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(1893.)
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Wir hatten uns schon allzu lange vom Zauber des neapolitanischen Frühlings fesseln lassen. Nun aber mußte endlich geschieden sein, wenn wir die Freunde in Rom noch antreffen wollten. Doch die Fahrt nach Norden anzutreten, ohne unser geliebtes Capri wenigstens im Fluge wieder zu begrüßen, konnten wir nicht übers Herz bringen.
Die goldenste Sonne leuchtete über jenem Pfingstsamstagmorgen, als wir am Quai von Santa Lucia den kleinen Dampfer bestiegen, der uns nach dem »schroffen Gestade des felsenumgürteten Eilands« hinübertragen sollte. Uns war, als hätten wir nie zuvor die Luft, die um diese gesegneten Küsten spielt, in festlicherem Glanz erzittern, die kleinen Städte längs der Bucht bis nach Sorrent hinüber aus dem bleichen Grün der Oliven- und Orangengärten nie so blank und feiertäglich hervorschimmern sehen. Und nun gar unsere Insel in ihrem veilchenfarbenen Duft – è una magia! sagte selbst der Kapitän des Schiffes, der dies Schauspiel doch zum wie viel hundertsten Male vor Augen hatte.
Auch litt es die Passagiere des ersten Platzes nicht lange auf den Bänken unter dem großen Leinwanddache. Einer nach dem andern zog sich nach dem Vorderdeck, und selbst der alte Schotte mit den zwei rothblonden Töchtern, den wir sonst an den schönsten Punkten standhaft in sein Reisehandbuch vertieft gesehen hatten, klappte das Buch zu und suchte sich vorn am Bord einen freien Aussichtswinkel, um einmal ohne die Bevormundung seines Murray die Wunder des Himmels und der Erde zu genießen.
Ich stand eben auf, diesen löblichen Beispielen zu folgen, als meine Frau mich auf ein seltsames Paar aufmerksam machte, eine alte Dame und einen jungen Mann, die von Allem, was um sie herum vorging, nicht die geringste Notiz nahmen, sondern viel zu sehr in ihre eigenen Angelegenheiten vertieft waren, um die Herrlichkeit rings umher nur eines Blicks zu würdigen.
Die dicke kleine Dame saß in sich zusammengebückt, das Kinn auf die Brust gesenkt, rings von einem faltigen altmodischen Seidenmantel eingehüllt, auf dem Schooß eine kleine Reisetasche, so unbeweglich, daß man sie für schlafend halten konnte, wenn sie nicht von Zeit zu Zeit durch ein leises Seufzen und Stöhnen zu erkennen gegeben hätte, sie sei noch wach und höre ganz gut, was ihr junger Begleiter mit halblautem, bekümmertem Ton in sie hineinsprach. Der große schwarze Strohhut, den sie schief auf dem grauen Scheitel trug, ließ nur wenig von dem breiten alten Gesicht erkennen, das sich so scheu und verdrießlich gegen den Sonnenschein wehrte, wie ein Käuzchen, das sich in den hellen Tag verirrt hat. Der junge Mann an ihrer Seite war auffallend hübsch, ein feines, frisches Gesicht von braunem Haar umflogen, unter einem schwarzen Künstlerhütchen, die schlanke Figur mit einem nagelneuen flotten Sommeranzug bekleidet. Auf den ersten Blick nahm es für ihn ein, mit wie treuherziger Sorge er sich um die alte Frau bemühte, auf die seine eindringlichen Vorstellungen nicht den mindesten Eindruck zu machen schienen.
Wir wollten eben an ihnen vorbei und sie ihrem Schicksal überlassen, als das dicke »Häuschen Unglück« zufällig sich aufrichtete, mit einem raschen Blick uns musterte und eine Bewegung machte, wie bei unverhoffter Begegnung mit guten Bekannten. Auch mir war's, als wären wir uns nicht ganz fremd. Meine Frau flüsterte mir einen Namen zu, der mir heimatlich klang, und näherte sich dann der alten Dame, die in einiger Verwirrung sich erhob, sie zu begrüßen. Wir kennen uns zwar nur vom Sehen, sagte meine Frau, aber da wir Landsleute sind und uns hier in der Fremde treffen, erlauben Sie mir wohl die Frage, ob ich Ihnen in irgend etwas hülfreich sein kann. Sie scheinen leidend zu sein. Wenn Ihnen vielleicht mit etwas Eau de Cologne gedient wäre. –
Sie sind sehr gütig, gnädige Frau, sagte die alte Dame, aber was mir das Herz abdrückt, ist mit keinen stärkenden Tropfen zu curiren. Wenn Sie wissen wollen, warum mir so schlecht zu Muthe ist – da, fragen Sie Den da, der ist Schuld daran, daß seine Mutter auf ihre alten Tage noch einmal einen so großen Kummer hat. Aber es ist ein wahres Wort, von den eigenen Kindern hat man am meisten zu leiden: wenn sie klein sind, treten sie einem auf den Leib und hernach aufs Herz. Ich hab' die Ehr', Ihnen meinen einzigen Sohn vorzustellen, Kunstmaler seines Zeichens. Du kennst die Herrschaften, Leopold. Bedaure nur, daß wir unter so traurigen Umständen –
Aber, Mama –! bat der junge Mensch, der über und über roth geworden war.
Warum soll ich's nicht sagen, Poldl? fuhr die Mutter fort, die inzwischen wieder heftig geseufzt hatte. Du willst's ja doch in ein paar Tagen bekannt machen und mußt dir dann gefallen lassen, was die Leut' dazu sagen. Sie müssen nämlich wissen, gnädige Frau, wir fahren eben auf die Brautschau. Wenn mein guter Mann selig noch lebte, der thät's nimmermehr zugeben, aber eine arme einsame Wittwe – und männliche Verwandte, die der Bub' respectiren müßt', hab' ich nicht, mündig ist er ja auch, schon Dreiundzwanzig – und hat die Stirn, stellen's Ihnen vor, seiner Mutter zu schreiben: Wenn du deine Einwilligung nicht giebst, Mutterl, daß ich die Angiolina heiraten darf, schieß' ich mir eine Kugel vor den Kopf. Und hitzig, wie er ist – ja das bist du, Poldl, wenn du auch sonst immer ein guter Sohn gewesen bist, und daß er das väterliche Geschäft nicht hat übernehmen wollen, sondern mit Gewalt Maler werden – mein Mann hat nämlich, wie Sie vielleicht wissen, eine größere Brauerei gehabt, die hab' ich dann verkauft – no, 's giebt so viel Maler in München, da ist's kein Wunder, wenn ein junger Mensch sich verführen läßt – das lustige Leben – und das Herumstreichen – und die Modelle und Alles – kurz, ich hab's ihm nicht verwehren können, und er hat ja auch Talent, sagt der Herr in den »Neuesten Nachrichten«, wie er sein erstes Bild auf dem Kunstverein ausgestellt hatte. Aber kann er nicht, wie so viele Andere, ruhig in München seine Bilder malen und endlich ein braves Mädel heiraten, nicht so Eine – so Eine –
Das Wort versagte ihr. Sie sah, wie ihr lieber Sohn ein finsteres Gesicht machte und im Begriff stand, sich jede anzügliche Bezeichnung seiner Erkorenen zu verbitten.
No ja, Poldl, ich sag' ja nichts, lenkte die Alte ein. Die Angiolina mag meinetwegen ein rechter Ausbund von Schönheit und Tugend sein, und daß sie keinen rothen Heller mitbringt, will ich auch nicht anschau'n. Ich hab's ja dazu, Gottseidank, daß du nicht aufs Geld zu schauen brauchst. Aber so eine Wildfremde, die kein Wort deutsch kann, nichts versteht vom Haushalten, immer in der Sonne liegen will und allenfalls tanzen oder singen, und sie sollen, mit Achtung zu sagen, so grauslich viel Ungeziefer an sich haben, die welschen Frauenzimmer –
Wie oft soll ich dir sagen, Mama, unterbrach sie der Sohn, daß du dir das ganz falsch vorstellst. Ich selbst, fuhr er zu uns gewendet fort, bin mit Schuld daran, daß die Mama nun glaubt, alle Italienerinnen klapperten den ganzen Tag mit Castagnetten und tanzten Tarantella. Das erste Bild, das ich verkauft habe, stellte eine solche Scene vor. Aber wenn du meine Angiolina erst kennen wirst, Mama –
Ein schönes Kennenlernen, Poldl! Was sollen wir Zwei denn mit einander schwätzen? Ihr hübsches Gesichtl hab' ich ja schon gesehen in deinem Skizzenbuch, und nach ihrer Familie verlangt's mich gar nicht. Du sagst ja selbst, mit der würden wir keine Ehr' aufheben, wenn die uns einmal in München besuchen thät'. O, und unsere Familie – Sie wissen ja selbst, gnädige Frau, wie mein Mann respectirt worden ist, und mein Vater selig ist Hoffourier gewesen, und Se. königliche Hoheit Prinz Leopold hat Pathenstelle bei meinem Sohn vertreten. Die besten Partieen hätt' er machen können, und nun bringt er mir so eine halbe Zigeunerin ins Haus, und seine alte Mutter muß der Braut noch entgegenreisen, wo ich ohnedies das Eisenbahnfahren nicht vertragen kann, und auf dem Wasser vollends wird mir jedesmal steinübel.
Das Meer ist ja spiegelglatt, Mama. Nur noch zwei Stunden, und du hast's überstanden. Und wenn du dann sehen wirst, wie bildsauber deine künftige Schwiegertochter ist, und was für eine Freud' sie haben wird, daß du kommst –
Ich denk', sie wird höchstens eine Freud' haben über dein Brautgeschenk. Sie hat sich's nämlich selbst gewunschen, fuhr die Alte fort, indem sie das Reisetäschchen öffnete und ein Etui herausnahm. Da sehen Sie, ist es nicht schön, das Armbracelet? So eins mit Rubinen hat sie haben wollen, o, die Italienerinnen – auf Schmuck sind sie versessen, wie die Elstern – und mein Poldl – natürlich, gleich im theuersten Laden in Rom hat er ihr's gekauft. Es ist mir ja nicht ums Geld, das können Sie mir glauben, aber für so Eine – so Eine –
Der Sohn schüttelte heftig den Kopf, und während meine Frau sich zu der trauernden Mutter setzte, ihr Trost zuzusprechen, ging er mit mir in lebhafter Erregung auf und ab.
Sie können glauben, sagte er, sie ist die beste Frau von der Welt, die Mama, nur so vom alten Schlag und aus unserm München nie weiter hinausgekommen, als ein einziges Mal bis an den Achensee. Wie ich ihr nun geschrieben habe, sie möcht' zu mir nach Rom kommen – so weit war ich ihr entgegengereis't – und dann wollt' ich sie nach Capri bringen, daß sie sich ihre Schwiegertochter erst einmal anschaute, ehe sie ihren Segen gäbe – da ist sie ganz aus dem Häuschen gewesen über Alles zusammen – die weite Reise und daß ich mich plötzlich verlobt hatte und – »mit so Einer« – (er versuchte, über dies Citat zu lachen, es gelang aber nicht zum besten). Wissen Sie, ich glaube, sie hatte mir schon eine andere Braut ausgesucht, so irgend einen Goldfisch aus ihrer Freundschaft oder Gevatterschaft. Aber ich folge nur meinem Herzen, mit meiner Kunst wär's vorbei, wenn ich mich so philisterhaft verheirathen ließ'. Sie werden das begreifen, und schließlich, da es der Mama doch nur darauf ankommt, daß ich glücklich werde –
Und davon sind Sie vollkommen überzeugt?
O, was das betrifft – er warf einen schwärmerischen Blick über das blaue Meer nach der Sireneninsel, deren Silhouette in ihrer unvergeßlich schönen Linie sich gegen den krystallklaren Himmel abhob – nun, Sie werden sie ja selbst sehen und können auch mit ihr sprechen, was die gute Mama leider nicht kann. Zwei Monate hab' ich Zeit gehabt, sie kennen zu lernen – o, glauben Sie nicht, daß ich so leichtsinnig war, bloß meinen Augen zu trauen, die allerdings so was Schönes in Fleisch und Bein noch nicht gesehen hatten. Nein, ich habe täglich Gelegenheit gesucht, lange Gespräche mit ihr zu führen. Hinterm Haus ihrer Eltern liegt ein Garten, an dem führt ein Gäßchen vorbei, da haben wir über die Mauer hinweg miteinander geplaudert, wochenlang; Sie sehen, es ging verwünscht ehrbar dabei zu; nur einen einzigen Kuß hat sie mir erlaubt, als wir uns verlobten; denn von einer Liebschaft, wie etwa bei uns im Gebirg, mit Fensterln und Busserln ist ja hier unten in Italien nicht die Rede. Sie trauen eben ihrem eigenen heißen Blut nicht und fürchten, wenn sie erst den kleinen Finger hingäben, könnten sie überhaupt nichts mehr zurückbehalten. Aber wenn ich auch sonst leer ausging, von ihrem Charakter und Gemüth habe ich in unseren langen Unterhaltungen mich desto gründlicher überzeugen können.
Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, da er dies so treuherzig versicherte, als wäre er ein tiefer Menschenkenner und hätte der kleinen Capreserin im Beichtstuhl ihre geheimsten Gedanken abgehört.
Charakter? sagt' ich. Daran mag es ihr wie all ihren Landsmänninnen nicht fehlen, wenn man ein Mädchen charaktervoll nennt, das weiß, was es will, und fest aufs Ziel lossteuert. Von Gemüth aber hör' ich bei einer Capreserin zum ersten Mal, und Ihre Angiolina muß in der That eine Perle sein, wenn sie von dieser Gottesgabe auch nur ein bescheidenes Pflichttheil erhalten hat.
Er wurde wieder roth, doch mehr aus Unwillen über meinen kränkenden Zweifel, als aus Verlegenheit.
Ich weiß, daß man ein Vorurtheil hat gegen die Mädchen hier im Süden und zumal auf der Insel, sagte er zwischen den Zähnen. Weil sie was auf sich halten und nicht gleich Jedem um den Hals fallen, der einen Roman mit ihnen spielen möchte, darum hat man sie verschrieen als kalte, fischblütige Geschöpfe, die nur auf eine vortheilhafte Heirath speculirten. Nun, dann hätte meine Angiolina mich nicht zwei Monate hinzuhalten brauchen, eh' sie mir ihr Jawort gab, denn ich sagte ihr von Anfang an, daß ich ehrliche Absichten hätte. Aber sie wollte erst erproben, ob wir wirklich zusammenpaßten, denn es war ihr bange, sie möchte droben in unserm Deutschland erfrieren, und wenn dann die Herzen nicht einmal sich warm hielten – nein, sie hat wirklich enorm viel Gemüth, und dabei ist sie ein so reines Stück Natur, ganz unverbildet. – Sie lächeln? Sie meinen, das sei kein besonderer Vorzug, unverbildet zu sein, wenn man ungebildet sei? – nun, mich wenigstens würde sie nicht glücklicher machen, wenn sie auch das Geburtsjahr Karls des Großen wüßte und daß München nicht die Hauptstadt der Türkei ist. O, wenn sie einen so ansieht mit diesen glänzenden Kinderaugen – aber warten Sie, ich will Ihnen das Bild zeigen, das ich am Tage unserer Verlobung von ihr gemacht habe. Gerade drei Wochen ist's her. Am andern Tag reis'te ich ab, um mit der Mama zusammenzutreffen, leider hat sich das nun so hinausgezogen, und ich habe seither nichts mehr von ihr gehört. Briefschreiben, wissen Sie, ist nicht die starke Seite der Mädchen auf Capri; sie ziehen das mündliche Verfahren vor. Aber um so größer wird ihre Freude und Ueberraschung sein, wenn ich heute Mittags mit der Mama über ihre Schwelle trete.
Er wandte sich nach der Bank, auf der er sein Handgepäck abgelegt hatte. Es sollte aber nicht dazu kommen, daß er das Skizzenbuch hervorholte. Denn während unseres Gesprächs hatte sich das Angesicht des Meeres bedenklich verändert, die Spiegelfläche war von langen, tiefen Rissen durchbrochen, in denen der Kiel unseres Schiffes mit heftigem Schwanken sich fortarbeitete, während die Bewegung der Schraube das schwerfällige Gehäuse mit kurzen, scharfen Stößen in der entgegengesetzten Richtung hin und her warf. Die Sonne glänzte nach wie vor, und der Wind, der die Flut so unsanft aufwühlte, kühlte nun angenehm die wachsende Mittagsglut. Es war aber kein Vergnügen mehr, in dieser auf und ab geschüttelten Nußschale die »heilige Salzflut« zu durchschneiden. Rings um uns her sahen wir Gesichter, die sich entfärbten, Köpfe, die sich über Bord neigten, junge Ehepaare, die zum ersten Mal einander losließen, um einzeln ihrem Schicksal zum Opfer zu fallen. Mare di sotto! sagte der Kapitän, der eben an uns vorbeiging, als unter dem Kiel sich wieder eine hohle Kluft aufthat, um mit heftigem Stoß sich hoch am Bug zusammenzuschließen.
Es war kein Wunder, daß unsere alte Landsmännin unter den Ersten war, die dem Verderben erlagen. War ihr doch schon der Starnberger See, wie sie erklärt hatte, immer verhängnißvoll gewesen. Also bedurfte es keines langen Zuredens, daß sie ihrem Poldl in die Kajüte folgte, um wenigstens dem »grauslichen« Anblick der schaumgekrönten Sturzwellen entrückt zu sein. Der Sohn schien gegen die Seekrankheit gefeit. Verliebte Leute pflegen ja unversehrt durch Feuer und Wasser zu gehen.
Als wir aber am Hafen von Sorrent anlegten, wo einige Passagiere ausstiegen, andere aufgenommen wurden, sahen wir zu unserm Erstaunen unsern jungen Landsmann mit der Mama wieder auftauchen, die alte Frau mit völlig zerrüttetem Kopfputz und todblassem Gesicht, den Sohn in heller Verzweiflung. Wir erfuhren, der Zustand der Mama sei so schlimm geworden, daß sie zu sterben glaube, wenn sie die Fahrt fortsetzte. Hier in Sorrent wolle sie bleiben, mit keinem Fuß betrete sie mehr einen solchen Seelenverkäufer von Schiff. Wenn es dem Mädchen darum zu thun sei, ihre Schwiegermutter noch lebendig kennen zu lernen, möge sie herüberkommen; es sei ohnehin fast zu viel Ehre, daß man ihr so weit entgegengereis't sei, und noch dazu um »so Eine«, die nicht einmal das Vaterunser auf deutsch beten könne. Wir beschwichtigten die aufgeregte Frau, es werde sich Alles nach Wunsch fügen, jedenfalls sei es das Gescheidteste, das Weitere hier in Sorrent in dem behaglichen »Hôtel Vittoria« abzuwarten. Und so nahmen wir einen raschen Abschied, wobei der Sohn uns noch zuflüsterte, er hoffe, wenn die Mama sich erholt habe, vielleicht noch heute Abend in einer Barke uns nachzukommen, und rechne auf unsere Unterstützung, das Mädchen und ihre Eltern zu der Fahrt nach Sorrent zu bewegen.
Mare di sotto! Auch wir sollten die Tücke dieses Wortes noch an uns erfahren.
Als wir nach zwei kurzen Stunden an der Marina von Capri vor Anker gingen, stand auch uns der Sinn nicht nach der Bekanntschaft mit schönen Capreserinnen, nur nach einem stillen Ruhebett, auf dem wir uns von den »Stoß' und Schleudern« der wüthenden Meerflut erholen konnten. Das fanden wir denn auch für Geld und gute Worte in einem luftigen Gemach des »Hôtel Quisisana« und fühlten uns nach einer kleinen Stunde so weit hergestellt, daß wir zwar der gedeckten Tafel im Speisesaal noch immer den Rücken wenden mußten, zu einem Spaziergang aber durch die Gassen und Gäßchen des alten Inselnestes wieder fest genug auf den Füßen standen.
Da war es nun wieder, unser altes Capri, wie wir's vor so und so viel Jahren verlassen hatten, die engen, schmutzigen Gassen, die schwarzen Spelunken, auf deren Schwellen die Weiber mit ihren Spinnrocken, die Männer mit ihrem Handwerksgeräth saßen, drüben aus Pagano's Garten aufragend die weltberühmte Palme, der meistgemalte Baum Italiens, die wilden Rangen, die den Fremden mit Possen und Bettelkünsten umringen – nur etwas mehr Deutsch hatten sie seither gelernt, und Einige sangen ganz correct unser trauliches »Muß i denn, muß i denn zum Städtle 'naus« – und über all dem malerisch entzückenden Menschenwesen, Schmutz und Verfall die steilaufstrebenden, silbergrauen Felswände, in deren Rissen und Schründen das edelste Unkraut der Welt seit Jahrhunderten wuchert, Myrten-, Lorbeer- und Oleandergestrüpp. Ja freilich, unverantwortlich wär's gewesen, nordwärts zu fahren, ohne an all dem ewig Schönen wieder einmal Herz und Sinne geweidet zu haben.
Und heute war uns noch ein besonderes Schauspiel vorbehalten, wie wir auf dieser wunderbaren Scene noch kein bunteres und lustigeres erlebt hatten.
Wir traten eben aus einer der engen Gassen wieder auf den Marktplatz hinaus, um nach unserm Gasthof zurückzukehren, als wir von der andern Seite einen dichten Menschenhaufen sich daherwälzen sahen, ein Rudel Kinder, das den Vortrab bildete, mit Schreien und Jauchzen vor einem Musikantentrüpplein herspringend, einer Geige, zwei Guitarren und einer Klarinette. Hinter diesen Vieren, die mit ihren rothen Köpfen und dem unsicheren Takt ihres Spiels verriethen, daß sie schon manches Glas rothen Capriwein zu Ehren des Festtages geleert hatten, kam ein hochzeitliches Paar, das seltsamste, das man sehen konnte.
Die junge Frau – denn daß sie vor einer Stunde getraut worden war und jetzt nur den Umzug hielt, um sich bei all ihren Nachbarn und Freunden sehen zu lassen, hatte uns einer der Zuschauer mitgetheilt – war ein echtes Capreser Kind, blutjung, ein Gesicht wie ein geschnitztes Madonnenbildchen, von den reinsten Formen, tiefschwarzes, schlichtgescheiteltes Haar, die schönsten grauen Augen unter langbefransten Wimpern, die Elfenbeinfarbe der Wangen leicht durchglüht von einem zarten Roth und die sehr lieblichen Lippen von der Farbe der Granaten. In der That, eine unwahrscheinliche kleine Schönheit und auch ein Figürchen von seltener Anmuth. Das steckte in einem blaßblauen Kleide vom leichtesten Wollstoff, das die ganze reizende Gestalt wie ein wandelndes Fliederbäumchen erscheinen ließ. Vorn an der Stirn schimmerten die Orangenblüten unter dem lang nachwehenden Tüllschleier, die Hände waren mit Handschuhen von blaßblauer Seide bekleidet, die kleinen Füße mit Atlasschuhen von der gleichen Farbe.
Neben dieser kleinen Märchenprinzessin, die mit keiner Miene verrieth, wie ihr bei ihrem Triumphzug zu Muthe war, nahm sich der junge Ehemann wunderlich genug aus: ein dünner, dürftig gewachsener Giovinotto mit einem gelblichen, bartlosen Gesicht, das selbstzufrieden lächelte und dazwischen mit hochgezogenen Brauen sich bemühte, den Ausdruck überlegener Würde anzunehmen. Sein neuer schwarzer Anzug hing ihm schlotternd um die eckigen Glieder, das hochrothe Halstuch flatterte verwegen um den mageren Hals, und in dem hohen Cylinder spiegelte sich die Sonne augenblendend. Er hatte, außer dem Orangenzweiglein im Knopfloch, ein Sträußchen in der Linken, das er häufig zur Nase führte. Mit der rechten Hand in citronengelbem Glacéhandschuh hielt er zwei der blaßblauen Fingerchen seiner jungen Frau zierlich in die Höhe, wie wenn er sie dem versammelten Publikum vorstellen wollte: Seht da, das schönste Mädchen von Capri, und ich bin der Tausendsassa, der sie euch allen vor der Nase weggefischt hat!
Es war nicht zu verkennen, daß man den glücklichen Eroberer mit Hochachtung betrachtete. Nirgends zeigte sich die geringste Spur einer höhnischen Miene, noch wurde eine Bemerkung laut über das ungleiche Paar, oder gar ein Bedauern, daß das schöne Wesen an einen so lächerlichen Lebensgefährten gerathen sei. Der freundliche Capreser, der uns schon vorher gesagt hatte, daß die Beiden soeben getraut worden seien, schien gleichfalls nicht daran zu zweifeln, auch diese Ehe sei im Himmel geschlossen. Es sei ein großes Glück für das Mädchen, belehrte er uns, eh' sie noch siebzehn Jahr geworden, eine so glänzende Partie gemacht zu haben. Sie sei die Tochter eines Fruchthändlers, der nur eben sich nothdürftig durchschlage, und habe nichts ihrem Manne mitzubringen gehabt, als das bischen Jugend und Schönheit. Der habe sie aber sozusagen senza camicia genommen, erst vor vierzehn Tagen sei er zurückgekommen von Rio de Janeiro, wo er ein Geschäft in Südfrüchten, Orangen, Oliven und Feigen etablirt habe, davon sei er in wenigen Jahren reich geworden, schwerreich, und nichts habe ihm gefehlt, dem Sor Aristide, als eine Frau. Aber zu einer Ueberseeischen habe er keine Lust gehabt, Eine aus seiner Heimat habe es sein müssen, und richtig, gleich am ersten Tag, als er hier wieder gelandet, sei ihm diese seine jetzige Frau begegnet, die er schon als Kind gekannt; nun, und da er Eile hatte, denn er könne nicht lange sein Geschäft allein lassen, so habe er Alles gleich am andern Tag in Richtigkeit gebracht, und übermorgen würden sie wieder in ihre neue Heimat abdampfen. Alle jungen Leute beneideten ihn um diese Wahl, und die Mädchen seine Frau um ihn, denn er habe eine offene Hand, und die Kette um ihren Hals und die Broche und die drei Ringe, die auf dem Seidenhandschuh funkelten – Alles habe er ihr geschenkt.
Wir hüteten uns, zu verrathen, daß die junge Frau uns trotz alledem nicht gerade beneidenswerth erschien. Es war aber doch hübsch, wie sie vorbeizog, von allen Seiten begrüßt, hie und da mit Blumen und Confetti beworfen, vor ihr die schwirrende, klirrende Musik – denn ein paar Mädchen, die im Zuge mitgingen, schüttelten im Takt das Tamburin – der Schwarm ihrer Hochzeitsgäste hinter ihr, über Allem der saphirblaue Baldachin des Capreser Himmels. Und wenn das Puppengesichtchen nicht gerade vor bräutlicher Seligkeit gestrahlt hatte, kummervoll hatte es doch auch nicht geblickt. Sentimental sind sie eben nicht, diese Südländerinnen, und diese kleine Sechzehnjährige mochte wohl schon genau wissen, was es auf sich hatte, fast senza camicia einen Freier zu finden.
Einen Augenblick dachten wir daran, uns nach der Braut unseres jungen Landsmannes zu erkundigen. Bei der hastigen Trennung aber hatten wir versäumt, den Namen ihrer Eltern und ihre Wohnung zu erfragen, und alle Angiolinas dieser Insel der Reihe nach aufzusuchen, bis wir die Rechte gefunden, wäre ein wenig umständlich gewesen.
So kehrten wir in unsern Gasthof zurück, nahmen ein mäßiges Mahl ein und ließen uns von einem Wägelchen die herrliche Straße hoch über dem Meer nach Anacapri hinauftragen, wo wir die Zeit bis zur sinkenden Sonne im Genuß des entzückenden Ausblicks nach Ischia, Neapel, Vesuv und der hohen Küste bis zur Punta di Sorrento verschwelgten. Auch wohnt hier oben ein edleres Geschlecht, als in dem fremdenwimmelnden Capristädtchen, wo Jung und Alt auf das Abfangen und Ausbeuten wehrloser Reisender abgerichtet ist. Hier oben genossen wir noch in einem Garten, den wir, durch die Aussicht gelockt, betraten, einer anmuthigen Gastfreundschaft, da uns die Besitzerin und ihre Töchter einen Teller mit Orangen entgegentrugen, uns mit Blumen beschenkten und jede Vergütung dafür entschieden ablehnten.
Abends, da wir einsam in unserm Quisisana auf der Gartenterrasse saßen und zusahen, wie an dem purpurblauen Firmament die Sterne nacheinander aufglänzten und mit der Kühle vom Meer der süße Orangenduft heraufwehte, fiel es meiner Frau plötzlich ein, wie hübsch es wäre, wenn die stumme Nacht sich ein wenig belebte, Guitarren- und Tamburinklang hier auf der Terrasse ertönte und ein paar hübsche junge Paare Tarantella tanzten.
Weißt du, daß ich noch immer nicht dazu gekommen bin, eine echte Tarantella zu sehen? sagte sie. Denn auf einem Maskenball oder im Theater sieht man doch nur eine zahme Caricatur.
Ich zweifle, ob dir das wilde Original sonderlich gefallen wird, sagte ich lachend. Ich habe es vor Jahren öfters gesehen, und an Wildheit ließ es freilich nichts zu wünschen übrig, desto mehr an Schönheit und Grazie. Denn die ältesten Weiber und dicksten Männer sprangen wie tollgewordene Frösche mit verrenkten Gliedern hin und her. Vielleicht aber treffen wir's heute besser.
Wir wandten uns an die Wirthin, die mit ihrem Töchterchen im Garten unter der Pergola saß und die schöne Nachtstille genoß. Sie schüttelte den Kopf. Sonst wäre nichts leichter, als ein halb Dutzend junger Leute herzubestellen und sie tanzen zu lassen. Heute aber seien Alle auf der Hochzeit, und wenn wir Tarantella tanzen sehen wollten, müßten wir dorthin gehen.
Wir sind aber fremd, sagten wir. Wie können wir uns unter die Hochzeitsgäste mischen?
O, es wird dem Sor Aristide eine Ehre sein und der jungen Frau auch. Die Annetta soll Sie gleich hinführen, Sie werden es nicht bereuen.
Sie rief eine alte Dienerin, die in der Nähe beschäftigt war, die Gemüsebeete zu begießen, und wir machten uns unverzüglich auf den Weg nach dem Hochzeitshause.
Das lag in einem engen Gewinkel dunkler Gassen versteckt, in denen die strengen Düfte von ölgebackenen Fischen, Zwiebeln und Johannisbrod sich mit noch bedenklicheren Gerüchen mischten. Schon von Weitem aber war unser Ziel zu erkennen an dem leidenschaftlichen Getöse klirrender und pochender Tamburine, schnarrender Geigenstriche und stampfender Füße, das aus den offenen lichterhellen Fenstern herausdrang.
Eine schmale steinerne Treppe führte außen am Hause zum ersten Stock hinauf. Unten schien sich der Laden zu befinden, in welchem die junge Braut ihren Eltern geholfen hatte, Früchte und Gemüse zu verkaufen, bis ihr Schicksal sie von hier fortholte, um das väterliche Geschäft jenseits des Meeres in großem Stile fortzusetzen.
Zu dieser Stunde aber war der Laden geschlossen, das Fest tobte durch die oberen Räume, die so kahl und schmucklos waren, wie es hierzulande der Brauch ist. Nicht einmal die Lithographieen Garibaldi's und Victor Emanuel's oder ein Oeldruck der Jungfrau Maria hingen an der schmutzig grauen Zimmerwand.
Wir hatten Mühe gehabt, uns durch die Schaar von Kindern durchzudrängen, die unten am Hause und auf den Treppenstufen standen, magisch gebannt von den hellen Fenstern und der fieberhaften Tanzmusik. Auf dem obersten Absatz standen junge Bursche, die halb und halb mit zur Hochzeitsgesellschaft gehörten; fast Jeder trug eine Blume hinterm Ohr oder in seiner Jacke, die Meisten rauchten lange schwarze Cigarren und summten dabei den Takt der Tanzmelodie. Als sie uns heraufsteigen sahen, machten sie uns sofort ehrerbietig Platz, und Einer rief ein Wort in das Zimmer hinein, worauf die Musik verstummte und sich unter den Umstehenden eine kleine Gasse bildete, durch die jetzt die junge Frau mit höflich einladender Geberde uns entgegenkam.
Wir sahen sie nun ganz in der Nähe, und ihre Schönheit erschien uns noch reizender, da wir die sammetweiche Haut und den Edelsteinglanz ihrer großen Augen jetzt erst so recht bewundern konnten. Zugleich aber fiel uns die völlige Kühle und Gleichgültigkeit dieses jungen Gesichtes auf, das auch beim Sprechen seinen Gleichmuth bewahrte und durch kein festliches Lächeln belebt wurde. Auch ihr Anzug war so tadellos, wie eben aus dem Schrank gekommen, kein Fältchen zerknittert, keine Blüte ihres Brautkranzes abgefallen – ein Bild in der That fatto a pennello, wie der alte Capreser auf dem Markt sie bezeichnet hatte.
Sie hatte aber trotz ihrer sechzehn Jahre den vollendeten Anstand einer jungen Weltdame, ließ uns mit unsern Entschuldigungen, daß wir hier ungeladen hereinschneiten, nicht zu Worte kommen, sondern führte uns durch die respectvoll uns angaffende Gesellschaft zu den Stühlen an der Wand, auf denen die notableren Gäste saßen, zunächst die Eltern der Braut – der Bräutigam schien die seinen schon verloren oder in Amerika gelassen zu haben –, dann einige nahe Verwandte, sämmtlich in sehr wenig hochzeitlicher Kleidung, die Männer fast alle in Hemdärmeln, mit Ausnahme des Bräutigams. Eine junge Frau, die Tante der Braut, saß neben diesem jungen Philister, einen dicken Säugling im Schooß, dem sie ganz unbefangen die Brust reichte. Auch ließ sie sich in diesem mütterlichen Geschäft nicht stören, als ihre Nichte uns zu ihr führte, uns einander vorzustellen. Die Brautmutter hatte meiner Frau sofort Platz gemacht, so daß sie neben dem Sposo zu sitzen kam, eine sehr zweifelhafte Ehre, da der junge Mann beständig schwieg und mit hochgezogenen Brauen vor sich hin lächelte. Desto redseliger zeigte sich die Braut, die mich auf den Stuhl neben sich genöthigt hatte. Ich konnte mich nicht genug wundern, mit wie kaltblütiger Gewandtheit dies junge Geschöpf sich dem Wildfremden gegenüber benahm, wie eine Ballkönigin, die im Cotillon einem ihr wohlbekannten Tänzer eine Extratour bewilligte. Sie erklärte, es sei ihr eine besondere Ehre, daß wir zu ihrer Hochzeit gekommen seien. Wir seien wohl Engländer oder Franzosen. Bei der Hochzeit einer ihrer Freundinnen hätte eine amerikanische Familie sich eingefunden, die sei sehr liebenswürdig gewesen, und die jungen Fräulein hätten sogar mitgetanzt. Tarantella? Nein, den Gefallen könne sie uns nicht thun, sie würde sich ihren Anzug damit verderben, auch sei die Schleppe zu lang. Hernach vielleicht einen Rundtanz, aber nicht mit ihrem Manne, der tanze überhaupt nicht, er sei ein uomo positivo, aber ihr Vetter Carlino werde sich ein Vergnügen daraus machen – und vor Allem müsse sie jetzt meine Frau der Sarta vorstellen.
Der Schneiderin?
Ja, die ihr Kleid gemacht habe. Es sei nach dem neuesten Pariser Journal, und in bloß acht Tagen habe sie's fertig gebracht. Ob es nicht hübsch sei und ihr gut stehe?
Sie nahm das Compliment meiner Frau als etwas Selbstverständliches hin, faßte uns an den Händen und führte uns zu einem mageren ältlichen Frauenzimmer, das in steifer Haltung neben der säugenden Tante saß und unleugbar in diesem Kreise mit besonderer Verehrung behandelt wurde. Sie war die Einzige außer der Braut, die ein feierliches Gewand angelegt hatte, da alle Andern zu ihrer Alltagstoilette nur eben ihr Haar ein wenig frisirt und gepudert hatten. Sie aber trug ein großkarrirtes baumwollenes Kleid von auffallendem Schnitt, eine – wahrscheinlich unechte – breite goldene Kette um den Hals und ein schwarzes Schleierchen über den dünnen, braunen Haaren. Sie sprach wenig und sehr gewählt, hatte auf dem leeren Stuhl neben sich eine Flasche mit Wein und ein Glas stehen und sah uns mit herablassender Ruhe an, als die Sposa uns vorstellte.
Sie thaute erst auf, als meine Frau über ihre Kunstfertigkeit ihr viel Schönes sagte. Indessen wurde den jungen Leuten die Zeit lang, die Musik, die im Nebenzimmer nahe bei der Thür ihren Platz hatte, setzte wieder ein, und nun begann eine regelrechte Tarantella, nach der Melodie Già la luna 'mmiezzo mare – von mehreren Paaren getanzt, ohne bacchantische Wildheit zwar, doch auch ohne widerliche Grimassen zerlumpter alter Weiber und schwankender Trunkenbolde, wie ich's früher wohl erlebt hatte.
Die Sposa hatte ihren Platz wieder eingenommen zwischen mir und meiner Frau, der junge Ehemann schnalzte mit den Fingern und lachte zuweilen halb blödsinnig auf, der Brautvater war in das Nebenzimmer geschlichen, wo einige graue Ehrenmänner bei der Flasche saßen und einen entsetzlichen Tabak aus kurzen Pfeifen qualmten, und die Sache fing eben an, uns nicht mehr allzu ergötzlich zu dünken, als Musik und Tanz abbrachen und auf einmal aus allen Ecken des Zimmers ein Regen von Blumen und Confetti auf das Brautpaar und die Ehrengäste hereinbrach. Wir haschten, was uns zuflog, und wollten es der jungen Frau abliefern. Statt dessen mußten wir's uns gefallen lassen, daß sie zusammenraffte, was ihre kleinen Hände in den blauseidenen Handschuhen irgend fassen konnten, und es meiner Frau in den Schooß schüttete, mir aber einen bunten Strauß ins Knopfloch steckte.
Gleich darauf, als die Tänzer sich wieder auf die Treppe hinaus oder ins Nebenzimmer verzogen hatten, trat ein kleiner, etwas verwachsener Mensch mit glattrasirtem Kopf und schiefen, verschmitzten Aeugelchen auf uns zu, in der linken Hand einen Teller mit zwei vollgeschenkten Weingläsern. Die Rechte legte er mit pathetischer Geberde auf die Brust und begann eine Strophe zu recitiren, in der er uns als Fremdlinge, die dem jungen Paar durch ihr Erscheinen Glück brächten, mit überschwänglicher Verehrung begrüßte, daran erinnernd, daß Deutschland und Italien jetzt auch eine treue alleanza, wie dieses Paar, geschlossen hätten und für Beide den gleichen Segen des Himmels herabflehte. Darauf bitte er uns dies Glas mit ihm zu leeren.
Er reichte das eine mit einer zierlichen Verbeugung meiner Frau und nippte aus dem andern, das er dann mir anbot, während alle Umstehenden in ein stürmisches Evviva ausbrachen.
Die kleine Scene hatte sich mit so viel Anmuth abgespielt, die Verse, offenbar aus dem Stegreif gedichtet, klangen so melodisch, daß wir in die heiterste Stimmung geriethen und unsere Bemerkungen, mit wie viel natürlichem Anstand dies Inselvolk seine Feste feiere, halblaut austauschten. Da war nichts von der Rohheit und Unmäßigkeit unserer heimischen Bauernhochzeiten zu spüren, kein einziger Betrunkener schrie und johlte in die Tanzweisen hinein, und die Brautmutter, die sich in eine Ecke gesetzt hatte und sanft eingenickt war, schnarchte so leise, daß Niemand dadurch gestört wurde.
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Die Musik hatte eben wieder eingesetzt zu einem langsamen Schleifer, der mit Vorliebe hier getanzt wurde, als draußen vor der Thür, die auf die offene Treppe führte, ein Wortwechsel laut wurde; lebhafte Geberden der jungen Leute ließen erkennen, daß irgend Jemand einzudringen suchte, der von den Andern zurückgehalten wurde. Der Lärm wurde so laut, daß die Musikanten wieder abbrachen. Und jetzt erschien ein langer Bursch auf der Schwelle und rief der Braut etwas zu, seine für uns unverständlichen Worte mit eifrigem Winken der Hände und Augen begleitend.
Ich sah, wie das schöne Gesicht einen Augenblick erblaßte und seinen kühlen Gleichmuth verlor. Dann aber stand sie ohne Zögern auf, ging nach der Thüre hin und verschwand einen Augenblick draußen unter dem Häuflein junger Leute. Es war todtenstill im Zimmer geworden. Alles sah gespannt nach der dunklen Oeffnung, durch welche die Nachtluft ein ersticktes, heftiges Flüstern hereintrug. Dann trat der Kreis der hemdärmligen Bursche, der sich um die Schwelle geschaart, auseinander, die junge Frau erschien zwischen ihnen, an der Hand eine Gestalt nachziehend, in der wir zu unserm größten Erstaunen unsern hoffnungsvollen Landsmann, den trefflichen Poldl, erkannten.
Der gute Junge sah sich freilich nicht mehr ähnlich, wie wir ihn am Morgen kennen gelernt hatten. Sein Lockenhaar – den Hut mußte er draußen im Getümmel verloren haben – war zerzaus't, sein hübsches Gesicht todtenbleich, die Augen rollten ihm wild im Kopfe und schienen doch keinen Gegenstand klar zu erkennen, wenigstens fuhren seine Blicke an uns vorbei, ohne an uns haften zu bleiben. Dazu bebte er am ganzen Leib und bewegte die geballte rechte Faust beständig auf und ab wie einen Hammer, mit dem er irgend etwas zertrümmern wollte. Als er des Bräutigams ansichtig wurde, den sein schwarzer Bratenrock mit dem Orangenstrauß sofort kenntlich machte, stieß er einen Laut der Wuth zwischen den knirschenden Zähnen hervor und machte eine Bewegung, als ob er über ihn herfallen wolle. Der Andere betrachtete ihn völlig verständnißlos, die kleinen Augen so weit als möglich aufreißend, und stand nicht einmal vom Stuhle auf, als er seine junge Frau diesen tobsüchtigen Fremdling hereinführen sah. Vielleicht wußte er, daß sie eine feste Hand hatte und hinlänglich kaltes Blut, um alles Unheil zu verhüten.
Und wirklich ließ sie auch den ungebetenen Gast nicht los, sondern führte ihn geradewegs vor die Sarta, die ohne große Verwunderung aufblickte und das Weinglas, das sie eben geleert hatte, ruhig wieder hinstellte.
Ecco, hörten wir jetzt die Sposa sagen, mit der ruhigsten Stimme, als handle sich's darum, auch diesen Ehrengast der verehrten Freundin vorzuführen, da ist Sor Leopoldo, von dem ich Euch erzählt habe, Gigina, und das ist unsere Sarta, Sor Leopoldo, die Gevatterin von Mamma, und die wird Euch erklären, warum ich nicht auf Euch gewartet, sondern den Aristide genommen habe. Nicht wahr, Gigina, du hast es mir selbst gerathen und hättest es auch nicht anders gemacht? Und darum kann man doch gut Freund bleiben und braucht nicht gleich von Sterben und Umbringen zu reden.
O Angiolina! rief der betrogene Liebende in wüthender Verzweiflung, warum hast du mir das gethan! Hast du mir nicht gesagt, daß du mich liebtest und meine Frau werden wolltest, noch keine drei Wochen ist es her, und jetzt – da ich komme und dich zu meiner Mutter bringen will – o, falsche Schlange! Oh perfida! Oh donna senza fede! Wenn ich dir jetzt ein Messer ins Herz stieße –
Zitto! sagte auf einmal die Sarta mit ihrer tiefen, rauhen Stimme, die wunderlich aus der hageren Brust hervorklang. Was fällt Euch ein, daß Ihr hier in das Fest hereinstürmt und große Reden führt? Wenn Ihr's denn wissen wollt: ja, ich habe der Angiolina zugeredet, nicht auf Euch zu warten, und mit mir müßt Ihr Euch auseinandersetzen, aber ich fürchte Euch nicht, das mögt Ihr glauben. Ich bin auch einmal jung gewesen und hübsch genug, wenn auch nicht so hübsch, wie die Angiolina, aber die jungen Leute haben doch nach mir geschaut und die Fremden nicht zuletzt, am meisten aber die Maler. Da hab' ich sie kennen gelernt und weiß jetzt: pittori – burlatori, artisti – uomini tristi. Ich will die alten Geschichten ruhen lassen. Wie aber die Angiolina zu mir kam und mir sagte: Gigina, sagte sie, da kommt der Sor Aristide von jenseits des Meeres, der ist dort sehr reich geworden und will mich heirathen, sagte sie – und ich: Nimm ihn, figlia mia, und sei gebenedeit! sagt' ich, und sie darauf: Ja, aber da ist der Leopoldo, der ist vor acht Tagen abgereis't, und ich hab' ihm mein Wort gegeben, was soll ich sagen, wenn er wiederkommt? sagte sie. Und ich: Wenn's noch ein Milordo wäre, sagt' ich, aber bloß ein Maler, und du weißt: Pittori – burlatori, und darum stoß dein Glück nicht von dir, figlia mia, und für dein Brautkleid werd' ich schon noch Rath schaffen, sagt' ich, wenn die Zeit auch kurz ist, und sagt selbst, Sor Leopoldo, Ihr seid ja ein Künstler und müßt Euch drauf verstehen: sieht sie nicht wie eine Puppe aus in dieser Toilette, daß die Leute drüben in Amerika Augen machen werden, was man hier auf Capri für schöne Mädchen hat und was für Kleider sie tragen, die ihnen sitzen wie angegossen? Der Meter hat freilich zehn Lire gekostet, aber Sor Aristide kann's ja bezahlen, und sein Fruchthandel trägt doch jedenfalls mehr ein, als Eure Klexerei auf der Leinwand. Da wäre die Angiolina doch rein toll gewesen, wenn sie auf Euch gewartet hätte.
Diese treffliche Rede, die laut genug gehalten worden war, daß so ziemlich alle im Zimmer Anwesenden sie hören konnten, schien sich des allgemeinsten Beifalls zu erfreuen. Wenigstens sah man alte und junge Köpfe nicken, darunter auch den der schönen Ungetreuen, während der Glückliche, der die Braut heimgeführt hatte, die Augenbrauen hochzog, einen schnalzenden Ton von sich gab und jetzt aufstand, der beredten Advocatin ein Glas zuzutrinken.
Um so bedauernswürdiger nahm sich der Zurückgesetzte aus, den Alle finster anstarrten, als ob das Unrecht auf seiner Seite wäre. Nur der Bräutigam trat endlich auf ihn zu, wie um ihm mitzutheilen, daß er Gnade vor Recht ergehen lassen und ihm einen ehrenvollen Rückzug gestatten wolle. Ich sah, wie in das bleiche Gesicht des guten Jungen eine dunkle Zornglut stieg, er öffnete schon die Lippen und hob die geballte Faust zu einer Erwiderung, die unabsehliche Folgen gehabt haben würde, da fand ich es sehr an der Zeit, mich einzumischen, indem ich hinter ihn trat und ihm die Hand auf die Schulter legte.
Er sah sich wüthend um, in der Meinung, es lege Jemand in feindlicher Absicht Hand an ihn. Als er mich erkannte, sank plötzlich seine überspannte Erregung zusammen, und er schlug die Augen in so hülfloser Beschämung zu Boden, daß es mir herzlich nahe ging.
Fassen Sie sich, lieber Freund, sagte ich, und suchen Sie so viel Vernunft zu erschwingen, daß Sie gute Miene zum bösen Spiel machen können. Daß Sie sich in dies ausbündig schöne Geschöpf bis über die Ohren verliebt haben, wird Ihnen kein Mensch verdenken. Man wird selbst unter diesem gesegneten Himmel lange suchen müssen, bis man ein ähnlich vollkommenes Exemplar ihrer Gattung findet, und ich glaube sicher, daß griechisches Blut in ihren Adern fließt, wie drüben auf der Piana di Sorrento. Das Alles aber darf selbst einen jungen Künstler nicht hindern, sich glücklich zu preisen, daß er vor dem Schicksal bewahrt worden ist, der Mann dieses Wunderthierchens zu werden. Sie entsinnen sich, daß ich ein bischen ungläubig war, als Sie mir das »Gemüth« Ihrer Herzallerliebsten rühmten. Nun, mit Ihrer Erlaubniß, als altem Menschen- und Italienkenner mögen Sie mir glauben: sie hat nicht mehr Gemüth in ihrer ganzen reizenden Person, als das Steinbild der Madonna draußen über der Kirchenthüre. Charakter? O gewiß, einen sehr soliden, praktischen, für Amerika gerade recht geeigneten Charakter. Sie wird ihren Aristide damit genau so glücklich machen, wie er es braucht und verdient, und hätte Sie damit so unglücklich gemacht, wie Sie's wahrhaftig nicht verdient hätten und Ihre gute Mama am wenigsten. Untreu würde sie Ihnen nie geworden sein, dazu hat dies »Bild ohne Gnade«, so sehr sie immer Südländerin ist, zu wenig Temperament. Aber ob diese Tugend ausgereicht hätte, Sie während eines langen Lebens für Alles zu entschädigen, was Sie an einer solchen fischblütigen Sirene vermißt hätten – kommen Sie! Glätten Sie Ihre Stirn, machen Sie aus der Noth eine Tugend, und statt die Sache tragisch zu nehmen, zeigen Sie, daß Sie den Humor der Situation zu würdigen wissen.
Der aufgeregte Jüngling hatte mir Anfangs einigermaßen verdutzt und wie im Traum zugehört. Nach und nach aber dämmerte die Erkenntniß der Wirklichkeit in seinen unruhig herumflackernden Augen auf, das fieberhafte Zucken seiner Mienen schwand, und als ich geendet hatte, nickte er ein paarmal nachdenklich mit dem Kopf, sah erst die verlorene Braut, dann seinen siegreichen Rivalen an und plötzlich brach ein helles Lachen aus seiner Brust, die bisher so ungestüm gearbeitet hatte – ein Lachen, das freilich noch sehr nach Galgenhumor klang, sich aber doch besser anhörte, als das Knirschen mit den Zähnen. Er reichte mir die Hand, drückte sie stark und sagte: Ich danke Ihnen, Sie haben vollkommen Recht. Ich war ein Esel, ein blinder Esel. Am Ende wäre ich noch was Schlimmeres geworden. Aber Sie werden mir zugeben –
Was er meinte, erfuhr ich nicht. Denn in diesem Augenblick erkannte er meine Frau unter den Umstehenden, erröthete wieder ein wenig, faßte sich aber rasch und trat höflich auf sie zu, sie nach ihrem Befinden fragend, als ob nichts Besonderes vorgefallen wäre. Sie erkundigte sich, in seinen leichten Ton einstimmend, nach der Mutter – Gott sei dank, die gute Frau befand sich ganz wohl auf ihrer luftigen Loggia in Sorrent und würde sich freuen, den Sohn morgen wiederzusehen – ohne »so Eine«, ergänzte ich im Stillen, und darauf wandte sich der wackere Junge artig und redselig an seine verflossenen Schwiegereltern, welche die einzigen Verlegenen in der ganzen Gesellschaft waren.
Die Sposa aber kam ihnen zu Hülfe. Sie faßte Poldl ganz freundlich bei der Hand und führte ihn zu dem Stuhl neben dem Sitz ihres Gatten, der höflich sich verneigte und mit der Großmuth des Siegers dem Ueberwundenen die Hand reichte. Dann setzte sie sich an seine andere Seite, und die drei jungen Leute boten nun das Bild der herzlichsten Eintracht und Heiterkeit, da auch der Dritte im Bunde beständig seltsam vor sich hinlachte und die junge Frau, die ihr steinernes Gesichtchen beibehielt, wenigstens unaufhörlich plaudernd die Honneurs des Festes machte.
Kaum aber hatten sie etliche Minuten so dagesessen, da trat der kleine Verwachsene, der Improvisator, wieder mit den gefüllten zwei Gläsern auf dem Teller vor den neuen Ehrengast hin, sagte sein Sprüchlein, in welchem diesmal die Kunst und die Schönheit der Natur die Hauptrolle spielten, brachte zum Schluß das Hoch auf den jungen Maler aus und reichte ihm das Glas, ihm Bescheid zu thun. Der Gefeierte erhob sich, sah sich mit seinen hübschen, feurigen Augen herausfordernd um und rief dann in gutem Italienisch: Es leben die Neuvermählten, der würdige junge Gatte und die schönste und treueste aller Frauen Italiens! Auf ihr Glück und ihre Gesundheit leere ich dies Glas! – Rief's und trank das Glas auf einen Zug leer und ließ es dann zu Boden fallen, daß es zersprang. In diesem Moment setzte die Musik wieder ein zu einem flotten Walzer, da faßte der schnöde als burlatore Verschriene, der selbst so arg gefoppt worden war, die reizende junge Frau um die Mitte, schwang sie von ihrem Stuhl auf und begann wie rasend mit ihr im Kreise herumzuwirbeln. Es war hübsch anzusehen, wie das blaßblaue Figürchen an den hellen Sommerrock des schlanken Jünglings hingeschmiegt lag und jeder der Zuschauer mußte gestehen, daß ein schmuckeres Paar nicht leicht zu finden wäre. Selbst der Sposo mochte sich dieses Gedankens nicht ganz erwehren. Er runzelte einmal die enge, niedere Stirn und vergaß mit den Fingern den Takt zu schnippen. Dann aber sah er wieder gelassen drein – wie alle beati possidentes, denen der Neid der Leerausgegangenen ihr Behagen nur zu erhöhen pflegt.
Kein anderes Paar hatte sich angeschlossen, die Mädchen standen neben ihren Burschen als bloße Zuschauerinnen und bewegten nur leise klirrend die Tamburine zur Begleitung, in immer rascherem Tempo siedelten und klimperten die Musikanten, immer athemloser flog die junge Frau im Kreise herum, ihr Kränzchen verlor seine Blüten, die Nadeln, die den Schleier festgehalten hatten, lös'ten sich eine nach der andern – basta! basta! hörte man sie flehend hervorstoßen, aber erbarmungslos ras'te ihr Tänzer mit ihr herum, bis endlich selbst der Musik der Athem ausging und sie mit einem heftigen fortissimo abbrach. Da stand der Rasende still, dicht vor dem Stuhl des Ehemanns, warf ihm einen höhnischen Blick zu, und mit dem heiseren Ruf: Da hast du den Schatz, den ich dir von Herzen gönne! schleuderte er das völlig betäubte zarte Geschöpf seinem rechtmäßigen Eigenthümer zu, lachte noch einmal hell auf und war im nächsten Moment, durch den verblüfften Haufen der jungen Leute sich Bahn brechend, über die Schwelle des Hochzeitszimmers ins Freie hinaus verschwunden.
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Wir fühlten, daß nach diesen merkwürdigen Auftritten das dramatische Interesse des Abends für uns erschöpft war, und benutzten die erste Gelegenheit, während die Andern sich in größter Gemüthsruhe wieder zum Tanzen und Trinken wandten, uns auf französisch zu empfehlen.
Meine Frau bestand darauf, daß ich mich vorm Schlafengehen erst noch erkundigen mußte, wie unser junger Landsmann sich befinde. Sie fürchtete immer noch, er möchte in der Einsamkeit etwas Verzweifeltes anstellen, nachdem er sich vor so viel Zeugen übermenschliche Gewalt angethan hatte. Ich wußte, daß er beim Pagano Quartier hatte nehmen wollen. Dort aber hörte ich, er sei sofort in sein Zimmer gestürzt, habe nur eine Flasche Wein und etwas Brod verlangt und sich dann eingeschlossen.
So konnten wir einstweilen seinetwegen beruhigt sein.
Als ich in der Frühe des andern Tages wieder nachfragte, war der poveretto, wie der Kellner ihn nannte, schon vor einer Stunde in einer Barke nach Sorrent abgefahren.
Wir hatten noch einen halben Tag vor uns, da wir das Dampfschiff zur Rückkehr nach Neapel abwarten wollten. Diese willkommene Frist benutzten wir aufs Beste, im herrlichsten Pfingstsonnenschein droben auf der Höhe der Tiberiusvilla und tief unten an der kleinen Marina herumzuklettern. Zwischen dem Entzücken über Alles, was die trunkenen Augen in sich einsogen, kehrten unsere Gedanken aber doch zuweilen zu dem kleinen Roman des gestrigen Abends zurück, und während bei meiner Frau das Mitleid mit dem armen Enttäuschten überwog, der, wie sie meinte, doch am Ende der kleinen fischblütigen Nixe eine Menschenseele hätte einhauchen können, dachte ich mit Genugthuung an das Aufathmen der biedern Mama bei der Nachricht, daß ihr die Bekanntschaft mit dieser »wilden« Schwiegertochter erspart werden sollte.
Ein schmächtiges vierzehnjähriges Ding von einem braunen Gassenmädel trug uns am Nachmittag unser Handköfferchen nach dem Landungsplatz hinunter, die Last leicht auf dem Kopf balancirend, wobei ihr die schwarzen Strähnen über Stirn und Augen fielen.
Sie war, wie heute wohl Alle in Capri und Anacapri, voll von dem Drama des gestrigen Abends, und obwohl wir ihr sagten, daß wir es mit erlebt hatten, ließ sie es sich nicht nehmen, den ganzen Hergang mit sehr charakteristischen Ausschmückungen uns vorzutragen. Man konnte Studien machen über die mythenbildende Kraft der Volksphantasie. Was uns aber vor Allem merkwürdig erschien, war die völlig nüchterne Anschauungsweise, die schon in diesem vierzehnjährigen Kopf sich eingenistet hatte.
Es sei ja richtig, sagte diese Nennella, der Sor Leopoldo sei hübsch und der Sor Aristide häßlich. Der aber sei doch die bessere Partie gewesen. Auch sei der Sor Leopoldo nur ein Maler und obendrein ein Ketzer, ein Lutheraner – worin man dem Pathen Seiner königlichen Hoheit schweres Unrecht that – und so sei es denn gekommen – s'è scumpanito (es hat sich zerschlagen, scombinato), und übrigens habe der erste Bräutigam sich recht als galantuomo aufgeführt. Si figuri, Signora, ein prachtvolles Armband hat er heute früh der Angiolina als Hochzeitsgeschenk geschickt, echtes Gold mit drei großen Rubinen, mindestens vierhundert Lire werth, wo nicht fünfhundert, hat die Sora Gigina gesagt, die Sarta, und die versteht sich auf so was. Ja, er war doch eine cara persona, der Herr Leopoldo, schade drum, daß ihm das passiren mußte, aber es ging doch einmal nicht anders, es war so Bestimmung.
Die reine türkische Philosophie! sagte meine Frau. Man kann am Goldenen Horn nicht weniger sentimental und gemüthvoll sein, als hier an dem herrlichen Golf, wo Tasso geboren wurde. Der arme Poldl! Er hat theures Lehrgeld zahlen müssen.
Beklage ihn nicht zu sehr, sagte ich. Er ist immer noch billiger weggekommen, als wenn er seiner schönen Puppe das »Armbracelet« selbst um das braune Aermchen gelegt und sie der guten Mama als Tochter zugeführt hätte. Ich traue ihm so viel gesunden Verstand zu, daß er schon in vierzehn Tagen wie ein Mensch, der einer Lebensgefahr entronnen ist, aufathmen und vor sich hinsagen wird: Gott sei Dank! S'e scumpinato!
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