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Melusine.

(1894.)

 

—————

 

Die Standuhr im Eßzimmer des Professors N*** schlug die neunte Stunde. Als der letzte der heiseren Schläge verhallt war, erhob sich der Hausherr von dem Tisch, an dem er mit seiner Frau und einem jungen Gast, einem seiner Zuhörer, zu Nacht gegessen hatte, und sagte, freundlich zu Letzterem gewendet: Ich muß Ihnen jetzt gute Nacht sagen, lieber Ludolf. Ich habe noch ein paar Arbeitsstunden vor mir. Sie aber bleiben doch noch ein Weilchen und leisten meiner Frau Gesellschaft. Sie hat mir verrathen, daß Sie musikalische Allotria treiben. Ich selbst bin leider, was Musik betrifft, ein Barbar, obwohl ich nicht mit Shakespeare glaube, daß, wer nicht Musik hat in ihm selbst, zu Verrath und Tücke tauge. Daher ist es mir lieb, wenn meine Frau Jemand findet, der für ihre Passion Interesse und Verständniß hat. Lassen Sie sich doch ja öfter uneingeladen zur Theestunde bei uns sehen. Ich bin Ihrem Papa noch aus unserer Studentenzeit für so viel Freundschaft verpflichtet, sein Herr Sohn sollte unser Haus als ein zweites Elternhaus ansehen. Aber nicht zu lange musicirt, Lusine, hörst du, Kind? Es greift dich sonst an. Auch Beethoven und Chopin müssen die Polizeistunde respectiren.

Er lachte gutmüthig, wobei die geistreichen schwarzen Augen in dem südländisch blassen Gesicht fast völlig verschwanden und der etwas große Mund eine Reihe blanker Zähne blicken ließ. Seine Abstammung von einem altadligen Geschlecht der Provence, das seit zwei Generationen in Deutschland ansässig geworden war, verrieth sich auch in der ritterlichen Geberde, mit der er sich zu der kleinen Frau hinabneigte und ihre schmale Hand, die sie ihm nachlässig bot, an die Lippen drückte. Also gute Nacht! sagte er und nickte auch dem jungen Menschen noch einmal zu. Und vergiß nicht, Lusine, mir noch eine Tasse Thee hinaufzuschicken.

Dann schritt die hohe, etwas schwerfällige Gestalt der Thüre zu, und die Beiden blieben allein.

Die Frau, die in ihrem Sessel zurückgelehnt lag, hatte seinen Gruß nur mit einem leichten Nicken des blonden Kopfes erwidert. Sie blieb auch jetzt stumm und scheinbar theilnahmlos, als wäre sie ganz allein im Zimmer. Trotz der Wärme des Hochsommerabends zog sie dann und wann mit einer nervösen Geberde wie fröstelnd das gelbliche Spitzentuch fester um ihre schlanken Schultern. Von den Schüsseln, denen ihr Mann mit lebhafter Eßlust zugesprochen, hatte sie nur ein Hühnerflügelchen auf ihren Teller genommen, es langsam zerschnitten und dann nur gekostet, während sie sich aus einer Krystallflasche mit süßem Ungarwein dreimal ihr Glas gefüllt hatte. Das Gespräch, dessen Kosten der Hausherr fast allein bestritt, hatte sich um einige merkwürdige Rechtsfälle gedreht, die in jüngster Zeit die Gerichte beschäftigt hatten. Der berühmte Professor des Strafrechts an der kleinen Universität dieser Stadt hatte sich herabgelassen, dem jungen Studenten ein Privatissimum über gewisse schwierige Punkte zu halten. Doch sein Zuhörer schien sich Zwang anthun zu müssen, der scharfsinnigen Auseinandersetzung zu folgen.

Nun, da der scheu verehrte Mann ihn mit seiner Frau allein gelassen hatte, stand der Jüngling mit gesenktem Kopf wie abwesenden Geistes am Tische und schien zu warten, bis die Dame des Hauses das Schweigen brechen würde. Als sie aber fortfuhr, auf die silberne Theekanne zu blicken und vor sich hin zu sinnen, als läge ihr viel daran, auf das eintönige Tiktak der Uhr zu lauschen, sagte er plötzlich, indem ein schüchterner Blick ihr Gesicht streifte:

Verzeihen Sie mir eine vielleicht indiscrete Frage, gnädige Frau. Ihr Herr Gemahl hat Sie Lusine genannt. Ihr Name ist doch aber Theodora. Wie kann daraus Lusine entstanden sein? Ich selbst – meine Schulkameraden fanden meinen Namen Ludolf zu feierlich und tauften mich in Lucius um. Das liegt ziemlich nahe. Aber aus Theodora – nehmen Sie mir meine Neugier übel, gnädige Frau, so bitte ich tausendmal um Entschuldigung.

Warum sollte ich Ihnen eine so unschuldige Frage übelnehmen? erwiderte die Frau nach einer kleinen Pause, und eine leichte Röthe flog über ihr feines, etwas überzartes Gesicht. Mein Mann hat Sie ja soeben als unseren Hausfreund feierlich installirt; vor einem solchen macht man aus dergleichen Familienscherzen kein Geheimniß. Die Entstehung dieses Spitznamens reicht übrigens in mein Elternhaus zurück. Aber wollen Sie sich nicht wieder setzen? Und Sie haben Ihr Glas nicht einmal ausgetrunken.

Da er in seiner Stellung verharrte, stand sie gleichfalls auf und ging mit langsamen Schritten einmal durch das Zimmer. Sie glich mit ihrer schlanken, schmiegsamen Gestalt in dem leichten Sommerkleide einem Tanagrafigürchen, das in dies reich ausgestattete moderne Gemach nicht hineinzupassen schien.

Sie öffnete einen der hohen Fensterflügel und sah einen Augenblick in die Nacht hinaus. Dann wandte sie sich wieder um und sagte leise: Sie wissen vielleicht nicht, ich stamme aus einer Offiziersfamilie hier in der Stadt. Wir waren unser acht Kinder, und es wurde meinem Vater nicht immer leicht, da er kein Vermögen hatte, von seiner Oberstengage das Haus auf standesgemäßem Fuß zu erhalten. Die Mutter war kränklich, ich, als die Aelteste, hatte fast die ganze Last der Haushaltung zu tragen. Ich that es sehr ungern. Meine Neigung ging auf ganz Anderes. Lesen, Träumen, Klavierspielen – damit hätte ich am liebsten den ganzen Tag ausgefüllt. Statt dessen hatte ich für zwei ziemlich anspruchsvolle Brüder und fünf kleine Schwestern zu sorgen, und lernte es denn auch mit der Zeit. Noth ist eine gute Lehrmeisterin. Als aber meine zweite Schwester so weit war, daß auch sie mithelfen konnte, besann ich mich auf das Recht der Selbsterhaltung, das jedes Geschöpf besitzt, und erklärte, sechs Tage der Woche wolle ich nach wie vor die Haushälterin machen und in Küche und Kammern, bei Wäsche und Garderobe nach dem Rechten sehen; den siebenten aber müsse ich für mich haben, wenn ich nicht geistig verkümmern und zu einer Wirthschaftsmaschine herabsinken solle. Das wurde mir denn auch zugestanden. Ich schloß mich seitdem an jedem Freitag in mein enges Stübchen ein, aus dem ich nur zu den Mahlzeiten hervorkam. Da ich am Tage vorher noch alle nöthigen Anordnungen getroffen hatte, kam Niemand dabei zu kurz, und ich selbst hatte Zeit, mich nach den öden, zerstreuenden häuslichen Geschäften in mir zu sammeln. Mein ältester Bruder, der mich sehr liebte und deßhalb gern neckte, behauptete, ich sei gar nicht von der gleichen Art wie die Anderen, ich hätte Fisch- oder Nixenblut in den Adern und müsse, wie die Melusine im Märchen, einen Tag in der Woche in mein eigentliches Element zurücktauchen – womit er sehr Recht hatte. Da blieb mir denn der spöttisch gemeinte Name Melusine, in Lusine verstümmelt. Als dann mein Mann um mich warb, erklärte ich ihm freimüthig, daß ich auch in seinem Hause mein Wesen so forttreiben würde. Wenn er mir das nicht zugestehen wolle, könne ich seine Frau nicht werden. Er lachte und erklärte, wenn ich es wünsche, könne diese Clausel sogar in unsern Ehecontract aufgenommen werde. Ihm freilich konnte es wenig bedeuten, ob ich auch alle sieben Tage für mich blieb. Es vergehen ja ohnehin oft genug Wochen, wo ich ihn nur bei Tische zu sehen bekomme, wenn seine Arbeit ihn ganz in Beschlag nimmt.

Eine leise Schärfe klang bei den letzten Worten in ihrer Stimme. Sie war zu dem Tisch zurückgekehrt, griff nach ihrem Glase und trank die letzten Tropfen des Weins. Da er das Schweigen nicht brach, fuhr sie nach einer Weile fort:

Ich habe später an dieser Mädchengewohnheit doch nicht streng festgehalten. Als ich ein Kind bekam, gab es keinen Tag in der Woche, wo ich nur für mich leben konnte. Das hat aber nun wieder aufgehört. Mein Mann hat den Knaben in eine Erziehungsanstalt gethan, als er acht Jahre alt geworden war. Er behauptet, Knaben müßten von Männern erzogen werden, zumal wenn sie eine Phantastin zur Mutter hätten, ihm selbst aber fehle bei seinem Amt und seiner gehäuften wissenschaftlichen Arbeit die Zeit, sich des Jungen anzunehmen. Seit ich nun von meinen natürlichen menschlichen Pflichten getrennt bin, mußte ich wohl wieder meine Zuflucht zur tiefsten Einsamkeit nehmen, die allein alle Entsagungen ertragen hilft. Man nährt wenigstens den Geist, wenn das Herz Hunger leidet.

Er warf einen verstohlenen Blick auf sie, da er hörte, daß ihr die Stimme versagte. Daß er ihre Augen feucht von verhaltenen Thränen sah, erregte ihm ein tiefes Mitleiden. Zugleich ein warmes Dankgefühl, daß diese Frau, die für kalt und hochmüthig galt, da sie unter den Frauen der Stadt um ihres überlegenen Geistes willen wenig Freundinnen hatte, ihn einer so vertrauten Aussprache würdigte.

Hatte nicht auch er selbst ihr Unrecht gethan und sich bei den Mittagseinladungen, die jeden zweiten Sonntag besonders empfohlenen Zuhörern des Professors zu Theil wurden, geflissentlich von ihr fern gehalten? Vor acht Tagen aber war er neben der Hausfrau zu sitzen gekommen und, ehe er sich's versah, in ein eifriges Geplauder mit ihr vertieft worden über das, was ihm selbst zumeist am Herzen lag, die Musik und ihre großen Meister. Ja, er hatte sich hinreißen lassen, ihr zu gestehen, wie schwer es ihm geworden sei, sich dem Willen des Vaters zu fügen und Jura zu studiren, statt auf einer Musikschule sich weiter auszubilden, nachdem er im Stillen alle seine Mußestunden mit Klavierspiel und Versuchen in eigenen Compositionen ausgefüllt hatte. Er stand schon im fünften Semester, das Examen drohte heran, mehr und mehr nagte der Zwiespalt an ihm, es mit seinem Vater zu verschütten, oder sein bestes Leben einem verhaßten Beruf zu opfern.

Seine Nachbarin hatte ihm damals sichtbar mit lebhaftem Antheil zugehört, doch nichts darauf erwidert. Nach Tische sah er, wie sie mit ihrem Manne bei Seite sprach, offenbar von ihm. Denn als die jungen Leute aufbrachen, hatte der Professor ihm gesagt, daß es ihn freuen werde, wenn er sich zuweilen Abends bei ihnen einfinde, eine Gunst, die den Jüngling ein wenig beklommen machte. Er fürchtete, unter sechs Augen möchte seine tiefe Unwissenheit an den Tag kommen.

Dieser erste Abend jedoch hatte ihn beruhigt. Es war dem Hausherrn nicht eingefallen, ihn zu examiniren. Sein lebhaftes Naturell und die Leidenschaft für seine Wissenschaft ließen es ihm undenkbar erscheinen, daß einem seiner Zuhörer irgend Etwas wichtiger sein könne als juristische Probleme. Auch war ihm gut zuzuhören. Seine warme, farbige Beredtsamkeit, die immer in den Kern der Sache drang, belebte die dürrsten Gegenstände, und obwohl er es liebte, sarkastische Töne anzuschlagen, wobei um seine vollen, sehr rothen Lippen feine Schlängelchen zuckten, brach doch zuweilen ein tiefer Gemüthston durch, der auch die große Masse der stumpferen Schüler an die mächtige Person ihres Lehrers fesselte.

Gleichwohl fühlte sich der junge Gast erleichtert, als er sich der Hausfrau allein gegenüber sah. Sein Herz war übervoll von Dankbarkeit, daß sie ihm erlaubt hatte, sich ihr zu eröffnen, ohne daß sie ihn, wie eine richtige Professorenfrau, auf die ernste Pflicht gegen sein Brodstudium hingewiesen hatte. Mit einer unbegrenzten Verehrung blickte er sie an; er wäre im Stande gewesen, ihr seine heimlichsten Gefühle zu offenbaren, und hätte jedes ihrer Worte wie einen Ausspruch der Pythia hingenommen.

Sie sah, daß er ganz in ihren Anblick verloren war, erröthete wieder ein wenig und sagte endlich lächelnd:

Aber wir stehen hier, und die Zeit bis zur Polizeistunde verrinnt unbenutzt. Lassen Sie uns hinübergehen in mein Zimmer. Wir wollen ein wenig Musik machen.

Und da er sich nur unbeholfen verneigte, übrigens aber auf seinem Platze blieb, sah sie ihn einen Augenblick prüfend an und sagte dann, immer lächelnd:

Wie alt sind Sie?

Zwanzig Jahre, gnädige Frau.

Nun, dann darf ich Sie wohl ein wenig bemuttern. Ich werde nächstens dreißig, aber Ehejahre zählen doppelt, und da mir die Ausbildung meines geringen pädagogischen Talents an meinem eigenen Sohn versagt ist, möchte ich es an Ihnen auslassen. Als wohlerzogener junger Mann und guter Sohn haben Sie jetzt die ritterliche Pflicht, mir den Arm zu bieten und mich hinauszuführen. Kommen Sie!

Sie nahm seinen Arm, den er erröthend und eine Entschuldigung stammelnd ihr bot, und sie führte ihn über den von einer Hängelampe erleuchteten Hausflur in ein Gemach am anderen Ende der großen Wohnung. Dem Mädchen, das ihnen begegnete und fragte, ob die Frau Professorin etwas wünsche, trug sie auf, dem Herrn seinen Thee ins Arbeitszimmer hinaufzutragen.

*

Sie bewohnten das einstöckige Hans, das vor der Stadt gelegen war, allein. In den Mansardenzimmern hatte der Professor seine Studierstube neben den Räumen, in denen die große Bibliothek untergebracht war.

Das Zimmer der Frau lag nach dem Garten hinaus, dessen hohe Wipfel zu den fünf schmalen Fensterchen des halbrunden Erkers hereinsahen. Ein großer Flügel nahm die Hälfte des Raumes ein; an der einen Wand stand ein niedriges Ruhebett, gegenüber ein Schreibtisch und ein Bücherschränkchen, Alles aus schwarzem Holz mit schmalen Goldstreifen. Nur wenige Bilder: der schöne Kupferstich nach Ary Scheffer's Francesca von Rimini, darüber der düstere Kopf Beethoven's, die Trippel'sche Goethe-Büste auf einer Säule in der Ecke, über dem Schreibtisch die feinen Profile Chopin's und Alfred de Musset's, von einer geübten Hand mit Bleistift gezeichnet und mit schmalen braunen Leistchen eingerahmt. Der ganze Raum war nur schwach erhellt durch zwei Lampen, deren große Kugeln mit rothen Schleiern umhängt waren.

Der junge Mensch, der an eine sehr bescheidene Häuslichkeit gewöhnt war, stand mitten im Zimmer auf dem weichen Teppich still und ließ seine Augen in naiver Bewunderung an den Wänden herumgehen.

Wie reizend Sie wohnen! Ich begreife, daß Sie sich in diese Einsamkeit gern zurückziehen.

Glauben Sie, daß einen die Coulissen entschädigen können, wenn einem die Komödie nicht gefällt? erwiderte sie rasch. Aber setzen Sie sich dort auf den Divan. Soll ich Ihnen etwas vorspielen? Nur müssen Sie nachsichtig sein. Ich habe nie bei einem rechten Meister Unterricht gehabt.

Er ließ sich auf dem weichen Polster nieder und hörte ihr zu, in einem halb traumhaften Zustande. Sie hatte erst eine Weile präludirt; bei den ersten Accorden erkannte er, daß nicht bloß ihre Fingerspitzen musikalisch waren, sondern jede Nerve der zarten Gestalt von künstlerischem Empfinden erzitterte. Zu den Erkerfenstern, die alle offen standen, wehte der Duft von Jasminen und Rosen herein, die rothe Dämmerung verjüngte das Gesicht der Spielerin, das er unverwandt betrachtete. Alle gütigen Worte, die sie ihm gesagt hatte, klangen in ihm nach, und ein warmes Glücksgefühl überströmte ihn, daß er endlich eine große Seele gefunden hatte, die seine inneren Kämpfe verstand und sich so gütig seiner rathlosen Jugend annehmen wollte.

Indessen hatte sie begonnen, den letzten Satz der Appassionata zu spielen, aus dem Gedächtniß, mit einem Ausdruck, wie er das wundersame Stück selbst von berühmten Meistern nie hatte vortragen hören. Auch er kannte jede Note, und doch erschien ihm Alles neu, als hörte er das Bekenntniß eines sonst verschlossenen Herzens sich gewaltsam losringen. Immer heftiger klang der Sturm dieser Gefühle, in immer rasenderem Tempo wogten die Tonwellen dahin, plötzlich sanken der Spielerin die Hände von den Tasten, und sie fuhr von ihrem Sitz in die Höhe.

Und so weiter! kam es von ihren schwerathmenden Lippen. Ich habe den Faden verloren. Nein, ich will nicht lügen: ich scheue mich, Alles herauszusagen, was mir bei dem Finale durch den Sinn geht. Nun ist es an Ihnen. Spielen Sie mir etwas von Ihren eigenen Compositionen. Eine Stümperin, wie ich, sollte nie einen Zuhörer haben.

Und da er Miene machte, ihr seine Bewunderung auszudrücken:

Glauben Sie doch nicht, daß dies nicht ernst gemeint sei. Fishing for compliments ist so verächtlich. Ich weiß selbst, daß eine Künstlerin in mir steckt, aber sie ist verkrüppelt geblieben wie ein Schmetterling, der in der Puppe sich nicht auswachsen konnte. Man muß sein Leben an die Kunst setzen; ein einziger Tag in der Woche genügt nicht; Melusine bleibt ewig ein amphibisches Geschöpf, nicht ganz Fisch und nicht ganz Mensch. Das ist nun nicht mehr zu ändern. Also spielen Sie, spielen Sie!

Trauen Sie mir zu, daß ich mit meiner schülerhaften Stümperei mich hervorwagen möchte, nachdem ich eben wieder vom Höchsten berührt worden bin, was ein unsterblicher Genius geschaffen hat?

Sie trat an ein Tischchen im Erker, auf dem eine Schale voll frischer Blumen stand und nahm eine Jasminblüte heraus.

Ihre Zurückhaltung ist ebenso thöricht, sagte sie, als wenn diese Blume sich weigern wollte zu duften, weil draußen im Garten die große Linde über und über voll Blüten hängt. Was bedeutet Groß und Klein? Jedes Talent hat sein eigenes gutes Recht zum Dasein, wenn es nicht lügt und etwas zu sagen hat.

Er war zaudernd an das Klavier getreten, sie aber nahm seinen Platz auf dem Divan ein, nur daß sie sich müde zurücklehnte und die kleinen Füße auf das Polster zog. So lag sie, die Blume zwischen den schmalen Fingern haltend, den Blick auf den Jüngling gerichtet, der immer noch unschlüssig auf die Tasten starrte.

Ich habe ein paar Stücke für Klavier gemacht, sagte er. Aber da ich in meiner Studentenwohnung kein Instrument vorfand, auch keins miethen wollte, um mich in dem nothgedrungenen Fleiß nicht zu stören, so fürchte ich, diese unbehülflichen Erstlinge möchten sich noch unvortheilhafter ausnehmen, als sie selbst bei gutem Vortrage thun würden. Mein Lehrer in der Harmonie – denn den Contrapunkt habe ich ohne Hülfe studieren müssen – ein alter Organist von unserer Stadtkirche, lobte immer besonders eine kleine Träumerei, die freilich etwas stark an Chopin anklingt. Wenn Sie sie hören wollen –

Er spielte nun, und sie schien ihm mehr mit den Augen als mit dem Ohr zu folgen. Auch war es auffallend, wie sein Gesicht während des Spiels sich veränderte: die Züge, die sonst weder schön noch bedeutend erschienen, erhielten ein geistiges Gepräge, das sie höchst anziehend machte, eine eigenthümliche träumerische Wildheit glänzte in den dunklen Augen auf, und der fast mädchenhafte Mund, den der Anflug eines weichen Bartes sonst nicht eben männlicher zu machen vermochte, bekam auf Einen Schlag einen vornehmen, charaktervollen Ausdruck.

Als er geendet hatte, hörte er aus dem dunklen Sophawinkel heraus ihre Stimme:

Recht hübsch, und man merkt Ihrem Spiel nicht an, daß Sie lange nicht geübt haben. Aber ich finde Sie noch nicht in dem Stück. Haben Sie nichts, worin Sie schon zu sich selbst gekommen sind?

Seine sehr weiße Stirn überflog eine leichte Röthe. Vielleicht nur ein paar Lieder. Aber ich singe gräulich. Ich wage es wirklich nicht –

Sie können es dreist wagen. Ich weiß, was man von einer Componistenstimme zu erwarten hat. Auch kommt es mir nur auf die Melodie an.

Er wandte sich wieder zu dem Instrument, schlug ein paar Accorde an und begann dann zu singen:

Du lispeltest: Ich liebe dich,
Ich liebe dich bis in den Tod! –
Und deiner Wange Glanz erblich
Und deiner Lippe junges Roth.

Ich habe nur gelacht dazu
Und quälte dich mit losem Sinn.
Die feuchten Augen neigtest du
Und starrtest träumend vor dich hin.

Und heiße Briefe schriebst du mir,
Drin stand: Ich bin zu alt und müd'.
Du junges Blut, wie paßt zu dir
Die Blume, die schon halb verblüht!

Zu alt und müd'! Da Berg und Thal
Mit neuem Flor sich hell belaubt,
Du sahst mich an zum letzten Mal,
Und in die Kissen sank dein Haupt.

Und jetzt im Traum besuchst du mich
Und lächelst trüb ins Morgenroth.
Die Lippe haucht: Ich liebe dich,
Ich liebe dich bis in den Tod!

*

Die Begleitung verklang leise, wie die letzten Athemzüge einer Sterbenden. Eine Weile war es so still in dem halbdunklen Zimmer, daß man draußen im Garten die Wipfel rauschen hörte, die ein heranziehender Gewitterwind schüttelte.

Dann ließ sich aus der Sophaecke die Stimme der Frau vernehmen:

Von wem ist das Lied?

Von mir, gnädige Frau.

Ich meine, die Verse?

Ich habe sie selbst gedichtet. Schon vor drei Jahren.

Sie waren siebzehn damals. Wie kamen Sie dazu?

Es war ein Erlebniß. Im vierten Stock des Hauses, worin wir wohnten, hatte sich eine arme Näherin eingemiethet, mit der ich dann und wann einen Gruß wechselte, wenn wir uns auf der Treppe begegneten. Sie mußte einst hübsch gewesen sein und schien traurige Schicksale gehabt zu haben, die sie lange vor der Zeit alt und lebensmüde gemacht hatten. Denn sie war noch nicht dreißig alt, als ich sie kennen lernte. Einmal sagte sie mir, daß es ihr einziges Vergnügen sei, meinem Klavierspiel zuzuhören, wenn ich mein Fenster offen ließe. Ihre Dachkammer lag gerade über meinem Zimmer, durch zwei Stockwerke getrennt. Ich war noch Gymnasiast, sechzehn Jahre alt, und die rührende Anmuth und Bescheidenheit des blassen Wesens machte Eindruck auf mich. So kam's, daß ich einen Vorwand ergriff, sie in ihrem Vogelbauer, wie sie ihr luftiges Stövchen nannte, zu besuchen, heimlich, da meine Eltern mir einen solchen Umgang nicht erlaubt haben würden. Ich merkte bald, daß sie ein wenig sentimental war, aber sie gefiel mir trotzdem, und ich ließ mich mit der Eitelkeit eines angehenden Dichters, wofür ich mich damals hielt, von ihr hätscheln, las ihr meine schlechten Verse vor, brachte ihr Blumen und erlaubte ihr gnädig, mich anzubeten. Dazwischen bekam sie auch meine ungezogenen Launen zu kosten, denn ich war herzlos genug, mich daran zu weiden, wenn ich sie tyrannisierte und sie demüthig Alles hinnahm. Als sie aber endlich ihren Leiden erlag – sie war brustkrank, und der Tod glänzte schon lange aus ihren großen blauen Augen – hatte ich doch einen heftigen Schmerz zu überwinden. Und noch ein Jahr später war sie mir so gegenwärtig, daß ich das Gedicht niederschrieb und gleich in Musik setzte, um mir den Druck vom Herzen zu singen.

Die Frau glitt leise vom Divan herunter und wandelte schweigend durch das Zimmer. Dann trat sie vor den Jüngling hin und sagte mit einer Stimme, in der eine tiefe Erregung klang:

Wissen Sie, daß Sie ein gottbegnadeter Mensch sind? Sie können sagen, was Sie leiden. In diesem Liede ist ein Dichter zu Wort gekommen, dessen Herzenssprache von Niemand entlehnt ist. Und doch steht mir der Musiker höher. Halten Sie mich nicht für so thöricht und anmaßend, daß ich mir zu prophezeien getraute, Sie seien berufen, das Höchste in dieser Kunst zu leisten. Aber daß Sie unglücklich werden, wenn Sie nicht Alles daransetzen, zu versuchen, wie weit Sie darin kommen möchten, davon bin ich fest überzeugt.

Sie wissen, gnädige Frau –

Nennen Sie mich nicht mehr so, ich bin Ihre mütterliche Freundin, nennen Sie mich Frau Lusine, da Sie doch einmal in das traurige Geheimniß meiner Halbmenschlichkeit eingeweiht sind. (Sie setzte sich auf einen niederen Sitz neben dem Flügel.) Und nun lassen Sie sich sagen: ich bin Ihnen auf Ihre Geständnisse neulich bei Tische die Antwort schuldig geblieben. Ich wußte ja nicht, ob Ihre Liebe zur Musik, die Sie mit Ihrem Studium entzweit, nicht vielleicht eine unglückliche Passion sei. Heute weiß ich, daß die Stimme in Ihrem Inneren Sie nicht betrügt, daß Sie ein geborener Künstler sind. Um aber diese Gunst der Götter zu verdienen, müssen Sie den Muth Ihres Talents haben und aller Halbheit entsagen. Ich meine nicht, daß Sie etwa keine Verse, sondern nur Musik machen sollten, oder umgekehrt. Beides verträgt sich sehr wohl mit einander. Aber aus dem Dilettantismus müssen Sie herauskommen.

O, rief er, meine theure gnädige – theure Frau Lusine, wem sagen Sie das? Ich verlangte mir ja nichts Besseres, ich fühle ja nur zu gut, daß mich dies Tasten und Tappen elend macht und daß ich's nie weiterbringen werde, als allenfalls ein Paar Lieder zu erfinden, wenn ich nicht mein ganzes Leben daran setze. Aber wenn Sie meinen guten Papa kennten –

Ich kenne ihn freilich nicht, aber mein Mann kennt ihn, und ich zweifle nicht, da der Herr Justizrath so großen Respect vor seinem alten Studiengenossen hat, daß es einem Fürwort meines Mannes gelingen wird, Ihnen Ihre Freiheit zu verschaffen und Sie auf einen Weg zu führen, auf dem Ihr Genius Sie weiter geleiten wird. Und wenn der Weg rauh und entsagungsvoll sein sollte und innere und äußere Noth Ihnen reichlich zu Theil würde, – Sie werden es mir doch einst danken, daß ich Sie ermuthigt habe, das Alles über sich zu nehmen. Ich selbst, wenn ich heute wieder vor der Wahl stände, ein glänzendes Leben zu haben, in welchem doch meine innerste Natur verschmachten muß, – aber nein, ich darf mich nicht zum Vergleich anführen. Selbst wenn mein Vater die Mittel gehabt hätte, mich in ein Konservatorium zu schicken, im besten Fall hätte ich's nur zu einer Klaviervirtuosin gebracht, an denen ja, Gott sei Dank, kein Mangel ist. Und dann empfände ich's vielleicht nur um so schmerzlicher, daß das Schicksal uns Frauen die schöpferische Gabe versagt hat. Ueberhaupt – von mir ist ja nicht die Rede – von Ihnen, lieber Freund, und darum, wenn Sie mich nicht tief betrüben wollen, geloben Sie mir, daß Sie sich zu einem großen, freien Entschluß aufraffen und Ihre Zukunft in die eigene Hand nehmen wollen.

Sie war wieder aufgestanden, ihre Wangen brannten, sie trat zu dem tief in Sinnen Versunkenen hin und streckte ihm beide Hände entgegen. Als er in glühender Verwirrung den Kopf hob und mit einem begeisterten Blick wie in einem stummen Gelöbniß zu ihr aufsah, beugte sie sich rasch zu ihm hinab, und ihre Lippen berührten seine Stirn. Theure, verehrte Freundin! stammelte er und faßte ihre Hände, auf die er einen schüchternen Kuß drückte – wie gut Sie sind – wie soll ich Ihnen je genug danken –

Durch die That! erwiederte sie feierlich, indem sie von ihm zurücktrat. Das Nächste muß sein, daß Sie mir Alles bringen, was Sie je componirt haben. Sie haben es doch bei sich? Wir wollen es mit einander durchsehen, es wird Vieles sehr jugendlich sein, Anderes schon von Ihrem eigenen Blut getränkt. Ich habe Verbindungen mit Musikern, an die ich mich wenden will, sie für Sie zu interessiren. Haben wir dann einige maßgebende Urtheile in Händen, so frage ich meinen Mann, ob der Juristenfacultät mit einem Studenten gedient sein könne, der invita Minerva – so heißt es ja wohl – über den Pandekten sitze. Das Weitere wird die Zeit bringen. Nun aber müssen Sie gehen. Da wir den guten Willen meines Mannes für uns haben müssen, dürfen Sie die berüchtigte Polizeistunde nicht übertreten. Gute Nacht, Lucius. Träumen Sie sanft – auch von Ihrer mütterlichen Freundin!

*

Als der glückliche junge Mensch die Hausthüre hinter sich verschließen hörte, stand er erst eine Weile auf der dunklen Gasse still und sah zu den Sternen hinauf, unter denen der Nachtwind ein dunstiges Gewölk hintrieb. Auch in seinem Kopf und Herzen wetterleuchtete es, und aus dem Gewühl und Gewoge aller Gefühle tauchte nur eines in voller Klarheit auf: eine überschwängliche Dankbarkeit gegen die edle Frau, die mit so fester Hand in sein schwankendes Schicksal eingegriffen hatte.

Er fühlte sich einen Augenblick versucht, ins freie Feld hinauszuwandern, um seine Stirn zu kühlen und die aufgeregten Sinne zu beschwichtigen. Aber ein paar schwere Tropfen, die aus den Wolken fielen, ließen es ihm doch rathsam erscheinen, sein Haus aufzusuchen. Doch beeilte er seine Schritte nicht. Er ging vielmehr mit gesenktem Kopf langsam wie ein von einem Gelage Kommender und blieb zuweilen stehen, sich jedes Wort, das die Freundin gesagt, zurückzurufen und das ganze wundersame Erlebniß noch einmal zu durchleben. Als er endlich bei seiner Hausthür angelangt war, konnte er noch gerade hineinschlüpfen, ehe das drohende Wetter in einem mächtig niederrauschenden Regen sich lös'te.

Das schmale einstöckige Haus gehörte der Wittwe eines Eisenkrämers, die das Geschäft mit Hülfe eines alten zuverlässigen Commis fortführte, ohne sich selbst viel darum zu kümmern. Im Erdgeschoß befand sich außer dem Laden und dem Magazin nur noch ein Zimmer, das der Gehülfe bewohnte. Die Hausfrau mit ihrer Tochter und einer jungen Magd hatte die vier kleinen Zimmer des ersten Stocks inne und vermiethete die beiden Mansardenstübchen an Studenten. In diesem Semester war das eine leer geblieben, so daß Lucius ohne alle Störung sich seinen Studien hätte hingeben können, wenn es ihm Ernst damit gewesen wäre. Nun regte ihn die Stille droben und der Ausblick in die kleinen Gärten nur zu langer, unfruchtbarer Träumerei und Liedercompositionen an, und da er bei Beginn des Sommersemesters fremd in die Stadt gekommen war und allen Gelegenheiten zu kameradschaftlichem Verkehr beharrlich auswich, stand er bei seinen Hausgenossen in dem Ruf eines Musterstudenten, der vor übereifrigem Studieren seine Gesundheit nicht schone und unzweifelhaft ein glänzendes Examen machen werde.

Der sonderbare Träumer aber zog sein stilles Dachstübchen noch aus einem ganz anderen Grunde der lärmenden Kneipe seiner Commilitonen vor. Die Tochter der Hausfrau nämlich, das blonde Berthchen, ein schlankes, dunkeläugiges Philisterkind von achtzehn Jahren, das für eines der hübschesten Mädchen der Stadt angesehen wurde, hatte die Gewohnheit, ihre häuslichen Geschäfte beständig mit einem verstohlenen Singen zu begleiten, das, wenn es auf der Gasse still war, droben unter dem Dache sich sehr lieblich anhörte. Gleich, da er sich hier einmiethete, hatte das Herz des jungen Studenten Feuer gefangen an dem kühlen, aber freundlichen Blick, mit dem die Haustochter ihn betrachtete. Da die Mutter sie ziemlich strenge hielt und einen traulichen Verkehr mit ihren jungen Miethern nicht erlaubte, war er auf die flüchtige Begrüßung beschränkt, die beim Kommen und Gehen auf der Stiege sich ergab. Auch war das Berthchen überhaupt nicht von vielen Worten, so daß es schien, als ob die einzige Art, sich den Menschen mitzutheilen, eben jenes liebliche Gezwitscher sei, so wenig auch der Text der alten Volkslieder, deren sie eine große Menge wußte, zu ihrer persönlichen Erscheinung paßte. Denn sie waren meist auf einen wehmüthigen Grundton gestimmt, während das junge Mädchen in voller Gesundheit blühte und auch sonst das beste Leben hatte, da sie von ihren Bekannten bewundert und gehätschelt wurde.

Lucius aber hatte sich mehr und mehr in dem Glauben bestärkt, in der vorwiegenden Molltonart ihres Singsangs verrathe sich ein verschwiegener Kummer, und da ihm selbst so wenig heiter zu Muthe war, fühlte er sich mit einer warmen Sympathie zu dem seltsamen Kinde hingezogen, die nach und nach zu einer zärtlichen Leidenschaft heranwuchs. Sein Künstlerblut hatte ihn von früh an in allerlei Herzensabenteuer verstrickt, die aber stets einen unschuldig romantischen Verlauf hatten und keine tieferen Wunden und Narben zurückließen. Jetzt zum ersten Male, da der geliebte Gegenstand unter Einem Dache mit ihm wohnte, drohte die Flamme ihm über den Kopf zusammenzuschlagen, gerade weil weniger Aussicht als je zu einem glücklichen Ende vorhanden war.

Denn nicht nur die Hoffnungslosigkeit seiner Zukunft, da er mit seinem Beruf zerfallen war, beklemmte ihm das Herz, auch die unleugbare Erkenntniß peinigte ihn, daß er in all den Wochen, seit er mit kleinen Aufmerksamkeiten und schüchternen Huldigungen das Mädchen umworben hatte, in ihrer Gunst keinen Schritt weitergekommen war. Sie nahm die Blumen, die er ihr brachte – er legte sie ihr stillschweigend auf das Tischchen im Hausflur hin – mit einem freundlichen Nicken an, stand ihm auf seine Versuche, eine kleine Conversation anzuknüpfen, unbefangen Rede, ohne jedes Bemühen, das Gespräch weiterzuspinnen, und hörte ihn oft die Stiege herunter- oder heraufkommen, ohne einen Vorwand zu suchen, das Zimmer zu verlassen, um ihm zu begegnen.

Diese züchtige Zurückhaltung bestärkte ihn in der guten Meinung von Berthchens Charakter, zugleich aber, da er ohne eitle Selbstgefälligkeit sich sagen mußte, er könne wohl Anspruch darauf machen, von einer jungen Hausgenossin etwas weniger kaltsinnig behandelt zu werden, schürte dieser kühle Hauch sein leidenschaftliches Gefühl, und er nahm sich vor, bei der nächsten Gelegenheit sie geradezu zu fragen, ob er ihr wirklich zuwider sei, oder ob sie einen Grund zur Schwermuth habe, der sie gegen alle freundliche Annäherung gleichgültig mache.

*

Wie erstaunte er daher, als er die Hausthür aufgeschlossen hatte und schon unten an der Treppe ein munteres Lachen hörte, das nur von den Lippen des sonst so in sich gekehrten Mädchens kommen konnte. Man pflegte ihm in der Regel, wenn er sich verspätet hatte, ein trübes Oellämpchen auf die unterste Stufe hinzustellen, da die alte hölzerne Stiege in halsbrechender Steile hinanführte. Heute fehlte diese Leuchte, dagegen drang ein heller Schein von dem Treppenflur des oberen Stockwerks herab, und wispernde Stimmen, von gedämpftem Lachen unterbrochen, verriethen ihm, daß die Hausbewohner heute nicht wie sonst mit dem zehnten Glockenschlag Nacht gemacht hatten.

Wirklich fand er, als er hastig hinaufgestiegen war, das Berthchen neben dem kleinen Tische sitzend, an der anderen Seite desselben eine Freundin, der er schon hin und wieder im Hause begegnet war, zwischen ihnen eine Lampe, bei deren Schein sie Beide sich beeiferten, an einer fast fertigen großen Stickerei die letzten Stiche zu machen. Als er vor ihnen stand und seinen Guten Abend vorbrachte, sahen die Mädchen dreist zu ihm auf, und ihre muthwilligen Mienen verriethen, daß sie sich an seinem verdutzten Ausdruck ergötzten. Zum ersten Mal sah er auch das träumerische Gesicht seiner Stillgeliebten von einem leisen Muthwillen glänzen, während die Freundin aufstand und ihn mit einem höflichen Knix begrüßte.

Ich erlaube mir, mich dem Herrn selber vorzustellen, sagte sie; ich bin die Jucunde, von der Berthchen Ihnen wohl schon gesprochen hat, wenn sie es überhaupt der Mühe werth hält, einen so gelehrten jungen Herrn mit ihren Freundinnen bekannt zu machen. Sie finden uns hier beschäftigt, ein gemeinsames Hochzeitsgeschenk für Berthchens Cousine fertig zu machen, und wir müssen dazu die Nacht zu Hülfe nehmen, da schon übermorgen der Polterabend stattfinden soll. Sehen Sie, es ist ein ganz hübscher Tischteppich, nicht wahr? und es fehlt nicht mehr viel daran, nur noch eine Hauptsache, und wegen deren, auch um die Mutter nicht im Einschlafen zu stören, da die Arbeit doch ohne ein bissel Schwatzen nicht vorwärts rückt, haben wir uns hier außen hingesetzt. Wir wollten nämlich Ihnen hier auflauern, denn unser Anschlag betrifft Sie, und wir hoffen, Sie werden uns dies Wegelagern verzeihen, da wir uns nicht anders zu helfen wußten.

Er betrachtete die dreiste kleine Sprecherin während dieser flinken Rede, die ihm räthselhaft blieb, mit großem Wohlgefallen, obwohl sie eher häßlich als hübsch und sogar ein wenig verwachsen war. Aber ihrem klugen Gesicht stand der muthwillige Zug um den blassen Mund und die braunen Augen allerliebst, und daß sie das melancholische Berthchen zum Lachen brachte, rechnete er ihr zum Verdienst an.

Er sei zu Allem bereit, was die Fräuleins von ihm begehrten, erklärte er eifrig, und bitte nur, ihm zu sagen, worauf es bei diesem Hinterhalt abgesehen sei, ob auf Geld oder Blut.

Auf keins von Beiden. Doch erst – und dabei warf sie einen schalkhaften Blick auf die erröthende Freundin – müsse eine kleine Sünde gebeichtet werden. Man sei dahintergekommen, daß Herr Lucius, wie Berthchen den Namen auf einem Briefcouvert gelesen habe, ein heimlicher Dichter sei. Auf seinem Schreibtisch, den in seiner Abwesenheit abzustäuben man nicht der Magd habe überlassen dürfen, hätten sich lose Blätter gefunden, die mit Versen beschrieben gewesen seien, in derselben Handschrift wie die Collegienhefte. Das Haus fühle sich sehr geehrt, daß es einen Dichter unter seinem Dach beherberge. Aber jede Würde führe eine Bürde mit sich, und so stellten sie an den verehrten Dichter das Ansinnen, ihnen ein schönes Polterabendgedicht zu verfassen, mit welchem sie den Teppich überreichen könnten. Berthchen natürlich, die nicht zum ersten Male bei feierlichen Gelegenheiten eine Ehrenjungfrau gewesen sei und sogar Bismarck einmal habe anreden müssen, werde die Sprecherin machen. Sie selbst, Jucunde, gedenke sich mit umgehängtem Teppich hinter ihr zu halten, da ihr Aeußeres nicht geeignet sei, einer solchen Scene besonderen Glanz zu verleihen.

Ich fürchte, ich werde Ihre Erwartungen täuschen, sagte der Jüngling lachend. Ich bin kein gelernter Dichter, der die Poesie commandiren kann, und wenn ich die Personen und Verhältnisse nicht kenne, nicht einmal weiß, ob man etwas Sentimentales oder Lustiges erwartet –

Damit kommen Sie nicht durch, unterbrach ihn die lebhafte kleine Person. Sind Sie sehr müde oder können uns noch zehn Minuten schenken? Nun, ich will Ihnen in Kurzem die Braut und den langweiligen Peter, den Bräutigam, und die lieben Anverwandten beschreiben, da werden Sie schon sehen, auf welchen Ton unsere Ansprache gestimmt sein muß.

Und nun entwarf sie in aller Geschwindigkeit eine Reihe drolliger Caricaturen, nach jedem Charakterkopf Berthchen befragend: Ist's übertrieben? Hab' ich ihm – oder ihr – Unrecht gethan? – bis sie endlich alle Drei in eine so ungebundene Lachlust geriethen, daß nebenan aus dem Zimmer der Mutter ein strafender Ruf erscholl, der sie plötzlich still machte.

Komm, sagte Jucunde und ergriff die Lampe, wir wollen schlafen gehen – ich übernachte nämlich bei Berthchen, um morgen gleich wieder an die Arbeit zu gehen – erst aber wollen wir unserm Herrn Dichter zu Bette leuchten.

Was fällt dir ein! flüsterte das schöne Kind. Du weißt – ich darf nicht, außer wenn er nicht zu Haus ist –

Ei was! Unter dem Schutz eines solchen Tugenddragoners, wie ich bin! lachte die Andere. Nur geschwinde und dabei den Mund gehalten! Ich eröffne den Zug.

Mit verhaltenem Athem und auf den Zehen stiegen sie die knarrenden Stufen hinauf und betraten das niedere, aber geräumige Zimmer, dessen zwei viereckige Fenster unter dem abgeschrägten Dach weit offen standen.

Jucunde, während Lucius seine Kerze anzündete, leuchtete an den Wänden herum und sagte: Es sieht gar nicht recht studentenmäßig bei Ihnen aus, keine gekreuzten Schläger, Pfeifen und Corpsmützen. Nun, ich weiß ja, daß Sie der reine Tugendsimpel sind und einmal einen Musterehemann abgeben werden, obwohl ich Keinen möchte, der nicht erst recht ausgetobt hätte. Aber nun zeigen Sie uns erst das Bild Ihrer Geliebten. Denn ein Dichter ohne Liebe ist doch wie ein Fisch auf dem Trocknen oder eine Mühle ohne Korn.

Er erröthete zu seinem Verdruß bis an die Schläfen, indem er mit einem scheuen Blick das ihm abgewandte Berthchen streifte. Ich habe wirklich im Augenblick – sagte er stockend – wissen Sie, was man Herzensferien nennt?

Ich? Natürlich! Oder doch auch nicht. Denn mein Herz hat immer Ferien, da es nicht so dumm ist, sich hoffnungslos abzuarbeiten. Ein solches Alräunchen, wie meine Wenigkeit, mag Niemand, das ist nur gut zur Vertrauten von Anderen, die bei der Vertheilung der Gaben besser weggekommen sind. Das Berthchen zum Beispiel –

Aber Jucunde!

Nun, Schatzkind, ich sage dir ja nichts Neues, auch dem Herrn Lucius nicht. Aber nehmen Sie sich nur in Acht, Herr Dichter, daß Ihre Herzensferien nicht etwa hier im Hause zu Ende gehen. Stille Wasser sind tief, und wenn ich reden dürfte –

Jetzt aber ist's genug! rief die Blonde dazwischen und ergriff die Lampe. Wir danken Ihnen sehr für Ihr freundliches Versprechen und bitten nochmals, unsere Zudringlichkeit zu entschuldigen. Gute Nacht, Herr Lucius!

Sie huschte aus dem Zimmer, und die Freundin folgte ihr mit sichtbarem Widerstreben, nachdem sie dem Studenten ihre warme kleine Hand zum Abschied mit einem herzlichen Druck gereicht hatte. Der aber trat ans Fenster und sah in die Wolken hinauf, zwischen denen schon wieder hie und da ein Stern hervortrat, während das Gewitter fern vergrollte. Ihm war wohl und wonnig zu Muth. Was hatte dieser Abend ihm alles an gegenwärtigem Glück und holden Verheißungen beschert! Die Freundschaft einer so herrlichen Frau und die erste leise Ermuthigung, sich dem geliebten Mädchen nähern zu dürfen. Er sprach mehrmals die beiden Namen laut vor sich hin: Lusine – Berthchen. Da dies aber seiner schwärmerischen Aufregung nicht genügte, holte er seine Geige hervor, die er auf die Universität mitgebracht hatte, um doch etwas Klingendes bei sich zu haben. Seine Kunst auf diesem Instrument, da er das Ueben sehr vernachlässigt hatte, war nicht groß. Er konnte sich nur an einfache Melodieen wagen, die er aber rein und mit weichem Ton vorzutragen verstand. Nun spielte er pianissimo eines der Volkslieder, die Berthchen zu singen pflegte, und zu seinem Erstaunen und Entzücken fielen unter ihm, wo die Mädchen schliefen, zwei leise Stimmen ein, die er bei den geöffneten Fenstern deutlich unterschied. Er begann dann eine andere Melodie, hörte aber von unten ein leises »Bst!« heraufzischen, unsicher, ob es von der Mutter oder einem der Mädchen kam. Da legte er die Geige in den Kasten zurück und ging, den Kopf voll seliger Träume, zu Bette.

*

Am andern Morgen war sein erstes Geschäft, das bestellte Polterabendgedicht zu verfassen, das ihn eine schwere Mühe kostete. Immer kam ihm das Bild der lieblichen Sprecherin dazwischen und andrerseits die Fratzen, die Jucunde nach den ehrsamen Gesichtern der Brautfamilie gezeichnet hatte, so daß er im Schweiße seines Angesichts nur ein ganz lahmes, hochtrabendes Ungethüm von drei achtzeiligen Strophen zu Stande brachte.

Zu seinem Erstaunen fand aber diese Notharbeit großen Beifall bei den Bestellerinnen, als er sie ihnen unten im Wohnzimmer der Hausfrau vorlas, und diese selbst, der die Mädchen den Grund des nächtlichen Rumors gebeichtet hatten, erklärte sich durch einen so schönen Erfolg des unartigen Ueberfalls versöhnt.

Lucius konnte merken, daß von den beiden Freundinnen keine auch nur das leiseste Verständniß für etwas Poetisches besaß. In seiner zärtlichen Verblendung aber schien es ihm gerade doppelt reizend, daß das blonde Kind aus dem Volk jeder künstlichen Bildung entbehrte und doch aus des Knaben Wunderhorn so reichliche Gaben zu spenden hatte. Er entzog sich bescheiden dem bewundernden Dank und flüchtete wieder in sein einsames Stübchen hinauf.

Hier begann er nun sogleich mit der Durchsicht und Prüfung seiner musikalischen Manuscripte, die er in ziemlicher Anzahl in seinem Koffer mitgeführt hatte. Das Wenigste davon wollte ihm noch genügen, und zuletzt schien ihm nur eine Klaviersonate, ein paar Rondos für die Geige und ein Dutzend Lieder nicht ganz verächtlich und allenfalls geeignet, für seinen musikalischen Beruf Zeugniß abzulegen.

Er hätte nun am liebsten gleich den ganzen Haufen zusammengerafft und seiner Gönnerin hingetragen. Doch kam es ihm gar zu unbescheiden vor, die gütige Erlaubniß sich so rasch zu Nutze zu machen, und erst am Nachmittag des nächsten Tages trat er, die Mappe mit den Musikalien unterm Arm, den Weg zu der Villa vorm Thore wieder an.

Die Herrin kam ihm an der Schwelle ihres Zimmers entgegen. Sind Sie es wirklich? sagte sie mit einem deutlichen Ton des Vorwurfs. Ich dachte schon, es sei Ihnen wieder leid geworden, mich ins Vertrauen gezogen zu haben.

Er stammelte eine unbeholfene Entschuldigung, während er ihr in das trauliche Gemach folgte. Er habe sie nicht überlaufen wollen, ihre Güte nicht mißbrauchen.

Sie sah ihn ernsthaft an und sagte: Ein für allemal, lieber Freund, müssen Sie sich daran gewöhnen, nicht auf dem Fuß einer banalen Höflichkeit mit mir zu verkehren. Ich habe es ehrlich gemeint, als ich Ihnen meine Freundschaft und die Fürsorge für Ihr junges Leben zusagte. Ich habe gestern den ganzen Tag darauf gewartet, daß auch Sie die Sache ernst nehmen würden, und nun sprechen Sie davon, Sie hätten meine Güte nicht mißbrauchen wollen. Noch einmal, einen solchen Ton zwischen uns dulde ich nicht. Wenn Sie es gut mit sich selber meinen, hüten Sie sich vor allen conventionellen Phrasen, oder wir löschen lieber gleich den vorgestrigen Abend aus unserm Gedächtniß aus.

Verzeihen Sie, sagte er, gerührt von so viel Güte, ich werde in Zukunft mich in meinen Arten und Unarten so unbefangen gehen lassen, daß es Ihnen am Ende selbst unbequem sein wird. Hier gleich zum Anfang ein dicker Pack Notenpapier, dessen Durchsicht ich Ihnen zumuthe.

Er mußte sich an den Flügel setzen, die Sonate spielen und einige von den Liedern singen. Sie lag dabei wieder in sich geschmiegt wie eine Eidechse auf dem Divan, und ihre Augen ruhten auf seinem Gesicht, das sich im Feuer des Vortrags glänzend belebte.

Es ist nun für heute genug, unterbrach sie ihn endlich. Ich habe keine lange Genußkraft.

Dann sprach sie ausführlich mit ihm über das Gehörte, von dem nur Weniges ihr ganz genügte. In Allem aber, sagte sie zuletzt, finde ich das Wichtigste für den werdenden Künstler, das musikalische Naturell, ohne das alle technische Kunst nur einen Mantel um die Blöße wirft und man es nicht weiter bringt als zum tönenden Erz und zur klingenden Schelle. Bringen Sie mir das nächste Mal – ich meine morgen – Ihre Geige. Ich muß die Rondos hören, wie sie eigentlich gemeint sind. Und nun lassen Sie uns ein wenig in den Garten gehen. Sie müssen mir noch von Ihrer Jugend erzählen.

Sie warf ein schwarzes Spitzentuch über das aschblonde Haar und schritt in den Garten ihm voran. Oben im Fenster der Studierstube ward das mächtige Haupt des Hausherrn sichtbar. Guten Abend, junger Freund! rief er hinunter. Ich höre von meiner Frau, daß die Allotria, die Sie treiben, Sie am Ende unserer gestrengen Wissenschaft abtrünnig machen möchten. Nun, davon reden wir noch mehr. Vorläufig wünsche ich Ihnen, daß Sie das musikalische Examen summa cum laude bestehen mögen. Man braucht darum noch nicht zu fürchten, daß Sie bei Frau Themis durchfallen müssen. Es gab große Juristen, die für Bach und Mozart schwärmten.

Das Fenster flog zu, ehe Lucius ein Wort erwidern konnte. Ihm war aber ein Stein vom Herzen gefallen. Ich kann Ihnen nicht genug danken, verehrte Frau, sagte er, daß Sie mit Ihrem Herrn Gemahl gesprochen und ihn günstig gestimmt haben.

Warten wir's ab! sagte sie nachdenklich. Ich habe schon bereut, es gethan zu haben, es war verfrüht. Jedenfalls wird es nun Niemand auffallen, wenn Sie sehr oft kommen. Auch wenn ich nicht zu Hause bin, damit Sie Ihre Klavierübungen fortsetzen können. Sie werden die Thür immer offen finden, obwohl sonst Niemand das Zimmer betreten darf. Aber Sie haben die Eroberung meiner Lisette gemacht, die für Sie schwärmt. Hüten Sie sich nur, nicht einer zweiten Luise den Kopf zu verdrehen.

Als er eine Stunde später sich verabschiedete, zog sie ein kleines Büchlein aus der Tasche und sagte, ein leichtes Erröthen verbergend: Ich habe hier ein altes Album, von der Hand einer Schulfreundin geschrieben, allerlei sehr jugendliche Reimereien, aber einige darunter, die mir einen Eindruck gemacht haben, so daß ich das Büchlein nicht mit anderem Schulkram verbrannte, als ich heirathete. Nehmen Sie es mit und sehen es durch. Vielleicht weckt eins oder das andere dieser Mädchenlieder eine Melodie in Ihnen.

*

Wieder verließ Lucius seine »mütterliche Freundin« mit dem Gefühl überschwänglicher Dankbarkeit, der er indessen nur in verworrenen Worten Ausdruck geben konnte. Als er aber auf die Straße hinaustrat, gesellte sich sogleich wieder eine andere weibliche Gestalt, unsichtbar und doch mit dem Hauch der nächsten Nähe, zu ihm, die ihn auch hinausbegleitet hatte. Er war so erfüllt von der Wonne dieser lieblichen Gesellschaft, daß sich während des Heimwegs sein Herz in schwungvollen Rhythmen ergoß und er eine richtige kleine Ode zu Stande gebracht hatte, bis er seine Dachstube wieder erreichte. Ohne erst Licht anzuzünden, den Hut noch auf dem Kopf, setzte er sich nieder, die Strophen aufzuschreiben, doch gleich auf Notenpapier. Denn schon war ihm die Musik dazu eingefallen, eine leidenschaftlich bewegte Dur-Melodie, die dem Inhalt und der seltenen antiken Form entsprach. Er meinte, nie Etwas, das ihn bewegte, reiner ausgesprochen zu haben.

Eben war er damit fertig geworden, als an seine Thür geklopft wurde und das Dienstmädchen ihm die Einladung der Hausfrau ausrichtete, doch auf ein Plauderstündchen hinunterzukommen. Es war das erste Mal, daß ihm ein solche Ehre zu Theil wurde, und er empfand sofort, die gute Frau wollte sich für den Dienst, den er ihrer Tochter durch das Hochzeitscarmen erwiesen, dankbar erzeigen.

Er fand in dem Wohnzimmer unten die Wittwe mit den beiden Mädchen bei der einen kleinen Lampe, Berthchen in ihrer gewohnten einsilbigen Anmuth, doch sehr bereit, jeden lustigen Einfall ihrer witzigen Freundin zu belachen. Der Teppich war inzwischen soweit fertig geworden, daß nur noch die Franzen anzunähen waren. Lucius fand ihn im Stillen ein wenig bunt und geschmacklos, mußte ihn aber doch bewundern und entschuldigte sich wegen seiner Verse. Er könne jetzt einen besseren Spruch dazu verfassen; es würde viel hübscher sein, statt der allgemeinen guten Wünsche zu sagen, die blumige Decke möchte den Zauber besitzen, aus jedem Tisch, über den sie gebreitet würde, ein Tischleindeckdich zu machen. Die Mutter schüttelte den Kopf. Beim Essen, erklärte sie gut haushälterisch, würde das gestickte Deckchen ja doch mit einem leinenen Tischtuch vertauscht. Und was die Hauptsache ist, fiel die Jucunde ein, Berthchen hat Ihr Gedicht bereits auswendig gelernt. Sie sollen nur hören, wie reizend es in ihrem Munde klingt.

Das schöne Kind aber war nicht zu bewegen, vor den Ohren des Dichters sich mit einer Declamation hervorzuwagen. Auch kam man bald wieder davon ab. Es wurde von allerlei Stadtgeschichten geplaudert; einen Augenblick mitten in seiner Bezauberung wollte es dem Studenten denn doch scheinen, als drehten sich die Gedanken der guten Frauenzimmer in einem ziemlich engen Kreise herum, in welchem von all den höheren Interessen, die er mit der verehrten Freundin theilte, nie ein Hauch zu spüren sei. Sein Herz aber nahm sogleich gegen seinen kühleren Kopf die Partei des holden Mädchens, an dem die Natur so viel gethan, daß alle Bildung ihm keinen höheren Reiz hätte verleihen können. Als sie nun vollends in hausmütterlichem Anmuth das bescheidene Nachtmahl auftrug, ihm das Glas mit dem säuerlichen Hauswein füllte und ihn freundlich zum Essen nöthigte, gab er sich ganz an das Glück des Augenblicks hin und hätte unbedenklich das Gelübde thun mögen, aus diesen bescheidenen vier Wänden nie herauszutreten, um eine an Kämpfen und Siegen reiche Künstlerlaufbahn zu beginnen.

Erst da er spät in seine Klause zurückkehrte, fiel ihm das Büchlein wieder ein, das Frau Lusine ihm mitgegeben hatte. Er zog es aus der Tasche und fing gleichgültig an, darin zu blättern.

Es enthielt bunt durcheinander Gedichte und Denksprüche, hin und wieder eine längere, tagebuchartige Betrachtung, in einer zierlichen Handschrift, wie junge Mädchen noch auf der Schule zu schreiben pflegen. Die ältesten, unter denen sich ein Datum fand, lagen über ein Dutzend Jahre zurück. Dann einige melancholische Sentenzen, aus classischen Dichterwerken abgeschrieben, mit einer freieren Hand; auch die Verse trugen schon einen eigenartigeren Charakter, fast alle in einer trüben, zuweilen bitteren Stimmung entstanden, Bekenntnisse einer nach Glück, Liebe, Freiheit lechzenden jungen Seele, die vom Leben nichts mehr erwartete. Die letzten dieser Art waren vor zehn Jahren entstanden, dann einige Blätter aus dem Büchlein ausgeschnitten. Den Schluß aber, auf dem ersten neuen Blatt, machten vier Strophen ohne Datum, in einer viel ausgeschriebneren Hand, die folgendermaßen lauteten:

Des Sommermorgens Kühle
Schauert zu mir herein.
Im Zwielicht der Gefühle
Lieg' ich und denke dein.

O süß, dies wache Träumen,
Von Glück und Leid gewiegt,
Wenn draußen auf den Bäumen
Noch feuchte Dämmrung liegt!

Die Vögel singen im Düstern
Ihr schüchtern Taglied schon.
Mir ist, als hört' ich flüstern
Der liebsten Stimme Ton.

Und jetzt auf Rosenschwingen
Geht auf der goldne Tag.
Was kann die Sonne bringen,
Das mehr beseligen mag!

Es ist von ihr, sagte er sofort bei sich selbst. Sie hat eine Freundin vorgeschoben, um nicht mit ihrem Dichten sich als Blaustrumpf darzustellen, wofür sie ja ohnedies in der ganzen Stadt verschrieen ist. Wie sehr thut man ihr Unrecht! Die übrigen Gedichte taugen freilich nicht viel mehr, als die meisten Backfischpoesieen. Aber das letzte – es scheint aus der jüngsten Zeit zu sein – vielleicht hat sie eine heimliche Liebe gehabt, am Ende der junge Privatdocent, von dem die Jucunde wissen wollte, daß er bei der Professorin sehr in Gunst gestanden. – Nun, gleichviel. Ich muß ihr schon den Gefallen thun, dies Lied zu componiren.

Er überlas es noch ein paarmal, ging dann im Zimmer auf und ab und fand bald die rechten Töne für diese verstohlenen Dämmerungsgefühle. Doch schrieb er sie nicht auf, spielte die Melodie nur etliche Male pianissimo auf seiner Geige und dachte eben nicht weiter daran. Es war ihm weit wichtiger, seiner eigenen Liebe nachzusinnen. Noch fühlte er den leisen Händedruck, mit dem das geliebte Mädchen ihm gute Nacht gewünscht hatte, und die stille Flamme ihrer dunklen Augen, die ihn bis ins innerste Herz erwärmte.

*

Am Tage fuhr er fort, seine musikalischen Exercitien zu sichten und Einiges davon ins Reine zu arbeiten. Er fühlte sich seltsamerweise wenig aufgelegt, sich wieder damit vor seiner Freundin hören zu lassen. Doch wollte er sich nicht abermals dem Vorwurf aussetzen, es sei ihm mit dem Ringen nach Selbsterkenntniß nicht ernst genug. So fand er sich um dieselbe Nachmittagsstunde wieder im Hause des Professors ein.

Die gnädige Frau habe einen Besuch zu machen gehabt, sagte die Lisette. Sie habe aber hinterlassen, daß sie bald wiederkommen werde. Der Herr Lucius – auch die vertraute Dienerin nannte ihn schon mit seinem Spitznamen – möge sich indessen nur am Klavier unterhalten.

Das that er denn auch, spielte erst ein paar Stücke von Bach, die gerade auf dem Notenpult standen, dann aber, da er merkte, daß er zu sehr aus der strengen Uebung gekommen war, überließ er sich einem freien Phantasmen, indem er eins von Berthchens Volksliedern zu Grunde legte und das Thema unendlich variirte. Er hatte sich so in Eifer gespielt, daß er überhörte, wie die Thür sich sacht öffnete und die Herrin hereintrat. Erst als er sich satt gespielt hatte und, die Stirn trocknend, aufstand, wurde er sie gewahr, die, noch im Hut und dem leichten Sommershawl, auf einem Stuhl neben der Thür sich niedergelassen und dem Spiel zugehört hatte.

Sie sagte ihm ein freundliches Wort über sein Phantasiren und fragte dann gleich: Nun? haben Sie schon Zeit gefunden, die kindischen Verse in dem Büchlein anzusehen? Ich habe schon bereut, es Ihnen gegeben zu haben. Meine Freundin würde mir's sehr übel nehmen, wenn sie eine Ahnung davon hätte.

Er habe nur erst darin geblättert, erwiderte er verlegen. Es seien recht hübsche Sachen, so weit er urtheilen könne, wenn auch von ungleichem Werth. Das letzte aber habe ihm einen tiefen Eindruck gemacht, so daß er es sogleich in Musik gesetzt habe. Ob sie es hören wolle?

Natürlich. Ich will mir's nur erst bequem machen. Ich kann Musik eigentlich nur genießen, wenn ich mich alles Zwangs entledige und mich ausstrecke wie ein Kind in der Wiege. Darum hasse ich Concerte, in denen man auf einem harten Stuhl ein paar Stunden sich wie angeschmiedet fühlt.

Als sie dann wieder in dem dunklen Winkel auf dem Divan lag, spielte und sang er das Lied. Es blieb eine gute Weile still, nachdem er geendet hatte, und endlich sagte sie nur: Ich bitte, da capo! – Auch nach der Wiederholung enthielt sie sich jeder Kritik. Sie müssen mir das Lied aufschreiben; ich will es der Verfasserin schicken und Ihnen dann sagen, ob sie ihre Stimmung in den Tönen wiederfindet, woran ich nicht zweifle.

Ich bin noch nicht recht zufrieden, versetzte er. Die Begleitung genügt mir nicht, sie müßte das »zwischen Glück und Leid sich Wiegen« noch ergreifender ausdrücken. Mit einem anderen Liede, das ich auch gestern erst gemacht, glaube ich es besser getroffen zu haben.

Sie verhielt sich ganz still, was er als eine Aufforderung nahm, auch dies Lied zu singen, und so begann er ohne weiteres Präludiren:

Schwirrt mir wieder ums Haupt seufzender Lieder Schwarm,
Wie Sturmvögel am Mast ängstigen Flügelschlags,
Da ich lange gesanglos,
Sturmlos furchte des Lebens Flut?

Sei's denn! Still und gefaßt, während die Brandung schwillt.
Laßt mich harren des Sturms, den mir die Leidenschaft
Um die wankenden Segel
Dunkel grollend heraufbeschwört.

Mag ein klügelnder Mann üben des Steurers Kunst
Und mit menschlicher List trotzen den Himmlischen,
Mich soll schleudern die Woge,
Wie ein Gott ihr die Macht verleiht!

Denn im Tosen des Meers denk' ich, wie manchesmal
An ein lachend Gestad trieb ein Gestrandeter,
Das ihm ewig verbürgen,
Bis ein Sturm ihm den Pfad gezeigt.

Auch nach diesem Liede blieb die Frau stumm, so daß der Sänger sich in peinlichem Zweifel befand, ob es ihr am Ende so sehr mißfallen habe, daß sie ihn durch ihre offene Meinung allzu tief niederzuschlagen fürchte.

Die Odenform behält immer etwas Künstliches für unser Ohr, brachte er endlich hervor. Ein so großer Meister wie Brahms hat auch ihr freilich seinen Geist einhauchen können. Aber es kam mir so – ich merkte erst, was ich gethan, als es fertig war. Seit meinen Primanertagen habe ich eine solche classische Anwandlung nicht mehr erfahren.

Sie stand auf und trat vor ihn hin. Ihre Augen schimmerten feucht. Leise strich sie ihm mit der Hand über das buschige Haar und sagte: Ich sehe ganz deutlich, daß da innen Etwas lodert. Haben Sie Dank! Sie haben mich sehr bewegt. Aber entweihen wir's nicht durch Worte.

Lisette trat in diesem Augenblick herein mit einer bedeutsamen Geberde. Sie müssen mich entschuldigen, lieber Freund, sagte die Herrin, ich muß Sie aber fortschicken, da ich mich zu einer sehr lästigen Gesellschaft zu rüsten habe. Man kann sich eben gewissen Pflichten nicht entziehen, auch wenn unser bestes Theil dabei Noth leidet. Uebrigens – diese kurze Stunde war so reich – wir könnten uns nichts Höheres mehr sagen. Also auf Wiedersehen!

Sie reichte ihm die Hand und ging rasch aus dem Zimmer, von der Zofe gefolgt. Er stand noch ein paar Minuten auf demselben Fleck in einer wunderlichen Verfassung, in welcher das stolze Gefühl, in dieser hochgestimmten Seele einen so starken Widerhall geweckt zu haben, überwog. Wie bedauerte er, daß sie ihn schon hatte verabschieden müssen. Er hätte viel darum gegeben, dieser Freundin, die ihm ihr eigenes Gemüth nicht verschloß, auch sein Herz zu öffnen, ihr das Geheimniß seiner Liebe zu beichten. Nun beschloß er, die nächste Gelegenheit zu ergreifen. Hatte sie nicht die Sorge für seine Zukunft übernommen? Und konnte er sich eine Zukunft vorstellen, in welcher das liebe Mädchen keinen Platz hatte?

*

Doch seltsam, es schien, als ob jene ersehnte Gelegenheit nie kommen sollte.

Zwar verging in den nächsten Wochen kaum ein Tag, ohne daß er sich auf längere oder kürzere Zeit in dem Melusinenzimmer einfand. Mit der Prüfung seiner musikalischen Erstlinge war es längst vorbei. Von den Gedichten in dem Büchlein hatte ihn keins mehr zur Composition gereizt. Einige andere, die ihm von seiner musikalischen Vormünderin »aus Briefen jener ungenannten Freundin« noch mitgetheilt worden waren, fast alle jene helldunkle selige Schwermuth athmend, schienen ihm zu wenig liedmäßig, mehr wie lyrische Monologe, die hinlänglich Musik in sich selbst hatten. Er pflegte sie wohl mit seiner etwas verschleierten Stimme recitativisch herzusagen und auf dem Flügel eine Begleitung zu improvisiren. Auch legte sie offenbar kein großes Gewicht darauf, was er damit anfing. Daß er sich überhaupt damit beschäftigte, daß er nur kam und eine Stunde ihres einsamen Tages mit ihr verplauderte, dankte sie ihm jedesmal. Zuweilen schlug sie ihm vor, vierhändig mit ihr zu spielen. Dann konnte sie kein Ende finden, und es kam vor, daß ihr Mann sie erst mit einem Scherz daran erinnern mußte, daß es Zeit sei, sich zu Tische zu setzen. Musik sei doch nur bewegte Luft, und von der Luft könne Niemand leben, sonst würde mancher arme Musiker nicht verhungert sein.

Der Jüngling entschuldigte sich dann erröthend, daß er schon zu lange geblieben sei, und war nicht zu bewegen, sich noch mit an den Theetisch zu setzen. Gehen Sie nur, junger Orpheus! sagte dann wohl der gütige Hausherr mit seinem dröhnenden Lachen. Sie ziehen es wahrscheinlich vor, noch irgend einer Eurydike ein Ständchen zu bringen.

Die Frau suchte ihn nie zu halten. Ein einziges Mal hatte er noch von der Erlaubniß Gebrauch gemacht, uneingeladen des Abends zu kommen. Er hatte einen unverheiratheten Collegen des Professors getroffen. Das Gespräch hatte sich fast ausschließlich um Politik und Universitätsangelegenheiten gedreht. Der junge Gast fand kaum einmal Anlaß, ein Wort einfließen zu lassen. Die Hausfrau hatte den ganzen Abend stumm auf ihren Teller geblickt.

Desto lebhafter, mit nervöser Beweglichkeit des Geistes plauderte sie, wenn sie mit ihm allein war. Einmal hatte sie die Rede auf jene Luise zurückgelenkt und die Frage daran geknüpft, ob er noch vielen weiblichen Wesen nahegetreten sei. Er hatte ausweichend geantwortet. Was waren ihm all jene flüchtigen Liebschaften jetzt, da er eine Leidenschaft erlebte, die zum ersten Mal in all seinen Tiefen ihn ausfüllte. Jetzt war die Gelegenheit da, auch die mütterliche Freundin einzuweihen. Und er konnte das Wort nicht über die Lippen bringen.

Wozu auch? Wußte er nicht im Voraus, wie sie die Sache ansehen würde? Er, so jung, vor einer so großen Entscheidung – durfte er seine Zukunft an ein Mädchen binden, das der hochbegabten Frau als eine unebenbürtige Gefährtin eines Künstlerlebens erscheinen mußte?

Wenn sie das stille Kind aus dem Volk freilich in seiner ganzen Anmuth einmal beobachten könnte – er zweifelte nicht, daß sie sein Gefühl begreifen, es verstehen würde, wie es ihn beglücken müsse, im Besitz eines so unverbildeten Geschöpfes der Mutter Natur sich von allem Anflug falscher Bildung zu reinigen, von allen Irrwegen sich immer wieder zum Echten und Einfachen zurückzufinden.

Der Zufall kam seinen Wünschen zu Hülfe.

Das kurze Sommersemester war zu Ende gegangen, die meisten Studenten in die Ferien gereis't. Lucius dachte nicht daran, die Stadt zu verlassen. Sein Vater glaubte ihn in eifriges Arbeiten vertieft, doch hatte er seit Wochen weder ein Colleg besucht, noch ein juristisches Buch aufgeschlagen. Nun veranstalteten die noch zurückgebliebenen Studenten, die weder einem Corps noch der burschenschaftlichen Verbindung angehörten, immerhin aber ein ansehnliches Häuflein ausmachten, ein ländliches Fest, wozu sie die befreundeten Bürgerfamilien einluden, auch von den Docenten so viele noch nicht auf Erholungsreisen gegangen waren. Sie hatten dazu ein Gasthaus gewählt, das den Namen »Zum Waldwinkel« trug, eine kleine halbe Stunde vor der Stadt gelegen. Hinter dem Hause befand sich ein luftiger Hain junger Buchen und Birken, in dessen Mitte eine kreisrunde gedielte Bühne, die vielfach bei größeren Sommerhochzeiten zum Tanzplatz diente, gelegentlich auch bei studentischen Gelagen vom Singen und Lärmen der Corpsbrüder erdröhnte. Hier sollte getanzt und an den Tischen im Garten getafelt werden, während die Ehrengäste, die Professoren mit ihren Frauen, oder die älteren Bürgersleute, wenn sie die Nachtluft scheuten, drinnen im Saal sich zusammenfinden konnten, nachdem sie der jungen Lustbarkeit eine Weile zugeschaut hätten.

Daß das Berthchen, das unbestritten schönste Mädchen der Stadt, bei den Einladungen nicht übergangen wurde, obwohl ihre Mutter nicht zu den Honoratiorenfrauen zählte, verstand sich von selbst. Aber auch Lucius, so wenig er an allem Studentenwesen Theil genommen hatte, war durch ein paar nähere Bekannte dem Festausschuß vorgeschlagen worden. Auf geheimnißvolle Weise – vielleicht war Jucunde's flinkes Züngelchen dabei im Spiel – hatte sich das Gerücht verbreitet, daß in dem einsamen Gesellen ein Poet und Musikant stecke, dem man seine Zurückhaltung nicht als Hochmuth auslegen dürfe. So wurde er, als er am Abend, seine Phileuse in ihrem besten Putz am Arm, das reizende Mädchen neben ihnen, auf dem Festplatz erschien, schon um seiner weiblichen Gesellschaft willen aufs Freundlichste begrüßt und rasch in den fröhlichen Schwarm hineinzogen.

Er hatte Tags zuvor erfahren, daß auch Frau Lusine mit ihrem Manne nach dem Waldwinkel hinausfahren würde. Doch erst nachdem er seine Tänzerin in der Polonaise durch Garten und Haus geführt und den ersten Walzer mit ihr getanzt hatte, besann er sich der Verpflichtung, die »mütterliche Freundin« aufzusuchen.

Sie war eben erst angelangt und gleich von den älteren Professorenfrauen in Beschlag genommen worden, während ihr Mann mit einigen Kollegen eine Whistpartie verabredete. Obwohl es ein zwangloses Fest sein sollte, hatte sie doch eine ausgesuchte Toilette gemacht, sommerlich, aber wie für einen Ball in einem eleganten Hause. Das luftige Kleid ließ ihren Hals und einen Theil ihrer weißen Schultern frei, und in dem reichen, zierlich gekraus'ten Haar steckte eine tiefdunkle Rose. Als Lucius vor sie hintrat und sich in naiver Bewunderung ihrer Schönheit vor ihr verneigte, lächelte sie erröthend, was sie viel jünger erscheinen ließ.

Wie schön Sie sind, Frau Lusine! flüsterte er.

Husch! machte sie und bewegte lebhaft ihren Fächer. Sparen Sie Ihre Complimente für Ihre Tänzerinnen. Meine lieben Colleginnen verzeihen es mir ohnehin nur schwer, daß Manche darunter meine Mutter sein könnte. Ich muß hier nun vor Allem ein bischen die Facultät repräsentiren helfen. Hernach komme ich hinaus und sehe zu, wie Sie tanzen.

Ihre lächelnden Augen hatten indeß seine Gestalt prüfend überflogen. Er sah freilich nicht aus wie ein untadlig gekleideter junger Stutzer; sein leichtes schwarzes Röckchen war nicht vom neuesten Schnitt und das weiße seidene Tüchlein lose um den Hals geschlungen. Doch seine hohe, schlanke Figur, die sich in völliger Ungezwungenheit bewegte, die Gewohnheit, den Kopf mit den buschigen Haaren wie ein sieghafter junger Held im Nacken zu tragen, dazu der unschuldig feurige Ausdruck seiner schönen Augen ließen ihn doch unter all den geschniegelten Jünglingen als eine vornehme Gestalt herausleuchten.

Sehr guter Dinge, da ihn auch der Professor durch einen freundschaftlichen Händedruck geehrt hatte, kehrte er ins Freie zurück und gesellte sich zu seinen Damen, bei denen sich auch Jucunde, im hochgeschlossenen Sonntagskleide, da sie niemals tanzte, eingefunden hatte. Das Berthchen, das den zweiten Tanz mit einem der Festordner getanzt hatte, ließ sich eben zu der Mutter zurückgeleiten, und er erinnerte sie, daß die nächste Quadrille ihm versprochen sei. Während sie sich dazu aufstellten, hatte er Muße zu bemerken, wie man ihm diese Tänzerin, die offenbar die Königin des Balles war, beneidete. Auch hätte sie wohl überall den Preis davongetragen. Denn in dem einfachen weißen Kleide, einen Zweig dunkelrother Fuchsien um das Haar geschlungen, einen Strauß von denselben Blüten an der eben aufgeblühten Brust, sah sie wie das Urbild süßer Jungfräulichkeit aus, wie es ein Maler oder Poet sich nur träumen lassen mag. Auch belebte die Freude des Tanzes ihre sonst ein wenig ausdruckslosen Züge, und in den reizenden Augen – sie waren so dunkelblau, daß sie am Abend schwarz erschienen, – sah Lucius zum ersten Mal einen feuchten Schimmer wie von aufdämmernder Sinnenglut.

Sein Entschluß stand fest, heute Abend noch wollte er zu ihr sprechen, sein Schicksal in ihre Hände legen. Doch nicht zwischen zwei Walzertouren oder zwei Gläsern Wein, sondern auf dem stillen mitternächtigen Heimweg, wo er sie am Arm zu führen hoffte.

In dieser gespannten glückseligen Stimmung vergaß er Alles um sich her, stand, wenn er nicht gerade mit ihr tanzen durfte, wie eine Bildsäule im Kreise der Zuschauer und suchte nur in den vorbeiwirbelnden Paaren nach der weißen Gestalt, glücklich, wenn ein Blick von ihr zufällig dem seinen begegnete. Er beachtete es nicht im Mindesten, daß einige junge Mädchen hin und wieder ohne Tänzer blieben und verstohlen nach dem schlanken Jüngling blickten, von dem sie allerlei Auszeichnendes gehört haben mochten. Eine Art Trunkenheit hatte sich seiner Seele und Sinne bemächtigt. Die Erde war ihm nie so schön, der Sternenhimmel nie so märchenhaft erschienen, und selbst die nicht immer reingestimmten Geigen und Klarinetten konnten sein sonst so empfindliches Ohr nicht beleidigen.

Die Hochsommernacht war ziemlich dunkel, da der Mondschein fehlte, doch gaben die Laternen, die rings um die Bühne angezündet waren, genügendes Licht, um nicht nur das Gesicht seiner Tänzerin, sondern im Vorüberfliegen auch die Corona deutlich zu unterscheiden. Als daher Lucius wieder einmal mit seinem Mädchen sich im weiten Kreise herumschwang, erkannte er unter einer hellen Gasflamme Frau Lusine neben der würdigen Frau des Decans, und augenblicklich durchzuckte ihn der Gedanke, wie gut es sich treffe, daß sie an diesem Abend zuerst seine heimlich Geliebte zu sehen bekomme und nun begreifen müsse, einem solchen Ausbund aller Anmuth und Jugendfrische zu widerstehen, sei einem Künstlerherzen nicht zuzumuthen. Als er zum zweiten Mal an die Stelle kam, konnte er sich's nicht versagen, der verehrten Freundin vertraulich mit den Augen zuzuwinken, mit einer triumphirenden Geberde, als wolle er andeuten, daß er den Siegespreis, nach welchem er im Geheimen gerungen, jetzt in den Armen halte.

In seiner schwärmerischen Verzückung sah er nicht, daß sich ein tiefer Schatten über das blasse Gesicht der jungen Frau gelegt hatte. Sie wandte sich ab und sagte zu ihrer Gefährtin: Es wird mir zu kühl hier draußen. Wollen Sie noch bleiben und den jungen Leuten zuschauen? Ich will hinein, mir ist nicht ganz wohl.

Die ältere Dame erklärte, daß auch sie genug habe; es sei doch ein zweifelhaftes Vergnügen, sich daran erinnern zu lassen, daß es in ihren Jahren mit Spiel und Tanz lange vorbei sei.

So kehrten sie in den Saal zurück. Sie sehen wirklich übel aus, sagte die Decanin. Sie sollten ein Glas Wein trinken. – Frau Lusine schüttelte den Kopf und zog ihr leichtes Mäntelchen um den offenen Hals.

In diesem Augenblick kam Lucius hereingestürmt. Er wollte während einer Tanzpause mit der Freundin sich unterhalten, von ihr hören, wie sehr seine Tänzerin auch ihr gefallen habe, vielleicht schon jetzt mit seinem Geheimniß herausrücken.

Ich habe Sie überall unter den Bäumen gesucht, gnädige Frau, sagte er, noch lebhaft athmend von seinem Herumlaufen. Ist es nicht hübsch draußen? Wollen Sie sich schon wieder in den dumpfen Saal einsperren?

Sie sah ihm mit einem scharfen, kalten Blick ins Gesicht und antwortete nicht sogleich. Ihre Geberde war so fremd und überraschend, daß es selbst ihm trotz seiner ahnungslosen Verworrenheit auffiel. Ist Ihnen nicht wohl, theure Freundin? stammelte er in aufrichtiger Bestürzung.

Ihre Brust athmete schwer, und ihre feinen Nasenflügel zitterten.

Mir fehlt nicht das Mindeste, erwiderte sie langsam. Ich merke nur, daß es thöricht war, hieherzukommen. Wer seine Jugend längst hinter sich hat, soll jungen Festen fernbleiben. Gute Nacht! Unterhalten Sie sich gut!

Sie wollte sich abwenden, aber er ergriff ihre Hand, ohne sich darum zu kümmern, was man von dieser vertraulichen Berührung denken mochte.

Sie sind unzufrieden mit mir. Was habe ich Ihnen zu Leide gethan? Ich konnte mich Ihnen hier ja nicht so widmen, wie ich gewollt hätte.

Heucheln Sie nicht! unterbrach sie ihn mit bebender Stimme. Sie haben in der Gesellschaft dieses schönen Mädchens keinen Augenblick an mich gedacht. Das ist auch ganz in der Ordnung. Wir alten Frauen, auch wenn wir das Tanzen noch nicht ganz verlernt hätten, müssen den jungen Mädchen ihre Tänzer nicht abspenstig machen. Ist es nicht auch die Tochter Ihrer Hausfrau? Nun, so bringen Sie ihr nur beim Cotillon all Ihre Sträußchen und machen ihr con amore die Cour. Ich kann Ihren Geschmack nur billigen.

Er stand in tiefer Betroffenheit vor ihr. Wenn ich hätte ahnen können, daß Sie es nicht verschmäht haben würden, mit mir zu tanzen – stammelte er. O liebe, theure Frau, gehen Sie nicht so fort, kommen Sie, lassen Sie sich hinausführen und bewilligen Sie mir wenigstens irgend einen Tanz, welchen Sie wollen, Sie machen mich unglücklich, wenn Sie mir's abschlagen.

Sie versuchte zu lächeln; seine ehrliche Bestürzung versöhnte sie halb und halb mit ihm. Es ist hübsch von Ihnen, sagte sie, daß Sie den Ritter einer verlassenen Dame machen wollen, die sich unter diesen alten ehrwürdigen Gespenstern zu Tode langweilt. Aber ich will Ihre Güte und Großmuth nicht mißbrauchen, zumal all Ihre Tänze versagt sein werden. Sehen Sie, mein Mann hat eben seine Partie beendet, unser Wagen wartet draußen, es ist besser, wir schleichen uns jetzt davon. Nein, wirklich, Sie dürfen sich die Laune nicht verderben lassen; ich bin ein bischen nervös heut Abend; Langeweile macht mir stets eine Art Fieber. Gute Nacht, lieber Freund, und morgen, wenn Ihre Zeit es erlaubt –

Er wollte noch Etwas erwidern, sie aber verabschiedete ihn mit einem Kopfnicken und wandte sich zu ihrem Manne, der eben mit seinem fröhlichen Lachen vom Spieltisch aufstand und erklärte, er werde den Gewinn sogleich in Sect verthun, da man von der flotten Jugendlust doch einmal angesteckt und zu einer liederlichen Nachtschwärmerei verführt werde.

Doch wurde er sogleich ernsthaft, als seine Frau ihm zuflüsterte, sie habe rasendes Kopfweh und wünsche nach Hause zu fahren, wolle übrigens ihm keinen Zwang auferlegen. Mit der zärtlichsten Besorgniß erklärte er, daß er sie begleiten werde, eilte hinaus, den Wagen vorfahren zu lassen, und vertröstete die Collegen, mit denen er gespielt hatte, auf den nächsten Abend in der Ressource, wo er sie schadlos halten würde. Dann hob er die kleine Frau, in Shawls und Tücher gehüllt, in den offenen Wagen, und sie rollten durch die sternklare Nacht schweigsam ihrem Hause zu.

*

Erst drei Stunden später mahnte auch Berthchens Mutter zum Aufbruch, und das Töchterchen in seiner gleichmüthigen Art machte keinen Versuch, sie zum Bleiben zu bewegen, obwohl es noch eine Reihe von Tänzen vergeben hatte. Lucius war's nur allzu recht, daß sie gingen. Er fühlte sich immer sehr unglücklich, wenn er sie einem anderen Tänzer überlassen mußte, und brannte überdies darauf, ihr endlich sein Herz auszuschütten.

Die Verstimmung seiner mütterlichen Freundin hatte nicht lange in ihm nachgeklungen, zumal er den Grund hauptsächlich in einem körperlichen Unwohlsein suchte.

Als aber der kleine Trupp sich auf den Heimweg machte, wurden die leidenschaftlichen Hoffnungen des Liebenden schwer getäuscht. Die Mama ging voran mit einem würdigen Ehepaar aus ihrer Nachbarschaft, dessen Sohn mit beim Feste war und bis an den hellen Morgen zu tanzen und zu trinken wünschte. Dem nachwandelnden jungen Paar indessen gesellte sich die Jucunde, deren lustigste Einfälle heut zum ersten Mal an Lucius ein undankbares Publikum fanden. Sie neckte ihn mit seiner Mißlaune, sagte, sein Brummbaß hätte füglich in dem Tanzorchester mitwirken sollen, und er möge nur gen Himmel blicken, der gerade so schön voller Geigen hange. Dann verhörte sie das Berthchen, das ebenfalls nicht lachlustig war und ein paarmal ganz unverstellt gähnte, wer von ihren Tänzern ihr am meisten gefallen habe, und ob es nicht langweilig sei, immer dieselben verliebten Narrheiten mit anhören zu müssen. Sie selbst habe sich herrlich unterhalten, da kein einfältiger Courmacher ihr die Ohren vollgesäuselt habe, und sich weder ihre Frisur noch ihre Toilette verdorben. Nun sei sie an Leib und Seele so frisch, daß sie in der köstlichen Sommernacht am liebsten bis an die Morgenröthe herumspazieren würde.

Das wäre nun auch dem verliebten Jüngling sehr erwünscht gewesen, hätte er nicht an beiden Armen ein Fräulein zu führen gehabt. Er grübelte heftig darüber nach, wie er es anstellen sollte, trotz alledem heute noch zum Ziel zu gelangen. Ob er das Berthchen auf der Treppe zurückhalten oder unter einem Vorwande noch einmal auf den dunklen Flur herausrufen sollte? Er erschrak daher nicht wenig, als Jucunde, da sie das Stadtthor erreicht hatten, stehen blieb und erklärte, sie werde den kürzeren Weg nach ihrer Wohnung durch die Promenade einschlagen, statt erst mit durch die Stadt zu gehen, und Herr Lucius werde wohl die Güte haben, ihr auf dem einsamen nächtlichen Wege das Geleit zu geben.

Die Aufforderung der Mama, wieder bei Berthchen zu übernachten, lehnte sie entschieden ab; ihre Tante erwarte sie. So umarmte sie rasch die Freundin, verabschiedete sich von den Alten und schlug sofort den Seitenweg durch die baumreichen Anlagen ein, die sich um die Stadt herumzogen.

Kaum war die andere Gesellschaft in dem dunklen Thorbogen verschwunden, so nahm sie ohne Umstände den Arm ihres widerwilligen Ritters und sagte, indem sie sich langsam in Bewegung setzte:

Nicht wahr, Herr Lucius, nun sind Sie mir furchtbar böse? Leugnen Sie's nur nicht. Ich habe schon auf dem ganzen Wege gemerkt, daß Sie mich in die tiefste Hölle gewünscht haben, da ich Ihnen so aufdringlich den Spaß verdarb. Ich hätte mich ja auch ganz gut an den alten Herrn hängen können, daß Sie mit Berthchen hinterdrein getaumelt wären, wie im siebenten Himmel, das aber wollte ich gerade verhüten.

Ich weiß nicht, sagte er in bitterem Unmuth, ob es ein Zeichen von Freundschaft ist, sich zwischen zwei Menschen einzudrängen, die vielleicht lieber allein geblieben wären.

Da sind Sie schief gewickelt, lachte sie. Wenn ich's nicht sehr gut mit Ihnen meinte, hätt' ich Sie ungewarnt hineinplumpsen lassen. Nein, nehmen Sie Ihr Herz in die Hände und hören mir ruhig zu, ich bin wirklich Ihre gute Freundin, mehr als Berthchens, deren Betragen mir gar nicht gefällt. Sie sind verliebt in den Grasaffen, das sieht ein Blinder und ist Ihnen so weit auch nicht zu verdenken, denn sie ist ja auch eine reizende Puppe, und in dem Punkt sind die klügsten Mannsbilder so kindisch, wie die einfältigsten. Ich sagte mir daher: wenn du die Zwei allein gehen lässest, so weiß der Himmel, was er ihr für närrisches Zeug vorplaudert, und dann muß sie doch endlich Farbe bekennen, und so was aus dem eigenen Munde Derer zu hören, der man eben eine Liebeserklärung gemacht hat, muß so schmerzhaft sein, als wenn man in einen Pfirsich hineinbeißt und eine Wespe fährt heraus und sticht einem in die Lippe. Um es kurz zu machen: Berthchen ist verlobt, und Sie werden gut thun, sich das Mädel je eher je lieber aus dem Sinn zu schlagen.

Er war stehen geblieben, als versagten ihm die Kniee plötzlich den Dienst. Ist – das – wahr? stammelte er.

Leider! versetzte sie kopfnickend. Eine ganz dumme Partie, das heißt, was man so eine gute Partie nennt: der Sohn eines Geschäftsfreundes in L., ein langweiliger, gar nicht hübscher junger Fabrikant, den ich nicht nähme, und wenn ich zehnmal garstiger wäre, als ich bin. Auch liebt sie ihn nicht, weder von Herzen und mit Schmerzen, noch ein klein wenig, sondern gar nicht. Aber das ist eben der Punkt: sie ist denn doch, so bildsauber sie aussieht und sich zierlich und manierlich bewegt, ein kleines Gänschen, das eigentlich weder so recht glücklich noch unglücklich werden kann, weil's nur eine schläfrige Seele hat. Sie wundern sich, daß ich trotzdem mich für ihre Freundin ausgebe? Das kommt daher, daß ich ein rasendes Vergnügen daran habe, schöne Menschen zu sehen und das Berthchen überdies von klein auf kenne. Wenn man selbst als des lieben Herrgotts Vogelscheuche herumläuft, muß man sich an Andern das Wohlgefallen suchen, das einem der eigene Spiegel versagt. Und gut und lieb auf ihre Art ist das stille kleine Engelsbild ja auch, und ich komme ja auch nicht in den Fall, es zu heirathen. Ihr Bräutigam scheint ebenso lauwarmes Blut zu haben, wie seine Braut. Wenigstens hat er nichts dagegen gehabt, daß die Verlobung geheim bleiben und erst um Weihnachten geheirathet werden sollte, weil seine Mutter zu Ostern gestorben ist. Daran hätte auch Nichts gelegen, wenn Sie sich nicht inzwischen so heftig in das Lärvchen verschossen hätten, was Ihnen auf zehn Schritt an der Nase anzusehen war. Nun, und da jammerten Sie mich. Wissen Sie, daß ich schon ganz ernstlich Ihre Fürsprecherin gemacht habe?

Das hätten Sie gethan? Und was wurde Ihnen erwidert? Mein Gott, wenn sie Nichts für mich fühlt –

Das ist es nun eben. So viel sie überhaupt für einen Menschen fühlen kann, würde sie, glaub' ich, mit der Zeit für Sie fühlen und schon jetzt Sie allen Fabrikantensöhnen der Welt vorziehen. Soviel hat sie mir zugegeben. Aber Schatzkind, sagt' ich, so sei doch keine Thörin, so laß diesen prächtigen Menschen doch nicht verschmachten und schreib dem Ekel, dem Langweiler einen artigen Scheidebrief, jetzt, da's noch nicht zu spät und die Sache noch nicht stadtkundig ist. Ich, wenn ein Mensch wie der Herr Lucius nur den kleinen Finger nach mir ausstreckte, ich würf' mich ihm in ganzer Lebensgröße an den Hals und ließe zehn einfältige Rothschilds stehen. Du denkst, so was könnt' ich freilich sagen, da ich nie in die Versuchung kommen würde. Aber wenn mir's auch nicht um dich wäre, denn du hast nur Froschblut im Leib, er dauert mich, und wenigstens sag ihm rund heraus, daß er sich's vergehen lassen soll, das bist du ihm schuldig. Pah! sie ist eitel genug, sich's im Grunde gefallen zu lassen, daß sie von einem jungen Dichter angeschwärmt wird. Und dafür könnt' ich sie hassen und habe mir vorgenommen, sie Ihnen zu zeigen, wie sie wirklich ist, damit Sie über die jämmerliche Geschichte rascher hinauskommen möchten.

Er hatte sich, da der Schlag ihn zu schwer getroffen hatte, auf eine Bank unter den Bäumen niedergelassen, und sie war vor ihm stehen geblieben.

Ich habe furchtbares Mitleid mit Ihnen, sagte sie nach einer Pause, indem sie auf sein ganz verstörtes Gesicht blickte. Wenn ich Sie nur zu trösten vermöchte! Aber nach so einer Operation muß man's ausbluten lassen. Ja, wenn ich selbst ein reizendes Geschöpf wäre, ich wollte Ihnen schon für Ersatz sorgen, und Sie sollten bald erkennen, daß es Ihr Glück war, beizeiten losgekommen zu sein, wo Ihre Augen Ihr Herz hinters Licht geführt haben. O, ich könnte Sie so lieben, daß Sie nach keiner Anderen fragen sollten. Aber das ist eine verrückte Rede. Ich hab' oft genug mich verbrannt, um nicht das Feuer zu scheuen, und kenne die Männer hinlänglich, daß ich mir nicht einbilde, jemals eine rechte Liebe zu gewinnen. Ja, wär' ich reich und hätte eine noch viel schiefere Schulter und ein Gesicht wie eine Nachteule! Aber dann wär' ich erst recht zu gescheidt, um meinem Herzen die Zügel schließen zu lassen. Ja, fuhr sie fort, indem sie sich neben ihn setzte und leise seine kalte Hand streichelte, das müssen Sie nun eben hinunterwürgen, armer Junge. Ich weiß nicht, wie so'n Dichter es damit hält, ob die lamentabeln Verse, die man so in Gedichtbüchern findet, ehrlich gemeint sind, und wenn, ob sie dazu helfen, ein Herz zur Raison zu bringen. Na, Sie werden es wohl auch versuchen, es wird gewiß sehr schön klingen, und das ist das Einzige, was ich dem Mädel nicht gönne. Ja wohl, das soll die beste Welt sein, und wie ungleich sind die Gaben vertheilt! Aber nun kommen Sie, armer Freund, wir müssen wirklich weiter gehen. Wenn Jemand uns hier sitzen sähe, würd' er denken, daß Sie einen sehr schlechten Geschmack haben.

Sie wollte aufstehen. Ihre klugen, herzlichen und ehrlichen Worte hatten ihn aber so bewegt, daß er sie mit dem Arm umfaßte und näher an sich zog. Liebe Jucunde, sagte er und küßte sie auf die Wange, wie soll ich Ihnen – Sie sind das beste, herrlichste Wesen auf der Welt – wenn ich so eine Schwester hätte – verzeihen Sie mir – es traf mich so aus heiterm Himmel –

Sie hielt sich mäuschenstill in seiner Umarmung. Wer das Gesicht hätte sehen können, das unter seinen Liebkosungen sich verklärte, würde nicht mehr gefunden haben, daß sie zu häßlich sei, um geliebt zu werden.

Endlich gab er sie frei und erhob sich mit einer gewaltsamen Geberde. Vorbei! sagte er und fuhr sich über die Augen. Ich danke Ihnen, daß Sie mich aus dem Traum geweckt haben. Ich habe nun wenigstens eine Freundin gewonnen – glauben Sie mir, ich weiß zu schätzen, was Sie für mich gethan haben – nein, nicht Sie, ich muß dich Du nennen. Komm, wir wollen hier erst noch smolliren, freilich ohne Wein, aber es soll dennoch gelten, so oft mir mit einander unter vier Augen reden.

Damit umfaßte er die dürftige Gestalt mit beiden Armen, neigte sich zu ihr hinab und küßte sie herzhaft auf den Mund. Dann bot er ihr den Arm und führte sie, ohne daß weiter viel Worte zwischen ihnen getauscht wurden, nach dem Hause, wo sie bei ihrer alten Tante ein bescheidenes Zimmerchen bewohnte.

*

Sie trennten sich mit einem stummen geschwisterlichen Händedruck. Dann schlich auch er langsam durch die graue Nacht nach Hause, in einer dumpfen Betäubung, die ihm den Schmerz der frischen Wunde kaum recht zum Bewußtsein kommen ließ.

Als er aber am Morgen erwachte, war aus seinem Gedächtniß Alles wie weggeschwunden, was die mitleidige Freundin ihm zum Trost für die gescheiterte Hoffnung gesagt hatte. Er hörte wieder das verstohlene Singen der geliebten Stimme unten im Flur, und sogleich stand das Bild des Mädchens, dem er entsagen sollte, in all seiner unbekümmerten Anmuth, wie er es beim Tanz so nah am Herzen gehalten hatte, ihm wieder vor Augen. Nein, sie war nicht das flache, froschblütige Wesen, das die scharfzüngige Jucunde aus ihr gemacht hatte. Wenn sie sich gegen ein alltägliches Eheschicksal nicht wehrte, that sie anders, als so viel andere gehorsame Kinder, die den Willen der Mutter ehren, um sich gegen das vierte Gebot nicht aufzulehnen? Ja, wenn sie ihn wahrhaft von ganzem Herzen liebte! Aber das hatte selbst die Freundin nicht behaupten können. Nun blieb nur die Frage, ob er ihr im Lauf der nächsten Zeit noch so theuer werden konnte, daß sie um seinetwillen dem heimlichen Bräutigam aufsagte und der Mutter gegenüber fest blieb.

Mit schwerem Haupt und Herzen, ganz unthätig, verbrütete der Jüngling den halben Tag auf seinem Zimmer. Er vermied es, hinunterzugehen und, was nur schicklich gewesen wäre, bei seiner Hausfrau anzufragen, wie ihr die Nachtschwärmerei bekommen sei. Sein Herz trieb ihn, jetzt sich erst gegen seine mütterliche Freundin auszusprechen.

Als er aber am Nachmittag zur gewohnten Stunde draußen im Hause des Professors sich einfand, empfing ihn die Lisette mit einem ernsten Gesicht.

Die gnädige Frau sei gestern Abend unwohl vom Fest heimgekehrt, über Nacht habe sich ein Fieber eingestellt, und nun liege sie mit lebhaftem Phantasieren, und der Arzt sei schon zweimal gekommen, ohne noch recht zu wissen, um was sich's handle. Sie habe sich anscheinend bei der Fahrt in der Nachtluft erkältet, da sie schon lange nicht mehr ein Ballkleid angezogen habe. Diesmal habe sie sich recht schön machen wollen und müsse es nun büßen.

Das hörte Lucius sehr niedergeschlagen mit an, doch mit dem Egoismus der Leidenschaft mehr um seinetwillen, da er nun auch die Freundin entbehren mußte. Auch hatte das Mädchen auf seine Frage, ob es gefährlich sei, ihn beruhigt: die Frau Professorin sei überhaupt zu Fieberanfällen geneigt. Ihr Gemahl, der ihm begegnete, als er sich zum Fortgehen wandte, bestätigte, daß man sich keine Sorge zu machen habe, ja nach einer kurzen Unterhaltung zwischen Thür und Angel klang wieder das joviale Lachen, zu dem die Erwähnung eines drolligen Vorfalls von gestern Abend den Anlaß gab.

Die nächsten Tage vergingen trübselig genug. Zwar stellte sich's bald heraus, daß sich's um keine schwerere Erkrankung handelte, aber der Zustand einer tiefen Erschöpfung und Ueberreizung blieb sich unverändert gleich, und selbst dem Hausherrn, bei dem Lucius sich zuweilen genauere Nachricht holte, war die gleichmäßige Heiterkeit vergangen. Lucius fühlte jetzt erst, wie theuer ihm die edle Frau geworden war. Er entbehrte ihren Umgang doppelt, da er seiner jungen Hausgenossin standhaft auswich. Der Verkehr mit der neuen Duzschwester konnte ihn nur wenig entschädigen.

Diese nämlich, da sie ihm bei dem Berthchen nicht mehr begegnete, wußte es mit schlauer Beharrlichkeit so einzurichten, daß er sie bei seinen abendlichen Spaziergängen um die Stadt wie zufällig antreffen mußte, wo sie dann eine Strecke neben einander hingingen. Auch ihm war es nicht unwillkommen, doch gegen irgend eine vertraute Menschenseele sein beschwertes Gemüth lüften zu können. Er verhehlte ihr nicht seine Bekümmerniß wegen der Krankheit seiner Gönnerin, deren Verständniß und Theilnahme bei seinen Wirrsalen er in lebhafter Rührung herausstrich. Uebrigens gestand er Jucunden, daß ihre Standrede von jenem Festabend in Betreff der Unwürdigkeit des Berthchens nicht nachhaltig auf ihn gewirkt habe. Wäre er nur etliche Jahre älter und wüßte klarer Bescheid über seine Lebensziele, so würde er den Kampf mit allen Fabrikantensöhnen der Welt aufnehmen und sich getrauen, auch das zahme Blut seiner Liebsten zu einer zärtlichen Wallung anzuschüren.

Die Jucunde hütete sich, ihm dann zu widersprechen, um ihm ihre Gesellschaft nicht unlieb zu machen, da sie selbst mehr und mehr ihr Herz in seiner Nähe klopfen fühlte und bei all ihrem klaren Verstande der leise glimmenden Hoffnung, ihn sich geneigt zu machen, nicht entsagen konnte. Also war sie witzig und lustig auf ihre drollige Art und glücklich, wenn sie den Schwermüthigen auf kurze Zeit aufzuheitern vermocht hatte. Sie fragte immer zuerst, wie es der Frau Professorin gehe. Lucius, der sich täglich frische Nachrichten holte und oft der Lisette Blumen für die Kranke übergab, konnte nach vierzehn Tagen melden, daß das Fieber gewichen sei und nur noch eine Schwäche zurückgeblieben, die jetzt in der frischeren Luft zu Anfang September hoffentlich bald verschwinden werde.

*

So kam es eines Nachmittags, als er wieder ein paar verspätete Rosen, die er im Blumenladen gekauft, in die Villa hinausgetragen hatte, daß ihm das Mädchen auf seine Anfrage erwiderte, die gnädige Frau habe das Bett verlassen und wolle ihn selbst empfangen, wenn der Arzt auch noch alle anderen Besuche verboten habe.

Als er in freudiger Hast das Melusinenzimmer betrat, sah er die blasse Frau im halbdunklen Winkel auf dem Ruhebette, in einem weißen, spitzenbesetzten Nachtgewande, mit einer gelbseidenen Decke bis an die Brust zugedeckt, in den durchsichtig feinen Händen einen Fächer haltend, den sie sinken ließ, um dem Eintretenden einen Willkommgruß zuzuwinken. Auf einem Tischchen neben ihr standen in verschiedenen Vasen die sämmtlichen Blumen, die er ihr gebracht, die meisten schon ganz verwelkt. Daneben lag das Notenblatt, auf dem er ihr die Zwielicht-Verse mit seiner Composition aufgeschrieben hatte.

Er trat vor ihr Lager hin, stammelte ein paar Worte, wie glücklich er sei, sie endlich genesen zu sehen, und drückte einen ehrerbietigen Kuß auf ihre zarte Hand. Es wurde ihm nicht leicht, seine Bestürzung zu verbergen, daß sie ihm gealtert und reizlos erschien, da er sie vor wenigen Wochen so schön und jugendlich gesehen hatte. Nur ihre Augen hatten durch das Leiden an Feuer und Tiefe und melancholischer Anmuth noch gewonnen.

Setzen Sie sich dort neben die Chaiselongue, sagte sie mit einem glücklichen Lächeln. Wie ich diese Ewigkeit der Trennung überstanden habe, weiß ich nicht. Freilich lag ich oft stundenlang ohne Bewußtsein. Doch in den lichten Intervallen habe ich sofort wieder an Sie gedacht. Sie werden es nur gethan haben, wenn Sie sich darauf besannen, daß es sich wohl schicke, sich nach meinem Befinden zu erkundigen.

Wie können Sie mich so gering taxiren! erwiderte er. Sie ahnen nicht, wie sehr Sie mir gefehlt haben, wie ich die Stunde herbeigesehnt habe, wo ich endlich wieder diesen Raum betreten dürfte.

Wirklich? lispelte sie. Darf ich das glauben? Sind diese Blumen – Sie sehen, ich habe mich von keiner einzigen trennen mögen – sind sie wirklich treue Boten gewesen? Nun, ich hätte es freilich um Sie verdient. Aber geht es uns armen Menschen hier auf Erden immer nach Verdienst? Ich will nicht darüber nachdenken, sondern den Augenblick genießen. Wie schön Ihre Rosen sind! Aber der Sommer ist hin. Ich habe hier sogar schon ein kleines Feuer gemacht. Nicht wahr, meine Hand ist kalt? Wenn ich nur erst wieder in den Garten darf. In der Gefangenschaft stocken all meine Lebensgeister.

Sie legte seine Blumen sorgsam auf die seidene Decke, eine neben die andere, und vertiefte sich ein paar Minuten lang in ihren Anblick, dann sah sie wieder zu ihm auf.

Wissen Sie, daß Sie mir gar nicht gefallen? Sie sind mager geworden und sehr bleich, als hätten auch Sie eine Krankheit durchgemacht. Waren Sie zu fleißig?

Ich war so unthätig, daß ich mich schäme, es einzugestehen. Nicht ein Buch hab' ich gelesen, nicht eine Note geschrieben.

Aber warum? Was hat Sie plötzlich angewandelt? Ich bin nicht eitel genug, mir einzubilden, es sei die Sorge um mich gewesen, was Sie bedrückt hat. Auch war's ja nicht eine Krankheit auf Leben und Tod. Also beichten Sie, was hat Ihnen das Herz beklemmt? An jenem Festabend war Ihnen kein Kummer anzumerken.

Er überlegte, ob er es ihr jetzt sagen sollte, was ihm alle Munterkeit geraubt hatte. Aber nach ihrer lebhaften Art mußte ein solches Bekenntniß sie allzusehr aufregen. Nein, es würde sich in den nächsten Tagen eine bessere Stunde finden.

Ich war allerdings krank, sagte er, ihrem Blick ausweichend, doch nur am Herzen, und bin noch kaum in der Reconvalescenz. Aber ich hoffe, mich jetzt wieder aufzuraffen. Sprechen wir nicht davon.

Krank? wiederholte sie, am Herzen krank? Ist das wahr? Oder nur eine Dichterlaune? Hätten die Sturmvögel am Mast eine wirkliche Gefahr prophezeit?

Sie hatte die Sätze langsam, kaum hörbar vor sich hin gesagt und die Augen wieder auf die Blumen in ihrem Schooß gesenkt. Da sagte er, mit ebenso unsicherm Ton:

Fragen Sie mich nicht! – Ein andermal! Fürchten Sie Nichts für mich – ich weiß, was ich meinen Pflichten schuldig bin, und da es ganz hoffnungslos ist – eh' ich an dem Eiland, zu dem der Sturm mir den Weg gezeigt, scheitere, steuere ich lieber wieder ins offene Meer hinaus.

Es wurde ganz still auf diese Worte. Die Frau hatte die Augen geschlossen und ihren Kopf in das Kissen zurücksinken lassen. Nach einer Weile öffnete sie die Wimpern wieder, die schwer waren von großen Tropfen, während die blassen Lippen sich zu einem rührend schüchternen und doch seligen Lächeln öffneten.

Hoffnungslos? hauchte sie. Das wäre es ja nur, wenn Sie allein gelitten hätten. Aber wenn das, was Sie gedrückt hat, auch einer anderen Seele auferlegt war, viel schwerer, weil nicht mehr Jugend und leichter Muth zu Hülfe kommen, – ist dann noch von Scheitern die Rede? Kann jenes Eiland dann nicht eine Insel der Seligen sein?

Ein tödtlicher Schreck lähmte ihm auf Augenblicke alle Sinne; es braus'te ihm vor den Ohren, seine Augen verdunkelten sich. Was hatte er gehört? Mußte er es glauben, daß diese leisen Worte nur den einen Sinn haben konnten? Und doch, wie er sich jetzt zu fassen suchte, sich zu besinnen, was er erwidern sollte, erwidern durfte, ohne die Ahnungslose, jetzt aller Schonung zwiefach Bedürftige im Tiefsten zu verwunden, fühlte er auf einmal ihre bebenden Hände nach den seinen tasten, um ihn mit nervöser Leidenschaftlichkeit näher heranzuziehen.

Komm! sagte sie. Laß mich ganz nah dein liebes Gesicht sehen, in deinen Augen lesen, was dein Mund nur halb zu verrathen wagte. Es ist feige, sein heiligstes Gefühl zu verleugnen. Ja, du gehörst mir, wie ich dir seit vielen Tagen, seit jener Stunde, wo dein Genius mir zuerst aufging, im innersten Herzen angehört habe. Ich wäre lieber gestorben, als daß ich dir's gesagt hätte, wenn du mir fern geblieben wärst. Siehst du, ich bin eine alte Frau gewesen, schon seit Jahren. Ich hatte verzichtet auf Alles, was ein junges Herz glücklich macht. Aber nun fühlte ich, es war nur wie ein Nachtfrost auf meine Blüte gefallen, daß sie lange, lange Zeit wie todt fortvegetirt hatte, und da kamst du und hauchtest sie nur an, und auf einmal fing sie an zu sprossen und zu duften, und ich bin so jung, wie ich es zu zwanzig Jahren nicht war. O lieber Freund, wie soll ich dir das je vergelten?

Mit einer raschen Bewegung bückte sie sich und küßte hastig seine Hände, die er vergebens zurückzuziehen suchte. In rathloser Verwirrung fand er kein Wort, ihr zu wehren, als nur:

Ich bitte Sie – was thun Sie – was soll ich Ihnen sagen –

Da gab sie seine Hände frei, und ihr Haupt sank wie überwältigt von ihrem Gefühl in das Kissen zurück.

Sage mir jetzt nichts! Ich fühle, es würde mich vernichten; ich bin noch zu schwach, und dieser Trank der Wonne zu stark. Wir wollen vernünftig sein, nicht wahr? uns erhalten für einander – wir haben noch so viel Herrliches vor uns – und ich besonders, wie viel Versäumtes habe ich nachzuholen! Also geh jetzt – ich fürchte, man stört uns sonst – ich könnte keine fremde Stimme jetzt ertragen. Sage dem Mädchen, daß sie mir Niemand herein läßt, Niemand ohne Ausnahme. Aber morgen, mein einzig Geliebter, wenn ich die erste Nacht wieder geschlafen habe – denn das Glück wird mich einwiegen, wie eine Mutter ihr Kind, – morgen kommst du wieder – und dann findest du eine ganz gesunde, heitere Frau – und dann werden wir uns tausend holde Dinge zu sagen haben.

Sie bewegte winkend die Hand gegen ihn, und im qualvollsten Bewußtsein, daß Reden und Schweigen gleich verhängnißvoll sei, verließ er wie betäubt das Zimmer.

*

Sein erster Gedanke, als er mit sich allein war und die Erschütterung durch das eben Erlebte sich ein wenig zu beruhigen begann, war, daß er fliehen müsse, nach Hause, zum Vater, unter irgend einem Vorwand, oder noch weiter hinweg, irgend wohin, wo er dagegen geborgen wäre, in das traurige Irrsal zurückgelockt zu werden. Als ob er diese Flucht keinen Augenblick aufschieben dürfe, wandte er sich nicht nach der Stadt zurück, sondern ins Freie hinaus, erst nach dem »Waldwinkel«, dessen Bäume sich schon herbstlich zu färben anfingen, dann, als die Erinnerung an jene festliche Nacht unheimlich vor ihn hintrat, weiter ins Land hinaus, bis er bei sinkender Finsterniß ermattet in einem Dorf anlangte. Er fand dort in einem dürftigen Wirthshaus eine Kammer, wo er zu bleiben beschloß, aß ein paar Bissen und stürzte ein Glas Wasser hinunter, dann warf er sich in den Kleidern auf das von den feuchten Linnen übel duftende Bett und schloß die Augen, um des Aufruhrs in seinem Innern Herr zu werden.

Kein Hauch befriedigter Eitelkeit, daß er die leidenschaftliche Hingabe dieser seltenen Frau gewonnen hatte, mischte sich in das Gewühl seiner Empfindungen. Ein reiner, schneidender Schmerz durchdrang ihn, die entsetzliche Erkenntniß, daß er verurtheilt sei, entweder die Täuschung, in die seine mißverstandenen Worte sie hineingelockt, durch fortgesetzte Lüge zu unterhalten, oder durch ein rückhaltloses Bekenntniß sie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verwunden, zugleich ihre Liebe und den Stolz ihres Geschlechts tödtlich zu beleidigen. Immer, wenn seine reine Natur ihm alles Andere erträglicher vorstellte, als ein frevelhaftes Heuchelspiel, und ihm die Wahrheit allein ihrer und seiner würdig erschien, sah er wieder das bleiche Gesicht und das rührend demüthige Entzücken, das darin aufglühte, als sie aus seinen Worten zu hören glaubte, er habe um sie gelitten, um sie hoffnungslose Schmerzen ausgestanden. Dann kam es ihm vor, als wäre es ebenso grausam, sie aus ihrem Wahn aufzuwecken, wie einen Nachtwandler anzurufen, der am Rande eines bodenlosen Abgrundes hinschreitet.

So verbrachte er die traurigste Nacht seines Lebens in einem dumpfen halbwachen Zustande, von Zweifeln hin und her geworfen. Als es aber Tag wurde, hatte er sich zu einem klaren Entschluß durchgekämpft.

Er wollte ihr schreiben, daß ihn das Bewußtsein, ihr anzugehören und ihrer Erwiderung gewiß zu sein, unaussprechlich beglücke. Doch sei ihm dies Gefühl zu heilig, um ertragen zu können, daß es durch schnöde Heimlichkeit, ein Versteckspiel vor der Welt und Dem, der ein Anrecht auf ihr Leben habe, entweiht werde. Darum wolle er fort, ohne sie wiederzusehen. Es würde ihm gegen Ehre und Gewissen gehen, in das Haus, wo er Gastfreundschaft genossen, noch einen Fuß hineinzusetzen, nachdem er das Kostbarste in diesem Hause entwendet hätte.

Während er sich diese und ähnliche treffliche Sätze in Gedanken zurechtlegte und so im Gehen einen Scheidebrief verfaßte, der zugleich als ein Liebesbrief gelten konnte, erreichte er endlich in der frühen Morgenstunde die Stadt, ziemlich beruhigt und mit seiner Klugheit zufrieden. Er hatte beschlossen, den Brief erst abzuschicken, wenn er sein Bündel geschnürt hätte und auf und davongefahren wäre. Das konnte bis gegen Mittag vollbracht sein, und vor dem Nachmittage wurde er draußen nicht erwartet. Kam dann statt seiner das verhängnißvolle Blatt, so würde der erste Schmerz des Verlustes nicht gering sein, doch immer noch leichter zu verwinden, als die doch unentrinnbare spätere Lösung, nach einer Zwischenzeit erlogenen Glücks und unwürdigen Komödienspiels.

So warf er den Kopf wieder muthig in den Nacken, als er die noch dämmrigen Gassen durchschritt, und erreichte sein Haus, wie wenn er nach einer durchzechten Nacht heimkehrte. Doch das Herz stockte ihm, als ihm Berthchen auf der dunklen Treppe begegnete. Seltsamerweise hatte er, während er mit sich zu Rathe ging, keinen Augenblick daran gedacht, daß es nun auch mit seiner Liebesgeschichte ein für allemal vorbei sein müsse. Erst bei ihrem Anblick, und da sie mit ihrer anmuthigen Stimme ihn halb scherzend fragte, ob er über Nacht unsolide geworden sei, kam es ihm zu Sinn, daß der Abschied von ihr ihn ein Stück seines Herzens kosten würde.

Da ist ein kleines Packet für Sie abgegeben worden, sagte das Berthchen, ihm ein versiegeltes Couvert überreichend. Sie hätten gestern bei der Frau Professorin Etwas vergessen, was sie Ihnen durch die Milchfrau hereinschicke. Es fühlt sich wie ein Taschentuch an. Mit Ihrer Wäsche gehen Sie ja überhaupt nicht gerade sorgsam um. Nehmen Sie mir's ab, ich hab' es eben erst in Empfang genommen und muß nun auf den Markt.

Sie reichte ihm das Päckchen und glitt an ihm vorbei die Treppe hinab, sich wundernd, daß er starr wie eine Bildsäule am Geländer lehnte und nicht einmal einen Morgengruß für sie hatte.

Wie betäubt stand er noch eine Weile und hielt das Couvert, mit der Ahnung, daß es etwas Verhängnißvolles einschließe, in der Hand. Erst als er drinnen die Hausfrau hantieren hörte, eilte er in sein Zimmer hinauf, das von der Morgensonne durchleuchtet war. Da riß er das Siegel auf und trat ans Fenster. Ein feines Battisttüchlein, das sich feucht anfühlte, fiel heraus, einige eng mit Bleistift geschriebene Blätter lagen daneben. Mit heftig klopfendem Herzen las er, was in hastigen, oft schwer zu entziffernden Zügen geschrieben stand:

»Mein Freund! Mein einzig Geliebter! Ich schreibe dir tief in der Nacht, nicht in meinem Krankenzimmer, sondern da, wo du mich heute gefunden hast. Ich habe Lisette zu Bett geschickt, da ich mich plötzlich genesen fühlte – durch ein Wunder, von dem du weißt, da du es gewirkt hast. Verzeih die schlechte Schrift. Meine Hand ist noch schwach, so stark, so heldenkühn und siegesstolz mein Herz ist. Ich liege ganz behaglich auf meinem Divan, die Lampe steht auf dem Tische neben mir und beleuchtet all deine Blumen – und eine Stille ist um mich und in mir – im Paradiese, wenn es auch jenseits dieser Welt einen Ort für verklärte Menschenkinder giebt, kann es nicht ruhiger sein, nur hin und wieder, wie man auch von dort zu fabeln pflegt, klingt ein leises himmlisches Orchester an mein Ohr, Jubelhymnen, Sphärengesang – kein irdischer Musiker, selbst du nicht, hat etwas Aehnliches je auf Noten gebracht.

Warum ich dir dies confuse Zeug schreibe, da ich doch bald wieder mit dir sprechen kann? Weil ich, wenn ich dich sehe, das Herz viel zu voll habe, als daß es überfließen, von seiner Fülle nur den geringsten Tropfen hergeben möchte. Ich empfinde es dann als einen Raub an meinem Glück, zu sprechen, statt nur zu hören und dich anzusehen. Leute, die mich nicht kennen, haben mich verleumdet, ich sei eine geistreiche Frau. Wenn sie wüßten, daß ich nur mit der falschen Münze schillernder Gedanken mich selbst zuweilen darüber zu betrügen suche, daß mein Herz so bettelarm ist! Jetzt schwelge ich in seligster Gedankenlosigkeit. Ich will und kann nichts, als mich leben fühlen, zum ersten Mal nach langen Jahren eines scheintodten Daseins. Mein Geliebter, wie hab ich's nur ertragen, dies Athmen ohne einen Seelenhauch! Doch freilich, zuweilen ist mir bange, ich möchte nun das wahre Leben, da es endlich angebrochen, nicht zu fassen die Kraft haben, da es mich so überschwänglich umgiebt, ich möchte am Leben zu Grunde gehen – ein seliger Tod, aber nur nicht so bald, gütiger Himmel! nur nicht, eh' ich es ganz genossen habe! – – –

Eine Weile hab' ich das Blatt weglegen müssen. Du siehst, die Schrift ist ein krauses Gekritzel geworden. Ich will mich jetzt aller zu stürmischen Gefühle erwehren; ich habe dir noch so viel zu sagen, was du wissen mußt, um mich recht zu kennen.

Siehst du, mein Liebling, was mich am schwersten bedrückt, ist, daß du glauben mußt, ich hätte mein Unglück selbst verschuldet, indem ich die Frau eines ungeliebten Mannes geworden sei, nur um die Vortheile seiner Stellung und seines Reichthums zu genießen. Ich weiß zwar, daß so Viele meines Geschlechts sich nichts dabei denken, wenn sie sich seelenlos hingeben, nicht ahnen, daß sie sich schlimmer verkaufen, als ein verlorenes Geschöpf, das der Hunger in die Schande treibt. Nein, mein Freund, wohl hab' auch ich einen Hunger gefühlt, den Hunger nach Glück und Liebe, aber ich schwöre dir's bei deinem eigenen theuren Haupt, ich glaubte diesen Hunger zu stillen, als ich das Ja am Altar aussprach. Es war keine jugendliche Schwärmerei, aber eine ehrliche Neigung. Der Mann, der um mich warb, war wirklich liebenswürdig und schien mich sehr zu lieben. Laß mich auch gestehen, daß ein wenig Eitelkeit mit im Spiele war. Als er in diese Stadt kam, ging ihm der Ruf eines großen Gelehrten voraus, der daneben ein vornehmer Charakter und ein geistvoller Gesellschafter sei. In der ersten Gesellschaft, wo er mich zu Tisch führte, konnt' ich sehen, daß der Ruf nicht zu viel gesagt hatte. Wie hätte es einem neunzehnjährigen Mädchen, das wenig Gesinnungsgenossinnen in seinem Kreise fand, nicht schmeicheln sollen, von diesem Manne ausgezeichnet zu werden. Und als er mich nach einer kurzen Bekanntschaft fragte, ob ich die Seine werden wolle, in einer Bewegung, die ich dem so viel älteren und vielverwöhnten Manne nicht zugetraut hatte, – war's ein Wunder, daß ich glaubte, nun sei ich des besten Glückes gewiß, zumal ich seiner Betheuerung glaubte, nur ich könne ihn glücklich machen?

Es ist anders gekommen. Ich will keine Anklagen erheben. Kann er dafür, daß überhaupt kein menschliches Verhältniß auf die Dauer ihn tiefer fesseln kann, da das, was er an Herz besitzt, seiner Wissenschaft gehört? Kann ich dafür, daß ich mich nicht damit begnügen lernte, die geachtete und geschonte Gefährtin eines solchen Mannes zu sein, ein Schmuck seines Lebens, den er gern vor fremden Augen glänzen sieht, allenfalls die unentbehrliche Helferin, die ihm das Aeußerliche des Lebens abnimmt, damit er desto ungestörter seiner eigentlichen Liebe nachgehen kann?

Als ich erkannte, daß unsere Naturen durch eine tiefe Kluft geschieden waren, über die keine Brücke führte, daß er bei aller scheinbaren Gutmüthigkeit in ganz unbedürftiger Selbstsucht neben mir hinging, während ich ein Wesen bedurfte, an das ich mich mit allen Fasern meiner Seele anschließen könnte – –

Aber auch das wurde mir ja gegönnt. Ich hatte mein Kind, ich konnte viel entbehren, da ich Etwas besaß, dem ich Viel zu geben hatte. Glaube mir, mein einzig Geliebter, ich habe von jeher die unglücklichen Frauen bemitleidet und zuweilen hart beurtheilt, die sich die »unverstandenen« nennen, und nur ein bischen ihren Verstand gebrauchen sollten, um zu sehen, daß Alles räthselhaft ist in dieser wunderlichen Welt, und das Räthselhafteste allein, die Liebe, über alles Grauen des Daseins hinweghilft. Ich schwöre dir, ich hätte mich zufrieden gegeben über so viel Versagtes, wenn ich meinen Jungen hätte behalten dürfen. Der hätte mit der Zeit mich so lieben gelernt, wie ich es bedurfte, denn er hat mehr von mir als von seinem Vater. Wenn das Kind neben mir gestanden hätte, als ich dich kennen lernte, vielleicht hättest du dich nie meines Herzens bemächtigt – ich hätte gar keine Zeit gehabt, dich so liebenswürdig zu finden, wie du bist, ich hätte das Herz so erfüllt gehabt mit Mutterglück, daß ich das entbehrte Frauenglück kaum empfunden hätte.

Als aber mein Mann mir erklärte, der Knabe müsse durchaus in eine männliche Hand gegeben werden, seine Anlage zu einem weichlichen Träumer werde durch mich genährt und er, der Vater, habe nicht die Zeit, diesem schädlichen Einfluß entgegenzuwirken, da versteinerte Etwas in mir, da bäumte ich mich gegen das Joch auf, unter dem mein Nacken sich schon zu verhärten angefangen, und als ich trotz allem Aufwand von Bitten und Demüthigungen meines Stolzes zuletzt nur meine Ohnmacht erkannte, gerieth ich in eine dumpfe, starre Verzweiflung, die mich mehr als einmal dazu anstachelte, dem unwürdigen Zustand ein Ende zu machen. Und immer war das Fleisch zu schwach, so willig der Geist gewesen wäre. Dieses feige, ohnmächtige, scheintodte Jahr ist das jämmerlichste meines Lebens gewesen.

So fand ich dich!

—————

Eine Stunde später. Ich habe ein Blatt zerrissen, auf dem ich zu sagen versucht hatte, was du mir bist, wie du mir's geworden bist, von jener ersten Stunde an, wo du mich aus meinem Scheintode wecktest, bis zu dem traurigen Abend im Waldwinkel, an dem ich erkannte, daß du zu spät gekommen, daß ich dir, dem Jungen, keine Jugend mehr zu bieten habe. Das hat mich so überwältigt, daß es das Band zwischen Seele und Leib zu zerreißen drohte. Wäre es doch geschehen! Aber nein, das ist gottlos. Vergieb mir dies kleinmüthige Wort, mein Geliebter. War mir's nicht beschieden, noch einmal zu erfahren, wie einem Schooßkind des Glücks zu Muthe ist? Und ich könnte das goldene Geschenk zurückweisen, weil ich nur allzu gut weiß, daß es von mir zurückgefordert werden wird?

Denn glaube nicht, daß ich in diesem schwindelnden Gefühl des Besitzes jede Besinnung verloren habe, nicht wüßte, ich könne dieser Himmelsgnade nur würdig sein, wenn ich dein Glück über meines stellte, dein junges Leben nicht für immer an mein schon bald verblühendes zu knüpfen suchte. Ich wäre deiner unwerther, als jene Luise, die dich »bis in den Tod« liebte, obwohl sie wußte, daß sie »zu müd und alt« war, um dich ganz zu besitzen. Was aber will ich denn? Ist es denn Vermessenheit, ein Herz hinzugeben und nicht zu fragen, ob das, was man dagegen empfängt, eines Tages zurückgenommen wird? Sobald du fühlen wirst, mein einziger Freund, daß das Recht auf meine Liebe dir zur Fessel wird, bist du frei. Ich werde ohne Klage aus deinem Leben verschwinden. Jetzt aber laß mich dir Alles sein – soweit ein Weib von dem Manne, der seinem Genius zugeschworen ist, Besitz ergreifen darf. Denn so bescheiden ich von mir denke, das Eine darf ich von mir rühmen, daß ich eine der wenigen Frauen bin, die den Geliebten nicht in ihre enge Welt hinabzuziehen suchen, sondern die selbstlose Kraft besitzen, sich ihm nachzuschwingen zu seinen höheren Zielen.

Gute Nacht, Lucius! Doch nein, wenn du diese Zeilen liesest, tagt ja ein neuer, seliger Morgen. Ich lege das Tüchlein bei, das meine Thränen getrunken hat, die ersten Freudenthränen, die diese armen Augen geweint haben. Meine Sendung möchte sonst Verdacht erregen. Und wir wollen unsere heilige Liebe der kalten, neidischen Welt nicht preisgeben.

Und noch eins: wir wollen sie rein halten von dem, was diese Welt Sünde nennt. Hilf mir dabei, mein Freund! Was ich für dich fühle, ist so hoch und herrlich – ich brauchte vor Niemand die Augen niederzuschlagen, der in mein Herz blickte. Aber die beschworene Pflicht legt ein Schwert zwischen uns. Wir müssen vor Gott und Menschen hintreten und sagen können, daß wir nicht daran gerührt haben.

Lebewohl!«

*

Er saß noch lange, nachdem er das letzte Wort gelesen hatte, und starrte auf das kleine weiße Tuch, das zwischen den Blättern lag. Als er die Magd mit dem Frühstück kommen hörte, sprang er hastig auf, raffte Alles zusammen und verbarg es mit zitternden Händen wie einen gestohlenen Schatz in einem Fach seiner Kommode. Dann ging er ruhelos im Zimmer herum, stand einmal vor seinem Bücherbord still und nahm ein Buch heraus, das erste beste, um es, nachdem er mit abwesendem Geist den Titel gelesen, wieder zurückzustellen, zog die Geige aus dem Kasten, prüfte mit dem Finger ein paar Saiten und legte das Instrument behutsam wieder in sein Futteral. Unten hörte er das Berthchen singen. Es klang ihm so fern und fremd, als käme die Stimme aus einem anderen Stern. Die Bande, mit denen diese Liebe sein Herz umschnürt hatte, waren auf einmal gesprengt; sie hätte jetzt bei ihm eintreten können, und sein Puls hätte nicht rascher geschlagen. Doch kein stärkeres Gefühl hatte das alte verdrängt, nur eine seltsame Leere, die ihn peinigte, eine schmerzliche Erschöpfung aller Seelenkräfte. Zuletzt, nachdem er auch seine Glieder durch das rastlose Umirren in der Enge ermattet hatte, ließ er sich auf das Bett sinken und schloß die Augen.

Aber kein Schlaf kam über ihn. Er sah das blasse Gesicht vor sich und die schönen müden Augen, die mit flehender Leidenschaft ihn anglänzten, und den Mund, der glückselig lächelte. Er konnte den Gedanken nicht ausdenken, wie diese von einem holden Wahn verklärten Züge sich verwandeln würden, wenn er das Wort ausspräche, das ihm auf den Lippen schwebte.

Nein, sie sollte es nie erfahren. Lieber wollte er sich selbst der Sünde eines frommen Betrugs schuldig machen. Wenn es je eine Nothlüge gab, war's nicht diese? Mußte er nicht fürchten, durch die noch so schonende Enthüllung sie, die kaum Genesene, in eine neue Krankheit zurückzustürzen, vielleicht sie zu tödten? Und auch der Ausweg der Flucht war ihm durch ihre Bekenntnisse versperrt. Was verlangte sie denn von ihm? Nur daß er es ihr gönnte, sich in seiner Nähe jung und glücklich zu fühlen, allen Reichthum ihres Innern, auf den Niemand sonst Werth legte, vor ihn hinzuschütten. War sie nicht so besonnen und ergeben, daß sie nicht daran dachte, ihn für immer an sich zu binden? Und er sollte so grausam sein, ihr auch den kurzen Traum dieser Gegenwart zu rauben, statt abzuwarten, über wie kurz oder lang die Pflichten gegen seine Zukunft, seine künstlerische Ausbildung das Band ohnehin lockern und endlich mit sanfter Gewalt lösen würden?

Als er zu diesem klaren Entschluß gekommen war, schlief er noch ein paar Stunden. Die tiefe Ruhe stärkte ihn, und er empfand, da er erwachte, sogar eine gewisse Ungeduld, die theure Frau wiederzusehen, und etwas wie Beschämung und Dankbarkeit, daß er ihr so viel hatte werden können. Er las ihren Brief jetzt noch einmal mit gelassener Aufmerksamkeit, und der Schluß zumal beschwichtigte seine letzten Gewissensregungen. Fast erschien es ihm als eine heilige sittliche Pflicht, diesem vielbedürftigen Herzen, das so lange seine Lebensluft entbehrt hatte, die Schmerzen einer versäumten Jugend zu vergüten.

Als er dann am Nachmittag bei ihr eintrat, fast ohne Befangenheit, doch freilich auch nicht wie ein zärtlich Liebender, der nach dem ersten Austausch der Herzen die Geliebte wiedersieht, kam sie ihm schon wieder völlig angekleidet entgegen, mit strahlenden Augen und leicht gerötheten Wangen. Du bist da! sagte sie, seine beiden Hände ergreifend. Ich danke dir, daß du auf der Welt bist – für mich. Was wirst du von meinem redseligen Brief gedacht haben? Aber ich habe mich gesund geschrieben. Nun werde ich dich nicht mehr mit meiner Geschwätzigkeit plagen. Weiß man nicht auch Alles von einander, wenn man sich liebt? Menschen, die sich gleichgültig sind oder gar hassen, die mögen Worte machen und sich damit über das Unnütze oder Widrige des Beisammenseins hinweghelfen. Wir haben Besseres zu thun.

Sie führte ihn zu den Blumen im Erker, immer seine beiden Hände haltend. Es blüht nicht mehr viel, sagte sie, der Sommer geht zu Ende. Ich glaubte, auch mein Herbst sei nahe. Wie hab' ich mich getäuscht! Ich habe ja noch keinen Sommer gehabt, der soll nun anbrechen. Da nimm! – Sie brach einen kleinen Zweig von einem immergrünen Gewächs und steckte ihm denselben mit ihren blassen Fingern ins Knopfloch. Nun bist du mein Ritter und mußt meine Farbe tragen, das Grün, das durch alle Jahreszeiten sich gleich bleibt. Aber du bist blaß. Hab' ich dir den Schlaf geraubt? Ich – nachdem ich dir gebeichtet hatte – habe so süß geschlafen, wie kaum als ganz junges Kind.

Er erzählte ihr, wo er die Nacht zugebracht hatte, freilich nicht, in welcher Verfassung. Sie glaubte nicht anders, als daß ihn das Uebermaß des Glückes ziellos in die Nacht hinausgetrieben habe.

Du mußt vernünftig bleiben, sagte sie und gab seine Hände frei. Ich habe die Verantwortung für dein Leben auf mich genommen. Denn ob ich auch ein blutjunges Herz habe, das noch ganz dumm und verwundert in die Herrlichkeit der Welt hineinblickt, ich bin doch auch eine kluge alte Frau und werde einen leichtsinnigen jungen Menschen streng überwachen, daß er keine Thorheiten begeht. Aber ich kann noch nicht lange stehen. Laß mich wieder in meinem Sophawinkel kauern und setz dich an den Flügel und spiele, gleichviel was, nur von dir. Für alle Sphärenmusik oder die tiefsinnigsten Harmonieen Beethoven's bin ich heute taub und verlange Nichts als zu hören, wie diese lieben Hände über die Tasten gleiten.

Er spielte dann, in freier Phantasie sich ergehend, wohl eine halbe Stunde lang. Nichts konnte ihm erwünschter sein, als so über den Zwang hinwegzukommen, den das Gespräch ihm auferlegte. Indessen lag sie, wie sie pflegte, weich ausgestreckt, die Arme unter dem Kopf verschränkt, die Augen unverwandt auf ihn gerichtet. Von Zeit zu Zeit hob ein Seufzer ihre Brust, wie ein Kind seufzt, wenn es lange geweint hat und der thörichte Kummer durch ein schönes Spielzeug verscheucht worden ist. Das hörte er wohl und deutete es richtig. Aber dies wunderlich wortlose Liebesgespräch hatte nichts Beklemmendes für ihn.

Die Thür ging behutsam auf, er hörte den Schritt des Professors, der am Divan stehen blieb. Spielen Sie nur weiter, hörte er die tiefe Stimme hinter sich sagen, ich verhalte mich ganz still und buchstabire Kunstgenuß. – Nun brach er doch nach einem rauschenden Finale ab, erhob sich und verbeugte sich tief, doch ohne Verlegenheit.

Schön, daß Sie meiner Patientin die Zeit vertreiben helfen. Der Doctor will, daß sie sich langweilen soll, nicht lesen oder schreiben oder sich selbst ans Klavier setzen. Der gute Doctor macht nur freilich die Rechnung ohne den Wirth. Nicht wahr, Lusine, man könnte eher dem Seidenwurm verbieten, zu spinnen, als gewissen Weiberköpfen, ihre Gedankenfreiheit zu mißbrauchen? – Er lachte dabei, sein gutes joviales Lachen. Dann strich er ihr mit der Hand über die Stirn und sagte: Doch noch immer nicht kühl genug. Mein Kind, es wird doch vernünftiger sein, wir schicken unseren jungen Orpheus weg, und du nimmst deinen Schlaftrunk. Sprechen Sie nur morgen wieder vor, lieber Ludolf. Für heute muß der unbarmherzige Gatte die Stelle der barmherzigen Schwester vertreten und auf strenge Befolgung der Reconvalescentendiät dringen.

Er schüttelte dem Jüngling mit kräftigem Druck die Hand und wartete, bis er sich von der Frau verabschiedet hatte. Sie entließ ihn mit einem kurzen Kopfnicken und einem langen Blick. Morgen also! hauchte sie. Bringen Sie nur ja Ihre neuesten Lieder mit.

*

Er hatte nichts mitzubringen. Auch fragte sie nicht weiter danach. Am nächsten und den folgenden Tagen, während sie rasch alle Nachwehen der Krankheit überwand, vergingen ihnen die kurzen Stunden des Beisammenseins so ziemlich wie diese erste. Nur daß sie nicht so schweigsam blieb, sondern einen tiefen Genuß darin fand, ihrem Herzen mit all seinen voll aufblühenden Gefühlen Luft zu machen, zuerst immer, was sie gedacht und geträumt hatte seit ihrem letzten Abschied, dann von ihrem Leben in der Jugend, was sie sich von Glück und Liebe für eine Vorstellung gemacht, und wie nun Alles so anders geworden sei. Als wenn einem Blindgeborenen die Sehkraft wiedergegeben werde, und er lerne nun erst, was Licht und Farbe sei.

Er saß dann meist einsilbig neben ihr, seine Hand in der ihren, und sie hatte kein Arg dabei, daß er ihr so wenig zu erwidern wußte. Als sie einmal auf jenes ländliche Fest zu reden kam und ihre eifersüchtigen Qualen geschildert hatte, die ihr die folgende Nacht zur Hölle gemacht, fragte sie ihn zuletzt: Warst du vielleicht nicht in das schöne Mädchen verliebt?

Es war zu dunkel, als daß sie sein Erröthen hätte bemerken können.

Wie kannst du glauben! brachte er mühsam hervor.

Sie nahm seine kurze Antwort als ein Zeugniß dafür, daß schon der bloße Verdacht ihn kränken müsse, als habe neben dem Gefühl für sie eine geringe alltägliche Liebschaft Platz in seinem Herzen gefunden.

Ich hätte dir's nicht verdacht! sagte sie. Die reizende Kleine kann einem jungen Blut wohl gefährlich werden. Aber du bist freilich nicht wie Andere.

Sie zog seine Hand an ihre Lippen, was er ihr nicht verwehrte. Es war die einzige Liebkosung, die sie beim Kommen und Gehen sich erlaubte.

Einmal, da sie nun völlig wieder als gesund gelten konnte, fügte sich's, daß sie am dritten Ort, in einer Abendgesellschaft bei einem der Collegen des Professors, sich trafen. Es hatte des ausdrücklichen Machtspruchs ihres Mannes bedurft, um sie zu bewegen, sich dieser Frohne nicht zu entziehen. Sie hatte keine Freundin unter diesen wackeren Damen und entbehrte es nicht, zeigte das aber zu deutlich. Nach den ersten Versuchen, an ihrer Unterhaltung Theil zu nehmen, blieb sie in solchen Gesellschaften stumm und zerstreut, wenn nicht etwa ein geistvoller Mann sie in ein Gespräch zog, das sie anregte. Heute aber, so widerstrebend sie hingegangen war, erschien sie wie verwandelt, munter und witzig, dabei von liebenswürdiger Beflissenheit den steifsten alten Damen gegenüber. Denn ihr Inneres war so von Wärme und Wonne erfüllt, daß sie es selbst den Gleichgültigsten zu Gute kommen ließ. Nur selten streifte ihr Blick zu dem Jüngling hinüber, der in einer fernen Ecke des Zimmers mit der Tochter des Hauses und ihren Freundinnen eine Unterhaltung fortspann, die ihn gründlich langweilte. Sie wußte es ihm Dank, daß er sich ihr den ganzen Abend lang nicht näherte. Sie hätte nicht gut dafür gestanden, daß ihre innere Freudigkeit nicht übergesprudelt und scharfen Beobachtern das selige Geheimniß offenbar geworden wäre.

Am anderen Tage aber traf er sie im Garten. Sie hing sich an seinen Arm und fing sogleich von dem gestrigen Abend an, wie sie da erst so recht ihrer Liebe froh geworden sei und stolz auf ihren Geliebten, dem man es angesehen, daß die ganze Welt und die hübschesten jungen Grazien ihm gleichgültig gewesen seien. Und wie verzückt in heimlicher stolzer Wonne sie dagesessen sei, während er die Chopin'schen Tänze gespielt habe, und sich immer gedacht habe: Was wißt ihr von seiner Musik! Welcher Töne sie fähig sei, weiß nur ich allein.

Sie war heute seltsam aufgeregt, weicher und hingebender als sonst. Er aber ging schweigend neben ihr. Nur zuweilen, als Antwort auf ein Liebeswort, drückte er leise ihren Arm. Es dunkelte schon unter den Bäumen, einzelne gelbe Blätter taumelten aus den Zweigen auf die feuchten Kieswege, und kein Vogel regte sich zwischen den gelichteten Zweigen. Doch ging eine weiche Föhnluft vom Felde herüber, und die rothen Malven schwankten auf ihren hohen Stielen.

Als sie an ein Bänkchen im entferntesten Theile des Gartens kamen, blieb sie stehen. Wir wollen uns einen Augenblick setzen, sagte sie. Ich bin noch ein bischen matt. – Sogleich ließ er ihren Arm aus dem seinen gleiten und warf sich auf die Bank. Sie aber zauderte noch. Sie stand dicht vor ihm, hielt seine Hand fest und strich ihm sanft das dichte Haar von der Stirn zurück.

Weißt du, sagte sie, daß ich gestern mich zuweilen versucht fühlte, durch all die feierlichen Damen und hochgelehrten Herren hindurch zu dir hinzueilen, dich in die Arme zu schließen und zu rufen: Er ist ja mein! Wißt ihr's denn nicht? Diese hohe Stirn, diese wilden Augen, dieser trotzige Mund – Alles gehört mir, und ich sag' es euch, damit ihr mich beneidet. Ein Feuer, das lange im Verborgenen geglüht hat, muß endlich in die freie Himmelsluft hinauslodern, das ist sein gutes Recht. – Und dann hätt' ich dich auf deine lieben, bösen Augen geküßt – so! – und auf diese stummen Lippen – so! – und dich in den Arm genommen und im Triumph hinweggeführt.

Sie hatte sich zu ihm hinabgebeugt und sagte das Letzte dicht an seinem Gesicht. Einen Augenblick blieb sie so dicht an ihn geschmiegt, als ob sie erwartete, daß er sie umschlingen und auf seinen Schooß ziehen würde. Als er sich nicht regte, auch unter ihren scheuen Küssen nur leicht zusammenzuckte, trat sie hastig zurück, und das Leuchten auf ihren Zügen verschwand plötzlich.

Du bist so kalt! O, du liebst mich nicht, wie ich dich liebe! Nein, rühre mich nicht an! Ich will hinein – es ist schon spät, es wird Nacht – aber ich sehe klar genug – nur allzu klar! Gute Nacht!

Im Nu war er aufgesprungen und an ihrer Seite. Liebe, Theuerste, was hast du? rief er. Ist's nicht dein eigener Wille gewesen? Hast du nicht das Schwert zwischen uns gelegt?

Sie sah ihn durchdringend an.

Wird dir's so schwer, wie mir, es liegen zu lassen? Kostet dich's einen so harten täglichen, stündlichen Kampf? Nicht erst heute hab' ich's empfunden – nein, all die Tage. Du könntest Jahre lang so neben mir hingehen, ohne Etwas zu entbehren; während ich – ich – nein, ich will nicht so schwach sein, dir von den einsamen Thränen zu sagen, die ich in mancher schlaflosen Stunde der Nacht darum weine, daß die Rollen vertauscht sind, daß ich danach schmachte, du möchtest deine Macht mißbrauchen, deine Gelübde vergessen und mich in deine Arme schließen wie ein Eroberer eine wehrlose, unterworfene Sclavin!

Leugne es nicht, fuhr sie leidenschaftlich fort, da er etwas erwidern wollte, du bist nicht so ganz mein, wie du selbst dir einen Augenblick vorgetäuscht hast. Wärst du sonst nicht heiterer, glücklicher, wenn du bei mir bist? Aber du kommst mit einem Schatten über der Stirn und gehst so düster, wie du gekommen bist, während mir ist, wenn du zur Thür hereintrittst, als ginge mir am hellsten Tage jetzt erst die Sonne auf. Das ertrag' ich nicht länger. Es ist deiner und meiner unwürdig. Lieber das Aergste, lieber hören, daß du dich selbst betrogen hast, als mich weiter betrügen, und wenn es mein Leben kostete! Was wär's denn weiter? Ich hätte meinen Sargdeckel einen Augenblick gelüftet, ein paar Athemzüge in der warmen Sonnenluft gethan, und nun fiele er wieder zu, und ich schliefe weiter, jetzt freilich sicher vor jeder neuen Auferstehung!

Sie brach in ein krampfhaftes Weinen aus; er sah wie sie wankte und umzusinken drohte; da umfaßte er sie und führte sie nach dem Bänkchen zurück. Sein Herz schwoll von unsäglichem Jammer und Mitleid, als er die Fassungslose niederließ und sich neben sie setzte. Doch fühlte er, er müsse den Augenblick ergreifen, um der unerträglichen Lage so schonend wie möglich ein Ende zu machen.

Meine geliebte Freundin, flüsterte er ganz dicht an ihrem Ohr, während sie ihre Thränen mit dem Taschentuch zu ersticken suchte, willst du mich ruhig anhören? Oder soll ich ohne Verhör verdammt werden? Ich habe dir zuvorkommen wollen mit dem traurigen Bekenntniß – nein, fahre nicht auf, es ist nicht, was du denkst, daß ich anders für dich fühlte, als von Anfang an. Jede neue Stunde, die ich mit dir verbringen durfte, hat mir gezeigt, daß du das herrlichste Weib bist, daß mir in alle Ewigkeit nichts Liebenswürdigeres begegnen werde. Aber du bist eines Anderen Weib, und das – das kann ich nicht vergessen.

Ihre Thränen versiegten plötzlich. Sie nahm das Tuch von den Augen und sah ruhig vor sich hin.

Siehst du, meine Geliebte, fuhr er fort, das ist der Schatten, der über mir liegt, wenn ich bei dir eintrete. Ich bin in diesem Hause von seinem Herrn mit großer Güte und Nachsicht aufgenommen worden, und zum Dank dafür habe ich ihm das Herz seines Weibes entwendet. Du willst sagen, daß es ihm nicht mehr gehörte. Aber er, wenn er seinen Besitz auch nicht zu würdigen scheint, hat er darauf verzichtet? Würde er's thun, wenn er wüßte, ein Anderer habe die Hand nach seinem Eigenthum ausgestreckt? Bleibt es nicht ein schmählicher Diebstahl, ein Bruch des Vertrauens, eine That des schnöden Undanks? Ich weiß, daß Andere anders darüber denken würden. Mich aber entzweit es mit mir selbst. Wenn ich ein Anderer wäre und darüber hinwegkommen könnte, wie du es kannst, würde ich fern von dir und in deiner Nähe nicht den Stachel in meinem Innern fühlen, der mich unselig macht. Weißt du, wie ich die Stunden in meinem einsamen Zimmer hinbringe, völlig unfruchtbar, immer brütend über dem, was ist und werden soll, nur auf kurze Augenblicke über all den Kampf und Sturm hinausgehoben durch den Gedanken an alles Hohe und Einzige, was Der besitzt, dem du dich ergeben hast? Noch ein paar Wochen in diesem furchtbaren Zwiespalt der Gefühle, und ich komme von Sinnen, und statt mir Vorwürfe zu machen, wirst du beklagen, daß du so wenig verstanden hast, wie ein ehrenhafter Mann in solcher Lage empfinden mußte.

Er athmete tief auf, als er diese Beichte vom Herzen hatte. Daß sie nicht die ganze Wahrheit enthielt, machte er sich nicht zum Vorwurf. Er dachte zu ritterlich, um sie mit der schonungslosen Enthüllung zu beschämen.

Er betrachtete in der bleichen Dämmerung das feine Gesicht, das ihm halb abgekehrt war. Nie war sie ihm reizender erschienen, als in diesem Augenblick, wo die Seele dieser Frau in ihrer ganzen Kraft und Hoheit sich auf ihren Zügen spiegelte.

Zürnst du mir? flüsterte er, indem seine Lippen ihr Ohr berührten. Hab' ich dich gekränkt?

Sie schüttelte langsam den Kopf, von dem das schwarze Spitzentuch herabgeglitten war. Ihre Augen irrten am Boden hin.

Du kannst mich nur durch Eines kränken, wenn du aufhörst, mich zu lieben, sagte sie kaum hörbar. Aber wie es auch sei, ich fühle, daß du mich verlassen willst, daß ich dich freigeben soll. Du hast Recht: es darf nicht so fortgehen, du hast jetzt nur die eine heilige Pflicht, dein Leben zu gestalten. Wenn ich dich daran hindere, muß ich zurücktreten. Aber du selbst willst nicht, daß ich darüber zu Grunde gehe, nicht wahr, das willst du nicht? So müssen wir's anders anfangen.

Er wollte nach dem Sinne dieser dunklen Rede fragen. Sie stand aber auf und sagte: Nichts weiter heute. Ich muß erst mit mir selbst völlig ins Reine kommen. Was über das ganze Leben entscheidet, darf man nicht in der ersten Erregung thun. Ich werde mit mir zu Rathe gehen und schreibe dir dann das Ergebniß. Verlaß mich jetzt und begleite mich auch nicht ins Haus zurück, sondern geh durch die hintere Gartenthür. Ehe du meinen Brief erhalten hast, will ich dich nicht wiedersehen. Ich danke dir, daß du endlich gesprochen hast. Es wird noch Alles gut, mein einzig Geliebter, darauf vertraue! Und nun gute Nacht!

Sie nickte ihm zu mit einem traurig innigen Blick und einem leisen Winken der Hand, zog dann das Spitzentuch wie einen Schleier über die Stirn und ging langsam von ihm hinweg.

*

Erst spät am anderen Nachmittage, nachdem er in wachsender Aufregung zu Hause gesessen und auf ihre Botschaft gewartet hatte, brachte ihm ein Dienstmann den verhängnißvollen Brief. Er war in der Nacht geschrieben, mit fester Hand, in den großen, feinen Zügen, die ihr Wesen so sichtbar ausdrückten.

»Nein, mein Geliebter, ich zürne dir nicht. Vielmehr hat Alles, was du mir gesagt, mein gutes Recht, dich über Alles zu lieben, mir nur bestätigt. Dächtest du weniger zart und empfindlich im Punkt der Mannesehre, so wäre deine Geliebte eben nur ein schwaches Weib, das durch äußere Eigenschaften sich hätte verführen lassen. Nun wird mir die höchste Wonne meines Geschlechts zu Theil, aufzublicken zu Dem, den unser Herz erwählt hat, um, wenn wir von schwankenden Trieben hin und her gerissen werden, uns an eine feste Stütze schmiegen zu dürfen.

Nur mir selbst zürne ich, daß mir erst durch dich die Augen geöffnet wurden über das, was mein eignes sittliches Gefühl mir hätte sagen sollen: daß ich nicht fortfahren darf, auch nur äußerlich, wie es in all der Zeit, seit du mir begegnet bist, der Fall war, einem Manne anzugehören, von dem meine Seele sich geschieden hat.

Ich bin entschlossen, keinen Augenblick länger die unwürdige Lüge dieses Verhältnisses zu dulden, sondern auch die äußere Fessel abzustreifen.

Schon morgen Nacht verlasse ich das Haus und ziehe mich zu einer Jugendfreundin zurück, die an einen Landpfarrer nahe bei G. verheirathet ist. Dort will ich meine Zukunft abwarten – meine und deine Zukunft.

Ich weiß, daß es Wahnsinn wäre, unser Leben sofort zu vereinigen. Du hast Jahre der strengen Arbeit vor dir, und ich bin nicht egoistisch genug, zu verlangen, daß du deinem Genius untreu werden sollst, um mir allein zu leben. Ich werde warten, mein Geliebter, und in der Hoffnung aufrecht zu bleiben versuchen, daß dein Herz mich nicht werde entbehren können und daß ich dich doch einst besitzen darf – wie lange oder wie kurz? – du weißt, daß ich nie ein Opfer bloß äußerlicher Treue von dir fordern oder auch nur annehmen würde.

Finde dich morgen um Mitternacht an der Gartenpforte ein. Eine Stunde später hält hier der Nachtzug, der mich nach G. bringen soll. Ich möchte, daß du mich nach dem Bahnhof begleitest; ich werde so tief verschleiert sein, daß Niemand mich erkennen soll. Diese eine bange, süße Stunde vor einer Trennung, die vielleicht nur in langen Pausen durch ein kurzes Wiedersehen unterbrochen werden kann, mußt du mir nicht versagen. Alles, was ich heute nicht schreibe, will ich dir dann mündlich erklären. Mein Entschluß aber ist unerschütterlich.

Gute Nacht, liebster Mann.
Ewig
deine Melusine.«

 

Am andern Morgen. Ich habe geschlafen wie nur ein gutes Gewissen schlafen läßt. Und jetzt im hellen Morgenlicht steht Alles noch ganz so klar und nothwendig vor mir, wie ich's in der Nacht empfunden habe. Versuche daher mit keinem Wort, mich wankend zu machen. Ich weiß Alles, was gegen meine Entschließung zu sprechen scheint: die Unsicherheit meiner Lage, da ich nicht reich bin, das Urtheil der Welt, das mich nicht schonen wird, – und das Verhängnißvollste, Härteste: daß ich mich meines Sohnes beraube. Der aber ist mir jetzt schon genommen worden, und ich bin keine Spartanerin. Wenn sein Gemüth dem meinen nachartet, was ja gerade befürchtet wurde, so wird er, zum Manne herangereift, seiner Mutter nicht abtrünnig bleiben, sondern verstehen, warum sie nicht im Joch ausharren konnte.

Komm also nicht zu gewohnten Stunde, aber fehle nicht zu der späteren. Noch einmal muß ich deine Stimme hören, deine Hände drücken, meinen Kopf an deine starke, treue Brust lehnen – dann mag das Ungewisse, Unausdenkbare sich meiner bemächtigen.«

*

Der Tag, an dem sie dies geschrieben hatte, war ein Freitag, ihr Melusinentag.

Sie schickte in der Frühe das Mädchen zu ihrem Manne hinauf und ließ ihm sagen, er möge sie entschuldigen, wenn sie heute ganz für sich bleibe, auch nicht zu Tische komme. – Der Herr lasse grüßen, es sei gut! berichtete Lisette. – Ja wohl, es ist gut! wiederholte die Frau bei sich selbst; und es wird noch besser sein, wenn es immer so ist.

Sie war ganz ruhig. Nur ein bitteres Gefühl überkam sie einen Augenblick, als sie bedachte, daß sie keinen Menschen in dieser Stadt zurückließ, der ihr fehlen würde, Keinen, der sie vermissen möchte. Die Eltern todt, ihre Geschwister alle in Nähe und Ferne zerstreut. Und der Einzige, den ihr Fortgehen kränken würde, wie bald würde er sich darein gefunden haben. Das Werk, an dem er gerade arbeitete, war's ihm nicht theurer als Weib und Kind? Und eine Haushälterin, die dafür sorgte, daß es im Hause ihm an Nichts fehle, ließ sich ja wohl auftreiben.

Sie schrieb an ihn, einen langen Abschiedsbrief, ohne Vorwürfe, ohne Entschuldigung dessen, was sie vorhatte. Daß es so besser sei für sie Beide, setzte sie so gelassen, wie man die Folgen eines Naturgesetzes betrachtet, auseinander. Zum Schluß dankte sie ihm mit warmen Worten für alle Güte, die er ihr bewiesen. Sie glaube, diese Güte dadurch zu vergelten, daß sie ein Verhältniß löse, das auch ihm, wenn er aufrichtig sein wolle, mehr und mehr peinlich sein müsse. Er brauche eine Frau, die sich damit begnüge, als die Lebensgefährtin eines bedeutenden Mannes vor der Welt eine beneidete Stellung einzunehmen und keine Wünsche zu nähren, die er ihr nicht erfüllen könne. So möge er ohne Groll an sie denken, aber nicht zu vereiteln suchen, was unabänderlich in ihr feststehe.

Nachdem sie den Brief gesiegelt hatte, ordnete sie ihre Papiere, verbrannte eine Menge Briefe und Aufzeichnungen und ließ sich einen Koffer bringen, indem sie vorgab, sie habe allerlei Sachen an den Knaben in der Pension zu schicken. Darein that sie das Nöthigste zu ihrer Toilette, ein paar Schmucksachen, die sie schon als Mädchen besessen, einige Bücher und die Staatspapiere, die ihr persönlich gehörten, ein sehr bescheidener Besitz, der von dem väterlichen Erbtheil auf sie gekommen war. Einmal setzte sie sich auch an den Flügel und schlug ein paar Accorde an, nur wie um Abschied zu nehmen. Dann verschloß sie das Instrument mit einem Seufzer und lag lange auf dem Divan in tiefem Sinnen, nicht froh und nicht traurig, wie man einem Unternehmen entgegensieht, das aus dem Kampf widerstreitender Pflichten hervorgegangen ist. Zuweilen sah sie zu dem Ary Scheffer'schen Bilde hinüber, mit stillem Neide auf die Liebenden, die in dem Wirbelsturm des Höllenkreises Brust an Brust geschmiegt ewig verbunden dahinfahren, aller Feindschaft und Verfolgung der Oberwelt entrückt. Der Tag war still und warm, ein Nachsommerhauch wehte zu den Fenstern herein, und sogar die Amseln fingen schüchtern zu singen an, als glaubten sie, daß der Frühling schon wieder nahe sei.

Eine tiefe Müdigkeit überkam sie, auf Augenblicke sogar der Gedanke, es möchte das Beste sein, sie schliefe, um nie wieder zu erwachen, und verschliefe sogar das Glück, das so fern und trügerisch und vielleicht unerreichbar vor ihr stand. Diese Schwäche aber kämpfte sie nieder und suchte sich eine Zukunft voll Licht und Wärme auszumalen, in der sie ganz sich selbst und Dem, der sie liebte, angehören würde. Und in dieser seligen Träumerei schlief sie wirklich ein, da sie die Nacht vorher kein Auge geschlossen hatte.

Erst gegen Abend erwachte sie, aß ein wenig von den Speisen, die ihr das Mädchen ins Zimmer trug, und wartete dann mit brennender Ungeduld die Nacht heran. Sie konnte von ihrem Schlafzimmer aus, das sie sich seit der Krankheit unten neben dem Melusinenzimmer eingerichtet hatte, in den Garten gelangen, ohne von irgend Jemand im Hause gehört zu werden. Ihr Mann kam gewöhnlich gegen Elf nach seiner späten Arbeit noch auf einen kurzen Gutenachtgruß zu ihr herein. Heute aber, da sie sich ihren Freitag gesichert hatte, hatte sie ihn nicht mehr zu erwarten. So tief sie von ihrem guten Recht durchdrungen war, wollte sie doch seinem Blick nicht mehr begegnen.

Als es daher Elf geschlagen hatte, klingelte sie der Lisette und sagte, sie wolle nun schlafen gehen, nur erst noch die Blumen begießen. Hier sei ein Brief für den Herrn, worin sie ihm eine heut empfangene Nachricht mittheile, die ihn vielleicht aufregen werde, so daß sie ihm die Nachtruhe damit verstören würde, wenn sie heut noch an ihn gelangte. Doch da er früher aufstehe, als sie, solle er den Brief gleich beim Frühstück lesen. Sie möge ihn daher neben seine Tasse legen.

Dann wandte sie sich, scheinbar ganz gleichmüthig, den Blumen im Erker zu, die sie zum letzten Mal tränken wollte. Eben war sie damit fertig geworden und stellte die kleine Gießkanne beiseit, als die Thür sich öffnete und ihr Mann ins Zimmer trat.

Sie sah mit tödtlichem Erschrecken, daß er ihren Brief in der Hand hielt.

Sein Gesicht war etwas blasser als gewöhnlich, auch der heiter überlegene Zug daraus geschwunden, doch seine Stimme klang ruhig, und das mächtige Haupt mit dem nur leicht angegrauten seidenweichen Haar nickte freundlich, indem er sagte:

Guten Abend, Lusine. Was ist das für ein wunderlicher Brief, den ich eben der Lisette abgenommen habe? Ich überraschte sie dabei, als sie die Aufschrift studierte, und fragte scherzend, ob sie einen Schatz habe, der ihr so große Liebesbriefe schreibe. Das gute Ding, das so tugendhaft ist, empörte sich dermaßen über diesen Verdacht, daß sie mir erröthend und zitternd das Couvert hinhielt – und da las ich meinen eigenen Namen – in deiner Handschrift. Was in aller Welt hast du mir zu schreiben, was du mir nicht mündlich sagen kannst?

Sie stand wie versteinert. Also sollte dieser Kelch nicht an ihr vorübergehn! Aber sie nahm all ihren Muth und Stolz zusammen und sagte nach einem kurzen Schweigen, ohne daß ein Zittern der Stimme ihre Aufregung verrieth:

Du solltest den Brief erst morgen früh finden. Aber da er einmal in deinen Händen ist, so lief ihn doch gleich.

Ich werde mich hüten, Kind, versetzte er und suchte zu lachen; es gelang aber nur schlecht. Nicht bloß als Jurist bin ich für das mündliche Verfahren. Du schreibst zwar einen schönen Stil, aber deine Stimme zu hören ist mir noch lieber. Was hast du mir also mittheilen wollen?

Sie sah still vor sich hin. Dann sagte sie mit tonloser Stimme, wie man etwas Unabänderliches ausspricht: Daß ich von dir gehen will, um nicht zu dir zurückzukehren, und dich bitten möchte, auf alle Versuche, meinen Entschluß zu ändern, zu verzichten. Auch die Gründe, wie ich dazu gekommen bin, stehen in dem Brief. Du würdest uns Beiden ein peinliches Gespräch ersparen, wenn du es über dich brächtest, ihn zu lesen.

Meinst du? sagte er nach einer langen Pause, während der er sie fest angeblickt hatte. Und du glaubst, du könnest mir in diesem Brief etwas Neues sagen, in Betreff der sogenannten Gründe, mein' ich – denn daß sie so viel Gewicht hätten, einen solchen Entschluß zu begründen, ist mir allerdings neu. Erlaube, daß ich mich einen Augenblick besinne, wie ich mir das mit deinem sonst mir so wohlbekannten Wesen reimen soll. Willst du dich nicht auch setzen? Da's nun doch einmal nicht zu vermeiden ist, daß wir die Sache besprechen, möcht' es etwas lange dauern.

Er hatte sich auf den Divan gesetzt, immer den Brief spielend zwischen den Händen. Jetzt legte er ihn behutsam, wie eine gefährliche Waffe, auf den Sitz neben sich und sagte, während sie regungslos stehen blieb:

Du hast also wirklich fortgehen wollen, um nicht wiederzukommen, noch diese Nacht, mit dem Schnellzug um Ein Uhr?

Sie nickte.

Und wohin hast du gehen wollen, wenn für einen Mann, den seine Frau verlassen will, diese Frage nicht unbescheiden ist?

Zu Lotte Pilgram, meiner Jugendfreundin.

In ein Pfarrhaus? Und du hast nicht befürchtet, der Herr Pastor werde dir eine scharfe Predigt über den Text vom verirrten Lamm halten und versuchen, dich zu deinem Hirten zurückzuschicken? Ich erkenne meine kluge Frau gar nicht wieder.

Das wird meine Sache sein, erwiderte sie dumpf.

Gewiß. Du bist mündig, und es fällt mir nicht ein, deinen Willen zu beschränken. Aber auch mein Wille kann verlangen, respectirt zu werden, und ich erkläre dir hiermit ganz ruhig, daß du, so weit meine Macht reicht, nie und nimmer thun wirst, was ich für eine Thorheit halte, die dein Lebensglück unrettbar zerstören würde.

Sie sah ihn furchtlos, fast drohend an.

Mein Lebensglück? Was verstehst du von dem? Lies den Brief, vielleicht wirst du einsehen, daß in dem, was du Thorheit nennst, die einzige Rettung für mich liegt.

Er ließ einen langen, traurigen Blick auf ihr ruhen, vor dem sie nun doch den ihren senkte.

Soll ich dir sagen, was in diesem Brief steht, Lusine? Obgleich ich kein hellseherisches Medium bin, kann ich dir den ganzen Inhalt erzählen, freilich ohne die schönen, zuweilen bitteren Worte, in die du ihn gekleidet haben wirst. Du erklärst mir, daß du mich nicht mehr liebst, dich getäuscht habest in der Hoffnung, mit mir glücklich zu werden, da du auch erkannt habest, ich liebte dich nicht mehr, wenn ich es überhaupt gethan hätte. Nun, Kind, das Erstere bestreite ich dir nicht. Ich bin wirklich nicht liebenswürdig mehr, wenn ich es jemals war, und kann dir's nicht verdenken, daß du das schwer empfindest. Mit dem Andern aber hast du Unrecht: ich habe dich sehr geliebt, als du meine Frau wurdest, und – verzeih diese Erklärung, die im Munde eines Graukopfs etwas geschmacklos klingt: ich liebe dich heut noch ganz so zärtlich, wie vor zehn Jahren, wenn ich auch durch die Sicherheit des Besitzes mich habe verwöhnen lassen und es nicht mehr nöthig gefunden, es dir so zu zeigen, wie du es erwarten und verlangen konntest.

Ja, Kind, denke nicht, daß ich mich von Schuld freisprechen möchte. Ich habe dich vernachlässigt, über die Gebühr, und du hast Recht, dich schwer zu beklagen. Auch will ich nicht auf mildernde Umstände plaidiren – du kennst sie zum Theil selbst, und wenn du sie bei deinem Verdict nicht in Anschlag bringst, sondern kurzweg den Stab über den armen Sünder brichst, so muß er's eben leiden. Auch die Appellation an die oberste Instanz, dein großmüthig verzeihendes Herz, würde ihm nichts helfen, da dies Herz sich eben gegen ihn verhärtet hat. Und so wäre denn die Strafe nicht abzuwenden, daß ich verlieren müßte, was ich mir nicht zu erhalten gewußt. Nur Eines ist noch im Wege: daß sich's nicht um dich allein handelt, um dein Glück, dem ich jedes Opfer bringen möchte, sondern um den Jungen, der uns Beiden angehört und den wir nicht nach einem Salomo-Urtheil in zwei Stücke zerreißen dürfen.

Es ist ja schon über ihn entschieden, sagte sie bitter. Du hast ihn mir genommen. Ich bin eine verwais'te Mutter geworden.

Du hast Recht, erwiderte er, und seine Stirn wurde noch düsterer. Das war nicht nur eine Sünde gegen dich, sondern noch schlimmer, auch gegen das Kind. Ich habe sie auch schon bereut. Noch ehe ich wußte, daß du es zum Aeußersten bringen wolltest, hatte ich beschlossen, es zu ändern. Der Director schrieb mir gerade gestern, der Junge sei in einen Zustand von Trübsinn und körperlicher Erschlaffung verfallen, der nur durch das Heimweh erklärt werden könne, da es ihm sonst an Nichts fehle, die Lehrer ihn lobten und seine Kameraden ihn liebten. Auch habe der Arzt geradezu von Nostalgie gesprochen, und auf sein Befragen, ob er Sehnsucht nach Hause habe, sei der Junge in Thränen ausgebrochen. Ich wollte dich damit überraschen, daß ich ihn zurückkommen ließ. Freilich sagte ich mir, ich würde ihm dann auch einen Theil meiner Zeit widmen müssen. Da aber mein Buch eben fertig geworden, kann ich mich ja auch mit dir zusammen um ihn bekümmern, und sollte wirklich das mütterliche Künstler- oder Poetenblut in ihm übermächtig sein, nun, so wäre ohnehin mit aller Abhärtung nichts dagegen zu machen. Du begreifst nun aber, daß du doch wohl mit der Hedschra nach dem Pfarrhause nicht Ernst machen kannst.

Er stand auf und wandelte langsam im Zimmer umher, die Bilder an den Wänden betrachtend, ohne sie durch einen Blick in ihre Verwirrung hinein zu belästigen. Sie fühlte wohl, daß er großmüthig genug war, seinen Sieg über sie nicht zu mißbrauchen. Aber sie war ihm innerlich zu sehr entfremdet, um den Frieden anzunehmen, durch den sie sich gedemüthigt erschienen wäre.

So sagte sie, all ihren Trotz und Widerstandswillen aufbietend, nachdem sie in beklemmender Stille lange sich gegenübergestanden hatten:

Du weißt doch noch nicht Alles. Ich – liebe einen Andern.

Sie erwartete sich einen heftigen Eindruck von diesen gelassenen, wie für die Ewigkeit ausgesprochenen Worten. Da hörte sie ihn im ruhigsten Ton erwidern:

Auch damit sagst du mir nichts Ueberraschendes. Wenn ich dir nicht liebenswürdig scheine, sollte darum kein Anderer mehr Glück bei dir haben? Ich fände es sehr wundersam, wenn dein Herz, das so reich und zart empfindet, in der kühlen Luft neben einem Manne, der dich vernachlässigt, sich nicht nach einer wärmeren Natur gesehnt und dorthin sich geflüchtet hätte. Auch verlange ich gar nicht die näheren Umstände und den Namen des Bevorzugten zu wissen, das ist deine Angelegenheit. Nur so weit dein eigenes Wohl und das unseres Knaben dabei ins Spiel kommt, mußt du mir erlauben, mich einzumischen. Du bist viel zu verständig, um nicht einzusehen, daß, wie der Dichter sagt, eben nicht alle Blütenträume reifen können. Eine gewisse innere Heilgymnastik ist in solchen Fällen Pflicht. Man muß es dahin zu bringen suchen, daß der Herzmuskel sich abhärtet und die Influenz sich mehr auf die oberen Organe wirft, wo die Phantasie regiert, damit ein solches süßes Gift nicht ins Blut dringt und das Leben zerstört. Ich mache mich durch dieses confuse Gleichniß aus dem medicinischen Gebiet vielleicht lächerlich, aber doch wohl auch verständlich. Oder mußt du mir nicht Recht geben, Kind?

Er war ihr näher getreten, aber sie wich vor ihm zurück und stützte sich auf den Flügel.

Wir verstehen uns nicht, sagte sie lebhaft. Wenn mich nun das, was du eine Krankheit nennst, viel zu glücklich machte, als daß ich wünschen könnte, je davon zu genesen, wenn ich's nicht einmal vermöchte, selbst um die Schmerzen zu stillen, die davon unzertrennlich sind, – könntest du dann noch wünschen, ein Kind in dem Hause aufwachsen zu lassen, wo eine so unheilbare Krankheit sich eingenistet hat?

Ich würde die Heilung von eben diesem Kinde erhoffen, erwiderte er in tiefer Bewegung, denn es ist unmöglich, daß eine Mutter, die nicht an Geist und Gemüth versteinert oder entartet ist, auf die Länge ihr vermeintliches Glück über das ihres Kindes stelle. Du am Wenigsten, was dir auch in dieser Stunde das Urtheil über dich selbst verwirren mag. Ich kenne dich besser, als du dich selbst. Ob ich je dir wieder theuer werden kann, nachdem du dich innerlich von mir geschieden hast, das weiß ich nicht und habe es als Buße für mein langes Verschulden gegen dich hinzunehmen, daß ich dies erwarten muß wie ein Verurtheilter seine Begnadigung. Wenn wir Beide uns allein gegenüberständen, ich gäbe dich vielleicht frei, nachdem die Bedenkzeit, die ich dir gelassen hätte, verstrichen wäre, ohne daß du anderen Sinnes geworden wärst. Nun aber werde ich dich halten, dich beschützen gegen dich selbst, wenn es auch mir keinen Gewinn bringen kann. Vielleicht dankst du es mir noch einmal. Und wenn es nie dahin kommen sollte – ich werde nie bereuen, meine Pflicht gegen dich gethan zu haben. Gute Nacht!

Er wandte sich ab, um ihr seine Augen zu verbergen, die ihm überzufließen drohten, und ging langsam aus dem Zimmer. Sie hörte ihn mit schweren Schritten wie einen Mann, der eine große Last zu tragen hat, die Treppe hinaufgehen. Da brach ihre mühsam behauptete Fassung zusammen, und sie sank laut aufweinend auf das Ruhebett.

*

Um diese Mitternachsstunde stand Lucius, in den leichten Mantel gehüllt, den schwarzen Filzhut tief in die Stirn gedrückt, draußen an der Gartenthür. Die Nacht war sternlos, das hohe Gebüsch warf seinen Schatten über den schmalen Weg, der am Gartenzaun vorbeilief und in das offene Feld hinausführte. Niemand kam um diese Zeit hier vorüber. Doch bei jedem nahen und fernen Laut fuhr der Jüngling zusammen und spähte unruhig umher. Er bemühte sich vergebens zu erkennen, ob vom Hause drüben hinter den verschlungenen Gartenwegen Licht herüberschimmere. Das Haus stand als eine schwere dunkle Masse unheimlich hinter den Bäumen, und alles Leben darin schien in Schlaf versunken.

Den Rest des Tages, seit er jenen Brief erhalten, hatte er in qualvoller Aufregung verbracht. Daß es seine Pflicht sei, jetzt zu sprechen, um sie von dem unseligen Schritt abzuhalten, der ihr Leben zerstören mußte, stand ihm fest. Unablässig wälzte er die Worte in seinem Gehirn, in denen er seine Verirrung gestehen sollte, und sah mit furchtbarer Klarheit, daß alle Sophisterei der Beredtsamkeit nicht im Stande sein würde, den Schlag auf ihr Herz zu mildern. Seine eigene Buße, vor ihr als ein falscher Freund dastehen zu müssen, erschien ihm leicht gegen den tödtlichen Schmerz, den er ihr nicht ersparen durfte. Er konnte aber nicht zurück. So fand er sich in tiefster Verstörung an dem bezeichneten Orte ein.

Regungslos lehnte er an dem Zaun, der den Garten einschloß, und die Minuten schienen ihm bleiern langsam hinzuschleichen, bis ihr leichter Schritt von innen herankommen würde. Als Alles still blieb, seine Uhr, die er alle Augenblicke hervorzog, schon die halbe Stunde nach Mitternacht zeigte, überkam ihn eine dumpfe Ruhe. Er sagte sich, irgend Etwas werde dazwischengekommen sein, daß sie die Ausführung ihres Vorhabens für heut habe aufgeben müssen. Aber wie er sie kannte, durfte er nicht hoffen, daß sie ganz darauf verzichtet habe. Ein Aufschub der Hinrichtung für vierundzwanzig Stunden – nur eine Verschärfung der Strafe für den Verurtheilten! Und doch athmete er auf, und die Hoffnung, es möchte ein gnädiger Zufall ihm das Aeußerste ganz ersparen, besänftigte seine innere Qual für den Augenblick.

Er nahm den Hut ab und trocknete sich die feuchte Stirn. In den Garten einzudringen und zum Hause hinzuschleichen, zu sehen, ob Licht in ihrem Zimmer sei, ob sie vielleicht durch eine plötzliche Erkrankung zurückgehalten werde, durfte er nicht wagen. Auf einmal aber kam ihm der Gedanke, sie habe sich am Ende nur verspätet und sei, um die Fahrt nicht zu versäumen, ohne ihn nach dem Bahnhof geeilt. Es war nur eine kurze Frist, bis der Zug kommen mußte. Das Letzte blieb ihm noch zu thun, auf dem kürzesten Wege ihr nachzustürmen und so vielleicht noch in der letzten Minute den verhängnißvollen Schritt zu vereiteln.

Er rannte quer über die Felder, an den einzeln liegenden schlafenden Gehöften und Villen vorbei, aus denen die Hunde ihm nachbellten; sein Athem flog, und seine Kniee zitterten; der Hut entfiel ihm, ohne daß er sich die Zeit nahm, im Dunkeln nach ihm zu suchen, – da hörte er schon ganz nahe den Zug heranbrausen und kam doch erst auf dem hellen Bahnsteig an, als er sich langsam von Neuem in Bewegung setzte. An einem Fenster aber hatte er eine tief verschleierte Frau sitzen sehen, die sich einen Augenblick wie spähend hinausbeugte. Das ist sie! rief es in ihm, und in lähmender Verzweiflung sank er auf eine der Bänke unter dem hellen Vordach.

Der Inspector trat an ihn heran und fragte theilnehmend, ob er etwa noch habe mitfahren wollen. Der nächste Zug gehe erst am Morgen. Lucius raffte sich auf, stotterte ein paar unverständliche Worte der Erwiderung und schwankte davon, in die Nacht zurück.

Erst eine Stunde später erreichte er seine Wohnung. Sein Kopf war wüst, die Gedanken jagten sich darin in wilder Flucht. Als er am anderen Morgen nach einem dumpfen Halbschlummer aufstand und sich im Spiegel betrachtete, sah er ein Gesicht, das ihm ganz fremd vorkam.

Auch heute noch war er unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber das stumpfsinnige Brüten in seinen engen vier Wänden wurde ihm unerträglich. Er nahm eine alte Reisemütze und ging die Treppe hinab.

Das Berthchen begegnete ihm im Flur und grüßte ihn freundlich. Er erwiderte nur mit einem stummen Nicken ihren guten Morgen und ging ohne sie anzusehen an ihr vorüber. Was war sie ihm jetzt noch? Er begriff kaum, daß ihn dies harmlose Lärvchen jemals im Innersten hatte aufregen können. Immer sah er ein anderes Gesicht vor sich, blaß und gedankenvoll, mit einem schmerzlichen Vorwurf in den schönen, verweinten Augen und doch noch von unauslöschlicher Liebe verklärt.

So trat er tief aufseufzend aus dem Hause. Er hatte kein bestimmtes Ziel, nur sich selbst suchte er zu entfliehen.

Er war aber nur ein paar Straßen weit gegangen, als er um eine Ecke biegend sich der Jucunde gegenübersah.

Sie sind es! sagte er. Guten Morgen! Verzeihen Sie, ich habe Eile.

Sie blieb aber vor ihm stehen und sah ihn scharf an. Wie siehst du nur aus! sagte sie. Wahrhaft zum Fürchten, als wärst du aus dem Grabe gestiegen. Und kennst mich nicht einmal, daß du mich siezest. Nein, so lass ich dich nicht fort. Komm hier in die dunkle Gasse, da begegnet uns kein Mensch, und nun heraus mit der Sprache: was hast du, daß du mich nicht mehr kennen willst und machst ein Gesicht, wie die Noth Gottes? Immer noch die alte verliebte Narrheit? Kannst du denn gar nicht einsehen, daß der gewisse Fabrikantensohn dir einen Gefallen thut, wenn er statt deiner den dummen Streich macht, der für ihn gar nicht so schlimm ausfallen wird, während du ihn dein Leben lang bereuen würdest?

Liebe Jucunde, erwiderte er und hielt ihren Blick nicht aus, verzeih, daß ich vergessen zu haben schien, was für eine gute Freundin ich an dir habe. Aber die beste Freundschaft kann mir nicht helfen. Wenn ich dir Alles sagen könnte, würdest du einsehen, daß es nichts Leichtes ist, was ich durchzumachen habe. Darum gieb mich lieber auf und laß mich zusehen, wie ich allein damit fertig werde.

Die entschlossene kleine Person schüttelte unwillig den Kopf.

Narrenspossen! schalt sie. Wenn man einen guten Freund im Begriff sieht immer tiefer in einen Sumpf zu versinken, wird man ihn auch ruhig fortmachen lassen, statt ihn beim Schlafittchen zu fassen und wieder aufs Trockene zu bringen! Sag aber einmal, Lucius, wie kommt's, daß deine verehrte Frau Professorin, von der du mir ein solches Rühmens gemacht hast, das ruhig mit ansieht? Hat sie denn keine Augen im Kopfe, daß sie nicht bemerkt, wie jämmerlich deine unsinnige Verliebtheit dich zurichtet? Und fragt sie nie nach der Ursache?

Ich habe es ihr nie gesagt, stotterte der Jüngling. Sie hätte es auch nicht ändern können. Ich muß mein Schicksal eben tragen. Laß dir's nicht zu Herzen gehen, Jucunde. Endlich nimmt Alles einmal ein Ende.

Er nickte ihr zu und ging hastig weiter. Sie aber blieb stehen und sah ihm nach.

Mir's nicht zu Herzen gehen lassen! murrte sie vor sich hin. Das ist leicht gesagt. Aber wie fängt man's an, wenn man doch einmal ein Herz hat und hat's an so einen schlimmen, lieben, unsinnigen Menschen gehängt? Nein, das darf nicht so fortgehen.

Einen Augenblick stand sie noch und sann. Dann rückte sie ihr Hütchen, das immer ein wenig lose auf dem schlecht frisirten Haare saß, ordentlich zurecht, strich die Falten ihres Tuches glatt und schlug den Weg nach dem Hause der Frau Professorin ein.

*

Die gnädige Frau sei nicht ganz wohl und empfange Niemand, sagte die Lisette, als das unbekannte Mädchen, in dem sie nach dem nachlässigen Anzüge eine Bittstellerin vermuthete, nach der Frau Professorin fragte.

Sagen Sie nur, ich käme in Angelegenheiten eines Herrn Studiosus Lucius, der eigentlich Ludolf heißt, und es wäre sehr dringend. Mein Name thut nichts zur Sache. Aber wenn die gnädige Frau ihn wissen will, ich heiße Jucunde Born. Vielleicht hat der Herr Lucius schon von mir zu der gnädigen Frau gesprochen.

Die gnädige Frau lasse bitten, lautete der Bescheid, den das Mädchen gleich darauf hinausbrachte. Aber bleiben Sie nicht zu lange. Die Frau Professorin ist wirklich sehr schwach, und ich hätte schon den Doctor geholt, wenn sie mir's nicht so streng verboten hätte.

Als Jucunde eintrat, hatte sich die Frau eben von dem Divan erhoben, auf dem sie die ersten Stunden dieses Tages mit geschlossenen Augen, doch in fieberhafter Unrast zugebracht hatte.

Was führt Sie zu mir? sagte sie mit leiser Stimme, indem sie die fremde wunderliche Erscheinung mit mühsam verhehlter Aufregung betrachtete.

Verzeihen Sie, gnädige Frau, sagte das Mädchen hastig, daß ich Sie überfalle, da Sie Ruhe brauchen. Aber ich weiß mir nicht anders zu helfen, und Sie können vielleicht, da Sie, wie er mir erzählt hat, so großen Einfluß auf ihn haben und er Ihnen so viel Dank schuldig ist –

Sie kommen – im Auftrage des Herrn Ludolf?

Nein, er ahnt nicht, daß ich mir diese Freiheit genommen habe. Er wäre vielleicht sehr böse auf mich, wenn er's wüßte, aber kranke Menschen fragt man nicht um Erlaubniß, ob man ihnen helfen soll; sie haben keinen freien Willen, und der Herr Lucius ist sehr krank; ich bin erschrocken, als ich ihm heut Morgen begegnete, und da dacht' ich, Sie wüßten vielleicht Rath, da mein guter Wille nichts auszurichten vermag.

Wer sind Sie? Wie kommen Sie dazu, solchen Antheil –

O gnädige Frau, denken Sie nichts Unrechtes. Ich bin nur seine gute Freundin – hat er Ihnen nie von der Jucunde erzählt? Nun, da sehen Sie, für ihn ist überhaupt nur Ein weibliches Wesen auf der Welt, von dem er träumt und spricht und an das er wohl auch Verse macht. Ich würd' ihr das ja auch gönnen – ohne Neid, daß heißt, nicht ganz, da mir's manchmal sauer wird, mir immer vorzuhalten, daß ich rein verrückt sein müßte, wenn ich mir einbildete, ein Mensch mit gesunden Sinnen könne mehr für mich fühlen, als das bischen lauwarme Freundschaft, das ja auch der Herr Lucius für mich zu fühlen vorgiebt – wenn's nicht bloßes Mitleiden ist. Aber wenn man nicht geliebt wird, darum kann man Andere doch lieb haben, zumal wenn's ein so lieber, herrlicher Mensch ist, wie der Herr Lucius. Und darum – wahrhaftig ganz ohne dumme Eifersucht – ist mir's nahe gegangen, als ich sehen mußte, daß er sich so wegwirft an einen Gegenstand, für den er tausendmal zu gut ist, und sich das junge Leben verdirbt mit ganz hoffnungsloser Sehnsucht und Liebesgram.

Die Frau hatte sich auf den Divan niedergelassen, ihr bleiches Gesicht glühte, sie starrte das junge Mädchen mit weit offenen Augen an. Was – was meinen Sie? Wie kommen Sie dazu – wie können Sie wagen –?

O gnädige Frau, fuhr die Eifrige geschwinde fort, denken Sie von mir so schlecht Sie wollen, ich thue doch nur, was ich für recht halte, wenn ich meinem guten Freund diese Narrheit auszureden suche und jetzt auch zu Ihnen komme, damit auch Sie Ihr Heil bei ihm versuchen.

Schon an dem Festabend im Waldwinkel, als ich sah, daß es ihm so heiliger Ernst mit dieser Liebe war, habe ich frei von der Leber weg zu ihm gesprochen. Sie kennen das Berthchen ja nicht näher. Vielleicht werden Sie es auch begreiflich finden, daß sich ein junger Mensch in so ein paar Augen, und was sonst drum und dran ist, vergafft. Aber ich versichere Sie, es ist sonst nicht viel dahinter, und wenn wir nicht so halb und halb Cousinen wären, würde ich mir den Umgang mit ihr auch nicht ausgesucht haben. Nun, ich soll sie ja nicht heirathen. Der Herr Lucius aber war an jenem Abend drauf und dran, ihr Herz und Hand anzutragen, so vernarrt war er durch ihre Triumphe beim Tanz geworden, und als ich ihm sagte, sie sei schon so gut wie verlobt, mit einem ziemlich einfältigen Menschen, zu dem sie aber weit besser passe, da dankte mir freilich der thörichte Mensch für meinen Freundschaftsdienst. Aber obwohl ich ihm den Staar gestochen, seine Augen sind noch ganz so verblendet wie vorher. Er weiß, daß es hoffnungslos ist, in jeder Hinsicht, daß, auch wenn sie frei wäre, sie niemals Etwas für ihn fühlen könnte, wie so ein Dichter und Künstler und vornehmer Mensch es fürs Leben braucht – und doch verzehrt er sich nach ihr und sieht so herzbrechend aus, daß ich mir endlich gesagt habe, man müsse mit Gewalt einschreiten, und Sie, gnädige Frau, müßten es thun. Sie glauben nicht, wie er Sie verehrt, Ihre Worte sind ihm ein Evangelium; ich habe nicht verstanden, wie er, da er Sie doch kennt, sich für ein so unbedeutendes Wesen interessiren konnte. Aber die Männer sind nun einmal wunderliche Leute. Sie nennen sich die Herren der Schöpfung und lassen sich von einem hübschen Gänschen den Fuß auf den Nacken setzen.

Sie hatte in ihrer sittlichen Entrüstung diese Worte so hitzig hervorgesprudelt, daß sie nicht wahrnahm, welchen Eindruck sie auf die stille Frau ihr gegenüber machten. Nun sah sie wohl die Todesblässe, die das feine, geistige Gesicht wie eine tragische Maske erscheinen ließ; aber sie hatte ja gehört, die gnädige Frau sei unwohl, und zudem wußte sie, daß sie dem jungen Menschen so viel Freundschaft bewiesen hatte, da mußte diese Enthüllung ihr freilich nahegehen.

Erst nach einer langen Zeit kam eine kaum vernehmbare Antwort zurück:

Und was – wollen Sie – daß ich dabei thun soll?

Ihn retten, gnädige Frau. Wenn Sie ihm sagen, daß sich's um sein Leben handelt, daß er sich's schuldig sei, diese hoffnungslosen Gefühle, für die er sie ja selbst erkennt, sich aus dem Herzen zu reißen, so wird er in sich gehen, sich vor Ihnen schämen – vor mir hat er zu wenig Respect – und das Beste wäre, er ginge lieber heut als morgen von hier fort. O gnädige Frau, wenn Sie ihn gesehen hätten – wie ein Marterbild am Kreuz – ich fürchte sogar, er muß es an seiner Gesundheit büßen, wenn er länger unter Einem Dach mit diesem Bild ohne Gnade lebt. Sagen Sie ihm, daß Sie ihm Ihre Freundschaft entziehen würden, wenn er eigensinnig bliebe, das macht noch allein Eindruck auf ihn. Ich habe ihn so warm von dem Geist und Charakter und der Güte seiner mütterlichen Freundin reden hören!

Wieder wurde eine tiefe Stille zwischen den Beiden. Dann erhob sich die Frau, mit sichtbarer Mühe. Nein, ich bedarf keiner Hülfe, sagte sie, mit bitterem Lächeln das Mädchen abwehrend, das sie unterstützen wollte. Ich danke Ihnen, liebes Kind, Sie haben – auch mir einen großen Dienst geleistet, ich – war nur bisher – ganz unwissend. Aber nun wird mir Alles Alles klar.

Sie wankte mit unsicheren Schritten nach dem Erker hin und sank auf den Sessel vorm Schreibtisch; da mußte sie doch eine Weile den Sturm ihrer Gedanken vertoben lassen, bis sie ein Blatt aus der Mappe nehmen und eine Feder eintauchen konnte.

Das erste aber zerriß sie wieder. Mein Kopf ist so schwach, flüsterte sie und lächelte seltsam. Es braucht nicht mehr Viel, so verwirrt sich mein Verstand. Verzeihen Sie, daß ich Sie so lange aufhalte. Doch – ein paar Zeilen genügen. Er wird es schon verstehen – und das Uebrige können Sie ihm sagen.

Dann nahm sie plötzlich alle Willenskraft zusammen und warf das Folgende ohne zu stocken aufs Papier:

»Ich reise in einer Stunde zu meinem Sohn. Ich muß darauf verzichten, mündlich von Ihnen Abschied zu nehmen. Die Ueberbringerin dieser Zeilen wird Ihnen mittheilen, worüber sie mit mir gesprochen hat. Danach werden Sie begreifen, daß es besser ist, Sie verlassen ohne Aufschub diese Stadt und kehren nicht wieder zurück. Sich von hoffnungslosen Illusionen loszureißen, thut freilich weh, aber schmerzlicher rächt sich Täuschung und Selbstbetrug. Möge Ihre Kunst Sie glücklich machen. Leben Sie wohl für immer!

»Das Buch, das Sie noch von mir in Händen haben, bitte ich mir zurückzusenden.

M.«

 

Sie schob das Blatt in einen Umschlag, ohne ihn zu schließen. Geben Sie ihm das, liebes Fräulein, sagte sie, und entschuldigen Sie mich, wenn ich sitzen bleibe. Sogar die wenigen Zeilen haben mich angegriffen. Aber ich verreise heute, die Luftveränderung wird mich kräftigen. Adieu. Und haben Sie Dank. Ich hoffe, Ihnen später noch wieder zu begegnen, wenn dies Alles hinter uns liegt.

*

Als das Mädchen gegangen war und sie sich wieder allein sah, blieb sie noch eine Stunde unbeweglich auf dem Sessel vor dem Schreibtisch sitzen und sah in den öden, herbstfahlen Garten hinaus. Keine Thräne lös'te die Starrheit ihres Gemüths, nur zuweilen zuckte ihr blasser Mund wie von einem leiblichen Schmerz, der der Seele aber nicht zum Bewußtsein kam.

Lisette wagte sich endlich herein, da die Stille ihr unheimlich wurde. Da stand die unglückliche Frau mühsam auf und ging, ohne auf das Mädchen zu achten, an ihr vorüber, in den Flur hinaus und die Treppe hinauf, auf jeder dritten Stufe still haltend, da die Kraft sie zu verlassen drohte. Oben angelangt, wandte sie sich nach dem Arbeitszimmer ihres Mannes, pochte leise an und trat dann hastig über die Schwelle.

Sie hatte ihn heut in der Frühe nur einen Augenblick gesehen, als er den Kopf in die Thür gesteckt und mit ernster Freundlichkeit gefragt hatte, wie es ihr gehe. Gut! hatte sie geantwortet, und dann hatte er genickt und war gegangen, in sein Zimmer hinauf, wo sie ihn längst wieder bei der Arbeit glaubte.

Er saß aber nicht an seinem mit Büchern überhäuften Schreibtisch, sondern zurückgelehnt auf dem Sopha, eine Cigarre in der Hand, deren Feuer erloschen war. Die Augen hatte er eingedrückt; es war nicht zu unterscheiden, ob er in Betrachtung versunken gewesen war oder geschlummert hatte. Nun wandte sich sein Blick mit dem Ausdruck leidvoller Resignation der eintretenden Frau entgegen.

Verzeih, daß ich dich störe, sagte sie und blieb nahe bei der Schwelle stehen. Ich hätte dich aber um Etwas zu bitten.

Du störst mich gar nicht, erwiderte er. Ich habe nicht zum Besten geschlafen und fühle mich zur Arbeit nicht recht aufgelegt. Was wünschest du?

Du hast mir gesagt, du seiest entschlossen, Walter zurückkommen zu lassen. Wenn du nichts dagegen hättest, möchte ich selbst hinreisen und ihn holen.

Du selbst? Fühlst du dich kräftig genug zur Reise? Um so besser. Nur wünschte ich, daß du eine Begleitung hättest. Lisette könnte mitfahren. Oder wenn es dir nicht unlieb wäre, da doch allerlei mit dem Director zu besprechen sein wird, – wir haben ja Ferien – auf ein paar Tage könnte ich von der Arbeit wohl abkommen, und ein Ausspannen thäte mir gut. Indessen, es war nur eine Idee. Bestimme ganz nach deinem Belieben.

Ich dachte auch daran – wagte aber nicht, dich darum zu bitten. Aber – es ist noch Eins dabei – ich möchte am liebsten gleich mit dem Mittagszuge fort, und du wirst so rasch –

O, sagte er und stand auf, an mir soll's nicht liegen. Mein Bündel ist bald geschnürt, und es geht ja auch nicht auf eine Reise um die Welt. Das einzige dringende Geschäft ist abgethan –

Er deutete auf einen geschlossenen Brief, der auf dem Schreibtisch lag.

Sie sah ihn fragend an.

Ich weiß, daß ich in deinem Sinne gehandelt habe. Es betrifft deinen Schützling, den du der Juristerei vollends abtrünnig gemacht und den Musen in die Arme geführt hast. Ob es zu seinem Heile sein wird, kann ich freilich nicht beurtheilen, dafür überlasse ich dir die Verantwortung. Da aber auch die Wissenschaft den ganzen Mann fordert und ein verdorbener Studiosus juris eine traurige Figur macht, hab' ich an seinen Vater geschrieben und ihm zugeredet, seinen Sohn, dem ich sonst das beste Zeugniß geben könne, von hier wegzunehmen und ihm das Abspringen von seinem widerwillig begonnenen Studium nicht zu verübeln. Meine Frau habe ein großes Talent in ihm entdeckt, es sei doch wohl der Mühe werth, Ernst damit zu machen. Ich denke, der Alte, der so viel auf mein Urtheil giebt, wird sich fügen, und du bist jedenfalls damit einverstanden.

Gewiß! sagte sie leise und nickte still vor sich hin.

Nun, dann wäre ja auch das in Ordnung. Wenn du es ihm selbst ankündigen und Abschied von ihm nehmen willst – denn wahrscheinlich ist er abgereis't, wenn wir zurückkehren, – du hättest noch zwei Stunden Zeit, bis wir zur Bahn müssen –

Ich habe ihm schriftlich Lebewohl gesagt, erwiderte sie, ihre Bewegung mühsam bezwingend. Er würde ohnedies abgereis't sein. Er hatte eine hoffnungslose Neigung zu einem Mädchen in der Stadt, das schon verlobt war. Das habe ich eben erst erfahren und es ihm zur Pflicht gemacht, fortzugehen.

Sie standen einander eine Weile stumm gegenüber. Er schien eine Frage zu unterdrücken, die ihm auf der Zunge schwebte.

Plötzlich trat sie ihm einen Schritt näher und sagte mit zitternder Stimme:

Du hast gestern geäußert, daß vielleicht eine Zeit kommen würde, wo ich einsähe, daß ich dir Dank schuldig geworden sei. Die Zeit ist jetzt schon gekommen. Ich bitte nicht, daß du mir vergeben sollst – du kannst es noch nicht – nur glaube, daß ich tief, tief fühle – wie gütig und großmüthig und edel –

Still! machte er. Wenn wir abrechnen wollten, fragt sich's sehr, wessen Conto am meisten belastet ist. Dergleichen muß man der Zeit überlassen. Ich bin kein junger Mensch mehr, aber ich denke, noch nicht zu alt, um noch Manches zu lernen. Du sollst mir dabei helfen, Lusine, und mir mein tägliches Pensum überhören. Willst du das?

Die Augen gingen ihm über, sie streckte ihm wortlos die Hand entgegen. Als er sich aber darauf niederbeugte, um in seiner alten ritterlichen Gewohnheit die Lippen darauf zu drücken, faßte sie rasch mit einer demüthigen Geberde seine Hand, drückte sie gegen die nassen Augen und hauchte einen Kuß darauf. Er hob den Arm, sie zu umfangen und an sich zu ziehen, aber mit einem flehenden Kopfschütteln entzog sie sich ihm und eilte bebend aus dem Zimmer.

*

Eine Woche darauf saß die Frau am Nachmittag an dem Tischchen im Erker. Sie hatte die Vorhänge herabgelassen, und die Lampe warf ihren Schein auf das kleine Buch mit ihren Gedichten, das sie bei der Rückkehr von der kurzen Reise in versiegeltem Umschlag vorgefunden hatte. Fräulein Jucunde, berichtete Lisette, habe das Packet im Auftrag des Herrn Lucius abgegeben und seine Abschiedsgrüße hinzugefügt, da er einen Tag nach den Herrschaften abgereis't sei.

Sobald sie allein war, hatte sie den Umschlag abgerissen und das Büchlein durchblättert, ob nicht ein Blatt hineingelegt sei. Auf einer der letzten Seiten hatte sie die folgenden Strophen gefunden:

So soll ich scheiden ohne Wort und Blick,
Dein Auge will den Schuld'gen nicht beschämen!
Und doch, so schwer zu tragen dies Geschick,
Die harte Buße muß ich auf mich nehmen.

Nur bitt' ich, ob ich's auch nicht würdig bin,
Laß so dein Herz für den Verbannten sprechen:
Ein Irrsal war's, verdunkelnd Herz und Sinn,
Und wahr zu sein, erschien ihm als Verbrechen.

Doch so viel Milde – wie verdient' ich sie?
War ich der Liebe werth, die ich besessen?
Vergiß mich ganz! Ich aber werde nie,
Was du mir warst und ewig bleibst, vergessen!

Worte – Worte – Worte! hatte sie damals gesagt und das Buch mit einem bitteren Seufzer in dem untersten Fach des Schreibtisches verschlossen. Jetzt hatte sie es zum ersten Mal wieder hervorgezogen und, die Verse wieder lesend, lange vor sich hin gesonnen. Dann ergriff sie die Feder und schrieb in raschen Zügen auf die gegenüberstehende Seite:

Das Band das ist zerschnitten,
Mein Herz brach in der Mitten,
Mein Sinn ist wie zerstückt.

Der Stätte, da ich stehe,
Den Menschen, die ich sehe,
Bin ich nun weit, wie weit entrückt.

Was lieblich hat begonnen,
Wie traurig ist's zerronnen,
Noch eh' ich's recht bedacht.
Die Augen, die mich grüßten,
Die Lippen, die mich küßten,
Sind fremd geworden über Nacht. –

Ach, hättst du nicht dein Leben
Verschwendend hingegeben
Dem falschen Traum von Glück!
Es floh dir von der Seite,
Du starrst ihm nach ins Weite,
Und nimmer, nimmer kehrt's zurück.

Und doch, ich kann's nicht lassen,
Und doch, ich kann nicht hassen,
Was ich so heiß geliebt!
Ich send' auf seinen Wegen
Ihm nach den wärmsten Segen,
Den sterbend man den Treusten giebt.

Die Thür öffnete sich, ohne daß sie es hörte. Ein schöner, blonder, neunjähriger Knabe trat leise herein und näherte sich schüchtern der schreibenden Frau. Sie wandte jetzt den Kopf nach ihm um, schloß das Buch und lächelte ihn an. Nur ein Hauch von Schwermuth blieb auf ihren Lippen.

Darf ich kommen, Mama? fragte der Knabe. Papa hat gemeint, es sei dein Freitag, da dürfe ich dich nicht stören. Aber ich möchte dir so gern von meinem ersten Schultag erzählen.

Du darfst immer zu mir kommen, erwiderte sie, ihn auf die Stirn küssend. Ich habe keinen Tag, der nicht auch dir gehörte. Bist du fleißig gewesen?

Der Knabe nickte, antwortete aber nicht sogleich und sagte erst nach einer Weile: Es ist so hübsch bei dir. Danach habe ich mich immer gesehnt, als ich aus dem Hause war. Wenn ich nur manchmal, wie früher so oft, auf dem Tabouret dort hätte sitzen können und du mir etwas vorgespielt hättest. Willst du mir jetzt nichts spielen?

Sie schüttelte langsam den Kopf. Ich kann nicht, mein Liebling. Es macht mich zu traurig. Weißt du nicht, daß ich sehr krank war? Es ist nun vorbei, aber es kommt wieder, wenn ich Musik höre. Komm, bringe mir deine Schulhefte. Wir wollen deine Aufgaben mit einander machen. Wenn der Papa zum Thee herunterkommt, soll er mit uns zufrieden sein.

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