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Klein-Elsbeths Gedanken über die Erbsünde.

Klein-Elsbeth geht fast jeden Sonntag in die Kirche.

Von wem hört ihr weiches Kinderherz lieber als von Gott dem Gütigen und von dem Weltenheiland, der die Liebe selber war! Und kein Wort geht ihr verloren.

Hinterher hat sie immer viel zu denken und findet sie auf manches keine Antwort, so läuft ein lebendiges Fragezeichen zum Vater. Der ist der Mittler in jeder Not, auch zwischen ihrem armen, kleinen Seelchen und der reichen, großen Gottheit.

Heute tönten ernste Worte von der Kanzel herab auf die andachtsvoll lauschende Gemeinde.

Von Gott dem Strengen, Strafenden, dem ewig Gerechten der die Sünde der Väter unerbittlich an den Kindern heimsucht. Und die Hörer sitzen still, ob auch die Hölle noch so schwarz gemalt wird. Noch lacht das Leben so sonnig und noch jagt das Blut so frisch durch die Adern – und bis dies alles einmal zu Ende ist, bis dahin hat's gute Weile.

Aber das Kind mitten unter ihnen nimmt's ernst, bitter ernst. In seinem Herzen zittert alle Not und Pein eines Sünders, der vor seinem Richter steht.

Und ein Wort steht da wie eine Mauer – unübersteigbar. Dahinter aber ist der Gott, den Klein-Elsbeth bisher so warm umschlossen hielt. Nun findet sie plötzlich nicht mehr zu ihm.

Ihr Gott konnte unmöglich sagen:

»Ich suche die Sünde der Väter heim an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied.«

Eine kleine Hoffnung flattert zwar über aller Not empor. Klein-Elsbeth kann sich freuen, daß sie solch guten Vater hatte. Der tut sein Lebtag nichts Böses. Für den also wurde sie sicher nicht gestraft.

Die Mutter?

Da war sie schon zweifelhafter. Die tat wohl manches, was dem lieben Gott nicht gefallen mochte. Aber so schlimm war's am Ende auch nicht, daß Klein-Elsbeth dafür himmlische Schelte bekommen würde.

Das Amen des Pfarrers tönt von der Kanzel herab.

Klein-Elsbeth hat es gar nicht gehört. An der Hand des Vaters geht sie langsam aus der Kirche.

Ein weiter Weg auf der Landstraße nach Hause.

Der Frühling jagt durchs Land. Gar eilig hat er's mit dem Grünen und Blühen. Bräutlich sind die Bäume und Sträucher geschmückt, und die Lerche schmettert eine neue Weise zum blauen Himmel.

Alles Licht und Sonne, überall Keimen und Sprießen und wonniges Leben.

Gott selbst lacht aus seiner Schöpfung.

Und Klein-Elsbeth sieht plötzlich über die hohe Mauer hinweg.

Aber wie ferne Glockenschläge zittern noch die strengen Worte in ihrer Seele.

Und mitten aus dem Zwiespalt heraus die Frage:

»Du Vater, gelt, Du bist immer und immer brav gewesen?«

Der Vater steckte in seiner Frühlingsaussaat und ist nicht gleich in der Gedankenarbeit Klein-Elsbeths.

Dann aber meint er lachend:

»Fangst jetzt Du am End zu predigen an? War's Dir in der Kirche nicht genug?«

Der Vater versteht sie nicht.

»Sag, Vater, hast Du nie eine große Sünde getan?«

Der Vater schaut weg vom lachenden Frühling auf sein seltsam ernstes Kind.

»Weißt, Elsbeth, das ist eigentlich keine Frage für ein Kind. Aber weil Du es bist, sollst Antwort haben. Eine große Sünde? Weißt Du denn, was eine solche ist? Doch so, wie Du es meinst und verstehst, kann ich sagen: Nein! Ohne Sünde aber, Kindl, bin auch ich nicht, Du nicht, kein Mensch.«

Die beiden schreiten weiter der Frühlingssonne entgegen.

Nach einer Weile verdichten sich die Gedanken des Kindes zu einer neuen Frage.

»Von Deinem Großvater hast mir noch gar nie was erzählt, war der auch immer so lieb und so gut und so froh wie der meinige?«

Der Vater lächelt leis.

»Heut bist rechtschaffen gründlich, Elsbeth. Gehst bis auf Adam und Eva zurück. Von Deinem Urgroßvater hab ich Dir nichts erzählt, weil ich ihn halt selber nicht gekannt hab. War noch gar nicht auf der Welt, wie er gestorben ist. Und mein Vater –«

»Hat er Dir nichts von ihm gesagt? Du hast mir doch auch soviel von Deinem erzählt.«

»Jetzt, Kindl, sag mir grad, was Du eigentlich wissen willst! Schaust wieder zu ernst aus Deinen Augen in die Welt. Was quält Dich denn, sag mirs halt!«

»Ob er keine große Sünde getan hat, weißt eine solche, daß der liebe Gott recht zornig und bös auf mich ist.«

»Auf Dich, Klein-Elsbeth? Und wegen meines Großvaters? Kindl, wo bist jetzt mit Deinen dummen Gedanken hinkommen? Wie wird denn der liebe Gott so ein kleines Patscherl strafen für die Sachen, die die Großen angestellt haben?«

Da schaut Klein-Elsbeth strafend den Vater an.

»Hast nicht aufpaßt heut in der Kirch, Vater? Hast nicht gehört, was der Herr Pfarrer gesagt hat? Und wahr muß es sein, denn ich hab's auch schon auswendig gelernt. Nur verstanden hab ichs noch nicht.«

Weil der Vater noch nichts zu sagen weiß, fährt Elsbeth fort, laut und eindringlich, wie im Schulton eine Lektion aufsagend:

»Ich bin ein eifriger Gott, der über die so mich hassen und meine Gebote nicht halten, die Sünde der Väter heimsucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied.«

Nun versteht der Vater sein Kind und alle Not und Qual des kleinen Herzens.

Er ist ratlos. Wer kann da helfen?

Wie er aufschaut und Gott den Gütigen über die Frühlingssaaten wandern sieht, da wirds ihm licht.

Er braucht ihm sein Kind nur nahe, ganz nahe entgegenzuführen, bis es ihn jubelnd wieder umschlossen hält. Der Gott, der mit seinem frohen Lachen tausend Wunder aus der dunklen Erde lockt, kann nimmermehr sein Antlitz so verfinstern und ein kleines Menschenknösplein grausam brechen, weil an dem Strauch einst taube Blüten standen.

In Klein-Elsbeths Herz wagt sich schüchtern die Freude.

»Sei Du nur fröhlich, mein Kind! Und lach dem lieben Gott fest ins Angesicht! Denn wenn er Dich so sieht, so vergißt er völlig auf das Böse, was vielleicht ich oder Dein Großvater getan haben. Die frohen Menschen sind ihm immer die liebsten gewesen. Mit denen ist er alle Zeit am besten ausgekommen. – So – und nun sind wir auf einmal daheim! Nun lauf und spring voraus und sorge, daß der Tisch gedeckt ist – unter dem blühenden Kirschbaum – hörst?«

Klein-Elsbeth ist schon fort.

Und dann steht sie bei dem kleinen Brüderlein, das sie mit lautem Krähen begrüßt.

Zum Vater aber sagt Klein-Elsbeth:

»Hab nur nicht Angst! Ich sorg schon, daß Brüderlein nicht meinetwegen Strafe kriegt. Schau, so will ich den lieben Gott immer und immerzu anlachen! Gelt, dann tut er uns ganz gewiß nichts?«

Der Vater antwortet nicht.

Er küßt still sein Kind auf die lachenden Augen.

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