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Inzwischen waren die Andern in völlig bedeutungslosem Geplauder wieder an das Haus des Meisters gekommen, die Frauen verabschiedeten sich von einander, der Notarius blieb noch an der Schwelle stehen, als sei es ihm unmöglich, in dieser Ungewißheit von ihr zu gehen.
Sie hatte mehr als einmal sich nach Walter umgesehen, und sein Ausbleiben peinigte sie. Doch nahm dieser Gedanke sie nicht so vollständig ein, daß sie darüber die Stimmung ihres Begleiters vergessen hätte. Auch ihr lag daran, ein Ende zu machen.
Der Meister hat mir gesagt, was Sie ihm anvertraut haben, sprach sie mit ruhiger, aber nicht kaltherziger Stimme. Ich danke Ihnen für alle Güte und Freundschaft, die ich in Ihrem Wunsche erkenne. Ich habe Sie immer geachtet und gern mit Ihnen verkehrt. Mein Leben ist aber abgeschlossen; ich werde keine neuen Fäden mehr anknüpfen und zufrieden sein, wenn ich die alten ruhig abspinnen darf und keiner vor der Zeit zerrissen wird. Dies offene Bekenntniß bin ich Ihnen schuldig. Sie werden mir darum Ihre Achtung nicht entziehen.
Er schwieg mit einem plötzlich tief erblaßten Gesicht. Nach einer langen Pause sagte er:
Sie werden mich nicht ohne alle Hoffnung entlassen, daß ich mit der Zeit Ihnen werther werden könnte. Dieß ist nicht Ihre letzte Antwort.
Sie muß es sein, erwiederte sie. Ich darf weder Sie noch mich zu täuschen suchen.
Und steht nichts Anderes zwischen uns, als Ihre Abneigung, noch in einen neuen Lebenskreis einzutreten?
Sie erröthete flüchtig. – Ich habe Pflichten gegen den alten, sagte sie, die mich hinlänglich ausfüllen. Und dann – aber brechen wir ab. Meine Gründe gehören mir, und Sie mögen überzeugt sein, daß ich es nicht leicht damit nehme. Nochmals: Schlagen Sie sich diesen Einfall aus dem Sinn; es wäre nicht Zu Ihrem Glück –
Sie konnte nicht ausreden, sie sah, wie er sich vor ihr verneigte und, ohne sie noch einmal anzublicken, den Weg zurückging, seinem Hause zu. Seine ganze Weise hatte sie betroffen gemacht. Um die Welt nicht hätte sie den Grund der Abweisung, den sie gegen den Meister geltend gemacht, diesem stillen ernsthaften Mann ins Gesicht sagen können.
Sie stand noch eine Weile in der Thür und sah die Straße hinunter, ob sie Walter nicht nach Hause kommen sähe. Die Nacht war hereingebrochen, eine laue Luft wehte wie mitten im Sommer; am liebsten hätte sie stundenlang hier draußen auf ihn gewartet. Sie wußte selbst nicht, warum es ihr unheimlich war, ins Haus zu treten. Endlich ging sie die Treppe hinan, ohne erst dem Meister guten Abend zu sagen, obwohl sie hörte, wie er in seinem Zimmer herumhinkte, offenbar in der Erwartung, sie werde sich bei ihm sehen lassen und über den Abend berichten. Sie sehnte sich, allein zu sein, und war kaum in ihr kleines Zimmer getreten, als sie den Riegel hinter sich vorschob und mit einem schweren Seufzer die Brust erleichterte. Es war schon so dunkel, daß sie lange vergebens nach dem Feuerzeug herumsuchte; es stand nicht auf dem gewöhnlichen Platz. Ueberhaupt schien es ihr, als müsse Jemand im Zimmer gewesen sein, der die alte Ordnung verschoben habe. Endlich hatte sie ihr Lämpchen gefunden; aber ehe sie es noch angezündet hatte, fiel sie in ein Brüten und Sinnen, dem die Dunkelheit wohl that. Sie stand am Fenster, die Stirn gegen die kühle Scheibe gedrückt, und überdachte die letzten Stunden. An dieser selben Stelle hatte sie am Morgen ihr Herz in Thränen ergossen. Jetzt war es ruhiger in ihr. Sie litt noch immer, aber die Schmerzen waren ihr süß. Sie sah im Geist Alles voraus, daß sie von Jahr zu Jahr einsamer sein würde, daß sie auch den Einzigen, der ihr theuer war, werde hingeben müssen; aber sie fühlte, daß nichts sie zwingen könne, ihrem Gefühl für ihn zu entsagen, und wenn er auch ohne sie glücklich sein würde, so dürfte sie doch jedes Glück verschmähen, das ihn von ihr getrennt hätte.
Sie ward so still und heiter, je länger sie darüber nachdachte, daß sie sehnlich wünschte, er möchte heimkommen, damit sie wie gestern harmlos beisammen waren. Ein Geräusch drang plötzlich aus nächster Nähe an ihr Ohr; sie glaubte, er sei, von ihr unbemerkt, ins Nebenzimmer getreten und rief: Bist du's endlich, Nachtschwärmer? – Keine Antwort. Und doch wußte sie, daß sie sich nicht getäuscht hatte. Sie horchte schärfer um sich her. Wieder drang ein verhaltener Ton zu ihr hin. Wer ist hier? fragte sie mit klopfendem Herzen. Da Alles schwieg, ging sie an den Tisch, die Lampe anzuzünden, als plötzlich ein dunkler Schatten an ihre Seite glitt und eine rasche Hand die ihrige ergriff, um sie zu hindern, daß sie Licht mache. – Sie erschrak nur leicht. Was soll das bedeuten, Walter? sagte sie, zurückfahrend. Wie bist du hereingeschlichen? Ich dachte doch, ich hätte den Riegel – Herrgott! rief sie, was soll das? Was haben Sie hier zu suchen, Peter Lars?
In der Dunkelheit hatte sie nicht sowohl seine Züge erkannt, als sein eigentümliches heiseres Athmen, das ihr zuwider war, und jetzt unterschied sie die Umrisse der Gestalt und trat unwillkürlich einen Schritt zurück, der Thüre zu, als er mit einer behenden Bewegung vor die Schwelle sprang.
Seien Sie ruhig, Mamsell Helene, sagte er mit einem häßlichen nervösen Lachen. Es geschieht Ihnen nichts zu Leide. 's ist freilich nicht das liebe Püppchen, das Zuckerherzchen, der junge Herr vom Haus, sondern nur die Kröte, der Wurm, die ekelhafte Spinne von Peter Lars. Aber der Wurm thut keinem Menschen was, wenn er getreten wird, und wenn Sie daher ihren schönen Fuß nicht gerade auf meinen garstigen Schädel setzen wollen –
Was nehmen Sie sich für Freiheiten heraus? unterbrach sie ihn mit erkünstelter Ruhe. Wer erlaubt Ihnen, in mein Zimmer einzudringen und mir hier eine Scene zu machen? Ich dächte doch, sie wissen, was ich von Ihnen denke.
Eben deswegen, höhnte er, eben weil ich das weiß, meine angebetete Mamsell, daß Sie mir leider spinnefeind sind, wollte ich doch einmal gehorsamst nachfragen, was ich Ihnen denn eigentlich zu Leide gethan habe. Und weil Sie mir nicht die Gnade erweisen, mir Rede zu stehen, wenn ich Ihnen sonst wo begegne, bin ich so frei gewesen, hier ein wenig auf Sie zu warten. Wenn Sie mich etwa im Verdacht haben, daß ich betrunken sei, so irren Sie gewaltig. Ich habe, auf meine Ehre! nur so viel zu mir genommen, als eben hinreicht, um die Zunge zu lösen. Courage, meine angebetete Mamsell, ist eine schöne Sache. Mit der bin ich jetzt, Gott sei Dank, so weit versehen, daß ich Sie fragen kann, was Sie an meiner geringen Person auszusetzen haben? He! Wir sind jetzt so hübsch unter uns. Warum wollen Sie mir nicht ein wenig Vertrauen schenken? Oder ist von dem Artikel für Peter Lars nichts übrig? Haben sich das Zuckerpüppchen und der Herr Aktenschmierer, Ihr Zukünftiger, so in Ihr Herzchen getheilt, daß für einen ehrlichen jungen Künstler, der, ohne Ruhm zu melden, Zehn von solchem Kaliber in die Tasche steckt –
Sie schweigen auf der Stelle, herrschte das Mädchen ihn an. Sie verlassen mein Zimmer und danken es ihrem Rausch, wenn ich diese Frechheit –
Oho, meine Angebetete, fiel er ihr ins Wort, behandeln Sie mich etwas liebevoller. Denn sehen Sie, hier sind unter Zwei gegen Sie, der Wein und meine Wenigkeit, und wenn ich erst einmal in Courage bin, und obenein verliebt bis über die Ohren – nein, fuhr er leiser fort, es geschieht Ihnen wahrhaftig nichts zu Leid. Ich hatte auch gar keine bösen Absichten. Wenn Sie mich nicht dummer Weise vor der Zeit entdeckt hätten, hätte ich Sie ruhig zu Bette gehen lassen und wäre dann vorgekrochen, damit Sie mir ganz sicher nicht entwischen konnten, aber nur, um mir auf einige Fragen Antwort auszubitten. Im Uebrigen haben wir allen Respekt vor unserer stolzen Mamsell, trotz der Courage, und wenn ich jetzt mich hier vor die Thüre stelle, so geschieht es, beim Henker! nur –
Er sah nicht, wie ihr die Augen funkelten; ihr Schweigen und ihre scheinbare Ruhe machten ihn sicher. Es scheint, sagte er, daß ich eine ganz menschliche Stunde getroffen habe. Wenn die angebetete Mamsell Vernunft annehmen will, so soll sie erleben, daß der arme Wurm von Peter Lars –
In tiefem Augenblick fühlte er sich von einer entschlossenen Mädchenfaust vorn an der Brust gepackt und mit einem heftigen Ruck beiseite geschleudert. In der Dunkelheit fiel er rückwärts über einen Stuhl und verwickelte die Füße in der Decke des Gardinenbetts. Als er sich schäumend vor Ingrimm und Aerger wieder aufrichtete, war der Riegel bereits zurückgeschoben und das Mädchen enteilt.
Sie flog die Treppe hinab und trat in das Zimmer des Alten, der wieder auf dem Sopha lag und über seinen Schmerzen in der Dunkelheit ein wenig eingeschlummert schien. Sie weckte ihn und sagte ihm, was geschehen. Als er in leidenschaftlicher Aufregung, das brennende Licht in der Hand, ihr in das obere Stockwerk folgte und in ihr Zimmer trat, war dasselbe leer, auch im ganzen Hause keine Spur des gefährlichen Menschen mehr. Er rief der alten Magd, daß sie jeden Winkel sorgfältig durchsuchen und ihm, wenn er Nachts etwa zurückkäme, das Haus nicht öffnen solle. Morgen werde er ihn in aller Form verabschieden. Dann fragte er, ob Walter noch nicht zurück sei, brummte heftige Worte vor sich hin, als es verneint wurde, ging, während Helene sprachlos mitten im Zimmer stand, mit unwilligen Geberden den lahmen Fuß nachschleppend, in der Stube auf und ab, und hinkte endlich die Treppe wieder hinunter, das Licht zurücklassend, ohne ihr eine gute Nacht zu wünschen.
Sie war kaum allein, als sie hastig mit noch zitternder Hand den Riegel wieder vorschob und dann auf einen Sessel am Bett niedersank, das Gesicht gegen das Kissen gedrückt, um nichts umher zu sehen und zu hören, was sie an den empörenden Auftritt erinnern könnte. Nach und nach wurde ihr Blut ruhiger, auch im Hause wurde alles still. Sie stand nun auf und untersuchte das ganze Zimmer noch einmal, ob sie wirklich allein sei. In der Nische, die ihre Kleider verwahrte und mit einem Vorhang verschlossen war, mußte er gestanden haben; sie erkannte es noch an den zerknitterten Falten, und von Neuem überlief sie ein Schauder. Sie nahm, um den widerwärtigen Gedanken zu entrinnen, ein Buch von ihrer kleinen Hängeborte und setzte sich in die Sophaecke. Doch hafteten ihre Gedanken nicht auf den schwarzen Lettern. Es kam ihr unerträglich schwül und enge vor in ihrem Zimmerchen, und doch wagte sie keinen Schritt mehr hinaus zu thun, aus Furcht, ein neuer Hinterhalt möchte ihr gelegt sein. So schob sie das Buch wieder weg und streifte das Kleid ab, das sie beschwerte. Es ward ihr wohler, wie sie jetzt mit freiem Hals und nackten Armen auf und ab ging und im Gehen ihr langes schwarzes Haar für die Nacht einflocht. Das Licht stand nah genug vor dem kleinen Spiegel, daß sie sich deutlich darin sehen konnte. Aber ihre Blicke waren auf den Boden gerichtet und ihre Gedanken weit weg.
So war sie wohl eine Stunde ruhelos umher gegangen und fühlte es endlich in den Knieen, daß es Zeit sei, ihr Lager aufzusuchen, als die Thüre nebenan behutsam geöffnet wurde, ein leichter Schritt sich näherte und eine Hand an ihrer verriegelten Thür klopfte. Sie fuhr leicht zusammen, besann sich aber sogleich, daß das Haus verschlossen, der schnöde Geselle hinausgeflohen und Walter noch nicht zurück sei.
Bist du es, Christel? fragte sie durch die Thür.
Ein leises Ja kam zurück. Die Alte pflegte oft des Abends mit wirtschaftlichen Anliegen zu kommen. Unbedenklich schob Helene den Riegel zurück. In der dunkeln Thür stand Walter.
Ich bin's, stammelte er und warf einen flehenden, fast erschrockenen Blick auf sie. Im Augenblick waren Beide mit dunklem Roth übergossen.
Helene! sagte er und stockte wieder. Sie fuhr unwillkürlich zusammen, als sie ihren Namen aus seinem Munde hörte. Sie sah, wie er mit düstern Blicken sie betrachtete. So wie sie vor ihm stand, hätte sie in jeden Ballsaal treten können. Doch war es nie geschehen, daß er sie anders sah, als in ihren dunklen, fast nonnenhaft zugeschnittenen Kleidern.
Was führt dich her? fragte sie und suchte ihre Erregung unter einer kalten Strenge zu verbergen. Warum hast du mich getäuscht und nicht draußen schon gesagt, daß du es seist? Geh ohne Aufenthalt, es ist keine Zeit mehr zu plaudern.
Er stand immer noch unbeweglich und starrte wie im Traum auf ihre weißen Schultern. Mit rascher Erkenntniß sah sie ein, daß es zu spät sei, ein Tuch umzuwerfen, und vollends ihrer unwürdig, sich in den dunkleren Theil des Zimmers zurückzuziehen.
Hörst du nicht? sagte sie mit einem Ton, dem er den Gehorsam nicht weigern konnte. Ich will allein sein. Was du mir zu sagen hast, wird bis morgen Zeit haben. Ich bin ernstlich böse darüber, daß du mich hintergehen konntest. Dergleichen darf nie wieder vorkommen, oder wir sind geschiedene Leute.
Sie warf ihm einen unguten Blick zu, der seine Augen zu Boden schlug, dann wandte sie sich kurz um und trat, ohne auf ihn zu achten, an den Tisch. Sie hörte, wie er hinausging, die Thür sacht hinter sich zumachte und mit langsamen Schritten durch das dunkle Wohnzimmer sich entfernte.
Kaum war der letzte Schritt verhallt, als die bittersten Vorwürfe in ihr aufstiegen, daß sie ihn verurtheilt, ohne ihn gehört zu haben. Sie sah jetzt seinen traurigen Blick mit stummer Klage auf sich geheftet und malte sich aus, in welcher Stimmung er nun von ihr gegangen sein müsse. Der Tag hatte sie mehr als sonst von einander getrennt. Er hatte nicht an Schlafen denken können, ehe er sich in alter Weise mit ihr ausgesprochen. Nun war er arglos an die Thür gekommen, hatte, gewiß ohne böse Absicht, auf ihre Frage geantwortet und mußte sich nun wie ein ertappter Missethäter mit herben Worten fortschicken lassen, weil ein Anderer eine Stunde früher auf eine schnöde Art sie überfallen hatte!
Es war ihr so unerträglich, mit diesen Gedanken allein zu bleiben, daß sie ihr Kleid noch einmal überwarf, das Licht in die Hand nahm und in das Wohnzimmer ging. Am liebsten wäre sie zu seiner Kammer hinaufgegangen, um ihn zu bitten, ihre böse Stimmung zu vergeben und zu vergessen. Doch stand sie wieder davon ab. Sie wollte zu der alten Christel hinunter und einige Anordnungen treffen, die freilich keine Eile hatten, nur um noch eine Menschenstimme zu hören. Wie sie aber auf den Flur trat, erschrak sie. Walter saß im Finstern auf dem obersten Treppenabsatz, den Kopf in beide Hände gestützt. Ob er schlafe oder wache, errieth sie nicht sogleich, denn er regte sich nicht, als hinter ihm die Thür ging. Sie setzte das Licht auf den Geländerpfosten und war im Augenblick an seiner Seite, gleichfalls auf der Stufe niedersitzend. Da erst erhob er den Kopf und machte eine Bewegung, als wollte er fliehen.
Verzeih, sagte er, ich bin hier sitzen geblieben, ich weiß selbst nicht, wie es kam. Ich will aber nun gehen.
Bleib, ich bitte dich, sagte sie flüsternd. Ich bin froh, dich hier zu finden. Es ließ mir keine Ruhe, wie unfreundlich ich dich fortgeschickt hatte. Verzeih mir; der Tag hat mich so vielfach aufgeregt; ich hatte viel Schmerzen zu überwinden; nun hab' ich's an dir ausgelassen und du bist doch unschuldig an Allem.
Er blieb sitzen neben ihr, sprach aber kein Wort, sondern sah die dunklen Treppenstufen hinab.
Bist du mir wirklich böse? fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. Nie – niemals! sagte er trübsinnig.
Was war's, das dich noch zu mir trieb? fragte sie nach einer Pause. Du hattest irgend ein Anliegen, ich sah es dir am Gesicht an; ich war nur im Augenblick so in meine eigenen Angelegenheiten vertieft, daß es mich hart und gleichgültig machte gegen alles Andere. Wirst du mir's nun anvertrauen?
Was kann es helfen? warf er ein. Ich werd' es früh genug erfahren.
Was?
Er schwieg. Erst als sie sagte: So muß ich glauben, daß ich dich dennoch böse gemacht habe! – sagte er halblaut und das Gesicht von ihr wegwendend:
Ist es wahr, daß du den Notarius heiraten wirst?
Ein wunderlich süßes Gefühl durchzuckte sie bei dieser Frage. Sie lachte, wie man wohl lacht, wenn man mit sich allein ist und plötzlich sich eines alten seligen Augenblicks, einer Siegesstunde, eines kecken Jugendstreiches entsinnt. Was sie plötzlich so freilich machte, wußte sie selber nicht.
Wie kommst du auf so närrische Dinge? fragte sie, ganz in den alten Ton, der sonst zwischen ihnen herrschte, wieder einlenkend. Du weißt, ich heirate nie. Wenn man einen großen Sohn kaum erst aus dem Gröbsten heraus erzogen hat, bleibt einem keine Zeit an andere Menschen zu denken. Und es wäre auch Niemand damit gedient, wenn ich ihm solch ein ungeberdiges Stiefkind mit ins Haus brächte. Wer hat dir nur diese Grillen in den Kopf gesetzt?
Er sagte es ihr. Dann schwiegen sie beide und sahen vor sich hin. Nein, mein Junge, sagte sie endlich mit einem seltsam feierlichen Ton. Ich verlasse dich nie um eines Andern willen. Ich habe kein Opfer dabei zu bringen, und du bist mir gar nichts dafür schuldig. Denn ich müßte erst mein eigenes Herz in Ketten und Banden legen, wenn ich mir ein Leben schaffen wollte, in dem du nicht die Hauptsache wärest. So ist es seit vielen Jahren gewesen und so wird es wohl bleiben bis ans Ende, nur daß für dich freilich eine Zeit kommt, wo deine kleine Mama nur noch auf das Pflichtteil deiner Gedanken und Gefühle Anspruch hat und noch sehr zufrieden sein muß, wenn sie nicht überhaupt wie ein altes aus der Mode gekommenes Möbel in die Rumpelkammer der Erinnerung verbannt wird. Sage nichts dagegen! Ich weiß, was ich zu erwarten habe; aber wer Mutterpflichten übernimmt, darf nicht zuerst an sich selber denken; es geht allen Müttern nicht viel anders, und zuletzt müssen sie gute Miene machen. Also schlage dir alle Sorge aus dem Sinn. Noch habe ich dich und du mich und nichts soll zwischen uns kommen, so lang es von mir abhängt. Darauf hast du mein Wort und meine Hand; – und nun laß uns Schlafen!
Sie erhob sich und er, mechanisch, stand ebenfalls auf. Wie sie auf der obersten Stufe stand und er einige Stufen tiefer, reichte sie dem langen Menschen bequem an die Stirn. Sie legte sanft ihre Arme um seinen Nacken. – Du mußt dir die häßlichen Runzeln nicht angewöhnen, sagte sie zärtlich. Sie kleiden dich schlecht, und wahrhaftig, du hast keine Ursache, wie ein alter Griesgram ins Leben zu blicken. Wer so verzogen wird, der kann lachen! Fort mit den altklugen Falten, und nun – gute Nacht, mein Junge!
Sie küßte ihn leise auf die Stirn, fuhr ihm noch einmal mit der Hand über das dichte Haar und huschte, das Licht mit fortnehmend, in ihr Zimmer zurück.
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