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(1898)
Es war einmal in uralter Zeit ein mächtiger Seekönig, Klas Eisenzahn genannt, da man von ihm sagte, er könne eine Kokosnuß, die man sonst nur mit der Axt zu öffnen vermag, mit den Zähnen aufbeißen. Dessen Schloß stand auf der hohen Düne an einer Nordseebucht, in der in friedlicher Zeit seine Drachenschiffe vor Anker lagen. Oft aber fuhr er auf ihnen weit in die See hinaus, sei es um wehrlose Kauffahrer zu überfallen und ihrer Waaren zu berauben, sei es in Fehde mit Nachbarkönigen, die ihm den Zins weigerten. Denn er war ein gewaltiger Kämpe und duldete nicht, daß auf viele hundert Meilen ein Fürst größer und reicher war als er. Dazu übte er aufs Grausamste das Strandrecht an elenden Schiffbrüchigen, und obwohl seine Unterthanen arme Schiffer waren, deren hölzerne Häuser das Königsschloß so nieder und unscheinbar umstanden, wie Haselbüsche im Wald den Stamm einer hundertjährigen Eiche, gönnte er ihnen doch keinen Antheil an der Beute, die zu gewinnen sie ihre Haut zu Markte tragen mußten, und bestrafte mit dem Abhauen der rechten Hand und dem Tode am Galgen Jeden, der sich aus den Trümmern eines gescheiterten Schiffes etwa nur ein Tönnchen mit Wein oder einen angeschwemmten Beutel mit Kupfergeld angeeignet hatte.
Dieser gewaltthätige Herr hatte eine sanfte, schüchterne Frau besessen, die ihm niemals Grund zur Klage gab, da sie sich jeder seiner herrischen Launen demüthig unterwarf. Gleichwohl ging das Gerücht, ihren frühen Tod habe der Jähzorn ihres Gemahls verschuldet, der im Rausch die Hand gegen die zarte Wehrlose erhoben, weil sie ihm einmal ein Fischgericht nicht nach seinem Geschmack bereitet hatte. Das hatte seinen wilden Sinn noch mehr verdüstert, und Niemand konnte sich rühmen, um seinen breiten Mund jemals den Schimmer eines Lächelns hervorgelockt zu haben, als seine einzige Tochter, Prinzessin Stina, die in Allem das Widerspiel des Vaters war, doch auch der allzu gefügigen Mutter nicht nachartete. Denn sie hatte nur deren reiches goldenes Haar und die meerblauen Augen geerbt und die schlanke, biegsame Gestalt. Auf dieser aber saß ein eigener und eigensinniger Mädchenkopf, der nur dann seinen Willen nicht durchsetzte, wenn er mit dem Eisenkopf des Vaters zusammenstieß. Da sie aber in dem finsteren Schlosse einsam aufwuchs und viele Zeit hatte, sich über das Leben und die Menschen Gedanken zu machen, auch das klägliche Schicksal ihrer Mutter ihr gegenwärtig blieb, wurde sie früh klug genug, die Sturmzeichen, die auf der Stirn des Vaters standen, zu erkennen, wie ein erfahrener Schiffer aus offener See die Schrift am Himmel zu deuten versteht, um Beide dann dem Ausbruch des Unwetters beizeiten auszuweichen.
Nun war es an einem warmen Sommersonntag, daß die junge Königstochter Lust bekommen hatte, in der See zu baden, in einer kleinen Bucht, die tief zwischen schroffe Uferfelsen hineintrat. Auch war zum Ueberfluß oben am Strande in weitem Umkreise ein Seil gespannt, damit kein neugieriger Späher bei Todesstrafe den eingefriedigten Bezirk betreten sollte und nur die Möwen zuschauen konnten, wenn die Prinzessin ihren weißen jungen Leib in der hochaufspritzenden Brandung kühlte.
Nachdem sie dieses vergnüglichen Spiels eine Stunde lang sich erfreut hatte, ließ sie sich von ihrer alten Magd wieder ankleiden, und nur das goldene Haar, das ihr weit über den Rücken hinabfloß, frei im Winde spielen, damit die Mittagssonne es trockne. So schritt sie langsam, hoch aufathmend in der würzigen Seeluft, unten am Strande dahin, mit den kleinen weißen Füßen unbeschuht auf den reinen, warmdurchsonnten Ufersand tretend, die goldenen Schühlein in der Hand, in dem wonnigen Nachgefühl der eben genossenen Erquickung. Zuweilen blieb sie einen Augenblick stehen, eine seltsame Muschel zu betrachten, die die Flut ans Land gespült hatte, oder eine der perlmutterfarbenen durchsichtigen Quallen, die mühsam athmend von der Ebbe zurückgelassen waren und sich wieder in ihr Element heimsehnten. Dies Alles aber war ihr zu bekannt, um lange dabei zu verweilen.
Als sie aber die äußersten Hütten des Schifferdorfs erreicht hatte, fiel ihr etwas ins Auge, das ihren Schritt hemmte, da es sich gar absonderlich ausnahm. Die Düne lag um diese Zeit, wo alle Leute bei Tische saßen und ihr dürftiges Mahl verzehrten, völlig still und menschenleer, da des Sonntags wegen auch alle Boote auf den Strand gezogen waren und selbst die Kinder und Hunde sich beflissen, den Feiertag zu heiligen. Vor der niedersten Hütte aber, aus deren Schornstein ein fadendünner Rauch in die stahlklare Luft hinaufwirbelte, saß ein junger Mensch, der nicht über zwanzig Jahre sein mochte, in einem reingewaschenen, aber vielgeflickten Anzug, weiten leinenen Schifferhosen, einem groben Hemde, das vorn offen die breite gebräunte Brust freiließ, eine blaue Jacke aus dickem Fries leicht über die Schulter geworfen. Er hatte den Kopf gesenkt und betrachtete mit sinnenden Augen eine Perlenschnur in seiner Hand, deren große Kugeln, in zartem Irisglanz spielend, er langsam an ihrer Schnur auf und ab rollen ließ. Um sein Bänkchen her hatte sich eine wunderliche Gesellschaft versammelt, gleich ihm in den Anblick des kostbaren Geschmeides vertieft: ein großer, häßlicher Hund, der seine struppigen Tatzen auf das Knie des Jünglings gelegt hatte, die Perlenschnur beroch und, enttäuscht den schweren Kopf schüttelnd, ihn dann zwischen die Tatzen legte; ein Kätzchen, das auf dem andern Knie saß und mit dem rothen Züngelchen die Perlen beleckte, sich aber prustend abwandte, da es sie nicht genießbar fand; endlich ein alter Rabe, der dem Jüngling auf der Schulter saß und gleichfalls seine Enttäuschung zu erkennen gab, da er vergebens daran gepickt hatte.
Diese sichtbare Verstimmung seines Hausgesindes schien den jungen Schiffer zu belustigen. Er hielt dem Raben die Perlenschnur dicht vor den Schnabel, schüttelte die Kügelchen dem Hunde spielend auf den groben Kopf und ließ sie dem Kätzchen über das weiche Fell gleiten. Unter diesen Neckereien blickte er erst auf, als die Prinzessin dicht vor ihm stand. Da stieg ihm eine dunkle Röthe ins Gesicht, er warf die dichte Mähne blonder Haare, die ihm über die Stirn gefallen war, hastig zurück, zog das Hemd über der Brust zusammen und fuhr mit einem so raschen Ruck von der Bank in die Höhe, daß Hund und Katze erschrocken zurückschnellten, der Rabe aber mit einem vorwurfsvollen heiseren Krächzen aufflatterte und sich auf das Schindeldach der Hütte zurückzog.
Von Prinzeß Stina's Lippen war ein kleines silbernes Lachen erklungen, sogleich aber wurde sie wieder ernsthaft, als sie sah, wie unbehülflich der schöne große Junge ihr gegenüberstand.
Es thut mir leid, daß ich dich aufgeschreckt habe, sagte sie freundlich. Ich bin die Prinzessin Stina. Und wer bist du?
Ich heiße Niels, erwiderte er mit stockender Stimme. Er kannte die Prinzessin wohl, doch hatte er sie immer nur aus der Ferne gesehen und hätte sich nie getraut, sie anzureden. Sie aber sah ihn zum ersten Mal, und er gefiel ihr gut mit seinem offenen, treuherzigen Gesicht, den dunkelgrauen Augen und rothen Lippen. Er wäre ihr auch sonst wohl aufgefallen unter seinen gröberen Kameraden. Ihr Vater aber hatte ihr verboten, sich mit dem Schiffervolk gemein zu machen, ja selbst mit den Mädchen durfte sie sich in kein Geplauder einlassen.
Sie schickte daher einen raschen Blick hinaus nach dem Königsschloß. Da sie aber sah, daß es noch zu weit entfernt war, um von dort aus gesehen zu werden, warf sie den kleinen Kopf in den Nacken, wie um ihren Willen anzudeuten, einmal nach diesem ihrem Kopfe zu handeln, und sagte mit einem gnädigen Lächeln: Da hast da eine wundervolle Perlenschnur, Niels. Wie bist du dazu gekommen?
Ich habe sie aus dem Meer gefischt, Prinzessin, antwortete Niels, so sehr in den Anblick des reizenden jungen Gesichts vertieft, daß ihm nichts Besseres einfiel und er das Halsband recht tölpelhaft vor sich hinhielt.
Laß sie mich einmal näher betrachten, Niels! Nein, wie groß und vollkommen rund die Perlen sind, eine wie die andere! Dergleichen hat mein Vater nicht in seinem Schatz. Viele tausend Thaler mag das Kleinod werth sein.
Er reichte es ihr hin, mit einer so gleichgültigen Geberde, als ob er ihr nur einen Apfel böte. Wenn du Gefallen daran findest, so nimm sie, sagte er. Ich kann doch nichts damit anfangen.
Sie hatte den Schmuck in ihre schlanken Fingerchen genommen und lachte über das ganze Gesicht, während sie die Perlen hin und her drehte, um sie in der Sonne blinken zu lassen. Wie schön! sagte sie, ganz hingerissen. Aber geschenkt kann ich sie nicht nehmen. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, dies aber ist ein gar zu großes, und wir Zwei sind noch nicht einmal Freunde.
*
Drinnen in der Hütte hörten sie jetzt eine Weiberstimme rufen: Wo bleibst du, Niels? Das Essen ist fertig.
Er rührte sich aber nicht.
Du mußt hinein, Niels, sagte die Prinzessin. Ist das deine Frau, die dich gerufen hat?
Meine Mutter. Ich habe noch keine Frau.
Indem wurde die Thür der Hütte ausgerissen, und eine kleine alte Frau mit einem vielgefurchten Gesicht unter den silbernen Haaren erschien auf der Schwelle. Sie hatte schon den welken Mund zu einer Scheltrede geöffnet. Als sie aber die Prinzessin erblickte, that sie die Augen groß auf, machte einen unbeholfenen schiefen Knix und rief: Die gnädigste Prinzeß! Nein, die Ehre! Hält sie sich nicht zu vornehm, mit einem armen Schifferjungen zu reden, der noch dazu so ein Tölpel ist, ihr nicht einmal einen Sitz anzubieten? Dann, die Perlenschnur in der Hand des Königskindes erblickend: Ah, fuhr sie fort, du hast ihr den Schmuck gezeigt, Niels, und sie hat Lust bekommen, ihn zu kaufen. Ja, schöne Prinzessin, so was ist nur für Euresgleichen. Die Perlen sind so groß und kostbar, nur ein König kann seinem Töchterchen einen solchen Schmuck umhängen.
Ich habe der Prinzessin die Schnur geschenkt, sagte Niels.
Die Alte fuhr zurück und starrte den Sohn an, ob er etwa plötzlich den Verstand verloren hätte.
Geschenkt? stammelte sie. Einen Schatz, der uns für immer aus aller Noth helfen könnte? Bist du denn ganz von Sinnen, Niels? O ich ärmstes Weib! Mit einem solchen Sohn geschlagen zu sein!
Seid nur ruhig, Frau, sagte die Prinzeß. Ich habe ihm schon erklärt, ich nehme kein so großes Geschenk, ich werde meinen Vater bitten, mir die Perlen zu kaufen.
Nein, murrte Niels heftig, ich nehme nichts dafür! Was ich einmal verschenkt habe, lasse ich mir nicht bezahlen.
Damit wandte er sich der Thüre zu, und um alles Weitere abzuschneiden, trat er in die Hütte hinein und verschwand drinnen in dem dunklen Herdraum.
Die Alte sah ihm mit kummervollem Kopfschütteln nach. Da siehst du, Prinzessin, wie er ist. Sage selbst, ob ich über einen so ungerathenen Sohn mich nicht schämen und grämen soll. Aber freilich, er kann nichts dafür, daß nicht mehr Vernunft unter seinem dicken Haarschopf wohnt, es ist ihm eben schon in der Wiege angethan, und das bringt nun kein Bitten und Schelten aus ihm heraus.
Die Prinzessin sah sie fragend an. Wie meinst du das, Frau?
Ja, schon in der Wiege, fuhr die Alte eifrig fort. Denn du mußt wissen, er ist mein siebentes Kind, das einzige, das mir noch übrig geblieben ist – die andern sechs sind alle todt, theils im Meer ertrunken, theils in den Kämpfen unter deinem Herrn Vater umgekommen. Als aber mein Niels auf die Welt kam, waren sie alle noch zu Hause, und ich wußte nicht jeden Tag, wie ich sie sattmachen sollte, die gefräßigen jungen Seehunde. Darum war die Freude nicht groß über den siebenten, obwohl er von seinen Brüdern schon als ganz kleine Krabbe der schönste war. Sein Vater aber, was mein Mann war, hätte ihn am liebsten mit in die See genommen und den Fischen vorgeworfen. Denn wir waren blutarm und hatten nicht einmal einen Pathen zu dem Neugeborenen. Also sitz' ich vor der Hütte in schweren Gedanken, und neben mir in der Wiege schläft der arme Wurm; und ich flickte gerade an einem Netz, da seh' ich Jens mit einer schönen, vornehmen Dame daherkommen, gerade auf mich zu, und mir schwante gleich etwas ganz Absonderliches, denn so etwas Herrliches, wie diese Fremde, hatte ich noch nie gesehen. Ein langes, lustiges Kleid hatte sie an, mit silbernen Blumen gestickt, und einen blauen Schleier, der ihr hinten über den Rücken wehte, und ein Gesicht – du bist doch gewiß schön, Prinzessin, aber sie war weit schöner, so daß ich gleich merken konnte, sie war gar kein Menschenkind, sondern was Uebermenschliches, eine der Feeen, von denen man erzählt, die man aber nie zu sehen bekommt, da sie weiter ins Land hinein wohnen, wo es Wälder und Wiesen giebt, sie aber getrauen sich nie ans Meer hinaus. Und richtig, so Eine war sie, und denk, es hatte sie die Neugier angewandelt, auch einmal das viele Wasser zu sehen, und um ein Haar hätte sie es hart büßen müssen. Denn sie hatte der Lust nicht widerstehen können, sich ins Wasser zu tauchen, da es gerade ein heißer Tag war, hatte ihr Gewand und den Schleier abgeworfen und war in die Brandung hineingestiegen. Das war eben an der Stelle, wo auch du zu baden pflegst, und damals war noch kein Tau um die Bucht gespannt, Unberufene abzuhalten.
Da war ein junger Schiffer dazugekommen, der hatte das fremde Wesen unten im Wasser plätschern und ihr Kleid auf den Klippen liegen sehen und war so tückisch gewesen, nach dem kostbaren Gewand zu greifen und ihr zu drohen, er werde den Raub nur gegen schweres Lösegeld wieder herausgeben. Die Fee aber hat keine Macht, wenn sie ihren Schleier nicht auf dem Haupte trägt, also daß sie sich verzweifelt in der Gewalt des frechen Burschen sah und kläglich um Hülfe zu schreien anfing. Zum Glück kam da Jens eben des Weges, hörte die Klage des armen Feeenfräuleins und jagte dem Räuber seine Beute wieder ab. Er dachte an keinen Lohn, sondern entfernte sich stillschweigend, nachdem er das Gewand wieder hingelegt hatte. Die Fee aber holte ihn ein und sagte, wer sie sei und daß sie ihm ihre Rettung schulde, und er mochte sich irgend eine Gunst von ihr ausbitten.
Erst weigerte er sich hartnäckig, bis ihm einfiel, daß sein kleiner Sohn noch keinen Pathen habe, und da die schöne Ueberirdische sogleich willens war, uns diesen Dienst zu leisten, folgte sie ihm zu unserem Hause, wo wir dann den Kleinen in die beste Windel wickelten und zur Taufe trugen. Jens hatte mir Alles erzählt, so war ich voller Freuden und dachte, eine so mächtige Pathin werde dem Täufling etwas sehr Kostbares ins Taufkissen stecken. Aber ich hatte mich schwer getäuscht. Nichts Anderes that sie, als daß sie das Jüngelchen auf den Arm nahm, es auf die großen Augen küßte und dann, da das Kind mit beiden Fäustchen nach ihrem blanken Schleier griff, ihn lachend aus seinen Fingerchen losmachte. Darauf ergriff sie die kleine rechte Hand und sagte: Diese Hand soll immer offen sein und keine Gabe versagen können. Und dann strich sie über das linke Händchen: Und diese Hand, sagte sie, soll nicht wissen, was die andere Hand thut. So, nun habe ich eurem lieben Kinde ein Glücksloos eingebunden, das mehr werth ist, als wenn ich ihm Gold und Edelsteine in die Wiege gelegt hätte. Und nun mögen es alle guten Christen behüten und zur Freude seiner Eltern aufwachsen lassen!
Und dann war sie verschwunden.
*
Die Prinzessin hatte sich während dieser Erzählung auf das Bänkchen neben der Thür gesetzt. Sie hielt die Perlenschnur immer noch in der Hand, doch ohne darauf zu blicken, da sie gespannt und ganz heiß vor Aufmerksamkeit der Alten zuhörte. Ihre Magd stand ein paar Schritt abseits, so daß sie nicht alle Worte verstand. Der Hund und das Kätzchen aber hatten sich wieder herangemacht, und nur der Rabe schien dem Landfrieden nicht zu trauen, sondern schlug aus dem Dachfirst zuweilen mit den struppigen Flügeln und krächzte, wie wenn er sehr ungehalten darüber wäre, daß das Königskind seinen Herrn von der Bank verdrängt hatte.
Und wie ging es dann weiter? fragte die Prinzessin, während die Alte ihre Augen trocknete, die bei der Erinnerung an die getäuschte Hoffnung übergegangen waren.
O Prinzessin, rief sie, schlecht genug ist's gegangen, ja schlimmer, als wir uns damals träumen ließen. Denn während seine Brüder schon ganz jung wacker mithalfen, etwas zu verdienen, hat der unnütze Wicht uns nur immer auf der Schüssel gelegen, und das tüchtig, da er von Allen der stärkste und größte wurde. Nicht daß er zum Arbeiten zu faul gewesen wäre, vielmehr zeigte er sich anstellig und gutwillig zu Allem, wozu sein Vater ihn brauchen wollte. Aber da ihn die tückische Pathin verhext hatte, war kein Segen dabei; denn was er verdiente, hielt er mit keiner Hand fest, sondern verschenkte und verschleuderte Alles an jeden Ersten Besten, der sich seine dumme Gutherzigkeit zu Nutze machte. So lange mein Jens und unsere anderen Jungen noch lebten, konnt' ich mich darüber trösten, daß ich an diesem jüngsten keine Freude erlebte und man ihm den Spitznamen aufgebracht hatte: Niels mit der offenen Hand. Denn wir hatten das mit dem Pathengeschenk der geizigen Fee nicht geheim gehalten. Wie ich nun aber Wittwe geworden war und hatte von meinen Sieben nur den Einen, den Nichtsnutz, übrig behalten, da sah ich, wie ich mit ihm gestraft war, statt daß ich an ihm einen Versorger gehabt hätte. Denn er rührt sich freilich bei Tag und Nacht, wo's eine Arbeit giebt, und ist der geschickteste Fischer weit herum. Aber wenn er mit einem schweren Netz von seinem Fang zurückkehrt – im Umsehen ist ihm die ganze Beute durch die Finger geglitten. Zuerst schon auf der See. Denn sogar die Möwen kennen ihn und wissen, daß er ihr Schreien und Betteln um sein Boot nicht hören kann, ohne ihnen ein paar Fische hinzuwerfen. Und dann am Strande, wenn er eben gelandet ist, stehen schon in Haufen die armen Leute und zerlumpten Kinder und brauchen nur die Hand auszustrecken, so haben sie ihren Theil weg von seinem Fang. Dabei ist er immer noch ein so guter Sohn, daß er ein Weniges zurückbehält, um mich nicht Hunger leiden zu lassen, wenn auch für ihn nichts übrig bleibt, so daß ich mich oft wundere, wie er sich nähren mag, um doch immer gesund und stark zu bleiben. Daran aber denkt er nicht, daß wir aus unserer Armuth uns heraufreißen könnten, wenn er seine Fische zur Stadt trüge und auf dem Markt verkaufte, statt sie an Tagediebe und Lumpengesindel zu verschenken. Sieh nur das Dach unsrer Hütte an, wie viel Löcher es hat, und die Wand dort wird nächstens zusammenbrechen. Aber wir haben's nicht dazu, den Dachdecker und Maurer zu bezahlen, und was Niels daran flickt, reißt bald wieder ein. Du hast ihn gesehen, Prinzessin, in seinem schlechten Anzug, obwohl Sonntag ist. Aber wie soll er anständiger einhergehen, da er überhaupt keine anderen Kleider hat, als die er auf dem Leibe trägt, und mit denen er in Wind und Wetter aufs Meer hinausfährt? Wenn sein Hemd gewaschen oder seine Hofe geflickt werden muß, legt er sich zu Bette und wartet, bis ich Alles nothdürftig zu Stande gebracht habe. O du mein Heiland, welch ein Kreuz hast du mir armem Weibe mit diesem Sohne aufgeladen!
Sie weinte still vor sich hin, daß es die Prinzessin recht erbarmte, aber sie wußte ihr keinen besseren Trost, als daß sie sagte: Er ist noch jung, und Verstand kommt nicht vor Jahren.
Die Alte aber schüttelte heftig den Kopf.
Nein, Prinzessin, dazu ist keine Hoffnung. Ja, wenn er nicht von der Fee verwunschen worden wäre! So aber ist es ihm schon als kleinem Balg ins Blut gegangen. Selbst den Thieren, wenn sie ihn anbetteln, kann er nichts abschlagen. Wie oft hat er seinen letzten Bissen mit dem Hunde Thor und dem Kätzchen Mimir getheilt oder dem Raben Hugin einen gebratenen Fisch in den Schnabel gesteckt. Und einmal betraf ich ihn sogar, wie er die Mäuse fütterte, die unter dem Herde pfiffen, und lachte, als ich ihn ausschalt, daß er solche Diebe uns noch recht ins Haus gewöhnen wollte: sie seien gar zu lustige Narren und hätten so gut Hunger, wie andere Geschöpfe. Nein, er wird sich nie bessern. Hat er nicht eben erst eine so himmelschreiende Thorheit begangen, da er das kostbare Geschmeide an dich wegschenkte, die du ja sonst schon schöne Sachen in Fülle hast? Als er gestern Abend die Perlen von seiner Fahrt mit nach Hause brachte, war ich in heller Freude und sagte ihm: dafür giebt uns der Händler in der Stadt einen Haufen Geld, und wir können uns endlich ein bischen regen. Ich kaufe dir einen neuen Anzug und mir einen Mantel, denn mein alter ist nachgerade nur noch ein mürber Fetzen. Ich wollte auch die Schnur in Verwahrung nehmen, da ich ihm nicht traute, er aber sagte: Laß sie mir nur noch, Mutter! Ich freue mich so an dem Glanz. Und so war ich einfältig genug, sie ihm zu lassen, denn ich fürchtete nicht, er möchte das königliche Geschmeide an Schifferkinder oder Bettelweiber verschenken. Dir, Prinzessin, hätt' ich es wohl gegönnt, dein Vater hätte es nach seinem Werthe bezahlt. Daß er aber nichts dafür nehmen will, weil er es dir einmal freiwillig verehrt hat –
Sei unbesorgt, Frau, fiel ihr die Prinzessin ins Wort. Ich habe ihm schon gesagt, ich nehme so etwas Kostbares nicht geschenkt. Nun will ich es nur gleich dem Könige, meinem Vater, zeigen und schicke dir das Geld dafür, du magst es für euch verwenden, wenn Niels nichts davon hören will.
Damit winkte sie ihrer Magd, warf noch einen Blick in die Hütte, ob Niels nicht wieder zum Vorschein käme, und ging, der Schiffersfrau gnädig zunickend, auf ihren bloßen Füßchen hinweg dem Königsschlosse zu.
*
Es war aber noch keine Stunde vergangen, die Mutter hatte die Schüsseln, aus der sie ihr dürftiges Mahl eingenommen, soeben abgespült und das Herdfeuer gelöscht, Niels lag lang ausgestreckt auf der Bank in halbem Traum, durch den das Goldhaar und die blanken Füßchen einer schlanken jungen Schönheit schimmerten, da kam vom Schlosse daher ein finster blickender Mann mit einem breiten Schwert im Gurt und einem großen Spieß in der Hand, fragte nach dem Schiffer Niels und sagte, er habe selbigen vor das Angesicht des Königs zu führen.
Die Mutter, die nicht anders dachte, als ihr Sohn werde bei Hofe besonders geehrt und mit einem schweren Beutel voll Gold entlassen werden, wurde ganz roth vor Freuden, kämmte ihrem Niels erst noch das Haar und strich ihm die Falten aus der Jacke. Dann sah sie ihm, der wie in einem Traum dem Abgesandten folgte, so lange nach, als ihre Augen ihn erreichen konnten. Endlich einmal, dachte sie, wird er mit voller Hand zu mir zurückkehren, und daß er sie nicht gleich wieder aufthut, dafür will ich schon sorgen.
Auch Niels, obwohl Vorausdenken sonst nicht seine Sache war, verhoffte sich einen freundlichen Empfang und war nicht wenig bestürzt, als er, vor den König geführt, der in einer großen düsteren Halle beim Becher saß, dessen strafenden Blick auf sich gerichtet sah. Neben dem grimmigen Vater saß freilich seine Tochter, die jetzt ihr Haar geflochten und wie ein goldenes Diadem um den feinen Kopf geschlungen, auch ihre Füße wieder beschuht hatte, übrigens aber mit einem halb schmollenden, halb bekümmerten Gesicht vor sich hinsah, als ob sie dem Jüngling nie im Leben begegnet wäre.
Der König musterte ihn erst vom Kopf bis zu den Füßen und sagte dann mit einer rauhen Stimme und etlichem Knirschen seiner starken Zähne: Du hast der Prinzessin eine kostbare Perlenschnur geschenkt. Wie bist du in ihren Besitz gekommen? Daß du sie, wie du sagst, aus dem Meere gefischt hättest, klingt wie ein erlogenes Märchen. Wahrscheinlich hat die Flut sie von einem gescheiterten Schiff an den Strand gespült, wo du sie gefunden hast. Weißt du nicht, welche Strafe darauf steht, wenn Jemand sich Strandgut aneignet, statt es dem Könige auszuliefern?
Herr König, sagte Niels, indem er die Augen furchtlos erhob, obwohl die Anklage ihm das Blut in die Wangen trieb, es verhält sich nicht so, wie du mir Schuld giebst. Die ganze Wahrheit aber habe ich freilich auch der Prinzessin Stina nicht gesagt, weil sie nicht weiter darnach fragte. Nun aber will ich dir nichts verhehlen. Du wirst dich entsinnen, daß vor zwei Nächten ein gewaltiger Sturm an unserer Küste getobt hat. Wie ich aber am anderen Morgen mit meinem Boot hinausfuhr, um nach den Netzen zu sehen, die ich Tags zuvor gelegt hatte, war das Wasser glatt wie meine Hand, die Luft so still, daß ich das Segel reffen und mich in die Riemen legen mußte. Ich war wenig froh, denn ich fürchtete, ich würde die Netze zerrissen finden und keinen Fang machen. Und so war's auch; und auch sonst, so weit ich in die stille Flut hinabschauen konnte, kein Fisch ließ sich blicken. So fuhr ich immer weiter in die See hinaus, bis zu der Klippe, die du kennst, die mit den oberen Zacken wie mit zwei Hörnern mannshoch aus dem Wasser heraufragt, und man nennt sie darum die Teufelsklippe. Da wollt' ich, da es schon Mittag geworden war, anlegen und ein wenig rasten, auch einen Bissen Brod essen, weil ich Hunger bekommen hatte. Wie ich mich aber über den Bootsrand beuge, um zu sehen, wie es drunten war, damit ich nicht auf eine Felsenzinke aufliefe, sehe ich unten etwas blitzen wie einen goldenen Reif. Und ohne mich zu besinnen, spring' ich über Bord, tauche hinunter und fasse das blanke Ding, und da ich, wieder hinaufgekommen, es oben im Licht betrachte, war's ein Krönlein vom feinsten Golde, nur daumensbreit, doch an jedem seiner Zacken ein funkelnder Stein, wie ich so Herrliches nie zuvor gesehen hatte.
Ich band nun mein Boot an der Klippe fest und stieg selbst hinaus, um in der Sonne meine Kleider zu trocknen. Ich hatte aber nur erst eine kleine Weile da oben gesessen, immer das goldene Ding hin und her wendend, um es in der Sonne blitzen zu lassen, da sah ich fern übers Meer Etwas herankommen, wie einen Wagen, den Rosse mit silbernen Mähnen zogen, und in dem Wagen saß eine Frau, deren Haar hinter ihr drein flatterte und tausend Perlen rings umher versprühte. Als sie aber ganz nahe herangekommen war, erkannte ich, daß sie nicht in einem Wagen saß, sondern in der hohlen Welle schwamm, und daß die silbernen Mähnen nichts waren als die schäumenden Flutkämme. Die letzte Woge hob sie auf meine Klippe hinauf, unweit von meinem Sitz, und ich sah jetzt, daß es keine Andere als die Meerfrau war, die mir freundlich zunickte, so daß ich keine Furcht empfand.
Verwegener Lügenbold! herrschte ihn der König an. Wagst du mir alte Schiffermären aufzutischen? Hundertmal bin ich übers Meer gefahren, und keine Meerfrau ist mir je begegnet.
Verzeiht, Herr König, erwiderte der Jüngling bescheiden, mein Vater, der nie eine Lüge sagte, hat mir erzählt, daß er selbst sie ein Mal gesehen habe, auch wie ich am hohen Mittag in der hellen Sonne, und hat sie mir beschrieben, ganz wie ich sie jetzt neben mir sah, eine schöne Frau, nicht übermenschlich groß, in einem langen Gewande, grün wie Seegras, aber ganz leicht und durchsichtig, denn die Meerspinne habe es ihr gesponnen, sagte der Vater. Und ihr langes Haar, das sie umfloß wie ein Mantel, sei ganz mit Perlenschnüren durchflochten gewesen, und zu oberst sei ihr ein goldener Kronreif gesessen. So sei sie vor ihm aufgetaucht, aber da sie ihn gewahrte, gleich wieder in die Tiefe geschossen, wie ein aufgeschreckter Seehund von einer Klippe. Nun, diesmal floh sie nicht, sondern schien sich in der starken Sonnenglut ganz wohl zu behagen, so daß ich sie genau betrachten konnte. Es war Alles an ihr, wie der Vater gesagt hatte, nur viel schöner, als ich mir's vorgestellt, zumal die Augen der Frau so groß und glänzend, daß ich immer nur hineinsehen mußte, als hätten sie mich verzaubert. Und so rührte ich mich nicht, und das Brod, von dem ich gegessen hatte, fiel mir aus der Hand und rollte die Klippe hinab ins Meer. Da lachte die schöne Frau und sagte: Laß dir's nicht leid sein; ich will dir den Verlust reichlich vergüten.
Wieder eine verdammte Lüge! braus'te der König aus. Weiß man nicht, daß alle Necken und Nixen, Meerweiber und Wassermänner stumm sind, wie die Fische?
Es mag wohl sein, Herr König, versetzte Niels, indem er den wilden Blick des Gewaltherrn ruhig aushielt. Ich kann nur sagen, was sich mit mir zugetragen hat, und das war, daß die Meerfrau jene Worte sprach, in einer Mundart, die ich nicht allzu gut verstand; es klang fast wie die Rede der Matrosen auf den engelländischen Schiffen, die zuweilen an unserer Küste anlaufen. Auch habe ich nicht all ihre Worte behalten, nur daß sie mir klar machte, die Krone, die ich herausgeholt, gehöre ihr, und ich solle sie ihr wiedergeben. Der furchtbare Sturm gestern habe das Meer bis zum Grunde aufgewühlt, obwohl es sonst in der Tiefe immer still und klar sei, und habe ihr den Goldreif vom Kopf gerissen und so jählings weggetrieben, daß sie ihn nicht habe wiederfinden können. Sie brauche aber ihre Krone, denn an der hänge ihre Herrschgewalt.
Nun war ich nicht sehr zufrieden damit, daß ich den Schatz herausgeben sollte. Denn ich wußte wohl, was er werth war, und daß ich, wenn ich ihn dem Goldschmied verkaufte, viel Geld dafür bekommen würde, genug um uns eine neue Hütte zu bauen, meiner Mutter einen Mantel zu kaufen für den Winter und ein neues Gewand für mich selbst. Da sie aber darum bat und mich so beweglich mit den glänzenden Augen dabei anblickte, das Krönchen ja auch ihr gehörte, besann ich mich nicht weiter, sondern reichte es ihr hin. Sie griff darnach mit beiden Händen, setzte sich's auf ihr schwarzes Haar und schlang eine Strähne desselben durch den Reis, ihn so zu befestigen. Dabei lächelte sie mich gütig an und sagte: Du sollst nicht bloß Dank haben, sondern auch deinen Finderlohn. Damit band sie sich eine Perlenschnur vom Halse – diese da, die auf dem Tische liegt, – und gab sie mir, indem sie sagte: Du magst deine Liebste damit schmücken. Ich habe keine Liebste, antwortete ich. Annlieschen, die ich geliebt habe, ist todt. Nun, sagte sie, du findest wohl eine Andere, die schön genug ist, daß sie solchen Halsschmuck tragen kann. Und dann lachte sie, nickte mir noch einmal zu und winkte mit den weißen Armen zur Flut hinab. Sogleich fing es unten, wo es bis dahin spiegelglatt gewesen war, mächtig an zu wallen und zu schäumen, eine hohe Sturzwelle schwang sich bis zur Höhe der Klippe hinauf und ergriff die Meerfrau wie mit einem starken Arm, so daß sie ganz darin eingehüllt wurde und alsbald vor meinen erstaunten Augen in der Tiefe verschwand.
*
Während Niels dies erzählte, hatte die Prinzessin ihn unverwandt angeblickt. Jetzt aber, da der König mit der Faust auf den Tisch schlug, daß die Schüsseln und Becher klirrten, wandte sie ihre Augen zu ihrem Vater, dem die Ader an der Stirn blutroth angelaufen war, und wollte zu sprechen anfangen. Der König aber fuhr in die Höhe und rief: Man werfe diesen frechen Lügner in den Thurm! Hat er geglaubt, uns mit einem Kinder- und Ammenmärchen zum Narren halten und so den Kopf aus der Schlinge ziehen zu können? Bis morgen früh soll er Zeit haben, sich zu besinnen, ob er die Wahrheit gestehen will, wo er die Perlenschnur gestohlen hat, oder ob er vorzieht, sich ein anderes Halsgeschmeide umknüpfen zu lassen.
Damit wollte er die Halle verlassen, während der Gewappnete schon zu Niels herantrat, ihn abzuführen. Die Prinzessin aber hielt den grimmigen Vater am Aermel seines Rockes fest. Vater, sagte sie mit ganz nachdrücklicher Stimme, thue das nicht! Du würdest eine Gunst und Gabe, die man deiner Tochter erwiesen, mit schnödem Undank lohnen. Wenn nicht Alles so wäre, wie der junge Schiffer gesagt, würde er seinen Raub dann nicht sorgsam verwahrt und eilig zu Gelde gemacht haben, statt am hellen Tage seine Augen daran zu weiden? Und wenn er mir die Schnur geschenkt hat, ist das nicht ein Zeichen, daß er nicht an Geldgewinn denkt, da er sich weigerte, sich sein Geschenk bezahlen zu lassen? Du zuckst ungläubig die Achseln, Vater, als gäbe es nicht so uneigennützigen Sinn unter deinem Volk. Mögen die Anderen sein, wie sie wollen, in Diesem aber hat von Geburt an ein besonderer Geist gewohnt, denn eine Fee hat ihn in der Wiege verwunschen, und seitdem hat er sich so betragen, daß man ihn mit gutem Grunde Niels mit der offenen Hand neunt,
Sie sah dem Vater während dieser Rede furchtlos ins Gesicht und streichelte ihm zugleich mit bittender Geberde den Arm. Er aber stieß sie von sich weg, nun vollends in hellem Zorn.
Hat er dich angesteckt mit seinen Lügenkünsten, rief er, daß du nun auch auf Fabeln und Phantastereien sinnst, um ihn vor der verdienten Strafe zu bewahren? Du selbst hättest Strafe verdient, da du meinem Gebot zuwider dich mit diesem gemeinen Schiffergesellen eingelassen und ein Geschenk von ihm angenommen hast. In deine Kammer, zuchtloses Ding, und laß dich nie wieder aus einem ähnlichen Ungehorsam betreffen! Den Burschen aber bindet mir gut und werft ihn in die festeste Zelle. Da mag er sehen, ob eine Fee sich findet, die ihn befreien will!
Während dieses ganzen Auftritts hatte Niels keinen Blick von der Prinzessin verwandt und hätte ihr jetzt gern gedankt, daß sie seine Fürsprecherin gemacht hatte. Dazu aber ließ ihm der Büttel keine Zeit, der ihn bei den Armen ergriff und aus der Halle hinausstieß. Er führte ihn über den weiten Hof der Königsburg zu einem Thürmchen in der Ecke, wo er ihm eine enge Zelle aufschloß und ihn allein ließ, nachdem er ihm mit festen Stricken die Füße gefesselt und die Hände auf den Rücken gebunden hatte.
Nicht lange darauf kam er wieder, stellte einen Krug mit Wasser auf einen Stein und legte ein Stück Brod daneben, worauf er den Riegel draußen klirrend wieder vorschob. Diese karge Atzung war aber nur ein Hohn, da der Gefangene die Hände nicht rühren konnte, darnach zu greifen. Auch machte ihm der Hunger nicht zu schaffen. Er saß auf seiner Schütte von halbverfaultem Seegras, die ihm zum Lager dienen sollte, und bedachte sein betrübsames Abenteuer und die nahe Todesgefahr. Gleichwohl war er ganz vergnügten Sinns und hätte nichts Anderes gewünscht, als sich's ereignet hatte. Denn wenn auch das Geschenk der Meerfrau eine bedenkliche Gabe gewesen war, hatte sie ihm doch die Bekanntschaft der schönen Prinzessin eingetragen, deren tapfere Worte zu seiner Vertheidigung ihm noch jetzt wie eine liebliche Musik in den Ohren klangen.
Also saß er wohlgemuth in seinem düsteren Loch und horchte um sich her. Bald wurde es draußen am Thurm lebendig, er hörte Weinen und Wehklagen von Weiber- und Kinderstimmen, darunter die Stimme seiner Mutter, die ihm einen Stich ins Herz gab. Sie allein würde ihn vermissen, wenn er morgen vom Meister Hämmerling aus der Welt geschafft würde. Er hoffte aber, die gütige Königstochter werde sich ihrer annehmen, daß sie nicht elend verschmachten und verderben müßte.
Dann verstummte das Klagen seiner guten Freunde draußen. Die Knechte des Königs hatten den Schwarm hinweggescheucht, nur sein treuer Hund war geblieben, der lag heulend und winselnd auf der Schwelle und wies Jedem knurrend die Zähne, der ihn von dort vertreiben wollte.
Als es nun gegen die Nacht ging, regte sich endlich doch in dem Gefangenen ein Hunger, der durch den Anblick des unerreichbaren Brodes nur verschärft wurde. Eben besann er sich, ob er sich nicht bis zu dem Steintisch hinwälzen und das Brod wie ein Hund mit den Zähnen fassen sollte. Da hörte er hinter sich einen leisen Ton, ein Knuspern und Nagen, dazwischen zuweilen ein Pfeifen, das ihm sagen zu wollen schien, welch eine lebendige Gesellschaft sich in seine Zelle geschlichen hatte. Auch merkte er, daß sich die hänfene Fessel an seinen Handgelenken lockerte und endlich ganz abfiel. Sogleich sprangen die beiden grauen Mäuse, die das Samariterwerk verrichtet, hinter seinem Rücken hervor und machten sich eifrig an den Strick, mit dem die Füße umknotet waren.
Niels sah ihnen lächelnd zu. Wenn die Mutter hier wäre, sagte er, würde sie mir Recht geben, daß die paar Krumen, die ich den kleinen Gesellen streute, nicht verschwendet gewesen waren.
Er bückte sich, den fleißigen Thierchen das graue Fell zu streicheln, und half ihnen dann bei der Arbeit, so daß er bald frei auf seinen Füßen stand und seine Freunde mit einem Vergelt's Gott! entlassen konnte. Denn von dem Brode, das er mit ihnen theilen wollte, nahmen sie nicht das kleinste Bröckchen an und schlüpften hurtig zu ihrem Mausloch hinaus.
Ihm selbst wollte die Speise nicht munden, da das Brot gar zu hart und muffig war. Wie er aber so saß und die Bissen mit dem klaren Wasser hinunterspülte, fiel plötzlich etwas Weißes neben ihm zu Boden, das durch das enge vergitterte Fensterchen geworfen worden war. Als er aufblickte, sah er den Raben Hugin zwischen den Eisenstäben sitzen und seinen Schnabel daran wetzen, und erkannte, daß das Weiße, das er ihm zugeworfen, ein Käse war, den sein alter Freund irgendwo entwendet und sich selbst vom Schnabel abgespart hatte, obwohl Käse seine Leibspeise war.
Diese Großmuth rührte Niels gar sehr. Er nickte seinem Wohlthäter dankbar zu und ließ sich dann in aller Gemüthsruhe die gute Gabe schmecken. Denn obwohl er wußte, daß es seine Henkersmahlzeit sein sollte, war er doch nicht betrübt und bangen Herzens, da er sich keines Verbrechens bewußt war.
*
Als er dann den Käse verspeis't hatte, legte er sich auf das modrige Lager und schickte sich zur Nachtruhe an. Doch warf er sich lange hin und her, ohne Schlaf zu finden. Der Mond schoß einen blanken Lichtpfeil durch die kleine vergitterte Luke, und in der silbernen Dämmerung sah der Gefangene beständig das Gesicht der Prinzessin vor sich, mit der traurig mitleidsvollen Miene, mit der sie ihn während der grimmigen Reden ihres Vaters betrachtet hatte. Auch hörte er draußen am Thurm seinen getreuen Thor winseln, der es nicht anders wußte, als daß ihm Nachts in der Kammer seines Herrn gebettet sein mußte.
Endlich aber fielen ihm doch die Augen fest zu, und er träumte einen schönen, lustigen Traum von der Meerfrau, mit der er auf der Klippe wieder zusammen war, und da aus den Wellen ringsum eine liebliche Harfenmusik ertönte, forderte sie ihn auf, mit ihr zu tanzen. Es gelang aber schlecht, da er schwere Holzschuhe trug, auch das Tanzen nicht gelernt hatte, so daß sie ihn plötzlich stehen ließ, ihm einen Schlag auf die Wange gab und lachend sagte: Geh, du plumper Geselle! Ich sehe, ich muß dir eine andere Tänzerin suchen, die es besser versteht, dich herumzuschwingen. Und da stand plötzlich an Stelle der Meerfrau Prinzessin Stina vor ihm, nickte ihm zu und fragte mit einer süßen Stimme: Willst du's mit mir versuchen? Damit faßte sie ihn an den Schultern und drehte ihn im Kreise, und obwohl er aufzuhören bat, da ihm schwindlig wurde, ließ sie ihn nicht los, sondern wirbelte ihn immer rascher herum und zuletzt über den Rand der Klippe hinaus auf das Meer, das war aber fest und glatt wie ein Tanzboden, und er konnte auch ganz leicht die Füße setzen und umfing nun seinerseits die schlanke Königstochter mit seinen starken Armen, bis sie athemlos bat, sie freizugeben, da sie ersticken müsse. Nein, sagte er, du mußt mit mir tanzen bis an den lichten Morgen; du weißt ja, es ist meine letzte Freude im Leben, denn morgen werde ich gehängt, und wenn meine Füße dann zwischen Himmel und Erde tanzen, wird es mir, fürcht' ich, wenig Spaß machen.
Aus diesem Traum aber weckte ihn plötzlich eine Stimme, die seinen Namen rief, und da er in die Höhe fuhr, sah er wirklich die Prinzessin leibhaftig vor sich stehen, hell vom Mond beschienen. Zugleich aber fühlte er sich von den rauhen Tatzen seines Hundes an den Schultern gepackt und hörte Thor's freudiges Heulen nahe an seinem Gesicht, so daß er Mühe hatte, die ungestüme Liebkosung abzuwehren und sich vollends aufzurichten. Das Herz pochte ihm heftig, als er nun zur Besinnung kam und sah, daß es kein Traum mehr war. Er brachte aber kein Wort über die Lippen.
Niels, sagte das Königskind, das über und über erröthet war, ich bin gekommen, dir die Fesseln zu lösen und dich vom Tode zu erretten. Denn mein Vater ist Willens, seine Drohung wahr zu machen, wenn du nicht sagen kannst, daß ein Anderer, als die Meerfrau, dir die Perlenschnur geschenkt hat. Da du aber nicht lügen kannst, so würde dies deine letzte Nacht gewesen sein, wenn du dich nicht eilig aus dem Thurm davonmachst und dich hier im Lande fürs Erste nicht mehr blicken lässest. Ich habe dir auch in diesem Beutelchen etwas Geld gebracht, so viel ich mir von meinem Taschengeld erspart habe. Nun sieh mich nicht länger so verträumt an, sondern mach, daß du fortkommst. Im Schloß schlafen Alle. Eh' der Morgen scheint, kannst du schon viele Meilen weit und in Sicherheit sein. Ich aber werde mir nicht vorwerfen müssen, deinen kläglichen frühen Tod verschuldet zu haben.
Der Gefangene aber rührte sich nicht. Erst als sie ungeduldig wurde und nach seiner Hand haschte, ihn hinauszuführen, trat er einen Schritt zurück und sagte: Du bist gut und mitleidig, Prinzessin, wie ein himmlischer Engel. Ich kann aber nicht thun, was du von mir verlangst. Der König hat mich einen Dieb gescholten. Wenn ich mich aus dem Thurm heimlich wegstehlen wollte, würde er ja mit seinem Vorwurf Recht behalten, und auf mir bliebe der Verdacht, daß ich auch zu der Perlenschnur nicht auf ehrliche Weise gekommen wäre. Du aber trägst keine Schuld an meinem Schicksal, ich habe dir den Schmuck freiwillig geschenkt, und die Bitterkeit meines letzten Stündleins wird es nur versüßen, daß du mir ein freundliches Herz gezeigt hast und daß ich überhaupt dir begegnet bin und mich an deinem hellen Antlitz gefreut habe.
Er schwieg plötzlich, denn es war ihm selber wundersam, wie ihm die Rede so leicht von den Lippen geflossen war, da er sonst wortarm und schüchtern zu sein pflegte, so oft er mit einem Vornehmeren zu reden hatte. Als aber die Prinzessin mit seiner Antwort sich nicht zufrieden gab, sondern immer lebhafter in ihn drang, da die Zeit verstrich, blieb er stumm und schüttelte nur immer eigensinnig den Kopf, so daß sie endlich ganz ärgerlich ausrief: Ich sehe, du bist auch nur ein dummer Fischerjunge, und wem nicht zu rathen ist, dem ist nicht zu helfen.
Damit wandte sie sich heftig ab, als wollte sie ihn verlassen, blieb aber wieder stehen und sagte: Du hast da einen silbernen Ring am Finger. Würdest du mir den nicht zum Andenken schenken?
Er betrachtete mit einem stillen Seufzer die Hand, an der das verbogene alte Reifchen steckte. Es thut mir leid, Prinzessin, sagte er, diesen Wunsch kann ich dir nicht gewähren. Den Ring gab mir das Annlieschen, als wir uns verlobten, sie war sechzehn Jahre alt und ich siebzehn, und wir waren Nachbarskinder und hatten uns von klein auf gern gehabt, und ich gab ihr ein Korallenringlein dagegen, das hat sie dann mit ins Grab genommen, als sie ein Jahr darauf gestorben war, weil sie eine zu zarte Brust hatte und den rauhen Winter nicht ertrug. Der Ring aber, den sie mir geschenkt hat, der soll nun mit mir begraben werden, daß, wenn ich dem Annlieschen im Himmel begegne, sie gleich sieht, daß ich ihr die Treue gehalten habe.
Die Prinzessin besann sich einen Augenblick.
Wenn du wirklich am Galgen sterben mußt, kommst du nicht in den Himmel, sagte sie, oder wenn du dem Annlieschen doch begegnest, kannst du ihr ja sagen, daß du ihren Ring mir gegeben hast zum Dank dafür, daß ich dich habe befreien wollen. Sieh, ich habe hier einen viel schöneren, mit einem blitzenden rothen Edelstein, den will ich dir dafür geben.
Damit der Meister Hämmerling ihn mir vom Finger zieht, eh' er mir die Schlinge um den Hals legt? Das wäre dir selber zur Unehre, denn man würde gleich wissen, das kostbare Kleinod könne nur dein Geschenk gewesen sein.
Nun denn, sagte die Prinzessin mit leiser Stimme und trat dicht an ihn heran, wirst du mir auch meine Bitte versagen, wenn ich dir für den Ring einen Kuß gebe?
Es war ganz still im Thurm auf diese heimlich hingehauchten Worte. Der Gefangene sah einen Augenblick das schöne, helle Gesicht des Königskindes vom Mond überglänzt ganz dicht an dem seinen, die blauen, zärtlichen Augen und den halbgeöffneten rothen Mund, der ihn mit holder Verschämtheit anlächelte. Dann fuhr er mit der Ringhand an sein klopfendes Herz, seufzte tief auf und kehrte sich dem Fenster zu. Da stand er unbeweglich, am ganzen Leibe zitternd, und hörte nur noch, wie hinter seinem Rücken die Prinzessin zornig sagte: Du verdienst nicht deinen Namen ›Niels mit der offenen Hand‹, denn ich sehe, daß du doch geizig bist. Es thut mir leid, daß ich mir so viel Mühe mit dir gegeben. Gute Nacht!
Damit ging sie hinaus und warf die Thüre hinter sich zu.
*
Als er dann wieder allein war, athmete er noch eine Weile schwer und ging in dem engen Raum mit glühenden Adern umher wie ein Eichhörnchen in seinem Bauer, Thor immer an seinen Fersen. Zuletzt streckten sie sich Beide auf das niedere Lager hin und schliefen ein, wobei der Hund seinen rauhen Kopf dicht an die Brust seines Herrn gedrückt hielt.
Der erste rothe Morgenschein fiel durch das Gitterfenster auf die Schlafenden, da wurde der Riegel draußen zurückgeschoben, und der König trat ein, in einem langen schwarzen Hausrock, statt der Krone eine Eisenkappe auf dem gewaltigen Kopf. Noch ein Mal richtete er an den sofort sich ermunternden Niels die Frage, ob er die Wahrheit gestehen wolle, und als er die Antwort gehört, er habe nichts Anderes ausgesagt, als was die Wahrheit sei, gab der König dem Büttel einen Wink, den Gefangenen zum Tode abzuführen.
Ueber Nacht war unweit vom Schlosse auf der hohen Düne ein Galgen errichtet worden, bei welchem der Nachrichter bereits des armen Sünders harrte. Doch hatte sich trotz der frühen Stunde auch noch eine andere Gesellschaft hinzugefunden, alle Weiber und Kinder aus den Schifferhütten am Strande und von den Männern so viele, als nicht auf die See hinausgemußt hatten, nach ihren Netzen zu schauen. Oben auf dem Galgen aber saß ein dichtes Volk weißer und grauer Möwen, schreiend und sich raufend um einen Platz aus dem Querbalken und immer wieder heranfliegend, so oft auch der Henker mit einer schweren Stange in das Gewimmel hineinschlug.
Der Himmel hatte sich, nachdem das erste Morgenroth verglommen war, dicht überzogen, und als der Gefangene jetzt, zwei bewaffnete Knechte an seinen Seiten, Thor hinter ihm in seinen Fußstapfen, auf der Stätte des Gerichts erschien, fing es an, droben aus den Wolken zu rieseln und schwer herabzurauschen. Zugleich aber erhob sich unter der Menge, die Kopf an Kopf gedrängt im Kreise stand, ein Jammergeheul, das der Sturm nicht zu übertönen und die Kriegsknechte mit ihren geschwungenen Hellebarden nicht zu hemmen vermochten. Erst als man den König Klas Eisenzahn den Platz betreten und auf einem erhöhten Sitz sich niederlassen sah, verstummte der laute Wehruf, als fürchtete ein Jeder, das Auge des grausamen Herrn auf sich zu lenken, wenn er seinem Mitleiden mit dem zum Tode Geführten Luft machte. Man raunte nur untereinander, Prinzessin Stina habe sich noch in der letzten Stunde dem Vater zu Füßen geworfen, um Gnade flehend, aber nichts Anderes erreicht, als daß der König sie mit Füßen von sich gestoßen, dann aber vom Boden aufgerissen und in ihre Kammer gezerrt habe, wo er sie mit lauten Drohungen und Verwünschungen eingeschlossen habe.
Die Einzigen, die in dieser bangen Stunde gleichmüthig erschienen, waren der arme Sünder und der in ein rothes Wams gekleidete finstere Mann, der ihn mit des Seilers Tochter vermählen sollte.
Ganz gelassen zerbrach er auch das Stäbchen und nahm die Schlinge zur Hand, indem er Niels und seine Begleiter näher heranwinkte. Der Jüngling hob frei das Haupt, daß sein dichtes Haar im Winde flog, und bot sein Gesicht den sprühenden Regentropfen, wie um die letzte Lebensglut sanft zu kühlen. Dann streckte er grüßend beide Arme über die Köpfe der Menge weg nach der Gegend aus, wo die Hütte seiner Mutter lag, und bestieg mit festem Schritt ohne weiteres Zögern die Sprossen der Leiter, die ihn geradeswegs zu Annlieschen in den Himmel führen sollte.
Da aber ereignete sich etwas Wunderbares.
Denn kaum hatte der Henker die hänfene Schlinge dem armen Sünder um den entblößten Hals gelegt, so stürzten zwei große Möwen vom Galgenbalken herab und hieben, bissen und zerrten mit ihren scharfen Schnäbeln so heftig an dem Strick, daß er in zwei Stücken auseinanderfiel.
Ein großes Freudengeschrei aus viel hundert Kehlen erhob sich, da die Menge sah, wie die wilden Vögel sich dankbar dafür bewiesen, daß Niels auch an ihnen seine offene Hand bewährt und von seinem Fang ihnen mitgetheilt hatte. Der König allein hatte den Vorgang mit einem Zornesblitz seiner kleinen Augen begleitet. Er winkte heftig zu dem Gerüst hinaus, wo jetzt der Henker ruhig in die lederne Tasche griff und einen zweiten Strick hervorholte. Als es diesem nicht anders erging als dem ersten, so daß er vom Nacken des Verurtheilten mit zwei schlaffen Enden herabglitt, machte der in seiner Kunst so schmählich gestörte Mann eine verlegen fragende Geberde zu seinem Herrn hinab, was er nun beginnen solle.
Häng den Schurken in Ketten an den Galgen und laß ihn dort, bis der Hunger ihm seine verlogene Seele aus dem Leibe treibt! rief Klas Eisenzahn, indem er, die Fäuste ballend, von seinem Sitz auffuhr. Er hatte aber seine wüthende Rede kaum geendet, da begab sich ein neues Wunder. Die See, die bisher mit sanfter Brandung gegen das Ufer geschlagen hatte, wurde plötzlich in ihren Tiefen aufgewühlt, ein furchtbarer Orkan fuhr vom Himmel herab und schleuderte eine haushohe Springflut gegen die Düne, so daß alles Volk in einem Nu bis auf die Haut durchnäßt schreiend nach allen Seiten auseinanderstob, das bedrohte Leben zu retten. Der Hochsitz des Königs stürzte um, in gewaltigen Stößen unterwühlte die See die Pfosten des Galgens, so daß sie sich knirschend neigten und niederstürzten sammt der Leiter und den beiden Gestalten, die darauf gestanden. Der Henker, ein schwerfälliger Mann, wurde von den wüthenden Wellen verschlungen, Niels aber arbeitete sich mit kräftigen Armen aus dem Schwall in die Höhe und schwamm munter davon wie ein Fisch, der aus dem Netz entwischt, während hoch in der Luft die Vögel mit schadenfrohem Gekreisch über dem Haupte des entsetzten Königs schwirrten, der aus dem salzigen Bade mit Noth sich gerettet hatte.
Gleich darauf legte sich der Ungestüm der empörten Flut. Die Sturzsee fiel zusammen und zog sich mit hochaufspritzendem Schaum vom Lande zurück. Aus der höchsten Höhe der Wogen aber, vom Gischt umsprüht, der in den sieben Farben des Regenbogens schimmerte, sah man die Gestalt der Meerfrau, die, ihres Sieges sich freuend, ein helles Lachen erschallen ließ, mit ihrem blauen Schleier dem geretteten Jüngling zuwinkte und dann in der Tiefe verschwand.
*
Die Luft hatte sich plötzlich geklärt. Im strahlenden Sonnenschein schritt Niels, vom frohlockenden Volk umringt, seiner Hütte zu, sein Gesicht aber war still zu Boden gesenkt, denn er trug in den Armen seinen treuen Gefährten, den alten Hund, der in den Wellen ertrunken war.
Sein leichtes Gewand war bald wieder getrocknet, sowie die Thränen seiner Mutter, die, während man ihren Sohn zum Tode führte, in herzzerschneidendem Jammer am Herde gekauert und nur gewünscht hatte, diese grauenvolle Stunde möchte auch ihre letzte sein. Nun wußte sie vor Freuden nicht, was sie anfangen sollte, umhals'te immer wieder ihr gerettetes Kind, fragte die Nachbarn unermüdlich aus, wie Alles sich zugetragen, da Niels in einer seltsamen Schwermuth stumm vor sich hin starrte, und nöthigte ihn immer wieder, von dem Fischgericht zu essen, das sie ihm bereitet hatte. Er aber schüttelte verträumt den Kopf, ging in seine Kammer und warf sich auf sein Bette, um da stundenlang mit offenen Augen zur Decke hinaufzuschauen.
So wunderlich blieb er auch die nächste Zeit, als wäre er dem Leben noch immer nicht ganz zurückgegeben. Noch am nämlichen Tage hatte der tiefverstörte König ihm einen schweren Beutel voller Goldstücke gesendet, als Bezahlung für die Perlenschnur und Buße für die erlittene Todesangst. Er hatte sich heftig geweigert, ihn anzunehmen, und ihn endlich dem Boten vor die Füße geworfen, so daß die Mutter hinter seinem Rücken sich beeilte, ihn aufzuheben, um den König nicht zu erzürnen, wenn seine Gnade verschmäht würde. Sie hütete sich auch wohl, den Schatz anzugreifen, da sie den Eigensinn ihres Sohnes kannte, sondern verschloß das Gold in ihrem Kasten, um abzuwarten, bis er sich etwa besinnen und das rechtmäßig erworbene Gut in Besitz nehmen mochte.
So vergingen etliche Wochen, da fiel es den Leuten auf, daß Prinzeß Stina sich nicht mehr blicken ließ, auch nicht zum Baden vom Schloß herabkam, obwohl es die heißeste Zeit des Sommers war. Bald verbreitete sich dann das Gerücht, sie liege krank darnieder und der Arzt wisse nicht zu helfen, da er mit seinem Latein zu Ende sei. Die Kranke weigere sich, Nahrung zu nehmen, durchwache lange Fiebernächte und sei zum Schatten abgezehrt, so daß der König, ihr Vater, schier verzweifeln wolle. Denn dies Kind war außer seinem Gelde das Einzige, was er auf Erden je geliebt, und wenn sie ihm durch den Tod geraubt würde, hätten all seine Truhen voll Gold und Edelsteinen keine Macht gehabt, ihn zu trösten.
Dann verlautete auf einmal, die Prinzessin habe erklärt, sie könne nur wieder gesund werden durch einen silbernen Ring, den sie aber nicht genauer beschrieb. Da ließ der König bekannt machen, wer einen solchen Ring besäße und ihn der Prinzessin brächte, solle von ihm verlangen können, was ihm beliebe, und wenn er von fürstlicher Geburt wäre, würde er ihm auch die Hand seiner Tochter nicht weigern.
Nun sah man in Schaaren alte und junge Männer, Vornehme und Niedriggeborene zu Klas Eisenzahn's Schlosse pilgern, alle im Besitz eines silbernen Ringes, von dem sie die Heilung der Prinzessin und die Erfüllung ihrer kühnsten Wünsche erhofften. Alle diese Ringe wurden der Kranken vorgelegt, sie schob sie aber stets mit ihrer abgemagerten weißen Hand zurück und kehrte ihr fieberheißes Antlitz nach der Wand. Der rechte Ring war nicht unter diesen unzähligen.
All das war natürlich auch Niels zu Ohren gekommen, seine Schwermuth aber hatte es nur noch tiefer verdüstert. Doch eines Tages, als man sich in den Schifferhütten mit Kummer erzählte, der Zustand der armen Königstochter habe sich dermaßen verschlimmert, daß sie vielleicht die nächste Nacht nicht überleben werde, trat Niels vor seine Mutter hin und bat sie, ihm das neue Gewand zu geben, das sie für ihn angeschafft und das zu tragen er sich bisher geweigert hatte, weil es mit dem Gelde des Königs bezahlt worden war. Als er sich dann sauber angekleidet und seinen Haarschopf gestrählt hatte, ging er, ohne von seinem Vorhaben etwas zu verrathen, nach dem Schlosse hinaus und sagte dem Thorwart, er sei gekommen, der Prinzessin einen Ring zu bringen, der ihr vielleicht die Krankheit verscheuchen könne.
Der Mann maß ihn mit verächtlichem Blick. Was so vielen mächtigen und angesehenen Herren, darunter Söhne der Nachbarkönige, nicht geglückt sei, werde ein schlechter Schifferbursch wohl auch nicht zu Stande bringen.
Immerhin ging er, Niels zu melden, und kehrte mit sehr veränderter Miene zurück, winkte, ihm zu folgen, und geleitete den Jüngling in das Gemach, wo die Prinzessin nun schon viele Wochen zwischen Leben und Tod geschwebt hatte. Als Niels aber über die Schwelle trat, blieb er in einer wundersamen Beklommenheit stehen. Denn sie hatte sich in ihrem weißen seidenen Hemdlein, das ihr bis an die Füße reichte, erhoben und stand, sich auf ihren Vater stützend, der mit finsterem Gesicht nur widerwillig ihrem Winke gefolgt war, an ihrem Bette, die großen Augen mit einem rührenden Glanz auf den Eintretenden gerichtet, dem sie wie ein himmlisches Wesen erschien, so sehr war durch das Leiden alle muntere Frische von ihren Zügen gewichen. Als er nun aber scheu sich ihr näherte und den Ring von seinem Finger streifte, ihn ihr hinhaltend, ohne ein Wort hervorzubringen, überflog plötzlich eine liebliche Glut ihre zarten Wangen. Sie nahm den Ring aus seiner Hand und sagte mit einem still verschämten Lächeln: Du hast lange auf dich warten lassen, Niels. Fast wäre mir's zu lang geworden, da ich dachte, Annlieschen gäbe dich nimmer frei. Jetzt aber darfst du dich auch nicht weigern, meinen Ring für den deinen anzunehmen, und mein Herr Vater muß schon erlauben, daß ich dir auch den Kuß gebe, den du trotziger Mensch damals im Thurm verschmäht hast.
Damit ließ sie den König los und sank, von ihrer Schwäche und dem unverhofften Glück überwältigt, dem Jüngling an die Brust. Der hielt sie eine Weile sprachlos in seinen starken Armen, bis er sie behutsam zu dem Sessel am Bette führte, wo vorhin der König gesessen hatte. Da ließ er sie nieder und sank selbst zu ihren Füßen und sah zu ihr hinauf, und sie Beide vergaßen, daß der Vater nahe bei ihnen stand und noch nicht gesagt hatte, daß er nichts dagegen habe, sein einziges Kind einem geringen Schiffer zur Frau zu geben. Auch machte er Miene, als ob er Einspruch thun wollte, aber ein flehender, aber glückseliger Blick seiner Tochter versiegelte ihm den Mund. So knurrte er nur ein paar wilde Worte in den Bart und schritt hinaus, die Thür mit dröhnendem Schalle hinter sich zuwerfend.
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Weiter ist nun von den beiden Glücklichen nichts zu berichten, als daß nach Verlauf einer Woche, in der die Todkranke wie durch ein Wunder schöner als zuvor wieder aufgeblüht war, die Hochzeit gefeiert wurde, und daß es eine Hochzeit war, wie sich die ältesten Leute keiner ähnlichen entsinnen konnten. Denn der Gemahl der Königstochter hatte alle seine alten Freunde zum Feste geladen, nicht blos die menschlichen Bewohner der niederen Hütten, sondern auch die Hausthiere und die Vögel in den Lüften, und der treue Rabe spazierte feierlich auf der Tafel herum und pickte dann und wann einen Bissen von den Tellern auf. Nur Ein unfroher Gast saß an dem reichbeladenen Tische, das war der Brautvater Klas Eisenzahn, der es nicht verwinden konnte, daß seine Tochter eines Schiffers Gemahlin geworden, und daß bei der Hochzeit so viel draufging, da alles Bettlervolk aus zehn Meilen in der Runde herzugeströmt war, um sich an den vielen gedeckten Tafeln im Schloßhof gütlich zu thun.
Um seinen Grimm und Gram zu betäuben, schüttete er so viel heißen Grog in sich hinein, daß man ihn am Abend besinnungslos in sein Gemach tragen mußte. Da wachte er um Mitternacht wie von Höllenflammen durchlodert auf und lief, den inneren Brand zu kühlen, an den Strand hinaus. Hier aber erfaßte ihn die Brandung und spülte erst am anderen Morgen seinen entseelten Leib ans Ufer zurück.
Sein Eidam aber bestieg den Thron und führte ein so wackeres Regiment, den Feinden wehrend, wenn sie sein Reich bedrohten, seinen Unterthanen ein milder Herr, der alle Noth nach Kräften zu lindern trachtete, also daß alle Welt seines Lobes voll war, und nachdem er hochbetagt das Zeitliche gesegnet hatte, sein Ruhm ihn noch lange überlebte und die Urenkel noch zu singen und zu sagen wußten von den glücklichen Zeiten des guten Königs Niels mit der offenen Hand.