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Der mongolische Dajantschi, der Selbstversenker, ein buddhistischer Heiliger – das Kloster Dschalchensen Gägän auf zackigen Berggipfeln hat ihn gesandt, das Wesen des »Großen Chan« zu ergründen – der Buddhist sitzt auf dem Fußboden der Jurte. Ein Ebenbild des lebenden Buddha. Ein Steinbild, dem Atem und Leben entflohen scheint. Die Augen geschlossen, den Körper erstarrt in Selbsthypnose. Die tiefen Augen spiegeln weltferne Ruhe.
»Ich sehe ein Land,« sagt er, singt er monoton vor sich hin. Der Tonfall seiner Stimme erinnert an das gleichmäßige Schwanken der Karawanen, die über den Kölön Daba ziehen. An den Choralgesang der Mönche erinnert seine Sprache. »Ein fernes Land sehe ich,« fährt er fort, »mit seltsamen Türmen und einem großen Fluß mit vielen bewaffneten Männern. Deine Sehnsucht ist dort. Aber du wirst dieses Land – du wirst dieses Land –«
Er macht eine Pause. Seine Zuge sind gequält. Sein hellseherischer Geist sucht das Gestrüpp der Geheimnisse mühsam zu durchdringen.
Vor ihm, nach mongolischer Art, sitzt der »Große Chan«. Der Fürst. Von draußen her dringt Lärm. Waffen klirren. Hier ist die Front gegen die roten Soldaten Trotzkis. Der Fürst lauscht. Seine Augen suchen den Boden. Die Verschnürung seines Rockes zittert leise. Sonst mahnt auch bei ihm keine Bewegung an Leben.
Er glaubt an Wahrsagen. Diese buddhistischen Mönche verstehen viel, was europäischer Geist nicht zu fassen vermag. Er hat es so oft erprobt. Todesahnungen durchschütteln ihn.
»Du wirst dieses Land nicht wiederfinden – und doch wirst du es schauen,« klingt jetzt die dunkle Prophezeiung des Priesters auf. »Aber ganz nahe züngeln die Schlangen. Um dich ist der Tod. Verrat und Vernichtung. Und die Feinde der Menschheit werden dein Land überschwemmen und sengen und morden. Vergeltung! Chan! Vergeltung!«
Der Fürst springt auf.
»Vergeltung!« sagt er dumpf. »Was habe ich anderes getan als Manneszucht gehalten und die apokalyptischen Reiter bekämpft mit Feuer und Schwert?«
»Deine Generale,« antwortet der Mongole. »Deine Generale, Herr!«
»Was ist's mit meinen Generalen?« fragt der Fürst unsicher. Aber keine Antwort kommt. Manche Erinnerung quält den Befehlshaber ... Er weiß um vieles, was in seinem Namen geschah. Er konnte es nicht mehr hindern. Zu spät erfuhr er stets die Greuel: Sie haben Menschen lebendig gebraten im Schauer ihres gigantischen Hasses. Sie haben gewürgt und geschändet und gewütet wie die Wölfe, seine Generale. Keine Antwort von dem Priester. Er ist erwacht und blickt mit unklaren Augen um sich. Die Wache ist eingetreten.
»Oberst Freyberg,« sagt der Adjutant, ein finsterer Kosak, der Semenow entlaufen ist.
Ein hochgewachsener, ehemaliger deutscher Offizier tritt ein.
Der Fürst eilt ihm entgegen. Unhörbar entgleitet der Mongole.
Sie sind allein.
»Verstehen Sie russisch, Fürst?« sagt der Oberst. Der Fürst klatscht in die Hände. Die Ordonnanz bringt Erfrischungen, Zigaretten.
Der deutsche Offizier sieht ihn scharf an. Das Haar des Fürsten ist dunkel. Seine Augen sind blau, seine Backenknochen stark.
Ein Wolgadeutscher, denkt der Oberst.
»Sprechen Sie russisch, mongolisch, englisch, deutsch – ich verstehe jede Sprache,« sagt der Fürst.
»Auch deutsch?« Freyberg bedient sich seiner Muttersprache.
»Der Ataman sendet mich,« beginnt er dann, nachdem sie beide auf Stühlen Platz genommen haben.
»Semenow,« nickt der Fürst. Keine Miene verrät, wie er zu dem herrschsüchtigen Kosaken steht.
»Ich habe den Umweg durch Ihr Land gewählt, Fürst. Ich befinde mich nämlich auf der Reise nach Europa.«
Die Augen des »Chan«, immer halb geschlossen bei Unterhandlungen, werden jäh wach. Doch schnell beherrscht er sich.
»Europa!« sagt er nur. Und schweigt wieder.
»Ja. Berlin ist mein Ziel. Die Wilhelmstraße. Kennen Sie Berlin, Fürst?«
»Ich kenne fast alle Städte Europas, Oberst.«
»Ich gehe in geheimer Mission. Der Ataman will von den Deutschen als regierender Fürst anerkannt werden!«
»Was bietet er?«
»Unterstützung der deutschen Interessen.«
»Und welche Interessen hat Deutschland heute noch am Baikalsee?«
»Semenow braucht Munition. Er glaubt – und ich teile seine Ansicht – daß er in diesem Wetterwinkel, von Deutschland anerkannt, dem ganzen Mitteleuropa wertvolle Dienste wird leisten können.«
Der Fürst lächelt.
»Und deshalb –«
Der Oberst erhebt sich. Er ist durchdrungen von den Plänen dieses unternehmungslustigen Atamans. Er ist sogar jetzt noch der Meinung, die Heere der Bolschewiki, wilde Arbeiterbataillone, würden eines Tages in alle Winde auseindergetrieben werden. Neue Heere würden von der Entente aufgestellt. Ein neuer Zar werde einst wieder einziehen in Petrograd oder Moskau.
Der Fürst beurteilt diese roten Bataillone, die Koltschak und Denikin besiegt haben, und mit denen er Tag und Nacht in wilden Gefechten liegt, vorsichtiger.
»Die Engländer zogen ab,« fährt der Oberst fort. »Obgleich in Baku schwarzes Gold liegt.«
Er macht eine Pause. »Petroleum,« sagt er beinahe ehrfürchtig.
»Ja, die Deutschen wollen auch das schwarze Gold. Ludendorff hat es gesagt. Darum die verzweifelten Versuche, Öl aus Baku zu holen, das die türkischen Verbündeten ausplünderten.«
»Erstaunlich, wie Sie in alles eingeweiht sind,« sagt Freyberg in ehrlichem Erstaunen.
»Weder die Engländer noch die Italiener noch die Deutschen werden das Öl in Baku bekommen,« fährt der Fürst fort.
»Glauben Sie denn an einen Sieg der Sowjet?«
»Er ist vorausgesagt. Alle Verkündungen der Priester hier lauten dahin: Der Rote Teufel wird Asien überschwemmen.«
»Weissagungen,« erwidert der Oberst wegwerfend.
Der Fürst schweigt.
»Werden Sie den Kampf fortsetzen, Fürst?«
»Ich folge meiner Bestimmung. Ich werde die rote Flut hier aufhalten. Bis zum letzten Mann.«
»Wir auf der rechten Flanke werden Sie nicht preisgeben, Fürst, auch wenn kein offizielles Bündnis, nicht einmal Freundschaft zwischen Ihnen und Semenow besteht.«
»Hoffen wir es,« erwidert der Fürst lächelnd. Er wünscht dem Oberst Glück bei seiner Mission. Er selbst sieht keine Ursache, Abgesandte nach Deutschland zu senden. Nur die Waffe kann Anerkennung schaffen. Deutschland hat andere Sorgen als die Anerkennung der letzten Armeen, die die Rote Front aufzuhalten versuchen.
»Noch eins« sagt der Oberst. »Die eigentliche Ursache meines Besuches. Mich bindet Waffenbrüderschaft an Sie. Asiatische Diplomatie liegt mir nicht. Ich bin hier, Sie zu warnen. Man will Sie stürzen. Sie haben sieben Anhänger des Ataman in Ihre Armee übernommen. Als Offizier muß ich Ihnen sagen, daß Sie knapp vor dem Untergang stehen.«
Der Fürst hebt ruckartig den Kopf. Sein Blick bohrt sich in die Augen des Deutschen. Der legt die Hand an die Mütze und schaut ihn fest an. Ein melancholischer Schatten fliegt über das Gesicht des »Großen Chan«.
»Ich danke Ihnen, Herr Oberst.«
Gleich darauf reitet Freyberg fort, begleitet von einer Eskorte bis an die Zähne bewaffneter Kosaken.
*
»Sind das Gewehrsalven?« fragt Christine.
»Ein Gewitter,« antwortet der General. Er ist noch immer jung, dieser General Colombi. Die Generale, die in den Schlachten zwischen ›Weiß‹ und ›Rot‹ im Kaukasus und an der Pforte der Mongolei gemacht werden in Aufständen, Blut und Dreck, sind manchmal halbe Knaben noch.
»Die Macht des Fürsten wird in dieser Nacht ins Nichts gleiten,« sagt Colombi plötzlich.
Christine steht in granatfarbener Seide wie ein Rembrandtbild in dem matt erleuchteten Zimmer. Dieser Raum ist kriegerisch, köstlich satt von Farben. Dekoriert mit Beute und Ruhm. Halb europäisch, halb asiatisch. Da und dort sieht man in den Wänden elektrische Drähte verschwinden. Der chinesische Tisch ist mit Früchten, Gebäck und Silber beladen. Christine stützt eine Hand darauf. Ihre sichere, weiße, blaugeäderte Hand. Lauscht eine Weile schweigend, im Innersten bebend und voll Glut, den Worten Colombis.
Er lächelt. Er ist schlank, stattlich, gepflegt. Sein Lächeln ist düster, sinnlich, listig. Seine Augen liegen auf ihren leuchtenden Schultern, die ungehemmt und kühn sich wölben.
»Und die Mongolen? Und die Kosaken?«
»Die Kosaken! Die wissen nie, zu wem sie stehen sollen. Die wollen längst nach Hause, in ihre Dörfer. Sind kriegsmüde. Sie werden sich mit vollendeten Tatsachen abfinden. Ich habe sieben Offiziere des Ataman Semenow für mich. Sie wissen, Gräfin? Semenow, der einstige Verbündete Koltschaks. Der in Werschne Udinsk residiert und den ›Fürsten‹ haßt. Weil er aufrührerische Leute von ihm erschießen ließ und die Hand seiner Schwester ausschlug. König will ich werden! König von Urga! Königin Christine – klingt das nicht an ruhmreiche, schwedische Geschichte an, Steppengazelle?«
Er küßt ihren Arm, rasch, als müßte er mit Minuten geizen, als scharrten die Pferde schon vor dem Palast. Ehedem residierte in diesem jetzt burgartig ausgebauten Haus der »Kutugta«. Der oberste Priester der Buddhisten der Mongolei. Seit 1604 ununterbrochen »Statthalter Gottes«.
Es ist Sommer. Die Fenster stehen offen. Der Mond leuchtet, die Sterne funkeln, der Himmel atmet schwer und dunkel.
Weit schläft das Land. Die Straße nach Peking windet sich über die Berge. Trotz der 1300 Meter Höhe ist das Land voll Fruchtbarkeit, die froh macht und glücklich. Die Tage sind atemlos von Glut und Sonne. Die Nächte sind unruhig wie die Kirgisenpferde, die nicht einmal das Alter bändigen kann. Es ist ein ewiges Schlagen, Klirren, Wiehern. Der leise Wind trägt das Geräusch von Wodka, Mongolengesängen und feuchten Kosakensätteln ins Zimmer.
Cesare Colombi erzählt:
»Ich habe alles wohl vorbereitet. In dieser Stunde wird er im Lager umstellt. Ehe er zur Besinnung kommt, ist er gefangen.
Morgen kräht kein Hahn mehr nach dem ›Großen Chan‹. Dem König in der Mongolei! Ein Ataman weniger, was fragen die Alliierten darnach!«
Cesare lacht durch die geschlossenen Zähne. Man muß Blut sehen können heute. Und fechten können. Nicht träumen! Die Kanaille Mensch gehorcht nur der Peitsche. Der Nagaika und den Säbeln. Der Ataman Petljura hat nicht weniger als hunderttausend Juden in der Ukraine schlachten lassen. Nur so: um Schrecken zu säen. Jetzt sitzen in Kiew die Bolschewiki und schnauben Wut und Blut und Hinrichtungen.
Ströme von Blut durchrinnen noch immer Rußland. Das »Mütterchen« ist geschändet und blutet aus tausend Wunden. Das Land zittert wie die Flanken eines gehetzten Pferdes – Königreiche sind jetzt billig. Man kann sie überall kaufen und mit fremdem Blut bezahlen.
Cesare tritt ans Fenster. Die Augen Christines hängen mit einem sonderbaren Ausdruck an seinem schmalen Rücken.
»Man sieht Ihnen an, daß Sie russischer Offizier gewesen sind,« sagt sie.
Er wendet sich langsam um.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Nichts. Ich fürchte, Sie werden nicht die lastende Faust eines Petljura haben. Man muß ein Kalmück sein wie Lenin, unerbittlich, oder ein Soldat wie Koltschak war. Fanatisch, primitiv.«
»Man kann beides sein – und Diplomat. Von der Kunst der Diplomatie wird es abhängen, ob sich hier zwischen der Mongolei und den Räuberbanden der Bolschewiki ein unabhängiges Königreich wird halten können. Man muß handeln wie Machno. Man muß es mit allen halten. Heute rot, morgen weiß!
Horchen Sie!
Man schießt!«
Er reißt die Fenster auf. In der Ferne ist das Geknatter von Gewehren. Dann wird es still.
»Der Fürst hat aber gefährliche Freunde,« sagt Christine nach einer Pause. »Tschangkaischek –«
»Der chinesische General? Der studiert bei ihm Strategie – scheinbar. Ein Anhänger Sun-Yat-Sens. Er möchte den Fürsten als Generalstabschef für den kommenden Bürgerkrieg in China. Sun-Yat-Sens General möchte die chinesischen Bauern befreien. Will Chinesen, Mandschus, Mongolen, Mohammedaner, Tibetaner zu einem Reich verschmelzen. In Wirklichkeit ist Tschangkaischek Kommunist. Bolschewik! Vorläufig machtlos. Nicht zu fürchten.«
Christine nippt von dem Tee. Auch die sonderbare mongolische Speise, ein Gemisch aus den Samenkörnern einer Grasart, mit Butter vermengt, kostet sie.
Er betrachtet sie. Diese Abenteurerin, die mit dem letzten amerikanischen Waffentransport an die Grenze der Welt gekommen ist. Gräfin Kusmetz hat das Blut Karls XII. Durch starke Generationen verfeinert, zur Vollendung gereift. Eine Weibesfrucht von Duft und Reiz. Schmales Oval, aus venezianischem Goldnetz schimmernd, das kaum die Flut der Haare bändigt. Ein Bild in Schlankheit, Sicherheit, Adel. Ihr Lächeln berauscht wie einst. Colombi betrachtet mit seinem unruhigen Blick ihre Hände. Wie Pfirsichblüten liegen sie ihr im dunklen Schoß.
»Was für ein seltsamer Mensch ist dieser Fürst!« sagt sie, wie aus einem Traum erwachend.
Cesare lacht.
»Er jagt heute Menschen, morgen Tiere, liest, grübelt über Verfassungen und Volksrechte und schreibt ganze Nächte hindurch Proklamationen an seine Soldaten. Doch warum die köstlichen Stunden mit Gesprächen vergeuden, die versickern?«
Sie legt das Haupt zurück. Aus weißen Krausen spannt sich ihr kräftiger Frauenhals. Locken und zärtlicher Flaum rahmen ihn.
»War es nicht gefährlich, mich eben jetzt zum Tee zu laden?«
»Sie kamen. Wiegt solche Gunst nicht die Gefahr auf, die ich verspotte?«
Ihr Mund kräuselt sich. »Gunst? Die Männer denken immer persönlich. Die merkwürdigsten Handlungen der Frau entspringen aber der gleichen Quelle. Frauen sind neugierig.«
»Sie glauben nicht an meine Zuneigung? Mein Werben läßt Sie auch heute noch kalt? Obgleich nun Jahre vergangen sind?«
Das Lächeln Christines erlischt. »Hat Sie der Fürst nicht über mich ausgefragt?«
»Nein. In Privatsachen ist er schweigsam, so sehr er mir vertraut. Und der Fürst hört keine Spione an.«
»Das spricht für sein Selbstgefühl.«
»Aber nicht für seine Sicherheit.«
Der Wind fegt durch die tiefgelegenen, winkligen Gassen und Gäßchen, in denen sich Jahrhunderte verträumt hatten. Colombi hat in der letzten Woche die Boten der Bolschewiki abgefangen und hinrichten lassen. Er will mit Moskau brechen. Noch aber sollen sie seine wahren Absichten nicht ahnen.
Er nähert sich wieder Christine. Sie ist aufgestanden. Ein Spiegel wirft gespenstisch ihr Bild in Rot zurück.
Er ergreift ihre Hand. Seine Züge werden straff. So sieht ein mittelalterlicher Kondottiere aus, dem die Welt sich entgegenbreitet. »Gräfin, wie oft muß ich Ihnen wiederholen, daß das Leben zwecklos bleibt für mich ohne Sie? Was verlangen Sie von mir? Ich liebe Sie, Sie wissen es. Ich kann nur mit Ihnen leben oder sterben für Sie.«
Sie hört über die runden, leise zitternden Schultern. Ohne sich umzuwenden, antwortet sie: »Sterben für mich?«
»Ja.«
»Mein Herz erschließt sich nur mehr einem Mann, der stärker ist als alle anderen.«
»Ich weiß: Dies Herz, das einst so heiß für Michael schlug.«
Sie wendet sich langsam um. Sie ist totenbleich. Das Licht wird trüb. Sturm rüttelt an den Fenstern. Ihre Augen sind rätselhaft groß, die Brauen fliegen hoch und drohend darüber hin.
»Warum sind Sie in Urga?« fährt Cesare fort. »Nicht als Journalistin für die Amerikaner, wie Sie den Fürsten und mich glauben machen. Führt Sie etwa der rote Stern Rußlands nach Urga?«
Sie öffnet erstaunt die Lippen. »Wie soll ich das verstehen?«
»Daß Sie alle Brücken hinter sich abgebrochen haben und für irgend eine Idee kämpfen.«
Sie schaut Colombi ruhig an.
»Wissen Sie das? Dann dürften Sie es nicht verschweigen.«
»Ich liebe Sie!« Aber ihre stolze Hand hält ihn zurück. Sie schweigen und lauschen in die Nacht.
*
Der Fürst ist an der Front.
In einer Jurte mitten im Lager herrscht Geschrei, Gelächter wiehert auf. Dazwischen schrille Schreie. Die Soldaten draußen rühren sich nicht. Über ihren Häuptern baumeln zwei arme Juden an einem Baum.
Man hat sie gefangen und ohne Urteil gehängt. Wer hier gefangen wird, den hängt man. Ist er ein Jude, wird er gefoltert, bis der letzte Todesschrei seine Qual beendet.
Wieder schrille Schreie aus der Jurte. Wieder Gelächter.
Die Soldaten springen auf. Der Fürst, gefolgt von seiner mongolischen Leibwache, nähert sich.
Diese Leibwache: Nordmongolen, Chinesen, einige Deutsche, ist der Schrecken des Landes. Eiserne Manneszucht hält sie zusammen. Sie geht für den Fürsten durchs Feuer. Abergläubische Verehrung für den geheimnisvollen Führer verleiht den Mongolen hündische Treue.
Die Leibwache umstellt die Jurte.
Noch ist es Nacht.
Der Fürst tritt ein.
Die Sieben, die immer einen Kreis für sich bilden, lassen ein Judenmädchen auf dem Tisch tanzen. Der nackte Körper glüht von flachen Säbelhieben.
Das Gröhlen verstummt. Die Offiziere springen auf aus Rausch und Wollust.
Ein Wink des Fürsten. Das blutende Weib wird in Mäntel geschlagen. Verliert die Besinnung.
Der Fürst steht stumm. Nur die Kinnbacken mahlen.
»Ich habe befohlen, keine Weiber mehr einzubringen. Folterungen werden mit dem Tode bestraft. Wer ohne Urteil Gefangene hängt, wird erschossen!«
Die Geistesgegenwärtigen haben sofort verstanden, daß jetzt Leben und Erfolg nur durch schnelles Handeln gerettet werden können.
Schüsse peitschen. Zwei Mongolen, die den Körper ihres Herrn deckten, sinken zu Boden. Die den Sieben ergebenen Soldaten stürzen von außen gegen die Jurte. Aber schon hat auf einen Wink des Fürsten die Leibwache gefeuert. Der Kampf ist kurz. Vier Aufrührer sind tot. Die letzten drei werden mühelos überwältigt. Eine Salve kracht in den regellosen Haufen hereinstürzender Soldaten.
Das ist das schnelle Ende des wohl vorbereiteten Aufstandes. Wie ein Manu eilen die Bataillone auf ihre Sammelplätze. Die Trommler schlagen Alarm.
Die drei Gefangenen werden in die Jurte des Fürsten geschleift.
»Folterungen von Menschen habe ich verboten,« wiederholt er. »Aber Tiere, die tollwütig sind, schont man nicht.«
Mit einem Ruck liegt die schwere Peitsche in seiner Hand.
»Wer hat euch geführt? Wem dient ihr?«
Schweigen.
Die Adern auf der Stirn des Fürsten springen vor.
»Also hat euch Semenow gedungen?«
»Nein!« schreien die drei.
Den einen wirft ein Peitschenschlag zu Boden. Blut rinnt aus dem aufgeschlagenen Schädel.
»Wer?«
»Der Kanzler!« gesteht beim zweiten Hieb der Jüngste.
»Cesare Colombi?«
»Ja.«
Eine Handbewegung des Fürsten. Man stößt die drei hinaus.
Offiziere versammeln sich in Eile auf dem großen Platz, wo die Kolonnen Ausstellung nehmen.
In der Ferne zieht der Morgen herauf über Urga.
Zwei Minuten Beratung in Gegenwart des schweigenden Fürsten.
Dann dreimal fünf Mann:
»Feuer!«
Ein großes Grab nimmt sieben Freibeuter auf.
Kommando. Dumpfer Trommelwirbel. Der Fürst marschiert mit der Leibgarde und einigen Eskadronen Kavallerie nach Urga.