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(1876)
An der schönen östlichen Küste des ligurischen Meeres, ziemlich genau in der Mitte zwischen Genua und La Spezzia, tritt ein steiles Vorgebirge, von herrlichen Pinien überschattet, in die blaue Seeflut hinaus, das Niemand, der vor Zeiten diese Straße zog, unbesucht ließ. Denn in dem Städtchen, das auf der Landzunge zwischen den tiefen Buchten und weiter in das Thal hinein sich ausgebreitet hat, von Schiffern und kleinen Leuten bewohnt, hielten regelmäßig die Vetturine an, die von Süden oder Norden kamen, sei es nur um ihren Passagieren und Pferden eine Mittagsruhe zu gönnen, oder um hier für die Nacht Station zu machen. Dann stieg der Reisende die gepflasterten Gäßchen zu der Villa des Marchese Piuma hinan und wandelte durch die langen Gartenwege nach der Pinienhöhe, um dort unter wildem Gesträuch, Aloe- und Tamariskengestrüpp des unsäglich schönen Ausblicks auf das Meer zu genießen und dann an dem ehemaligen Castell und dem Friedhof mit den schwarz und weiß gestreiften Mauern vorbei den Niedersteig nach der anderen Seite zu suchen, wo vom Bergabhang drüben das alte Kapuzinerkloster zwischen Cypressen und Oelbäumen traulich herabsieht, unten die wunderliche verödete Kirche am Strande steht und die roth bemalte Wand des Hospitals und die weißgetünchten Häuser von Sestri sich in den ruhigen Wellen spiegeln. Seitdem ein Schienenweg längs dieser berühmten Riviera di Levante hinführt, mit zahllosen Tunneln, zwischen denen man nur auf kurze Strecken einen fast traumhaften Blick auf die vielzerklüfteten Ufer mit weißen Städtchen und grauen Schlössern zu werfen vermag, ist das Vorgebirge von Sestri verödet und verschollen. Die hastigen neuen Menschen, die »Italien in fünfzig Tagen« kennen zu lernen wünschen, haben kaum für Das Zeit, was sie die Hauptpunkte nennen. Nur Solche, die noch aus den guten alten Tagen der Vetturine ein stilles Pinienheimweh nach dieser Küste gerettet haben, überschlagen hier etwa einen Zug, um die unvergeßlichen Bilder auf einem Rundgang über die sonnigen Höhen wieder aufzufrischen. Es sind aber nicht so Viele, daß der Wirth des Albergo d'Europa dicht an der flachen, kieselschimmernden Meerküste seine Rechnung dabei fände. Ueber Haus und Hof und Garten breitet das Gespenst des unausbleiblichen Ruins seine grauen Schleier, dem nur die beiden großen Orangenbäume im Hof neben dem Eingangsthor in ihrer lachenden Ueberfülle an Blüten und Früchten zu trotzen wagen.
Mich hatte, außer meinen Jugenderinnerungen, gerade die tiefe Einsamkeit dieser Stätten gelockt, da ich vor Jahr und Tag als ein ruhebedürftiger Mensch mich in den Süden flüchtete. Und doch hatte ich Mühe, ein beklommenes Gefühl zu überwinden, als ich den Hof der alten Herberge betrat, der jetzt nicht mehr vom Stampfen und Wiehern schellenbehangener Kärrnerpferde und dem Gewimmel von Vetturinen und Kellnern erscholl. Die Frau Wirthin saß, Artischocken putzend, in Hemd und geflicktem Unterrock auf den Steinstufen der Thür, der Wirth im schwarzen Tuchrock, einen Cylinderhut auf dem Kopf, die Hände in den Hosentaschen, ging finster schwatzend und gestikulirend mit einem hageren Geistlichen im Schatten der Mauer auf und ab, ein hemdärmeliger Bursche, in welchem ich den Herrn Oberkellner, Hausknecht und Küfer nicht sogleich erkannte, lag auf dem Bauch mitten in der Sonne und ließ die beiden halbnackten Kinder der Wirthin über seinen Rücken hinweg Purzelbäume schlagen, und hinter dem Eisengitter einer rauchgeschwärzten Höhle des Erdgeschosses, welche die Küche vorstellte, lehnte eine dicke Figur in vormals weißer Jacke und Kochmütze und schlief trotz der zahllosen Fliegen, die das breite, weinrothe Gesicht umschwärmten.
Als ich meine Absicht kund that, hier ein paar Tage zu verweilen, wurde ich von den sämmtlichen Mitspielern in dieser Mittagsidylle mit großen Augen angeglotzt, als eine Art Meerwunder, das eben hier von der See ans Land gespült worden war. Der Wirth erwies mir in eigner Person die Ehre, mich durch die unteren und oberen Räume seines Hauses zu führen, überall die dichtverschlossenen Läden zu öffnen, von Motten und Staub umwölkt, und mir unter bitteren Verwünschungen der neuen Zeit, die über Sestri hinweg zur Tagesordnung fortgedampft sei, die Wahl zwischen den dreißig leeren Gastzimmern beider Stockwerke zu überlassen.
Ich wählte ein luftiges Eckzimmer, das auf das Meer hinausging und durch eine Glasthüre, die freilich unverschließbar, sich nach der Galerie und dem Hof mit den Orangenbäumen öffnete. Hier verbrachte ich im tiefsten Frieden acht volle Tage. Die Hausleute waren so gutartige Wesen, wie man sie durch ganz Italien findet, wenn man ein harmloses Interesse an den Freuden und Leiden der Einwohner nimmt. Mit dem Wirth besprach ich mehrfach ausführlich sein großes Project, das Albergo d'Europa zu einer großen Pension für badende, fischende und aquarellirende Engländer auszubauen. Agostino, der Oberkellner, eröffnete mir seine Pläne, in Genua oder Mailand einen seinen Talenten angemessneren Wirkungskreis zu suchen, wozu er sich durch das Studium einer französischen Grammatik vom Jahre 1796 im Stillen vorbereitete. Auch der Koch war mein Freund geworden, seit ich sein fritto misto als eine unübertreffliche Leistung gelobt hatte. War dann die heißeste Zeit des Tages vorbei, so ging ich den Strand entlang an den rüstig arbeitenden Seilern und netzestrickenden Weibern vorbei in die Hauptstraße, dort in dem einzigen, unbeschreiblich armseligen Café die Opinione zu lesen, und stieg dann nach dem Kapuzinerkloster hinauf, wo ich mich trotz des mönchischen Geruchs von Schnupftabak und Zwiebeln stundenlang mit einigen der langbärtigen alten Gesellen unterhielt, die dort, von der Regierung des einigen Italiens auf den Aussterbe-Etat gesetzt, kümmerlich genug ihr bescheidenes Dasein fristen, während die Haupträume ihres Klosters zu einer Schule verwandt worden sind und Nichts geschieht, um die zerbröckelnden Zellenmauern wohnlicher zu machen. Kam ich dann Abends wieder an die Küste hinab, so saß ich, während der rothgoldne Mond fast drohend-feierlich über dem Horizont heraufbrannte, auf einer Bank am Felsen und sah, wie die Schuljugend ihre linnenen Höschen und Hemdchen über die Klippen hinwarf und wie eine Schaar blanker Frösche in die schwarzblaue Flut hinabschoß, die Größern die Kleinen im Schwimmen und Tauchen unterweisend. Die Fledermäuse schwirrten ihnen dabei über die Köpfe, fern im Meer schwamm ein stilles Segel vorüber, ein scharfer Duft von Seetang, Theer und Fischen zog sich an der Küste hin und wurde, wie der kühlere Nachtwind sich aufmachte, verweht, daß nur noch eine erquickende Frische über alle Sinne hereindrang.
Schön war's an diesen Abenden, schön und still. Ob es so bleiben wird, wenn der letzte der biederen Kapuziner in dem Kreuzgang neben den Cypressen schläft, die Betten im Albergo d'Europa nicht mehr aus Schilfgras mühsam aufgeschüttelte Matratzen bergen und der neue Agostino, statt in Hemdärmeln, in einem schwarzen Frack das fritto misto auf den Tisch stellt?
*
Am letzten jener acht unvergeßlichen Abende hatte mich ein träumerisches Ungefähr, statt nach der Meerbucht unter dem Kloster, durch die ganze Stadt bis in die Ebene hinausgeführt, durch welche eine staubige, schnurgerade Chaussee nach den nahen Bergen hinläuft. In diese Gegend, wo der Sonnenbrand nicht mehr vom Hauch des Meeres gelindert wurde, hatte ich mich bisher nur ein einziges Mal verirrt, um nach kurzer Wanderung an den schattenlosen Gartenmauern entlang eilig wieder umzukehren. Heute war die Junisonne schon hinter dem Wellenhorizont versunken, der Himmel aber noch von so leuchtender Helle, wie weißgeglühter Stahl, daß man in den kleinen Landhäusern auf halbe Stunden weit die Menschen erkennen konnte, die auf die Altane und flachen Dächer traten, um endlich in der Abendfrische aufzuathmen.
Rechts und links neben der Straße steht hie und da unter den ärmeren Gebäuden eine Villa, deren buntbemalte oder mit Säulchen und zierlicheren Balconen geschmückte Façade auf größeren Wohlstand der Besitzer schließen läßt. Gerade um diese Häuschen aber war es an jenem Abend fast überall todtenstill, keine Jalousie dem kühlen Zwielicht geöffnet, die Gartenthore fest verwahrt. Denn sie gehören zum großen Theil genuesischen Familien, welche sie jetzt, da das Reisen leichter geworden, nur selten mehr während der heißen Zeit besuchen und nur etwa im Herbst, der Meerbäder wegen, einen Monat hier zubringen, das übrige Jahr ihr Landgut der Sorge eines Pächters überlassend, der an Wein und Pfirsichen und Orangen seinen Gewinn herausschlägt, Haus und Blumengarten aber verwahrlosen läßt.
Auch wäre wohl alle Sorge und Pflege verschwendet, da von der vielbefahrenen Landstraße aus die schweren Staubwolken unaufhaltsam über die Mauern steigen, um unter einer fingerdicken heißen gelben Decke Alles, was sprießt und grünt, zu ersticken. Das Auge, das sich von der eintönigen Dürre erholen will, muß zu den fernen Hügeln flüchten, wo aus den Oelwäldern weiße Häuschen hervorschimmern, hie und da eine dünne Rauchwolke in die Höhe zieht und einzelne schwarze Cypressen aus dem bleichen Laub der Olivenwälder aufragen.
Was dennoch, trotz der unerquicklichen Umgebung, mich weiter und weiter von der Küste weg ins Land zog, wüßte ich wahrlich nicht zu sagen. Auf einmal aber, vor einem eisernen Gitterthor, dessen einer Flügel offen stand, machte ich unwillkürlich Halt, mit einem Ausruf freudigen Erstaunens, wie wohl ein Wanderer im Wüstensand eine Quelle unter einem Palmenwäldchen begrüßt.
Die Villa, die ich, etwa dreißig Schritt vom Eingang entfernt, mitten im Garten liegen sah, unterschied sich freilich nicht sonderlich von manchen anderen der herrschaftlichen Landhäuser, an denen ich vorbeigekommen war. Die Außenwände des einstöckigen Baues waren dunkelroth getüncht und auf dem Grund allerlei Muschel- und Fruchtgehänge gemalt, dazwischen über jeden der gebrochenen Fenstergiebel ein kleiner Amor mit verblichenen rosenfarbenen Flügelchen. Aber alle oberen Fenster und auch die Thür, die auf den mittleren Balcon ging, standen offen, und innen brannte hie und da ein Licht, so daß ich in wohnlich eingerichtete Zimmer mit weißgewaschenen Vorhängen, die sich im Abendwind bewegten, blicken konnte. Was aber mehr als dies freundlich gelüftete Haus mich überrascht und zum Stillstehen bewogen hatte, war die üppige Frische des Gärtchens, dessen Pflanzen wie durch eine unsichtbare Mauer gegen allen Andrang von Staub und Glut geschützt schienen. Auf den Myrthen- und Lorbeerhecken, zwischen denen herrliche gelbe und purpurne Rosen und brennendrothe Granaten blühten, schimmerte ein feuchter Glanz, wie nach starkem Thau, und selbst die beiden jungen Cypressen, die als Wächter dicht neben dem Haus den Eingang hüteten, trugen ihr feines Laub ohne jeden grauen Anflug, als ob sie eben aus einem Treibhause dorthin gepflanzt waren.
Ich hatte kaum Zeit, dem Räthsel nachzusinnen, als mir schon die Lösung entgegenkam in Gestalt eines langen, seltsamen Gesellen, der über der Schulter an einer schwanken Trage zwei gewaltige Gießkannen herbeischleppte und, ohne mich eines Blickes unter den gesenkten, buschigen Brauen zu würdigen, sein Geschäft des Wassersprühens fortsetzte. Er gebrauchte dabei nur den linken Arm. Der rechte, der ihm dicht überm Ellenbogen abgenommen war, hing als ein derber Stumpf lose an der Seite herunter, und er bediente sich desselben nur, um mit einer raschen Bewegung, die sich grotesk genug ausnahm, dann und wann den Schweiß von der Stirne zu wischen, wobei sein riesenhafter Hut aus grobem Maisstroh sich wunderlich bald in den Nacken verschob, bald wieder fast bis über die Augen hereinfiel.
Ich wollte eben, trotz seiner unwirschen Miene, die Frage an ihn richten, wem dieses Haus und das kleine Gartenparadies gehöre, als eine Stimme, die von der dunklen Schwelle unter dem Balcon zu mir herdrang, mir das Wort vor dem Munde wegnahm.
Treten Sie nur in Gottes Namen näher, mein Herr, wenn es Ihnen Vergnügen macht! Sie können sich dreist den Garten besehen; einen solchen finden Sie weit und breit nicht wieder, freilich auch keinen Gärtner, wie unser Giannicco, der die Pflanzen tränkt, wie eine Mutter ihr Neugebornes. Und heute kommt die Herrschaft, auf die wir warten, doch wohl nicht mehr; der letzte Zug ist schon vorüber, es könnte freilich sein, daß meine Frau Tochter, die Frau Marchesa, lieber im Wagen hätte fahren wollen; aber es ist doch schon spät, und sie hätte mich's wissen lassen, wenn sie bei Nacht ankommen wollte. Und selbst wenn sie käme, lieber Herr, eine große Dame ist nie verlegen, Fremde zu empfangen, und würde nicht böse werden, Sie hier zu treffen, da Sie ein Galantuomo zu sein scheinen und wissen, was schön ist, und unserm Garten die Ehre anthun, die ihm gebührt.
Diese ziemlich lange Rede hatte ein kleines altes Weibchen mir entgegengesprudelt, das dabei unbeweglich auf der Treppenstufe der Villa saß und beide Hände auf einem runden Klumpen ruhen ließ, den sie im Schooße hielt. Ich war auf die zutrauliche Einladung ohne Zögern eingetreten und an dem einarmigen Gärtner vorbei auf das Haus zugeschritten. Nun erst konnte ich die alte Haushüterin genauer betrachten. Sie mochte über sechzig Jahre alt sein, und ihr sehr zusammengeschwundenes, ehemals gewiß anmuthiges Gesichtchen trug den Typus der Frauen geringen Standes, wie ich sie vor den Häusern der Schiffer von Sestri hatte sitzen sehen. Ihre Tracht aber war um einiges sorgfältiger und dazu völlig schwarz, bis auf die saubere weiße Schürze, in welcher der runde Klumpen lag, den ihre alten dürren Hände beständig streichelten. Ich sah jetzt, daß es nicht etwa ein Schooßhündchen oder eine Katze war, sondern eine dunkelbraune Schildkröte, die bei meinem Herankommen nur den Kopf ein wenig aus der Halsberge vorschob, um nach mir zu blinzeln, im Uebrigen aber sich im Schooß der Alten vollkommen sicher wußte.
Sie wundern sich über meine Kameradin da, fing die Frau wieder an. Aber die wahren Freunde erkennt man in der Noth. Ich habe immer heiße Hände, lieber Herr, so alt ich bin; der Doctor sagt, es käme von meiner Unruhe, weil ich beständig schaffen möchte und weiß nicht, für Wen, und das mache mir ein Fieber. Lieber Gott, eine Wittwe! und nun schon seit vierzig Jahren! Aber gegen die heißen Hände bei alten Leuten hilft nichts besser, als sie auf ein Lebendiges legen, das kaltes Blut hat, und sehen Sie, lieber Herr, da ist keins so geduldig, wie diese meine Freundin, die hab' ich nun schon drei Jahr. Nachts kriecht sie im Garten in ein feuchtes Loch neben dem Brunnen, und zu füttern braucht sie Niemand. Aber nun will ich nicht mehr vor Ihnen sitzen bleiben, wie ein Bauernweib, das nicht weiß, was sich schickt einem Herrn gegenüber. Geh, Miranda, geh, mein braves Thierchen, und such dir dein Abendessen, und felice notte, meine Alte! Morgen sehen wir uns wieder.
Sie hatte mit diesen Worten das Thier aus ihrer Schürze gehoben und behutsam auf den sauber geharkten Kiesweg gesetzt, worauf die vier kurzen Füße sich zu regen begannen und das runde Panzerklümpchen träge nach der Myrthenhecke kroch. Dann stand die kleine alte Frau behende auf, strich sich das Haar zurecht, das in grauen Strähnen um ihren Kopf geschlungen war, und sagte:
Wollen Sie sich nun den Garten ansehen, lieber Herr? Ich will mit Ihnen gehn und Ihnen ein Sträußchen abschneiden. Die schönsten Blumen hab' ich freilich für das Haus gebraucht, daß überall was blüht, wenn die Herrin wieder den Fuß hinein setzt. Lieber Gott, eine junge Wittwe, wenn sie sich auch nicht die Augen aus dem Kopf geweint hat, – die Bahre und die Fackeln und in der Kirche die schwarzen Paramente, darauf thut was Grünes gut, und ich wollte nur, wir hätten sie erst hier draußen, das arme Herzchen, hier wo sie immer so gerne war, lieber als in ihrem großen, finsteren Haus in Genua, wo einem zu Muth war, wie in einem Sarge, und das Meer, das man hier vom Dach ganz gut sehen kann, ist dort nur ein schmutziges Wasser mit tausend Schiffen, und sie war so daran gewohnt, von Klein auf, wo sie noch mit bloßen Füßen wie eine Möve über die Klippen sprang, wenn sie hinaufging zur Beichte ins Kloster, zu dem guten Padre Francesco! Misericordia! Was muß ein Menschenkind Alles entbehren lernen!
Von wem redet Ihr denn, gute Frau? fragt' ich, während ich neben der Alten, die ganz zusammengebückt mit unhörbaren Tritten hintrippelte, an den Lorbeerbüschen vorbeiging.
Sie blieb plötzlich stehen und sah mich groß an.
Von wem ich rede? Nun, das ist curios. Wißt Ihr denn nicht, daß dieser Garten meiner Frau Tochter, der Frau Marchesa, gehört? Das weiß ja jedes Kind in Sestri. Aber freilich, Ihr seid ein Fremder, lieber Herr, und ich sehe Euch das erste Mal in meinem Leben, so alt ich auch schon bin und so ein gutes Gedächtniß ich habe. Und daß ich einmal jung gewesen bin, sieht man mir freilich nicht mehr an, aber jeder schöne Schuh wird einmal eine garstige Schlappe, und die Männer sind so alt, wie sie sich fühlen, die Frauen aber so alt, wie sie aussehen. Aber wenn Ihr lieber ein schönes Gesicht seht, als eine alte Hexe, wie mich, so wartet, bis meine Frau Tochter kommt. Die ist nun auch schon vierunddreißig, aber kein Mensch sieht es ihr an. Ihre Jugend ist ihr stehn geblieben, wie eine Uhr, die man nicht mehr aufgezogen hat. Nun geht sie auf einmal weiter, und die Zeit dazwischen ist wie ausgestrichen. Armes Ding! Es ist ihr wohl zu gönnen, denn wir leben alle nur Einmal hier auf Erden, und die himmlischen Freuden sind wohl eine schöne Sache, aber da droben wird nicht gefreit und nicht gelacht, und dann ist auch noch erst das Fegefeuer, lieber Herr! Heilige Mutter Gottes, bitt' für uns!
Ihre Worte verloren sich in ein unverständliches Murmeln, während sie wieder weiterhuschte, hier und dort ein blühendes Zweiglein abbrechend zu dem Strauß, den sie mir versprochen hatte.
Ich sagte ihr nun, daß ich aus reinem Zufall bis an diesen Garten gekommen sei und mit keiner Seele in der Stadt über die Herrin des Hauses gesprochen hätte. Wenn es nicht indiscret sei – denn ich fing an, die Alte, die eine Frau Marchesa zur Tochter hatte, mit einiger Förmlichkeit wie eine Art Dame zu behandeln, – so möchte sie mir etwas deutlicher Bescheid geben. Wie es denn komme, daß ihre Frau Tochter keine Jugend gehabt habe, da sie doch so lustig über die Felsen gesprungen und dann an einen vornehmen Herrn in Genua verheirathet worden sei? Und wie lange sie nun schon Wittwe sei, und ob sie etwa keine glückliche Ehe geführt habe?
Sie sah sich, ehe sie antwortete, mit einem schüchternen Blick nach dem einarmigen Gärtner um, der immer noch seine Gießkanne an dem Ziehbrunnen füllte und, wenn er sie an uns vorbeitrug, mit dem Armstumpf den Hut tiefer in die Stirne rückte, als ob ihm mein Anblick widerwärtig wäre.
Erst da sie sich versichert hatte, daß der mürrische Gesell sie nicht hören konnte, sagte sie:
Warum soll ich Ihnen das nicht erzählen, was man auf der ganzen Riviera, in Sestri, Chiávari, Nervi bis Genua weiß? Aber vor dem Giannicco mag ich Nichts davon hören lassen. Der arme Tropf! Von dem heißt es auch: »Neue Liebe kommt und geht, alte Liebe fest besteht,« und jetzt, da der Herr Marchese gestorben ist, bildet er sich wahrhaftig im Stillen ein, der arme Esel, nun käme doch noch die Reihe an ihn, und Jeder, der nur den Namen meiner Frau Tochter in den Mund nehme, der stehle ihm was, das ihm zugehöre. Kommen Sie aber hier an den Magnolien vorbei, da will ich Sie ins Haus führen; unterdessen können Sie mich fragen, was Sie wollen. Sie scheinen ein braver Herr zu sein; ich sah es gleich, wie Sie so mitleidig den Giannicco betrachteten, von wegen seines Arms. Sehn Sie, er war auch einmal ein ganz frischer, gesunder Bursch, nur ein bischen wild und zu allen Teufeleien aufgelegt, und hatte ein Auge auf die Lisa geworfen, meine Tochter, die damals eben erst herangewachsen war. Wie sie dann den Herrn Marchese nahm, was ihr Niemand verdachte, da er ein so guter Herr war, obwohl schon über die Fünfzig – nun, Sie wissen, was das Sprichwort von den Fünfzigern sagt, – da ist er in der Hochzeitnacht auf und davon mit einer Piratenbande, die gerade im Hafen draußen ihr Schiff ausgeflickt hatte, und wir haben wohl an zehn Jahre Nichts mehr von ihm gesehen und gehört. Bis er eines schönen Tages wiederkam als ein trauriger Krüppel und ohne einen blanken Heller, und da er überdies an einem schweren Fieber litt, erbarmte mich der arme Hund, der die Ohren so jämmerlich hängen ließ, und ich nahm ihn hier ins Haus und pflegte und fütterte ihn zurecht. Hernach fragte ich bei meiner Frau Tochter an, ob ich ihn als Knecht behalten dürfte, und da er doch eigentlich um sie das Alles ausgestanden und seine arme Seele dem Bösen verschrieben hatte, schickte sie mir ihre Erlaubniß, und der Giannicco, der niemals lacht, wurde feuerroth, wie ich ihm den Brief vorlas. Seitdem hat er sich hier so nützlich gemacht und einen so frommen Wandel geführt, daß er sich einen Ablaß für all seine Piratensünden damit verdient hat. Wenn dann meine Frau Tochter im September auf ein paar Wochen kam und ihm nur zunickte: Ihr haltet den Garten schön in Ordnung, Giannicco, das muß man sagen! – wie eine Kohle wurde das verwetterte Gesicht des armen Teufels, und keine Silbe brachte er heraus vor Satisfaction, und man konnte deutlich sehen, daß es noch immer beim Alten mit ihm war, wie man zu sagen pflegt: wenn ein Licht ausgeht, wird eine Fackel angezündet. Die Stürme und Unwetter auf der See mögen ihm die alte Verliebtheit ausgeblasen haben; aber kaum wieder auf dem festen Lande, brennt die Fackel lichterloh. Nun, er wird sich darein ergeben müssen, daß man eines Tages ihm drei Schaufeln Erde drüberschüttet und gute Nacht! Nicht Jeder bekommt, was er möchte, aber dem geschorenen Schaf schickt der liebe Gott einen gelinderen Wind. Amen! Gott sei allen armen Sündern gnädig! –
Indessen hatten wir uns dem Hause wieder genähert, und meine Führerin ging mir voran durch den kühlen, mit Fliesen belegten Flur eine schmale Steintreppe hinauf, um mir die oberen Räume zu zeigen. Es waren sechs oder sieben mäßig große Zimmer, an deren stuckverzierten Plafonds ich erkennen konnte, daß das Haus vor etwa hundert Jahren erbaut sein mußte. Die Möbel stammten aus der Napoleonischen Zeit, waren aber sämmtlich vor Kurzem erst frisch auflackirt und die Vergoldung an den steilen Rücklehnen der Stühle und den Tischfüßen und Spiegelrahmen erneuert. Dazu standen hie und da in Alabastervasen prachtvolle Blumensträuße auf den Kaminsimsen und Schränken und in jedem zweiten Zimmer ein brennender Armleuchter auf dem Pfeilertischchen vorm Spiegel, so daß es sich feierlich und festlich ausnahm, als werde auf die Nacht eine große Gesellschaft erwartet, welche die Sommernacht zu durchtanzen beschlossen habe.
Das Schlafzimmer war gleichfalls gelüftet, das große viereckige Ehebett aber mit einer alten seidenen Decke zugedeckt. Wenn meine Frau Tochter kommt, sagte die Alte, indem sie mit ihrer welken Hand über die Decke hinstrich, soll sie bei mir unten schlafen. Am Ende sähe sie hier in dieser Stube ein Gespenst. Denn wenn sie um den Herrn Marchese auch mehr wie um einen Vater trauert, als wie um einen Gatten, so heißt's doch auch nicht von ihr:
Vier Thränchen, vier Kerzchen,
Ein Streckchen
Ums Eckchen,
Kein Schmerz mehr im Herzchen.
Denn er war ein braver Herr, mein Herr Schwiegersohn, ein rechter Galantuomo – seine Seele sei im Paradiese! – und nicht einen bösen Tag hat er seiner lieben Frau gemacht, mit seinem Willen, versteht sich; denn freilich die fünfzig Jahre, und dann endlich gar die Achtundsechzig, und die Gicht dazu und die langen, schlaflosen Nächte: – wer, als er nun endlich die Augen zugemacht hatte, wer könnt' es der Wittwe verdenken, wenn sie ihr bischen übrig gebliebene Jugend nicht mit zu vielem Weinen verderben möchte, sondern noch retten was zu retten ist? Und meine Lisa! – die als Kind immer so gern lachte, daß ich oft sagte: Lache nur, Tochter, sagt' ich; ein frohes Herz macht ein glattes Gesicht, und wer lustig ist, dem hilft Gott! Nun, er hat denn auch geholfen, ihr und uns Allen. Denn wie ich zum ersten Male den Herrn Marchese in mein armes Haus treten sah, war er mir recht wie ein Engel vom Himmel in meiner größten Noth.
Sie müssen nämlich wissen, lieber Herr, ich bin eine Schiffersfrau, hier im Ort geboren, hatte einen guten und fleißigen Mann, der große Seefahrten machte, erst als Steuermann und dann mit seinem eigenen Schiff, bis nach Amerika und Indien. Und so lang' er lebte, wenn er auch oft ein oder zwei Jahre ausblieb, wünscht' ich mir nichts Besseres, und wir hatten zu leben, ich mit meinen drei Töchtern, Marietta, Cesira und Lisa. Ich selbst heiße wie meine zweite Tochter, und meine Enkelin, die junge Marchesina, heißt wiederum Cesira, wie ich und ihre Tante. Anders hätt' es meine Lisa nicht gethan. Und wie dies mein jüngstes und bestes Kind eben acht Jahr alt war, ist mein Mann wieder fort, und nach sechs Monaten schreibt er aus Lima einen ganz vergnügten Brief, und daß er über sechs andere Monate wiederkommen und jeder von unsern Mädchen etwas Schönes mitbringen würde. Die Marietta war damals siebzehn, die Cesira fünfzehn, und sie galten für die schönsten Creaturen in ganz Sestri, und ich erzog sie so gut ich konnte, daß sie tugendhafte und rechtschaffene Weiber werden sollten.
Aber wenn wir glauben, wir sitzen zu Pferde, liegen wir auf der Erde. Die sechs Monate vergingen, und dann wieder sechs und noch einmal sechs, und von meinem armen Mann – Gott hab' ihn selig! – kein Sterbenswort. Und wie das dritte Jahr herankam, seit er nach Lima gefahren war – und sein Schiff trug obenein noch den schönen Namen La Speranza – da sagte meine Marietta: Mutter, sagte sie, der Vater ist todt, und wir Andern sind schlimmer dran, als wenn wir auch todt und begraben wären, sagte sie. Ich habe mit einer Signora gesprochen, die in Genua ein Haus hat, zu der soll ich in Dienst gehen, und wenn ich erst dort bin und einen guten Platz für die Cesira finde, muß sie nachkommen. Dann kannst du dich mit der Lisa allein besser durchschlagen, sagte sie. Tochter, sagt' ich, gehe mit Gott; denn wenn auch das Brod in fremdem Hause sieben Krusten hat, es ist doch nicht so hart wie der Hunger, und was sollst du hier sitzen und dein bischen Jugend und Schönheit ist wie vermauert, da hier alle Nachbarn wissen, daß du eine Waise bist und einem Mann Nichts mitbringst als das Hemd auf dem Leib? Wer eine Hand in die andere legt, dem springt der Teufel in die Schürze, – sagt' ich arme Närrin, die ich war, und wußte nicht, daß es eben der Teufel war, der mein Kind nach Genua haben wollte, wo kein Auge einer Mutter sich nach ihr umsah. – –
Wir standen, während die Alte mir das Alles erzählte, am offnen Fenster in einem kleinen Salon, in welchem offenbar die Herrin des Hauses sich am liebsten aufhielt; denn hier befanden sich die zierlichsten Möbel, auch einige ganz moderne zwischen den steiflehnigen, und Bilder und Photographien hingen an der Wand, über einem Schreibtischchen aber eine kleine Handzeichnung in prächtigem Rahmen, ein schöner, sehr jugendlicher Mädchenkopf, das sanfteste Oval, und eine feine kleine Nase zwischen ganz unwahrscheinlich großen, dichtumschatteten Augen, und ein strenges oder vielmehr schüchternes Mündchen, dazu die prachtvollsten Haare in einen dicken Knoten am Nacken zusammengebunden. Es war eine ziemlich geschickte Hand, die diese wenigen Bleistiftlinien aufs Papier geworfen; ein leichter Farbenton war auf die Wangen, Lippen und das dunkle Haar gelegt, aber eine kleine Verzeichnung am Ansatz des schlanken Hälschens ließ doch den Dilettanten erkennen.
Ist das Eure Marietta, gute Frau? fragte ich.
Sie that einen tiefen Seufzer und tastete an dem Eisenstab der Jalousie herum, augenscheinlich um ihre Hände zu kühlen, denn die Erzählung schien ihr seltsames Fieber vermehrt zu haben.
Das Bild da an der Wand? Nein, lieber Herr, das ist ja meine Frau Tochter, die Frau Marchesa, und das hat ihr Herr Gemahl selbst gezeichnet – der nun im Paradiese sein mag! Aber häßlicher war auch die Marietta nicht, und Sie wissen, wie es heißt: Chi nasce bella, nasce maritata. Aber nicht allemal trifft es ein. Zwar hörten wir allerlei Schönes von dem Mädchen, und nach einem halben Jahr ließ sie an die Cesira schreiben, sie möchte nur auch kommen, sie habe einen herrlichen Platz für sie ausgekundschaftet, bei einem Grafen, und versprach ihr Meere und Berge, wenn sie sich gleich aufmachte. Nun, sagt' ich, so gehe, Kind, geh nach dem stolzen Genua, und grüße unsre Marietta, und bleibe brav und denk ein wenig an deine alte Mutter, und daß du dem babbo, wenn er noch leben sollte, keine Schande machst.
Und so ging auch Die, und ich war nun mit meiner Kleinen, meiner Einzigen, allein. Wir hörten die erste Zeit manchmal von unsern Großen; sie ließen uns die allerschönsten Briefe schreiben, und daß es ihnen herrlich ginge, schickten auch etwas Geld und Bänder und Schuhe für die Lisa, die sie aber nicht tragen konnte, weil sie zu fein waren für ihre übrige Armseligkeit. Auch ließen sie mich wissen, daß sie sich wahrscheinlich verheirathen würden, und ich konnte mich nicht lassen vor Glück und Zufriedenheit und dachte: jetzt nur noch der Mann von der Reise zurück, so tausch' ich mit keiner Prinzessin! dacht' ich.
Aber dann, eines Abends, da kam der Pater Francesco, zu dem meine Mädchen immer beichten gegangen waren, der hatte in Genua ein Geschäft gehabt für sein Kloster, und ich hatte ihn gebeten, sich einmal nach den Kindern umzusehen, und das hatte er gethan und kam nun, mir Bescheid zu bringen. Jesumaria! ich weiß noch wie heut, wie ich nichts thun konnte, als die Hände überm Kopf zusammenschlagen und auf mein Bette hinfallen, als hätte man mir mit einem Hammer das Herz zerschmettert! Sie verstehen wohl, was ich meine, lieber Herr. Es kommt einer Mutter zu hart an, von der Schande ihrer Kinder zu sprechen, auch wenn zwanzig Jahre und mehr seitdem vergangen sind. Die Lisa war bei mir, als ich das Unglück erfuhr. Mutter, sagte sie hernach, da der gute Pater wieder fort war, was hat er denn gemeint? Was ist es denn mit den Schwestern? Hat er nicht gesagt, daß er die Cesira in einem seidnen Kleid getroffen hätte, mit goldnen Ohrringen und einer Broche, und die Marietta habe er nicht sehen können, weil sie bei einem andern Herrn Grafen auf seiner Villa sei? Warum weinst du nun doch, Mamma mia, wenn meine Schwestern ein solches Glück gemacht haben? – Und ich: O Kind, sagt' ich, weißt du nicht, daß es heißt: wer mit großen Herren geht, stirbt auf dem Stroh? sagt' ich, und mehr durft' ich ihr ja nicht erklären, der armen, unschuldigen Creatur, die eben erst ihre dreizehn Jahre hatte, und in unserm Sestri, Gott sei dafür gelobt, lebt man nicht wie die Heiden, und meine Mädchen hatten weder im Hause noch auf der Straße je etwas Sündhaftes gesehn. Ich aber hörte nicht auf zu weinen, und bald dacht' ich, ich wollte nach Genua, meine Lämmer dem Wolf aus dem Rachen zu reißen, bald sagt' ich mir, es hilft doch nichts, und wenn du die Lisa mitnimmst, wird auch Die von der Pest angesteckt; lassest du sie aber allein zu Hause, so drückt dir die Angst das Herz ab.
Und so, lieber Herr, resolvirt' ich mich, und meine Mädchen waren mir wie todt, und da ich nun auch die Nachricht bekam, mein armer Mann liege wirklich schon seit zwei Jahren im Meere, sein Schiff sei in einem Sturm kopfüber in den Abgrund geschossen, so sagt' ich mir: ich habe Nichts mehr auf der Welt als meine Lisa und meine Armuth und mein bischen Rechtschaffenheit, da soll mir Niemand mehr dran rühren. Denn wer lebt, ißt sein Brot, wer stirbt, der ist todt, und jedes Pferd wehrt sich die Mücken ab mit seinem eigenen Schwanz.
Also hielt ich mein Kind streng zu Hause, und wenn sie gern herumgesprungen wäre mit andern Kindern oder, wie sie älter wurde, geschwatzt hätte mit den jungen Burschen – und der Giannicco hatte schon damals ein Auge auf sie geworfen –, sagt' ich ihr nur immer den guten alten Spruch:
Ein Mädchen, zu viel auf der Gasse,
Kommt ab von der rechten Straße.
Und ein gutes Kind, wie sie war, ließ sie es sich auch gesagt sein, saß den lieben langen Tag und spann oder strickte Netze, und nur am Sonntag ging sie zum Kloster hinauf, die Messe zu hören oder bei dem guten Pater Francesco zu beichten, ihre paar unschuldigen Kindersünden, und der Pater lobte sie sehr und sagte, daß sie durch ihre Tugend mir Alles wieder vergüten würde, was ich an Unglück und Unehre in meinem kümmerlichen Leben erfahren hätte.
Sehen Sie sich das Bild nur recht an, lieber Herr. Es sind jetzt über zwanzig Jahr, daß der Herr Marchese es gezeichnet hat, und sie ist jetzt freilich kein Kind mehr, sondern eine schöne und stattliche Frau, aber alle Leute sagen, es gleiche ihr noch heut, nicht bloß der Giannicco, den ich manchmal hier oben ertappe, daß er vor dem Gesicht wie vor einem Gnadenbilde steht und so darein vertieft ist, daß er mich nicht einmal kommen hört. Der Herr Marchese war eine Art Künstler, müssen Sie wissen; er hatte schon damals dies Haus außer seinem Palast in Genua, und manchen Sommer kam er hier heraus, bloß um stundenlang an den schönsten Orten in der Umgegend zu sitzen und die Berge und das Meer mit prachtvollen Farben hinzumalen in seine Mappe. Ich aber kam nie mehr aus dem Haus, seit dem Unglück mit meinen Kindern; ich meinte, jede Gevatterin müsse mich deßhalb über die Achsel ansehen. Und so wußte ich nicht einmal, daß ein solcher Herr Marchese auf der Welt sei, und war des Todes erschrocken, als eines Sonntag-Vormittags sich meine Thür aufthut, wo ich eben in der Küche steh', unser bischen Polenta zu kochen, und herein fliegt mein Kind, die Lisa, ganz roth im Gesicht, und ein Herr hinter ihr, nicht mehr der Jüngste – er war schon damals hoch in den Vierzigen – und: Mamma mia, sagt das Kind, der Herr hat mich angeredet, wie ich eben aus der Messe kam, und weil es so heiß war, hatt' ich Schuh und Strümpfe ausgezogen und lief über die nassen Klippen am Strand, und da sah ich ihn plötzlich auf mich zukommen, und er fragte mich, wie ich heiße und wo ich wohne und ob er mit mir gehen könnte, er möchte ein Bild von mir machen.
Was soll ich Ihnen lang und breit erzählen, lieber Herr, wie nun Alles kam, wie ich mich erst unsrer Armuth schämte, und er mich in fünf Minuten so zutraulich gemacht hatte, daß ich ihm meine ganze Lebensgeschichte beichten mußte, so ein vornehmer Herr er auch war; aber die Vornehmsten wissen oft am besten, wo einen ehrlichen armen Tropf der Schuh drückt. Und während er das Kind abconterfeite und kein Wörtchen sprach, redete ich immer fort wie ein Wasserfall, und auch das verheimlichte ich nicht, was mit den beiden Großen sich zugetragen hatte.
Als ich dann endlich fertig war und schämte mich nun selbst, was ich Alles geschwatzt hatte, hatte auch er das Bildchen so ziemlich zu Stande gebracht und sagte, für heute sei es nun genug, ich hätte da ein braves und liebes Kind, und er interessire sich für die Lisa, und wenn es mir recht sei, wolle er sorgen, daß ich an dieser Tochter mehr Freude erlebte, als an den andern. Wie alt sie denn sei? Nun, dreizehn sei noch jung genug, was Rechtes zu lernen. Er wolle sie mit einer sicheren Begleitung nach Genf schicken, in ein sehr gutes Erziehungsinstitut, da solle sie etwa drei oder vier Jahre bleiben, und er wolle alle Kosten tragen.
Sie können sich vorstellen, lieber Herr, daß ich erst nicht wußte, ob ich dazu lachen oder weinen sollte. Mein letztes Kind hergeben! – es schien mir, als schnitte man mir das Herz aus dem Leibe und ich sollte noch tausend Dank dafür sagen. Aber wie ich den Pater Francesco um Rath fragte, und der mir zuredete und sagte, hier treffe es ein: wenn Gott einem eine Thür zumache, mache er ihm gleich daneben ein Thor auf, schluckte ich meine Mutterthränen hinunter und ließ Alles geschehen, was meinem Kinde zum Glück dienen sollte.
So hab ich's denn auch nicht zu bereuen gehabt. Wie sie mir nach drei Jahren wiedergebracht wurde, – ich dachte freilich, es seien tausend gewesen, aber mit Geduld kommt auch der Lahme über den Berg, – o lieber Herr, was war sie schön geworden und klug und hatte Manieren wie eine Herzogin, aber zu ihrer einfältigen alten Mutter war sie noch ganz wie sonst. Die Leute von Sestri aber machten große Augen, wie sie das Fräulein zum ersten Mal neben mir in die Kirche gehn sahen, natürlich zum Kloster hinauf, um sie auch dem guten Pater zu zeigen. Der lobte sie sehr, sagte aber, sie solle nur fein demüthig und tugendhaft bleiben und sich nichts in den Kopf setzen, und so noch eine Menge erbaulicher Reden, wobei sie immer die Augen still zu Boden geschlagen hielt, das süße Geschöpf, und hernach küßte sie dem guten alten Pater die Hand, wie sie als kleines, barfüßiges Ding gethan, und war Abends in ihrem schlechten Bettchen so rasch und vergnügt eingeschlafen, als ob sie es nicht inzwischen besser gehabt und die schweren Künste und Wissenschaften gelernt hätte, daß sie nun gescheidter war wie der Sindaco von Sestri selbst.
Wir wollen hier vom Fenster weggehn, lieber Herr, sagte die Alte plötzlich und zog mich tiefer in das Zimmer hinein, wo sie mich nöthigte, auf einem kleinen, mit verblichener blauer Seide überzogenen Canapé Platz zu nehmen. Sie selbst blieb an dem Tischchen stehen und zupfte ein paar welke Blätter aus dem großen Strauß, der mit bunten Farben im Schein des Armleuchters glühte.
Was hat Euch denn angewandelt, gute Frau? fragt' ich. Warum wollt Ihr die schöne kühle Nachtluft nicht länger athmen?
Es ist nur wegen des Giannicco, sagte sie nachdenklich. Er geht immer noch unten an dem Fenster vorbei und hat so feine Ohren, besonders, wenn er seinen Namen hört. Und ich wollt' Ihnen eben sagen, wie er dazumal, als er das Kind nur einmal wiedergesehen, in eine ganz gefährliche Verliebtheit gerathen ist, und obwohl sie ihm gar nicht süße Augen machte, wie überhaupt keinem der jungen Bursche, meinte er doch, sie denke heimlich an ihn, der arme Narr, der er war, und hielt eines Tages richtig um sie an. Aber wenn sie ihn auch gemocht hätte, – sie waren beide arm, und wenn der Hunger zur Thür hereinkommt, geht die Liebe zum Fenster hinaus. Und dann, lieber Herr, was hätte sie mit ihren Künsten und Wissenschaften, die sie von Genf mitgebracht, als Frau eines armen Tischlergesellen, wie der Giannicco war, anfangen sollen?
Aber die Hauptsache war, sie machte sich gar nichts aus ihm. Sie machte sich freilich auch aus Anderen und Reicheren Nichts, die damals um sie warben, ja nicht einmal aus unserm Wohlthäter, dem Herrn Marchese. Wie ich ihr sagte: Kind, willst du dein Glück machen? Du sollst Frau Marchesa werden. Der gute Herr, der deiner Mutter aus ihrem Elend geholfen und dich so schöne Dinge hat lernen lassen, – und denken Sie nur, lieber Herr, auch für meine Cesira hatte er noch gesorgt, ihr eine Aussteuer gegeben und sie an einen seiner Pächter auf einem Gut bei Turin verheirathet, – nun will er dich zur Frau, sagt' ich, und du sollst in Genua in seinem schönen Palast wohnen; überlege es dir wohl, Kind: Schönheit macht nicht satt, und wer sich selbst nicht hilft, der ertrinkt, sagt' ich – da fiel sie mir um den Hals und sagte unter tausend Thränen: Mamma mia, ich will nicht fort von dir, ich will keinen alten Mann; lieber sterb' ich so wie ich geh' und stehe! sagte sie.
Arme Creatur! Ich hatte wahrlich großes Erbarmen mit ihr, denn ich liebte sie mehr als meine Augen. Aber da war auch die Dankbarkeit, und daß wir ein paar verwaiste armselige Frauenzimmer waren, und was Armuth aus einem Mädchen machen kann, hatte ich ja an meinen Großen erlebt. Und dann war noch der Pater Francesco, der sprach dem Kind, als sie ihm beichten ging, so kräftig zu, daß sie wie verwandelt vom Kloster herunterkam und zu mir sagte: Mutter, ich will es thun. Die Madonna und alle Heiligen, sagte sie, werden mir beistehen, daß ich eine tugendhafte Frau werde, und du hast es dann gut auf deine alten Tage, und, sagte sie, er ist ein so guter Herr, er wird nicht verlangen, daß ich ihn mehr lieben soll, als ich kann, aber treu will ich ihm sein und ihm all seine Gutthaten vergelten.
Nun, lieber Herr, da hatt' ich denn einen Herrn Marchese zum Schwiegersohn, und hätte nun auch die große Dame spielen können und durch die Straßen von Genua in einer Carrosse fahren. Aber ich dachte, wenn das schwarze Huhn auch ein weißes Ei gelegt hat, es taugt doch nur auf seinen Misthaufen, und so blieb ich ganz still zu Hause, nur daß ich hieher in die Villa zog, die damals noch nicht so hübsch und reinlich aussah, ohne mich zu rühmen. Und hier hielt auch meine Frau Tochter ihre Wochen ab, als sie übers Jahr ein Kindlein zur Welt brachte, schön wie mit dem Pinsel gemalt und Zug um Zug das Abbild ihrer Mutter. Und daß der Herr Vater fast närrisch wurde vor Freude, können Sie sich leicht denken. Auch meine Lisa war sehr vergnügt. Nun wird es mir nicht mehr schwer werden, sagte sie, dem lieben Gott zu danken für das Glück, das er mir beschert hat, da er mir jetzt den kleinen Engel geschickt, und der Pater Francesco braucht mir nicht erst Tugend zu predigen. Ich muß meiner Tochter ein gutes Beispiel geben.
So sagte sie, armes junges Weib! Und ich wußte wohl, was sie meinte; denn sie hatte mir erzählt, daß alle jungen Herren vom Adel, die schönsten und reichsten, ihr nachstellten, und Manche geberdeten sich wie toll, um der schönen Frau Marchesa ihre Liebe zu zeigen, und Sie wissen, lieber Herr, das Stroh kann nichts dafür, daß es brennt, wenn es dem Feuer zu nahe kommt. Aber nun hatte sie ihr Kind und sah weder rechts noch links, sondern immer in die beiden kleinen unschuldigen Augen, und was die verliebten Gecken auch anstellen mochten, war nur so viel, wie wenn Einer ein Loch ins Wasser machen will.
Aber so leicht wurde es ihr doch nicht, wie sie sich's geträumt hatte. Denn schon ein Jahr nachdem die kleine Cesira auf die Welt gekommen war, befiel den Herrn Marchese eine Lähmung, daß er immer im Rollstuhl sitzen mußte, und nur ein Glück war, daß es die linke Seite getroffen hatte, nicht die rechte, da konnte er sich doch noch die Zeit vertreiben mit Zeichnen und Malen; und weil er ein edles und christliches Gemüth hatte, wurde er auch gar nicht wild und menschenfeindlich über sein Unglück, sondern nur um so gütiger gegen seine arme junge Frau, der er that und schenkte, was er ihr nur an den Augen absehen konnte. Und auch sie ließ sich nicht auf melancholischen Mienen ertappen. Man kann freilich nicht singen, wenn man ein Kreuz trägt, aber wenn eine Mutter ihr Kind wiegt, findet sie doch immer noch einen Ton in ihrer Kehle. Und so war es für Alt und Jung eine Erbauung, wie meine Frau Tochter sich in ihrem Ehestand hielt, und Pater Francesco, mit dem ich oft darüber sprach, sagte: Sie ist eine Heilige, sagte er, und ihre Tugend reicht aus, um auch ihre Schwestern aus dem Fegefeuer loszukaufen. Ihr seid eine benedeite Mutter, Frau Cesira.
Ja, ja, lieber Herr, wenn man schon am Morgen immer wüßte, ob am Mittag ein Gewitter kommen wird! Aber wer am Freitag lacht, weint am Sonntag. Die kleine Cesira war kaum sieben Jahr und ihre Frau Mutter also fünfundzwanzig, und sechs Jahr war es schon her, seit der Herr Marchese im Rollstuhl lag, da sitz' ich eines Tages hier ganz fröhlich im Haus, bei meinem Spinnrocken und meinen paar Gedanken – und der Giannicco war auch noch nicht von seiner Piratenfahrt hier wieder gelandet – auf einmal fährt ein Wagen vor, denn eine Eisenbahn gab es damals noch nicht, und wer steigt aus? – mein eignes liebes Kind, die Frau Marchesa, aber so blaß und wunderlich, daß ich zu Tode erschrak, und brachte auch die Kleine nicht mit, wie sonst, und auf meine Fragen, was denn vorgefallen sei, konnte ich lange Zeit nicht eine Silbe zur Antwort bekommen. Aber Mutter und Tochter – es ist wider die Natur, lieber Herr, daß die Zwei ein Geheimniß vor einander haben sollten. Was es aber war, – jetzt kann ich es ja auch Ihnen sagen, zumal Sie morgen wieder wegreisen, und dann, so traurig es war: meinem Kinde hat es ja nur um so größere Ehre gemacht. Denn das Gold erprobt man erst im Feuer und den Heiligen auf dem Scheiterhaufen. Sehen Sie, da war ein Maler in das Haus meines Herrn Schwiegersohns gekommen, der ja ein gewaltiger Freund der Kunst war, so ein junger Mann, zwei Monate noch jünger als meine Frau Tochter, Lorenzino Sciarpa hieß er; Sie haben seinen Namen wohl schon gehört, da er seitdem sehr berühmt geworden sein soll. Der hatte einen Speisesaal beim Herrn Marchese mit Göttern und Göttinnen auszumalen, und so kam er täglich ins Haus und sah täglich das schöne junge Weib, mein armes Kind, und sehen und brennen war Eins. Am Tage nach dem er ihr seine erste Erklärung gemacht, da war's, wo sie plötzlich hier draußen an der Villa vorfuhr. Und erst war nichts aus ihr herauszubringen; sie schloß sich wohl drei Stunden lang droben in ihrem Schlafzimmer ein, sie müsse sich was überlegen, sagte sie, und müsse allein sein, und könne keinem Menschen ins Gesicht sehen. Ich hörte sie hin und her gehen, aber weder weinen noch beten. Zuletzt hielt sie selber es nicht mehr aus, sondern sagte mir Alles, daß sie diesen Lorenzino liebte, wie sie bisher gar nicht gewußt habe, daß man einen Menschen lieben könne, und, sagte sie, wenn du ihn kenntest, Mutter, würdest du deine unglückliche Tochter nicht verdammen, sondern bejammern, da die Liebe zu diesem Menschen, wo sie einmal in einem Herzen gekeimt hat, nur mit dem Spaten, der das Grab gräbt, herausgerissen werden kann. Und nun erzählte sie mir von ihm mit Ausdrücken, lieber Herr, daß ich selbst, ein so dürrer alter Zaunstecken wie ich war, wahrhaftig fast selbst Feuer fing und um diesen Lorenzino mein ewiges Seelenheil geopfert hätte, indem ich meinem Kinde sagte: Man spricht von der Sünde, aber nicht vom Sünder, und man spricht vom Rausch, aber nicht vom Durst. Kind, sagte ich, was fragst du mich? Ich habe meine Schuldigkeit gethan, indem ich dich fromm und tugendhaft auferzogen habe. Aber jeder Mensch, sagt' ich, lebt sein eigenes Leben, und am jüngsten Tag werden wir alle nackt und bloß vor unsern Richter treten.
Werden Sie's glauben, lieber Herr, daß dies stolze Kind that, als ob sie mich gar nicht verstünde? Und jetzt noch schäme ich mich, daß ich mich von meiner eignen Creatur beschämen lassen mußte, und daß diesmal das Ei wirklich klüger war als die Henne.
Mutter, sagte sie, ich bin gar nicht gekommen, um mir rathen zu lassen. Was ich zu thun habe, was ich meinem Gatten und der Kleinen schuldig bin, das weiß ich schon allein. Aber in der Einsamkeit muß ich mir erst die Kraft holen, das auch zu können, was ich thun will, und darum wollt' ich eine Nacht hier mit mir allein sein. Richte mir ein wenig zu essen her und dann schicke Jemand, um den Pater Francesco zu bitten, daß er mich besucht. Denn es ist spät, und ich kann nicht mehr wie damals, wo ich barfuß über die Klippen sprang, beim Mondschein ins Kloster hinauf, ohne daß ein Gerede entstünde.
Eine Heilige hätte sich nicht besser benehmen können, das werden Sie mir zugeben, lieber Herr.
Und richtig, wie sie am anderen Morgen wieder fortfuhr, hatte sie ein ganz klares, stilles Gesicht, und das behielt sie auch all die Jahre, seitdem sie ihren letzten Kampf gekämpft hatte, obwohl auf die Länge selbst ein Strohhalm drückt, geschweige eine so große Last, wie eine heimliche Passion zu einem schönen und braven Menschen. Denn das war er, leider, ich selbst mußte es sagen, obwohl ich ihn haßte, weil er mein armes Kind so viel leiden machte. Er wußte aber selbst nichts davon, denn sie hatte ihm scheinbar ganz kaltblütig jede Hoffnung benommen und nur um seinetwillen darauf bestanden, daß er seinen Verkehr im Hause abbrechen, ja am liebsten die Stadt Genua überhaupt meiden sollte. Die ersten Jahre konnt' er's nicht lassen, wenigstens einmal im Jahr sich wieder einzufinden, als ob er fragen wollte: ist es denn möglich, daß Ihr mich könnt sterben lassen? Als er aber immer die gleiche Miene und die nämliche Antwort erhielt, sogar hier draußen, wo er meine Frau Tochter einmal allein überraschte, nur mit dem Kinde, das sich von den Folgen der Masern erholen sollte, sogar hier erreichte er nicht das Mindeste, so daß sein Leidensgefährte, der Giannicco, der damals schon hier gärtnerte, ihn mit der hellsten Schadenfreude wieder abziehen sah. Mich dauerte er mehr, als ich sagen konnte und durfte. So ein schöner, braver junger Mann, sanft wie ein Lamm und feurig wie ein Löwe! Und ein Maler dazu, gegen den der Herr Marchese nur ein Schulknabe war.
Kind, sagte ich zu meiner Frau Tochter, hast du ihm denn wenigstens ein bischen Trost gegeben, daß es nicht an deinem guten Willen liegt, wenn du ihn nicht glücklich machen kannst, sondern an der Tugend und Bravheit und Dankbarkeit gegen deinen Herrn Gemahl, und hast ihm gesagt, daß es dich hart genug ankommt, ihn wegzuschicken, und daß du dich heimlich so nach ihm verzehrst, wie er nach dir?
O Mutter, sagte sie darauf, wenn ich ihm solche Dinge sagte, brächte ich ihn nimmermehr von meiner Seite, und wer weiß, ob die Heiligen mir dann beistehen möchten; denn wenn ich täglich seine traurigen Augen sehen müßte, sagte sie, schmölze mein bischen Bravheit und Standhaftigkeit hin, wie eine Kerze am Feuer; und wie sollte ich meinem guten Mann ins Gesicht sehen, der mich so liebt und ehrt und mir vertraut wie einer übermenschlichen Creatur, wenn ich einem andern Mann gesagt hatte: gedulde dich, bis der arme Kranke nicht mehr in seinem Rollstuhl sitzt, sondern von all seinen Leiden ausruht –? Nein, Mutter, sagte sie, rede mir nicht zu, denn Gott allein weiß, wie mein Herz schreit, daß ich mir beide Ohren zuhalten muß, um nicht den Kopf zu verlieren und zu thun, was mich reuen würde in alle Ewigkeit.
Armes Weib! Und doch hätten Sie sehen müssen, lieber Herr, wie sie immer noch lächeln konnte und Allen, die sie zu besuchen kamen, ein heiteres Gesicht zeigen, und zumal, wenn sie das Kind, die Cesira, ansah, die schön wie ein Engel war und von der Mutter, der sie recht eigentlich aus dem Gesicht geschnitten war, alle Gaben und Tugenden hatte, die Sanftmuth und das gute Herz, und daß sie freundlich war mit dem Geringsten. Aber Viele sagten doch, daß ihre Mamma, obwohl sie nun schon in die Dreißig ging, immer noch die Schönere sei von Beiden, und man hielte sie viel eher für Schwestern, als für Mutter und Tochter. Das Kind war nun ihr ganzes Glück und einziger Trost, und auch den mußte sie zuletzt entbehren. Denn wie die Cesira vierzehn Jahr alt geworden war, beschloß der Herr Marchese, sie in dieselbe Pension nach Genf zu schicken, wo meine Lisa so viel schöne Dinge gelernt hatte, und meine Frau Tochter, die den Willen ihres Herrn Gemahls immer ehrte und gerecht fand, brachte das Kind selbst nach der Schule und nahm mit tausend Thränen Abschied von ihr.
Sie hat mir dann erzählt, was ihr auf der Rückreise begegnet ist, daß der arme Lorenzino in einem Ort, wo sie übernachten mußte, – Gott weiß, wie er Alles ausgekundschaftet hatte, – ihr plötzlich in den Weg getreten sei, und er habe sich vor ihre Füße hingeworfen und sehr wenig gesprochen, aber eine ganze lange Geschichte von Desperation und durchwachten Nächten habe auf seinem schönen Gesicht gestanden. Er hatte seitdem die meiste Zeit in Paris gelebt und hätte die schönsten und reichsten Mädchen freien können, aber in seinem Herzen war immer nur die Eine Liebe, wie es in dem Vers heißt:
Wo einmal ward ein Feuer angezündet,
Bleibt stets ein Funke noch zurück im Finstern,
und er wollte lieber als ein Junggesell leben und sterben, als seiner alten Flamme untreu werden.
Damals hat es der armen Frau mehr gekostet, als ein Mensch sich vorstellen kann, ihn hoffnungslos fortzuschicken, und sie zeigte mir hernach eine Strähne von ihrem langen schwarzen Haar, die hatte sie Nachts, da sie im Bette wach lag, zwischen die Zähne genommen und fest darauf gebissen, um nicht laut aufzuschreien. Und am andern Morgen war diese Strähne grau, und es sieht wunderlich aus, noch heute sie damit herumgehen zu sehen, denn sie hat sie nicht abschneiden wollen, um sich immer daran zu erinnern, was sie schon durchgemacht und wie tapfer sie sich dabei gehalten hat.
*
Giannicco trat herein. Er stand plötzlich auf der Schwelle, ohne daß ich ihn die Treppe hatte heraufkommen hören, warf einen schiefen, feindseligen Blick auf mich und sagte ein paar Worte im genuesischen Dialekt, die ich nicht verstand.
Es ist gut, Giannicco, erwiderte die Alte, die sich nicht einen Augenblick in ihrer Ruhe stören ließ. Ihr könnt schlafen gehn. Ich werde den Herrn selbst hinausbegleiten und das Gitter zuschließen. Gute Nacht, Giannicco!
Der Einarmige brummte Etwas vor sich hin und zog sich geräuschlos zurück, wie er gekommen war. Wir schwiegen aber, bis wir ihn unten auf dem Kiesweg hatten hinschleichen hören, mit den schweren, gleichmäßigen Schritten eines Menschen, der große Lasten zu tragen gewöhnt ist.
Mit Dem werden wir noch unsere liebe Noth haben, sagte die Alte. Wenn meine Frau Tochter wiederkommt, jetzt, da sie Wittwe ist, – ich glaube wahrhaftig, der verrückte Mensch bildet sich ein, nun sei das Feld für ihn frei, der armselige Krüppel, und wenn er nun erleben muß, daß der Herr Lorenzino hier als Herr befiehlt, – nun, dafür wird meine Frau Tochter schon sorgen, so oder so. Aber es ist curios, wie viel Narren frei herumlaufen, und das Sprichwort hat wohl Recht: wenn Narrheit weh thäte, würde man in jedem Hause stöhnen hören. Aber obwohl man sich seines Nebenmenschen erbarmen soll, ich kann doch nichts Anderes thun, als den ganzen Tag Gott loben und preisen, daß er meinem Kinde endlich die Erlösung geschickt hat und den Lohn für ihre Tugend schon hier auf Erden, und alle anderen Menschen kümmern mich nicht mehr als eine Mücke einen Elephanten. Mein Herr Schwiegersohn – Gott hab' ihn selig! – hat einen schönen, leichten Tod gehabt, er ist von seiner Siesta nicht mehr aufgewacht, ohne auch nur einen Schrei zu thun, und dann das schöne, ehrenvolle Begräbniß, wo der ganze Adel von Genua ihm die letzte Ehre erwiesen hat, und Alle haben seiner Wittwe condolirt mit großem Respect, und es sei die ganze Stadt des Lobes voll, wie schön sie sich benommen, obwohl sie nur die Tochter einer so einfachen Frau ist und nicht in einem Palast geboren und auferzogen. Nun hat sie erlebt, wie das alte Wort sagt: wer ausharrt, der siegt, und wenn sie jetzt nach ihrer Trauerzeit ihren Lorenzino heirathet, – lieber Gott, man ist ja noch nicht zu alt mit fünfunddreißig Jahren, um noch glücklich zu sein, besonders wenn man ein Gesicht hat, wie meine Lisa, und ein unschuldiges Herz, wie sie, das sich im ganzen Leben Nichts vorzuwerfen brauchte. Denn Reue und Schande, lieber Herr, die graben viel tiefere Runzeln als die Jahre, und ein gutes Gewissen ist das beste Schönheitsmittel. Ja, ja, nun soll es hier bald anders aussehen, und die alte Mutter kriecht dann ganz vergnügt in ihren Winkel zu ihrer alten Freundin Miranda, und wir beide stecken den Kopf nur aus unserer Schale, um uns zu freuen, wie die Jugend sich gute Tage macht und ihr Leben genießt. Herr, dein Wille geschehe! Amen.
Ich war aufgestanden und noch einmal vor das Bild getreten, das die Heldin dieser schlichten und doch seltsam ergreifenden Geschichte in ihrer ahnungslosen Kinderschönheit darstellte. Es schien mir jetzt, als deuteten diese zarten Linien schon alle Kraft und Sicherheit an, die das reife Weib bewähren sollte, nur ein rührender Hauch von Scheu vor dem unbekannten Leben schien um die frischen Lippen zu spielen.
Ihr seid wahrlich glücklich zu preisen um solche Tochter, gute Frau, sagt' ich, da ich endlich mich zum Gehen anschickte. Und nun wächst Euch noch eine neue Lebensfreude heran in Eurer Enkelin, die ja der Mutter Ebenbild sein soll. Wie gern wartete ich, bis ich die Bekanntschaft der Frau Marchesa und des jungen Fräuleins machen könnte. Aber ich habe einem Freunde versprochen, morgen in La Spezzia mit ihm zusammenzutreffen, und weiß kaum, ob ich bei meiner Rückkehr über drei oder vier Tage abermals in Sestri anhalten kann.
Dann würden Sie auch die Cesira vielleicht noch nicht hier vorfinden, lieber Herr, sagte die Alte; sie hat nicht einmal zum Begräbniß ihres Herrn Vaters nach Genua kommen können, sie war mit der ganzen Pension abwesend auf einem Ausflug in die hohen Berge, – die Schweiz heißt man sie –, und in Genf wußte man nicht einmal genau, wohin die Depesche nachgeschickt werden sollte. Nun, sie erfährt Alles noch früh genug. Meine Frau Tochter aber wird, denk' ich, froh sein, aus dem traurigen Haus, wo sie so viel Kummer erlebt und jetzt dem todten alten Mann hat die Augen zudrücken müssen, sich zu ihrer treuen Mamma zu flüchten und hier ein wenig zu sich selbst zu kommen. Wenn Sie daher wieder vorbeikommen sollten, lieber Herr, – meine Lisa hat noch allen Fremden den Eintritt in den Garten erlaubt, und wenn es höfliche und gebildete Herrschaften waren, blieb ihnen auch das Haus nicht verschlossen. Da, nehmen Sie einstweilen zum Andenken diesen Strauß mit nach La Spezzia. Es ist doch zu spät geworden, um den andern im Garten noch fertig zu machen.
Sie drang mir den schönen vollen Rosen- und Granatblütenstrauß so treuherzig auf, daß ich ihn wohl annehmen mußte. Ich habe Sie lange aufgehalten, sagte sie, da ich ihr am Gitter draußen noch einmal die Hand drückte; aber wenn ich von meinem Kinde zu reden anfange, finde ich kein Ende. Gute Nacht, lieber Herr, und ich danke Ihnen, daß sie so viel Geduld gehabt haben mit einem schwatzhaften alten Weibe. Sehen Sie nur einmal mit Augen Die, von der wir gesprochen haben, so werden Sie begreifen, daß einem jedes Wort noch viel zu gering scheint, sie zu loben, und daß man nicht eine eitle Mutter zu sein braucht, um sie für die vollkommenste Creatur unter Gottes Sonne zu halten.
*
Diese Nacht stand ich noch lange am Fenster meines Eckzimmers im Albergo d'Europa und sah nach dem Pinienvorgebirge hinüber und auf das Meer, das wie ein ungeheurer silberner Schild mit breitem dunklem Stahlrande den Mondhimmel spiegelte. Ich fragte mich, warum die einfache Geschichte mich so feierlich gestimmt hatte. Ein reines und starkes Herz, das allen Lockungen der Leidenschaft widersteht, um seiner Pflicht treu zu bleiben, und nun endlich – spät, aber nicht zu spät – den Lohn seiner Treue erntet, war das ein so seltenes Menschenschicksal, daß man ihm wie einem Märchen nachsinnen mußte? Freilich, je mehr ein Garten dem Paradiese gleicht, desto menschlicher scheint ein Sündenfall. Die Orangen im Hof drunten dufteten so schwül herauf, ich mußte daran denken, wie der Mond so manchmal draußen im Gärtchen der Frau Marchesa die Herrin des Hauses mit ihrem Freunde durch die Myrten- und Lorbeerhecken hatte wandeln sehen, und dennoch hatte sie ihn verabschiedet mit einem gelassenen Gute Nacht! und ihn gebeten, morgen nicht wieder zu kommen. Und das im Lande des Cicisbeats und der nachsichtigen Mütter und der nachsichtigsten von allen, der Mutter Kirche. Und doch war es nicht das, was meine Gedanken immer wieder zu der Geschichte dieser vollkommensten Creatur unter der Sonne zurücklenkte. Ich sah beständig die sanften, lieblichen Umrisse des jungen Gesichts vor mir, und es war als nähmen sie einen immer gespannteren, schmerzlicheren Ausdruck an, als ob sie sagen wollten: Alles ist eingetroffen, was uns damals ahnte von Schwerem und Traurigem, und wir haben das Lachen so lange nicht geübt, werden wir's überhaupt noch wieder lernen können? Und dann fragte ich mich, ob ein Mensch, der seine Jugend nicht genossen hat, überhaupt noch entschädigt werden kann durch ein verspätetes Glück, – eine thörichte Frage, da es Menschen giebt, die erst spät jung werden, wie solche, die es niemals sind, und andere, die es zu sein nie aufhören.
Zuletzt thaten mir die Augen weh von dem blendenden Glanz des Silberschildes, und ich vergrub alles Grübeln in das heiße Kissen meines Bettes.
Am andern Morgen fuhr ich, wie ich beabsichtigt hatte, nach La Spezzia. Aber meinen Koffer hatte ich der Obhut Agostino's anvertraut, da ich entschlossen war, auf dem Rückwege nach Genua jedenfalls hier wieder eine Nacht zu rasten. Die Einladung der Alten, die Villa noch einmal zu besuchen, wenn erst ihre Frau Tochter darin eingetroffen sei, hatte, ohne daß ich es mir eingestand, den Hauptantheil an diesem Vorsatze, den ich freilich damit vor mir selbst bemäntelte, daß ich noch Briefe nach Sestri bestellt hatte, die bisher nicht eingetroffen waren.
Was ich in den Tagen, die ich an der schönen Bucht von La Spezzia und Portovenere mit meinem Freunde verbrachte, an denkwürdigen Dingen etwa erlebt habe, gehört nicht hieher. Auch sollte das Alles bald genug in den Hintergrund der Erinnerung gedrängt werden, als ich am Abend des dritten Tages mit dem Bahnzuge wieder vor dem niedrigen Stationsgebäude von Sestri ankam und beim Aussteigen mit dem ersten Blicke die stolzen Linien des Vorgebirgs und des Meerhorizontes begrüßte.
Ich wandte mich aber nicht sogleich nach dem einsamen Gasthof am Strande, sondern schlug den Weg durch die Hauptstraße des Städtchens ein, da der kleine Apothekerladen, der zugleich als Postbureau diente, schon vor Nacht geschlossen zu werden pflegte. Wie ich so an den wohlbekannten Häusern vorüberging, fiel mir auf, daß heut fast nirgends, wie sonst üblich war, die Leute vor den Thüren saßen. Auch die Handwerker schienen vorzeitig Feierabend gemacht zu haben, und doch standen die Tische und Geräthe, die sie zu ihrem Gewerbe brauchten, noch auf der Gasse, und halbfertige Arbeit lag überall herum.
Ist denn ein Feiertag? fragte ich ein junges Mädchen, das eines Gebrechens wegen immer auf demselben Bänkchen vor der Hausthür saß und auch heute mit den großen grauen Augen in dem blassen Gesicht mir zunickte.
Nein, Herr. Es ist nur wegen der Beisetzung der Frau Marchesa, da sind sie alle in die Kirche nachgegangen; sie müssen aber gleich wiederkommen, es ist schon eine Stunde her.
Der Marchesa? Welcher Marchesa? War der Marchese Piuma verheirathet und hat seine Frau verloren?
Seltsam, daß ich nur an den Besitzer der Pinienvilla dachte. Aber so ahnungslos überraschte mich die Nachricht, daß ich plötzlich wie von einem Blitze getroffen mich an die Hauswand lehnen mußte, als die Kranke mit ihrer umschleierten, tiefen Stimme erwiderte:
Nein, Herr; die Marchesa Piuma ist es nicht. Es ist ein Stadtkind aus Sestri, das nach Genua an einen Signore verheirathet war, und ihre Villa steht draußen an der Landstraße.
Und nun nannte sie zum Ueberfluß den Namen, der mir in den letzten Tagen nur zu oft wieder in den Sinn gekommen war.
Todt! stammelte ich endlich, indem ich mich zu fassen suchte. Aber das ist ja unmöglich! Sie war ja in voller Gesundheit noch am letzten Samstag. Ihr werdet das verwechseln, liebes Kind. Ihr Mann ist gestorben, der Herr Marchese. Der wird angeordnet haben, daß für ihn eine Todtenfeier hier in Sestri gehalten werden solle. Ich hörte ja, daß er auch dort in der Kirche sich hat trauen lassen.
Das Mädchen schüttelte ruhig den Kopf und bewegte den Zeigefinger der rechten Hand hin und her, um ihrem Nein Nachdruck zu geben.
Es ist doch die Frau Marchesa, Herr. Und Alle sind so davon bestürzt worden, wie Sie; denn freilich kam sie vorgestern noch ganz wohlauf hier an, und wir freuten uns, daß wir sie wiedersehen sollten, denn es ist nicht zu sagen, Herr, wie alle Leute in der Stadt sie verehrt und beinah angebetet haben, und die armen nicht am wenigsten. Auch ich armes Ding – jedesmal, wenn sie hier vorbeikam, blieb sie bei mir stehen und fragte, ob es noch nicht besser werden wolle mit dem Husten bei Nacht und den Schmerzen bei Tage, und wenn sie in der Villa war, schickte sie mir oft aus ihrer Küche etwas Ausgesuchtes, oder auch ein Körbchen mit candirten Früchten und ein andermal ein Band ins Haar oder ein paar warme Schuhe für den Winter. Nun freute ich mich darauf, sie bald wiederzusehen. Und es war mir schon seltsam, daß sie gestern, als sie wirklich am Morgen hier vorüberging, mich gar nicht ansah, als ob sie auf einmal stolz geworden wäre, was ihr doch gar nicht ähnlich sah, und meine Mutter meinte, es sei nur die Trauer um ihren Gemahl. Und freilich trug sie einen dichten, schwarzen Schleier und sah weder rechts noch links, sondern immer auf den Weg, und wenn Jemand sie grüßte, dankte sie so mit der Hand, die sie ein wenig bewegte, aber ohne aufzuschauen, und immer geradeaus, ganz schnell, als ob sie etwas Eiliges abzumachen hätte. Sie stieg aber nur ins Kloster hinauf, – so heiß es war am Vormittage, und sie war doch schon ein wenig stark, obwohl es ihrer Schönheit nichts schadete, – und mit demselben raschen Schritt und immer unterm Schleier kam sie hier wieder vorbei und ging dann in ihre Villa hinaus, und kein Mensch bekam sie mehr zu sehen. Nun denken Sie, Herr, wie wir heute früh erschraken, als plötzlich die Nachricht durch die ganze Stadt lief: die Frau Marchesa sei todt in ihrem Bette gefunden worden, eine Kugel aus der alten Pistole des Gärtners Giannicco sei ihr gerade durchs Herz gegangen, kaum ein Blutstropfen habe das Leintuch gefärbt, und ganz ruhig wie eine Statue sei sie in ihrem Bette gelegen, das Gesicht wie schlafend. Der Mörder aber, der Einarmige, muß gleich in der Nacht auf einer Barke entflohen sein und sich auf irgend einem Schiff, das gerade vorbeikam, in Sicherheit gebracht haben. Denn weit und breit fand man keine Spur von ihm. Daß er es aber gethan und kein Anderer, konnte man außer der Pistole auch daran sehen, daß ein kleines Bild von der Marchesa, für die er ja immer einen trasporto gehabt hat, mit verschwunden ist. Und Einige sagen, er habe den Verstand verloren, weil er der Frau Marchesa Liebesanträge gemacht oder sie habe heirathen wollen, jetzt, da sie Wittwe geworden, und wie sie ihn abgewiesen, sei er in die Wuth gerathen. Andere meinen, er habe es auf ihren Schmuck abgesehen gehabt, und damit sie ihn nicht beim Rauben attrapiren sollte, habe er sie erst getödtet. Das aber glauben die Wenigsten, obwol er ein Seeräuber war, und es wird sich ja auch zeigen, sagt meine Mutter, wenn das Gericht den Nachlaß versiegelt. Und vielleicht kommt die Wahrheit nie an den Tag. Denn Niemand ist dabei gewesen, und so still, wie sie in ihrem Bette lag, scheint sie auch, ganz ohne sich zu rühren, ja, ohne Etwas zu merken, aus der Welt gegangen zu sein, und den Knall der Pistole hat Niemand gehört in der Nachbarschaft, nicht einmal die alte Mutter.
Herrgott! die Mutter! – unterbrach ich sie. Das wird ihr Tod gewesen sein. Hoffentlich hat sie den Morgen, wo sie ihre Frau Tochter so finden sollte, nicht überlebt!
Das blasse Mädchen schüttelte den Zeigefinger.
Sie hat nur einen einzigen Schrei gethan, dann aber kein Wort mehr gesprochen. Die Leute glauben, daß es in ihrem alten Kopfe nicht mehr ganz richtig sei. Denn sie hat Alles geschehen lassen, als wäre sie gar nicht mehr auf der Welt, daß man der Frau Marchesa ein Todtenkleid angezogen und sie in den Sarg gelegt und vor einer Stunde in der Kirche beigesetzt hat, und auf alle Fragen, die man an sie gerichtet, ob es ihr so oder anders recht sei, hat sie nur immer mit dem Kopf genickt. O, es ist ein so schauderhaftes Unglück, wie kein Mensch in Sestri je erlebt hat, und wer daran Schuld ist, der wird am jüngsten Tage durch keinen Ablaß, den er sich vielleicht mit dem geraubten Gut erkauft, aus den ewigen Flammen loskommen; denn Sestri hat nie eine bessere und liebere Frau gesehen, und man wird von ihr reden, so lange die Pinien oben auf den Felsen stehen und ein Fischer sein Netz am Strande auswirft.
Das Mädchen hatte sich so durch seine eigenen Worte aufgeregt, daß es jetzt in einen Strom von Thränen ausbrach, bis ein erstickender Hustenanfall ihrem Weinen ein Ende machte. Ich stand noch wie betäubt auf derselben Stelle, als ich auf der Straße von der Kirche her einen großen Menschenschwarm sich nähern sah, lauter heftig sprechende, bekümmerte, verstörte Gesichter, darunter meinen Wirth von der Europa mit seinem hohen, schwarzen Cylinder, wieder neben einem geistlichen Herrn, und Agostino mit einem breiten Strohhut, übrigens in Hemdärmeln und der Küferschürze, wie ihn die Kunde von dem Leichenconduct wahrscheinlich im Keller überrascht hatte.
Ich weiß nicht, warum es mir unmöglich vorkam, mit diesen guten Bekannten, die doch vielleicht Näheres wußten, ein Wort über das entsetzliche Ereigniß zu wechseln. Unwillkürlich bog ich in eine Seitengasse ein und suchte mir einen Weg im Rücken der Stadt, erst nach der Bucht, in die das Kloster hinabsieht, dann durch allerlei Winkelgäßchen nach der Kirche zurück, die eben die Bevölkerung der ganzen Stadt in sich aufgenommen und jetzt nur noch die entseelte Hülle der edlen Frau zu bewahren hatte.
Diese Stadtkirche von Sestri ist ein ziemlich schmuckloser Bau mit zwei niederen Thürmchen neben dem Porticus und einem gewölbten Dach, Alles blendend weiß angestrichen, und doch, am Fuße des Vorgebirges errichtet, nicht eben zur Unzierde für den übrigen, so unscheinbaren Häuserhaufen, den die Landzunge trägt. Als ich die wenigen Stufen hinaufgeschritten war und mich dem Eingang zur Rechten näherte, wo nur ein paar Bettler noch an ihren Krücken kauerten, war der Sacristan eben im Begriff, die Thüren zu schließen. Zum Glück hatte ich ihn bei einem früheren Besuch in der Kirche durch ein freigebiges Trinkgeld mir zum Freunde gemacht. Er warf zwar, als er meinen Wunsch begriffen hatte, einen bedenklichen Blick auf den Platz hinaus, wo noch einzelne Gruppen Andächtiger zurückgeblieben waren. Als ich ihm aber wieder ein großes Silberstück in die Hand schob, nickte er mir einverständlich zu und ließ mich eintreten, nicht ohne die Thüre hinter uns mit einem sicheren Riegel zu verwahren.
So waren wir ganz allein in dem kühlen, dämmerigen Raum, wo das Auge zuerst, vom Licht draußen noch verblendet, nur undeutliche Massen unterschied. In der Mitte aber, um den schwarzen, schmucklosen Katafalk brannten auf hohen Messingleuchtern zwölf dicke, hohe Kerzen.
Ich hatte dem Sacristan einen Wink gegeben, daß er sich ein wenig beiseit halten möchte. Er mochte glauben, ich sei ein Verwandter der Todten, der in der Stille für sie beten wolle. Also setzte er sich im Winkel auf einen Strohsessel, und ich konnte die schaurig feierliche Stimmung, in der ich der Todten gegenübertrat, ungestört in mir walten lassen.
Sie lag im Sarge nicht so starr auf dem Rücken, wie man Todte sonst zu betten pflegt, sondern ein wenig auf die linke Seite geneigt, in einem schwarzen Seidenkleide, ich weiß nicht, ob ganz nach der Landessitte, oder weil man sie in ihrer frischen Wittwentrauer beigesetzt hatte. Die bleichen, kleinen Hände waren um ein Crucifix mit einem silbernen Christus gefaltet, das Haupt und Gesicht mit einem schwarzen Schleier zugedeckt.
Ich widerstand der Versuchung nicht, den Schleier zurückzustreifen. Da sah ich das schönste Todtenantlitz, das ich je erblickt habe, und mußte an das Wort der alten Mutter denken: ihre Jugend sei stehen geblieben. Zug für Zug glich dies wie aus reinem Wachs gebildete Gesicht der Zeichnung, die mir noch so deutlich in der Erinnerung stand, nur die Wangen waren etwas voller geworden, und zwischen dem tiefschwarzen Haar, das nur leicht um die ganz faltenlose, schmale Stirn geordnet war, erkannte ich jenen grauen Streif, von dem ich wußte, wie er entstanden. Und ganz wie auf dem Mädchenbilde ging ein Zug von Scheu und Entsagung um die Lippen, die ein wenig geöffnet waren, daß die oberen Zähne vorschimmerten, und eine traurige Spannung war von den starken, schwarzen Brauen auch im Tode nicht gewichen. Nun sah ich auch, daß dieser jugendliche Kopf auf einem stattlichen, schon etwas zur Fülle geneigten Leibe geruht hatte. Keine Spur von einem letzten Ringen mit dem Tode, der die Seele in tiefster Bewußtlosigkeit des Schlafes überfallen zu haben schien.
Ich hatte mich auf die oberste Stufe der Todtenbühne gesetzt, auf welcher der niedrige Sarg, noch ohne Blumenschmuck, so wie er aus der Villa hergetragen war, unter den zwölf Kerzen stand. Alles Grauen war verschwunden. Ich hätte ein Bildwerk, das diese Gestalt in schwarzem und weißem Marmor verewigt hätte, nicht mit ruhigerem Staunen betrachten können.
Endlich hörte ich ein Klirren in meiner Nähe und schreckte auf wie aus einem langen, wundersamen Traum. Der Sacristan war herangetreten, und ich sah an feinem Gesicht, daß er mich gern zum Aufbruch gemahnt hätte, aber in der Meinung, ich hätte ein besonderes Recht darauf, hier zu verweilen, wagte er es nicht.
Ich stand auf.
Es ist wohl schon spät, guter Freund?
Eccellenza ist schon eine Stunde hier.
Ich sah nun, daß die übrige Kirche in tiefstem Dunkel lag. Noch einmal wandte ich mich nach der Todten um, zog den Schleier sacht wieder über die regungslosen Züge und stieg langsam die Stufen des Katafalks hinab.
Der Sacristan begleitete mich bis an die Thüre, und da ich ihm abermals ein Geldstück in die Hand drückte, entließ er mich mit den ehrerbietigsten Verbeugungen.
Uebermorgen ist die Bestattung, sagte er; man erwartet noch die junge Marchesina. Wenn Eccellenza morgen wiederkommen wollen, Sie haben jederzeit zu befehlen.
Ich nickte stumm mit dem Kopf und trat in die laue Nacht hinaus.
*
Ich war noch so bewegt von Allem, was in dieser stillen Stunde mir durch den Sinn gegangen war, daß ich mich unfähig fühlte, zu Menschen zu gehen, die von dem erschütternden Ereigniß wie von jedem anderen Unglücksfall zu schwatzen geneigt waren. Langsam ging ich die Straße zurück, an den wohlbekannten Häusern vorbei, vor denen jetzt, wie jeden Abend, die Weiber mit ihren Kindern saßen, während die Männer theils vor dem Café, theils auf den Steinen der kleinen Werft, die weit in den Platz an der Kirche hineinragt, beisammenhockten, rauchend und mit einander discurrirend. Es kam mir vor, als gehe Alles stiller und zahmer zu, als sonst, gleichsam wie wenn die Stadt noch unter dem Eindruck des furchtbaren Erlebnisses den Athem anhielte.
So kam ich, ohne einem Bekannten zu begegnen, am anderen Ende der Straße wieder hinaus und fand mich auf der Landstraße, die zu der Villa der Todten führt. Der Himmel war mit leichtem Dunst übersponnen, durch den nur schwache Sternfunken hie und da aufblitzten, und man hörte fern das bewegte Meer branden, in großen, schweren Wellenschlägen, wie vor einem Ungewitter. Aber die feuchtere Luft, die mir um die Stirne strich, that unsäglich wohl, und ich hätte, wenn ich landkundiger gewesen wäre, am liebsten meine Wanderung die halbe Nacht hindurch fortgesetzt, nur um mir die Rückkehr zu bekannten Menschen, in das dumpfe Hotel am Strande zu ersparen.
Nicht von fern dachte ich daran, den Garten oder gar das Haus wieder zu betreten, das in der vorigen Nacht der Schauplatz jener geheimnißvollen Tragödie gewesen war. Als ich aber unvermuthet, auf der anderen Seite der Straße hinwandernd, das Gitterthor drüben erblickte und dahinter das Haus und die beiden Cypressen, die heute wie zwei Grabhüter neben dem Eingang standen, blieb ich unwillkürlich stehen und konnte die Blicke nicht davon abwenden.
Das Thor stand weit offen, ja, wie mir schien, war auch die Hausthüre unverschlossen und oben alle Fenster und Jalousieen wie gestern geöffnet, nur daß heute nirgends ein Kerzenschimmer darauf deutete, daß man noch die Rückkehr der Herrin erwarte. Auch der Ziehbrunnen streckte jetzt seinen langen Arm, der damals kreischend auf und ab gegangen war, regungslos in den grauen Nachthimmel hinein. Doch an dem Fenster oben, wo ich gesessen, als mir die Mutter die lange Geschichte erzählt hatte, klapperte und rasselte eine Jalousie, die nicht mehr gehörig befestigt war, in der Zugluft, und durch die Bäume ging stoßweise ein Rauschen, als ob der Ausbruch des Sturmes nahe bevorstände.
Ich konnte nicht widerstehen, ich kreuzte die Straße und trat in den Garten. Richtig, das Haus war offen, ich hätte ungehindert hineingehen und alle Räume durchwandern können. Nirgends die Spur einer lebendigen Seele, nur der schwüle Athem der Rosen und Orangenblüten, der durch die öden Gartenwege schwebte. Ich gestehe, daß mich ein gespenstiges Grauen anwandelte.
Eben wollte ich den Rückzug antreten, als ich hinter einem Lorbeerbusche dicht neben dem einen Thorpfeiler eine dunkle Gestalt sitzen sah, wie es schien, auf der platten Erde, die Hände in den Schoß gelegt, das Haupt mit einem schwarzen Tuch umwickelt. Ob sie mich bemerkt hatte, ob sie schlief oder wachte, konnte ich nicht unterscheiden. Ich wußte aber im ersten Augenblick, wer da saß, und brachte es nicht übers Herz, stumm, wie ich gekommen war, an der Aermsten wieder vorbeizugehen.
Gute Frau, sagte ich, Ihr habt Euch da kein bequemes Quartier für die Nacht ausgesucht. Ein Gewitter wird kommen, und dann werdet Ihr im Schlaf vom Platzregen überfallen. Wollt Ihr nicht lieber –
Ins Hans gehen – wollte ich sagen, aber zur rechten Zeit fiel mir noch ein, daß man der Mutter nicht zumuthen konnte, in jenem unheimlichen Hause zu schlafen, wo solch ein Gräuel geschehen war.
Ich verstummte daher und stand eine Weile verlegen vor ihr, die bei meiner Anrede ihre Haltung nicht verändert hatte, so daß ich noch immer nicht wußte, ob sie mich sah und hörte, oder mit offenen Augen nichts mehr um sich her vernahm.
Schon überlegte ich, ob ich nicht in einem der Nachbarhäuser die Leute wecken und sie bitten sollte, sich der verlassenen alten Frau anzunehmen, als plötzlich aus der dunklen Ecke hinter dem Strauch die wohlbekannte Stimme, nur etwas heiserer und eintöniger, mich anredete:
Ich weiß sehr gut, wer Sie sind und was Sie hier suchen, lieber Herr. Aber ich bedaure, daß Sie sich vergebens hier herausbemüht haben. Um mich machen Sie sich nur keine Sorge. Denn sehen Sie, die Jungen können sterben und die Alten müssen sterben, und der Herrgott wird wissen, warum. Es ist mir nur um meine Miranda. Wenn ich die Augen geschlossen habe, wer weiß, in welche Hände sie kommt. Nu, sie ist ein kluges Thierchen, sie wird sich wohl gut verstecken. Ja, ja, lieber Herr, so lange einer noch Zähne im Munde hat, weiß er nicht, was für Nüsse er zu knacken kriegt. Ich habe gedacht, mit mir sei's nun vorbei, da ich, Gottlob, den letzten Zahn mir vorigen Herbst ausgebissen habe an einer Pfirsich. Aber wie Gott will, wie Gott will!
Ich wunderte mich, die Alte so viel und leidlich vernünftig sprechen zu hören, nach Allem, was mir heute von ihrem Zustande gesagt worden war. Um den Faden fortzuspinnen, fragte ich, ob sie irgend etwas wünsche oder bedürfe, was ich ihr besorgen könne? Es freue mich, daß sie mich wiedererkannt habe, und sie könne zuversichtlich glauben, ich nähme wie ein alter Freund an Allem Antheil, was sie inzwischen erlebt.
Darauf antwortete sie nicht sogleich. Dann hörte ich sie nach einer Weile tief aufseufzen und mit den Nägeln auf der Schale ihrer Schildkröte klappern, wie wenn ein Fieberfrost ihre Finger convulsivisch schüttelte.
Ich danke gar schön, lieber Herr, sagte sie endlich. Ich bedarf nichts, als vier Bretter, die decken Alles zu, und mein Trost ist: wenn man nicht mehr kann, schickt Gott den Tod. Ja, ja, ja, Miranda, mein braves Thierchen, es hat nicht Jeder einen so schönen festen Panzer, wie du. Aber einmal werden wir Alle gleich, und dann thut uns kein Finger mehr weh, und dem Lamm ist es gleich, ob es der Wolf frißt, oder es muß zur Schlachtbank. Ninni nanna, mein Liebling! Schlafe du nur, es ist spät, und worauf sollen wir jetzt noch warten? Niemand kommt mehr, Nichts, was uns Freude macht, nichts Schönes, Liebes und –
Sie stockte. Ich hörte, wie ihr auf einmal die Stimme brach; aber es kam nicht, wie ich gehofft hatte, zum Weinen. Es war, als wäre die alte Brust so ausgedörrt, daß sie eher noch Blut als Thränen hergegeben hätte.
Und auf einmal fuhr sie mit ihrer früheren Stimme fort:
Haben Sie auch gehört, lieber Herr, daß die alte Cesira den Verstand verloren hat? Das haben die dummen Menschen gesagt, dicht neben mir, und ich habe mich wohl gehütet, darüber zu lachen. Denn erstens, was nicht ist, kann ja noch werden mit Gottes Hülfe, und dann, wie hätte ich ihnen zeigen können, daß ich meine paar Gedanken noch besser beisammen habe, als sie alle, ohne mein Kind zu verrathen? Nein, nein, es ist gut so. Niemand braucht es zu wissen, als der liebe Gott und die alte Cesira, nicht einmal der Pater Francesco; der am wenigsten. Ist er nicht mit Schuld daran, weil er keinen besseren Rath gewußt hat? Und wenn meine letzte Stunde kommt, Niemand brauch' ich's zu beichten, Niemand. Denn wenn es eine Sünde war, meine war's nicht; wie hätte mir so was einfallen können! Aber eine Mutter zieht sich Alles zu Gemüth, was ihr Kind thut, ganz wie eine eigene Sache. O, wenn Sie wüßten, lieber Herr! Aber ich und Miranda, wir sind stumm wie ein paar alte Schildkröten.
Ich sah deutlich, daß ihr Geheimniß ihr das Herz abdrückte, und da ich selbst auf die Lösung des Räthsels im höchsten Grade gespannt war, wagte ich unbedenklich den Versuch, ihr das Herz auf die Zunge zu locken.
Arme Mutter, sagte ich, Ihr wißt nicht, was ich darum gäbe, wenn ich Euch Euer bitteres Schicksal erleichtern könnte. Ihr habt mich hier vor drei Tagen wie einen alten Freund aufgenommen, und morgen gehe ich von hier fort, weit, weit weg, und kann nicht mehr herauskommen, in Eurer Einsamkeit Euch ein gutes Wort zu sagen und ein menschliches Herz zu zeigen. Aber die Erinnerung an Eure Tochter wird mir immer nachgehen, zumal seit ich sie in der Kirche gesehen habe, wie sie daliegt in all ihrer Schönheit, und stolz wie eine schlummernde Königin. Darum kann ich es auch nicht glauben, daß sie mit einer Sünde aus der Welt gegangen sei, und wenn ich auch nicht weiß, wie das Alles gekommen ist, ich werde nie aufhören, sie für das vollkommenste Wesen unter der Sonne zu halten.
Die Alte machte plötzlich eine Bewegung, daß das Thierchen in ihrem Schoß ängstlich wurde und mit allen Gliedmaßen zu zappeln anfing. Aber gleich sank sie wieder in ihre kauernde Unbeweglichkeit zurück.
Ihr reist morgen fort, lieber Herr? Nun, wenn Ihr einmal wieder kommt, dann findet Ihr uns Beide nicht mehr hier im Garten, und nur fremde Gesichter; denn die Tochter wird doch nicht glücklich sein können, wo ihre Mutter ihren letzten Hauch gethan hat, wenn sie auch nicht weiß, daß sie selber Schuld daran ist. Und das soll sie auch nie erfahren, und darum ist die alte Cesira stumm gegen Alle, die es verrathen könnten. O lieber Herr, reist Ihr denn in ganz fremde Länder, wo man andere Sprachen spricht? Nun, dann schadete es ja Nichts, wenn Ihr es wüßtet. Einer Menschenseele möcht' ich es doch aufzuheben geben. Es ist mir sonst, als wüßt' ich irgendwo einen Schatz vergraben und müßte noch einmal aus meinem Grab aufstehen, um die Stelle wieder zu suchen. Wenn sie es aber hier in der Stadt zu wissen bekamen, am Ende dachten sie, es sei eine große Sünde gewesen, und statt meine Frau Tochter ehrenvoll zu Grabe zu bringen, verweigerten ihr die Priester den Segen und das Weihwasser über ihre Gruft. Oder sie wüßten auch wohl nicht, ob sie es überhaupt glauben sollten, und meinten, die alte, verrückte Mutter habe sich's nur so zusammengeträumt.
Und doch ist Alles wahr, wie das Wort Gottes. Wo hab' ich denn den Brief, in welchem er selbst es ihr geschrieben hat, der Lorenzino? Richtig, den haben wir ja nicht aufgehoben, den hat sie selbst noch verbrannt, nachdem sie ihn mir gezeigt hatte, wobei sie sagte: Mutter, nun ist Alles aus, und das ist der Lohn für meine lange Lieb' und Treue, und daß ich lieber eine brave Frau habe sein wollen, als eine glückliche. Und das Alles sagte sie ohne eine Thräne zu weinen, mit demselben stillen Gesicht, wie sie vorgestern Abend plötzlich bei mir eintrat und Guten Abend! sagte. Ich merkte aber auf den ersten Blick, daß was Schauderhaftes geschehen war, und wie ich ihre Hand faßte, war sie so kalt, wie meine Miranda. Kind, sagt' ich, setze dich hier zu deiner alten Mammina und laß dir was zu essen bringen. Du bist so elend und schwach, wie damals als du kamst und zuerst erfahren hattest, daß der Lorenzino dich liebt, sagt' ich. Laß nur, Mutter, sagte sie. Heut ist's schlimmer als damals, heut, sagte sie, werd' ich's wohl nicht wieder überstehen. Und da mußte ich Thür und Fenster zusperren, daß der Giannicco nicht etwa horchen könnte, und nun holte sie den Brief heraus, den hatte sie an demselbigen Morgen erst erhalten, ein paar Tage nach dem Begräbniß ihres Gemahls, und der Lorenzino hatte ihn geschrieben in irgend einer Hütte oben zwischen den Eisbergen, wo er mit der Cesira zusammengetroffen war. Es war ein schöner Brief, lieber Herr, so ehrerbietig und wohlgesetzt, daß man ihn gleich hätte können drucken lassen, aber jedes Wort ein Dolchstich in das blutende Herz meines armen Kindes. Er wußte ja noch nichts vom Tode des Herrn Marchese, die Anzeige war ihm nach Paris zugeschickt worden, als er schon weg war, um eine Reise durch das Gebirge zu machen, da oben in der Schweiz. Und da hatte er die Kleine getroffen, die er seit ein paar Jahren, seit sie in Genf war, nicht wiedergesehen hatte, und nun schrieb er: da sie – nämlich meine Lisa – ihm jede Hoffnung benommen habe, er aber ihr Bild immer noch im Herzen trage und nun ihrem Abbild begegnet sei, habe sich sein Herz ihrer Tochter zugewendet, die ihr so gliche, daß er manchmal glaubte, er sähe sie selbst; und da er das Mädchen befragt, ob sie ihm wohl gut sein könne, habe sie ihm unter Lachen und Weinen gestanden, daß sie ihn schon seit ihrer Kinderzeit im Herzen getragen habe. Er hoffe nun, daß auch sie und ihr Gemahl, obwohl er kein vornehmer Herr, sondern nur ein Künstler sei, ihm ihren Segen nicht versagen würden, und wolle die Antwort in Genf abholen, wohin er seiner jungen Geliebten, die mit ihren Kameradinnen dorthin zurückkehre, auf dem Fuße folgen werde.
Ob ich starr war, lieber Herr, wie ich mir diesen Unheilsbrief hatte vorlesen lassen, ob ich etwas Anderes zu thun wußte, als meinen alten Kopf zwischen beide Hände nehmen und alle Heiligen anrufen, das fragen Sie mich wohl nicht. Diese ganze Nacht saßen wir beiden armen Seelen beisammen, unten in meinem Stübchen, und oben in den schönen Zimmern brannten die Kerzen und blühten die Blumen, ohne daß ein Mensch daran Freude hatte. Sie sprach nicht Viel, aber ich sah, daß es in ihr zuckte und brannte, wie ein Kohlenhaufen unter der Asche. Und einmal sagte sie: Kann das der Himmel verlangen, daß man sein Liebstes, um das man sich zehn Jahre gehärmt hat, hergiebt, sobald ein Andrer die Hand danach ausstreckt? Und wenn das die eigene Tochter thut, ist's darum anders? Hat sie nicht noch ein langes Leben vor sich und kann noch viel Glück finden? Muß sie ihrer Mutter gerade das Einzige nehmen, was der noch übrig geblieben ist? – Und dann stellte sie sich vor den kleinen Spiegel und nahm einen Leuchter in jede Hand und beschaute sich eine ganze Weile. Meinst du nicht auch, Mutter, sagte sie, daß ich's mit so einem jungen Lärvchen noch aufnehmen könnte, wenn ich nur wollte? Was hat sie ihm zu bieten, als ein ganz unerfahrenes Herz? O und ich, sagte sie, alle die aufgesparten Schätze – ich wollte ihn damit überschütten, ihn reich machen, wie kein König auf der weiten Welt! Meinst du nicht auch, Mutter? Wenn ich nur wollte –! – Kind, sagt' ich, du hast das Vorrecht, du bist die Mutter, du mußt ihn wählen lassen, und wenn er Augen im Kopfe hat, sagt' ich –
Aber sie ließ mich nicht ausreden. Das verstehst du nicht, Mutter, sagte sie, immer noch vor dem Spiegel. Eben weil ich die Mutter bin von so einem großen Kinde – und da ist auch die graue Strähne, sagte sie, an der ist Er freilich Schuld, aber was kümmert das die Männer, ob wir um sie alt und häßlich werden? O und mit meinem eigenen Fleisch und Blut mich zanken – um einen Mann – pfui! ich könnte mir selbst nie wieder in die Augen sehen!
Zuletzt rieth ich ihr: frage den guten Pater Francesco! nur um sie zu beruhigen. Denn mir ahnte wohl, daß es zu Nichts helfen würde. Und sie nickte dazu, und so brachte ich sie endlich dahin, da schon die Hähne krähten, daß sie sich auf mein Bett streckte, und ich blieb im Lehnstuhl am Fenster sitzen, aber weder ich noch mein Kind fand nur eine Viertelstunde Schlaf.
Am Morgen ging sie dann wirklich zum Kloster hinauf, aber wie sie wieder zurückkam, sah ich schon von Weitem an ihrer Geberde, daß es zu Nichts geholfen hatte. Geduld hatte er ihr angerathen und Ergebung, und sie möchte der Welt entsagen und den Schleier nehmen. O lieber Herr, diese Frati! Weil sie's selbst nicht besser haben, gönnen sie's jedem Menschenkinde, auch einmal zu fühlen, wie's ihnen in ihrer Haut zu Muth ist. Und das Kraut Geduld wächst nicht in jedem Garten, und wie sie davon sprach, daß sie es erleben sollte, die Cesira mit ihrem Lorenzino an das Sprachgitter ihres Klosters kommen zu sehen, – Mutter, sagte sie, ich wäre im Stande, wie eine gefangene Pantherin das Gitter zu zerbrechen und auf die beiden Glücklichen zu stürzen: gebt mir heraus, was ihr mir gestohlen habt, mein Herz, mein Leben, meine irdische Seligkeit!
Damals sah ich sie zum ersten Male weinen, ob vor rabbia oder vor Gram, weiß ich nicht, aber die Thränen erleichterten sie, und von da an war sie völlig ruhig, sprach aber von der ganzen Sache nicht mehr, wie von dem Donnerwetter vom vorigen Jahr. Sie aß ein wenig, und wir scherzten sogar zusammen, daß sie mehr Wein trank als gewöhnlich. Darin muß ich mich nun üben, sagte sie; die Klosterfrauen haben auch kein anderes Vergnügen, als ein Glas guten Wein. Und Nachmittags schrieb sie einen kurzen, aber sehr freundlichen Brief an Herrn Lorenzino nach Genf, worin sie ihm ihren Segen schickte und tausend Grüße an seine junge Braut auftrug, der sie selbst schreiben würde, wenn sie nicht dächte, die Nachricht vom Tode des Vaters sei jetzt schon in ihren Händen und sie selbst unterwegs nach Genua.
Und diesen Brief las sie mir noch vor und fragte mich, ob sie sich auch mit keinem Wort darin verrathen hätte. Und dann küßte sie mich und ließ mich geloben, daß auch ich dem Lorenzino und meinem Enkelkind nie eine Silbe von alledem sagen wollte. Wie ich ihr das fest versprochen, schickte sie mich hinunter, ich sollte ein paar Stunden Siesta halten, sie selbst wolle schlafen.
Ich ging aber erst in den Garten nach dem Ziehbrunnen, meine Miranda zu holen, denn die Hände brannten mir nicht wenig. Und nun weiß ich nicht, wie es kam, daß ich da hinter der großen Myrtenhecke mich hinsetzte und vor Kummer und Mattigkeit fest einschlief. Aber auf einmal weckt mich eine Stimme, das war die Stimme meiner Lisa, die ging mit ihrem schwarzen Sonnenschirm durch den Myrtenweg und sprach mit dem Giannicco, und Keines hatte eine Ahnung, daß ich hinter der Hecke saß. Was sie schon Alles geredet haben mochten, wüßt' ich nicht, ich hörte nur noch, wie meine Frau Tochter sagte: Ich weiß, Giannicco, wie lange und treu du mich geliebt hast, und daß ich keinen Menschen auf der Welt habe, der Mehr für mich zu thun Willens wäre. Wenn du mir nun diesen Liebesdienst versagst, den ich von keinem Anderen gefordert haben würde, werde ich glauben müssen, nun sei die letzte Liebe und Treue aus der Welt verschwunden, und selbst die himmlische Barmherzigkeit Gottes eine armselige Lüge. – Und dann entfernten sie sich wieder, und erst nach einer Weile, wie sie wieder den Gang herauf zu mir zurückkamen, mein Kind immer noch bemüht, ihn zu überreden zu Etwas, das ich damals nicht begriff, da hörte ich den Burschen, den Giannicco, plötzlich sagen: Nun denn, und wenn es mich die ewige Seligkeit kosten sollte, ich will es thun, Frau Lisa, aber Ihr müßt mir meinen Lohn vorauszahlen. Erlaubt mir, daß ich nur ein einziges Mal den einen Arm, den ich noch habe, um Euch schlingen und Euch ein einziges Mal auf den Mund küssen darf. Dann soll es mir gleich sein, was man auf Erden und im Himmel von mir denkt oder mit mir anfängt.
Darauf sprach meine Tochter nichts, aber nach einer kleinen Weile hörte ich den Giannicco sagen: Ich danke Euch, Madonna. Nun ist Giannicco Nichts als ein Stück von Euch, und Ihr mögt mit ihm thun, wie Euch beliebt.
Ich grübelte, wie sie nun wieder gegangen waren, meine Frau Tochter ins Haus und der Krüppel an seine Arbeit, noch eine Zeitlang über dieser wunderlichen Geschichte, kam aber dem Wahren nicht auf die Spur, und ich weiß nicht, warum ich mich schämte, mein Kind geradewegs zu befragen, was das zu bedeuten habe. Werden Sie's glauben, lieber Herr, daß ich nicht eine Ahnung hatte, was sie sich mit diesem einzigen Kuß erkaufen wollte? Erst am Morgen, wie ich sie in ihrem Bette fand, blaß wie eine Lilie, und der Giannicco war verschwunden, – und nun lief das Volk zusammen, und die dummen Menschen schrieen: Er hat sie aus Wuth wegen verschmähter Liebe umgebracht! – und Andere, die noch einfältiger waren: Er hat sie beraubt! – Der! Giannicco! O und ich, die ich mir auf die Lippen beißen mußte, daß sie zuletzt sich in die Ohren raunten: sie hat den Verstand verloren!
Und ich hab' ihn auch verloren, lieber Herr! Ich kann unsern Herrgott nicht verstehen, und warum er das Alles zugelassen hat, und vielleicht finde ich meinen Verstand wieder, da oben, wo ich nun bald hinkommen werde. Glauben Sie, daß auch unvernünftige Geschöpfe in den Himmel kommen? Ich möchte die arme Miranda gern droben wiedersehen.
*
Ich mußte ihr die Antwort schuldig bleiben. Die ersten großen Tropfen des Ungewitters schossen in den Staub herab. Wenn ich nicht hier im Hause die Nacht zubringen wollte, mußte ich auf eilige Flucht bedacht sein. Nur die Hand konnte ich der Alten hastig drücken und ihr einschärfen, ein Obdach zu suchen. Dann stürmte mich der näher und näher heranbrausende Orkan die Straße hinab, wenig geschützt durch die Mauern der kleinen Gehöfte, so daß ich das Albergo d'Europa mitten im furchtbarsten Regenguß erreichte.
Am andern Morgen, als ich bei ganz reinem Himmel auf der Bahn nach Genua fuhr, hielt in Chiavari der Zug, um einen entgegenkommenden vorbeizulassen. Ein paar Augenblicke standen die beiden Wagenreihen nebeneinander still. Ich musterte drüben die Gesichter hinter den kleinen Fenstern, an denen der Sonne wegen meist die Vorhänge herabgelassen waren. In einem Coupe der ersten Klasse schob eine kleine Hand die seidene Gardine beiseit, und ein schönes Mädchengesicht wurde einen Augenblick sichtbar, in Trauer, aber, wie es mir schien, ohne tieferen Schmerz in den Zügen. Ich erkannte sofort die Tochter, die zu ihrer Mutter eilte, nicht ahnend, wo sie sie finden sollte. Es war in der That ein Abbild, das dem Urbild gefährlich werden konnte. Und doch – für mich wenigstens, der ich eingeweiht war, stand es fest: die Mutter würde gesiegt haben, sobald sie nur gewollt hätte!
*
Buchdruckerei von Gustav Schade (Otto Francke) in Berlin.