gewohnheit hinausging, mußte natürlich auffallen. Ich ersann allerlei Vorwände, doch merkte ich, daß man mich mit zweifelnden Mienen ansah. Das war mir sehr gleichgültig. Nur sie –: wie sie von mir dachte –:!
Ich ertrug es endlich nicht länger. Ich schrieb an sie –: auf acht Seiten schüttete ich all meine Reue, meine jahrelang erlittene Qual, meine zerknirschte Bitte um Vergessen jener wahnwitzigen Stunde vor ihr aus. Als der Brief abgeschickt war, fühlte ich mich etwas erleichtert. Es kam aber keine Antwort.
Nach vierzehn Tagen, wie in der Hölle hingelebt, erhielt der Buchhalter die Nachricht von dem Herrn, er sei auf der Heimreise begriffen, dann und dann werde er eintreffen.
Das Unabwendbare, auf das ich lange genug mich hatte vorbereiten können, traf mich wie ein Wetterschlag aus blauer Luft. Ich fühlte, daß es mir völlig unmöglich war, dem Manne, dessen väterlich vertrauende Güte ich so schwer betrogen, unter die Augen zu treten.
Ich blieb aus der Werkstatt weg, unter dem Vorgeben, daß ich krank sei. Ich war es in der That so weit, daß selbst der Arzt, obwohl er es nicht schwer nahm und Alles auf die Nervenüberreizung durch unmäßiges Arbeiten schob, mir völlige Ruhe anordnete. Mein Aussehen war elend, mein Puls ungleich, ich weigerte mich aber entschieden, aufs Land hinauszuziehen, da mir der Hausherr die Sorge für seine Sammlungen übertragen habe, und verbrachte die Tage auf meinem Zimmer nicht viel besser als ein zum Tode Verurtheilter.
An dem Tage, wo David Stern erwartet wurde, verließ ich das Bett nicht. Ich hatte wirklich lebhaftes Fieber. Die Frau war nicht vom Lande hereingekommen, ihrem Gatten entgegenzugehen, der Herr sollte nur eine Stunde in der Stadt verweilen und dann gleich auf das Gut hinausfahren.
Ich hatte den Buchhalter gebeten, mich zu entschuldigen. Ich hoffte, morgen besser zu sein; freilich, was sollte morgen werden? Auf das Gut hinaus, dem Herrn Rechenschaft abzulegen –: unmöglich! –: Und so lag ich und brütete in der peinlichsten Seelenqual, da hörte ich Schritte die Treppe heraufkommen, auf meine Thüre zu. Es blieb mir Nichts übrig, als mich schlafend zu stellen, und zum Glück ließ selbst dieses scharfe Auge sich täuschen, für diesmal wenigstens. Ich fühlte, wie er mir sacht mit der Hand über die Stirn strich. Sie ist feucht, sagte er leise zu dem Buchhalter, der ihn heraufbegleitet hatte. Nun, so ist ja das Fieber gebrochen. Er soll sich nur ganz ruhig halten und dem Doctor pariren. Grüßen Sie ihn von mir. Ich sehe bald wieder nach ihm.
Dann ging er weg.
Ich habe zu sagen vergessen, aber es versteht sich ja wohl von selbst, daß mit dem Doctor nicht Dr. Asser Alcobara gemeint war. Der hatte sich seit jenem Abend unsichtbar gemacht; der alte Hausarzt war überdies niemals verabschiedet worden.
So konnte ich für eine Nacht aufathmen. Aber was war damit gewonnen? Wie ich sie kannte, war es ihr unmöglich zu schweigen. Und auch wenn sie aus Schonung für mich ihr eigenes Gefühl unterdrückte, wie konnte ich in diesem Hause, unter diesen Menschen jemals wieder mit aufgeschlagenen Augen und offener Stirn herumgehen?
Ich saß am folgenden Mittag in diesen unablässig wühlenden Gedanken auf meinem kleinen Ledersopha und hatte eben das Wenige gegessen, was ich über die bittere Zunge bringen konnte, da kommt es draußen wieder die Treppe herauf, und ehe ich mich fassen und besinnen konnte, tritt der gefürchtete Mann wieder in mein Zimmer.
Der erste Blick auf sein ehrwürdiges Gesicht zeigte mir freilich, daß ich nichts Feindseliges von ihm zu fürchten hatte. Er war ernster, als sonst jüngeren Leuten und insbesondere mir gegenüber. Aber der Ausdruck von Güte, von einer über alle kleinlichen Regungen erhabenen Seelenklarheit leuchtete ihm von der Stirn und den Lippen, die erst eine Weile geschlossen blieben.
Er nickte mir zu, trat dicht an mich heran und sah mich prüfend, fast wie ein Arzt, der zu einer Consultation gerufen ist, aber milde und fast mitleidig an. Nun, nun, sagte er dann, es geht ja wieder, mein Sohn. Haben sich ein bischen übernommen, nicht Haus gehalten mit den Kräften –: nun, nun, Jugend hat keine Tugend. Wird schon wieder in Ordnung kommen, mit Vernunft, Geduld und Zeit –: Sie wissen –: das sind drei edle Leut'. Aber sprechen Sie nur nichts –: das macht das Uebel ärger. Ich verstehe Sie ja doch, lieber Sohn; was Sie mir zu sagen haben könnten –: nun, nun, das weiß ich ja Alles. Die Schrift auf Ihrem Gesicht les' ich ja so gut wie ein geschriebenes Blatt. Und nun lassen Sie sich sagen: Sie müssen mir in andere Luft kommen. Der Arzt ist derselben Meinung. Ich hätte sollen klüger sein und voraussehen, was kommen würde, ich meine, daß das Fieber endlich ausbrechen würde, wenn Sie hier ewig stille lägen und über der Arbeit Ihre Jugend versäumten. Aber sag' Einer, daß er weise sein will, wenn er seinem Herzen nicht vorher Zaum und Zügel anlegt! Ich habe Sie nicht von mir lassen wollen, Sie waren mir zu lieb geworden, lieber Sohn, –: nun ist es meine Schuld, daß die Krankheit ausgebrochen ist. Aber der Schaden ist wieder gut zu machen. Sobald Sie reisefähig sind, gehen Sie mir nach Italien; Sie können doch nur dort ein rechter Meister werden; ich empfehle Sie an meine römischen Freunde, drei Jahre bleiben Sie dort, dann wollen wir weiter sehen. Sind Sie damit zufrieden, lieber Benjamin?
Ich saß wie erstarrt, unfähig, nur ein Wort über die Lippen zu bringen. Ich konnte nur nach seiner Hand haschen. Aber wie ich sie küssen wollte, überwältigte mich mein Gefühl, ich fiel ihm vor die Füße hin, und ein Strom von Thränen stürzte mir aus den Augen.
Er legte sacht seine Hand auf meinen Kopf. Kind, murmelte er, steh auf. Sei vernünftig und spare deine Kräfte; das Leben ist lang, und oft ist es mühselig, und die Wege sind nicht immer eben. Aber ein festes Herz hilft ans Ziel. Halte dein Herz fest, mein Sohn!
Er sprach noch eine Weile –: ich hörte es kaum, nur seine Stimme war mir wie Oel auf die brennende Wunde. Ich lag noch wie zerschmettert am Boden, während er in dem Zimmerchen hin und her ging und nach seiner Weise halb zu mir, halb mit sich selber sprach. Zuletzt trat er an das Büchergestell auf meiner Kommode, zog ein Buch heraus, blätterte darin und legte es aufgeschlagen auf den Tisch. Dann ging er ohne Abschied hinaus.
Als ich allein war, raffte ich mich auf, und mein Erstes war, nach dem Tische hinzuwanken und die Stelle zu suchen, die er aufgeschlagen hatte. Es war ein Vers im Sirach, er hatte mit Bleistift einen kleinen Strich am Rande gemacht. Die Worte sind mir wie mit Feuer ins Gedächtniß gebrannt, so milde sie klingen:
»Liebes Kind, brauche der Zeit und hüte dich vor unrechten Sachen.
Und schäme dich nicht, für deine Seele das Rechte zu bekennen.
Denn man kann sich so schämen, daß man Sünde daran thut; und man kann sich auch also schämen, daß man Gnade und Ehre davon hat.«
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Ich reis'te schon am folgenden Tage ab. David Stern hatte mir seine Grüße hinterlassen und Geld und Empfehlungsbriefe die Fülle, was mir der alte Buchhalter mit der Bemerkung einhändigte, der Arzt bestehe darauf, daß ich nicht erst noch Abschied nähme, um alle Aufregung zu vermeiden. So übertrug ich dem guten Alten meinen Dank an den Herrn und meine Grüße an die Frau und die Knaben, die ich gern noch einmal ans Herz gedrückt hätte. Aber es war unmöglich, das fühlte ich.
Ich sollte sie erst als stattliche Jünglinge wiedersehen. Denn Jahr um Jahr verging, und ich hatte immer in fremden Ländern so viel zu thun, daß ich mir keine Zeit zu einer Reise in die Heimath gönnen konnte. Erst wie es mit meinem väterlichen Freunde so übel stand, daß die Aerzte ihm keine lange Frist mehr gaben, duldete mich's nicht draußen in der Ferne. Er hatte mir sein Londoner Geschäft übergeben, ich war längst wieder ins Gleichgewicht gekommen, ein zufriedener, heiterer, thätiger Mensch. Und doch konnte ich mich einer tiefen Bangigkeit nicht erwehren, als ich das Haus in Leipzig wieder betrat.
Ich will Ihnen nicht viel davon sagen. Es war das höchste Fest meines Lebens, diesem Manne in seinen letzten Tagen zur Seite bleiben zu dürfen. Seitdem hat der Tod alle Schrecken für mich verloren.
Frau Judith begrüßte mich wie einen alten Freund; übrigens war ihr Gemüth so vom Schatten des Todes verschleiert, daß ich wenig von ihr erfuhr. Sie war noch immer eine schöne Frau, doppelt königlich in ihrem Schmerz. Die ersten Thränen weinte sie, als am Tage nach der Bestattung ich allein neben ihr saß und davon sprach, was er mir gewesen war.
Ich danke Ihnen, sagte sie, als ich endlich schwieg, und reichte mir die Hand. Und doch –: Niemand als ich allein hat je gewußt, welch ein herrlicher Mensch er war! –: –:
Ich blieb noch drei Wochen in dem Trauerhause, um alle Geschäfte zu ordnen. Als ich endlich abreis'te, nahm ich die Hoffnung auf ein neues Lebensglück mit mir fort. Frau Judith hatte den kleinen »Engel« aus jener Nacht nicht wieder von sich gelassen, sondern förmlich als ihre Tochter erzogen. Das Kind war herangeblüht und von einer so eigenen Lieblichkeit an Leib und Seele, daß ich ihr Bild nicht wieder vergessen konnte. Ein Jahr später hab' ich sie als meine junge Frau über den Canal geführt. Sie ist der Engel meines Lebens geblieben.
Der Teufel aber, der uns zu verderben getrachtet, muß doch wohl nicht von der echten, hartgesottenen Art gewesen sein, über die selbst die Scham vor dem Gerechten keine Macht mehr hat. Er wurde noch in Leipzig gesehen, bis einen Tag vor David Stern's Rückkehr. Dann verschwand er auf einmal, ohne von irgend einem Menschen sich zu verabschieden. Bald darauf will ihm ein Reisender auf einem Ostindienfahrer als Schiffsarzt begegnet sein. Man hat nie erfahren, was aus ihm geworden ist.
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