Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Lichte Wolkenschleier, von Nachtlüftchen leise getrieben, zogen vor dem Monde vorüber. Er schien voll und freundlich auf mein Lager, auf dem ich, ohne Schlaf und Ruhe zu finden, mich ausgestreckt hatte, und mit meinem tückischen Geschicke bitter schmollte.
Mein ganzes Jugendleben hindurch hatte ich mit Armuth und Entsagungen aller Art gekämpft. Auf der Schule verdiente ich durch Unterricht in der Musik, und durch das, aller Verwünschung werthe Singen im Chor auf den Straßen, meinen knappen Unterhalt; durch einige kärgliche Stipendien aber ward es mir möglich, nach dem Tode der Eltern, auf der Akademie die Rechts- und Kameralwissenschaft zu studiren. Die Collatoren dieser beiden Stiftungen ließen mich auf tausendfache Weise die Wohlthat dieser Unterstützungen weit über ihren Werth fühlen, und suchten alles hervor, um sich in meinen Augen wichtig zu machen. Diesem ging ich zu geputzt, Jenem verwendete ich zu wenig Aufmerksamkeit auf mein Äußeres; der eine klagte über meinen Mangel an Sitzfleisch, während der andere mich einen Stubenhocker nannte. So machte ich es keinem recht, und jeder hielt mich in drückender Abhängigkeit, die ich, aller anderen Hilfmittel und Aussichten beraubt, geduldig ertrug; und ich bückte mich vor meinen sogenannten Wohlthätern, als wären sie die alleinigen Götter meines Glücks.
Meine akademische Laufbahn war beendigt. In der ganzen Welt keinen Freund, stand ich allein, ohne Hoffnung, ohne Muth. Nicht das Entbehren – denn oft schmeckte mir auf dem einsamen Spaziergange ein Trunk Quellwasser erquicklicher, als meinen reicheren Universitätsgenossen ihr, durch das Gift des Bleizuckers, zum Nierensteiner erhobener Landwein bei ihren schwelgerischen Trinkgelagen, – nicht das Entbehren, aber die Unzartheit der Menschen gegen die Mittellosen, ihre schamlose Dreistigkeit, sich gegen diese Alles zu erlauben; die natürlich daraus entstehende Erbitterung gegen das ganze Menschengeschlecht und die Muthlosigkeit, der Mangel an Selbstvertrauen – das ist der Fluch der Armuth.
Vier Thaler und zwanzig Groschen in der Tasche, sah ich in die große, weite Welt hinein, und hatte auf die Frage, was nun aus mir werden sollte, keine Antwort. Der lustige Studententrost: der alte Gott lebet noch, fing an in meiner Brust zu verklingen, denn einen Monat hatte ich allerhöchstens noch zu leben, dann war ich am Rande.
Bst, Bst! rief es am nächsten Morgen, auf der Marktstraße, aus einer Bude heraus; ich sah mich um, und eine kleine dicke Frau winkte hinter der Brustwehr ihrer aufgethürmten Schnittwaaren und bat, näher zu treten.
Sie nehmen nicht übel, liebes Herrchen, hob sie freundlich an: da hat mir meine Schwester aus Käferlingen geschrieben, – sie gab mir den Brief – ich soll dem Schwager einen geschickten Juristen besorgen. Lieber Gott, ich habe dazu keine Zeit und kein Geschick, und meine beiden Herren Studenten, die bei mir wohnten, und die ich wohl darum hätte befragen können, haben gestern schon ihre Ferienreise angetreten. Ich wohne Ihnen gegenüber, in dem gelben Hause von drei Fenstern, Sie werden darauf nicht Obacht gehabt haben, aber ich sehe Sie immer bis tief in die Nacht hinein sitzen und studiren, und Ihre Frau Wirthin, die gute Madame Birkhaus ist meine Gevatterin, die kann Sie immer nicht genug rühmen, da habe ich Vertrauen zu Ihnen gefaßt und mir das Herz genommen, Sie um die Gefälligkeit anzusprechen; und wissen Sie jemand, der für das Haus paßt, so thun Sie mir die Liebe, und –
Sie ließ sich mit redseliger Marktgesprächigkeit noch eines Breiteren aus; aber ich las den Brief ihrer Schwester, und hörte auf den Budenpapagai nicht.
Aus dem Schreiben vernahm ich, daß die Käferlinger Schwester an einen dortigen Advokaten verheirathet war, der sich, wie aus mehrern hingeworfenen Äußerungen hervorging, in recht sehr guten Umständen befinden mußte.
Den Benjamin, schrieb die Briefstellerin unter andern: mußten wir abdanken; tausend dumme Streiche hat er schon gemacht, und mein armes Stümperchen bald halb todt geärgert; neulich ist der Benjamin ein bischen pressirt, da schüttet er, statt des Streusandes, die Dinte auf seine Schreiberei; vor ihm steht Stümperchen, und so fließt diesem die ganze Bescherung auf die pfirsichblüthenen Plüschhosen, die er unglücklicherweise anhatte, weil wir eben zu Vice-Ober-Rentschreibers zur Kindtaufe gehen wollten. Ich denke, Stümperchen rührt der Schlag auf der Stelle; die Dinte war durch und durch gegangen; das sah alles aus, wie die Zerstörung Jerusalems; und acht Tage lang haben wir geseift und gewaschen, gerieben und gerumpelt, ehe Alles wieder in Ordnung kam; das hätten wir aber am Ende doch noch hingehen lassen, denn Stümperchen konnte den Menschen ganz vorzüglich brauchen, und die getränkten Plüschmodesten waren schon über achtzehn Jahre alt; doch da entdeckten wir auf einmal, daß Gundel und Benjamin so eine Art von Verständniß mit einander hatten. Beim Federschneiden hatte sich die Pastete angefangen, wie mir nachher das Mädchen gestand. Da mußte Benjamin Knall und Fall fort, und nun haben wir keinen an seiner Stelle. Stümperchen wollte nun an den alten Vetter, an den Professor Kneiper schreiben, daß er ihm einen andern heraus schicken solle, aber Du weißt ja, wie die Männer sind; wenn der, den sie recommandiren, nur recht arbeiten und büffeln kann, all das andere kümmert sie nicht; ich aber habe Rücksichten, höhere, und darum sagt ich zu Stümperchen, daß ich wegen des Mastochsens, den ich Dir diesen Herbst besorgen sollte, ohnehin an Dich zu schreiben habe, und daß ich da auf Benjamins Nachfolger gleich mit Rücksicht nehmen würde. Sieh liebe Schwester, unter uns gesagt, mir thut es Noth, vorzüglich wegen der Mutterpflicht. Die Gundel ist Dir heraufgeschossen, daß sie fast so groß ist, als ich selber; sie fängt an die Kinderschuhe auszuziehen, und ist gleich Feuer und Flamme, wenn sie, wie dieß im albernen Scherz heut zu Tage wohl zu geschehen pflegt, mit dem oder jenem aufgezogen wird, oder das Gespräch so zufallweise auf das Heirathen kömmt. Sieh liebe Schwester, darum muß der, denn wir in das Haus nehmen, mehr seyn, als ein bloßer Büffel. Er muß ein frommer christlicher Mensch seyn, und hinsichtlich des Frauenzimmers, wie Stümperchen sagt, ein Abstehnius.
Essen und Trinken hat der Mensch, den Du uns schickst, was des Leibes Nothdurft bedarf, und wenn er Lust hat zum Perfectioniren, so hat er bei meinem Manne die beste Gelegenheit dazu, denn mein Stümperchen mag nun seyn, wie er will, aber das muß man ihm lassen, in der Arbeit zieht er seinen Strang, und lernen kann jeder bei ihm, denn die Geschäfte gehen vom frühen Morgen, bis zur späten Nacht.
Ich wüßte, hob ich etwas verlegen an, und schaute meinem helfenden Posaunen-Engel in der Bude, über die unerwartete Hülfe, die er mir bot, halb verklärt in das Gesicht: ich wüßte wohl einen, der mit Freuden die Stelle annehmen würde, und für den ich, was die Mamsell Nichte, das Gundelchen betrifft, mit Leib und Leben stehen könnte, nur ist die Frage, ob er auch Ihnen gefallen würde.
Wenn Sie ihn empfehlen, sagte die marktschlaue Gewandte: so würde es kein Bedenken haben, und wenn er Ihnen gleich ist, setzte sie recht verbindlich hinzu; so schlage ich ohne Weiteres ein.
Ich bin es selbst, preßte ich mir mit niedergeschlagenen Augen ab, und die Dicke reichte mir die Hand und gestand, daß sie gleich beim Empfange des Briefes an mich gedacht und mit meiner Wirthin gesprochen habe, von dieser aber an mich selbst gewiesen worden sey.
Morgen geht die Post, sagte sie freundlich; für das Reisegeld werde ich sorgen; das Weitere überlassen Sie unserm Herr Gott.
Ich segnete seine erbarmende Vatergüte im Stillen, die aus einer von mir Jahrelang übersehenen Marktbude, mir Brot und Ehre so unverhofft gespendet hatte, und fühlte die Wahrheit des alten Wortes, daß der Herr auch in den Schwachen mächtig sey, nie lebhafter als jetzt.
Mein Prinzipal, der Advocat Knipps, von seiner Haus-Ehre, im Affect zärtlicher Schäkerei, Stümper genannt, empfing mich und das Empfehlungsschreiben der Schwägerin mit trockener Amtswürde. Die Frau, eine feurige Brünette von kaum vierzig Jahren, maß mich von oben bis unten, und ließ gegen den Mann, halb laut, einige belobende Anmerkungen über mein Äußeres gewogentlich fallen. Was aber Kunigunde, der siebenzehnjährige einzige Sprößling des Knippsischen Stammbaumes sagte und that, sah und hörte ich nicht, denn, um bey Vater und Mutter Vertrau'n zu gewinnen, richtete ich keinen Blick auf das Mädchen.
Beim Abendbrot, was eben aufgetragen wurde, erhielt ich einen Teller ziemlich dünner Wassersuppe so reichlich überfüllt, daß ihn der im Briefe meines Heils erwähnte Mastochse kaum würde haben gewältigen können; dann kam alte Henne mit Allerlei auf den Tisch; von dieser wurden mir die oberen Hälften der zwei Keulchen vorgelegt, die bekanntlich außer dem wenigen trockenen Fleische nichts als Knochen und Sehnen enthalten, und statt des Weines, den die Familie trank, setzte man mir ein Glas sehr stark getauftes Halbbier hin.
An sich war ich in meiner Armuth an nichts Besseres gewöhnt, und darum aß und trank ich mit dem Appetite, mit dem Gott in seiner Gnade die jungen Magen gewöhnlich segnet; allein die Zurücksetzung, die in dieser ganzen Weise lag, drückte mich unaussprechlich tief nieder. Die Liebe, der Enthusiasmus, womit ich in das Haus getreten war, das mir Beschäftigung und Lebensmittel gewähren wollte, und dem ich, im Feuer meines Jugendeifers, den redlichsten Fleiß, die treueste Anhänglichkeit im Stillen dafür gelobt hatte, sie erkalteten fast mit einem Male; doch – meinem armen Herrn Prinzipal ging es, wie ich jetzt sah, fast nicht viel besser. In die Brust und Flügel der Henne theilten sich Mama und Kunigundchen, letztere erhielt außerdem noch den Hauptleckerbissen unsers Soupers, das ungelegte gelbe Eychen, was sich in der Henne fand; das Gerippe sammt dem Hippauf aber fielen dem Herrn Knipps zu.
Dieser einzige Zug gab mir ziemliches Licht über das Verhältniß des Hauses. Stümperchen stand unter einem, mit grausamen Zwecken beschlagenen, schweren Pantoffel, und Gundelchen war der Abgott der Mutter.
Noch wußte ich nicht, wie Kunigunde aussah; bloß bis zum Halse ungefähr, hatte ich meinen Blick erhoben; und so viel ich von der Figur im Sitzen gewahren konnte, war alles wohl bestellt. Der Laut ihrer Stimme hatte für mich etwas recht Angenehmes, aber was sie sprach, wollte mir nicht recht gefallen.
Die Unterhaltung der drei Menschen drehte sich fast größten Theils um die Honoratiorenwelt von Käferlingen, und wenn doch nur ein Einziger darunter gewesen wäre, dem sie etwas Gutes nachzusagen gehabt hätten; am schärfsten war Kunigundens Zünglein. Sie ging erbarmenlos mit den Leuten um, und ließ ihrem schneidenden Witze zuweilen so die Zügel schießen, daß ich über ihre verwünschten Einfälle einigemale im Stillen selbst mitlachen mußte. Ich fühlte, daß das Mädchen unrecht that, aber, hatte mich ihre Gestalt, oder der Wohllaut ihrer Stimme, oder ihr sprudelnder Witz bestochen – die Männer sind jämmerliche Schwächlinge – ich konnte der Gundel nicht gram seyn. Bei der Erziehung, dachte ich, sie bei mir im Geheimen entschuldigend, – ist es ein Wunder, wenn das Kind noch so ist, wie es ist. Machte man es mit sanften Worten auf die Unthat aufmerksam, deren es sich gegen die Durchgehechelten schuldig macht, es würde bei seinem klaren Verstande den begangenen Fehler einsehen und sich bessern.
Den folgenden Morgen ward ich in meinen neuen Wirkungskreis eingeführt.
Herr Knipps war in einem weiten Distrikte von mehrern Meilen im Umfange, in dem reiche Gutsbesitzer und fette Bauern wohnten, der gesuchteste Advocat. Bei näherer Bekanntschaft ergab es sich, daß er einer der armseligsten Ignoranten war, aber er hatte eine Manier, sich in die Brust zu werfen, den Leuten durch ungemessene Lügen, von den prozessualischen Großthaten, die er geleistet, sich wichtig zu machen, und durch eine gewisse Art studirter Biederkeit ihr Vertrauen zu gewinnen, daß, wer besonders in Geldsachen und bei Käufen, Pachtungen, Vererbungen, Darlehngeschäften und dergl. eines Rechtsanwaldes bedurfte, zu keinem Andern, als zu Herrn Knipps ging. Vorzüglich bestürmten ihn die Bauern mit Aufträgen in Hinsicht der Unterbringung ihrer Gelder. Täglich brachten sie Geldsäcke geschleppt, und waren froh, wenn er ihre Hunderte, die er anderwärts, für seine Rechnung, zu 5 und 6 Procent unterbrachte, zu 3 Procent annahm, denn nur bei Herrn Knipps stand, nach ihrer Meinung, ihr bischen Eigenthum sicher.
Auf diese Weise, und kraft der doppelten Kreide, mit der er bei andern vorkommenden Geschäften liquidirte, schlug der Mann, der Beschränktheit seiner eigentlichen juristischen Kenntnisse ungeachtet, jährlich seine sieben, acht tausend Thaler zusammen, die er, unangerührt, an Mama Knipps überliefern mußte; diese führte damit unsere frugale Haushaltung und das beträchtliche Restchen legte sie für Gundchen zurück; daher denn, da Stümperchen seit länger denn zwölf Jahren also gearbeitet und gewirthschaftet hatte, die Sage des Städtchens, daß Gundel Knipps eine Parthie von 100,000 Rthlr. sey, wohl so ziemlich ihre Richtigkeit haben konnte.
Herr Knipps stellte mich seinem Amanuensis als den neuen – Schreiber vor.
Ich erstarrte vor Schreck, denn, um zeitlebens das essiggetränkte Kopistenbrot zu essen, hatte ich auf Gymnasium und Akademie meine Zeit nicht geopfert. Aber wo sollte ich für den ersten Augenblick gleich hin! Ich setzte mich auf das mir angewiesene Armesünderstühlchen, und fing nun, in meinen Hoffnungen furchtbar betrogen, die seelenlose Kopirarbeit an.
Mein weiteres Schicksal sollte ich unserm Herr Gott überlassen, hatte die Seelenverkäuferin in der Marktbude gesagt. Wie schwankend, – ich schäme mich Allwissender, jetzt vor Dir, dieses Bekenntnisses, aber der Unglückliche ist nur gar zu leicht geneigt, an der Hilfe von oben zu zweifeln, wenn sie nicht gleich im ersten Augenblicke sich ihm offenbart, – wie schwankend ward mein Glaube, als mir der Amanuensis, Herr Stremler, auf meine an ihn vertraulich gerichtete Frage, was mein Vorgänger an Gehalt bezogen, ein theilnehmendes Nichts! entgegnete. Herr Knipps, setzte er mit bitterem Gift über des Mannes abscheuliche Knickerei hinzu: gibt Ihnen die Sonn- und Feiertage frei, was Sie da kopiren, bezahlt er mit einem Groschen per Bogen extra; auch hat er nichts dagegen, wenn Ihnen hie und da einmal ein Client, als Zeichen seiner Erkenntlichkeit für Beschleunigung seiner Angelegenheiten, eine Kleinigkeit in die Hand drückt. Die freie Station, und besonders, wie er meint, die Gelegenheit, bei ihm viel zu lernen, bringt er gehörig in Anschlag. so erhalte ich, der ich fast seine ganzen Geschäfte von einiger Bedeutung, allein mache, doch nicht mehr als 12 Rthlr. monathlich. Sie haben studirt, höre ich; wenn Ihnen daran gelegen ist, das nicht zu vergessen, was Sie gelernt haben, so machen Sie, daß Sie bald wieder von hier fortkommen, denn hier sehen Sie nichts, als immer und ewig das Nämliche; Kauf- und Pacht-Kontracte, Darlehnverschreibungen und dergleichen; das machen wir Alles nach einem Leisten.
Dulden – ja es ist das Schwerste. In der ganzen Welt Keinen, der mir rathen, der mir helfen konnte, blieb mir nichts übrig, als mich zu fügen. Zehnmal faßte ich den Plan, mich den Unglücklichen anzuschließen, die in der neuen Welt ihr Glück suchten, oder den Betrogenen, die karavanenweise ihren väterlichen Heerd in Süddeutschland verlassen hatten, und sich nach Norden bettelten, um dort das vorgespiegelte Eden zu finden; aber in Amerika wie im Europäischen Norden brauchte man Ackerbauern, und keine Juristen! ich blieb also auf meinem Marterstuhle und kopirte.
Der Amanuensis, Herr Stremler, der gestern Abend zufällig außer dem Hause speis'te, war unser gewöhnlicher Tischgenosse.
War gestern auf dem Felde der Medisance mit hölzernen Eggen gearbeitet worden, so ging es heute Mittag mit eisernen; die stachlichste aber führte Herr Stremler, und das vornehmlich, wenn er der Mama oder Gundelchen etwas anhaben konnte. Er salzte Beide zuweilen mit der schärfsten Lauge seines sarkastischen Witzes ein, und brachte die Tod und Verderben sprühenden Batterien ihrer Verläumdungssucht gewöhnlich zum Schweigen. In der Regel nahm er sich der, unter ihrem Messer blutenden Opfer mit dem lebendigsten Eifer an, und endete zuletzt mit der Betheuerung, daß, wenn ihm die Aufgabe gemacht würde, eine ganz neue, recht martervolle Todesart für einen schweren Kriminal-Verbrecher zu erfinden, er früherhin sich immer gedacht hätte, einem solchen armen Teufel statt eines Bretblockes in eine Schneidemühle einspannen, und ihn so von unten herauf, in schmale Streifen zersägen zu lassen; diese mehr als kanibalische Idee aber sey gar nichts gegen den jetzt von ihm aufgeworfenen Vorschlag, den Sträfling ihren Händen zu überliefern.
Ich schlug, über Herrn Stremlers Freimuth erschrocken, die Augen auf die zähen braunen Hautlappen, die mir diesen Mittag vom Hammelbraten zugefallen waren, nieder, und fürchtete, daß sich nun von Seiten der Beleidigten ein schweres Donnerwetter erheben würde; diese aber lachten über den Einfall laut und nahmen ihn für eine Art Kompliment hin.
Im Verlauf des Gesprächs brachte Kunigunde die Rede auf einem Holzhändler aus einer Seestadt, der vor einiger Zeit sich hier aufgehalten, und ihr und ihren Gespielinnen darum zum Gegenstand des Gelächters gedient hatte, weil er entweder aus Angewohnheit, oder aus einer Art von Körperschwäche, immer mit tief niedergesenkten Augenliedern einher gegangen sey. Sie machte es ihm nach, wie er immer den Kopf zurück legte, um die Leute, die vor ihm standen, und mit ihm sprachen, beblinzeln zu können; und wie er bei seiner sehr bemerkbaren Vorliebe für ein hübsches Mädchengesicht, die Augenlieder, wenn er hörte, daß etwas Vorzügliches der Art in seiner Nähe sich befände, mit den Fingern in die Höhe zog, um die gerühmte Schönheit genauer zu beliebäugeln.
Ich konnte mir nicht helfen, ich mußte mitlachen; Herr Stremler zwar verwies uns das Lachen, und meinte, daß dieß bestimmt eine bloße Schwäche in den Augenliedern des armen Mannes war, der darum nicht unsern Spott, sondern unser Mitleid verdiene, aber, wenn ich mir den seestädtischen Holzmann dachte, wie er vor einem niedlichen Mädchen stand, und mit beiden Händen die ewig hinabgesenkten Augenl –
Was der Henker, am Ende lachte die Knippsische Gundel über mich selbst! denn wenn ich über ihre Geschichte unwillkührlich mit zu lachen anfing, wollte sie sich ganz ausschütten.
Ganz gewiß hatte sie mich zum Stichblatt ihres boshaften Witzes genommen; denn das war wahr, ich hatte, der Warnung der Schnitthändlerinn in der Bude gemäß, gestern Abend und heute Mittag, accurat so wie der holzmännische Seestädter, meine Augenlieder immer tief zur Erde hinabgesenkt, und das Mädchen im engsten Verstande des Wortes, noch mit keinem Auge gesehn; es konnte mir morgen begegnen, und ich wußte nicht, wie es aussah. Ich blinzte jetzt ein wenig nach ihr hin; den gestrigen Bekannten, den sehr weißen vollen Hals, fand ich wieder; noch ein kleines bischen höher hob ich den Blick, und gewahrte ein recht hübsch geformtes Kinn, dessen zartes Grübchen, von den Paar Sommersprossen, die in der Gegend da sichtbar waren, eben nicht entstellt wurde; aber weiter hinauf konnte ich diesmal nicht kommen, den Gundel mußte meine Augen an der Kletterstange ihrer Liebesreize gemerkt, und gesehen haben, daß ich immer höher klimme, und platzte jetzt vor Lachen gerade heraus, daß ich in der Angst meines Herzens alle heimlich errungenen Vortheile wieder aufgab und meine Augenlieder wieder auf das Brotrindchen niederdrückte, das ich aus lauter Verlegenheit und in der höchsten Zerstreuung fingerdick mit Salz überstreute und hastig verschlang.
Dem festen Vorsatze, Vater und Mutter, wegen meiner, im Verhältniß zu ihrer Tochter, nicht in die geringste Unruhe zu versetzen, getreu, kam ich, einiger verstohlner Versuche, dem Mädchen gerade einmal in das Angesicht zu schauen, ungeachtet, um keinen Schritt weiter.
Eines Mittags aß Herr Stremler außer dem Hause. Vor meinem Kouvert stand wider alle Gewohnheit ein Weinglas. Der Anblick freute mich; wahrscheinlich hatte man Herrn Stremlers Recht, dessen tägliches Deputat zwei Gläser waren, heute einmal auf mich übertragen. Ich hatte gerade eine wahre Lüsternheit auf das theure Rebenblut, und ich schämte mich fast meines heimlichen Entzückens, als nach der Suppe Herr Knipps die Flasche entpfropfte, und sich sein Glas einschenkte; die rothen Medock-Perlchen zerplatzten tanzend, und eben so hüpfte mir das Herzblut über den Feiertaggenuß, der mir heute so unerwartet als willkommen war; jetzt kam die Reihe an das Glas der Mama, dann an das von Gundelchen, und zuletzt an mei –
Nein ich bekam nichts.
Mama Knipps schimpfte das eben eintretende Dienstmädchen einen Stroh- Schaaf- und Kalbskopf über den andern, fragte, ob sie oder das Mädchen hier Herr im Hause wäre, nannte es eine impertinente Eselei, daß man mir ein Weinglas hergesetzt habe, und empfahl dem Mädchen, das etwas zu seiner Rechtfertigung hervorbringen wollte, nicht zu mucksen, und den Augenblick zur Thür hinauszugehen, wenn es nicht das vermaledeite Glas gleich an den Kopf haben wolle.
Mir war schon beim ersten Worte aller Appetit nach dem bischen Weine vergangen; ich schmeckte nichts als bittere Galle und Wermuth im Munde.
Ich habe das Glas hingesetzt, hob Kunigunde an, es ist in Gedanken geschehn; da es aber nun einmal da steht, so schenken Sie es auch ein, lieber Vater.
Der Vater that, wie sie gebot, und ich scharrte, in der höchsten Verlegenheit, an wen ich meinen Dank richten sollte, ohne aufsehn zu können verbindlichst mit beiden Füßen unter dem Tische.
Auch das zweite Glas, zufolge des dem Herrn Stremler ausgesetzten Deputats, schenkte mir der Vater ein, und Kunigunde, welche, wie sie versicherte, Kopfschmerzen hatte, und darum heute nicht viel Wein trinken wollte, schenkte mir, das ihr zugekommene dritte, selbst ein.
Ich versicherte, mit dem Blicke auf die sehr weiße kleine, aber auch wieder mit einigen Sommersprossen bedeckte Hand meiner Hebe, daß es mir zu viel werden dürfte; da sie aber, mit dem Schmeichellaute ihrer Stimme, die freundliche Überzeugung äußerte, daß ich ihr gewiß kein Körbchen geben, sondern ihren Wein auf ihre Gesundheit trinken würde, so goß ich den rothen Opferwein, in die, vor unbeschreiblicher Verwirrung, halb zugeschnürte Kehle, mit einer Hast, als hätte ich den Mund an die Küste von Babel Mandel angesetzt, um das ganze rothe Meer in Einem Zuge auszutrinken.
Denselben Nachmittag fuhr Herr Knipps mit der Mama aus. Gundelchen blieb wegen der erwähnten Kopfschmerzen zu Hause.
Ich hatte einen ganzen Berg von Schreibereien zu mundiren, aber die drei Gläser, und Gundelchens wohlwollende Auszeichnung hatten mich in eine sonderbare Stimmung gebracht. Die Buchstaben tanzten vor mir auf dem Papiere bunt durch einander, und mitten unter ihnen schwebte das Hunderttausendthaler-Mädchen, die perlweiße Gundel, von einem grünen Wolkenschleier leicht verhüllt, daß sie mir vorkam, wie die Hoffnung, welche mir mit zauberischem Lächeln zuflisterte: muthig armer Dulder; es kann, es wird Alles noch gut werden.
Mit Mühe zwang ich mich an die trockene Arbeit und war eben bei der ersten Zeile eines Kauf-Kontracts mit den Zügen einer recht zierlichen Fracturschrift beschäftigt, als Kunigunde eintrat und mich ersuchte, ihr einige Federn zu schneiden.
Hätte ich nicht einige dergleichen zu meinem Bedarf schon neben mir liegen gehabt, ich wäre um keinen Preis im Stande gewesen, ihr den geforderten Liebesdienst zu erzeigen; so erschrocken war ich, über den unerwarteten Besuch. Die Stelle in der Mutter Briefe an deren Schwester, wo von dem verdammten Federschneider-Verhältniß zwischen Gundelchen und meinem Vorgänger Benjamin, Erwähnung geschah, stand wie eine mit Flammenbuchstaben geschriebene Warnungtafel vor mir. Sollten die Kopfschmerzen bloßer Vorwand, und die ungewöhnlichen drey Gläser Wein? – ich zitterte an Händen und Füßen, die Wangen übergossen sich mir mit glühender Röthe und inwendig überreifte mich ein kalter Schauer, bis auf die Knochenhaut.
Zufällig hatte ich der Versucherin in das Gesicht geschaut. Das Köpfchen rund und hübsch geformt, die Wangen aber bleich und weiß und mit Sommersprossen übersäet, die Lippen blaß, die Zähne fast alle schwarz, das Stumpfnäschen nicht übel, unter den Augen, die aus dem Blauen in das Graue schillerten, breite Ringel, und das zierlich geflochtene Haar hielt die Mitte zwischen dunkelgelb und brandroth; und doch sprach aus dem Ganzen etwas Anziehendes, Geistvolles, besonders aber lag in der Fülle ihrer schönen Gestalt und in der blendenden Weiße des zarten Halses und der vollen gewölbten Brust ein eigner Liebreiz.
Ach wie allerliebst ist das, rief sie, mit dem Blick auf meine Fracturschnörkel: Gott, wer so schreiben könnte! ich krakle ganz abscheulich; ich wüßte nicht, was ich darum gebe, wenn ich im Stande wäre das noch zu lernen. Sie sollen mir Stunde geben. – Sie setzte sich auf meinen Stuhl, nahm eine Feder, und versuchte die Züge nachzumalen. Es ging so ziemlich; nur faßte sie die Feder falsch; ich wand sie ihr ein wenig und führte ihr die Hand. So, o so geht es herrlich! rief sie, rückte auf dem Stuhle rechts auf die Ecke hinaus, und bat, daß ich mich links neben sie setzen, und ihr die Hand weiter führen solle; sie blickte während des Schreibens einigemal lächelnd zu mir herüber, und bog sich mir näher; unsere Wangen mußten sich berühren. Mir flogen alle Pulse, sie aber meinte, immer schreibend, im freundlich drohenden Tone, ich nähme mir mein Honorar für den Unterricht wohl schon pränumerando. Wie die Menschen sich verstellen können, fuhr sie fort, und malte ihre Buchstaben, ohne den Blick davon zu wenden, nicht bis drei, glaubte ich, daß der junge Herr zählen könnte, und jetzt, wie keck, wie dreist! na, na, hübsch artig fuhr sie fort, als ich meiner halb unbewußt, einen Arm jetzt um sie schlang. In dem Augenblicke rasselte ein Wagen vor und hielt.
Die Eltern schon wieder da? rief sie, flog auf, reichte mir die Hand, die ich in der Eil küßte, und flisterte im Abgehen mir noch zurück: ich habe Sie um keine Federn gebeten.
Ein großes Glück war, daß Papa Knipps nicht mitkam; sondern unterweges abgestiegen war, um in seine Gesellschaft zu gehen, denn kam dieser jetzt auf die Expedition, so war ich verlesen; ich hatte den ganzen Nachmittag noch keine Zeile geschrieben, und jetzt bebte mir der Athem in der Brust, daß ich kein lautes Wort sprechen konnte.
Ich blutarmer Mensch – und Kunigunde mit hunderttausend baaren, blanken Thalern!
Schön war sie nicht, vielleicht nicht einmal hübsch; aber die bleichen Wangen hatten sich schon recht niedlich geröthet, als sie neben mir saß; das Haar, wenn man es recht genau betrachtete, fiel in das Bronzene, und selbst wenn man überstreng seyn und es roth nennen wollte, so ist es eine allbekannte Sache, daß die ersten, die berühmtesten Schönheiten der Welt rothes Haar gehabt haben. Den Zähnen gab ein wackerer Dentist ihren Perlenschmelz bald wieder; die blauen Augenringelchen getraute ich mir ganz allein zu kuriren, und die paar Sommersprossen, – man weiß ja, daß der milchige Saft aus dem Stengel frisch gepflückter Feigenblätter das beste Mittel dagegen ist. – Nun und blieb am Ende aller Enden denn doch noch dieß und jenes zu wünschen übrig, so deckten die hunderttausend Thälerchen manch Schattenfleckchen zu. Mit einer viel geringeren Mitgift habe ich weit schmucklosere Mädchen als Gundel Knipps, in den Hafen der Ehe einsegeln gesehen, weil die zärtlichen Bräutigame große Geister waren, die allen körperlichen Reiz und dergleichen sonstige Vorzüge für vergängliche Narrenpossen erklärten, die Mosen und die Propheten für die Hauptsache hielten und nach den ersten acht Wochen der ehelichen Verbindung, vielleicht auch noch früher, mit andern hübschen Kindern in ein stilles Verhältniß traten, und mit diesen das Eingebrachte der Betrogenen lustig verpraßten. – O, ihr armen reichen Mädchen!
Eine Flasche Dinte, sagte Gundelchen den folgenden Morgen, als sie mit mehreren Bouteillen in einem Körbchen aus dem Keller heraufkam, und mir auf dem Vorsaal begegnete. Eine Flasche herrlicher Pontac! Die Freude über Gundelchens Güte und über ihre in diesem Zuge liegende unverkennbare Zuneigung, ließ mich übersehen, daß das liebe Kind den Eltern den Wein entwendet hatte. Trunken vor Wonne, trat ich auf den Zehen, – denn das Gefühl der Schuld, das Entwandte heimlich angenommen zu haben, fuhr aus dem bis dahin unbefleckten Gewissen, wie ein Blitz in die Fersen, daß ich nicht wie gewöhnlich festen Fußes ausschreiten konnte – in unser Arbeitzimmer, wo ich glaubte, allein zu seyn; zu meinem Schrecken aber saß der Papa, den Rücken mir zugewendet; vor seinem Tische und schrieb.
Was bringen Sie denn da? fragte er mit halbem Blick auf meine Flasche.
Dinte, Herr Knipps, antwortete ich, durch und durch erbebt, ganz leise, und wenn er in der Menschenkenntniß nur die geringsten Fundamental-Prinzipien inne hatte, so mußte er an dem gebrochenen Ton meiner Stimme hören, daß das Pontac war.
Charmant, charmant, entgegnete Herr Knipps: da gießen Sie gleich ein wenig hinzu, die Dinte ist doch so dick und klebrig, daß man fast keinen Buchstaben schreiben kann.
Ich nahm wohlweislich das Dintenfaß vom Tische, damit er meine Flasche nicht weiter in das Auge fassen solle, that wie er befahl, setzte ihm das Faß wieder hin, und er konnte meine Dinte nicht genug loben.
Wo gekauft Lieber? fragte er schreibend.
Ich – es ist eine grausame Wahrheit – aus einer Lüge entstehen tausend – ich entgegnete, daß ich nach einem alten guten Rezept das kunstgerechte Fabrikat selbst verfertigt hätte.
Charmant, charmant, murmelte er, und schob mir, in einer Art von gutmüthiger Überwallung für die Galläpfel und das Kupferwasser, was ich, wie er meinte, dazu gebraucht habe, ein Achtgroschenstück in die Hand.
Abscheuliches Gewebe des Zufalls oder des Satans selber! Dafür, daß ich mit der Tochter heimliches Spiel treibe, dafür, daß ich des Mannes gestohlenen Wein austrinke, dafür, daß ich ihm einen unchristlichen blauen Dunst vormache, dafür dringt er mir einen blanken Silberling auf! Ich schämte mich vor mir selber, aber ich mußte über das Komische des Zusammentreffens in meinem Innern doch lachen. So leicht, so lockend ist der erste Schritt zum Vergehen, das sich späterhin zur Sünde verstrickt und am Ende das Verbrechen erzeugt.
Herr Stremler, fuhr Papa Knipps fort: wird heute, wie Sie wohl wissen werden, im Amte als Viceactuarius verpflichtet – (ich wußte bis dahin kein Wort davon) – er hat mir gesagt, daß Sie, wie er von Ihnen gesprächweise und aus manchen kleinen Arbeiten entnahm, recht leidliche juristische Kenntnisse besäßen. Herr Stremler hat sich bei mir gebildet, vervollkommnet; wollen Sie ein Gleiches, so befördere ich Sie in seinen Posten. Freie Station und zehn Thaler monatlich, alles, wie es Herr Stremler bekam – Dieser zog einen Gehalt von zwölf Thalern. –
Ich dankte ihm verbindlichst, und fühlte mein Gewissen etwas leichter, denn die gutmüthige Achtgroschen-Überwallung, vorhin, war blos die Ouvertüre zu dem Antrage, den er mir machen wollte, ihm das für zehn Thaler zu leisten, wofür er Herrn Stremler zwölf gegeben hatte. Und einem Filze, dem ich manchen Tag zwanzig und mehr Louis'dor verdiente, und der mich dafür mit dem ärmlichen Tagelohn von acht Groschen abspeis'te, einmal eine Flasche Wein, die mir noch dazu seine eigene Tochter heimlich gab, auszutrinken, hielt ich für kein Kapitalverbrechen.
Auch Herrn Stremler übersah ich jetzt, ich hatte seinen Freimuth bewundert, mit dem er gegen alle Genossen des Hauses seine Ansichten rund heraussagte. Allein das Viceactuariat im Rücken, konnte er eine ganz andere Sprache führen, als ich, der ich mich ringsum von den Fäden des Herrn Knipps umstrickt sah, und außer ihm, in der ganzen Welt keinen Menschen hatte, der mir einen Bissen Brot reichte.
Papa stellte mich bei Tische der Familie als den neuen Herrn Amanuensis vor; ohne Einwilligung seiner Frau that Herr Knipps nichts; daher mußte ich vermuthen, daß die große Präsentation nur pro Forma geschah; auch ergab sich aus der Mutter und Gundelchens Mienen sattsam, daß beide schon darum wußten. Das Glas in der Hand, gratulirte mir der Papa, und trank auf steten Fleiß, Mama auf Verschwiegenheit und Gundelchen auf treue Ergebenheit.
Der Accent, mit dem das Schelmenkind ihren Toast, den nur sie und ich verstanden, betonte, und der Gedanke, daß wir hier, vor Papa und Mama, eine Sprache sprächen, die ihnen wenn sie gleich reines Deutsch war, doch ein vollständiges Kauderwelsch blieb, kitzelte mich so, daß mir der Wein in die Sonntagkehle kam, und ich ihn, wie die Wilhelmshöher Fontaine das in dem Aquadukt aufgegossene Wasser, würde weit herausgesprudelt haben, wenn ich mich nicht augenblicklich entfernt hätte.
Ein recht gefühlvoller Mensch, hörte ich die Mama im Abgehen sagen: daß ist die Freude über den Amanuensis, die ihn fast erstickte.
Denselben Nachmittag noch kam sie, als Papa in die Ressource gegangen war, in die Expedition und belobte mein bisheriges Benehmen, gab mir zu verstehen, daß sie es gewesen, die den Mann auf den Gedanken gebracht, mich auf Stremlers Platz zu setzen, erklärte sich, mit Stümperchens Sparsucht, durch die verleitet, er mir von dem Gehalte meines Vorgängers monatlich zwei Thaler abknappte, gar nicht einverstanden, versprach, mir diesen Verlust zu vergüten, und machte nur zur einzigen Gegenbedingung, weder ihm, Stümperchen, noch sonst jemanden, dieserhalb Mittheilung zu machen, weil – sie schlug die schwarzen, brennenden Augen recht mädchenhaft zur Erde, – weil man dieser reinen Gerechtigkeitliebe, die nicht leiden könne, daß ich für gleiche Dienste weniger haben solle, als mein Vorgänger, leicht ganz andere Gründe unterlegen könnte. Überhaupt, fügte sie, als ich ihr die herzlichsten Küsse des Dankes für ihre überraschende Güte, auf ihre Hand gedrückt hatte, hinzu, und sah sich um, als besorge sie, behorcht zu werden: wünsche ich, daß Sie sich es zur Pflicht machen, in unserm Hause, von Dingen, die Andere nichts angehen, auch gegen keinen Menschen zu reden. Das Plaudern ist bei Euch jungen Herren eine recht gefährliche Krankheit. Ihr thut Euch selbst den größten Schaden damit. Es würde Euch manches Gute geboten, manche bescheidene Bitte gewährt werden, aber bei der Prahlsucht, mit der eure Eitelkeit lieber auf den Markt hintreten und die empfangene Gunst gegen alle vier Winde ausschreien möchte, und bei der Schlechtigkeit unserer heutigen Welt, die aus der kleinsten, schuldlosesten Veranlassung das boshafteste Gift saugt, um damit ihren bösen Leumund zu würgen, muß da nicht jede honette Frau Anstand nehmen, der Regung ihres Wohlwollens zu folgen?
Den Sinn ihrer Rede im Geringsten nicht verstehend, legte ich meine Rechte auf mein Herz, und betheuerte, wenn ich nicht irre, mit einem sehr feierlichen Gesicht, daß die verehrte Frau Prinzipalin dergleichen nie von mir zu befürchtet. haben solle. Das will ich wünschen und hoffen, sagte sie, schalkhaft lächelnd, und reichte mir die Hand, und drückte sie mir so freundlich, daß ich meinem Schöpfer pries, in dieses Haus gekommen zu seyn, in dem die ersten Tage so dunkel und traurig mir waren; und das jetzt mir wie der Tempel meines Glücks erschien; denn bei dieser Stimmung der Alles vermögenden Mutter stand mit der Zeit meiner Beförderung zu irgend einem auskömmlichen Posten, und dann meiner Verbindung mit Kunigunden, nichts mehr im Wege.
An einem der nächsten Mittage kam beim Essen das Gespräch auf die schöne Welt von Käferlingen, und die Mutter fragte mit recht hingeworfener Gleichgültigkeit scherzend, ob ich mir hier im Orte noch nichts Liebes ausgesucht habe.
Ich erschrack über die trockene Querfrage; Mama Knipps wußte ja, daß ich die ganze Zeit meines Hierseyns noch keinen Schritt aus dem Hause gesetzt hatte; am Ende war sie hinter mein und Gundelchens Verständniß gekommen, das sich jedoch, seit jener Federschneidescene, bei der ewigen Kontrolle, unter der wir Beide standen, durch nichts als durch einen sehr verstohlenen Liebesblick, durch eine uns Beiden nur verständliche Liebesphrase, durch die gestohlene Flasche Pontac, oder allerhöchstens durch einen unbemerkten Händedruck, hätte verlautbaren können.
Gundelchen aber, das meine Verlegenheit gewahrte, war boshaft genug, mich gar nicht zum Worte kommen zu lassen, sondern äußerte, vom Gegentheile bei sich im Geheimen gewiß überzeugt, mit leichtfertigem Lachen, die Vermuthung, daß ich wahrscheinlich die Angebetete meines Herzens auf der Universität zurückgelassen habe. Diesen Argwohn konnte ich, wenn er auch nur im Scherze hingeworfen war, in ihrem Herzen nicht Wurzel fassen lassen; ich versicherte daher, daß ich bis zum Eintritte in mein gegenwärtiges Verhältniß, hier so wenig, als irgendwo, ein Frauenzimmer gekannt, geschweige denn geliebt habe, und freute mich, daß ich diese Betheurung so klar und verständlich herausgebracht hatte, denn Gundelchen konnte, wenn sie aufmerkte, was ich von dem, bis zum Eintritte in mein gegenwärtiges Verhältniß erwähnte, deutlich und unbezweifelt sich daraus entnehmen, daß sie meine allererste Liebe war; sie sah auch recht freundlich dazu aus, und die Mutter schenkte mir, was mich nicht wenig überraschte, das dritte Glas ein, legte mir – am Ende begünstigte die Herrliche im Geheimen meine stille, mir kaum selbst gestandene Liebe zu Gundelchen, – ein Nierenstückchen von dem vor uns stehenden saftigen Kälberbraten auf den Teller, und gab mir, als wir aufstanden, den Rest der angebrochenen Flasche Medoc, wobei sie, gleichsam zur Entschuldigung gegen den Mann, äußerte, daß die Neige doch nur kahnig werden würde.
Sie hatte Stümperchen und Kunigunden, die diesen Nachmittag auf das Land fuhren, begleiten wollen; allein später erklärte sie, die Lust dazu verloren zu haben und meinte, heute früh zufällig sehr zeitig aufgestanden zu seyn, und wolle sich dafür durch ein Mittagschläfchen schadlos halten. Der Köchin gab sie eine Menge Aufträge in die Stadt, und ging, als Mann und Tochter in den Wagen gestiegen waren und ich auf meine Expeditionsstube zurückkehrte, in ihr Kabinet.
Es war kaum eine kleine Viertelstunde verstrichen, als sie in mein Zimmer trat, und fragte ob der Schlosser nicht hier gewesen sey; auf meine verneinende Antwort, entgegnete sie, daß sie ihn herbestellt und geglaubt habe, ihn sprechen zu hören. Ich gehe nachher aus, hob sie an: sollte er etwa während meiner Abwesenheit kommen, so sagen Sie ihm doch – kommen Sie herein, daß ich Ihnen zeigen kann, was er zu machen hat. Sie ging mir vor, ich folgte; wir gingen in ihr Schlafkabinet, wo der inwendig befindliche Fensterladen geschlossen war. Sehen Sie, fuhr sie fort: hier das Band ist los; das soll er anschlagen; und dann – sie schob den Thürriegel vor – der Riegel geht erschrecklich schwer auf und zu.
Da braucht's keines Schlossers, sagte ich, über die Umständlichkeit der reichen Leute lächelnd: das ist ja lauter Flickarbeit, die man gleich selber machen kann.
Auf die bin ich begierig, erwiederte Madame Knipps scherzend, als stellte sie meine Schlossertalente noch in Zweifel und lehnte sich in das Sopha.
Ich ging zuerst an den Laden und wollte ihn öffnen, um mehr Licht zu haben.
Sind sie von Sinnen? rief Madame Knipps erzürnt. Die ganze Nachbarschaft hat Stümperchen und Gundel ohne mich wegfahren gesehn; jeder Mensch weiß, daß das hier mein Schlafzimmer ist; was müßte man von uns beiden denken, wenn sie unterdessen sich hier am Fenster sehen ließen. Lassen Sie den Laden zu.
Ich achtete Madame Knipps, die sogar den Schein ihrer Frauen-Ehre mit solcher Strenge bewahrt wissen wollte, um vieles höher, eilte zur Thür hinaus, um einen Hammer zu holen, und bemerkte im Aufriegeln, daß hier am alten Schlosse nichts als ein bischen Oel fehle.
Pinsel murmelte Madame Knipps, als ich schon in der Thür war; ich verstand, daß ich zum Einölen mir einen Pinsel mitbringen sollte und versicherte, alle solche Umständlichkeiten leicht überspringend, daß eine Feder aus dem Flederwisch der Köchin dazu auch gut genug sey; sie aber drehte sich nach der Wand zu und sagte, wenn ich recht hörte, mit sehr verdrießlichem Tone: – selbst Flederwisch, unerträglich. Ich fühlte in dem Augenblicke recht schmerzlich, wie schwer es sey, dem von Glücke verwöhnten Menschen es immer recht zu machen. Sie hatte mir selbst hinter dem Rücken des Mannes eine Zulage bewilligt; erst heute noch hatte sie mir das dritte Glas, und dann gar die Neige eingeschenkt und das überraschende Nierenstückchen! – waren dieß nicht alles die freundlichsten Zeichen ihres mütterlichen Wohlwollens, und nun war sie böse, recht sehr böse, weil ich den Laden hatte aufmachen, – um ihr meinen Diensteifer recht sichtlich an den Tag zu legen und die kleinen übertragenen Arbeiten in beßtmöglicher Geschwindigkeit abzumachen, ras'te ich zur Küche hinab, wo ich das Werkzeug zu finden hoffte. Noch war ich auf der Treppe, als an der Hausthür jemand klingelte, daß ich denke, die ganze Stadt brennt an allen vier Ecken.
Herr Stremler war es.
Er kam athemlos, aber fröhlichen Angesichts.
Heute Vormittag, hob er heimlich flisternd an, und ging mit mir in die Expeditionstube; ist der Viertelsmeister Weinlich mit Tode abgegangen. Der Rath hat die Stelle zu vergeben; sie trägt an 300 Rthlr. Nur ein Studirter kann sie erhalten, weil der Viertelsmeister, nach den Statuten des Magistrats, späterhin Syndikus, und zuletzt dirigirender Bürgermeister wird. Im ganzen Orte ist in diesem Augenblick kein Mensch, dem sie die Stelle geben könnten; ich hielte selbst darum an, allein ich mag keinen Kommunalposten, und habe im landesherrlichen Dienste für die Zukunft bessere Aussichten. Da dachte ich an Sie, armer junger Freund; ich stehe Ihnen dafür, Sie fischen den Viertelsmeister weg. Nur rasch müssen Sie seyn. Zum Geben muß man sich Zeit nehmen, aber wo etwas zu holen ist, da keinen Augenblick versäumt. Die beiden Bürgermeister, der Stadthauptmann, die Schöffen, der Syndikus, die Stadträthe, der Kämmerer, die drei Viertelsmeister, kurz des ganzen löblichen Magistrats ehrsame Mitglieder, müssen Sie darum begrüßen, und das morgen persönlich. In ihrer schriftlichen Eingabe aber, die Sie heute Abend schon an den Consul dirigens abgeben müssen, beziehen Sie sich auf mein und Knippsens Zeugniß. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Uebermorgen sind vielleicht schon zehn Herren Vettern, Söhne oder sonstige Verwandte hiesiger Einwohner, die in Umkreise der Stadt sich aufhalten und schleunig herein gerufen werden, mit gleichen Anträgen da; dann aber sind Sie bereits im Hafen und lachen den zu spät kommenden in's Fäustchen.