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(Fragment.)
(1898)
Es waren einmal vier Geschwister, drei Brüder und eine Schwester, die wohnten, seit sie denken konnten, in Einem Hause. Doch das alte Sprüchlein: Siehe wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtiglich bei einander wohnen! konnte auf sie nicht angewendet werden. Nicht, daß sie sich nicht herzlich zugethan gewesen wären. Sie waren aber von so gänzlich verschiedener Gemüthsart, daß in den meisten Fällen ihre Meinungen und Wünsche sich befehdeten und der Friede nur darum immer wieder hergestellt wurde, weil sie endlich ermattet vom fruchtlosen Streit ablassen mußten.
Wie sie mit ihren Taufnamen hießen, war in Vergessenheit gerathen, da sie selbst sich zuletzt nur noch mit den Spitznamen nannten, die ihnen die Nachbarn angehängt hatten, Jedem nach seiner absonderlichen Sinnesart. Der Aelteste, ein hochgewachsener, gewaltig dreinblickender Mann mit röthlichem Haar und Bart, dem bei dem geringsten Anlaß die Zornader an der Stirn anschwoll, führte den Namen Jachmuth. Er war in allen kriegerischen Künsten wohlerfahren, ein gefährlicher Duellant, von Herzen aber weich geschaffen, also daß ihn die Aufwallungen seines Zorns, sobald er ihn gekühlt, bitterlich zu gereuen pflegten. Seines Zeichens war er ein Fechtmeister und unterrichtete auch junge Rekruten in Allem, was zum Heerwesen gehörte, wodurch er sich schlecht und recht seinen Unterhalt verschaffte.
Der zweite Bruder war in Allem des ältesten vollkommenes Widerspiel, ein behagliches, sanftmüthiges Männchen, das schon in jungen Jahren sich ein Bäuchlein zugelegt hatte und selbiges durch seinen bequemen Wandel ansehnlich heranpflegte. Man hieß ihn Gleichmuth, weil er durch Nichts aus seiner Ruhe zu schrecken war, sondern Alles gehen ließ, wie's Gott gefiel. Er hatte sich in einem kleinen Kornhandel ein bescheidenes Vermögen erworben, auch, da er ein trefflicher Rechner war, späterhin ein städtisches Amt erhalten, wo er wegen seines vorzüglichen Kanzleistils allgemein geachtet wurde. Nur an Sonn- und Feiertagen fröhnte er der einzigen Leidenschaft seiner Seele, dem Angeln, das bekanntlich für beschauliche Naturen einen mächtigen Reiz hat. Hier allein konnte es ihm begegnen, daß ihm ein Tröpfchen Galle ins Blut schoß, wenn ein großer Fisch, der angebissen hatte, sich von dem Haken wieder losmachte. Doch lief auch diese Aufregung auf einen jener drolligen kleinen Flüche hinaus, mit denen selbst die gesittetsten Sterblichen ihrer gepreßten Seele zuweilen Lust machen.
Auf diesen Biedermann folgte die Schwester, Fräulein Schwermuth geheißen, eine Dame von ungewissem Alter, doch noch immer anziehendem Aeußeren, nur schon ein wenig zur Fülle neigend, was ihr, da sie beständig in schwarzen Kleidern ging und einen schmerzlichen Zug im Gesicht hatte, das Ansehn einer trauernden Wittwe gab. Ueber die Ursache ihres beständigen Grames liefen verschiedene Gerüchte um. Das wahrscheinlichste darunter war, daß sie in der Blüte ihrer Jahre eine schwere Enttäuschung in der Liebe erfahren hatte, was sie nicht nur dem gesammten Männergeschlecht, sondern auch allen Einrichtungen der Welt zur Last legte. Da sie auf ein richtiges Herzensglück hatte verzichten müssen, war sie eifrig bemüht, in der Bildung ihres Geistes einen Ersatz zu finden, und hatte es darin so weit gebracht, daß sie für eine sehr bedeutende Dame galt und im Verdacht stand, die heimliche Verfasserin vieler anonymer Romane und Gedichte zu sein, in denen die weiblichen Figuren stets den Männern gegenüber die glänzendere Rolle spielten. Junge Dichter wußte sie besonders zu bezaubern, indem sie ihnen Unterweisungen im Weltschmerz und in der Verskunst gab und ihre schüchternen Bewerbungen um ihre Gunst in Schranken hielt, ohne sie gänzlich zu entmuthigen. Daneben war sie eine tüchtige Haushälterin und führte ihren Brüdern so musterhaft die Wirthschaft, daß diese sich's gern gefallen ließen, wenn die Schwester Mittags die guten Gerichte mit einem Seufzer auftischte, als ob sie selbst keine irdische Speise mehr genießen könne.
Nur der jüngste Bruder, Leichtmuth genannt, erlaubte sich hin und wieder eine harmlose Neckerei, die aber den dunklen Trübsinn der um Vieles älteren Jungfrau so wenig aufzuheitern vermochte, wie eine Rakete, die gegen den Gewitterhimmel abgeschossen wird. Dieser Benjamin der Familie war der liebenswürdigste des ganzen Kleeblatts, dem man auch wegen seiner thörichten Streiche und unbesonnenen Unternehmungen nicht gram sein konnte. Er hatte, da er so ziemlich alle Instrumente spielte, eine Anstellung im Hoforchester erhalten, daneben verdiente er sich einen Zuschuß durch die Anfertigung von Porträts in Pastellfarben, die stets eine sehr schmeichelhafte Aehnlichkeit zeigten. Oft aber verschwand er wochenlang aus dem geschwisterlichen Hause, da, wie er sagte, kein Fenster darin groß genug war, um seine redlich verdienten Moneten durch dasselbe hinauszuwerfen.
Da nun diese vier wunderlichen Geschwister über Tag ihre eigenen Wege gingen, wäre kein Anlaß zu täglichen Zerwürfnissen gewesen, wenn es nicht die alte Hausordnung mit sich gebracht hätte, daß sie nach Feierabend wieder zusammenkamen, Jachmuth, da er wegen seines rauflustigen, reizbaren Wesens in keiner der Trinkstuben der Stadt mehr geduldet wurde, Gleichmuth aus Trägheit, Leichtmuth, weil ihn die philisterhaften Bierbankgespräche langweilten. Jungfer Schwermuth's Haushüten bedarf natürlich keiner Erklärung; sie hatte für das Nachtessen zu sorgen, zudem waren die Zwielichtstunden zu wehmüthigem Sinnen und Dichten geeigneter als der helle Tag.
Sobald aber das Mahl vorüber war, bei dem es stets friedlich zuging, und nun das allabendliche Kartenspiel begann, dauerte es nicht lange, bis die Geister aufeinander platzten. Jachmuth schlug mit der Faust auf den Tisch, wenn Gleichmuth, als sein Partner, ihn das Spiel hatte verlieren machen, nicht sowohl über den Verlust aufgebracht, als über die Unfähigkeit seines Bruders, sich zu ärgern und wild zu werden. Wenn dann die Schwester, so oft sie schlechte Karten hatte, sich über das Schicksal, das sie beständig verfolge, beklagte, oder, falls ihr einmal ein hoher Trumpf gestochen wurde, in ihren Lieblingsseufzer ausbrach: So etwas kann nur mir passiren! – ließ Leichtmuth sich zu anzüglichen Scherzen verleiten, es müsse mit ihrem Unglück in der Liebe doch nicht so schlimm stehen, da sie sonst mehr Glück im Spiel haben würde.
Zuweilen ereignete sich's auch, daß die vier Spieler mitten in einer Partie aufstanden, die Karten mehr oder weniger heftig hinwarfen und mit dem Schwur, nie wieder sich an diesen Tisch zu setzen, Jeder zu einer andern Thür hinaus und zu Bette ging.
Am andern Morgen war jede Spur des abendlichen Ungewitters verweht. Nur daß die Schwester sich später als die Andern zum Frühstück einfand, da sie erst noch ein Gedicht über das Spiel des Lebens, das sich in bitteren Ernst zu verwandeln pflege, in ihr schwarz eingebundenes Album schreiben mußte.
*
Mehr als ein Mal hatte der leichtsinnige Jüngste den Vorschlag gemacht, daß seine Brüder oder Schwesterchen Schwermuth heirathen sollten. Er selbst fühle sich zu einem soliden Ehemann nicht geschaffen, da ihm jeden Tag eine Andere am besten gefalle, er auch ein zu schlechter Wirthschafter sei, um eine Familie standesgemäß unterhalten zu können. Doch würde es ihrem Zusammenleben einen neuen Reiz und Halt geben, wenn ein oder ein paar fremde Gesichter sich dazufänden, vor denen man sich auch etwas mehr Zwang auferlegen müsse, als es unter Brüdern nöthig scheine.
Diese Zumuthung hatte der Aelteste mit einer heftigen Geberde weit von sich gewiesen. Er würde die Frau für die unglücklichste ihres Geschlechts halten, die sich mit ihm unter das Ehejoch spannen ließe, da er nicht dafür stehen könne, nicht schon in den Flitterwochen ihr das Leben zur Hölle zu machen, wenn das hitzige Blut mit ihm durchginge. Bruder Gleichmuth erklärte, seine Bequemlichkeit sei ihm lieber als die hundert Weiber des Großsultans, und die Schwester erwiderte gereizt, sie verbitte sich ein für allemal auch nur die entfernteste Aeußerung, als ob sie ihren Grundsätzen den Männern gegenüber untreu werden könnte.
Nun, Kinder, sagte der Jüngste lachend, so bleibt wirklich nichts Anderes übrig, als daß ich selbst in den sauern Apfel beiße. Nicht sowohl um das zweifelhafte Vergnügen zu genießen, mein Herz in Fesseln schlagen zu lassen, als weil ich ein Kindernarr bin und mir auch für euren unausstehlichen Humor eine glückliche Wandlung verspreche, wenn hier ein Häuflein ausgelassener kleiner Geschöpfe herumtollt. Mit deren Erziehung werdet ihr euch dann nach Feierabend befassen, da ich selbst ein schlechter Pädagoge bin, und das verwünschte Kartenspiel wird nicht mehr wie bisher der Anlaß sein, daß wir uns in die Haare gerathen.
Die Andern fanden seinen Entschluß sehr dankenswerth, und Jeder versprach, zum Unterhalt des jungen Hausstandes beizutragen, falls, wie bei seinem Unbedacht vorauszusehen sei, die Wahl des Bruders gerade auf das ärmste Mädchen im ganzen Lande fallen würde.
Sie sollten aber nicht dazu kommen, dies großmüthige Anerbieten auszuführen. Denn als Leichtmuth, der am frühen Morgen auf die Brautschau ausgezogen war, schon am Abend desselben Tages zurückkehrte, brachte er einen zierlichen Korb mit nach Hause, keinen freilich, den eine spröde Schöne geflochten hatte, sondern einen ähnlichen, wie die Tochter Pharao's ihn am Ufer des Nil gefunden, worin in reinliche Windeln gebettet ein nacktes Knäblein lag, das durch seine rosige Hülflosigkeit sofort Aller Herzen eroberte.
Diese liebliche Bescherung hatte Leichtmuth am Saum eines Wäldchens neben der Landstraße vorgefunden, aus grünem Moose ihn anlachend. Schon manche Wanderer mochten achtlos daran vorübergegangen sein. Der wackere Brautwerber aber, da es ihm mehr um ein Kind, als um die Mutter zu selbigem zu thun war, hatte den Fund frohlockend aufgehoben und erklärte nun den Geschwistern, der Zweck seines frühen Auszugs sei erreicht, er werde das Knäblein an Kindesstatt annehmen und ihm Vater und Mutter ersetzen.
Zum Vater möge er allenfalls das Zeug haben, sagte die Schwester, die sofort den Kleinen aus seinen Wickelbanden befreit und den munter Zappelnden an ihr Herz gedrückt hatte. Zur Mutter aber fühle sie sich berufen, nicht nur als ein Weib, sondern weil dieser kleine Erdenbürger schon so früh an sich selbst das Weltelend erfahren habe und die Schwermuth über seine Verstoßung durch herzlose Erzeuger ihm lebenslang nachgehen werde.
Du irrst, Schwester, murrte Jachmuth, ihr den Knaben aus den Armen reißend. Sieh nur, wie er die kleinen rosigen Fäuste ballt, wie ein junger Herkules, der Lust hat, Schlangen zu erwürgen. Der wird sich einmal nicht mit nutzlosem Winseln und Wehklagen befassen, sondern gehörig dreinschlagen, und darum gehört er mir.
Er legte das Kind in den Korb zurück, wo es sich behaglich ausstreckte. Liegt er nicht wie ein kleiner Weiser, der vor Allem seine Ruhe liebt? sagte Gleichmuth und streichelte mit seinem dicken Finger die runden Wangen des Knäbleins. Was wetten wir, daß er mir nachschlachtet? Jedenfalls verlange ich, da wir in Gütergemeinschaft leben, meinen Pflichtteil an ihm, wie ich auch zu den Erziehungskosten das Meinige beitragen werde.
Seht nur, wie er lacht! rief Leichtmuth und ließ vor den weit geöffneten Augen des Kleinen die Daumen schnalzen. Wenn ich mir irgend einer ernstlicheren Liebschaft im letzten Jahre bewußt wäre, würde ich schwören, daß er mein richtiges Fleisch und Blut sei. Aber zanken wir uns nicht darum! Zunächst müssen wir berathen, wie wir ihn nennen wollen.
Hierüber machten nun die Geschwister die verschiedensten Vorschläge, Jeder nach seiner Gemüthsart, da sie meinten, der Name sollte zugleich den künftigen Charakter des Täuflings andeuten. Zuletzt einigten sie sich darüber, die Frage gleichsam offen zu lassen und den gemeinsamen Sohn einstweilen Freimuth zu nennen. Worauf die Schwester sich seiner bemächtigte, ihn zunächst zu baden, obwohl seine kleinen Gliedmaßen wie aus dem Ei geschält erschienen, und ihm dann ein Milchstipplein zu bereiten, das der artige junge Herr, der die gute Stunde selber war, mit größtem Behagen sich einlöffeln ließ.
Von diesem Tage an ging es friedlicher und verträglicher im Hause der vier Geschwister zu. Es bewährte sich wieder einmal, daß kleine Menschen die besten Erzieher der großen sind. Selbst Jachmuth mäßigte seine hitzige Natur, und wenn er im Unglück beim Kartenspiel Miene machte, mit der Faust den Tisch in Stücke zu schlagen, brauchte seine Schwester nur mit dem Finger nach der Kammerthür zu deuten, hinter welcher der Findling in seiner Wiege schlief, um jeden lauten Zornesausbruch im Keim zu ersticken.
Als der Kleine dann die Kinderschuhe vertreten hatte, wurde seine Erziehung freilich wieder der Anlaß zu heftigen Zwisten, da jedes der Geschwister ihn am liebsten ganz nach seinem Sinne gemodelt hätte. Anfangs ließ es sich noch leidlicher an. Freimuthchen zeigte früh eine besondere Lust am Soldatenspielen und fuchtelte mit dem kleinen Schwert, das Onkel Jachmuth ihm geschenkt, tapfer herum, wenn er sich mit seinen Kameraden auf der Gasse tummelte. Zum Schreiben und Rechnen, worin ihn Gleichmuth unterwies, hatte er nicht die gleiche Lust, machte aber trotzdem auch in diesen Künsten gute Fortschritte. Besonderes Talent zeigte er für die Musik, und Onkel Leichtmuth, der ihm früh auf einer kleinen Geige Unterricht gab, erklärte, es würde ein Leichtes sein, ein musikalisches Wunderkind aus ihm herauszudressiren, wenn es nicht Schade wäre um seine frischen Backen. Auch seien bekanntlich solche frühreifen Genies nicht viel besser als Gänse, die man auf die Leber gemästet habe. Diese sei dann wunderbar entwickelt, gehöre aber einer kranken Gans.
Im Uebrigen war der Findelsohn seinen Pflegeeltern allen gleichmäßig in Liebe zugethan, konnte sich sogar zuweilen stundenlang in Tante Schwermuth's florverhangenes jungfräuliches Zimmer zu ihr einsperren und geduldig ihren Jammer über das Weltelend mit anhören. Als er etwas älter wurde, lernte er sogar selbst auf dieser verstimmten Leier klimpern und allerlei schluchzende Liedlein dichten, die er aber sofort vergaß, wenn er wieder an den hellen Tag hinauskam.
*
So war er denn zur Freude der Seinigen und aller guten Menschen herangeblüht bis zu der Zeit, wo es Ernst wurde mit der Frage, welchem Beruf er sich widmen solle.
Seine Erzieher, so weit sie sonst in ihren Wünschen und Meinungen auseinandergingen, waren doch in einem Punkte mit einander einverstanden, daß Niemand wahrhaft glücklich werden könne, der nicht in die Lage komme, die Kräfte und Anlagen anzuwenden, mit denen ihn die Natur vorzüglich ausgestattet habe. Nun aber schien ihr Zögling die verschiedensten Begabungen seiner liebevollen Lehrmeister in sich zu vereinigen. Er schlug auf dem Fechtboden eine so glänzende Klinge, daß Onkel Jachmuth selbst zuweilen den Kürzeren gegen ihn zog. Was mit seßhafter Mühe zu erreichen war in den verschiedenen Wissenschaften, hatte er sich zu höchster Befriedigung Onkel Gleichmuth's angeeignet, geigte und malte daneben weit über den Dilettanten hinaus und zeigte ein schönes Talent für pessimistische Philosophie und schwärmerische Lyrik. Seltsam war es nur, daß er diese verschiedenen Gemüthsanlagen hervorkehrte, wo man das Entgegengesetzte hatte erwarten sollen, daß er traurig wurde, wo Andere Grund zur Lustigkeit sahen, heftig, wo man den Grund dazu nicht einsah, und dann wieder höchst gleichgültig, wenn ein Mensch von Onkel Jachmuth's Charakter aufgebraus't hätte.
Dieser räthselhafte Widerspruch kam in besonderer Schärfe an dem Tage zum Vorschein, der seinem Eintritt in die Hochschule voranging, dem letzten also, an welchem noch eine Frist zur Entschließung über seine Berufswahl verstattet war.
Am Abend dieses Tages spazierte er mit Onkel Jachmuth in den Anlagen um die Stadt und hörte schweigend zu, wie Jener ihm die Vorzüge der kriegerischen Laufbahn vor allen anderen pries, als er einem jungen Paar begegnete, dem er am liebsten ausgewichen wäre.
Es war das ein schönes junges Fräulein aus einem reichen Hause, das eine Zeit lang sich's hatte gefallen lassen, von dem hoffnungsvollen jungen Manne abwechselnd in übermüthigen oder melancholischen Liedern gefeiert zu werden; dann aber hatte sie, da er ihr als Freier wegen seiner Jugend und dunklen Herkunft nicht ernstlich in Betracht kam, einem solideren Bewerber den Vorzug gegeben, der sie nun eben mit der ganzen Hoffahrt eines begünstigten Rivalen am Arme führte und auf den Abgewiesenen einen höhnischen Blick warf, von einem verächtlichen Lachen begleitet, das dem Jüngling das Blut ins Gesicht trieb.
Onkel Jachmuth, der die unglückliche Liebesgeschichte kannte, blieb mit zornfunkelnden Augen stehen, maß den Beleidiger von oben bis unten und raunte seinem Zögling zu: Du wirst dem Wicht doch deine Handschrift ins Gesicht schreiben? – Statt dessen erwiderte Freimuth das höhnische Grinsen seines Gegners nur mit Achselzucken und einem stillen, ernsten Blick und ließ das Paar vorübergehen, ohne mit einem Wort oder einer Geberde den Schimpf zu ahnden.
Zum Teufel! knirschte sein väterlicher Freund, sind das die Manieren, die ich dir beigebracht habe? Statt den frechen Gecken mit der Faust zu zermalmen, gaffst du ihn an, als ob du noch eine besondere Hochachtung für ihn empfändest, da er dir das Mädel abspenstig gemacht hat? Oder hast du dich nur bezwungen, um vor den Leuten keinen Scandal zu machen, und wirst die Sache morgen früh zum Austrag bringen? Daß du auf mich als Cartellträger zählen darfst, brauche ich nicht zu versichern.
Nein, lieber Onkel, versetzte der Jüngling gelassen, ich danke dir für dein Anerbieten, gedenke es aber nicht anzunehmen. Daß er triumphirt, weil sie ihm vor mir den Vorzug gegeben, kann ich ihm nicht verdenken. Wenn er unedel genug ist, es mich empfinden zu lassen, kann ich ihn nur im Stillen verachten und das Mädchen bedauern, das an keinen besseren Mann gekommen ist. Daran aber würde ein Kampf zwischen uns nichts ändern, und wenn ich ihn besiegte, wäre mein Kummer um die verlorene Liebe um nichts geringer.
Der Alte sah ihn mit großem Augen an, als ob er eine fremde Sprache spräche. Eine dunkle Röthe stieg ihm bis hoch in die Stirn hinauf, er suchte eine Weile nach Worten, dann stammelte er in heftigster Erregung: Ist das dein letztes Wort? Nun dann bedaure ich, daß ich so viel Zeit verschwendet habe, dich in den Grundsätzen der Ehre und Mannestugend zu unterweisen, da dir Milch statt des Bluts in den Adern fließt und du dich nicht schämst, für dein mattherziges Betragen elende Ausflüchte zu suchen. Ich ziehe meine Hand von dir ab und empfehle dich Bruder Gleichmuth, der einen biedern Krämer oder Kanzleisecretär aus dir machen möge. Gott befohlen!
Damit zog er seinen Arm aus dem des bestürzten Jünglings und ging mit großen Schritten von ihm weg, mit seinem Stecken wüthend durch die Luft fahrend, als ob er an einem unsichtbaren Gegner Quarten und Terzen probiren wollte.
*
Eine Weile später kam Leichtmuth in diese Gegend der Anlagen, da er sich gern des Abends unter die auf und ab wandelnden Spaziergänger mischte, um trotz seiner nicht mehr jugendlichen Jahre allen Schönen unter den Hut zu sehen.
Er fand den Pflegesohn auf einer einsamen Bank sitzend, in tiefer Verdüsterung. Ja es schien, als ob seine Augen noch von verhaltenen Thränen feucht seien.
Auf die besorgte Frage, warum er sich einer so leidenschaftlichen Trauer überlasse, erzählte ihm der Jüngling, was sich soeben zwischen ihm und Onkel Jachmuth zugetragen hatte. Narr! lachte der Andere. Weißt du nicht, wie schnell das lodernde Feuer in meines Bruders tollem Hirnkasten verflackert, und wie er hernach der Erste ist, sich anzuklagen, daß er trotz seines reifen Alters noch immer ein unverbesserlicher Hitzkopf und Feuerteufel ist? Du wirst sehen, daß er schon heute Nacht sich seines rohen Betragens schämt und dir die besten Worte giebt.
Nein, Onkel Leichtmuth, erwiderte der Jüngling seufzend, es wird etwas zwischen uns bleiben, das mich ewig schmerzen muß. Wir denken und fühlen in einem wichtigen Punkt verschieden, und er wird mich des Undanks zeihen, da ich mich seiner Ansicht nicht unterordnen kann. Oder soll ich gar, um den Verdacht der Feigheit von mir abzuwälzen, ihn selbst vor die Klinge fordern? Ihm würde das nicht einmal ungehörig scheinen. Ich aber stieße mir lieber selbst das Schwert ins Herz, als es gegen meinen Wohlthäter zu zücken.
Sie saßen eine Weile beisammen, aber die muntere Weltklugheit des Aelteren vermochte den Trübsinn des Jungen nicht zu zerstreuen. Zuletzt, da sich das Gewühl um sie her verlaufen hatte, gingen sie nach Hause, Freimuth in Sorgen, wie er dem erzürnten Onkel dort unter die Augen treten solle.
Sie fanden ihn aber noch nicht vor, nur die beiden Anderen, auch den Tisch zum Nachtessen noch nicht gedeckt. Denn Tante Schwermuth saß in einem fassungslosen Zustand halber Verzweiflung im dunkelsten Winkel und rief einmal über das andere: Das kann nur mir passiren! während Gleichmuth auf einem Schemelchen neben ihr hockte und mit seiner langsamen Stimme sie zu beschwichtigen suchte.
Er berichtete dann den Andern, was der Aermsten zugestoßen war. Sie hatte sich, wie sie es liebte, bei einbrechender Nacht in den Schloßpark begeben, um dort unter einer Trauerweide den Mond heranzuwarten, in schmerzlichen Gefühlen zu schwelgen und an einer Elegie zu seilen. Ein junger Mann war zu ihr getreten, hatte um die Erlaubniß gebeten, sich neben sie zu setzen, und ein Gespräch angeknüpft, zuerst ganz ruhig und anständig, bald aber in so zügellose Reden ausartend, daß sie entrüstet sich erhob, ihn zu verlassen. Da hatte er sie am Arm ergriffen, die Sträubende an sich gezogen und ihr einen Kuß auf die Wange gedrückt; dann erst habe sie sich losreißen und entfliehen können.
Es sei der Sohn des Ministers gewesen, der durch seinen sittenlosen Wandel berüchtigt und auch als Trinker und Spieler bekannt war.
Nun, versetzte Leichtmuth, indem er ihre erhitzte Wange streichelte, hiervon würde ich nicht so viel Aufhebens machen, Schwesterchen. Das widerwärtige Abenteuer beweis't nur, daß du trotz deiner hier und da ins Graue spielenden Haare noch immer reizend genug bist, um Eroberungen zu machen.
Ich Unglückliche! rief die schwer Gekränkte. Ich sehe, daß ich sogar von meinen Nächsten nicht verstanden werde, und daß mir nichts übrig bleiben wird, als mich aus dem Jammerthal dieser mit Wölfen und Affen bevölkerten Welt in ein Kloster zurückzuziehen.
Freimuth hatte kein Wort gesagt. Sie achteten nicht darauf, daß er den Stock, den er trug, so heftig gegen den Boden stieß, daß er zersplitterte. Dann verließ er das Zimmer, in welchem die drei Geschwister sich in unendlichem Hin- und Herreden über den bösen Fall ergingen, ohne zu einer Verständigung zu gelangen.
Noch keine Stunde war vergangen, so öffnete sich wieder die Thür, und Freimuth trat ein, einen bloßen Degen in der Faust, mit der andern Hand einen jungen Menschen hereinführend, bei dessen Anblick das Fräulein einen leisen Schrei ausstieß und die Hände vors Gesicht drückte. Hier bringe ich dir, liebe Tante, den Beleidiger deiner Frauenehre, sagte der Jüngling mit fester Stimme. Der Herr wird dir feierlich auf den Knieen Abbitte leisten für die Unverschämtheit, mit der er dir zu begegnen gewagt hat.
Auf den Knieen? stammelte der arme Sünder, der sich vergebens aus dem eisernen Griff seines Führers loszuwinden suchte. Dazu hatte ich mich nicht verstanden.
So werdet Ihr Euch jetzt dazu verstehen, oder ich durchbohre Euch auf der Stelle mit dieser Klinge! – Er hob den Degen und blitzte den Anderen mit so drohendem Blicke an, daß dieser zitternd ein Knie beugte, vor der gekränkten Unschuld die Bitte um Verzeihung stammelte und erst, als ein leises Nicken sie ihm gewährt hatte, sich wieder erhob. Mit Euch aber rechne ich morgen ab! knirschte er, zu Freimuth gewandt, der sich stumm verneigte. Dann verließ der so tief Gedemüthigte das Zimmer.
Freimuth aber, alle überschwänglichen Dankesworte der guten Tante abschneidend, berichtete kurz, die Sache sei sehr einfach abgelaufen, er habe den zuchtlosen Gesellen, seinen Rausch ausschlafend, auf einem Ruhebette gefunden und durch einen Krug Wasser, den er ihm über den Kopf geschüttet, zu einem halben Bewußtsein gebracht. Von seinem gebieterischen Wort und der blanken Klinge eingeschüchtert, vielleicht auch im Gefühl seines Unrechts habe er dann nach einigem Sträuben eingewilligt, mit ihm zu gehen. Was der Morgen bringen werde, erwarte er in großer Ruhe. Und da morgen auch die Entscheidung über seine Berufswahl getroffen werden solle, bitte er um die Erlaubniß, sich jetzt zurückziehen zu dürfen, zumal er Onkel Jachmuth heute nicht mehr zu begegnen wünsche.
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Nachdem er gegangen, blieben die Geschwister noch lange beisammen in ernsten Erwägungen, an denen auch der Aelteste theilnahm, dessen Unmuth gegen den aus der Art geschlagenen Zögling rasch verflog, als die Andern ihm seine ritterliche That berichteten. Gleichwohl schien er ihm zum kriegerischen Beruf jetzt nicht mehr geeignet, da er sich das Recht vorbehielt, immer selbst zu entscheiden, wann er vom Leder zu ziehen habe und wann nicht. Auch über einen anderen Lebensberuf konnten sie sich nicht einigen, und so beschlossen sie, am anderen Tage sich Raths zu erholen bei einem uralten weisen Manne, zu dem in ähnlichen zweifelhaften Fällen besorgte Eltern ihre Zuflucht nahmen. Derselbige hatte nicht eigentlich ein Amt, aber den Verstand, der vielen zu ähnlichen Pflichten Berufenen zu fehlen pflegt, und auch den Titel eines Geheimen Educationsraths hatte ihm nur die dankbare Verehrung seiner Mitbürger beigelegt.
Als sich nun die vier Geschwister am anderen Tage bei diesem Orakelspender einfanden und ihm den Fall vortrugen, Jeder nach seiner besonderen Ansicht, ließ er sie geduldig ausreden, wiegte dann das kahle Haupt und sagte:
In meinem langen Leben ist mir schon oft ein junger Mensch begegnet, in dessen Natur die Elemente sich wunderlich mischen, so daß er selbst rathlos ist, welches die Oberhand behalten und sein Leben am besten regieren möchte. Nie aber fand ich die vier Grundmächte der sterblichen Seele so rein und erstaunlich vereinigt, wie es nach eurer Schilderung bei eurem Zögling der Fall ist. Statt aber darob zu erschrecken und wegen der Zukunft dieses Jünglings in Sorgen zu sein, solltet ihr euch glücklich preisen, einen so herrlich begabten Sohn auferzogen zu haben. Denn wenn ihr selbst, meine lieben Herrschaften, mit eurer Erlaubniß sei es gesagt, nur einseitige und unvollkommene Menschen seid, so darf man ihn einen ganzen Menschen nennen., wenn auch der Name eines vollkommenen nur einmal einem unter der Sonne Wandelnden zukam, jenem hohen und ganz herrlichen Menschensohn, den wir als den Erlöser verehren. Auch in ihm waren die vier scheinbar feindlichen Elemente vereinigt, da er gleichmüthig die härtesten Martern und Beschimpfungen ertrug, schwermüthig wurde, sobald er die Bosheit der Welt und den Wankelmuth selbst der eigenen Jünger betrachtete, und in hellem Zorn die Geißel schwang, die Wechsler und Krämer aus seines Vaters Hause hinauszujagen. Daneben lag ihm auch ein leichtmüthiger Tropfen im Blut, da er das Himmelreich nah herbeigekommen wähnte, das doch noch bis auf den heutigen Tag nicht erscheinen will.
Nun, meine Lieben, das sei fern, euren Zögling jenem erhabenen Vorbilde aller Vollkommenheit gleichzustellen, denn er ist von einem Geschlecht, dem die Erbsünde anhaftet, und nichts Menschliches wird ihm fern sein. Darüber hinaus aber ist er von der Natur mit einem so lieblichen Einklang aller Kräfte ausgestattet, daß Jeder es als ein Glück empfindet, ihm zu begegnen, auch wenn er nichts Anderes von ihm empfängt als den Anblick eines harmonischen Gebildes. Ein solcher seltener Mensch braucht in keinerlei Beruf, keiner Kunst oder Wissenschaft seine Nebenmenschen zu überbieten, ja die großen Erfinder und schöpferischen Geister entbehren meist dieser gleichgewogenen Seelenfülle. Dennoch ist er ein Genie zu nennen., ein Genie der reinen Menschlichkeit, das aus dieser armen Erde eine Ahnung des Göttlichen erweckt wie eine ragende Palme, die mitten im Wüstenbrand ihren fruchtreichen Wipfel erhebt.
Und so möchte ich euch bitten, wegen der Zukunft eures Zöglings außer Sorge zu sein, mir aber den Jüngling herzuschicken, um mich an seinem Anblick zu erquicken und, statt ihn zu segnen, mich von ihm segnen zu lassen.
*
Von dieser schönen, langen Rede hatten die Geschwister nicht Alles verstanden, bis auf die Schwester, die sich, wie wir wissen, mit philosophischen Grübeleien vertraut gemacht hatte. Sie gingen aber gleichwohl sehr frohgestimmt von dem weisen Manne hinweg und waren desto bestürzter, als sie, zu Hause angelangt, die Kammer ihres Lieblings leer und statt seiner einen Brief von ihm aus seinem Tische fanden.
Der Brief lautete folgendermaßen:
»Meine theuren Pflegeeltern!
Vergebt mir, wenn ich von Euch scheide, ohne Euch noch einmal mündlich auszusprechen, wie tief ich die große Liebe und Treue, die Ihr dem armen Findling bewiesen, in meinem Herzen empfinde und Euch ewig danken werde. Ich erkenne aber, daß ich durch mein Bleiben Anlaß zu vielem Zwist unter Euch geben würde, zumal ich entschlossen bin, fürs Erste mich überhaupt für keinen einzelnen Beruf zu entscheiden, sondern das Leben noch eine Weile kennen zu lernen und mich zu prüfen, wo ich am wirksamsten unter der regen Menschenwelt ihr zu ihrem Glücke mithelfen könnte. Um mein äußeres Fortkommen ist mir nicht bange. Ihr habt mich so Vielerlei lernen lassen, daß ich überall Arbeit und Brod finden werde.
Das Einzige, was mich hätte zurückhalten können, wäre gewesen, wenn ich hätte abwarten müssen, wie der Handel mit dem Ministerssohn noch ausgehen möchte. Auch dieser Ungewißheit bin ich überhoben durch einen artigen Brief des jungen Herrn, in welchem er mir dankt, daß ich ihm dazu verholfen, ein Unrecht gegen eine edle Dame zu sühnen. Statt mir mit der Waffe in der Hand zu begegnen, bitte er um meine Freundschaft.
Dieses gute Wort sei das letzte auch in meinem Abschiedsbrief an Euch. Lebt wohl, Ihr Lieben, und denkt freundlich wie bisher Eures Euch ewig liebenden Pflegesohnes
Freimuth.«
Ueber diesen Abschiedsbrief äußerte sich jedes der vier Geschwister je nach seiner Gemüthsart, am tröstlichsten Leichtmuth, der überzeugt war, der verlorene Sohn werde eines schönen Tages als etwas Großes und Besonderes zu ihnen zurückkehren. Fräulein Schwermuth aber brach in Thränen aus und rief: Daß ich auf meine alten Tage wieder kinderlos sein soll, nachdem ich meinen Herzenssohn mit so großer Liebe auferzogen habe, das ist wieder eine von den Schicksalstücken, wie sie nur mir begegnen können!