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Der Maler kam nach einigen Stunden rein verklärt aus Klotildens Zimmer; er hatte bereits an ihrem Portrait gearbeitet, und machte durch Zeichen verständlich, daß dieß Mädchen der Ausbund aller Schönheiten sey; seine Beschreibung ihres Liebreizes, und sein Entzücken waren so lebhaft, daß ich anfing, auf den Stummen eifersüchtig zu werden. Der Mann war gar nicht uneben; mager zwar und klapperdürr, aber die Frauen sind nicht so eitel als wir, sie sehen mehr auf den Geist des Mannes, als auf dessen Äusseres; und wer dem armen Frugoni in das selenvolle beredte Auge sah, vergaß, daß er stumm war.
Nach vielen Kämpfen und Überlegungen und Selbstgesprächen, ließ ich den folgenden Tag geradezu durch Wenzel mündlich bei Klotilden anfragen, ob ich mit Herrn Frugoni aufwarten und ein wenig zusehen dürfe.
Diese Anfrage dem Wenzel mit der allerhöchstmöglichen Gleichgültigkeit aufzutragen, war kein Kleines; aber ich freute mich, daß ich sie heraus hatte; sie klang so unbefangen, daß ich selbst, hörte ich sie im Munde eines Dritten, nichts weiter darin gesucht hätte, als die Neugierde, einmal en miniature malen zu sehen.
Als er zum Zimmer hinaus war, begriff ich die Keckheit, die ich gehabt hatte, mich bei dem Mädchen förmlich melden zu laßen, das mich, während des Grafen Abwesenheit absichtlich vermied. Schlug sie mir die Erlaubniß zu kommen ab, so war ich dem ganzen Hause bloßgegeben; denn Wenzel erzählte das bestimmt allen Menschen; sagte sie zu, – so – hatte ich denn Kälte genug, diese Zusage aus Wenzels Munde zu hören, ohne ihm vor Freuden um den Hals zu fallen? Ich ging in meinem Zimmer auf und ab, und preßte auf den Fall der Zusage mein Gesicht in alle mögliche Formen der gleichgiltigsten Ruhe; endlich hatte ich, sagte mir mein Spiegel, die rechte Maske; Wenzel trat ein und brachte die Antwort, daß es der Mamsel Dumesnil recht sehr lieb seyn werde; ich machte blitzschnell kehrt, mit dem Gesichte noch dem Bücherschrank zu, und that als ob ich ein Buch suche, denn auf das recht sehr lieb war ich doch nicht gefaßt gewesen, und das Blut ergoß sich mir siedend, das fühlte ich, über beide Wangen zugleich. Recht sehr lieb, war es dem kleinen Spitzbuben; nun möchte ich um Gotteswillen wissen, was das Mädchen abgehalten hatte, die Tage, während welcher der Graf abwesend gewesen war, herunter zu kommen, und mit uns zu essen und – aber wozu das Grübeln und Fragen. Fort! zu ihr, zu ihr selbst.
Herr Frugoni, den ich hier vermuthete, war noch nicht da, und Muthchen ließ sich auch nicht sehen. Klotilde war allein und kam mir entgegen, und nannte mich mit freundlicher Herzlichkeit willkommen, und reichte mir zum ersten Male in ihrem Leben die Hand. Nun endlich, sagte sie lächelnd: haben Sie sich entschließen können, der armen Gefangenen ein Stündchen Unterhaltung zu schenken.
Gefangenen? wiederholte ich fragend.
Dazu hat mich der Graf gemacht, versetzte sie etwas empfindlich. Er bestellt mir eine Ehrenwache, als ob ich nicht groß genug wäre, auf mich selbst Acht zu haben. Muthchen ist selengut, aber, und wenn er mir die erste Äbtissin von Frankreich zur Aufsicht geschickt hätte, sie wäre hier nicht nöthig, sie wäre überflüssig gewesen. Ein Mißtrauen der Art ist dem, der nicht den mindesten Anlaß zum Verdacht giebt, doppelt kränkend, und um den alten Herrn zu zeigen, daß ich von seinem sogenannten Dekorum noch strengere Begriffe habe, als er selbst, habe ich mir vorgenommen, keinen Fuß über die Schwelle meines Zimmers zu setzen, bis er zurückkommt, hier in meinem Stübchen ist mir ohnehin am wohlsten; hier werde ich nicht behorcht und belauscht, nicht beklatscht; ich versichere Sie, ich bin in meinem selbstgewählten kleinen Käfig hier freier, als da unten in der Mitte von Menschen, die in der Spionirkunst förmlich unterrichtet sind, und nun glauben, sich bei ihrem Herrn nur einschmeicheln zu können, wenn sie ihm recht viele heimliche Nachrichten bringen.
Ich entschuldigte den Grafen, dessen aufrichtige Absicht gewiß sei, ihr das Leben möglichst angenehm zu machen, und der bei seiner bisherigen tiefen Eingezogenheit, sich aus langer Weile angewöhnt zu haben schiene, seine einzige Unterhaltung darin zu finden, daß er um die Angelegenheiten seiner Umgebungen alles, bis auf den geringsten Umstand wissen wolle, und fragte sie, warum sie, statt sich zu solch einem Einsiedlerleben zu entschließen, nicht lieber mit in die Residenz gereis't sey, besonders, da sie anfänglich so viel Vergnügen darin zu finden geschienen hätte.
Das fragen Sie? sagte Klotilde bedeutend, und schlug die Augen nieder, als ärgere sie sich, in meinem Schmerzgesichte sich geirrt zu haben, das ich damals gemacht hatte, als ich hörte, daß Klotilde mitreisen werde.
Klotilde, meine himmlische Klotilde! rief ich im Übermaß meines Entzückens, und zog ihre Hand an meine Lippen, und gestand ihr mit verschämter Rede, daß ich, im Gefühle meines geringen Werthes, den Gedanken des Opfers, daß sie durch das Aufgeben der Reise, meinem geheimen Wunsche gebracht, nicht gewagt hätte.
Das war kein Opfer, mein Freund, antwortete sie mit niedergeschlagenen Augen, und spielte verlegen mit einem Bande, was sie eben in der Hand hielt; oder wenn es ein Opfer war, so ward es von dem Lohn, der meiner kleinen Entsagung zu Theil wurde, tausendfach überwogen. Glauben Sie denn, daß mich es nicht geschmerzt haben würde, wenn Ihnen meine Abwesenheit gleichgiltig gewesen wäre? Halten Sie es meiner Eitelkeit nicht zu gut, wenn Sie sich freute, in Ihrem Gesicht – das ich nie vergessen werde, zu lesen, daß es Ihnen lieber sey, wenn ich bliebe? Meinen Sie denn, daß ich nun in der Residenz hätte vergnügt seyn können? Muß ich Sie erst darauf aufmerksam machen, daß meine Freude über die ganze Reise vorbei war, als ich hörte, daß Sie uns nicht begleiteten? – Haben Sie das Alles nicht verstanden, setzte sie leiser hinzu, und wendete sich halb von mir: so ist es ein Opfer gewesen, dessen ich mich jetzt schäme.
Meine einzige, meine angebetete Klotilde, entgegnete ich, vor seliger Wonne meiner Sinne kaum mehr mächtig, und stürzte zu ihren Füßen nieder: ich habe Dich verstanden, Du einziges Engelwesen; ach wenn Du wüßtest, welche Martertage ich verlebt habe, Dich nicht sehen zu dürfen, Dir nicht sagen zu können, wie namenlos ich Dich liebe.
Lieben, fiel sie mir plötzlich in das Wort, und trat einige Schritte zurück, und bat dringend, aufzustehen. Lieben? – Sie hob das dunkelblaue Auge langsam auf mich, lächelte wehmüthig, zerdrückte eine Thräne, und sagte kopfschüttelnd: das thun Sie nicht, Sie kennen mich nicht. Weiß ich doch selbst nicht, wer ich bin. Sie sehen daß ärmste Mädchen dieser Welt vor sich, ohne Vaterland, ohne Eltern, ohne Verwandte, ohne Freunde; abhängig von der Gnade eines Fremden, dessen verschwenderische Freigebigkeit mir eine Quelle von tausend Verlegenheiten ist, dessen Liebkosungen mehr demüthigend als erfreulich sind. – Ich stehe ganz allein; ich habe keine Zukunft, keine Hoffnung, kein anderes Gefühl, als das der goldenen Kette, an die ich hier gefesselt bin. Sie brach in lautes Weinen aus, und konnte sich trotz aller Gewalt, die sie sich anthat, nicht fassen, als Herr Frugoni eintrat.
Dieser ward über Klotildens Weinen böse; er gab durch seine beredte Pantomime zu verstehen, daß er dieses Thränengesichtchen nicht malen könne, und daß, wenn ich etwa die Veranlassung desselben seyn sollte, ich mich augenblicklich entfernen möchte. Als Klotilde ihm aber, durch eben so verständliche Zeichen erklärte, daß ich an ihren Thränen ganz unschuldig sey, und mir zum Beweise, daß er auf mich nicht im Geringsten zu zürnen Ursach habe, freundlich die Wangen streichelte, – was mir, beiläufig gesagt, von diesen weichen warmen Lilienhändchen unaussprechlich wohl that, – so gab er sich zufrieden, und meinte, daß es ihm dann recht lieb sey, wenn ich bliebe, weil Klotildens Gesichtszüge, wenn sie jemand habe, mit dem sie sich während der Sitzung unterhalte, dann sprechender, lebendiger werden würden. Er brachte mir hierauf seinen ganzen Vorrath an Blau in allen Arten und bedeutete mir sein Unglück, mit keiner einzigen aller dieser Farben, dieses Kornblumenblau, der wunderherrlichen Feueraugen, in seiner seltenen Pracht ganz genau darstellen zu können; indeß war dieß wahrscheinlich von dem feinen Manne nur eine recht zarte Schmeichelei gewesen, denn er traf dieß milde Dunkelblau zum Sprechen.
Klotilde vergaß ganz, daß sie dem Maler saß; sie plauderte so viel, und so lebendig, daß Herr Frugoni einige Male bitten mußte, nicht gar zu sprachselig zu werden; wir gingen die Geschichte der letzten Tage mit einander durch, und ich konnte mich nicht enthalten, Klotilden halb im Scherz, halb im Ernst den Vorwurf zu machen, daß sie den alten Herrn, der von dem ersten Augenblicke ihres Hierseins, ihr nichts als Liebes und Gutes erwies, mit ihrem vorgegebenen Zahnschmerzen doch fast ein wenig zu arg hintergangen habe.
Nichts da! erwiederte sie leichthin, aber bestimmt. Kein Mensch kann der Offenheit mehr huldigen als ich; wer mir aber nichts Gutes zutraut, wer mich überall mit Wächtern umstellt, wer jeden meiner Schritte mit Argwohn verfolgt, dem erkläre ich den Krieg. Dem Grafen, das sage ich Ihnen vorher, erkläre ich ihn rund heraus, sobald er kömmt. Ich leide das Aufpassen, das gelbsüchtige Schielen auf jede meiner Handlungen durchaus nicht, ich kann, so lange ich das bemerke, hier nicht froh, nicht heimisch werden. Alle seine Leute müssen über die Gränze; das sind lauter Tuckmäuser, lauter Schniffler, lauter Douaniers. Wo es offen und ehrlich hergeht, da bin ich gern. Fluchen Sie mir, wenn sie je wahrnehmen, daß ich dem eine Lüge sage, daß ich dem meiner Handlungen geheimste verhehle, von dem ich weiß, daß er ehrlich und offen und arglos gegen mich ist. Mein Mutterchen hatte Vertrauen zu mir, und darum wußte es um jedes meiner kleinen Geheimnisse; Sie mein Freund, – sie reichte mir die Hand, und drückte sie recht herzlich – Sie sind jetzt der Einzige in der Welt, auf den ich baue; der Einzige, von dem ich weiß; daß er mir durch keinen Argwohn wehe thut; darum werde ich auch vor Ihnen, und mir vor Ihnen allein hier, nie ein Geheimniß haben; es thut mir wohl, wenn sie alles wissen, was ich denke und fühle.
Frugoni stand auf, und legte den Pinsel weg. Er schrieb, hier sey es nicht möglich zu malen. Als er gestern angefangen, habe Klotilde da gesessen, wie ein Sauertöpfchen; heute sey das ganze Gesichtchen verändert; die Paar Thränen hätten ihn nicht gestört; in allen Zügen sey Leben und Frische gewesen; aber jetzt zöge eine finstere Wolke nach der andern darüber hin; er habe, als er Klotilden zum ersten Male gesehen, eine Hebe, das Bild des jugendlichen Liebreizes, malen wollen, und es werde ihm unter den Händen zu einer Mater dolorosa.
Er hob die Sitzung auf und versprach, morgen wieder zu kommen. Ich bezeigte Lust, noch ein wenig zu bleiben und mit diesem wunderholden Kinde zu kosen. Klotilde aber erinnerte mich an das, was sie vom Dekorum gesagt hatte, und bat mich, zu gehen; morgen aber, wenn der Maler da sey, würde ich ihr, meinte sie, recht willkommen seyn, weil dieser es ja gewünscht habe, daß sie jemand während der Sitzung unterhalte; ich ersuchte sie nun, wenigstens in den Garten zu gehen, und den schönen Herbstnachmittag zu genießen, und stellte ihr vor, daß das viele Stubensitzen ihrer Gesundheit offenbar Nachtheil bringe.
Vergessen Sie denn, fragte sie freundlich: daß ich mir vorgenommen habe, so lange der Graf abwesend ist, mein Zimmer nicht zu verlassen? Ich aber kehrte mich an den Einwand nicht, setzte ihr auseinander, daß ein solches Vornehmen, wenn vernünftige Gründe da wären, die dessen Ausführung nicht räthlich machten, in die Klasse der Grillen gehörte, und bat sie wiederholt, mir den Arm zu geben. Ich hätte sie gern noch um etwas, um etwas Höheres gebeten; ihre frischen Lippen waren so reizend, daß ich einen Kuß als Honorar für meinen diätetischen Rath wohl angenommen hätte! aber man weiß ja, wie blöde die tugendhafte erste Liebe ist.
Grillen? wiederholte sie komisch lächelnd: nein mein lieber Freund, die sind mir fremd; nur die Kranken, oder die vom Glücke Verwöhnten, – die mögen von Grillen geplagt werden, und andere wieder damit quälen. Ihrem Wunsche opfere ich meinen Vorsatz. Sie holte sich Shawl und Hut. Ein zweites Opfer, sagte sie mit leichtem Scherze: ein zweites schon, und wie viel zählen Sie dagegen!
Wahrhaftig Eines, was mehr gilt, als beide; die Ruhe meines ganzen Lebens, platzte ich heraus, und umschlang das zauberische Mädchen, und machte gleich auf der Stelle zur Verlobungfeier Anstalt. Klotilde aber entschlüpfte meinem Arme, flog über Flur, Treppe und Hof, daß ich ihr kaum folgen konnte, und fing erst im Garten an, langsam zu gehen, wo die milden Lüfte eines ausgesucht schönen Herbsttages sie nach langer Entbehrung willkommen hießen.
Gern wäre ich hinten an das Ende des Parks, in den Tempel der Ruhe gegangen, da war es heimlich und still; oder hinunter an den See, in die Grotte des Neptun, da störte uns kein Mensch, da erlauschte uns kein sterbliches Auge; aber Klotilde setzte sich, gewiß absichtlich, in die große Weinlaube; hier hatten wir Schutz vor den Strahlen der Nachmittagsonne, und wer uns sehen wollte, konnte kommen und sich überzeugen daß wir nicht versteckt seyn wollten. Die lang vermißte freie Luft that dem Mädchen wohl; seine Lilienwangen rötheten sich sichtbar, und in den großen, sprechenden Augen lächelte die freundlichste Behaglichkeit. Ringsum und über uns hingen vom zierlichen Gitterwerk des Laubengewölbes die saftreichsten Trauben herab, blaue und weiße, eine immer größer, reifer und schöner als die andere; wir pflückten und aßen und plauderten. Klotilde verlor sich, von dem schwarzblauen, mit zartem Duft überhauchten Trauben an ihr Vaterland gemahnt, in den Erinnerungen an ihre Jugend und ihre reizende Heimath, und je länger sie sprach, desto weicher ward ihre Stimme. Des Heimwehs wunderbare Gewalt preßte ihr die Brust, und sie gestand endlich unter herzlich geweinten Thränen, daß sie hier nicht länger bleiben könne, und daß, wenn ich ihr nur halb so gut sey, als ich es ihr betheuert hätte, ich auf Mittel sinnen sollte, wie sie ohne den Grafen zu kränken, baldigst in ihr Vaterland zurückkehren könne. Habe der Graf, was sie nicht beurtheilen könne, Verpflichtungen gegen sie, so sey ihm ja unbenommen, auch nach Burgund die nöthigen Unterstützungen zukommen zu lassen, und selbst wenn er dieß nicht wolle, oder möge, hoffe sie mit dem, was sie wisse und verstehe, sich auf eine anständige Weise, oben so gut durch die Welt zu helfen, als es tausend andere arme Mädchen ihrer Lage thun müßten, die vom harten Schicksale hinausgestoßen, sich auf sich selbst zu verlassen gezwungen wären. Der Graf und ich, fuhr sie mit rascher Lebendigkeit fort: wir passen nun einmal nicht zusammen; ich bin an die strenge Abgemessenheit nicht gewöhnt; seine Wachsamkeit über jede meiner Handlungen bringt eine Bitterkeit, einen Trotz in mir hervor, der meinen Charakter sonst ganz fremd war, es ist mir, als müßte ich dem Druck, mit dem er mich belastet, eine gleiche Kraft entgegensetzen; ich fange an heimlich zu werden, die Lust der Intrigue beschleicht mich unwillkührlich; ich weiß, daß ich Unrecht thue; allein ich kann es nicht lassen, dem Manne, der mich, der Sonnenklarheit meiner Handlungen ungeachtet, mit ewigen Argwohn verfolgt, im Ueberwallen meines Unmuthes, bei weitem nicht mit der kindlichen Offenheit entgegen zu kommen, zu der mich seine Güte, seine Liebe verpflichten; ich fühle, daß ich, wenn ich lange hier bleibe, am Ende schlecht werde, und darum will ich, darum muß ich fort, um mich vor mir selber zu retten, weil es noch Zeit ist. Helfen Sie mir meinen Plan ausführen, sinnen Sie, wie es möglich ist, – aber was fehlt Ihnen? frug sie mit sanfter Rede; und sah mir in das Gesicht und schwieg, weil sie die Thränen verstand, die mir in die Augen geschossen waren.
Klotilde! rief ich, und erlag fast dem Riesenkampfe zwischen Vernunft und Liebe, der mir Kopf und Herz blutig zerriß. Sie wollen fort, und ich soll Ihnen dazu behilflich seyn! Sie fordern das Grausamste! Von der Residenz blieben Sie zurück, weil Sie – so sagen Sie wenigstens, und gegen mich wollen Sie ja wahr seyn, – weil Sie sahen, wie unglücklich ich über Ihre Reise war, und jetzt, wo Sie uns auf immer und ewig verlassen wollen, soll ich einen Beweis meiner Liebe Ihnen dadurch geben, daß ich Ihnen zu Ihrer Entfernung selbst behilflich bin! Klotilde – verlangen Sie mein Lehen, nur das nicht. Meine einzige, meine himmlische Klotilde, seyn Sie barmherzig, gehen Sie nicht! mein ganzes Glück hienieden ist dahin, wenn ich Sie verliere. Sie sagen, Sie sind arm. Gott sey ewig Dank, daß Sie es sind; denn dann darf ich Ihnen gestehen, was dieß Herz für Sie fühlt. Es ist ja ein Gott im Himmel, in dessen Vaterhand auch unser Schicksal liegt; vertrauen wir auf ihn, Klotilde! er ist mit uns, wenn wir mit ihm sind. Schlagen Sie ein, mein heilig geliebtes Mädchen, und ich werde –
Sie that einen lauten Schrei, flog von der Bank auf, und fuhr mit beiden Händen, laut jammernd nach dem Schwanenhals.
Eine Wespe hatte das zarte Kind grimmig gestochen.
Beim tollen Hundsbiß soll das Aussaugen des Giftes das schnellste Heilmittel seyn. In der Angst meines Herzens verwechselte ich jenen schrecklichen Fall mit dem Wespenstich, schleuderte rasch Klotildens zitternde Hand von der schwellenden dunkelrothen Stichwunde weg, rief hastig: laß mich, um Gotteswillen Engel, laß mich, ich will Dir das Wespengift aussaugen, sonst bist Du in zehn Minuten des Todes – und ich hatte noch keine zwei Züge gethan, als Klotilde, die im Staunen, über die Größe meiner edeln Selbstaufopferung und in der Freude, durch die ihr neue chirurgische Operation vom Tode gerettet zu werden, mir eben die Wange unter süßem Kosen streichelte, auf einmal links wegprallte; ich starrte auf, und erbebte, denn der Graf stand in Lebensgröße vor uns.
Welche ungeheure Gewalt hatte der Mann über sich! Ich rechnete bestimmt auf Sturm und Donnerwetter, aber er schwieg und schüttelte ironisch lächelnd den Kopf; doch eben in diesem Schweigen, in diesem kalten Spottlächeln lag die berechneteste Peinigung, ich konnte kein Auge aufschlagen, kein Glied still halten, kein Wort sprechen, und was hatte ich denn eigentlich gethan – nichts, gar nichts; denn dem liebenswürdigsten Mädchen von der Welt hilfreich beizuspringen, war doch wahrhaftig kein Verbrechen. Klotilde sammelte sich vom Schreck der Ueberraschung noch eher, – doch sie hatte ja auch nichts Böses gethan; denn daß sie in ihren Todesnöthen die Schneepracht ihres Halses hingab, um entgiftet zu werden, war ja bei Gott auch keine Sünde; entblößt doch das züchtigste Mädchen vor dem Chirurgus gar den Fuß, wenn es sich daran zur Ader lassen muß. Sie erzählte mit geläufiger französischer Zunge den ganzen Vorfall, und belobte meinen Edelmuth, mit dem ich mein Leben daran gesetzt, um sie zu retten. Der Graf mußte über meine Dummheit, in der ich den Biß eines tollen Hundes mit einem bloßen Wespenstich verwechselt hatte, laut lachen; Klotilde war empfindlich, daß er meinen Eifer für ihr Leben und ihre Wohlfahrt belachen konnte, und ich war, trotz der Scham, die mir das ganze Gesicht mit Karmin übergoß, über Klotildens Empfindlichkeit, im Tiefsten meines Innern, höchlich entzückt. Nach und nach kam, besonders durch Klotildens ächt französische Redseligkeit, das Gespräch in den Zug und der Graf erzählte zwar ein Breites über die ihm in der Residenz widerfahrenen Artigkeiten, äußerte aber, doch froh zu seyn, daß er wieder hier wäre, weil er dort keinen Tag gesund gewesen sey, und fast beständig an Schwindel, Ohrenbrausen, übergroßer Hitze im Gesicht und fortwährendem Uebelseyn gelitten habe.
Er nahm mich hierauf mit sich auf sein Zimmer, ließ sich von den unbedeutendsten vorgekommenen Geschäftsachen vortragen, und erwähnte der Wespengeschichte weiter mit keinem Worte, aber Mamsell Muthchen hatte fünf Minuten nach seiner Ankunft schon Order bekommen; gleich und sofort wieder nach Hause zu gehen, vermuthlich, weil sie Klotilden in den Garten allein gehen ließ, und sich nicht auch in die Weinlaube setzte, um sich von den Wespen zerstechen zu lassen.
Herr Frugoni vollendete den folgenden Tag Klotildens Bild, ohne daß ich der Sitzung beiwohnen konnte, denn einmal saß ich in den mir vom Grafen aufgetragenen Geschäften bis über die Ohren vertieft, und dann hatte dieser gegen Frugoni bereits sein Mißvergnügen geäußert, daß er meine Gesellschaft beim Malen zugelassen, indem es wider das Dekorum sey, und ein junger Mensch in das Zimmer eines jungen Mädchens nicht gehöre.
Ein sonderbarer Mann, der Graf! warum sagte er mir das nicht selbst? und dann – über den unschuldigsten Besuch von der Welt, bei dem jeder Mensch zugegen seyn konnte, und bei dem Herr Frugoni auch wirklich zugegen war, machte er ein Aufheben, als ob Wunder was geschehen wäre, und über die weit verfänglichere Wespengiftgeschichte, bei der er uns selbst überraschte, verliert er kein Wort. Ergötzte ihn der christliche Muth, mit dem ich in meiner Dummheit für Klotilden selbst in den Tod gehen wollte, oder das gewiß recht reizende Bild, die himmelschöne Klotilde in meinen Armen? oder sah er heimlich vielleicht gar gern, daß wir beide uns einander gut waren, oder wollte er nur scheinen, als möge er ein solches Verhältniß nicht gestattet wissen? ich quälte mich mit dem Allen weiter nicht. Klotilde hatte mir gesagt, daß sie arm sey; ich konnte also den Gedanken wagen, das süßeste Kind in einer Runde von tausend Meilen einmal mein zu nennen. Seit dem Wespenkusse hatte sich, meiner Ansicht nach, Alles anders gestaltet. Ich wußte, daß ich Klotilden liebte, ich fühlte, daß sie mir gut war und ich ahnete, daß der Graf – er ließ mich eben rufen, und der Bediente, der mich ersuchte, schleunig zu kommen, machte ein recht bedenkliches Gesicht. So weit ich im Studium der hiesigen Hofaugensprache gekommen war, sagte der Blick des Bedienten, der mich rief, ungefähr so viel, als: geh nur, Du wirst jetzt ein Kapitel gelesen bekommen, über das Du Dich wundern sollst; ich knöpfte mir daher, es war mir, als flöge ein leichter Frost mir über alle Glieder, Rock und Weste bis an den Hals zu, – allein dießmal hatte ich mich in meiner Kunst, geschnittene Gesichter zu deuten, geirrt; der Graf war plötzlich erkrankt, und schien sehr bedeutend zu leiden.
Der von Käferlingen eilig herbeigeholte Arzt erklärte die Krankheit für einen Nervenschlag, meinte, daß die kleinen Zufälle, die, wie ich ihm erzählte, der Graf schon in der Residenz gehabt, die gewöhnlichen Vorboten dieser meist tödtlichen Krankheit wären, und gab wenig Hoffnung; er hielt mir und Klotilden eine sehr gelehrte Vorlesung über die verschiedenen Arten des Schlagflusses, als: des lymphatischen, gastrischen, spasmodischen und nervösen, verschrieb eine ganze Reihe von Recepten, fuhr mit bedenklichem Achselzucken von dannen, und überließ uns unseren bangen Besorgnissen.
Klotilde verließ das Lager des Kranken keinen Augenblick. Der kleine Groll über die beständige Aufsicht, unter der sie der Graf aus Argwohn oder Liebe bisher gehalten hatte, verschwand in diesem Augenblicke vor der Herzlichkeit ihres Antheils an seinen Leiden; die Pflicht der Dankbarkeit gegen den Wohlthäter ihres ganzen Lebens, und die geheime Ahnung des Familienbandes, was sie an den Grafen fesselte, belebten ihre zarte Sorgfalt um seine Pflege; sie lauschte auf jeden seiner Winke, sie kam seinen leisesten Wünschen zuvor, und verrichtete das schwere Amt der Krankenwärterinn mit der kindlichsten Selbstverläugnung. Der alte Mann schien dieß Alles mit tiefer Rührung zu bemerken; er sah sie immer mit stillen Thränen im Auge freundlich an, und bat sie gegen Mitternacht, mit ihm zu beten.
Wohl war es ein tief ergreifender Anblick, das fromme Kind am Bette des sterbenden Greises auf den Knieen liegen zu sehen; Klotilde betete in der Sprache ihres Landes, zu dem, der den Völkern aller Zungen sein Ohr willig leiht, wenn sie in der Noth zu ihm rufen; aber das Weinen erstickte ihre Stimme. Sie senkte den Kopf auf ihre gefaltenen Hände und schluchzte leise; da legte der Alte seine Rechte auf ihr Haupt und segnete sie.
Nach einer langen Pause ersuchte er Klotilden, sich zu entfernen, und winkte mir, mich zu ihm zu setzen.
Er sprach mit sichtbarer Anstrengung, kaum halb verständlich; das Athemholen ward ihm immer schwerer, und das zunehmende Röcheln störte ihn unaufhörlich. Er fühlte bestimmt die Nähe seines Todes; es lag ihm etwas auf dem Herzen, gewiß stand dieß mit Klotilden in Bezug; aber die Macht der Gewohnheit verfolgt den armen Sterblichen bis an den Rand des Grabes; an Heimlichthun gewöhnt, konnte er sich nicht entschließen, sich mir zu offenbaren. Alles, was er mir in kurzen abgebrochenen Sätzen eröffnete, beschränkte sich darauf, daß, wenn der Herr über ihn gebieten sollte, ich an seinen Sohn augenblicklich einen Kourier abfertigen, und dessen Befehle, wegen der Empfangnahme der Belehnung einholen möchte.
Was Klotilden anbelangt, hob er an, und drückte mir mit schwacher Kraft die Hand: so bleiben Sie ihr Freund. – Ueber ihrer Herkunft liegt ein schweres Geheimniß – die Ehre meines Hauses – ein schrecklicher Husten krampfte ihm die Brust zusammen, ich rief Klotilden; sie flog zitternd an sein Bette und beschwichtigte seine sichtbare Angst mit milder Rede und frommen Gebet. Er legte die Hand auf ihr Haupt, er wollte sprechen, und konnte nicht; er wollte schlucken, und vermochte es nicht; der Nase entquollen einige Tropfen Blut, der Todesschaum bedeckte ihm die erstarrenden Lippen, die Pulse stockten, das Auge brach. – Er war verschieden.
Des Grafen Hülle ruhte schon mehrere Tage in der Familiengruft unserer Kirche. Im Schlosse war es öde und still. Klotilde, vom schleunigen Hintritt des Grafen tief erschüttert, lebte so auffallend zurückgezogen, daß ich sie seit dem Begräbnißtage, wo sie an der Spitze sämmtlicher Gemeinden dem Sarge gefolgt war, mit keinem Auge sah.
Fast zwei ganze Wochen hatte ich, von einer Menge Geschäfte überladen, das ausgehalten; jetzt überwog die Sehnsucht jede andere Rücksicht, und ich faßte mir das Herz, sie auf ihrem Zimmer, unangemeldet zu überraschen. Ein mit dem Postboten an sie eingelaufener, mit einem mir fremden adeligen Petschaft versehener Brief, gab mir einen schicklichen Vorwand dazu.
Sonst immer die lebendige Raschheit selbst, schien sie über meinen Zuspruch befangen; es lag in ihrem ganzen Wesen etwas Gemessenes, Ängstliches. Sie nahm mir den Brief ab, ohne ihn zu öffnen; ich hätte gern gewußt, wer an das fremde, hier ganz unbekannte Mädchen schriebe, und was er schriebe; aber sie schien auf das Alles nicht zu achten. Unser Gespräch, das ich mir ganz anders gedacht hatte, drehte sich nur um die gewöhnlichsten Gegenstände; ich konnte nicht länger, ich mußte dem gepreßten Herzen Luft machen, und mein Befremden über die Kälte laut werden lassen, mit der sie diese ganzen vierzehn ewig langen Tage jedes Zusammentreffen mit mir absichtlich gemieden, und selbst jetzt sich ein Benehmen angeeignet habe, daß es scheine, als wolle sie jede Näherung wie ein Vergehen von mir betrachten.
Sie sah mich eine Weile an, lächelte wehmüthig, schüttelte das Köpfchen und schwieg.
Habe ich etwa Unrecht, Klotilde? fragte ich sanft, und der Gedanke, ihr wehe gethan zu haben, milderte den Ton meines Vorwurfs.
Wohl haben Sie Unrecht, mein Freund, entgegnete Klotilde ruhig. So lange der Graf mich mit Aufpassern umstellte, so lange war es, wenigstens nach meiner Ansicht verzeihlich, wenn ich den Fesseln, die er mir anlegen zu wollen schien, eine Art unschuldigen Trotz entgegen setzte. Jetzt, da ich frei bin, kommt es mir vor, als müßte ich mich selbst in jene Fesseln schmieden. Was mir eigentlich der gute alte Mann war, weiß ich nicht; nur so viel fühle ich, daß ich sein Andenken ehren muß; und dieß kann ich nicht besser, als daß ich das freiwillig und gern thue, was er bei seinen Lebzeiten wünschte, daß ich es thun möchte. Er hatte manche Schwäche, manche Eigenheit, er hatte dafür aber auch viel Großes und Herrliches, und die tausend Thränen, die ihm seine Unterthanen, als sie ihn zur ewigen Ruhe begleiteten, still nachweinten, waren unverwerfliche Zeugen seines Werthes. Lassen wir ihn im Frieden schlummern. Jetzt mein Freund, wollen wir den Brief öffnen. Vor Ihnen habe ich kein Geheimniß. Sie werden selbst ermessen, daß ich hier nicht bleiben kann. Die Güter gehören dem Sohne unsers alten Herrn, einem jungen Wüstling, von dem die eigenen Leute des Grafen nicht viel Gutes zu erzählen wissen. Wahrscheinlich trifft dieser, auf die Nachricht, die Sie ihm vom Tode des Vaters haben zukommen lassen, in wenig Tagen hier ein. Mit welchem drückenden Gefühle müßte ich vor ihm erscheinen, wenn er mich in seinen Besitzungen hier fände, wenn er mich fragte, wie ich hieher gekommen, was ich hier wolle, und ich ihm auf alles dieß keine genügende Antwort geben könnte.
Legt Ihnen, fragte ich lächelnd: auf die letzte Frage, Ihr Herz die Antwort nicht in den Mund? Wenn der junge Graf Sie fragt, was Sie hier wollen, so sagen Sie nur ganz trocken weg: Heirathen, und fragt er weiter, wen, so zeigen Sie nur gefälligst auf mich, so wird er, wenn er nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, den Zusammenhang wohl verstehen.
Jetzt keinen Scherz, entgegnete Klotilde bittend: wir stehen beide auf einem sehr ernsten Punkte, auf dem Punkte der Entscheidung unserer Zukunft. Wissen Sie denn Ihr Schicksal so bestimmt, daß Sie dessen Theilung mir bieten können? Der junge Graf hat, wie Sie wissen, mit dem Vater Jahre lang in gespannten Verhältnissen gelebt, wird er denn den Günstling dieses Vaters bei sich behalten? Des Herumschwärmens in der Welt müde, setzt er sich ruhig hieher, verwaltet seine Besitzungen selbst, und ersucht Sie, zum Neujahr sich nach einem andern Verhältniß umzusehen; was dann? Nein, mein Freund, ich will Sie zu keiner Uebereilung verleiten. Unsere Wege gehen aus einander. Ich habe an den Schwager des alten Grafen, an den Ober-Kammerherrn geschrieben; von dem erzählte der selige Graf immer viel Gutes, und darum habe ich Vertrauen zu ihm gefaßt; ich habe ihm meine hiesige Lage geschildert, ihm die Nothwendigkeit aus einandergesetzt, vor der Ankunft des jungen Grafen von hier weggehen zu müssen, und ihn gebeten, mich zum Unterricht im Französischen, in der Musik u. s. w., in anständigen Häusern seiner Bekanntschaft zu empfehlen, und bei den bescheidenen Ansprüchen, die ich mache, wird sich gewiß ein solcher Platz gefunden haben. Jetzt wollen wir den Brief öffnen, und ihn zusammen lesen, in ihm liegt der Faden, an dem ich mich durch das Labyrinth dieses dunkeln Lebens unter Kummer und Entsagen, fortwinden soll; es gibt kein mißlicheres Loos, als das eines Mädchens, das in der Welt mittellos und allein steht. Sie zerdrückte eine stille Thräne, und griff nach dem Briefe.
Oeffnen Sie nicht, rief ich mit mir selbst unbegreiflicher Laune, und gedachte der bösen Nacht in Käferlingen, wo ich auch alle Hoffnungen aufgegeben und der Verzweiflung mich in die kalten Arme geworfen hatte, und auf die es mir gleich nachher so überselig bis jetzt gegangen war. Der Brief kann über Ihr ganzes Schicksal gebieten. Der Ober-Kammerherr kann Ihnen, – er war der vertrauteste Freund des Grafen, – er kann Ihnen schreiben, daß Sie im Testamente, das der Verstorbene beim höchsten Landesgerichte deponirt hat, reichlich bedacht sind; dann – ich stockte, denn der Gedanke, daß sie mir, dem blutarmen Secretair dann verloren sey, durchzuckte mir, wie ein kalter Donnerschlag, die Seele.
Nun und dann? fragte Klotilde freundlich: das sollte ich meinen, wäre ja das Beßte, was mir begegnen könnte, Sie aber machen ein Gesicht dazu, als sey das ein Unglück.
Das wäre es auch, entgegnete ich, und mußte mich wegwenden, denn die schmerzliche Idee, daß Klotilde, wenn es bekannt würde, daß ihr durch Erbschaft ein beträchtliches Vermögen zufiele, ein Heer von Anbetern um sich haben würde, von denen mancher ihr zehnmal lieber und werther seyn dürfte, als ich, trübte mir das Auge und machte mich finster.
Mein Freund, mein lieber, lieber Freund, sagte Klotilde, mild lächelnd, und in ihrem himmelreinen Auge glänzte eine stille Thräne, wir sind, ich weiß nicht wie, wieder auf die Unterhaltung gerathen, bei der uns neulich in der Weinlaube die Wespe unterbrach; heute sehe ich, kommt kein solches mitleidiges Thier geflogen, um mich des Geständnisses zu überheben, daß alle äußere Nebenumstände auf die Neigung meines Herzens nie von Einfluß sind. Der Brief hier, und Ihr fast überspanntes Zartgefühl, dringen mir diese Betheurung ab; bin ich nach der Lesung dieses Briefes reicher als jetzt, so würden Sie, nach Ihren Ansichten und Gefühlen, nicht wieder den Muth haben, sich mir mit Liebe und Vertrauen zu nähern, und ich – sie lachte mit unbeschreiblichem Liebreiz – ich kann Ihnen doch die Hand zuerst nicht bieten; und bin ich, nach der Lesung des Briefes, ärmer, setzte sie ernst hinzu: und ich wollte dann noch von Ihrer Liebe sprechen hören, würde es, müßte es nicht den Schein haben, als –
Als wäre ich Ihnen nun gut genug, fiel ich ihr halb empfindlich, halb scherzend in das Wort. Also vor der Entsiegelung des Briefes, fuhr ich fort, und drückte ihre Hand an mein Herz, und sah ihr in das klare Kornblumenblau ihres geistvollen Auges, und sie sank in meine Arme; ein minutenlanger Kuß besiegelte den Bund zwischen zwei der ärmsten Menschen unter der Sonne, die in der Seligkeit dieses Augenblicks die Glücklichsten, die Reichsten auf dem ganzen Erdenrunde waren.
Wie war das Mädchen schön, wie liebenswerth! Es kam mir vor, als wäre es tausendmal reizender, seit es mein sey. Ihr vertrauliches Du, um das ich sie jetzt bat, hatte einen ganz unbeschreiblichen Wohllaut. Wir waren vom Küssen zum Kosen, zum Scherzen und Tändeln übergegangen; sie erzählte mir nun mit herzlicher Offenheit, daß ich gleich am ersten Tage unserer Bekanntschaft das Glück gehabt hätte, vor ihren Augen Gnade zu finden, wir machten tausend Pläne für die Zukunft; uns bangte unseres Fortkommens halber im Mindesten nicht; der junge Graf konnte heute eintreffen und wir morgen auswandern müssen, so stand uns jede grosse Stadt offen, wo wir mit Stundengeben in Musik und Sprache, uns unsern Lebenserwerb schon verdienen wollten. Armselige Aussichten, und doch war der Spiegel, der uns unsere künftigen Tage so rosig zeigte, der freundlichste, in den ich je gesehen.
Wir wollten schon in den Garten hinab, um von allen unseren Lieblingsplätzchen, von den Schneeballparthie, wo wir uns zuerst sahen, von der Weinlaube, und noch von vielen anderen, die wir nun wahrscheinlich bald würden verlassen müssen, vorläufig Abschied zu nehmen, als uns des Ober-Kammerherrn Brief, den wir über die Seligkeit unserer Liebe ganz vergessen hatten, wieder in die Augen fiel.
Wir öffneten und lasen:
Ma chere demoiselle!
Si rous voulez être employée en qualité d'une gouvernante, il vous faut laisser annoncer dans la gazette. Moi je ne suis pas votre Commissaire, et j'ai trop a faire, pour pouvoir me meler en votre petites choses. Le comte a parlé avec moi tres souvent de vous, et toujours avec beaucoup amour et tendresse; cet aussi la cause, pourquoi je suis avec l'estimation veritable
Votre etc.
Wir lachten über die kauderwelschen Zeilen; ihr Inhalt schmerzte uns nicht, nur fand Klotilde, daß der Ober-Kammerherr ein ungefälliger Mensch sey.
Wenn er wirklich eine estimation veritable für mich hätte, sagte sie halb empfindlich; so konnte er wohl für das verlassene Mädchen ein freundliches Wort bei seinen Bekannten sprechen. Sieh mir in das Herz, und Du wirst keinen Hang zur Rache darin finden, aber solchen Menschen, gerade solchen, möchte ich fühlen lassen, wie wenig sie verstehen, den vom Unglück Niedergebeugten aufzurichten. Jetzt mein Freund – sie schlug die Augen nieder: jetzt habe ich nichts, was ich Dir mitbringen kann, nicht einmal den Stolz einer geopferten Aussicht. Du knüpfest Dir eine Last an das Leben, die Dich nie wird so hoch steigen lassen, als Du mit Deinen Kenntnissen, mit Deinem Herzen verdienst. Ich kann Dir keinen Ersatz bieten, nicht den geringsten. Das Feuer Deiner Liebe werden späterhin der Reue Thränen auslöschen, daß Du Dich übereiltest, und ein Band knüpftest, das Dir Deine Lage nur erschwert, Dir nimmer Freude bringen kann. Laß mich in Frieden ziehn! ich will zurück in mein Vaterland! Mein Gott wird mich ja dort nicht zu Schanden werden lassen; ein belohnendes Gefühl schon begleitet mich dahin, daß Dir dann die Hälfte Deiner Lebenssorgen abgenommen ist. Mein Freund, mein Herzensfreund, der Armen Loos ist unbarmherzig hart! Die Trennung von Dir, mein Geliebter – Sie ist unmöglich! rief ich im Übermaß des Schmerzes, und umschlang das wunderholde Kind.
Klotilde sank, laut schluchzend, an meine Brust. Hast Du denn den Muth, fragte sie nach langer Pause, und lächelte unter sanftem Weinen, mit hoffendem Vertrauen auf die Güte der Allmacht, mir in die Augen; hast Du den Muth, des Lebens Bürde, die das Geschick uns in unserer Armuth auflegt, mit mir zu tragen?
Wir sind nicht arm, entgegnete ich, den frommen Engel an mein tief bewegtes Herz drückend: wir verstehen beide die große Kunst, die selbst manchen Weltweisen abgeht, die Kunst des Entbehrens und wir haben beide so viel gelernt, daß wir uns verdienen können, was wir brauchen. Schlag ein meine treu geliebte Klotilde! bauen wir auf Gott, der wird es wohl machen; wir wollen nicht schlafen, noch schlummern, noch die Hände zusammenthun, daß wir ruhen, auf das nicht über uns komme die Armuth wie ein Wanderer, und der Mangel, wie ein gewappneter Mann. Weinen und Klagen hat seine Zeit; laß uns fröhlich seyn auf unserm stillen Wege durch das Leben, das ist unser Theil.
Ich hab' einmal ein Schätzel g'habt, Ich wollt, ich hätt es noch. |
blies der Käferlinger Postknecht, und saus'te mit dem aus Italien zurückkehrenden Kammerdiener am Garten vorüber. Wir lachten über das alte Lied des Posthorn-Virtuosen und eilten in das Schloß zurück, um zu hören, was der Kammerdiener uns für Nachrichten vom jungen Grafen bringe.
Dringender Ursachen halber, schrieb er, sey es ihm unmöglich, selbst zu kommen: ich solle aber bei Ansicht dieses, nach Wien eilen, und im Erzherzoge Karl nach ihm mich erkundigen; zugleich soll ich die Guts-Rechnungen des letzten Jahres mitbringen, und was hier sonst noch von Interesse für ihn seyn könne.
Ein Packen Rechnungen im Wagen links neben mir, ein Blechkästchen mit des seligen Herrn Documenten rechts neben mir, Frugoni's Meisterbild auf der Brust, und tausend Pläne, Hoffnungen und Zweifel im Kopfe – so fuhr ich in die Kaiserstadt ein, fragte im Erzherzoge Karl nach dem Grafen, hörte, daß er bereits eingetroffen sey und ließ mich, nachdem ich den Reisestaub abgeschüttelt hatte, bei ihm melden.
In banger Erwartung – denn in des Mannes Hand lag ja meine Zukunft, mein Glück, – trat ich vor den Grafen, und hätte beinahe laut aufgeschrieen, den ich stand vor Klotilden. Dasselbe Gesicht, die nämlichen Züge, das schwarze Haar, die dunkelblauen Augen, – nur einige zwanzig Jahre älter, und an die Stelle der weiblichen Grazie, die zarteste männliche Anmuth. Das war Klotildens Bruder, und kein anderer.
Kommen Sie allein? fragte er gespannt, und schien, als ich die Frage bejahte, in einer sehr angenehmen Hoffnung getäuscht zu werden; er wendete sich halb seitwärts und murmelte etwas von dem Schlusse seines Briefes, den ich nicht gelesen haben müsse, jedoch nur so leise vor sich hin, daß ich das, was er sagte, oder vielmehr damit sagen wollte, nicht recht verstehen konnte. Sollte er unter den Worten: daß ich ihm außer den Rechnungen mitbringen solle, was sonst noch für ihn von Interesse seyn könne, Klotilden, den unschuldigen Zeugen von der Schuld seiner Mutter gemeint haben? Ich schwieg, und glaubte, er würde sich deutlicher erklären, aber er berührte den Punkt nicht weiter, sondern ließ sich, die mitgebrachten Papiere durchblätternd, von der letzten Stunde des Vaters erzählen, hörte mit der aufmerksamsten Theilnahme zu, legte am Ende die Papiere aus der Hand, barg das Gesicht in sein Taschentuch und weinte die bittersten Thränen.
War das der Mann, an dem die Leute unseres Hauses kein gutes Haar wissen wollten, den Klotilde, meine sanfte Klotilde selbst, einen Wüstling gescholten hatte? Ein guter Sohn ist kein schlechter Mensch, und daß der Graf keiner war, sagte mir sein leises Schluchzen um den tödtlichen Hintritt des kindlich geliebten Vaters.
Ich habe, sprach er, wie im Vorwurf gegen sich selbst: hier in Freude und Glück gelebt, während mein armer Vater mit dem Tode rang. Er hat Niemand gehabt, der ihm in den letzten Stunden des schweren Kampfes Trost zusprach, Niemand, der –
Er starb, fiel ich ihm in das Wort, und an meinem Tone mußte der junge Graf abnehmen, daß mir seine Vorstellung, als hätten wir uns gegen unsern väterlichen Freund, den alten Grafen, einer Lieblosigkeit zu Schulden kommen lassen, recht innig weh that: Er starb in meinen Armen; Klotilde betete mit ihm, bis zu seinem letzten Athemzuge, und als sein Geist von ihm wich, drückte sie das lebensmüde Auge zu.
That sie das? rief der Graf begeistert, und lächelte durch die hellen Thränen, und faltete freudig die Hände vor die Brust: sie betete mit ihm, sie drückte ihm an meiner Stelle die Augen zu? – er konnte nicht weiter sprechen; die tiefste Rührung erstickte ihm die Stimme. Nach einer langen Pause sagte er still vor sich hinsinnend: sonderbare Fügung! also darum mußte sie sterben? darum mußte Klotilde zum Vater? Er schüttelte, in Gedanken tief verloren, den Kopf und ging, den nassen Blick zur Erde gewandt, schweigend im Zimmer auf und ab. Morgen früh! sagte er endlich, Klotildens blaues Auge auf mich gerichtet, freundlich bittend zu mir und verabschiedete mich.
Ich hatte mich auf Wien gefreut, und war jetzt mitten darin, aber ich hatte keinen Sinn für die Annehmlichkeiten der gerühmten Kaiserstadt. Die Sehnsucht nach Klotilden schwellte mir die Brust! Hundert bildschöne Mädchen und Frauen begegneten mir, aber mein Engelskind mit dem Rabenhaar und den azurblauen Augen, war nimmer unter ihnen. – Das Räthselhafte in des Grafen Benehmen beschäftigte meine Phantasie! Er mußte jenen Brief, dessen Anfang ich in des alten Grafen Zimmer gelesen, erhalten haben, denn er wußte von Klotilden. Seine wehmüthige Freude, als er hörte, daß sie den sterbenden Vater gepflegt, daß sie ihn getröstet, daß ihr Gebet ihn in das Schauerreich des Todes begleitet hatte – und dann seine sonderbare Aeußerungen über die Fügung des Schicksals – darum mußte sie sterben, sagte er! – wer war die sie? seine Mutter, die Schuldbelastete? die war aber ja schon lange todt! Ich bog, in Gedanken tief verloren, aus der Kärnthner Straße beim Stock am Eisen, links ein, wandelte nach dem Graben zu, und prallte, da in der engen Passage dieser Gegend, zwei Equipagen an einander vorbeiflogen, rechts an die Glasthür eines Konditor-Ladens. Ein zarter weißer Finger tippte im innern, an die Scheiben der Thür, ich hörte meinen Namen nennen, wendete mich, und erblickte das Sommersprossen Gesicht der Gundel.
Ich trat, meinen Augen kaum trauend, in den Laden, ward von ihr mit einem lauten Gelächter bewillkommt, fand an ihrer Seite einen jungen Mann, den sie mir als den Baron von Finkenbach vorstellte, und mußte Mandelschnitzl essen, die sie mir als das weltberühmte Backwerk dieser Konditorei anprieß, und nebenher, während ich die wahrhaft überirdische Ambrosia mir auf der Zunge zergehen ließ, beiläufig erzählte, daß sie in dem kleinstädtischen Käferlingen nicht mehr habe aushalten können, daß Papa und Mama Knipps immer eigensinniger und unerträglicher wurden, daß ihr Mann, nachdem er im Spiel und Trunk ihr Vermögen und seine Gesundheit verlor, wegen lebensgefährlicher Anfälle von Wahnwitz; im landesherrlichen Tollhause habe untergebracht werden müssen, daß sie, um sich von dem tausendfachen Ungemach, dem sie diese Zeit über fast erlegen, zu zerstreuen, mit ihrem Freunde, dem Baron, eine kleine Lustreise hieher gemacht habe, daß sie gestern erst hier angekommen sey, und sich unbeschreiblich freue, gleich in den ersten vier und zwanzig Stunden ihres Hierseins, einen so alten lieben Bekannten zu finden.
Auf gut Deutsch, Gundelchen war davon gelaufen, lebte mit ihrem sogenannten Freunde, der, wie ich später in Käferlingen erfuhr, dort als Declamator und Magnetiseur aufgetreten war, in den Tag hinein, und freute sich, mich, den alten Bekannten hier zu wissen, um ihn, im Fall der Noth, die wahrscheinlich nicht lange ausbleiben konnte, auf irgend eine gute Manier, wegen einer Hand voll Guldenscheine, in Kontribution zu setzen.
Die Mandelschnitzl schmeckten mir auf einmal nicht mehr. Die Flasche Pontac, die Gundel dem Vater gemaus't hatte, um sie mir heimlich zuzustecken, stand wie eine schwarze Warnungsäule mir vor den Augen. Wo ein Kind gegen Vater und Mutter, wo ein Gatte gegen den andern heimlich handelt, da ist kein Glück, kein Segen im Hause. Ich entfernte mich, unter einem gesuchten Vorwande, so bald als möglich, und habe von der Landflüchtigen nie wieder gehört.