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Laß mich sehen, wie du mit dem Tier umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist.« So möchte ich ein bekanntes Goethewort abändern. Aber nicht etwa dem Land- und Forstmann will ich es vorhalten, der schädliches Raubgezücht und Ungeziefer vertilgt, nicht dem unreifen Knaben, der in unbewußter Grausamkeit Käfer und Schmetterlinge an der Nadel martert, selbst nicht dem Forscher, der die Gesetze des organischen Lebens im lebenden Körper des Tieres sucht, um am Ende doch Menschenelend zu lindern, wohl aber den gedankenlosen Eltern jenes Knaben, wohl aber dem rohen Knecht, der wütend auf die Pferde losschlägt, die auf steilem Wege und im Schnee erschöpft stehen bleiben, vor allem aber dem, der das Tier zum leidenden Spielzeug macht, es zu Wette und Zeitvertreib martert und zu dem Worte Tierseele verächtlich mit den Achseln zuckt. Und es geht doch seit Urzeiten durch die Menschengeschichte die Ahnung unserer Verwandtschaft mit den Tieren, unseren älteren Geschwistern. So fand der alte Ägypter die lebengestaltende Gottheit auch im Tier, und dem Inder war es ebendarum heilig, der alte Deutsche aber in seinem Walde versenkte sich so hingebend in die Erscheinungen und Gründe des Tierlebens, daß es ihm zum Spiegelbilde des Menschenlebens wurde. Eine so beseelte, humorfrische Tierdichtung wie die vom Reinecke Fuchs konnte aus Geist und Gemüt nur er schaffen, nicht hat sie der geistvolle Grieche trotz des Froschmäusekrieges und der Fabeln des Aesop, schon gar nicht der nüchterne Römer, dem das Tier nur ein Nutzgegenstand war, ebensowenig der Romane, dem es nach dem Vorbilde des führenden Philosophen Frankreichs René Descartes eine seelenlose Maschine ist. Und Ausnahmen wie Giordano Bruno beweisen nur das Nachwirken germanischen Blutes, das sich ja reichlich genug in die schrumpfenden Adern der alternden Roma ergoß, vergnüglich jagt, mordet und schmaust der Italiener Nachtigall und Schwalbe und dem Spanier ist der Hahnen- und Stierkampf eine Volksleidenschaft.
In der Arena von Barcelona, der reichen, lebensfrohen Hauptstadt Kataloniens, saß ich am letzten Tage des Februar, dem Sonntag, der dem Aschermittwoch folgte. Diesen hatte der religiöse Ernst des spanischen Volksgeistes im Zeichen des Todes begangen mit düsteren Umzügen durch die Straßen und Andachtsübungen in den verdunkelten Kirchen, der heutige Sonntag gehörte der Lebensfreude, er brachte den ersten Stierkampf des Jahres. Riesige Maueranschläge kündigten in überlieferten Formeln die Spiele an, »a los toros«, zu den Stieren, kennzeichnete die zur Arena rollenden Wagen der Straßenbahn. Ich hatte meinen Platz gut gewählt, des kalten, wenn auch klaren Wetters wegen auf der Sonnenseite, wogegen in der warmen Jahreszeit die Plätze im Schatten begehrter und kostspieliger sind, und so recht in der Mitte der Sitzreihen, nahe genug zum Schauen und fern den gefürchteten Greueln. – Menschengebrause, schmetternde Musik, Einzug der Guadrilla: voran in althergebrachter malerischer Tracht die Haupthelden des Tages, die Matadores, die Töter; hinter ihnen, ebenso gekleidet, ihre Helfer: die Kapeadores, die Banderilleros, zuletzt im grellen Rotgelb, den Farben Spaniens, geputzt, das Viergespann starker Maultiere, von rotbemützten Knechten geführt. Und nun alter Sitte gemäß eine feierliche Ansprache zum Sitze des höchsten Würdenträgers hinan, ein Schlüssel fällt, ein Tor der Schranke tut sich auf und in die Arena braust, vom Zuruf des Volkes empfangen, der junge Stier, aus der Enge und Dunkelheit, darin er wohlbedacht eine Zeitlang gehalten worden, hinaus auf den weiten, sonnenhellen Plan. Einige Sätze bis in die Mitte, dann steht er und starrt geblendet, wohl auch geängstigt von dem ungewohnten Lärm. Jetzt strafft ihn etwas, gerade vor sich an der Schranke drüben hat er einen der Pikadores entdeckt, der da auf seinem Gaul unbeweglich ein Bild zu sein scheint. Blitzt ein Erinnern durch sein Hirn? Aus der Jugend in der andalusischen Steppe? Da trieb ihn wie oft so ein Menschenwesen mit langer Stange auf dem verhaßten, weil immer schnelleren Rosse aus dem blumigen Kleefeld, darin er wiederkäuend lag, in den engen Pferch und auf seinen Rücken fielen schwer die harten Schläge des Holzes. Und schon ist er im Ansprung, den Kopf zur Seite gesenkt, schon spürt er wollüstig das kurze, spitze Horn zwischen den Rippen des Rosses spürt und dessen mageren Leib von seinem Kopfe gehoben, da zuckt ein brennender Schmerz durch seinen Nacken, der wohlgezielte Lanzenstoß des Pikador, und er fährt zurück. Und ob auch der elende Klepper mit seinem gepanzerten, gepolsterten Reiter sich als ein Knäuel im Sande wälzt, sein Sieg ist teuer bezahlt, heiß rinnt es ihm über die braune Haut. Seine Rache kocht auf, blindwütend sucht sein bluttriefendes Horn immer wieder, was sich da vor ihm windet. Da locken sie ihn weg von seinem Opfer, dem die Gedärme entquellen, die flinken Männer mit der Kapa, dem blauen oder roten Tuch, das sie vor ihm schleifen und schwingen, daß er hineinstößt – in die Luft, denn die Schlauen sind seitwärts gesprungen, bevor der Ungeschickte sich wenden kann. Und er greift immer auf gerader Linie an und sie immer um ihn herum und von der Seite. Und so locken und hetzen sie ihn hin und her durch die Arena und er kann sie nicht fassen, wie der junge Mensch, der weltunkundige, der gereizt seine Feinde am Leibe spürt und sie nicht fassen kann. Vielleicht geht er noch ein zweites, ein drittes Mal auf einen der gespenstigen Reiter los und holt sich neue Lanzenstiche, vielleicht hat er an einem Irrtum genug und ist dazu nicht mehr herauszufordern. Immer boshafter werden seine Feinde, über die Schranke hinweg springt einer, dem sein Horn schon nahe kam, er ihm nach, eine Weile rennt er im Kreise zwischen der doppelten Einfassung, dann lassen sie ihn höhnisch durch das geöffnete Tor wieder herein auf die Marterstätte, die er lebend nicht verlassen darf. Jetzt übernimmt die Führung des Kampfes der Banderillero mit seinen Genossen, mit zwei armlangen, buntfarbigen, Fähnchen gleichen Lanzen, die er hin und her schwingt, vorwärtsstößt und zurückzieht, fordert er den Stier zum Anlauf heraus. Wie der aber den Kopf zum Stoße neigt, sitzen ihm, von dem seitwärts springenden Manne von obenher eingebohrt, die beiden Lanzen mit ihren Widerhaken im Genick, die eine rechts, die andere links herunterfallend. Und wieder so und wieder so, bis er drei paar der tückischen Hölzer vergeblich im blutenden Nacken schüttelt. Da steht er nun ratlos, ermüdet, keuchend heben sich ihm, mit Schaum und Schweiß und Blut bedeckt, die Flanken, sein dumpfes Brüllen aus Schmerz und Grimm verschlingt die wilde Musik und höhnend und hetzend und Beifall johlend der unablässige Zuruf der Menschen. Starr steht er mit irrem Blick, so daß ihm einer der Feinde in keckem Hohn mit seinem Hute die breite Stirn streifen darf. Sieht er zurück in die frühlingsgrüne Steppe, darin er als Kälbchen sprang, daraus ihn der schwindelige, enge Wagen hieher brachte? Bis zu welchen Höhen und Tiefen gelangt sein wirbelndes Bewußtsein in dieser schrecklichen halben Stunde? Schon aber holt das Verhängnis zum letzten Streich aus: der Matador tritt auf den Plan, in der Linken ein grellrotes Tuch an kurzem Stiel, in der Rechten lässig den langen, breiten Degen. Er naht sich dem Stier, überlegen, siegessicher, und prüft ihn wie spielend, ob er reif sei; wo nicht, so winkt er für eine Weile die Kapeadores herbei. Und jetzt ist der Augenblick gekommen: Stier und Mann stehen einander entgegen, zwei Schrittlängen weit, der Mann mit dem Rücken gegen die Sonne. Die Musik verstummt, tausende Menschen halten den Atem an. Der Töter senkt mit der Linken die rote Fahne und zielt über sie hinweg mit der degenbewehrten Rechten. Der Stier holt zum Stoß aus, da zuckt ein Blitz, kaum folgt ihm das Auge, und der Gefällte bricht in die Knie, aus seinem Nacken ragt der Degengriff, die Klinge ist ihm ins Herz gefahren. Dann legt er sich auf die Seite. Vielleicht auch fuhr sie daneben, dann reißt die blutrote der verwegene Mann heraus und wiederholt, vielleicht noch einmal, den Stoß. Gelingt er, dann erbraust der Beifallssturm, die tausendköpfige Menge taumelt im Blutrausch, Hüte, Tücher und andere Geschenke fliegen dem Sieger zu als willkommene Ergänzung seines goldenen Tagesgewinnes. Unterdessen hat ein Gehilfe mit einem Eisenkeil dem Opfer den Genickfang gegeben, das Viergespann jagt herein und mit einer Kette um den Hals schleift es unter Siegesfanfaren den arglos unerfahrenen, tapferen, ehrlichen, überlisteten Kämpfer um sein Leben als Leiche vom Platz, vielleicht als einen »Verbrecher an der Menschheit«. Die Zuschauer aber, alt und jung, Mann und Weib, Priester und Laie, Bürger und Soldat, die einen im Schatten, die andern in der Sonne sitzend, besprechen als Kenner das interessante Schauspiel, dem nun der zweite Akt folgt und der dritte und so weiter, bis die Lust gestillt ist.
Das ist das Erbteil der kaltherzigen Roma an ihre lateinischen Töchter. So rast die Corrida de los toros, der Stierlauf, alljährlich durch jede namhafte Stadt Spaniens und durch die alten Römerarenen des südlichen Frankreich, so, wenn auch etwas gemildert, durch Portugal. Und so martert, nachdem es den unbesiegten, leichtgläubigen Starken listig zu Falle gebracht, das romanische Frankreich im Einverständnis mit der lateinischen Schwester Italien und dem lange nicht mehr germanischen England das wehrlose Deutschvolk und im Mutterschoße schon das werdende Kind und gefällt sich in seinem Schauspiel, halb Tiger, halb Affe, wie es sein eigener Sohn Voltaire genannt hat.