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Das ist ein fröhlich Spielen im kühlen Schatten zur Sommerszeit.
Zwei Mädchen wispern sich zwar leis, doch mit lauter Wichtigkeit ein Geheimnis ins Ohr. Dann fassen sie beide Hände und heben sie hoch im Bogen – die gläserne Brücke ist fertig.
Und nun ziehen die andern in langer Reihe unten durch.
Die letzte muß alles bezahlen und wird von den zwei Brückensteherinnen angehalten.
Eine schwere Frage gilt's zu lösen, eine Wahl zu treffen: ob ein silberner Apfel einer goldenen Birne, ein diamantener Ring einem Lebkuchenherz vorzuziehen sei.
Wie zieht sich die blanke Kinderstirn bei der Überlegung kraus! Denn tüchtig überlegt muß werden, da Himmel oder Hölle auf der Entscheidung stehen.
Und die Brückenpfeiler lachen so höhnisch, man weiß nie, woran man ist.
Doch endlich haben sich alle entschieden und stehen entweder hüben oder drüben. Alles ist Erwartung.
Nun heißt's »Engel« auf der einen Seite und »Teufel« auf der andern.
Die Engel klatschen gar nicht sehr engelhaft den überlisteten Teufeln ihre Schadenfreude ins Ohr.
Ein vielgeliebtes Spiel!
Wenn man die kleinen Dirnen aufs Gewissen fragen wollte, so würden sie gestehen, daß sie gar nicht so ungern auf der Teufelseite stehen.
In der Freiviertelstunde wird das Spiel in anderer Weise fortgesetzt.
Ein steifes Papier wird mehrmals gefaltet, bis sich zuletzt zwei Vertiefungen bilden, die senkrecht zueinander stehen. Die eine bleibt unschuldig weiß, wie das Papier nun einmal von Natur ist, und stellt den Himmel vor. Die andere wird mit schwarzer Tinte ausgemalt und ist bestimmt den dunklen Höllenpfuhl möglichst anschaulich zu zeigen.
Jetzt beginnt erst das reizvolle Spiel.
»Himmel oder Hölle« wird gefragt und das orakelnde Kind hält feierlich das weiße und schwarze Los in der Hand.
Die andere deutet zagend, wählend, vorsichtig auf das schwarze Schicksalspapier.
Dieses öffnet sich nun und zeigt entweder in lichter Weiße den Himmel oder aber in drohender Schwärze die Hölle. Himmel und Hölle – diese beiden Schlagwörter im kindlichen Sprachschatz!
Klein-Elsbeth hat sie zum ersten Mal gehört, als sie zur Schule kam. Aber sie hat sich nicht sonderlich um sie gekümmert, hatte sie doch immer so viel zu denken und zu staunen und zu bewundern! Wie sollte sie Zeit haben sich um einen so überirdischen Ort wie den Himmel und gar um einen so entlegenen wie die Hölle zu sorgen!
Aber nun wird es auf einmal anders. Klein-Elsbeth spielt mit.
Die Prophezeiung, die sie an einem und demselben Tag dreimal in den Himmel und viermal in die Hölle gewiesen hat, macht sie stutzig.
Was weiß sie eigentlich von Himmel und Hölle?
Nicht viel! Nur das eine, daß der eine für die guten Menschen, die andere für die bösen da sei. Irgendwohin müssen sie schließlich doch kommen – soviel leuchtete ihr ein.
Jetzt aber will Klein-Elsbeth mehr wissen.
Nach dem Spiele gibt's ein langes Plaudern über Himmel und Hölle, Engel und Teufel.
Ach, wie sind doch die Kinder so klug!
Klein-Elsbeth kommt sich furchtbar dumm vor, wie sie alles anhört.
Einmal ist sie so hingerissen, daß sie ernsthaft fragt:
»Wann warst Du denn in der Hölle, weil Du's gar so gut weißt?«
Die andern lachen laut.
Die Berichterstatterin aber meint von oben herab:
»Das weiß man doch von selbst. Das ist eben so und nicht anders! Und dann hat man's doch auch so gelernt.«
Was wußte Klein-Elsbeth jetzt?
Der Himmel ist also oben, weit – weit! Und die frommen Menschen werden Engel und haben lange goldene Flügel. Natürlich! Müssen sie ja haben! Wenn sie nicht fliegen könnten, würden sie von der schwindelnden Höhe herabstürzen und die armen Menschen bös erschrecken.
Klein-Elsbeth meint:
»Ist alles schon recht! Aber immer und immerzu im Himmel herumfliegen, muß doch schrecklich langweilig sein. Ich möcht's nicht. Immer spielen ist dumm!«
Da fallen aber die andern gar bös über sie her.
»Das ist doch nicht langweilig, wie kannst Du nur so reden? Drum ist's eben der Himmel – und überhaupt wenn man ein Engel ist, da ist einem nichts langweilig.«
»Du kommst schon einmal in die Höll'! Dann wirst's sehen! Und wir fliegen im Himmel 'rum und schauen dann 'runter, wenn Du in der Höll' braten mußt.«
Und ob sie ihr den Ort der Verdammung noch so sehr einheizen – Klein-Elsbeth hat keine Angst.
»Wenn ich nur sicher wüßt', wo sie eigentlich ist, die Höll'! Denn unten ist doch nur Erde und Wasser, dann Steine, Kohlen, auch manchmal Salz –«
Die andern schauen sie verwundert an. Klein-Elsbeth sagt stolz:
»Weiß ich alles von meinem Vater.«
Die Gegnerinnen aber erkennen diese Autorität nicht an.
»Ja, kann schon sein! Das höllische Feuer hat er völlig vergessen. Da sitzt der Teufel mit seinem Schürhaken und den stoßt er fort und fort im Feuer herum, daß es immer heller brennt. Die bösen Menschen aber müssen drin braten und schreien und jammern so laut, nützt ihnen aber nichts. Warum sind's nicht braver gewesen! Geschieht ihnen ganz recht.«
Ist es ein Kindergesicht, über das solch grausamer Triumph fliegt? Kann ein Kindermund solch harte Worte sagen?
Klein-Elsbeth ist jetzt blaß geworden. Aber nicht aus banger Angst für sich. Schreckliches Mitleid hat sie mit den armen Menschen in der Hölle.
»Die tun mir leid – furchtbar leid. – Wenn sie's doch bereuen, daß sie bös waren? – Sollt man sie doch nicht quälen! Vater sagt immer, wenn er sieht, daß mir's leid tut, dann trägt er mir gar nichts nach und wenn's noch so schlimm ist.«
»Dein Vater freilich! Du redest so daher! Aber der liebe Gott hat sie doch in die Hölle geworfen und drum müssen sie einfach drinbleiben, versteht sich doch von selbst.«
Klein-Elsbeth läßt sich von ihrem Gottesglauben nicht abbringen.
»So streng ist der liebe Gott gar nicht und ich glaub's nicht und glaub's nicht!«
Die andern nahmen diesen Triumph gar übel.
»Ach was! Du bist auch so eine! Aber es ist doch alles so.
Die Guten kommen in den Himmel und die Bösen in die Hölle. Da muß jedes bleiben immer und immerzu. Und wenn eins aus der Höll' ausreißen wollt, gleich packt's der Teufel und wirft die arme Seel erst recht ins Feuer hinein.«
Klein-Elsbeths Zweifel hat nun ein ander Kind mutig gemacht.
»Meine Großmutter sagt, es gibt ja gar keinen Teufel. Jeder Mensch hätt' selber einen ganzen Haufen voll wilder Teufel in sich stecken und die wären auch schuld, wenn dann was Böses getan wird. – Ja, so hat meine Großmutter gesagt und die – die weiß fein viel.«
Allgemeiner Widerspruch gegen diese Großmutterweisheit.
Da ist den Mädeln der richtige Teufel in der Hölle doch lieber.
Klein-Elsbeth ist stumm, wie ein Heer von Geistern umstürmen sie die neuen Gedanken.
Die jagen sie im Sturmlauf zum Vater. Nur schnell alles erzählt.
Der gibt sonderbarer Weise der Großmutter schier recht.
»Einen Teufel haben wir vielleicht nicht in uns stecken, Kindl! Aber die alte Frau meint schon das Richtige. Denn soviel ist gewiß: Jeder Mensch hat entweder den Himmel oder die Hölle in sich und trägt's mit sich herum.«
Jetzt braucht Kein-Elsbeth nur noch eines zu wissen.
»Vater! Hab ich den Himmel oder die Hölle in mir drin?«
Da schaut der Vater sein Kind so froh und zuversichtlich an:
»Klein-Elsbeth! Sicher den Himmel! – Jetzt noch und ich hoff, Du wirst ihn festhalten. Festhalten bis zum End! – Aber Du mußt ihn auch hüten. Denn es ist ein gar kostbarer Schatz.«
Klein-Elsbeth antwortet nicht, aber ihre großen Augen fragen stürmisch weiter. Der Vater versteht sein Kind auch ohne Worte.
»Tue nur immer das, was Dir Dein kleines Herz sagt! Dann kannst froh sein und lachen – lachen immerzu. Und schau! Wer lachen kann, so recht von Herzen lachen, der hat den Himmel fest. Ist gar ein heilig Lachen, so eins! – Wenn's Dich aber quält und die Unruh treibt Dich umher und Du möchtest mir was sagen, und traust Dich nicht, dann Kindl, hast schon ein bös Stück von der Höll in Dir! Probier's dann nur, ob Du recht froh lachen kannst! Wirst schnell merken, daß es nimmer geht! – Sieh, Elsbeth, so weißt Du immer gleich, wie Du dran bist. Nichts anders ist's als Himmel oder Hölle, wenn man's auch noch ganz anders und mit vielen Worten sagen kann.«
Klein-Elsbeth bewundert den Vater.
»Wie Du nur immer alles und alles weißt! – Schau, vorhin hab ich gesagt, daß ich gar nicht in den Himmel möcht, weil's am End recht langweilig sein könnt! Aber wenn ich immer lachen kann, dann ist's mir schon recht. Und ich will tüchtig aufpassen, daß mir der Himmel nicht auskommt. Wär ja so schad!«
Der Vater nickt Klein-Elsbeth zu. Er wiederholt ernst die letzten Worte.
»Wär ja so schad!«
Dann aber leuchten seine Augen froh auf, wie er sein Kind davon springen sieht. Freund Karo duldet bei seiner kleinen Freundin keine Denkerstirn. Und die beiden tollen laut jauchzend und bellend wild durch den Garten.
Klein-Elsbeth gibt den Himmel nicht so leicht aus der Seele.