H. Clauren
Das Dijon-Röschen / 1
H. Clauren

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70.

Morgen früh, hatte der Graf gesagt; ich stand also bei guter Zeit auf, um in den Erzherzog Karl zu gehen; allein der Graf überraschte mich auf meinem Zimmer.

Er begrüßte mich freundlich, hatte einige Papiere in der Hand, und begann von Geschäften zu sprechen, als er Frugoni's Miniaturbild auf dem Tische neben meinem Bette gewahrte. Das hat Frugoni gemalt, rief er, wie electrisirt, griff mit dringender Hast nach dem Gemälde, weilte mit stillem Blick eine Weile auf demselben, sagte leise, mit gebrochener Stimme: ja das ist sie! fing dann laut an zu weinen, und stürzte, das Bild in der Hand, zum Zimmer hinaus; ich folgte ihm, vor Schreck und Verwunderung mehr todt als lebendig, bis zur Treppe, er deutete mir aber durch Handwinken zu bleiben, sagte durch das vor den Mund gehaltene Tuch, ich möchte morgen früh zu ihm kommen, eilte die Treppe hinab, warf sich in den Wagen, und fuhr davon.

Ich stand zehn Minuten und länger auf einem und demselben Flecke, und wußte nicht, ob ich wache oder träume.

Was wußte der Graf von Frugoni? was von Klotilden? Klotilde hatte mehr als einmal gesprächweise erwähnt, daß sie vom jungen Grafen nichts wisse, als was sie von den Umgebungen des Hauses gehört hatte, und das war nicht sehr erfreulich. Wie konnte Klotildens Bild, das Bild eines Mädchens, das er nie mit Augen sah, den Grafen so ergreifen? Was wollte er mit seinem, das ist sie, das ist sie! oder kannten sich beide, und hatte mich Klotilde belogen, betrogen? Aber das war ja nicht möglich; welche Teufel müßten die Weiber seyn, wenn das reinste, das fleckenloseste Wesen unter ihnen, diese Klotilde, mich so hätte täuschen können. Das ganze Benehmen des Grafen war so befremdend! – Klotilde war nicht das Kind seiner Mutter, nicht seine Halbschwester! um einer solchen willen gerieth ein Mann, wie der Graf, nicht in diese Extase; die Leidenschaftlichkeit, mit der er nach dem Bilde griff, die tiefe Wehmuth, die ihm die Thränen aus den Augen preßte; der Schmerz, die Verzweiflung, die ihn von dannen trieben; der Raub des Gemäldes selbst, – konnte ich denn noch an einem heimlichen Verständniß zwischen ihm und Klotilden zweifeln? Ja, sie hatte mich hintergangen, die Schlange. Das ungeheuerste aller Gefühle, das Gefühl betrogener Liebe packte mich mit glühenden Zangen. Ich mußte Aufschluß haben, aus des Grafen eigenem Munde, wollte ich den Zusammenhang hören; ich stürzte ihm nach. Er hatte sich in seinem Zimmer eingeschlossen, und ließ Niemand vor sich. Ich ließ mich nach einer Stunde wieder melden, dieselbe Antwort; ich wiederholte eine Stunde später meine Anfrage; der Graf schickte mir ein versiegeltes Billet heraus, in dem er mich mit freundlichen Worten ersuchte, morgen früh wieder zu kommen, und bis dahin ganz ruhig zu seyn.

Ruhig! das Wort war bald geschrieben; ich durchlief die halbe Stadt, und wurde es nicht. Es wurde Mittag und ich konnte keinen Bissen essen! es wurde Abend, und ich konnte nirgend aushalten, ich lief in das Theater an der Wien, aus diesem in das Kärnthner-Thor-Theater, aus diesem in das Burgtheater! überall wollte es mich nicht leiden, überall verfolgte mich Klotildens Bild, und des Grafen Worte, das ist sie, zerschnitten mir das Herz in blutige Stücke. Müde, erschöpft bis zum Tode, warf ich mich auf mein Lager, und der Schlaf, der himmlische Tröster der Leidenden, drückte mir das thränenfeuchte Auge zu.

71.

Den folgenden Morgen wachte ich früher als gewöhnlich auf; ich eilte in den Erzherzog Karl; der Graf war fort! Der Wirth des Hauses händigte mir ein versiegeltes dickes Packt Papier unter meiner Adresse ein, und richtete die Grüße aus, die der Graf noch beim Einsteigen in den Wagen an mich bestellt hatte.

Der Graf fort? – Ueber den Gedanken konnte ich nicht wegkommen. Diese Papiere – was konnten mir die todten Papiere helfen; das waren, das sah ich an der großen Folioform, trockene Acten- und Rechnungssachen. Die ängstigendsten Beklemmungen in der Brust, ging ich mit dem Packte unterm Arme, nach Hause; meine Bürde ward mir immer schwerer; in den Papieren war nichts Gutes; darum schrieb der Graf, denn einem Manne von irgend einigem Zartgefühl fällt es schwer, andern etwas Unangenehmes mündlich sagen zu müssen. Wie in jener Nacht zu Käferlingen, als ich ohne Trost und Aussicht mit düsterem Blicke meine Lage überschaute, haderte ich jetzt mit dem Schicksale, dessen Tücke mich gegenwärtig mit Doppelkrallen packte. Es war, als hätte ich mein eigenes Kreuz zu meinem Golgatha getragen, so erschöpft sank ich in das Sopha,. als ich meine Wohnung erreicht hatte. Mit schmerzlichen Ahnungen entsiegelte ich endlich die verhängnißvollen Papiere.

Oben auf lag eine auf mich gestellte, vor den Gerichten zu Piombino ausgefertigte Vollmacht, in des Grafen Stelle, die Lehn der ihm durch des Vaters Tod erblich zugefallenen Güter zu empfangen.

Das zweite, gleichfalls vor gedachten Gerichten ausgestellte Document, übergab die sämmtlichen Güter, sammt allem in Deutschland befindlichem Vermögen des verstorbenen Vaters, es möge solches bestehen, worin es wolle, Klotilden und ihren nächsten Erben, zur lebenslänglichen Nutznießung.

Das dritte ebenfalls gerichtlich bestätigt, ernannte mich zu Klotildens Vormund.

Das vierte Papier endlich, waren folgende Zeilen, von des jungen Grafen eigener Hand, und gestern erst geschrieben.

Mein Freund!

Der letzte Brief meines seligen Vaters hat mich von dem Verhältniß in Kenntniß gesetzt, in dem sie zu Klotilden stehen. Mein Betragen diesen Morgen, mag Ihnen vielleicht auffallend gewesen seyn; indessen lesen Sie weiter, und Sie werden mich entschuldigen. Ich bin Ihnen offene Mittheilung schuldig; mündlich vermochte ich das nicht; dem Schuldbewußten fällt es schwer, dem Reinen gegenüber zu stehen: nehmen Sie daher meine schriftlichen Bekenntnisse mit schonendem Wohlwollen auf; doch zur Sache.

Nach beendigter akademischer Laufbahn sandte mich mein Vater auf Reisen. Paris war mein erster Ausflug, dort mein erster Gang in die große Oper, und noch denselben Abend lag ich zu den Füßen eines der schönsten Mädchen, das diese Erde trug. Charlotte Dumesnil fesselte mich mit den Reizen ihrer Jugend und ihrer heiligen Unschuld. Sie ward mein, vor Gottes Altare, und Klotilde war die Frucht unserer Liebe. Zufällig erfuhr unser Gesandter von der Verbindung; er meldete sie meinem Vater, und dieser entzog mir von diesem Augenblicke an sein Herz und seine Liebe; er schwor mir unversöhnlichen Haß, und verbot mir, ihm je wieder unter die Augen zu treten. Des Vaters Briefe fielen in Charlottens Hände. Sie verschwand mit ihrem Kinde aus Paris, und hinterließ mir nichts, als einige Zeilen, in denen sie mir ewige Liebe gelobte, aber unsere Ehe, auf der des Vaters Fluch ruhe, für aufgehoben ansehe; ich durchstreifte ganz Frankreich, um sie aufzufinden, vergeblich; ich habe sie nie wieder gesehen, nie wieder von ihr gehört, als in einem Briefe, den ich ungefähr vor drei Jahren von meinem guten seligen Vater erhielt. Ich ward, wahrscheinlich auf dessen Betrieb zu verschiedenen Sendungen nach London und Petersburg gebraucht, und lebte, da der Vater mir seit jenem Fehltritte, wie er es nannte, alle und jede Unterstützung versagte, von der Hinterlassenschaft meiner, kurz nach dieser Katastrophe verstorbenen Mutter. Alle Bemühungen meiner Freunde unserer Heimath, den Vater mit mir zu versöhnen, blieben erfolglos. Er hatte große Pläne gehabt, mich in eine der ersten Familien des Landes zu verheirathen, und da diese durch meine Verbindung mit Charlotten vereitelt waren, blieb er für jeden Antrag zum Frieden unerbittlich, schrie mich bei allen Bekannten seines Kreises für einen Wüstling aus, und erklärte ein für allemal, nichts von mir hören zu wollen. Zwanzig Versuche, meine treugeliebte Charlotte späterhin ausfindig zu machen, schlugen fehl; die politischen Stürme der jüngsten Zeit verwehten jede Spur, wenn ich ja auch einmal so glücklich war, eine solche zu finden. Ich hielt dessen ungeachtet das Gelübde, was ich ihr im ersten Schmerze unserer Trennung, ohne Worte, that; ich verheirathete mich, so lange sie unter den Lebendigen war, nicht wieder. Charlottens Tod versöhnte den Vater; er schrieb mir seit langen, langen Jahren zum ersten Male wieder; er meldete mir, daß er Klotilden zu sich genommen, und in ihrem Umgang neuen Reitz für das Leben gewonnen habe. Ersparen Sie mir die Äusserungen über den harten, strengen Mann, der durch seine unbegreiflichen Kanäle, Charlottens Aufenthalt ausgekundschaftet, und ihn mir, bis zu ihrem Lebensende verschwiegen hatte; er hat der Bitterkeit, die meine Seele bei diesem Gedanken überwallt, ihren Stachel durch die himmlische Milde genommen, mit der er die ganze Zeit über Mutter und Kind unterstützte. Charlotte hat, wie ich jetzt erst durch den Pariser Freund, der diese Angelegenheit für meinen Vater besorgte, erfahren habe, immer in dem Wahne gestanden, daß alle die Summen, die sie aus des Vaters Hand, mit verschwenderischer Freigebigkeit erhielt, ihr von mir zugeflossen sind; sie hat sich verpflichtet gefühlt, alles auf Klotildens Erziehung zu wenden. und ihr mit dem Übrigen ein kleines Kapital zu sammeln. – Sie selbst hat von ihrer Hände Arbeit gelebt. Ich – ich habe nichts für sie, nichts für mein Kind gethan. Das Dokument, wodurch Klotilde die Nutznießung meines sämmtlichen väterlichen Erbes erhält, löscht daher nur einen Theil meiner Schuld aus.

Ich vermuthete, daß mein Vater Ihnen vielleicht auf dem Todbette gesagt habe, daß Klotilde meine Tochter sey; weil ich es indessen nicht gewiß wußte, schrieb ich bloß, daß Sie mir mitbringen sollten, was von Interesse für mich seyn könne. Ich sehnte mich, das Kind meiner Charlotte zu sehen, das mir, noch kein Jahr alt, entrissen ward. Sobald ich erfuhr, daß Klotilde beim Vater war, sandte ich Frugoni an ihn, mit der Bitte, sie für mich malen zu lassen. Der Vater verspricht mir das Bild zu senden, und stirbt darüber. Jetzt haben Sie es mir gebracht; denn daß das Klotilde, und keine Andere ist, sagen mir die Züge ihrer Mutter, die mir so ähnlich war, daß wir in Paris gewöhnlich für Geschwister gehalten wurden. Lassen Sie mir das Bild, ich gebe Ihnen dafür das Original.

Nach dem Briefe des Vaters, der, wie Sie wissen, durch tausend Mittel die tiefsten Geheimnisse seiner Umgebungen zu ergründen verstand, ist zwischen Ihnen und Klotilden der zarte Bund der Liebe geschlossen. Die bittere Erfahrung meines Lebens hat mich milde gemacht; ich will das Herz meines Kindes in keine Schranken einzwängen; ihre Wahl soll ganz frei seyn. Sagen Sie ihr, wer sie sey und welche Aussicht in Betreff ihrer Vermögensverhältnisse sich ihr eröffnet, und bleibt sie ihrem Entschlusse treu, Ihnen die Hand zu geben, so ertheile ich hiermit gern und freudig meinen Segen. Mein Vater war streng, er war überstreng, seine Forderungen an die Menschen gingen fast in das Ueberspannte, weil er mit eiserner Pünktlichkeit seinen Pflichten genügte und immer noch glaubte, zu wenig gethan zu haben; darum war er fast nie mit den Menschen zufrieden, denn sie blieben alle hinter den Ansprüchen zurück, die er an sie machte; indessen Sie sind der Einzige, in dessen Lobe er unerschöpflich war. Als Geschäftmann und als Mensch, waren Sie ihm gleich werth, und darum vertraue ich ihnen das Wohl meines Kindes, wenn dieß in seiner Neigung beharrt, unbedenklich an. Wäre mein Vater am Leben geblieben, so hätte ihn, dahin zielen seine späteren Briefe deutlich, nichts glücklicher gemacht, als Sie beide mit einander vereinigt zu sehen; ich handle daher in dem Geiste des edlen Mannes, wenn ich Eure beiden Hände segnend in einander lege. Verzeihen Sie dem Vater, der den Sohn kennen zu lernen wünschte, ehe er das geliebte Kind ihm zuführen mochte. Ich bin jetzt ruhig, denn ich weiß nun meine Tochter an der Seite eines gesunden, wohlgebildeten Mannes, der ein redlicher Haushalter, das Vermögen des Vaters nicht vergeuden, und mit Klotilden die Lebensgenüsse eben so treu und ehrlich theilen wird, als er des Lebens Entbehrungen mit ihr gemeinschaftlich zu tragen entschlossen war.

Um Ihrem Danke und meiner Beschämung zu entgehen, bin ich, wenn Sie diese Zeilen lesen, schon auf dem Wege in meine neue Heimath Piombino. Nach dem Tode meiner Charlotte verband ich mich dort mit der Duchesse Binelli, aus einem der geachtetsten Häuser unserer Gegend. Bis hieher hatte ich nicht den Muth, meiner geliebten Gattin von meiner früheren Verbindung zu sagen. Sobald ich weiß, daß Klotilde sich Ihnen bestimmt, und daß sie alsdann nicht schutzlos ist, werde ich offen und ehrlich das Bekenntniß meiner früheren jugendlichen Uebereilung, das lange schon meine Seele gedrückt hat, zu meiner Gattin Füßen niederlegen, und Klotilde soll dann, im Bilde wenigstens, bei meiner sanften Engelsfrau, meine Fürbitterin seyn. Verzeiht mir meine Maria, wie ich von dem frommen Wesen glauben darf, so kommen Sie bald einmal mit Klotilden nach Piombino, und ich will in diesem Leben auf alle weitere Wünsche verzichten.

Leben sie wohl, und lassen Sie mich bald Klotildens Entscheidung wissen. Auf den unerwarteten Fall, daß sie durch die Veränderung ihrer Vermögensumstände anderes Sinnes werden sollte, habe ich Sie als Vormund bestellt, und Sie werden dann ihr und mein Freund bleiben. Der Beweis von unbedingtem Vertrauen in Ihre gewissenhafte Rechtlichkeit, der in der Art und Weise liegt, mit welcher ich das zeitige und geistige Wohl und Wehe meines geliebten Kindes Ihnen hingebe, mag Ihnen mehr, als alle leere Worte sagen, mit welcher aufrichtigen und innigen Hochachtung ich bin

Ihr u. s. w.

72.

Ich stierte über fünf Minuten gerade vor mich hin, als ich ausgelesen hatte. Klotilde die Tochter des Grafen, mit einer jährlichen Einnahme von wenigstens 50,000 Rthlr.

Ich sollte mich freuen und konnte es nicht. Wer das Drückende kennt, sich, sey es durch Talente oder Kenntnisse, durch Gold oder Rang seiner Frau untergeordnet zu fühlen, wird die Beklommenheit meines Gefühls rechtfertigen. Die glänzende Zukunft, die mir der Graf bot, wie gern hätte ich sie gegen meine frühere Lage vertauscht, wo Klotilde ihr ganzes Glück, ihre ganze Seligkeit in meiner Liebe fand. Sie war jetzt meine Gebieterinn, ich nichts, als der Verwalter ihres Vermögens. Unser Verhältniß war durch die leidige Entdeckung auf ewig zerstört; diese Ungebundenheit, diese Traulichkeit konnten nie mehr wiederkehren, und wo diese fehlten, wo konnte da von Liebe die Rede seyn!

Wie hatte ich mich auf die Heimreise gefreut, und wie bangte mir nun vor ihr. Ich sollte, ich mußte Klotilden aufgeben, denn die finstere Ueberzeugung, daß von jetzt an jede Verbindung mit ihr ein Mißverhältniß sey, das über uns beide mit der Zeit nur Unheil bringen müsse, lag mit mathematischer Gewißheit vor mir.

Tausend Entschlüsse reiften mir in der düstern Seele, und tausend verwarf ich, weil sie bald mit meinem Herzen, bald mit meinem Kopf im Widerstreit standen. Der halbe, der ganze Tag verging, und immer noch konnte ich mit mir nicht einig werden. Endlich, am späten Abend, setzte ich mich hin und schrieb an Klotilden.

Ihr, nach geschehener Mittheilung von dem, was mir ihr Vater eröffnet hatte, anheimzustellen, ob sie meine leere Hand noch annehmen oder ausschlagen wolle, wäre mehr als vermessen gewesen; im ersten Falle muß ich es als Gnade, als mitleidige Barmherzigkeit, oder höchstens als Nothwendigkeit, das mir einmal gegebene Wort halten zu müssen, ansehen; im letztern hätte mich die Kränkung getödtet. Ich folgte also dem Gefühl meiner Bescheidenheit und meiner Rechtlichkeit, und gab sie auf; ich setzte ihr, unter urschriftlicher Beischließung des von ihrem Vater erhaltenen Briefes, aus einander, daß bei der durchaus veränderten Lage der Dinge von der Vergangenheit keine Rede mehr seyn könne; daß ich Besonnenheit genug habe, in die Schranken, die mir das Verhängniß jetzt bestimmt habe, zurückzutreten; daß sie unumschränkte Herrin ihres Willens und Herzens sey; daß ich die Vormundschaft, mit der mich ihr Vater beehrte, nur für den ersten Augenblick annehme; daß ich sie aber dem übertragen zu dürfen mir vorbehalte, den sie mit ihrer Hand beglücken werde; daß ich mich gegenwärtig nicht stark genug fühlte, mich ihr gegenüber zu stellen; daß ich daher dringend bäte, für die erste Zeit wenigstens in Käferlingen bleiben zu dürfen, von wo aus ich die Gutsangelegenheiten, mit denen mich ihr Vater beauftragt habe, bis zu der anderweitigen Einrichtung besorgen würde; daß ich den nächsten Sonnabend daselbst einzutreffen gedächte, und in der goldenen Krone absteigen würde, wohin ich ihre etwanigen Befehle gelangen zu lassen sie gehorsamst ersuchte.

Um folgerecht zu bleiben, hatte ich das süße Du der Liebe, das in den letzten seligen Tagen unseres Beisammenseyns unter uns statt fand, aus diesem Briefe ganz weggelassen, und sie vom Anfang bis zu Ende mit Sie angeredet; ich las die Zeilen mehrmal durch; kein Geschäftschreiben konnte ruhiger, kälter aussehen; aber ich hatte es mit meinem Herzblut geschrieben. Der kalte Schweiß stand mir auf der glühenden Stirne, als ich endete. Es war Mitternacht geworden. Wenzel mußte aber dessen ungeachtet noch fort auf die Post, um für diesen verhängnißvollen Brief unverzüglich eine Estafette zu besorgen, denn das Papier brannte mir wie Feuer in den Händen.

Ich sah dem schlaftrunkenen Wenzel aus dem Fenster nach, so weit ihn in der matt beleuchteten stillen Straße mein Auge erreichen konnte. Er verschwand mit meiner ewigen Verzichtleistung auf mein zeitliches Glück in dem Dunkel der Nacht, und ich warf mich trostlos auf das Sopha.

Ich hatte gewähnt, aus den heimlichen Kampfe zwischen Pflicht und Liebe wie ein Held hervorgegangen zu seyn, und ich war schwach, wie ein Kind. Ich hatte wie ein Rasender gehandelt.

Auf diesen sinn- und gemüthlosen Brief – was sollte Klotilde antworten, was sollte sie thun! Das Mädchen mit einer Million Thaler, mit diesem Reichthum von Wissen, mit diesem Uebermaß von Liebreiz, mit diesem unermeßlichen innern Werthe, mit diesen himmlischen Augen, mit diesem entsetzlichen, ächt burgundischen leichten Sinn – morgen lagen hundert. und übermorgen wieder hundert zu ihren Füßen, und konnte ich ihr denn verargen, wenn sie das bischen Wohlwollen, was sie für mich empfunden hatte, nach Empfang dieses hölzernen Briefes, auf immer und ewig erstickte? Verlangte, selbst wenn jenes Wohlwollen mehr, wenn es Liebe gewesen wäre, verlangte nicht ihr Stolz, nicht die Achtung vor ihr selbst, den fallen zu lassen, ihn aus ihrem Herzen, aus ihrem Gedächtniß zu verbannen, der, ohne sie zu prüfen, ohne ruhig abzuwarten, was sie thun werde, ihr mit eiliger, ganz unnöthiger Hast schrieb, daß er ihre frühere Zuneigung für eine Verirrung ihres Herzens, für eine jugendliche Uebereilung ansehe? Konnte – sie hatte einmal selbst gestanden, daß sie von Eifersucht nicht ganz frei sey – konnte sie nicht dem Wahne Raum geben, daß mich eine von den bildschönen Wienerinnen um das Restchen meines Verstandes gebracht habe, und die unbegreifliche Einfalt, mit der ich alle meine Ansprüche freiwillig aufgebe, blos Maske sey? – Der Brief, der vermaledeite Brief darf nicht fort, rief ich von peinigender Angst gefoltert, laut aus, griff nach dem Hut und stürzte fort, Wenzeln nach, aber dieser kam mir schon in der Hausthür entgegen, und berichtete mit unausstehlicher Selbstgefälligkeit, daß er, wie er einmal den Schlaf aus den Augen gehabt, nur so geflogen wäre, und daß ein Kourier, der eben in unsere Gegend abgegangen, meine Depesche mitgenommen habe. Kurios, setzte er lächelnd hinzu: wie der Kammerdiener damals aus Italien zurückkam, blies Christian der närrische Kerl, der Postknecht aus Käferlingen, das lustige Stückchen:

Ich hab einmal ein Schätzl g'habt
Ich wollt ich hätt es noch.

Dasselbe blies der Postillon, als er mit seinem Herrn Kourier fortsaus'te, aber viel schöner und stärker, es schmetterte mir bis in das Herz, so ging es durch Mark und Bein.

Ich schrie laut auf, ballte meine beiden Hände vor die Augen, und wandte mich von dem Unglücksboten, denn auch mir drang das vermaledeite Lied, der Schwanengesang meiner Seligkeit, bis in das Tiefste meiner Seele.

In den zufälligen Umständen, daß gerade ein Kourier, die allerschnellste Gelegenheit, meinen Brief an Klotilden mitgenommen, und daß das Horn seines Postillons, mir jene Elegie angestimmt hatte, über die ich vor wenigen Tagen noch mit Klotilden lachen konnte, lag meine Ueberzeugung, daß die Vorsehung, oder mein altes, mich überall verfolgendes Mißgeschick, mich zu der harten Nothwendigkeit, das Mädchen meines Herzens aufgeben zu müssen, ausdrücklich bestimmt habe.

Ich hatte dem unglückseligen Briefe erst nacheilen wollen, um ihn von der Postbehörde, wo ich ihn einholte, wieder zurück zu fordern; allein jetzt, da ein Kourier ihn mitnahm, sah ich durch die schwarzen Brillengläser meiner Melancholie, daß es so, wie es einmal war, am beßten sey.

Erst den folgenden Tag trat ich meine Rückreise an, und je näher ich Käferlingen kam, desto bänglicher ward es mir um das Herz. Zehn Antworten hatte ich mir schon in Gedanken aufgesetzt, die ich von Klotildens Hand in der goldnen Krone zu finden gedachte, immer eine kälter als die andere. Meine erste und letzte Bitte, die ich gleich nach meiner Ankunft an Klotilden ergehen lassen wollte, war die, wenn sie mir irgend noch einiges Wohlwollen schenke, es so einzurichten, daß wir uns nie wieder sähen; ich zerquälte mich, wie ich ihr diesen Wunsch vortragen sollte, ohne daß sie gewahre, welche furchtbare Opfer es mir koste, als mein Wagen vor der goldnen Krone hielt. Diese war mir in diesem Augenblicke eine dornige. Vor Angst und Beklommenheit halb erdrückt, stieg ich aus; die Wirthin, unsere Dingelheimer ehemalige Ausgeberin, Susette, empfing mich mit freundlichem Gesicht. Sind nicht Briefe aus Dingelheim für mich hier? fragte ich mit zugeschnürter Kehle. Ich hatte keinen Athem in der Brust mehr, ärgerte mich, wie man einen so bejammernswerthen Unglücksmenschen, als ich in diesem Augenblicke, mit so freundlichen Augen ansehen konnte, und schwankte neben der Redseligen, halb todt vor unsaglicher Spannung über den Inhalt des zu erwartenden Schicksalbriefes, die Treppe hinauf, in unser gewöhnliches Absteigequartier.

Keine Zeile, entgegnete die Wirthin, und erzählte von dem Wiener Kourier, der vorgestern früh schon durchgegangen war, und Briefe nach Dingelheim bei dem hiesigen Postamte zur Weiterbeförderung abgegeben habe.

Keine Zeile? war Klotilde krank, todt oder mir abhold? – Warum hatte ich geschrieben – Warum hatte ich – o – die Haare hätte ich mir ausraufen mögen – was sollte ich nun thun? – Meiner Sinne kaum mächtig, schritt ich hinter der Wirthin über die Flur – sie öffnete mir die Thür meines Zimmers und – Klotilde flog in meine Arme.

73.

Wer den Muthwillen und die Liebe, die Schelmerei und die zarteste Sinnigkeit malen will, hätte das Mädchen sehen müssen, wie es mit dem Lächeln des höchsten Liebreizes die Hand auf meine Stirne legte, und mir dann an den Puls fühlte, und mich fragte, ob ich den tollen Brief wirklich selbst geschrieben habe, ob ich fieberkrank gewesen, ob mein Herz in der Eisgrube meines Kopfes erstickt sey, ob ich denn alles, ihre Liebe, ihren Charakter, ihre Treue, ihre Wünsche, ihr Glück, ihre und meine Schwüre vergessen habe?

Ich wollte antworten, mich entschuldigen, aber sie verschloß mir mit der kleinen Hand den Mund, und bat mich, ernster werdend, zu schweigen. Meinst Du denn, fuhr sie dann mit weicher Stimme fort: daß ein Paar Hände voll Ducaten mein Gefühl, das heiligste des Lebens, meine Liebe umwandeln können? Glaubst Du denn, daß meinem Gedächtniß jener Augenblick je entfallen konnte, wo Du der Mittellosen Deine Hand botest, um mit ihr zu darben, und mit ihr das Bittere der Entbehrung aller Art zu theilen? Hast Du nicht gesagt, als ich das Loos des Armen unbarmherzig hart schalt, hast Du da nicht gesagt, daß wir beide nicht arm wären, daß wir auf Gott unsern Herrn bauen wollten, der uns nicht verlassen würde? Hast Du das nicht gesagt? Nun und sieh, er hat uns nicht verlassen; er hat unsere reine schuldlose Liebe gesegnet, und Du willst jetzt seine Vaterhand, mit der er uns, durch seine wunderbare Fügung, ein sorgenfreies Leben bereitet hat, zurückweisen? Glaubst Du denn, daß auf dem ganzen Erdball ein Einziger ist, dem ich mit mehrerem Vertrauen mich hingeben kann, als Dir? Von Dir allein weiß ich, daß Du mich liebst, um meinetwillen, denn Du gelobtest mir Dein Herz, als ich verlassen und arm war: bei jedem andern, der sich jetzt mir näherte, müßte ich dem Wahne Raum geben, daß nicht ich, sondern das, was die Güte meines Vaters in die Wagschale gelegt hat, ihn bestimme, mir seine Hand zu bieten. – Der Wunsch meines verklärten Großvaters vereinigt sich mit dem meines Vaters, der unsern Bund segnete. Hat der wohlgemeinte Wille des Verewigten, und der Segen meines Vater, der sein Kind durch Dich glücklich machen will, bei Dir gar kein Gewicht– oder hat – sie stockte, fing laut an zu weinen, und lispelte, das Gesicht halb von mir gewendet, leise – oder hat – Du warst in Wien, wo der schöneren Mädchen es hunderte gibt, – hat vielleicht dort –

Nein, nein, meine himmlische Klotilde, rief ich laut, und sank zu ihren Fußen nieder, und umschlang den holden Engel; nenne es Demuth, Bescheidenheit, Bewußtseyn meines Unwerthes, nenne das Gefühl, das mir jenen Brief in die Feder dictirte, wie Du willst, nur zweifle nicht an meiner Liebe; Du nur lebst in meinem Herzen und keine andere, Du wirst ewig darin leben; ohne Dich ist die ganze Welt mir eine freudenleere Einöde. –

Wir wollen sie uns zum Paradiese schaffen, sagte Klotilde, und senkte den süßen Liebesblick zu mir herab, und reichte mir fromm und herzlich die Hand, und ich stand auf und schloß das holdseligste aller Burgunder-Röschen an mein, in unaussprechlich süßem Wehe fast vergehendes Herz. – Ein stiller, langer, seelenvoller Verlobungkuß besiegelte den Bund unseres Glückes; da trat unser guter Herr Gerichts-Director Stremler in das Zimmer.

Uebergossen vom Incarnate der bräutlichsten Scham, wand sich Klotilde, unter süßen Thränen verlegen lächelnd, aus meinen Armen, ich aber stellte dem wackeren Freunde, der es immer ehrlich und redlich mit mir meinte, der, selbst unbemittelt in der Zeit meiner höchsten Bedrängniß sich wegen meiner unglücklichen Schuld bei Meister Heftlinger ritterlich vor den Riß stellte, und mir überall mit Rath und That treulich beistand, Klotilden, als meine Braut vor, und erzählte ihm offen und kurz, den Zusammenhang unserer Begebnisse.

Als sey ihm selbst ein Glückstern erster Größe aufgegangen, so hocherfreut drückte er mich in seine Arme, aber rund und gerade wie er immer war, meinte er unverholen, daß es ihm wider das Dekorum zu seyn scheine, wenn ich jetzt mit nach Buchenhayn hinausführe, wo noch kein Mensch recht wisse, in welchem Verhältniß ich zu Klotilden stehe; ich sollte von hier aus, meinte er, heute noch die Reise in die Residenz antreten, um bei der Lehncurie und den übrigen obersten Gerichtsbehörden die Aufträge des Grafen zu besorgen, Klotilde aber fahre, nach seinem unmaßgeblichen Dafürhalten, heute ebenfalls wieder ab, und zwar nach Buchenhayn; er wolle hier verbreiten, daß sie habe herein kommen müssen, um mehrere Geschäftangelegenheiten mit mir und ihm zu besprechen. Nach Verlauf von acht Tagen aber werde er mit der Nachricht unserer bevorstehenden Verbindung in das Publikum treten, und die kirchlichen Formalitäten des Aufgebots besorgen, und wenn sich die Leute über das unerwartete Ereigniß müde gloßirt hätten, wozu er vierzehn Tage vollkommen hinlänglich hielte, so sollte ich mit Klotilden in Weideleben, einem unserer entlegenen Pfarrdörfer, zusammen treffen, von dem dort befindlichen Prediger, den er unterdessen darauf vorbereiten werde, mich im Stillen trauen lassen, mich dann mit Klotilden in den Wagen setzen, und directe zu dem Vater nach Italien reisen. Von dort aus kämen wir, nach mehreren Monaten, als Mann und Frau zurück, und dann hätte das Ding vor der Welt ein viel besseres anständigeres Ansehen, als wenn ich jetzt mit Klotilden gleich nach Buchenhayn führe, und dort dem lieben klatschsüchtigen Publikum zu allerlei Gerede Anlaß gäbe.

Klotilde, die, wie immer die jugendliche Unschuld, auf das Urtheil der Welt nicht viel achten zu brauchen glaubte, und der Meinung war, die Leute, wenn man sich selbst nur keiner Schuld bewußt sey, reden zu lassen, was sie wollten, hatte anfänglich gegen Stremlers Vorstellungen Manches einzuwenden, und ich, mit meinem ewigen Mißtrauen in die Ausdauer meines Glückes, sah die von ihm als nöthig gepriesene Trennung von Klotilden, laut für höchst überflüssig, heimlich aber für unglückschwanger an; indessen seine Beredsamkeit, und vielleicht unser Gefühl, daß er im Ganzen nicht Unrecht habe, entkräfteten am Ende unsere Einreden, und so fuhren wir, nach dem augenblicklichen Genuß der seligsten Minuten meines Lebens, diesen Abend noch aus einander, sie nach Buchenhain, ich in die Residenz.

74.

Noch keine Meile war ich gefahren, als die heraufdämmernde Nacht mich mit einem ganzen Heer banger Zweifel und Besorgnisse umlagerte. Wußte Stremler, der als unser Gerichts-Director leicht mit dem Grafen in Briefwechsel gestanden haben konnte, um dessen Entschluß, Klotilden in den Nießbrauch seines ganzen in Deutschland befindlichen Vermögens zu setzen? Hatte er vielleicht einen andern Werthvolleren für sie auf dem Rohre? Je dunkler es ward, je mehr Licht brachte ich in diese schaudervolle Möglichkeit, denn sein auffallendes Erscheinen, die unberufenen Aeußerungen seiner Ansichten über das einfältige Dekorum; seine beredten Remonstrationen auf unsere beiderseitige Einwendungen, sein Dringen auf sofortige Trennung; sein heuchlerisches Versprechen, wegen unserer baldigsten Verbindung das Nöthige beßtens besorgen zu wollen – alles paßte zusammen, um meinen rege gewordenen Verdacht vollständig zu begründen; und wenn ich an das Lächeln dachte, mit dem er seine gelehrten Sentenzen zuweilen begleitete; so mußten sich dießmal meine Zweifel in seine Rechtlichkeit immer mehr bestätigen. Ich begriff meine einfältige Leichtgläubigkeit nicht, mit der ich meine süße Klotilde unwiederbringlich aus den Händen gegeben hatte. Was gingen uns die Leute und ihr dummes Gerede an. Hatte die Kirche erst unserem Bunde die Weihe gegeben, so konnte die Welt schwatzen, was sie wollte; man sprach höchstens vier Wochen darüber, und dieß dazu hoffentlich hinter unserem Rücken, wovon wir also nicht einmal etwas hörten, und dann hätte unser Wandel und unser Betragen jedes nachtheilige Urtheil wohl widerlegen sollen.

Umkehren, zu Klotilden fliegen, sie in den Arm nehmen, und uns in einfacher Stille von unserm wackern Prediger in Buchenhayn einsegnen lassen, war das Beßte.

Doch die Aufträge des Grafen in der Residenz, von denen manche nicht wohl aufschieblich waren; die Scham vor Stremler, Klotilden und mir selber – Nach langem Kampfe siegte endlich die Vernunft und ich fuhr weiter.

75.

In den ersten Tagen schon erhielt ich von Klotilden die zärtlichsten Briefe; sie erfolgten posttäglich; immer herzlicher und inniger. Unter mehreren Mittheilungen schrieb sie mir auch, daß ihr verändertes Verhältniß durch Stremler in der Gegend bekannt geworden wäre, und daß, unter dem Vorwande, sich in Buchenhayn umzusehen, fast alle Tage junge Männer aus der Nachbarschaft, und selbst aus entfernteren Ortschaften kämen, deren Absichten offenbar andere, als die vorgewandten, zu seyn schienen; daß sie sich aber vor keinem sehen lasse, und allen Anmeldungen, Visiten und Versuchen, sich ihr vorstellen zu lassen, jedesmal ausweiche. Sie ergoß sich in die bittersten Bemerkungen über die flache Erbärmlichkeit dieser Menschen, die von dem fremden armen Mädchen aus Dijon bisher nicht die geringste Kenntniß genommen, und nun naiv genug waren, mit ihr die Renten von Buchenhayn theilen zu wollen. In einem ihrer jüngsten Briefe erwähnte sie übrigens, daß ihr der Vater, von Piombino aus, ungemein gütig geschrieben, und Sie und mich, im Namen seiner Gattin, eingeladen, je eher je lieber einmal hinzukommen. Sie fand jetzt Stremlers Plan, gleich nach der Verbindung die Reise nach Italien anzutreten, zu des Vaters Einladung sehr glücklich passend, und träumte mit ihrer lebendigen Phantasie schon von nichts, als von den Genüssen, die unserer auf dieser schönen Tour warteten.

Auf einmal blieben ihre Briefe aus.

Ich marterte mich einen, zwei, drei Posttage mit allerlei erdenklichen Besorgnissen und Beunruhigungen.

Vergehens. –

Keine Zeile! keinen Buchstaben.

Jetzt hielt es mich nicht länger. Die wichtigsten Angelegenheiten des Vaters waren ohnehin in Ordnung, die minder wichtigen konnten, mußten warten. Von unleidlicher Qual bis auf das Höchste gefoltert, bestellte ich auf der Post selbst zwei Kourier-Pferde. Der Briefträger begegnete mir im Posthause und händigte mir ein eben mit Estafette eingetroffenes Schreiben ein. Es war von Klotilden; Überschrift und Siegel von einem Dritten.

Verrathe mich nicht, schrieb sie: ich wollte nichts, als Dir sagen, daß ich Dich liebe; daß ich Dich namenlos, daß ich Dich unendlich liebe. Am Ausbleiben meiner Briefe bin ich unschuldig; man hat sie unterschlagen. Komme bald, mein einziger, mein lieber, mein herzenslieber Freund. Sag Stremler nicht, daß ich Dir geschrieben; sag es Niemand. Man will nicht, daß ich Dir habe schreiben sollen.

Immer und ewig und noch viel länger
Deine treue Klotilde.

Vier Kourier-Pferde! rief ich, das unerklärliche Billet in der Hand, und zitterte am ganzen Körper.

Es mußte Ungeheures vorgefallen seyn. Wer hatte ein Recht über das freie Burgunder-Mädchen, wer über die Herrin der Grafschaft Buchenhayn? Warum brauchte sie sich vor Stremler zu verstecken? Wer war der, der sich unterstehen durfte, ihre Briefe zu unterschlagen? – Ich jagte athemlos in meinen Gasthof, saß in einer halben Stunde im Wagen, und flog mit den vier Kourier-Pferden zum Thore hinaus.

Mein Weg ging über Käferlingen.

Ich überraschte Stremler, der nichts weniger als mich erwartet zu haben schien, am frühen Morgen beim Frühstück. Sein Gesicht war mein Commentar. Er konnte den an mir und Klotilden begangenen Hochverrath nicht bergen. Er war unbefangen genug, um mir zu gestehen, daß ich ihm gar nicht gelegen komme. Er schalt auf die Ungeduld meiner Liebe; nahm sich heraus, verdrüßlich darüber zu seyn, daß ich viel früher komme, als der Abrede gemäß; brummte vor sich hin, daß nun der ganze Spaß verdorben sey, und zog sich unterdessen an, um mich, ungebetener Weise, zu begleiten.

Daß Klotildens nothgedrungenes Schweigen und ihre angstvollen Zeilen meine Rückkunft beschleunigten, durfte ich ihm nicht verrathen; ich that mir also die möglichste Gewalt an, ihn den Sturm meines heimlichen Ingrimms nicht merken lassen, log ihm vor, daß meine Geschäfte in der Residenz früher abgemacht worden wären, als ich hätte vermuthen können; daß ich dort an dem wüsten großstädtischen Leben länger keinen Gefallen hätte finden können; daß ich von der Idee, uns in Weideleben copuliren zu lassen, völlig abgegangen wäre, weil der dortige Pfarrer mir weniger zusage, als unserer in Buchenhayn; daß ich Klotilde nur auf einige Stunden zu sprechen wünsche, und daß ich dann, da er einmal unser dortiges Beysammenseyn vor der Hochzeit nicht wohl für schicklich halte, wieder hierher nach Käferlingen zurückkehren, und hier bis zum Hochzeittage selbst, dessen Bestimmung ich Klotilden anheimstellen wolle, verbleiben würde.

Schön, recht sehr schön! entgegnete Stremler, fuhr in die Kleider, und machte eine Miene dazu, als wollte er sagen, komme Du nur nach Buchenhayn, Du wirst dort schon die gehörige Bescheerung finden.

Endlich saßen wir im Wagen! Er fing, um die Unterhaltung in den Gang zu bringen, an, von Geschäften zu sprechen, allein, wie konnte ich jetzt mit dem vollen, übervollen Herzen, in der Überspannung, in der ich mich befand, mit der Idee, das Unerhörteste aus Klotildens Munde zu vernehmen, von trockenen Geschäften reden; ich schloß die Augen, versicherte, von der Nachtreise sehr erschöpft zu seyn, und drückte mich in die Ecke des Wagens. Ich ärgerte mich jetzt, daß ich bei ihm vorgefahren und nicht allein nach Buchenhayn geeilt war. Aber meine Neugierde, von ihm etwas Näheres über die Lage der Dinge zu erfahren, und der innere Drang, ihn wegen seines Benehmens zur Rede zu stellen, waren zu groß gewesen. Beide Absichten aber hatte ich verfehlt; ich wußte so viel als vorher, und statt daß ich vor ihm meinen ganzen Verdruß hatte ausschütten wollen, spielte er den Verdrüßlichen.

Mit jeder Minute wollte ich losbrechen, aber ich hätte Klotilden ja verrathen. Einige wenige Stunden kostete es nur, mir noch Gewalt anzuthun. Erst mußte ich sie sprechen, und dann sollte das schwere Gericht über Stremler und alle ergehen, die sich unterfangen hatten, sich uns und unserm Lebensglück in den Weg zu stellen.

76.

Wir rollten eben vor der Warnungtafel vorüber. Der blutroth Angethane – wahrhaftig er hatte einige Ähnlichkeit mit Stremler! Der gute alte, selige Graf! Um seine Alleen zu sichern, hatte er, mit seiner Alles umfassenden Vorsorge, das abschreckende Merkzeichen hingestellt, und die schönste Blüthe seines eigenen Stammbaumes, Klotilde, sollte schonungslos den Händen des ersten beßten Baumfrevlers Preis gegeben werden.

Nicht also – Herr Stremler! sagte ich, vor heimlichen Ärger erglühend, zu mir selbst, und drückte die Augen wieder zu, und ward nicht eher wieder munter, als bis wir in die Gegend der Gartenthür kamen, durch die ich bei meinem ersten Hierseyn in den Park getreten war.

Ich ließ halten, stieg mit Stremler aus, trat in den Garten, und sah – war ich denn verzaubert? träumte ich denn? waren denn meine Augen vom Teufel geblendet? – nicht dreißig Schritte vor mir, Klotilden an der Seite eines fremden, wohlgestalteten Herrn, vor mir hergehen. Sie lachte einige Male laut, klatschte in die kleinen Hände und schien mit den Fremden auf einen sehr vertraulichen Fuß zu stehen, denn sie legte ihre Hand auf seine Achsel, sie –

Mir verging Hören und Sehen, und Stremler verhielt sich das Lachen, und in seinem Blicke schien die Frage zu liegen, was ich zu dem Auftritte sage.

Wer ist denn das? flisterte ich zwischen den zusammengeknirschten Zähnen, halb leise: da lachte Stremler laut auf, der Fremde wendete das Gesicht nach uns – Klotildens Vater – das Mädchen stürzte mit einem Freudengeschrei in meine Arme. Aus der Seiten-Allee eilte eine junge schöne Frau auf die überraschte Gruppe zu, und ohne daß mir jemand die holde Fremde vorstellte, wußte ich, daß es die italische Gattin des Grafen sey. Dem Vaterherzen war, der sanften liebreizenden Gattin gegenüber, das Geständniß der früheren Verbindung mit Klotildens verklärter Mutter, nicht schwer geworden. Die scharfsüchtige Frau hatte bald den glühenden Wunsch des Vaters entdeckt, sein Kind, das sie aus Frugoni's Bilde mit himmlischer Anmuth ansprach, von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen.

Eigener, herzlicher Antheil an dem bis jetzt fast verwais't gewesenen Kinde ihres geliebten Mannes, und, wie die Gräfin selbst gestand, die Neugierde, zu wissen, ob das Mädchen wirklich so reizvoll sey, als Frugoni es malte, hatte ihr den Vorschlag in die Seele dictirt, unvorzüglich nach Deutschland zu reisen, und der liebende Vater war entzückt gewesen, das geheime Verlangen seiner Sehnsucht von der angebeteten Frau so zart unterstützt zu sehen.

Beide hatten geglaubt, mich hier an Klotildens Seite zu finden; indessen war ich beim Vater noch mehr im Preise gestiegen, als er hörte, daß ich die Seligkeit der Brautwochen, meiner Pflicht gegen ihn und seine Aufträge, zum Opfer brachte. Klotilde hatte mit kindlicher Offenheit die Geschichte der letzten Tage erzählt, vom Vater den Segen zu ihrer Verbindung mit mir wiederholentlich erhalten, und die junge Gräfin, die mit Klotilden bald ein Herz und eine Seele war, hatte sich ausbedungen, die Ausrichtung unserer Hochzeitfeier allein übernehmen zu dürfen. Ich hatte mit allen den Herrlichkeiten überrascht werden sollen, darum war Klotilden auf das strengste untersagt worden, mich vom Hierseyn der Eltern in Kenntniß zu setzen; und weil sie der Zuverlässigkeit ihrer Feder in derlei Dingen doch nicht recht trauten; so hatte mein ehrlicher, lieber Stremler, der mit im Komplot stack, die honette Einrichtung getroffen, ihre an mich gesandten Briefe sich von dem Käferlinger Postamte wieder ausliefern zu lassen. Damit ich jedoch über das Ausbleiben ihrer Briefe nicht unruhig werden, noch an der Dauer ihrer Liebe zweifeln solle, hatte sie mir heimlich, per Estafette, den lakonischen, in meiner damahligen Stimmung mein Innerstes empörenden Brief geschrieben.

Jetzt – jetzt hatte ich den Schlüssel zu Allem, und mein zauberholdes Mädchen im Arme.

Acht Tage später rief uns zur selbigen Stunde das herrliche Festgeläute unserer Kirche zum Traualtar. Halb Käferlingen füllte den schönen, einfachen Tempel, in dessen Grundfesten sein Erbauer, der verewigte edle Graf, der Stifter unseres Glückes, nach gesegnetem, thatenvollen Leben, der Ruhe des Grabes genoß. Im dichteren Kreise um uns herum aber standen sämmtliche Gemeinden der ganzen Herrschaft. Alles Gäste der jungen Gräfin, und darum in hochzeitlichen Kleidern und stattlich geschmückt. Und als das Lied, mit dem uns die Versammlung im Gotteshause empfing, geendet hatte, und die Töne der prächtigen Orgel im weiten hohen Raume verklungen waren, da trat der Graf auf die unterste Stufe des Altars, und stellte den Schulzen und Gerichten und ihren sie umringenden Gemeinen, Klotilden als seine Tochter und ihre Herrin vor, und sagte ihnen in einfachen Worten, daß er Klotildens Herzen, aus Gründen eigener Erfahrung, freie Wahl gelassen, und daß sie ihre Hand mir gelobt habe. Sein verstorbener Vater, die hier an heiliger Stätte versammelten Gerichts- und Obrigkeitlichen Behörden, und sämmtliche Guts-Einwohner hätten mein Lob einstimmig ausgesprochen, und darum segne er mit vollem Herzen den Bund, den Unschuld und Liebe geschlossen, und bitte jetzt den Diener Gottes, uns im Namen des Allliebenden die fromme Weihe der Kirche zu geben. –

Klotilde sank mit mir zu des Vaters Füßen nieder; wir umschlangen dankbar seine Kniee.

Er hob uns tief bewegt in seine Arme. Der Prediger bekräftigte den Bund unserer Liebe mit der Kirche heiligem Segenspruch, und vor Gottes Altare gelobten sämmtliche Guts-Einsassen, die uns von den ersten Tagen unsers Hierseyns an, herzlich zugethan gewesen waren, dieß bis zum letzten zu bleiben.

Als wir aber Paar und Paar, unter feierlicher Musik, nach dem Schlosse zogen, erwischte in der Kirchthür der alte Meister Heftlinger meine Hand, und drückte sie freudig an sein Herz. Unser Hof- und Leibschneider, sagte ich lächelnd zu Klotilden, und stellte ihn ihr, in dankbarer Erinnerung jenes Morgens, wo er mir den Rath gab, mein Lebensglück in Buchenhayn zu suchen, als den Mann vor, durch den ich es hier gefunden. In der feierlichen Stimmung, in der ich in diesem Augenblicke war, gedachte ich der Worte Sirachs! Bleibe treu Deinem Freunde in seiner Armuth, daß Du Dich mit ihm freuen mögest, wenn es ihm wohl geht. Ich erwiederte seinen biedern Handdruck herzlich, und Klotilde; die Ähnliches fühlen mochte, reichte ihm freundlich ihre Rechte und ladete ihn, unter Zustimmung der Mutter, die hinter uns ging, und das, was ich über ihn gesprochen, mit angehört hatte, zur gastlichen Tafel.

Unsere wackern Bauern, die mein süßes Frauchen, um seiner sanften Milde und zarten Sorglichkeit für das häusliche Wohl ihrer Familien willen, in der rührenden Einfalt ihrer unverdorbenen Herzen fast vergöttern, wissen, daß Burgund das schöne Vaterland des holden Engels ist. Die von ihnen selbst ausgegangene Idee, alle Befriedigungen ihrer Dorfgärten, statt der bisherigen todten Zäune, ihr zu Ehren von Burgunderröschen, anzulegen. ist ein Beweis ihrer gewiß recht sinnigen Aufmerksamkeit. Denselben Spätherbst noch wurden überall, im ganzen Bereiche unserer Besitzungen, solche Hecken angelegt, und in diesem Frühjahr schon stehen die grünenden Landsleute meiner Klotilde frisch und munter, und blühen mit ihr um die Wette.

Den ganzen Winter über hatten wir von dem Plane gesprochen, die Ältern, die gleich nach unserer Verbindung zurückreis'ten, in Piombino zu besuchen; aber heute, da ich über die Zeit unserer Abreise Klotildens Wünsche bestimmter vernehmen wollte, fiel sie mir glühroth und fröhlich weinend um den Hals, und lispelte mir verschämt in das Ohr, daß dießmal aus der Reise nach Italien nichts werden könne.

Ich weiß auch, warum.


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