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(1898)
Als ich am 21. Februar 1898 nach Kairo kam, stand ich wie berauscht von diesem fremdartigen, bunten Wesen, das ringsher wie mit rauschenden Wogen auf mich einstürmte. Welche Freude aber war es, langsam im Lauf der Tage dieser Bilder Herr zu werden, sie in ihrem Sinn und Gegensatz zu empfinden und zu verstehen. Doch sie beschreiben? Ich glaube, Kairo spottet der Beschreibung eines flüchtigen Besuchers, auch ist diesmal anderes meine Absicht, und so sei's hier mit einigen seiner Züge genug.
Zwischen Wüste und Wüste; im Osten steigt der gelbbraune, kahle, zerklüftete Mokattam, im Westen die Pyramiden feierlich darüber empor; ein schmaler grüner Streifen legt sich von diesen herab an die Linke des Nil, von seiner Rechten bis an den Fuß jenes breitet sich die märchenhafte Stadt. Dort aus Westen blickt der Friedhof Altägyptens, zugleich der größte der Erde, mit seinen grauen Riesendreiecken, um die abends die Sonne ihren goldenen Mantel wirft, über das fadendünne Fruchtland zu ihr her, im Osten schmiegt sich von ihren letzten Gassen zum rötlich erglimmenden Mokattam hin die Stadt der kühn und zierlich gekuppelten Kalifen- und Mamlukengräber mit ihrer Heerschar von tausend und abertausend einförmigen Steingräbern der Moslim, im ewigen Kampfe mit dem verwehenden Wüstensande wie drüben die älteren Male. Gleich einer Fürstin hebt hoch von der Zitadelle über das graue Häusermeer und die ungezählten Kuppeln und Minarets der Moscheen Mohammed Alis Alabastermoschee ihr reichgekuppeltes Haupt und ihre nadelschlanken, weißen Minarets, ein weithin sichtbares Wahrzeichen. Und da, ihr zu Füßen, lagert sich die alte Araberstadt aus der Kalifenzeit, ein Geniste und Gewirre unzähliger Häuser und Hütten, in den engen, unsauberen aber schattigen Gassen und Gäßchen das lärmende Völkergemisch dreier Erdteile zu Fuß und Roß und Wagen, zu Esel und Kameel, Handwerk und Handel frei auf Platz und Straße, die Bazare mit ihren hunderterlei lockenden Dingen, dazwischen verlassene, in Schutt gesunkene Häuser, zerfallende und nie fertig gewordene Moscheen, um deren Gebetstürme die Aasvögel kreisen, – und dort, dem Strome zugewandt, die stillere, vornehme Neustadt, nach Pariser Vorbild angelegt vom Khedive Ismail, mit Lustgärten, Palästen, neumodischen Hotels, baumbepflanzten, aber sonnigen Straßen, durch die die elektrische Bahn saust und die Hochländerbataillone Englands, des neuesten Herrn, mit Dudelsackgeleier und Trommelschall und voll herausfordernden Hochmuts ihren Kasernen zu marschieren. Wohin man blickt, überall Vergangenheit und Gegenwart, Verfall und Luxus, Verwilderung und Überkultur, Zügellosigkeit und Ordnungsbestreben, Morgenland und Abendland als streitende Nachbarn. Und da fließt der alte, heilige Nil, von moderner Eisenbrücke überspannt, auf seiner gelblichen Flut das malerische Segelboot, die Feluke, mit langen, rutendünnen Segelstangen und die Dahabiye, das Ruder- und Segelschiff, das so an die Bilder der Grabwände erinnert und daneben Dampfer an Dampfer, fast alle mit der Flagge Cook & son.
Über die Nilbrücke ziehen des Morgens Hunderte von schweren, grobknochigen Lastkameelen, mit Eseln untermischt, in die Stadt, alle hochbeladen mit saftigem Grünfutter, Zuckerrohr, getrocknetem Kameelmist und anderem Bedarf, dazwischen schwarzbärtige Beduinen, würdevoll auf feurigem Renner, und von drüben schallt das Gebrüll der Viehmärkte; nachmittags rollt hier der Korso der feinen Welt – Würdenträger in schwarzem Rock und rotem Fes, Ladies und Gentlemen zu Roß und Wagen, türkische Haremdamen, deren schwarze Augen über weiße Schleier blitzen, je zwei in vornehmer Kutsche, hurtig vor den Pferden her flinke Läufer, reich gekleidet, nacktbeinig, ihre Stäbe schwingend, Europäer aller Nationen durcheinander zu Fuß und Rad und Esel – hinüber nach Gezire, dem parkumrahmten, schönen maurischen Schloß, das der verschwenderische Khedive Ismail der Kaiserin der Franzosen Eugenie zum Empfang baute, als er den Suezkanal eröffnete. Auch die von Gezire aus schnurgerade südwestlich laufende Straße hat er damals für sie angelegt und mit schnell wachsenden indischen Lebbachakazien bepflanzt; sie führt durch das Dorf Gize zu den danach benannten Pyramiden in die Wüste hinan, aus der lärmenden Gegenwart in die schweigende Vergangenheit.
Diese zu suchen, war ich eigentlich gekommen; es ging mir aber nicht viel anders als vorher mit ihrer jüngeren Schwester. Unbefriedigt, fast gedrückt kam ich vom ersten Besuche des Pyramidenfeldes von Gize zurück, woran freilich auch die Gesellschaft schuld sein mochte, deren man sich eben nach langer gemeinsamer Schiffsreise nicht sofort entledigen kann. Ratlos und verwirrt aber stand ich im Museum von Gize, Jetzt in Kairo, wohin die Sammlung übertragen wurde, als der Aufsatz schon geschrieben war, daher dort, wo später von einem Kunstwerk in Gize die Rede sein wird, dafür Kairo einzusetzen ist. dieser reichsten aller altägyptischen Sammlungen. Meine lieben, alten, angelernten Schulbegriffe – wohin waren ihrer nur auf einmal so viele gekommen? Schamhaft in die Winkel verkrochen! Ich kam mir vor wie ein mit Theorien erfüllter Krieger, am ersten Gefechtsmorgen vom Feinde umringt in gedrängter Übermacht. Was da in einem Hause in Sälen nachbarlich gesellt ist, was innerhalb eines Saales friedlich nebeneinander steht, was das ungeübte Auge so leicht zusammensieht, das ist getrennt durch die Entwicklung dort von Jahrtausenden, hier von Jahrhunderten. Alles nennt sich ägyptisch von Mena bis Psamtik, und doch ist von dem einen zum andern sicher zweimal mehr Zeit vergangen, als beispielsweise von Wulfila bis Goethe. Nur ein langsames Aufrollen der gesamten ägyptischen Geschichte konnte hier Klarheit und Ordnung schaffen, und ich begann damit in Geduld. –
Ich suchte das alte Reich auf seinem Friedhofe in der libyschen Wüste auf. Denn dieses hat, wenn auch alle folgenden Zeiten hier noch Gräber anlegten, ihm seinen Charakter aufgeprägt. Sieben mehr oder weniger zerfallene Pyramidengruppen: von Abu Roasch, Gize, Zauiyet el Aryan, Abusir, Sakkara, Daschur und Lischt bezeichnen meilenweit seine Ausdehnung den Nil entlang, in die Wüste hinein ist die Grenze verweht. Städte fänden auf ihm Raum, Städte haben ihn ja auch bevölkert. Über das Gräberfeld der großen Pyramiden bei Gize will ich hier nicht berichten; es ist weltbekannt und oft und überall beschrieben; besuchen wir, südlich von ihm, das von Sakkara. Der Bahnzug führt uns über den Nil, über Bonapartes Schlachtfeld, zwischen Strom und Wüstenhochland hin, bei den Pyramiden von Gize und Abusir vorüber, in einer Stunde nach dem Fellachendorfe Bedraschen, Nilschlammhütten unter schütter stehenden Dattelpalmen. Hier besteigen wir einen der trefflichen ägyptischen Reitesel und reiten auf stäubendem Erddamme westwärts, der Wüste zu. Dichter stehen die Palmen, doch ohne rechten dunkeln Schatten, formlose Klumpen liegen überall herum, Schutthügel, Granitblöcke, Ziegelhaufen, Scherben, eine Riesenstatue zu Boden gestreckt am Wege, das sanfte Gesicht zum Himmel empor, eine andere, ähnliche, größere nicht weit davon, – Ramses II. hatte diese seine Bilder vor dem Tempel des Ptah Sprich: Ptach. zum Dank für seine Siege aufgerichtet – wir stehen auf der Trümmerstätte des ehrwürdigen alten Memphis. – Weiter beim Dorfe Mitrahine vorüber und dann bei Sakkara, die Palmen haben uns verlassen, über den Rand der Wüste blicken Pyramidenhäupter herunter, noch grünt das Fruchtland um uns, hier hat es sich unbemerkt im gelben Wüstensande verloren, dort trennt beide nur ein handbreites Schlammdämmchen; tapfer stampft jetzt unser unermüdliches Tier im Sande bergan, Felsengräber gähnen, Schächte klaffen, zwischen Sandhügeln windet sich der Weg hinab, hinan, umgewühlt wie oft seit Jahrtausenden von Habsucht und schauernder Neugier ist das Totenfeld von Sakkara. Wie das von Gize ist es durch Pyramiden und Mastaben das getreue Abbild des unumschränkt beherrschten alten Reiches, wo der »Sonnensohn« die Volkskraft rücksichtslos für eigene Zwecke nutzen und durch sie solche Riesengräber türmen durfte, wie die Pyramiden; des zentralisierten Beamtenstaates, wo vielleicht vom königlichen Hofe aus die reichbetitelten Würdenträger Gaue und Bezirke verwalteten, wo der Hof in der Nähe der Pyramide weilte, die sich vom Beginne seiner Macht an der Pharao als »Haus für die Ewigkeit« baute und wo neben seinen Verwandten nur die größten Diener die Ehre empfingen, sein Hofstaat im Tode zu werden, in Mastaben.
Jene gestufte Pyramide dort konnte ihr Erbauer, König Zoser der dritten Dynastie, wohl nicht vollenden, ihr nicht mehr vom Scheitel herab über die Stufen den abschließenden Mantel anlegen, wie sich noch fast drei Jahrtausende später Herodot den Pyramidenbau beschreiben ließ.
Hier aber ladet uns eine Mastaba zum Eintritt. Man versteht unter diesem Namen einen zumeist aus Hausteinen aufgeführten Bau in Form einer niedrigen, abgeflachten Pyramide auf rechteckigem Grundriß, von sehr verschiedener Ausdehnung. An ihrer Ostseite, in deren südöstlicher Ecke, befand sich eine Nische mit einer Scheintür, der Stele, Siehe im Wiener kunsthistorischen Museum die Stellen 5 und 6 im ersten Saal. die den Eingang ins westlich liegende Totenreich darstellte, für die Darbringung der Opfer, in den größeren eine wirkliche Tür, die in eine demselben Zwecke dienende Kapelle führte. Zur Mumie aber gelangte man in der Regel von der Oberfläche des Baues durch einen senkrechten Schacht, der nach Beisetzung der Leiche mit Steinen ausgefüllt wurde; ein Kämmerchen daneben barg des Toten Bild.
Die Mastaba hier, einst freistehend, jetzt sandüberweht, einem Felsengrabe ähnlich, ist das »ewige Haus« des königlichen Oberbaumeisters und Pyramidenvorstehers Ti aus der Zeit der fünften Dynastie. Er war ein Emporkömmling, seine Frau aber eine Prinzessin von Geblüt, Neferhotep, »Schön ist der Friede« genannt. – Denken wir uns um 5000 Jahre zurück. Da legen hier in dieser pfeilergetragenen, kapellenähnlichen Halle Frau und Kinder des Toten ihm die Opfer auf den Steintisch, und er nimmt sie entgegen. Lebt er doch noch, erscheint doch, ihm völlig ähnlich an Gestalt und Zügen, sein seliger Geist, sein Ka, der sich vom Leichnam gelöst hat, den Überlebenden im Traume, und daß er, aus dem Totenreiche kehrend, nach seinem Haus nicht irre gehe, wartet seiner in einem Kämmerchen neben dieser Kapelle, im Serdab, sein getreues Abbild in Stein oder Holz mit den Zügen und Farben der Natur, gar nicht zu verkennen. Nun er die Gebete und Zaubersprüche seiner Lieben vernommen und die Düfte ihres Rauchwerkes eingesaugt hat, mag er durch die Falltür da in der Mitte der Halle in den schrägen Schacht hinabschlüpfen und weiter in die Grabkammer, wo, in Binden gewickelt, sein toter Leib behaglich ausgestreckt ruht und sich mit ihm wieder vereinigen. Da ist wohl auch sein dritter Teil, Ba, die Seele, das Vögelchen mit dem Menschenköpfchen, herbeigeflattert, und der Mensch von einst ist wieder beisammen. Nun kehrt er auf demselben Wege zur Oberwelt zurück und schreitet hier den Gang hindurch in die Tiefe des Hauses, in dieses geräumige von zwei Pfeilern gestützte Gemach, mit steinernen Palmbaumstämmen in der Decke, erfüllt mit allem Hausrat und Behagen wie dereinst im Leben, das er niemals lassen möchte. Drum ist es hier an allen Wänden in Bild und Schrift geschildert, nahezu halb körperlich erheben sich die zarten, farbigen Gestalten aus dem Grunde des feinkörnigen Sandsteins und durch ihren Zauber werden sie dem Seligen festhalten, und in Ewigkeit sichern, was sie aussagen.
Von den Pfeilern hier sprechen sein Name, der ein gar wichtiger Teil seines Wesens ist, und seine Titel zu ihm, und da beim Eingange steht er selbst, schurzbekleidet, würdevoll mit langer Perücke und langem Stab und sieht, ein echter Ägypter, ein echter Bauer, – gewiß, daß ihm das Herz im Leibe lacht – die heiteren Bilder seiner gedeihenden Wirtschaft. Er sieht, wie seine Knechte mit krummer Haue die fetten Erdschollen zerhacken, wie die Rinder den radlosen Pflug ziehn, wie der Sämann aus dem Saatbeutel streut, wie seine Widder die Saat in den lockeren Boden treten, und hört, wie die Knechte einander munter zurufen und antworten, was neben jedem geschrieben steht. Seine Rinderherde sieht er durch den Strom getrieben, hochgehörnte Kühe, hornlose Kälber, sieht das Jungvieh lustig auf der Weide springen und die Mütter daneben gemolken werden. Und da tritt der Schnitter zum dichten, hohen Weizen, »nun seid ihr groß!« ruft er den Ähren zu, »nun ist's Zeit!« den Halmen und ergreift sie und schneidet sie mit krummer Sichel fast in der Mitte durch und ladet die Garben geduldigen Eseln auf. Und das Vieh wird sich vermehren, der Weizen immer neue Ernten geben, und so wird es ihm in Ewigkeit an nichts fehlen. Da werden auch die Vorsteher seiner Dörfer den Schreibern, die gar wichtig mit untergeschlagenen Beinen dasitzen, drohenden Stockes zur Abrechnung vorgeführt, nein geschleppt; Bäuerinnen aus jedem seiner Dörfer – jede Gestalt ist benannt – bringen ihm in gehäuften Körben, die sie auf dem Kopfe tragen, Früchte und Gemüse aller Art und Jungvieh und Gänse an der Hand. Braun sind die Männer, gelblich die Frauen.
Dort wieder sieht er sich selbst, auf dem Papyrusnachen stehend, sein Herrenrecht der Wasserjagd üben. Ein Papyrusdickicht steigt aus der trägen Flut, die von Fischen und Nilpferden wimmelt; mit der Harpune gehn seine Leute von einem anderen Boote her diesen Unholden zu Leibe, aus einem dritten werfen sie die Angel nach der schmackhaften Wasserbrut. In den hohen Stauden aber mit den strahligen Riesendolden – der Künstler hat sie stilisiert und glockenförmig gezeichnet – tummelt sich reges Leben der Sumpfvögel, jede Art zu erkennen; alte brüten, junge warten auf Nahrung, beutegierig kriecht das Ichneumon hinauf, wütend fallen es die Eltern mit dem Schnabel an. Nun wird der Jäger wohl den langen Stab hinlegen, das Krummholz ergreifen und mit geschicktem Wurfe treffen, daß es gehorsam vor seine Füße wiederkehrt. Lachend kann er den Schiffern zuschauen, die sich prügeln, seine Affen und Jagdhunde streicheln, die ihm Zwerge zuführen, dann wieder Handwerker jeder Art beim fleißigen Schaffen beobachten, die alle für ihn arbeiten, ihm Schiff und Schmuck und Kleider und allen Bedarf in Ewigkeit fort herstellen werden. Von vollen Tischen laden ihn Speise und Trank, die seine Hinterbliebenen immer erneuern, und wenn auch nur im Bilde, dem Tische eingeschnitten, und sucht er Abwechslung, ei, so verschwindet er durch die Scheintür da im Westen des Gemaches in das Gefilde der Seligen, ins Land Aaru, das, beileibe kein phantastisch ausgemaltes Paradies, – nur daß das Getreide darin sieben Ellen hoch steht – fast auf ein Haar dem Land Ägypten gleicht, wo sich's so gut leben läßt. Und bis er wiederkehrt, vertritt und erwartet ihn im »ewigen Hause« sein steinernes Abbild, dem ein ebensolcher Diener gesellt ist, der ihm Brot bäckt, und einer, der ihm die Weinkrüge bewahrt und noch vielleicht ein Zwerg zum Zeitvertreib.
Das ist der derbe Glaube und die Hoffnung des behäbigen Großbauern; seine viel geprügelten hörigen Knechte freilich, die Armen überhaupt – doch wer weiß es heute, wie sich diese das Jenseits dachten, deren zusammengekauerte, nackte Leichen einst scharenweise hier im Sande verscharrt lagen, einen Napf aus Stein zur Seite, den ihnen Sokar, der Totengott von Memphis füllen mochte. In einem Glauben freilich haben sich dennoch beide, hat sich dieses ganze wunderliche Volk in allen Zeiten zusammengefunden: in dem kindlichen Glauben an die Ewigkeit der Person und die Erhaltung des Lebens durch Wohnung, Nahrung und den Zauber von Bild und Wort. Und dieser Ahnenglaube hat ihm die Kunst gebracht, hat im Serdab die sprechend ähnlichen, individuellen Porträtstatuen und an der Wand die scharf geschauten farbigen Bilder des wirklichen Lebens geschaffen. Jene zeigen freilich, ihrem Zweck entsprechend, nur den Kopf völlig ausgearbeitet, den Körper eben zur Not und oft ohne freie Bewegung, – doch sie stehen oder sitzen ja im Grabe; bei diesen ist die Zeichnung einseitig und unbeholfen, die Menschen sind alle gleich groß und gleich alt, es fehlt dem Umriß die Schattierung, es erscheint, was in Wirklichkeit räumlich hinter einander steht, hier auf gleichlaufenden wagrechten Linien über- und untereinander, und doch wird diese Wandbilder im Grabe des Ti wohl keiner ohne wahre Teilnahme betrachten, besonders die frischen, anmutigen Tierstücke. Schade nur, daß sie vielfach schon recht beschädigt und verwischt sind, besonders in der Opferkapelle beim Eingang.
Aber da zieht uns dort im Süden hinter Mariettes Hause, das der verdienstvolle Forscher weltentsagend jahrelang bewohnt hat, hinter des ehrwürdigen Ptahhotep Mastaba, hinter Zosers Stufenpyramide eine kleinere an, die des Königs Onnos (Unas), des letzten der fünften Dynastie. Längst verschwunden ist der Totentempel vor ihr. Bald ist der in der Mitte der Nordfläche befindliche Eingang erreicht und viel leichter als in dem ungeheuren Grabmal König Schufus bei Gize zwei Kammern, deren eine den jetzt leeren Granitsarg birgt. Diese beiden Räume haben vor zwei Jahrzehnten der Wissenschaft die freudigste Überraschung bereitet. Während alle bisher entdeckten Innenräume der älteren Pyramiden kahle Wände zeigten, sind diese mit vertieften, blauen Hieroglyphen bedeckt, mit Stellen aus dem Totenbuche. Es ist dies das älteste Buch Ägyptens, vielleicht das älteste der Menschheit, aber alle folgenden Zeiten haben es erweitert und ergänzt, bis es alle Gedanken und Lehren über das Fortleben nach dem Tode und alle Bräuche dafür in sich faßte, die allerältesten bis zu den allerjüngsten, daher auch alle Widersprüche von Jahrtausenden.
Eben um diese Zeit begann man dem Verstorbenen die Stellen daraus, die man sonst nur über ihm gelesen hatte, an Grab- und Sargwänden als zauberstarke Führer und Berater mitzugeben, damit er sich mit ihrer Hilfe auf dem Wege durch die Unterwelt zurechtfinde, wenn er auf der Sonnenbarke mit Osiris fährt, bis er zuletzt Eins mit Osiris wird. Ein neuer Glaube, von der Priesterschaft von Abydos ersonnen und durch den Hof ins Volk verbreitet, ohne doch diesem den eigenen naiven Glauben jemals nehmen zu können. Ein anmutender, dichterischer Gedanke ist aus ihm herauszufühlen: »Aus der Sonne kehrt das Leben in die Sonne, als wär's ein Tag«, denn Osiris ist die Sonne des geschiedenen Tages, und ein schöner, pantheistischer Gedanke: »Aus der Gottheit in die Gottheit.« Schade nur, daß er bald und immer mehr durch Zauberwesen und Formelkram bis zur Unkenntlichkeit entstellt und verzerrt wurde.
Durch ihn mußte wohl ein immerwährender Lieblingsglaube des ägyptischen Volkes neue Nahrung empfangen: der an die Verwandlungsfähigkeit des Toten in beliebige Gestalten. Ihn haben später die Griechen als Seelenwanderung falsch aufgefaßt, von der das Totenbuch nichts weiß. Auch konnte die Frage nicht lange ausbleiben, ob denn jeder schon durch sein Leben der Aufnahme in Osiris' Reich würdig sei. In der Tat hat dieser neue Glaube das Totengericht vor Osiris zur Folge gehabt.
Noch andere Aufschlüsse gibt uns diese kleine Pyramide in ihren Wandinschriften, dem ältesten großen Sprachdenkmale Ägyptens, unzweideutige Belehrung über die älteste Kultur des Nillandes, die nach langer uns völlig unbekannter Entwicklung schon in dieser Pyramidenzeit nach jeder Seite hin, in Staat und Religion und Schrift und Kunst und Sitte ausgereift und fertig vor uns dasteht.
Noch einen religiösen Gedanken sprechen hier die Gräber aus, der auch dem alten Reiche schon gehört hat. Den Hirten, Jäger, Bauer, den aufmerksamen Tierbeobachter der wundergläubigen Urzeit konnte gar leicht eine plötzliche Laune, eine rätselhafte Neigung eines seiner Tiere zu dem Glauben verleiten, es habe ein Dämon oder ein Gott – sie hausten ja überall, auch im Menschenleibe als Erzeuger der Krankheit – Wohnung in ihm genommen, Besitz von ihm ergriffen; daher seine heilige Scheu hier vor einem Widder oder Stier, dort vor einem Hundskopfaffen oder Sperber und gar vor dem geheimnisvollen Käfer, der immer mit den hintersten Beinen einen Ball rollt. Im Grunde ging es ja anderen Völkern auch so, auch dem Griechen der Urzeit verwandelten sich ja seine Götter zeitweilig in Tiere. Aber dem dichterisch gestaltenden Griechen blieb diese Verwandlung am Ende doch nur heitere Sage und das Tier Sinnbild oder Schützling des Gottes, dem gründlichen, phantasiearmen, pedantischen Ägypter wurde es unbemerkt zum Stellvertreter des Gottes, ja zum Gotte selbst, hier ist das Massengrab der heiligen Apisstiere des Ptah von Memphis, aus der Ramessidenzeit. Mit nachdenklichem Staunen durchschreitet der Wanderer die hundertundfünfzig Meter weit in den Fels gehauenen dumpfschwülen Gewölbe der Tiergruft und sieht beim Scheine der Kerzen in Kammern rechts und links die granitenen und kalksteinernen glatten Riesensärge der heiligen Stiere und begreift zuletzt, wie erglühte Bekenner des jungen Christentums in diesem Jahrtausende hindurch dem Jenseits zugewandten Lande weltflüchtig werden und hier als Mönche sich ins Kloster schließen konnten. Nur eine der Zellen, die noch unter Ramses II. vermauert worden war, war ihnen unbekannt geblieben, ihnen und den zahllosen Grabräubern aller Zeiten. Als Mariette sie fand und öffnete, da waren auf dem Kalke noch die Finger des Ägypters sichtbar, der den letzten Stein in die Mauer davor eingesetzt hatte, und im Sande der Totenkammer, darin die Apismumie unberührt in ihrem Sarge lag, hatten nackte Ägypterfüße ihren Eindruck hinterlassen.
Dieser sonderbare Gottesdienst konnte bei der Verehrung einzelner besonders auffallender und gezeichneter Tiere nicht stehen bleiben, eines zog das andere nach sich, und am Ende, in der Spätzeit Ägyptens, hatte sich das ängstlich gewordene Gemüt – bei manchen vielleicht eine pantheistische Ahnung – bis zur Vergötterung ganzer Gattungen und jedes ihrer einzelnen Wesen verirrt, in einem Gaue zur Heiligung aller Hunde, im anderen aller Krokodile, im dritten aller Sperber. Und hier können wir einen Katzen- und Ibiskirchhof betreten, längst umgewühlt und wieder zugeschüttet.
Wie anders sah es vor vier Jahrtausenden auf dieser Stelle aus. Da schimmerten die glatten Steinmäntel der Königsgräber weithin über Wüste und Fruchtland, da reihten sich in Gassen zu ihren Füßen die Mastabas, auf steinbelegten Wegen wandelten und standen die Lebenden und besuchten ihre Toten und legten ihre Opferspenden in die Nische vor der Scheintür, die nach Westen führt. Und Wächter schritten Tag und Nacht durch die Gräbergassen und scheuchten Diebe und Schakale und fegten den immer wiederkehrenden feinen Flugsand von den Steinwegen und wohnten hier und hielten allerlei Dinge feil, die die Toten brauchten, – so wie es heute noch drüben am Fuße des Mokattam ist.
Und wieder über die Trümmer des alten Memphis kehrend, fiel mir ein, wie jung doch die hier liegenden Riesenstatuen Ramses' II. seien, vielleicht um zweitausend Jahre jünger als Mena, der diese Stadt gründete; der schöne Goldschmuck der Prinzessinnen des alten Reiches kam mir in den Sinn, den ich in Gize gesehen hatte, den zweitausend Jahre vor Christi Geburt feine Hände hier in diesem alten, damals schon tausendjährigen Memphis, Mennofer zu fügen wußten. Und darin lebte damals Ptahhotep, dessen Grab wir dort oben hinter uns gelassen haben, und schrieb voll Weisheit und Klugheit eine Sittenlehre mit Gedanken, die mit ihm die Besten aller Völker geteilt haben, zu einer Zeit, wo die indischen Veden noch nicht geschrieben waren und lange, lange noch keine Zeile des Pentateuch. Keine Hütte von Rom stand damals, kein Stein war für Athen gebrochen. Unweit der Ramsesbilder aber hat eine Bohrung aus der Tiefe von nahezu zwölf Metern eine rotgebrannte Tonscherbe ans Licht gebracht, die unter dem sich jährlich drüber lagernden Nilschlamm vielleicht wenigstens sieben Jahrtausende gelegen hatte. Die wurde von Menschenhänden geformt, als wohl noch niemand daran dachte, dem Nil die Überschwemmung der Fläche zu wehren, auf der dann Memphis stand.
Auch die Städte des alten Heliopolis (On, Anu) besuchte ich, einige Kilometer nordöstlich von Kairo, beim Dorfe Matariye. Von dieser Stadt, die eine der ältesten Ägyptens war, lange sein geistiger Mittelpunkt und die hervorragendste Schule der Ärzte, die es unternahm, den einen Sonnengott als Gott des geeinten Reiches über das trübe Gemenge der Ortsgötter aus der Gaustaatenzeit zu setzen, sonach von der entwicklungsunfähigen Vielgötterei den kühnen – freilich vergeblichen – Schritt zum Glauben an Einen wagte, die weit im Auslande berühmt war durch die Weisheit ihrer Priester und unter vielen großen Schülern von dort auch Plato anzog, von dieser vornehmsten aller ägyptischen Städte, wohl auch der Krönungsstadt des neuen Reiches ist heute der einzige namhafte Rest der einsame Obelisk König Wesertesens I. der zwölften Dynastie, der älteste übrig gebliebene des Landes, der einst mit seinem längst gestürzten Bruder hier vor dem großen Sonnentempel stand. Ringsum haust in elender Nilschlammhütte der Fellach und wässert stumpfsinnig seinen Acker und wo das Fruchtland zurückweicht, pflöckt der Beduine sein Zelt an.
Am 1. März trat ich die Nilfahrt an. 936 Kilometer in der Stromentwicklung, von Kairo fast bis zum Wendekreis, durch sechs Breitegrade trug mich Cooks Postdampfer südwärts, aber das Bild der Landschaft schien ziemlich das gleiche zu bleiben, ernst, oft nüchtern, gestaltenarm. Rechts und links der braungelbe oder graue Rand des Wüstenhochlandes, nur gewöhnlich der eine näher, der andere fern, alle beide kahl, meist von gleicher Höhe, einförmig, glanzlos, weil den Schutt der Verwitterung hier kein Regen abschwemmt. Manchmal quillt der gelbe Sand von drüben durch einen Einschnitt im Kamm gierig herüber, drohend dem grünen Fruchtlande zu. Hier breiter, dort schmäler, oft durch Wüstenstreifen unterbrochen, tritt dieses knapp an den Fluß, der gerne ein überhöhtes, schwarzerdiges Ufer, wo eben die Strömung geht, einem flachen, sandigen gegenüber hat; Äcker, Palmenhaine, Fellachendörfer, ab und zu eine Stadt, meist westlich, auch ein Fabriksschlot, und wieder Äcker, Palmenhaine, Fellachendörfer und ab und zu eine Stadt. Nur daß der ewig Sandinseln bildende Strom nach Süden hin breiter, majestätischer wird, zehren doch an seiner Fülle Luft und Sonne, Wüstensand, Kanäle und Wasserschöpfer. Und doch, welches Buch von immer wechselnden eigenartigen Bildern für den, der Augen hat.
Dort hinter uns blieb Kairo, der »diamantene Knopf am Deltafächer«, auch sein Wahrzeichen verschwand, die Alabastermoschee; ein Stück noch begleitet uns der Mokattam, der nördlichste Vorposten der arabischen Wüste, drüben im Westen grüßen die Pyramiden von Gize, jetzt die von Abusir, jetzt die von Sakkara, deutlich steigt die gestufte in den blauen Himmel, jetzt die von Daschur, scharf zeichnet sich die Knickpyramide ab. So weit von Gize her hat sich einst das gewaltige Memphis erstreckt. Über der gelben Flut flattern Schwalben, heimatliche Schwalben. Wie Schwalbenflügel blähen sich die gekreuzten lateinischen Segel der Feluken im Nordwind der Frühe, der die Palmenkronen beugt. Gern tritt dieser Baum ans Wasser heran, zwischen den bequem gesellten Stämmen siedelt der Fellach in schmutziger Nilschlammhöhle, wie ein Nest der Erdwespe nimmt sich das Dorf vom Schiffe aus. Aber die Hütte ist ihm nur Schlafraum; den ganzen Tag bis tief in die Nacht hält ihn die Arbeit im Freien. Dort steht er am Ziehbrunnen, am Schaduf, und schöpft mit dem Eimer aus Ziegenfell, daß sein Feld nicht ausdorre. Zwei, drei, vier, stehn sie übereinander am schräg ansteigenden Ufer, und der obere schöpft aus der Grube, die der untere füllt. Denn tief schon fließt der Nil im Monat März, und jährlich wird durch die Schlammablagerung das Ufer höher, wogegen das Flußbett sich nur ganz wenig aufschüttet. Eine Filzkappe eng um den harten Ägypterschädel, ein blaues Baumwollhemd, über den Gürtel herauf gerafft, sind sein ganzes Kleid, braun wie Bronze glänzen die nackten Körperteile, es blitzt der Felleimer, wenn er ihn mit der Hebelstange aus der Flut hebt und wenn er ihn ausschwenkt, blitzen die daneben und zurückfallenden Tropfen. Und so stand sein Urahne vor Jahrtausenden und schöpfte und schöpfte. Damals kam der Dorfschulze und trieb mit dem Stocke die Steuern ein, bis er selber mit dem Stocke vor den Schreiber des Grundherrn zur Abrechnung geführt wurde, wie es uns die Bilder so oft erzählen. Und heute, wo auch alles besteuert ist, auch Palmen und Esel und Schöpfrad, heute kommt der Steuereinnehmer des Khedive, der selber zur Abrechnung vor den Engländer muß, und in all der Zwischenzeit von Jahrtausenden war's immer die gleiche Sklaverei, wie auch die Herren heißen mochten. – Der Eisenbahnzug braust über uns hinaus, bis Assuan reicht jetzt der Schienenstrang. Dort bereiten die Engländer den Hauptschlag gegen den Nachfolger des Mahdi vor, Derselbe ist nun bei Omdurman im August 1899 erfolgt. zugleich vom Kapland und von der Nilmündung aus schreiten sie rücksichtslos, gewalttätig und auf den verschlungensten Schleichwegen der Staatskunst ihrem Ziele, der Herrschaft, entgegen, schaffen und gründen und bauen, für sich allein, versteht sich, und für den Weltkönig Mammon, vielleicht doch auch in der Folgezeit zu des harmlosen, schicksalergebenen Fellachen Wohl, wenn es ihnen gelingt, durch die geplanten Stauwerke von Assuan und Siut das Niltal von den Launen des ernährenden Stromes einigermaßen unabhängig zu machen. Bis dahin schöpft er weiter ins Bodenlose.
Dort unter der breitästigen, dunkelgrünen, einst der Hathor heiligen Sykomore neben der zartblätterigen Nilakazie dreht ein Rind vom unverwüstlichen altägyptischen Schlage, dort ein Büffel geblendeten Auges das Schöpfrad, die Sakiye, daß es knarrt; dann wieder wie dürre Alleebäumchen rechts und links Schaduf hinter Schaduf, auch ein Dampfschöpfrad, denn alles lebt vom Nil. Auf den Sandbänken lauern die Geier auf Strandbeute, denn jedes tote Tier wird in den Strom geworfen, bald lernt das Auge sie unterscheiden: den weißköpfigen mit dem gekrümmten, eingezogenen Halse, den schwarzbraunen Kuttengeier, den kleinen weißgrauen Schmutzgeier, der die Nähe der Menschenwohnungen liebt. In den Untiefen steht unbewegt, wie aus Holz geschnitzt, der Fischreiher, der graue und der Silberreiher, ein Jäger auf dem Anstand. Rasch kommt uns die gelbliche Flut entgegengeschossen, an der Spitze des Schiffes steht der Lootse und mißt unaufhörlich mit langer Stange die Tiefen, wie auf den alten Bildern, und »läßt es nicht an seiner Stimme fehlen«, genau wie es uns jene Zeit berichtet.
Wer könnte sich auch rühmen, diesen Nil auszukennen, der unaufhörlich sein Bett ändert, hier wegschwemmt, dort aufschüttet. Darum muß sich auch das Schiff oft winden und wenden, manchmal rennt es sich fest, dann wird es mit viel Lärm wieder flott gemacht. Eben muß es hart am höheren Westufer vorüber, wie geschichtet und gestuft steigt die tiefschwarze Erde, die in uralter Zeit dem Lande den Namen »Kemet« gab, glatt, wie mit dem Grabscheit abgestochen, aus der Flut, die vom Dampfrad erregte Welle schlägt an, und herab rutschen die Schollen mit dem üppig grünen Getreide, das schon Ähren trägt; der Nil hat sein Geschenk zurückgenommen.
Der Tag neigt sich, von Abendglorie umstrahlt, steigt im Westen die turmähnliche Pyramide von Medum empor, des ehrwürdigen Snofru Grab, der am Anfange der Geschichte Ägyptens glänzt (IV. Dynastie); auf einer Gräberstätte, die uns eines der allerbesten ägyptischen Kunstwerke in Stein bewahrt hat, Rahoteps und seiner Frau Nefert lebensgetreue, sympathische Rundbilder.
Dort drüben im Westen liegt das ägyptische Seeland, die Oase des Fayum mit den Trümmern des sagenhaften Labyrinths. Lebten wir in alter Zeit, so hätten wir nun Unterägypten verlassen und Oberägypten erreicht; die neue Zeit hat beider Grenze etwas nach Süden gerückt. Ein Mittelägypten, »Heptanomis«, gab es ja nur vorübergehend in römischer Zeit. Das Volk kennt wie in alten Tagen nur das obere und das untere Land.
Eine Büffelherde steigt zur Tränke nieder, immer schneller traben die dunklen, schweren Tiere, je näher dem Wasser. Rasch fällt der gelbe Sonnenball, strahlenlos, denn die trockene Luft saugt alle Dünste ein, eben ist er über den libyschen Rand hinunter, Osiris beginnt in der Sonnenbarke seine nächtliche Fahrt. Feierlich ist der Augenblick auf dem Schiffe wie auf dem Lande. Wer ein Moslim ist, entledigt sich des Obergewandes und der Schuhe und betet, neigt sich, kniet, berührt mit der Stirn die Erde. Nun ist es vorüber, scharf zeichnen sich auf dem Uferdamm die Schattenrisse heimkehrender Esel- und Büffelreiter am noch lichten Himmel ab, bis es auf einmal Nacht ist. Leise rauschen die Wellen um das verankerte Schiff. –
Strahlend erhebt sich im »Gottesland Horus am Horizonte« und fährt über den Kamm der arabischen Kette am dunkelblauen Himmel hinauf. Doch vom Himmel und vom Wetter zu sprechen, verlernen wir schon. Tauchen wir doch immer tiefer in die regenlose Zone, wo ein Gewitter zum merkwürdigsten Ereignis wird. Wie könnten auch sonst die Lehmhütten bestehen, die ein ehrlicher Alpenplatzregen in einer Stunde in Brei verwandelt hätte. Fellachenweiber schöpfen aus dem Strome, auf dem leichte Nebelflöckchen tanzen, ganz in weites, schwarzes Gewand vermummt, den Zipfel des Kopftuches zwischen den Zähnen, stets bereit, sich vor einem fremden Gesichte bis auf ein Auge zu verhüllen, während die Lumpenschleppe den feinen Staub des Uferdammes aufwühlt. Gekuppelte Taubenhäuser überragen als stattlichste Gebäude die Dörfer. Die Feldtauben sollen dem ägyptischen Bauer den Dünger schaffen, denn den Abfall von Kamel und Rind dörrt er, mit Stroh gemischt, zur Feuerung. Dafür halten die geflügelten Hausfreunde draußen auf dem Felde vor ihm Ernte und lassen sich so ihre Gabe teuer bezahlen. Schiffe fahren heran, mit tausenden der grauweißen, unglasierten Tonkrüge, Kullen genannt, wie sie da eben die Weiber auf den Schultern heimtragen. Sie werden weiter oben, in Kene erzeugt, ihre Porosität erhält durch Ausschwitzung das Nilwasser kühl, das einzige und vortreffliche Trinkwasser des Landes. Eine Herde Trappen rennt, daß die Düne stäubt, milchweiße Kuhreiher fliegen, Schnabel, Hals und Stelzfüße in einer Linie, Entenschwärme erheben sich plätschernd, Reiher und Kraniche fischen, Pelikane, wie weiße Wasserrosen, beleben einen toten Arm zwischen den Sandbänken, Störche, weiße und schwarze, erheben sich zu Hunderten und verfinstern die Sonne. Aber kein Lotus wiegt mehr den weißen oder blauen Kelch auf der Flut, kein Papyrus hebt den dreieckigen Schaft mit der zartgefiederten Fahne.
Am Ufer rennt der Kiebitz mit dem Federbusch und der Strandläufer der anschlagenden Welle nach, ein großer Eisvogel, schwarz und weiß gescheckt, der Graufischer, hängt rüttelnd über dem Wasser, schießt hinab und wenn er wieder empor fliegt, schüttelt er blitzende Wassertropfen vom Schnabel, darin ein Fischlein verschwunden ist. Hoch, dicht wie ein Sumpfwald steht das Zuckerrohr und rauscht im Winde, dahinter die Schlote einer Zuckerfabrik des Khedive, blaßroter Mohn überzieht blühend ganze Felder, übermannshoch blüht der gelbe Reps, der Weizen trägt ausgewachsene Ähren, die Sonnenblume wendet ihr Gesicht der Sonne zu, hoch steht der buschige Ricinusstrauch, die weiße Ackerwinde kriecht am Uferhang: Juniflur am 2. März.
Über die lehmige Sandbank im Strome geht leichten Fußes der Morgenwind, wie ein goldener Nebel legt sich der erregte, feine Staubsand darüber, wie ein wogender Flimmer, eine sanfte Stimmung. Schon aber hat ihr der praktische Bauer Melonen und Gurken eingepflanzt, die lange reif sein müssen, wenn die Flut sich meldet.
Jäh, schroff aus dem Strome wachsen die Kalkwände des arabischen Randes empor, geblendet schließt sich das Auge, es ist das »rote Land«, wo Set-Typhon herrscht, neidisch der schwarzen Erde des Osiris, die jetzt im Westen sich anschmiegt, Dörfer und Zeltlager, Städtchen und Städte trägt, daran der Postdampfer anlegt.
Von der Landungsbrücke weht die Flagge Cook u. Son, Cook u. Son steht auf den Brückenpfosten und auf den Jacken der Schiffsleute, – ihm allein gehören ja die ägyptischen Postschiffe, – überall Cook u. Son, als ob Cook u. Son der Vizekönig von Ägypten wäre. Ist das ein Leben und Lärmen auf der Landungsbrücke, wenn das Schiff da ist! Zuckerrohr, Eier, Brotfladen, Tauben, Fische, Milch, Messer, Perlenschnüre, Zeugstücke, Palmwedel, gefälschte Altertümer werden angeboten, um jedes Stück schreiend und zankend, mit Gebärden und Fingersprache gefeilscht, denn das Unterdeck ist mit Eingeborenen gefüllt, kaum wehrt der Fremde die zudringlichen Anbote ab. Auf dem Uferrande wartet das Reitkameel, das die Post gebracht hat und weiter nimmt, manchmal bewaffnete Reiter ihm zum Geleite, notgedrungen schwingt der meist negerähnliche Polizeimann im roten Fes, mit dünnen, storchbeinähnlichen, bindenumwickelten Unterschenkeln den Stock über die Rücken der allzu ungeberdigen, prügelgewohnten Verkäufer und Eseltreiber, die den Aussteigenden mit ihren Tieren wie Tolle umdrängen. Wie aber die Schiffspfeife das Zeichen der Abfahrt gibt, verstärkt sich der Lärm, schwillt beim zweiten betäubend an und wird beim dritten zum Höllenspektakel, durch das arabische, englische, deutsche Wortbrocken fliegen, bis zuletzt nur ein Wort noch verständlich ist, das Hauptwort jetzt in diesem Lande: Bakschisch, Bakschisch! Im Chor singen es die Jungen, schisch – schisch klingt es noch ins Rauschen der Schaufelräder, herrscht aber einmal ausnahmsweise Ruhe und Anstand an der Landungsstelle und fragen wir verwundert, so ist's ein Koptendorf.
Dichter stehen jetzt die Dattelpalmen, aus den lichten Hainen sind Wäldchen geworden, und länger und üppiger schwingen sich ihre Blätter im Lufthauch. Wir fahren auch ihrer Heimat, den Tropen zu, denn nilabwärts sind sie einst gekommen, wie sich die Kultur der Menschen nordwärts gegen die Papyrus- und Sumpfwälder des Deltas langsam hinschob in vorgeschichtlichen Tagen. Halten wir uns aber die gesitteten und geschichtlich beglaubigten Zeiten vor Augen und suchen wir ihre Zeugnisse und Urkunden auf, so ist unsere Fahrt südwärts ein Kommen vom alten, ein Eindringen ins mittlere Reich, dessen Malen wir nun begegnen werden.
Gleich dort oben, diesmal auf der Ostseite des Stromes, blicken aus dunklen Höhlen wie Totenschädel die Felsengräber von Beni Hassan.
Gefallen war das alte Reich, wer weiß genau, wann und wie, vielleicht durch Bürgerkrieg und gewaltsamen Aufstand des geknechteten Volkes; wurden doch damals viele Königsgräber bei Gize und Sakkara in gehässigster Weise beschädigt und ihre Totentempel zerstört; aufgelöst war der straffe Beamtenstaat mit der wenigstens scheinbaren Allmacht des Pharao. Die Gaufürsten, Nomarchen, der Königsmacht ihrer Ahnen gedenkend, da jeder Gau noch ein Staat war, hatten sich an deren Stelle gesetzt und herrschten mit erblicher Gewalt, den deutschen Stammesherzogen des Mittelalters gleich, jeder in seinem Gau, fern vom Hoflager des Königs, der, jetzt nur der Erste unter ihnen, sich nur ausnahmsweise den Aufwand einer solchen Riesenpyramide aus Quadern gönnen konnte, ob er nun in Theben oder im Fayum Hof hielt. Dunkel ist der Anfang, dunkel das Ende dieses sogenannten mittleren Reiches, licht und freundlich aber die Mitte, da die Könige der zwölften Dynastie, alle Amenemhet oder Wesertesen genannt, kräftig das Zepter führten, Nubien zu Ägypten schlugen, Handelsflotten an die Küste des Roten Meeres sandten und überall im großen Maßstabe der alten Zeit bauten, besonders im Fayum. Da regte sich auch die freie Bürgerschaft der Städte in Arbeit und Lebenslust, keine der staatlichen Gewalten erdrückte und erstickte die anderen, wahrscheinlich, daß auch der Bauer aufatmete in diesen glücklichen zweihundert Jahren Ägyptens unter der zwölften Dynastie, darauf die folgende Zeit des neuen Reiches mit Neid und Bewunderung zurücksah.
War nun der Beamtenhofstaat der Lebenden zersprengt, so war es auch der der Toten. Die Gaufürsten betten sich nun in ihren heimatlichen Gauen und sammeln selbst ihre Beamten und wohlhabende freie Bürgersleute um sich, alle nicht mehr oder nur selten in Mastaben, Daher keine Grabstellen mehr in Türform. Siehe Kunsthistorisches Museum, Nr. 10 ff.sondern in Felsengräbern oder in kleinen Ziegelpyramiden mit einem Vorbau als Opferhalle. Das hochadelige Gepräge ist diesen Friedhöfen mit ihren vielen kleineren Malen abhanden gekommen. Diese neununddreißig Felsengräber hier, zu denen wir hinansteigen, im alten Gazellengau, geben uns so reiche Kunde von ihrer Zeit, wie wenige nur im Niltal. Überrascht stehn wir vor den Eingängen, denn mehrere von ihnen sind Vorhallen, von einzeln oder paarweis stehenden Säulen gestützt, die man für dorische halten möchte; sie sind sechzehnkantig, stehen jede auf einer kreisrunden Basis, auf ihrem Haupte liegt ein viereckiger Tragstein, der Abakus; im Grabe des Gaufürsten Ameny tragen ihrer vier, fein kanneliert, die reich bemalte, sanft gewölbte Decke eines dreischiffigen Saales. Ohne Zweifel sind solche Säulen aus dem viereckigen Steinpfeiler, dem einfachen Träger im alten Reiche, hervorgegangen und sein Rest ist der viereckige Abakus; in der Vorhalle desselben Grabes kamen wir ja an dem vermittelnden Gliede vorbei: dem Pfeiler mit acht Kanten. Protodorisch hat man sie genannt. – Merkwürdig ist auch der Eingang zum Grabe des Gaufürsten Chnemhotep. Hier liegt auf den sechzehnkantigen, sich nach oben hin verjüngenden protodorischen Säulen der Vorhalle, wie diese und alles aus dem lebenden Felsen gehauen, ein Architrav, und über diesen springt ein Gesims hervor, aus dessen Unterseite zapfenartige Gebilde heraustreten gleich den Nagelköpfen am dorischen Gebälke. In Ägypten scheint man diese Säulenform immer weniger angewendet und endlich vergessen zu haben, vielleicht aber haben die Griechen in ihr ein Vorbild gefunden. – Auch der Felsensaal des Nomarchen Chety hat uns Uraltes aufbewahrt; hier stehen noch zwei der sonst nur im Bild überlieferten Lotusbündelsäulen mit Knospenkapitäl, die den augenscheinlichen Beweis liefern, daß diese schlanke, zierliche Form ursprünglich nur in Holz geschnitzt, dann aber, nicht eben glücklich, auf Stein und größere Verhältnisse übertragen wurde.
Farbig bevölkert aber sind die Wände dieser Gräber und schildern mit Lust und Laune, wie die in der Mastaba des Ti, ägyptisches Alltagsleben. Zwar empfängt uns feierlich, seiner Würde und dem Orte angemessen, die überlebensgroße Reliefgestalt des Hausherrn, das glattrasierte Gesicht mit dem falschen Kinnbärtchen nach rechts gewandt; seltsamerweise erscheint das Auge von vorn gesehen sowie auch die breiten Schultern, der Rumpf verdreht, seine hintere Linie von vorn, die vordere von der Seite, ebenso von der Seite beide Beine und Füße, die letzteren, die auf gleicher Linie stehen, von innen, das schreitende Bein, sowie der stabhaltende Arm vom Beschauer abgewandt, die gleich langen Finger von rückwärts, – genau so, wie sich vor mehreren hundert Jahren Ti vorstellte, daß nur ja jeder Körperteil recht sichtbar sei. Was einst Unvermögen des Künstlers gewesen, jetzt war es zur Satzung erstarrt, aus religiöser Scheu, denn diese Bilder sollten ja mehr als nur schildern, aus Ehrfurcht vor den Ahnen, die man doch nicht übertreffen wollte, und wohl auch ein bißchen aus selbstgefälligem Hochmut, als könnte man sich gar nicht mehr übertreffen. Aber lassen wir diesen Herrn da und die anderen es treiben, wie es Ti bei Sakkara trieb, Gaben empfangen, jagen, Abrechnung halten, Siehe im Wiener kunsthistorischen Museum die Wandbilder, Kopien dieser von Beni Hassan. lassen wir sie, was Ti noch nicht tat, sich ihrer Verwandten rühmen, ihrer großen und guten Taten, ihrer Milde gegen den hörigen Mann, und sie alles aufzählen, was schwer in die Wagschale des Totengerichtes fallen kann, das mit seiner Vergeltung die Gemüter zu schrecken begonnen hat, lassen wir die Herren, gehen wir weiter in den Gräbern und sehen wir dem Volke zu.
Hier formt der Töpfer, bäckt der Bäcker, Goldarbeiter und Glasbläser, Tischler, Barbier und Schuhmacher regen sich, der Zimmermann baut am Schiff, der Bildhauer schafft eine große Statue, und unzählige rüstige Hände bringen sie auf ihren Standplatz. Weintrauben und Feigen werden geerntet, auch der Hundskopfaffe in den Ästen darf sich seinen Teil nehmen, Frauen spinnen und weben, Männer haben große Wäsche – es scheint keine Arbeit zu geben, die hier nicht dargestellt wäre, und so im einzelnen und kleinsten und so mit Behagen, daß man ägyptische Arbeitslust mitfühlt. Aber auch die Lust der freien Stunde! Da gibt es Ringkämpfer und Tänzer und Tänzerinnen und Jäger und Vogelsteller und Spieler mit Reifen, Ball und Damenbrett und blinde Kuh- und Moraspieler, und Sklaven tragen ihren betrunkenen Herrn nach Hause, – und da, fern vom gestrengen Hausherrn, im Winkel wo er gemeine Leute schildern darf, da fällt dem Maler die Regel des strengen Stils so schwer, da sieht er die Menschen, die er von der Seite darstellen soll, von vorn, vom Rücken, in jeder freien Bewegung, da läßt er die Schablone der Zeichnung fallen, da kommt der Künstler über ihn, der nur der Natur gehorcht, und da gelingen ihm Bilder, so wahr und lebendig und zuweilen humorvoll, daß man auch nach drei Jahrtausenden seine ungekünstelte Freude an ihnen haben kann. Hätten wir nur ein ägyptisches Pompeji und Einblick in die Kunst des vornehmen Hauses, statt immer nur in die der Gräber, wir würden sehen, was hier die besondere Anlage des Ägypters im launig idyllischen Genrebild zu schaffen verstand. Das beweisen ja auch so viele uns erhaltene Dinge des Kunsthandwerks, Schalen, Amulette, Dolch- und Spiegelgriffe, Fächer, Wedel, Löffel, Salbenbüchsen in Holz und in Metall, die alle so anmutend mit Geschmack und Phantasie dem Gegenstande des täglichen Gebrauches die natürliche Menschengestalt sowie die Pflanzen- und Tierformen des Landes eingearbeitet zeigen.
Scharfe und kundige Augen wollen auch an einigen dieser oft schon recht verwischten Figürchen – dienten doch die Gräber lange Zeit als Wohnungen und Viehställe – die Merkmale der semitischen Rasse entdeckt haben, so an einigen der Krieger, die sich in den Waffen üben, auch an einigen arbeitenden Dienern.
Söldner hat der ägyptische Staat wohl schon lange geworben, da der Fellach zu nichts weniger taugt als zum Krieger, sicher von altersher Nubier. Noch weniger konnte im mittleren Reiche eine völlige Abschließung stattfinden; dafür mögen auch die 37 hellgelben Menschen in langen, bunten Kleidern zeugen, Männer, Weiber und Kinder, die backen- und spitzbärtigen Männer in Reiseschuhen, die Weiber in Sandalen, alle mit dem scharfen semitischen Profil, die von einem Schreiber dem Gaufürsten Chnemhotep vorgeführt werden und ihm Augenschminke bringen, wie die Inschrift sagt; vielleicht Kaufleute, vielleicht Schutzflehende, schwerlich aber Abraham und Sarah mit Gefolge, was auch behauptet worden ist.
Leider ist es nicht möglich, die wenige Meilen südlich gelegenen Felsengräber im alten Hasengau, im Wadi el Bersche, zu besuchen; der Postdampfer hält nicht an. Ebenso wenig bei Tell el Amarna. Daher ist Cooks Postdampfer einem ernsteren Reisenden nicht zu empfehlen. Auch sitzt er oft, im Unterraume mit Waren und Eingeborenen vollgestopft, auf Sandbänken fest, was mir auf der Rückfahrt mehr als einen ganzen Tag raubte, kann daher für den Besuch der Tempel und Gräber nur wenige Stunden gewähren. Dann läuft er keineswegs die genannten geschichtlichen Orte in ihrer natürlichen Reihenfolge an. Ich habe jedoch diese eingehalten, um dem Leser den geistigen Zusammenhang nicht zu zerreißen. Gewöhnlich dauert die Bergfahrt von Kairo bis Assuan 8, die Talfahrt 5½ bis 6 Tage, in Assuan währte mein Aufenthalt 3, in Luksor ausnahmsweise fast 4 Tage, worauf ich immer den Dampfer wechselte. Auf den sogenannten Touristendampfern ist man insofern noch weniger frei, als man erst recht an die Masse der Reisenden gebunden ist. Alle Wünsche einer Nilreise kann nur die Dahabiye erfüllen, die man für beliebige Zeit mietet, aber um sehr hohen Preis. Da jetzt bis Assuan die Eisenbahn im Betrieb ist, wird sie wohl bald manche Erleichterung schaffen. Und doch war dieses jetzt Tell el Amarna Genannte einst vorübergehend die Hauptstadt Ägyptens, in seinem neuen Reiche, unter Amenophis IV. (Amenhotep) der achtzehnten Dynastie, dem merkwürdigsten Menschen der ganzen ägyptischen Geschichte.
Gewiß lange schon drängte es die besseren Köpfe des Landes, die sinnlos verwirrte, durch wüstes Zauberwesen erniedrigte, immer noch anschwellende Vielgötterei zu vereinfachen und zu läutern, schon strebte die Priesterschaft von Heliopolis danach, ihren Ortsgott Atum-Ra, den Sonnengott, über alle die übrigen zu erheben, die wesensgleichen Hauptgötter der Gaue in ihm zu vereinigen, da wagte der leidenschaftlich kühne Amenophis IV., durch Widerstand nur gereizt, noch mehr: den Kampf auf Tod und Leben mit dem verknöcherten Herkommen und seinen Dienern.
Nicht Atum, nicht Amon, nicht Ptah, die Sonne selbst, die Licht- und Lebenspenderin will er zur einzigen Gottheit erheben, alle Erinnerungen an die Götzen austilgen, den eigenen Namen, darin »Amon« enthalten, ändert er in Chuenaten (Echnaton), »Glanz der Sonnenscheibe« – mit der Vernichtung des Namens hört der Ägypter auf zu sein, was er war –, Theben, des verhaßten Amon Hauptsitz verläßt er und schafft hier Achuenaten, den »Sonnenhorizont« als neue Reichshauptstadt. Hier läßt er das Gebet einmeißeln: »Du o Gott, in Wahrheit der Lebendige, Du bist es, der schafft, was niemals war, der alles bildet, was im All ist. Es ist kein Gott außer Dir!«
Fast scheint es, als wäre ihm auch die Sonne nur Symbol gewesen, und er habe vor dem sinnlich befangenen Volke den ungeheuren Schritt zur geistigen Gottheit nicht gewagt. – Mit der Religion konnte sich nun auch die Kunst befreien und sie wollte es. Auf einmal war der Kreis ihrer Stoffe erweitert, zum erstenmal im ägyptischen Leben sah man den König im traulichen Familienkreise seine Kinder herzen, mit seiner Frau plaudern, die sich nicht mehr mit der hergebrachten kleinen Figur begnügte, sah ihn mit seiner Familie spazieren fahren, verdienten Männern Orden verleihen, sah Paläste, Landhäuser, ja Feste des Volkes sogar! Schade nur, daß die Kunst, jäh gewaltsam aus der sklavischen Gewohnheit der Jahrhunderte gerissen, ihre Freiheit nicht verstand und aus einem Zuviel ins andere sprang, aus der feierlichen Steifheit und Starre, Bewegung und Natürlichkeit anstrebend, in fast modern sezessionistischen Naturalismus, der auch mit Vorliebe das Häßliche und Hagere für Natur nahm. Schade auch, daß mit der Kühnheit des großen Ketzers kein idealer Aufschwung des allgemeinen Geistes gleichen Schritt hielt; kaum viel mehr als ein Jahrzehnt, und der aufgeklärte Despot war bei Osiris und sein Werk »am Widerstand der stumpfen Welt« und der an ihrem Vorteil bedrohten konservativen Mächte gescheitert. Siegreich kehrte die »Rechtgläubigkeit« zurück, Achuenaten wurde Ruine, zur Mumie Ägyptens Religion, gedankenloser Schablone seine Kunst hingeopfert, wenn auch die durch Amarna erregte Welle noch ins nächste Jahrhundert, das der Ramessiden, hineinflutete. Vom Palaste aber des ungestümen Neuerers liegen hier die Trümmer, die einzigen Palasttrümmer des Landes, denn auch die Königshäuser bestanden aus Luftziegeln, nur die Häuser der Götter und der Toten aus gehauenen Steinen.
Auch die einzige altägyptische Stadtanlage hat uns Amarna bewahrt und in seinem Boden eine Urkunde von großer geschichtlicher Bedeutung und Beweiskraft: mehrere im Jahre 1888 aufgefundene hölzerne Kisten mit über dreihundert Tontafeln in babylonischer Keilschrift, den »Amarnatafeln«, in deren Besitz sich nun die Museen von Berlin, London und Gize teilen. Ein Teil des ägyptischen Staatsarchives unter Amenophis III. und IV., wohl vor der drohenden Zerstörung versteckt, enthalten sie zum allergrößten Teil Briefe, einige aber mythologische Erzählungen. Ägyptische Statthalter, Truppenführer, Stadtoberste und andere Beamte in dem von Thutmosis III. unterworfenen Syrien berichten ihrem Pharao, Könige Vorderasiens schreiben ihrem »Bruder« im Nilland, und dieser erwidert, so gut es geht, – offenbar sind die in Ägypten gebliebenen Schriftstücke dieser Art Duplikate – in derselben Schrift und Sprache, der babylonischen, die demnach den Vorrang einer Diplomatensprache genießt. Sehr locker muß die Abhängigkeit jener einheimischen Vasallen in Syrien gewesen sein, trotz der königlichen Sendboten, die immer um Hilfe durch Truppen und Beamte bitten; die Herren befehden einander, schließen auch Bündnisse, stehen im Einverständnis mit Nachbarstaaten, waschen sich rein, schwärzen und geben einander an, halten die Tribute zurück, kriechen aber alle im Staube vor dem fernen Gebieter in Theben.
Die Könige aber, wie Kadaschman-Bel von Babylon, begehren von ihrem Herrn Bruder bald eine ägyptische Prinzessin, bald, wie dessen Nachfolger Burnaburiasch, Gold gegen Lapis lazuli, und der Babylonier bittet seinen Bruder, die Sendung selbst zu prüfen, dann zu versiegeln, denn die letzte Sendung habe nicht gestimmt. Unermüdlich und zäh bittet König Tuschratta von Mitani im oberen Mesopotamien seinen guten Schwager Amenophis III. um Gold, das ja die nubischen Minen »reichlich wie Erdenstaub« spendeten. Ein ungenannter König von Alaschja am Golfe von Iskanderun will für ägyptisches Silber und Gegenstände des Kunstfleißes liefern, was sein Land hat, Kupfer, Öl und Bauholz: lauter geschriebene Beweise gegen die lange geglaubte völlige Abgeschlossenheit des ägyptischen Staatswesens und für den Verkehr mit dem zweiten, ebenso alten, dem babylonischen Kulturgebiete um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends, da Assyrien noch ein kleiner Vasallenstaat des mächtigen Reiches am Euphrat war und andere Staaten und Völker, diese wenigstens mit anderen Namen, als wir sie später hier finden, sich in Vorderasien drängten.
Eine dieser Tontafeln, jetzt in der assyrischen Abteilung des Berliner neuen Museums, weiß uns wie die Bibel von einem Paradiese zu erzählen, und unter den Briefen daselbst, die oft recht zierlichen, kleinen Kissen gleichen, fällt einer auf, an dessen unterem Rande mit Tinte in ägyptisch-hieratischer Schrift geschrieben steht: Gelesen.
Tell el Amarna hat uns einen Blick voraus, ins neue Reich tun lassen, hat uns auch das große Rätsel der ägyptischen Geschichte wieder aufgegeben. Es muß doch neben oder vielmehr über dieser offiziellen Staatsreligion eine andere in Ägypten lebendig und wirksam gewesen sein, eine mit höheren, geläuterten Begriffen, eine Geheimlehre also, die man der großen Masse vorenthielt. Wie wären sonst die vielen Aussprüche rein monotheistischen Geistes erklärlich, wie dieser hier aus einem Türmer Papyrus:
»O Gott, Gott wird an verschiedenen Stellen angeredet »als Schöpfer des Himmels und der Erde, der Götter und Menschen«, er »hat keine Gestalt«, ist »das Gestern, Heute und Morgen«, ist »der große Gott, der ewig ist, da der Himmel noch nicht war und die Erde und das Wasser«, »der alles erhält«, »wohltätig und erbarmungsreich sich erweist«, »die Gehorsamen belohnt und die Ungehorsamen straft«, »den Menschen das tägliche Brot gibt«, »die Gebete der Menschen erhört«, »die Sünden vergibt«, »sein Name muß angebetet werden«. Baumeister der Welt, Du hast keinen Vater, Du hast keine Mutter. Du bist aus Dir selbst. Du erhältst die Dinge, die Du erschaffen, Du selber aber bewegst Dich durch eigene Kraft. Himmel und Erde gehorchen Deinen Gesetzen.«
Und dieser in einem Londoner:
»Es ist keine Hilfe, wenn nicht bei Dir. Erhöre mein Flehen, gib Freude meinem Herzen, erhöre mein Gelübde, meine demütigen Bitten, die ich jeden Tag zu Dir emporsende, und wirf mir nicht meine vielen Sünden vor.«
Diese Klänge sind so rein, daß auch der Christ aufhorchen und einstimmen muß.
Und das ist nun Siut (Asiut), ganz ins Grün geschmiegt, die stattlichste, freundlichste Stadt, eine der größten am Nil, jetzt die Hauptstadt einer Provinz, so wie einst des »vorderen Sykomorengaues«, das die Griechen um seiner Verehrung des Schakals willen Lykopolis nannten. Meine Gedanken schweifen schon im Bannkreis der Toten, darum rasch durch die Stadt gestürmt, dann seitwärts durch grünes Ackerland dem grauen, schroffen Gräberberge zu, der weithin gegen Ost aus dunklen Höhlen schaut, hinauf geht es durch den Staub der Grüfte. Da knackt ein Röhrenknochen unter meinem Fuß, da ein weiß gebleichtes Schädelstück, und überall liegen Fetzen von Mumienleinwand verstreut in dem groben Kalksand, abgelöste einzelne Binden und ganze zusammenhängende Bruststücke. Binnen kurzem hält meine Hand eine kleine Mustersammlung der berühmten ägyptischen Leinwand, von der gröbsten bis zur feineren, aber völlig mürbe und zerbrechlich.
Und da öffnen sich die Gruftkammern der Gaufürsten des mittleren Reiches. Zwar sind sie arm an malerischem Schmuck, doch erzählen sie auch Merkwürdiges, wenn auch nichts von großen staatsgeschichtlichen Erlebnissen. Betreten wir durch einen gewölbten Gang die ewige Wohnung des Hapzefey, die noch Spuren roter und blauer Ornamentmalerei zeigte; da links an der Wand sieht uns, den langen Amtsstab zur Hand, der Selige zu, wie wir von ihm weg in einen breiten Saal schreiten zur Nische hin, die einst sein Standbild barg, wo sich der Mumienschacht öffnet. Auf der rechten Eingangswand zeigt sich eine lange, lange Inschrift, sie spricht von zehn Verträgen, »die der Verstorbene mit den Priesterschaften seiner Vaterstadt abgeschlossen hat, um sich und seinen im Grabe und im Tempel aufgestellten Statuen die Totenopfer zu sichern«.
In einer anderen Inschrift zählt er seine Verdienste auf, wohl um den Totenrichter zu gewinnen, und ruft die Besucher des Gräberberges in der üblichen Formel an, die etwa so lautete: »Ihr, die ihr da vorübergeht, wenn ihr wünschet, auf Erden zu gedeihen und euer Vermögen euren Kindern zu vererben, so sprecht: Ein Totenopfer an Osiris, bestehend aus tausend Rindern, tausend Gänsen, tausend Broten, tausend Krügen Bier usw. für den Geist des seligen X.« Die Nahrungsmittel, die man eine Zeitlang wirklich hinlegte, die man dann der Kosten wegen in irgend einer Masse nachbildete oder in Stein schnitt oder an die Wand malte, derer möchte er sich nun auf diese am wenigsten umständliche Art, daher auch gleich in rechten Mengen für alle Zukunft versichern, denn der Hunger tut auch ihm weh. Da haben wir ja noch den uralten sinnlichen Glauben an die Fortdauer der Person durch Nahrung, der nun neben dem geistigen Osirisglauben einhergeht. Der Ägypter wagte es eben weder in der Kunst noch in der Religion, das Alte aufzugeben, auch wenn es längst durch Neues übertroffen und bedeutungslos geworden war.
Das benachbarte »Soldatengrab« zeigt uns mehrere Reihen bewaffneter Krieger mit Speer und großem Schild, und ein drittes daneben hat uns gar eine Menge derselben in körperlicher Nachbildung erhalten (jetzt in Gize), immerhin ein interessanter Beitrag zur Kenntnis dieses friedliebenden Volkes von Bauern, Handwerkern und Gelehrten, das immer Söldner brauchte.
Die Gräber von Siut hatten nicht gehalten, was sie versprochen, mich aber dafür zur Aussicht der seligen Geister geführt, mich auf einen Platz gestellt, wie ich ihn seit der Zitadelle von Kairo und dem Scheitel der Schufu-Pyramide nicht mehr betreten hatte. Zu meinen Füßen lag eine heitere Welt, weit und breit das sonnige, sattgrüne Fruchtland, breiter als sonstwo im Niltal, 20 Kilometer bis an die fernen grauen Kalkwände, unten die helle Stadt, dahinter der breite glänzende Strom mit Dampfern und segelbeschwingten Schiffen. Die Gegenwart begehrte ihr Recht, und den Rückkehrenden erfreute das geschäftige Leben und Treiben in Straßen und Bazar. Denn Siut treibt lebhaften Handel mit roten, feinen Tonwaren, Pfeifenköpfen, Lederarbeiten, Leinenzeug, Elfenbeinschnitzereien.
Und wieder rauscht das Schiff durch die Flut in den Abend hinein, auf dem immer breiteren Strome in immer üppigere Landschaft. Schon neigt sich die Sonne der Wüste zu, die nur zurückgewichen ist, die gleich wieder herantreten kann mit fliegenden, tötenden Sandwellen. Zwischen Leben und Tod fühlt sich der Wanderer hier, zwischen Horus und Set wandeln ihm die Gedanken, in sich selbst spürt er die Mächte dieses Landes: gründliches Behagen am Sein, am selbstgeschaffenen, und Furcht vor dem Nichtsein. Wie Totengerippe liegen im fahlen Scheine des Mondes die seitlichen Wüstenränder. Drum, wie klingt nur das altägyptische Lied:
In Linnen dich kleide, leg' Myrrhen aufs Haupt,
Mit Gottes Wunder dich salbe,
Schmücke dich, schmücke dich schön,
Und fei're den Tag, daß erstrahlt dein Gesicht,
Denn keiner nimmt mit seine Güter
Und keiner kommt wieder, der hingegangen.
Und wieder, zum drittenmal erhebt sich Horus neugeboren über die arabischen Berge, während die libyschen ferne Dämmerstreifen ziehn. Blendend liegt das junge Licht auf den weißen Segeln und den schweren Schiffsladungen der hellen Tonkrüge von Kene. Die im Sonnenhauch flimmernden Kalkwände mit den langen wagrechten Schichtenlinien scheinen auf einmal Bienenwaben zu sein oder löcheriger Kork: es sind die alten Steinbrüche und Gräber bei Tahta, auch diesmal auf der Morgenseite. Deutlich sind sie vom Schiff aus sichtbar, Höhle an Höhle, groß und klein, die Viereckform oft noch geometrisch scharf und genau, denn in dieser Zone schreitet die Verwitterung kaum merklich vor. Langsam schwebend zieht ein Geierpaar seinen Schatten drüber hin. Zur Dattelpalme mit den lang gefiederten, am Stamm entspringenden Blättern gesellt sich nun immer häufiger die Dumpalme mit gegabelten Ästen, gefächerten Blättern und glänzenden braunen Nüssen. Immer heftiger wird die Sonne, die Wasserschöpfer auf dem Flachufer arbeiten im bloßen Hüftenschurz, wie auf den Bildern der Gräber. Schon blieb manche Stadt auf dem Westufer hinter uns, da unterbricht auf dem östlichen die lange Reihe der Dörfer Akhmim, das alte Chemmis oder Panopolis; seine Tempelbauten gehörten noch in der Araberzeit zu den bedeutendsten Altägyptens, und in den Tagen, da das Christentum einzog, sah die Gegend von Panopolis Kloster an Kloster erstehen. Dann zeigt sich, wieder im Osten, Menschiye, das als Ptolomais Hermiu einst Thebens Nebenbuhlerin und nach Strabo »die größte Stadt in der Thebais und nicht kleiner als Memphis war«. Einige Mauerreste am Strande, ein antiker Damm, das ist alles, was vom Schiffe aus sichtbar ist. Und jetzt, Girge vorüber, wäre die heiligste Stadt Ägyptens nahe, nur 14 Kilometer landein: Abydos, Abotu. Aber der Postdampfer gewährt nicht Zeit, und so dürfen nur die Gedanken hin. Hier lag der Kopf des Osiris in einem Kästchen bestattet, hier ließ der fromme Ägypter wenn möglich seine Leiche beisetzen oder sie wenigstens herbringen, damit sie kurze Zeit mit Osiris beisammen sei, oder zum mindesten sich einen Gedenkstein aufrichten. War doch Osiris, von seinem feindlichen Bruder Set getötet und zerstückelt, durch Zaubersprüche wieder zum Leben erweckt worden, und jeder Fromme durfte auf diese Weise dasselbe hoffen und dann mit Osiris in der nächtlichen Barke fahren und in Osiris aufgehen.
Nach Hunderten zählen die erhaltenen Gräber und Inschriften in diesem ägyptischen Mekka, Hauptquellen für die Kenntnis des mittleren Reiches. Setis I. Tempel erhebt sich dort, und in Trümmern liegt der seines berühmteren Sohnes Ramses II., in ersterem blieb die bekannte Königsliste erhalten. Es wären die ersten Tempel des neuen Reiches, die dem Wanderer hier begegneten, Ägyptens überhaupt, denn das mittlere und das alte Reich haben uns nur Spuren davon hinterlassen. Wer aber hasten muß und nicht wenigstens ein Touristenschiff, geschweige denn die gemächlich ziehende Dahabiye benutzen kann, muß auf den Tempel von Dendera warten. Leider will das Schiff nicht mit dem Wunsche vorwärts; abermals und abermals sitzt es in einer Untiefe fest, immer, sobald es nur dunkelt. Der Lootse mißt rechts und mißt links mit seiner Stange, ein Boot wird hinabgelassen, der Anker hinausgerudert, eingesenkt und jetzt das Schiff an langem Tau zu ihm hingewunden, bis einer von beiden nachgibt. Ist es der Anker, und er ist es leider oft, ei nun, so wird eben wieder angefangen. Lärmend geht die Arbeit vor sich, mit Geschrei und Gesang. Elesa ja Elesa rufen die braunen Leute halb singend im Chor, la ilaha ill' allah Litaneien die einen, Muhamed rasulullah antworten die andern und so immer fort. Endlich rauscht es wieder durch die Flut unterm glänzenden Sternenhimmel tief in die leise Nacht hinein: bei Nagh-Hamadi liegt es still, nahe der großen Eisenbahnbrücke, 600 Kilometer südlich von Kairo. Und hier erwacht der vierte frohe Morgen.
Da das Schiff auf den Bahnzug wartet, der von Kairo jene Reisenden nachbringt, die die Stromfahrt bis Nagh-Hamadi langweilig nennen hörten, nutzen wir die goldenen Morgenstunden und reiten in die Landschaft hinein, drei Deutsche, die der Zufall hier zusammengeführt und unter lauter Engländern mit den bekannten angenehmen Reisemanieren aufeinander angewiesen hat. Um Ufer dampft eine khediviale Zuckerfabrik mit anhängender Maschinenwerkstätte und Tischlerei, ein Fellachendorf stößt daran. Nicht viel höher als ein Mann ist oft die erdfarbene Schlammhütte, mit Zuckerrohrstroh gedeckt, von der herab der Haushund grimmig den Fremden anbellt, der durch die zum Einkriechen niedrige Tür dringen wollte. Tiefen Staub wühlt der Huf des Esels auf, breitästige Sykomoren, aus deren heil'gem Holze das alte Volk seine Särge und Bildsäulen fertigte, beschatten den Weg, die Nilakazie, der Suntbaum, der ihm die zähen Schiffsrippen und das Harz zur Tinte lieferte, wirft sein feines Zweiggegitter vor uns hin und haucht süßen Duft aus gelben Blütenköpfchen, die Tamariske schwingt ihre schlanken, zarten, rötlichblühenden, erikaähnlichen Zweige, die Karrube, der Johannesbrotbaum hat bereits Schoten angesetzt, der Feigenbaum trägt in grüner Fruchthülle die Blüte, über alle wächst die aus Indien stammende Lebbachakazie, neben der Sykomore jetzt Ägyptens Schattenbaum, aber einen Wald bilden diese Bäume nirgends. Die Zuckerrohrfelder wanken und schwanken unter dem Angriff der Erntesicheln, der Weizen trägt reifende Ähren, dreiundzwanzig fruchttragende Halme zählte ich an einem Wurzelstock, aus einem Samenkorn. Aber keine Lerche hängt singend über dieser Flur, kein Grillengesang erhebt sich aus ihr, nur einzelne schrille Töne. Auch eine Wiese grünt hier nicht. – Auf den Dämmen reitend, übersieht man das Netz der großen und kleinen Wassergräben, die seit Jahrtausenden die Überschwemmung in eine vom Menschenwillen abhängige Bewässerung verwandelt haben. Schon ist der halbmannshohe Klee, die saftige Saubohne zum Teil hereingebracht, die Bauern bereiten die zweite Ernte vor. Dort schwingt einer die Hacke mit dem zum Stiele schief einwärts stehenden Blatte, wie an der Wand des Ti-Grabes; auch der Pflug ist noch räderlos, und geradeso wie damals tragen die vorgespannten Rinder das Querholz über dem Nacken, an die Hörner gebunden.
Vor seiner Hütte spinnt ein alter Fellach Garn aus Ziegenwolle; von unserer Neugierde wendet er sich hochmütig ab. Er denkt wohl: »Allah wird mir's im Jenseits vergelten, um den müßigen Reichen da wird er sich nicht kümmern, der ist verdammt.« Dann aber streckt er uns doch die Hand entgegen und murrt: »Bakschisch,« der einzige Gruß, dessen uns der Muselmann für würdig hält! Nun aber ist gegen Mittag der Bahnzug angelangt, aus den verstaubten Wagen sind die verstaubten Reisenden abgeladen, vorwärts also ins neue Reich! Nur noch an Kene vorüber, der Töpferstadt, die sich uns schon so oft durch ihre Erzeugnisse empfohlen hat, von der die Karawanen der Mekkapilger zum Roten Meer hinabgehen, und nun halten wir am Morgen des fünften Tages bei Dendera, dem griechischen Tentyra, im Gau der Hathor-Aphrodite. Eine halbe Stunde geht es westlich ins Land, was nur das Tier rennen kann, und da stehen wir vor ihrem Tempel, eigentlich dem ihrer Familie: Hathor, Horus, Ehy, Mutter, Vater, Sohn. Er scheint in die Erde gesunken, so hoch umlagert ihn der braunschwarze Schutt früherer Dörfer. Wie er da vor uns steht, haben ihn im ersten vorchristlichen Jahrhundert Ptolomäer und römische Kaiser erbaut, doch wie die um die Außenwand bandförmig herumlaufende Bauinschrift beweist, an Stelle eines älteren Heiligtums, das in seiner Grundanlage tief ins alte Reich zurückgeht, und wahrscheinlich im Stil der alten Zeit und mit Benutzung der alten Mauern. Kein Pylon, kein großer Säulenhof: er ist unvollendet geblieben. Wir müssen einige Stufen abwärts, wenn wir durch steinerne Schranken zwischen Hathorsäulen unter einem mächtigen Hohlkehlengesims mit der geflügelten Sonnenscheibe in den großen Säulensaal eintreten. Viergesichtige Hathorsäulen, über und über mit einst farbigem Relief bedeckt, tragen die ebenso reich verzierte flache Decke. Auf den massigen, fremdartigen Säulen, die einander drückend nahe stehen, opfern die gekrönten Pharaonen vor gekrönten Göttern, auch römische Kaiser: Augustus, Tiberius, Caligula, Claudius, Nero; das besagen die dem Brauche gemäß oval umringten nebenstehenden Namen in Hieroglyphenschrift. Auch die römischen Kaiser tragen ägyptische Königstracht: den Schurz und die Doppelkrone. Die Decke schildert Vorgänge am Himmel in farbiger Personifikation.
Durch ein breites mit Hohlkehle überkröntes Portal treten wir in den kleinen Säulensaal, aus dem weiteren in den engeren. Rechts und links begleiten ihn Kammern für den Haushalt der Götter. Die minder zahlreichen Säulen sind um so geschmückter, der Hathorkopf sitzt auf einem reichen Blätterkapitäl, fühlbar ist die Wucht der Säulen, zwischen denen der Raum kleiner ist als ihr eigener Durchmesser, und ihre Schäfte verwirren das Auge durch die Überfülle der Bilder. Durch acht viereckige Löcher fällt von oben das Licht in den schon dämmernden Raum. – Und jetzt in einen Vorsaal, der ohne Säulen schmal sich vorlegt, kaum daß man im spärlichen Licht durch Wand- und Dachluken die Wandbilder bemerkt: opfernde Könige hier vor diesem, dort vor jenem Gott. Jetzt aus diesem in einen zweiten Vorsaal, genau wie der frühere ausgestattet und wie der frühere beiderseits von Kammern begleitet, und jetzt aus ihm geradaus in den langen, schmalen, völlig dunkeln Raum des Allerheiligsten. Hier standen einst im steinernen Schrein die Götterbilder und die heilige Barke für die Prozession, zu denen nur der König und der hohe Priester und nur einmal im Jahre eintreten durften. Beim Schein der Kerzen zeigen sich auch diese Cellawände mit Bild und Schrift bedeckt: der König bei Vollbringung der Zeremonien, wenn er das Gemach der Götter betritt.
Beim Verlassen dieses Raumes bemerken wir, daß ihn von drei Seiten ein Korridor umgibt, der in zahlreiche Kammern mündet. In den hohlen Mauern aber zieht sich eine Flucht von Krypten – vielleicht einst Schatzkammern – hin, teils über, teils unter der Sohle des Tempels, teils vereinzelt, teils zu mehreren übereinander. Auch sie sind mit reichem, flachem Reliefschmuck bedeckt. An ihren Decken hängen Fledermäuse, unwillig murrt der Führer, da einer der Besucher sie berühren will; wohl ein Tieraberglaube des Islam. – Gedrückt von der Masse und der sich ewig wiederholenden Menge des Gleichartigen, die im Dämmerlicht erst recht fühlbar werden, ist der Wanderer froh, das flache Tempeldach zu erreichen, Himmel und Landschaft wieder zu sehen. Dicke Quadern aus nubischem Sandstein bilden und decken den ganzen Bau, daher unten die Menge der Säulen. Das Dach trägt ein zierliches Tempelchen mit Hathorsäulen, einem griechischen Prostylos ähnlich, und drei Zimmer; an der Decke des einen befand sich der Tierkreis, die einzige runde Himmelsdarstellung der Ägypter.
Ein Rundgang um den Tempel auf den Schuttwällen mag den Besuch beschließen. Auch die geböschten Umfassungsmauern sind über und über mit Bild und Schrift in Relief en creux bedeckt, eigentlich in den Stein geschnittene Zeichnung, da die zwischen den Linien liegenden Steinpartien nicht weggenommen wurden. Gern baut in den Vertiefungen die Erdbiene ihre Zelle, so daß manche Gestalten mit lauter grauen Bläschen bedeckt sind. An der Südwand opfern Kleopatra und ihr und Cäsars Sohn, Caesarion, in altägyptischer Tracht, dieser trägt hinten am Schurz den Löwenschwanz, wie ihn der Häuptling des wilden Stammes in grauer Vorzeit trug. An derselben und an der entgegengesetzten Wand wird der Bau dieses Tempels bildlich erzählt, von der Ausmessung des Grundplanes bis zu den Zeremonien der Einweihung; so wichtig kam dem Ägypter jede Art seiner Tätigkeit vor, so freute sie ihn.
Noch schwankt der neuartige Eindruck im Geiste wie im Dämmerlicht der eben betretenen Räume. Sobald ihn die Augen verlassen haben, tritt neben den Hathortempel, dieses lang gestreckte, fensterlose, verschlossene, einem Bollwerk ähnliche Gotteshaus, das einst noch durch hohe Umwallung das Volk sich fern hielt, der griechische, der Poseidontempel von Pästum. Hier wie dort ist die Cella der Kern und das andere die Schale; hier aber könnte die Zahl der Säle vermehrt oder vermindert werden, dort scheint es, ist kein Teil, kein Teilchen dazu- oder wegzudenken. Hier ist der Gott in seinem Gemache von Korridoren, Kammern und Wänden umringt, geschirmt und abgeschlossen, dort umfängt ihn nur die Cellawand, und als wäre diese jetzt durchbrochen, das Gitter der Säulen, durch das die Welt hereinblickt. Aber noch wartet im Süden die Tempelstadt von Theben und der hohe Bau des Horus in Edfu, vielleicht gelingt es dort, den Geist, der hier geschaffen, in ein Wort zu fassen, da es doch einmal wahr ist, was Anastasius Grün so schön sagt: In Tempelhallen fühlst du beben – der Völker tiefstes Seelenleben. –
Julihitze brannte aufs Dach des Schiffes nieder, als es sich zur Mittagszeit zu bewegen begann. »Sechmet, die löwenköpfige, herrscht am Himmel« hätte der fromme Ägypter gedacht, da er ins Reich der Nechbet, der geiergestaltigen Göttin des Südens wollte. Nicht lange, und am Ostufer in einiger Ferne zeigt sich Kuft, das alte Koptos, das den süßen Wein spendete, die Heimat Mins, des Erntegottes. Von hier liefen dereinst nach Osten ins gefürchtete »rote Land« der arabischen Wüste die großen Karawanenstraßen, die einen zu den Häfen des Roten Meeres, von wo die Schiffe nach Punt, dem Weihrauchlande, ausfuhren, oder zu den uralten Bergwerken der Sinaihalbinsel, die anderen zu den Steinbrüchen im Wadi Hamamat, zu den schönen Graniten für Riesenstatuen und Sarkophage. Hunderte, ja tausende Menschen raffte »Man«, der Pharao, für solche Unternehmungen zusammen, wie die Inschriften dort erzählen; 8368 Mann, Arbeiter und Soldaten, erstere wohl meist Sträflinge und Kriegsgefangene, letztere zu deren Schutz und Überwachung, sandte Ramses IV. dorthin, um Blöcke für den Amontempel in Theben zu brechen; 900 von ihnen kehrten nicht wieder. Wie jene fernen ersten Pyramidenerbauer nutzten die Könige des neuen Reiches die Kräfte des Staates für sich und ihre Riesenbauten aus, das neue Reich schien eine neue Jugend, wie sehr aber unterschied es sich vom alten und vom mittleren. Aus Krieg und Sieg war es hervorgegangen, aus der Überwindung der semitischen Hyksos, der Schoosubeduinen von der Sinaihalbinsel, die viele Jahrzehnte hindurch das Unterland gewaltsam behauptet hatten.
Zum erstenmal in seiner Geschichte hatte das Bauernvolk seine kriegerische Kraft angespannt, und der erste Erfolg bestärkte das so schon hochmütige im Wahne kriegerischer Fähigkeit; herrschsüchtige, eroberungslustige, auch kriegstüchtige Pharaonen nähren diesen Geist, Thutmosis III. (Thutmose), Ägyptens größter Krieger und Eroberer, führt siegreich seine Heere nach Vorderasien und weit den Nil hinauf ins Kataraktenland, seine Nachfolger, die großen Ramessiden, suchen den Besitz zu erhalten, Einfälle beutelüsterner, übers Meer gekommener Barbaren werden siegreich abgewiesen, aber alles das – durch Söldner. Der Pharao, der den größten Teil des Landes für sich besitzt, sich auf eine Leibwache und ein stehendes Heer stützt, erscheint auf den Bildern als oberster Kriegsherr im Helm, sein Oberwedelträger sogar führt das Kriegsbeil, Ägypten ist nach außen Weltmacht, nach innen despotisch beherrschter Militärstaat, in dem der alte Feudaladel der Gaufürsten einer gehorsamen Beamtenschaft Platz gemacht hat, die der Gebieter am liebsten aus freigelassenen Sklaven des Auslandes ergänzt, wie später manche Kaiser in Rom. Unermeßliche Beute und Tribute fließen ins Land, sie fließen zum großen Teile den siegverleihenden Göttern, d. h. der Priesterschaft zu, die bald über ungeheuere Reichtümer verfügt, steuerfrei ist und im Staate einen Staat bildet. An Söldnern und Priestern kann dieses neue Reich zugrunde gehen. – Dieses glänzenden Reiches Hauptstadt aber war Theben, das weltberühmte, das von Homer gepriesene »hunderttorige«, dem wir nun näher und näher rücken.
Wo das Niltal kühnere, wildere Formen annimmt, wo die libysche Kette in weitem Bogen ausholend vom Strome zurückweicht, sich schroffer und trotziger als je auf die Ebene stellt, die auf beiden Ufern weit und breit sich hinstreckt, da kündigt sich Theben an. Es ist, als hätte die Natur nach langer träger Gleichgültigkeit plötzlich einen entschlossenen, aber tiefernsten Gedanken gefaßt. So wenigstens mußte es mir scheinen, da ich in der frühen Abenddämmerung des Märztages drüben im Westen die finstern Wände des Totentals aufsteigen sah, als das Schiff am Ostufer bei Luksor neben den schwarzen Massen des Amenophis- und Ramsestempels anlegte. Wie aber blitzt am Morgen der Strom vor mir, wie tiefgrün leuchtet das Fruchtland dahinter, wie rosig überhaucht stehen die Berge der Toten! Aber sind denn nicht Leben und Tod nur zwei Seiten des Einen Seins?
Vier Tage sind mir zugemessen, vier Tage für Theben, diese allergrößte Trümmerstätte von meilenweitem Umkreis, und in diesem Augenblicke, wo ich darüber berichten will, ist mir wie damals, als ich ratlos im ungeheueren Trümmergewirr des großen Amontempels von Karnak stand. Ich stieg auf den größten Pylon, um die Weltgegenden und nur einigermaßen die Grundlinien zu sehen. Und wie damals beim Schauen heiße es diesmal beim Schildern: sich beschränken.
Da ist zunächst dem Strome bei Luksor der große Tempel der thebanischen Dreiheit: Amon, Mut und Chonsu, eine trümmernde Masse von Riesensäulen, Riesenmauern, Riesenstatuen und Pylonen. Die Anlage ist nicht so einfach wie die des Denderatempels, da dem älteren Baue Amenophis' III. (Amenhoteps), Ägyptens eifrigster Baumeister Ramses II. (Ramesse) den Vorbau anfügte, den mit dem ersteren ein alles überragender 50 Meter langer, 16 Meter hoher Säulengang verbindet. Doch ist auch hier der Grundgedanke unverkennbar: aus der Weite in die Enge, aus höheren in niedere Räume, aus der Helle in die Dunkelheit, aus dem Heiligen zum Allerheiligsten, wo sich der Gott verbirgt wie ein morgenländischer Despot in seinem Palaste. Ist doch das Gotteshaus dem Wohnhause des Mächtigen nachgebildet.
Dreierlei Gegenstände regen hier vor allen anderen die Gedanken an: die Säulen, die Reliefs, die Riesenstatuen.
Es ist in der ägyptischen Pflanzensäule ein Widerspruch fühlbar. Ob Lotus-, ob Papyrussäule, ob mit Knospen- oder Kelchkapitäl, ob Bündelsäule oder einfache, sie ist und bleibt der einst in schlanken Holzsäulchen ausgeschnittene Pflanzenstengel oder das Bündel von Pflanzenstengeln, der oder das nun in massigen Steinschäften bis über 20 Meter Höhe wuchtendes Gebälke trägt. Vielleicht hat man diesen Widerspruch empfunden, indem man dem Kapitäl einen pfeilerartigen Tragstein aufsetzte, der nun zwischen ihm und dem Gebälk vermittelt. Demnach wäre die Pflanzenform nur eine Umkleidung des darin versteckten steinernen Trägers. Die griechische Säule hingegen, mag man nun den ehemaligen Baumstamm oder Steinpfeiler in ihr sehen, ist durch sich selber stark zum Stemmen und zum Tragen
Die schiefwandigen Pylonen schildern in Bild und Wort – im Relief en creux – keine Idyllen etwa, sondern in ruhmrediger Weise ägyptische Reichsgeschichte, und das sind in dieser Zeit die Kriegstaten des Pharao; so hier links vom Tor den bekannten, oft nachgebildeten Vorgang aus Ramses' II. syrischem Feldzug gegen das Chetavolk, da er bei Kadesch am Orontes allein auf seinem Streitwagen, von Feinden umringt, sich heldenmütig durchschlägt, dort rechts den Kriegsrat des Königs im Lager, darunter kündet beiderseits das Gedicht des Pentaur das Gebet des Bedrängten zu Amon in hymnischem Schwunge. Einige innere Wände führen uns in ebensolchem Relief die heimgebrachten Gefangenen dieses Krieges vor; wir staunen über die scharfe, naturgetreue Zeichnung des Rassentypus. Im großen Säulengange sehen wir das Hauptfest von Luksor, wenn am Neujahrstage die heiligen Götterbarken aus dem Amontempel von Karnak auf dem Nil hieherkamen, und die genaue Vorderansicht eben dieses Tempels mit ragendem Pylon, Flaggenmasten, Obelisken und sitzenden und stehenden Riesenstatuen.
Diese neue Geschichtsmalerei hat sich ihren eigenen Stil geschaffen, da braust der Pharao als mehrfach größerer Übermensch, ruhig wie ein Gott, des Sieges sicher, auf dem Streitwagen stehend, den emporstürmende Hengste ziehen, über Leichenberge durch die Schlacht und zerschmettert allein die Feinde; Menschen, Tiere, Dinge, die hintereinander verkleinert erscheinen sollten, liegen und stehen in gleicher Größe einander auf den Köpfen, die alten Hilfslinien sind verschmäht. Übrigens muß das wilde Durcheinander in seiner farbigen Ausführung unter diesem klaren Himmel einst sehr wirksam gewesen sein. Daß aber das geduldige ägyptische Volk doch nicht alles glaubte, was ihm hier die offizielle Geschichtsschreibung erzählte, beweist ein kleiner Spott, den sich ein Turiner Papyrus erlaubt. Da berennt das Mäusevolk die Burg der Katzen; auf einem Streitwagen, den emporstürmende Hunde ziehen, steht neben dem Wagenlenker mit derselben großen Gebärde wie hier der Pharao, das Streitbeil schwingend – der Mäusekönig.
Die zahlreichen Kolossalstatuen Ramses' II., teils stehend, teils sitzend, teils außen vor dem Pylon, teils innen im großen Säulenhofe, sind alle von demselben Schlage. Die sitzenden gleichen gravitätischen Torhütern, die steif, starr, symmetrisch beiderseits des Eingangs Teile des Hauses und mit diesem verwachsen zu sein scheinen; die stehenden zwischen den Säulen gleichen in Front auf Kommando links austretenden Soldaten, einer genau wie der andere, also Puppensoldaten. Ein Mann von Mittelgröße reicht ihnen eben ans Knie. Alle sind sie aus rotem, nur einer aus schwarzem Granit gearbeitet, mit dem althergebrachten, unübertroffenen Geschick der Steinbehandlung, die stämmigen Glieder zeigen entweder keine oder falsche Muskulatur, die Zehen und Hände sind ohne Gelenke, und die Gesichter unter der Königshaube, mit dem künstlichen Kinnbart blicken freundlich, doch ohne eine Spur von Geist und Charakter. Dieselbe Kopfhaube, denselben Kinnbart, denselben kurzen Königsschurz trägt in Gize Chefrens uraltes Sitzbild; welche gebieterische Würde aber läßt dieses Antlitz fühlen, welche wuchtige Persönlichkeit diese strenge Haltung! »Die Aufschrift seines Namens,« sagt Maspero, der feinsinnige Kenner ägyptischer Kunst, »könnte zerstört sein und das Abzeichen seiner Königswürde fehlen, wir würden doch an seinem Ausdruck den Pharao erkannt haben. Alles an ihm verrät den Mann, der von Kindheit auf gewöhnt ist, sich mit der höchsten Gewalt bekleidet zu sehen.« So vermochte schon in jener fernen Zeit die ägyptische Kunst durch Züge und Haltung das Eigenste der Person und ihres Standes und Berufes auszusprechen, und immer wieder angezogen, betrachtet man diesen gewaltigen Pharao, den hochmütig herrischen Priester Ranofer, den gutmütigen, doch seiner Würde wohl bewußten »Dorfschulzen,« den aufmerksam gespannten, klugen sitzenden, den rührend demütigen knieenden Schreiber, das prächtige Ehepaar Rahotep und Nefert, den Zwerg, den Teigkneter und noch manche andere Person, alle, bis auf den sitzenden Schreiber, in Kairo, und den in seiner Verstümmelung noch ausdrucksvollen Kopf des großen Sphinx bei den Pyramiden, des »Horus am Horizont,« vielleicht des ältesten der hier genannten Werke. Auch der im Wiener kunsthistorischen Museum stehende »Sprecher« aus dem mittleren Reiche verdient rühmende Erwähnung. Diese Königspuppen aber hat man alle gesehen, wenn man nur eine kennt. Sie hat das damals viel beschäftigte Handwerk nach der Regel hervorgebracht; was aber trotz dieser Regel die Kunst auch jener Tage noch zu schaffen vermochte und daß sie zu idealisieren verstand, beweisen die schöne Sitzstatue eben dieses Ramses in Turin, der in Gize befindliche schwermütig blickende, schöne Kopf König Haremhebs der achtzehnten Dynastie, der listig lächelnde einer königlichen Frau ebenda, das allerliebste Kinderköpfchen vom Töchterchen des Ketzerkönigs in Berlin. Die große Tempelanlage von Luksor ist auch ein Beispiel, wie in Ägypten die Baukunst, die bildende Kunst und die Malerei immer vereint wirken. Die letztere ist die wahre Dienerin ihrer Schwestern, denn auch die Statuen waren vielfarbig, es sei denn, daß sie schon aus buntem Stein gehauen waren.
Auf geradliniger Straße, einst von widderköpfigen Sphinxen, Kriosphinxen, mit Löwenleibern eingefaßt, deren einige noch am Orte liegen, trabt man in einer halben Stunde nach dem Fellachendorfe Karnak. Von ihm hat heute Ägyptens größte Trümmerstätte den Namen, hier stand, von weitausgreifender Umwallung eingeschlossen, sein Nationalheiligtum, das größte Gotteshaus der Erde, der Tempel des Amon und ihm nahe die Tempel seiner Familie: der Mut am heiligen See, und des Mondgottes Chonsu, des Sohnes. Denken wir uns nun die Priesterhäuser dazu, die heute völlig verschwunden sind, so steht vor uns eine viel, viel größere hierarchische Stadt als die Peterskirche samt dem Vatikan.
Suchen wir aber den Haupteingang in den Haupttempel, so geleiten uns vom Nil her die Widdersphinxe auf der Straße der jährlichen Neujahrsprozession zum ersten großen Pylon, der, 45 Meter hoch, ein Dritteil des Wiener Stephansturmes mißt, an Masse aber einem Berge gleicht. Seltsamerweise sind seine Wände noch völlig rauh, daher ungeschmückt, vielleicht, weil er der jüngste seiner Brüder war. Bis in die mittlere Zeit zurück reicht das Alter dieser Tempelstadt, viele Pharaonen, einheimischen und fremden Ursprungs, bis in die Ptolemäerzeit sind ihre Baumeister gewesen; kein Wunder, wenn sich der Grundplan oft verschob. Sechs Pylonen, viele ganz zertrümmert, stellen sich hintereinander vor Säulenhöfe und Säulensäle, Mittel- und Vorhöfe und führen zu zwei weit auseinander liegenden Allerheiligsten; Ein- und Anbauten lenken oft ab. Man glaubt den Wetteifer der Gaukönige um des mächtigen Amon Gunst zu sehen. Stundenlang wandert man zwischen den gluthauchenden Steinen, um die die Mauerfalken kreischen, und müht sich, im Geiste sie aufzustellen und zu ordnen.
Das also ist der große Säulensaal Setis I. und Ramses' II., der weltberühmte. Staunend läuft das Auge die zwölf Riesenstützen des Mittelschiffs hinan, bis zu den Kelchkapitälen 21 Meter hoch, an Umfang der Trajanssäule in Rom oder den beiden Säulen vor der Wiener Karlskirche gleich; staunend mißt es die 122 Säulen der Seitenschiffe, bis zum Abschluß ihrer Knospen, wo der Tragstein ruht, 13 Meter. Und kein Fleckchen ohne Bild und Schrift, hinter deren Farbenpracht einst die reinen Formen fast verschwinden mochten. – Maspero hat gesagt, der Tempel sei dem Ägypter das Abbild seiner Welt gewesen. Wohl; darum schwebten hoch an seiner blauen Himmelsdecke unter goldenen Sternen die heiligen Geier, und aus dem Boden wuchsen die Pflanzensäulen, und überall ist der Pharao, der Halbgott, der Mittler zwischen Göttern und Menschen, mit den Göttern zusammen. Hier links opfert er dem Gotte die Gaben des Nordens, hier rechts die Gaben des Südens und hier wie dort rühmt er sich derselben sowie des Heiligtums, das er dem Gotte gebaut, und dieser verheißt ihm dafür in alle Ewigkeit Leben und Macht. Und so an allen Wänden, an allen Säulen, vom offenen Hofe her, wo an Festtagen die demütige Menge warten darf, durch die dämmernden Säle bis ins finstere Allerheiligste, das nur er und der Priester betritt. Nur Götter und Pharao und Priester, nur Macht und Pracht! Erleichtert sah ich wieder Gottes freien Himmel über mir, der längst wieder auch zwischen die jetzt unbedeckten Säulen schaut.
Und das sind die Jubiläumsobelisken der Königin Hatschepsut, (Hatasu, Makere) der einzigen ägyptischen Selbstherrscherin, aus dem schönen Rosengranit von Assuan. In sieben Monaten rühmt sie sich die 33 Meter hohen Riesen hier aufgerichtet zu haben. Wie mag das mit vergoldetem Kupfer überzogene Pyramidion ihrer Spitzen dereinst geglüht und gefunkelt haben! Und welch weiten Bogen zog einmal das eine, als es vom stürzenden Monolithen meteorgleich abgeschleudert flog! – Ganz zuhinterst auf dem Wege zum zweiten Allerheiligsten überrascht uns angenehm ein Zimmer: hier hat Thutmes III., der große Eroberer, in ägyptischer Naturfreude und um dem helfenden Gotte damit zu huldigen, alle die Pflanzen und Tiere getreulich malen lassen, die er aus Syrien ins Heimatland brachte. Ein benachbarter Saal zeigt uns eine unschöne Säulenform, die auch sonst nicht mehr wiederkehrt: auf einem sich nach unten verjüngenden Schafte eine umgestülpte Glocke; und ein nahe liegendes Zimmer enthielt die jetzt in Paris befindliche »Königsliste von Karnak,« neben der von Abydos, der von Sakkara, dem Turiner Königspapyrus und der Liste des Manetho ein wichtiger Behelf zur Feststellung der Königsreihe und Ordnung der Zeitfolge.
Noch einige geschichtlich bedeutsame Urkunden enthält dieser Bau: so eine wertvolle Hieroglypheninschrift, einen uralten Staats- und Völkervertrag: den Friedensschluß und das Freundschaftsbündnis Ramses' II. mit Chetasar, »dem großen Könige« der Cheta, der sich indes auf einen noch früheren Frieden und ein früheres Bündnis beruft. Trotz aller Prahlerei und Schmeichelei jener Pylonengemälde bedeutet er für Ägypten die Anerkennung des ebenbürtigen Gegners und damit den Verzicht auf das nördliche Syrien. Ein Satz darin ist aber noch bezeichnender: das Übereinkommen beider Fürsten, sich die gegenseitigen Auswanderer und Überläufer auszuliefern. Es mag eben schon lange ein reger friedlicher Wechselverkehr zwischen den Völkern Ägyptens und des benachbarten Vorderasiens und dadurch mittelbar mit den Euphratländern bestanden haben, – man denke an die in Tell el Amarna gefundenen Briefe – wie er sicher zwischen Ägypten und dem oberen Nillande, dem »elenden Kusch« bestanden hat. Damals war in die oberen Stände Ägyptens die Semitomanie gefahren, wie in uns Deutsche abwechselnd Gallomanie und Anglomanie fährt. Waren, Bräuche, Wörter und Namen, Götter und Menschen wurden getauscht, Ramses' II. Lieblingstochter Bent Anat führt einen semitischen Namen, in Memphis entsteht ein Fremdenviertel mit einem Tempel des Baal und der Astarte. Tiefgegangen aber sind diese Einflüsse der Fremde schwerlich bei diesem mit seiner Natur so einigen und schon so ins Holz gewachsenen Volke, dem überdies die Blutmischung mit einem anderen als Verunreinigung galt. Schon ins alte Reich kam ja der phönizische Kaufmann und der äthiopische Händler, schon die sechste Dynastie sandte Schiffe nach Punt, dem Weihrauchlande. Auch war ja der Ägypter viel zu praktisch, um nicht den Wert fremder Erzeugnisse für seinen Gewerbefleiß einzusehen. Hölzer besonders waren ihm erwünscht in seinem schon von Natur an Arten armen und durch den gesteigerten Acker-, Wein- und Gartenbau immer holzärmeren Lande. War er aber auch nie »abgeschlossen« im landläufigen Sinne, nie wurde er doch ein halbnomadischer Kaufmann wie der unstete jonische Grieche oder gar der Phönizier, immer blieb er der seßhafte Bauer, und hat er Nubien ägyptisiert, so hat er's als solcher getan.
Und da triumphiert – 400 Jahre später – König Scheschonk der zweiundzwanzigsten Dynastie über das Volk Israel, nachdem er Jerusalem geplündert hat, 930 v. Chr., in den Tagen Rehabeams von Juda und Jerobeams von Israel. Riesengroß packt der Pharao – nur ist die Gestalt nicht ganz ausgeführt – einen Haufen zusammengekauerter, mit den Händen flehender Feinde beim Haarschopf und läßt auf sie die Keule sausen. Amon aber mit hoher Federkrone schleppt, das Sichelschwert in der Rechten, mit der Linken, an Stricken gebunden, fünf Reihen bezwungener Ortschaften beider Reiche hinter sich her, den Namen einer jeden umschließt ein Mauerring, auf dem der Oberkörper eines gebundenen Semiten aufsitzt mit denselben völlig naturwahren Gesichtszügen wie in der sonst ganz unnatürlich gezeichneten, stilisierten Gruppe.
Aus dem Gewirr zertrümmerter Anbauten und Pylonen hinter Pylonen führt uns nun eine lange Doppelreihe von männerköpfigen Sphinxen, Androsphinxen, zum Tempel der Mut, halbinselgleich von seinem heiligen See umfangen; den offenen Vorhof erfüllten sonderbarerweise einst mehrere hundert schwarzgranitene Sitzbilder der löwenköpfigen Kriegsgöttin Sechmet, viele noch starren uns heute an. Ihrer zwei im Wiener kunsthistorischen Museum, Saal 5.
Als ich übervoll der Gesichte heimritt, sah ich zurück in die Vergangenheit. Der da die sonnenglühende Straße der Sphinxe vom Nil her, vom gartenumgrünten Königspalast mit reichem Gefolge zum »großen Gott« Amon zieht, das ist Ramses II., Sesostris, Ägyptens berühmtester König, der glückliche Erbe und Sammler des kriegerischen Ruhmes seiner Vorfahren, um dessen Namen die Sage der Nachwelt alle Macht und allen Glanz seines Landes gedichtet hat.
Flinke Läufer voran, dunkelbraune Nubier im weißen Schurz; vor ihren Stäben weicht das Volk, das rechts und links aus seinen Häusern dringt, und sinkt zu Boden vor dem »guten Gotte.« Wie ein rasselnder Sturm die Leibwache jetzt, Schardanakrieger aus dem Westen mit Rundschild und langbreitem Schwert, auf den kühnblickenden Häuptern den Helm mit Hörnern und Kugel auf dem Scheitel. Neger aus Kusch im Taktschritt tragen die Sänfte, um die nackten Leiber, die wie Pech glänzen, den grellbunten, goldflimmernden Schurz. Wedelträger vorn und rückwärts, der Oberwedelträger würdevoll nebenher, mit dem Federfächer, seinem Abzeichen. Und da sitzt nun zwischen den schattenden Wedeln der Pharao im himmelblauen Helm mit der Uräusschlange über der Stirn, im feingefalteten weißen Obergewande über dem goldstoffenen Königsschurz, den Krummstab lässig mit der Rechten geschultert, die Linke auf dem goldenen Löwen der Sessellehne. Das Greisenalter hat sein Gesicht lang und schmal gezogen, die feinen, weichen, sinnlichen Züge haben dem Ausdruck harter Majestät Platz gemacht, und darin gleicht er nun seinem Bruder Chefren aus dem alten Reich, der doch so viel derber und bäuerlicher aussah. Und jetzt seine Söhne, nein, ein Häuflein nur aus der schier unglaublichen Zahl. Auf den Streitwagen stehen die Jünglinge und bändigen lustig die feurigen Hengste mit straffen Zügeln, im Übermute möchte einer dem anderen zuvor, doch keiner darf die unsichtbare Linie überschreiten, die zwischen ihm und den »guten Gott« die strenge Sitte zog. Unter dem wehenden weißen Kopftuch, das ein Diadem zusammenhält, fliegt ihnen die Prinzenlocke, jetzt, der Mode gemäß, ein breites, farbiges Band, von Goldfäden und Perlen schimmert der zierlich gestickte, breitliegende Halskragen, am nackten, prallen Oberarm, der die Geißel schwingt, blitzt Geschmeide, auf den nickenden Roßköpfen wehen vielfarbige Federn, hell gestreift ist die Schabracke, purpurgefärbt das Riemzeug und der Wagenkasten, am Köcher daran funkeln Edelsteine, der vergoldete Radnagel trägt die Züge eines gefangenen Semiten. In Staub gehüllt trabt die Nachhut. Und schon öffnet sich im Pylon das hohe Tor aus Suntholz mit goldenen Riegeln, über dem von knorrigen Zedernmasten die heiligen Flaggen wehen, bunt und hellfarbig leuchten, kaum von dieser hohen Sonne gedämpft, die stürmischen Schlachtbilder von den schrägen Wänden, die Hohlkehle mit der geflügelten Sonnenscheibe über dem Tor, die Säulenschäfte und Kapitäle im großen Säulenhofe, wo die Priester versammelt warten. Ihre Kahlköpfe glänzen in der Sonne, weiß ist ihr Gewand, einigen vom Halse hängt das Pantherfell, einige räuchern, daß blaue Wolken ziehen, ihr Oberster mit goldenem Brustschild und fein klingenden Glöckchen am Kleidersaum erhebt die Hände, und alle folgen ihm nach, gesangartig klingt ihre Begrüßung »angesichts Seiner«, denn eben ist der Pharao da: »Wenn du zum Wasser sprichst: komm' auf den Berg, so kommt der Ozean –.«
Und was ist heute von all der menschlichen Herrlichkeit übrig? Im Museum von Kairo eine verdorrte Mumie.
Jeden folgenden Morgen trug mich die Barke über den Strom ans Westufer, der Totenstadt zu. Wie anders vor dreitausend Jahren! Da geleiteten die Sphinxe, die vergoldete Sonnenscheibe zwischen den Widderhörnern, zu den Tempeln des großen Amon, die auch dem Totenkult der Könige dienten, Priesterhäuser mit ihren Wirtschaftsgebäuden und Schulen blickten über ihre Umwallungen, Kasernen der Wachmannschaften überragten die zahlreichen Häuser der Handwerker, die alle von den Toten lebten. Mumienbereiter verschiedener Art stellten sich dem verstorbenen zur Verfügung, je nach der Taxe, die er sich leisten konnte, Sargmacher boten ihre vorrätige Ware an, Bildhauer, Maler und Kranzbinder ihre Arbeit; Unternehmer von Massengräbern versprachen auch dem Ärmeren die übliche Bestattung, ohne die es keinen Eingang in Osiris' Reich gab. Da kaufte man Kanopen Siehe derartiges im Wiener kunsthistorischen Museum, Saal III und IV. – Gefäße für die Eingeweide – und Uschebtifiguren, die im Jenseits für den Seligen arbeiteten, und noch mancherlei Dinge, die ihm dort nötig waren, Amulette und Opfertiere, lebende und solche aus Teig und Ton und anderer Masse – kurz hier stand, nachbarlich dem Totenreiche eine Stadt der Lebenden zum Dienste der Toten, und unter der Verwaltung eines gar hochgestellten Beamten. Und heute: hier vorn das grüne Ackerland, aus dessen wogenden Feldern wie Klippen die beiden »Memnonskolosse« auftauchen, und dort rückwärts hügelig und zerklüftet ansteigend, dann schroff aufrecht der gebirgige Wüstenrand und Tempeltrümmer und Gräber auf ihm, wohin das Auge blickt. Dunkel gähnen im gelblichen Felsen ihre Höhlen und Höhlenreihen wie Galerien, bis hoch hinauf; um die mittleren und unteren, ja in ihnen hausen als Troglodyten die Fellachen. Achtsam gilt es das Tier zu lenken, denn überall im groben Geröll des Nummulitenkalks klaffen die Totenschächte, hier mehr, dort weniger zugeschüttet, alle schon seit Jahrtausenden umgewühlt und wieder umgewühlt. Wochenlang sollte man hier schweifen, betrachten, sinnen und aufbauen. Eilen wir, die einzelnen Trümmergruppen in einer großen Zickzacklinie von Süden über Norden nach Osten zu verfolgen.
Das am Wege da sind die allbekannten »Memnonskolosse«, riesige, verstümmelte, verwitterte Sitzstatuen Amenhoteps' III. der achtzehnten Dynastie aus je einem Stein, die einst vor seinem nun verschwundenen Totentempel Wache hielten; bestattet lag er fern davon, dort hinterm Berg im Tal der Königsgräber in langem, tiefem Felsengrab. Die wunderbare Klangerscheinung des nördlichen, die durch viele vornehme Besucher beglaubigt ist, deren lateinische und griechische Namen seine Beine bis zum Knie bedecken, ist ja wohl nun ganz natürlich erklärt; aber mutet es nicht poetisch an, daß der Riese nur tönte, solange er den Riß in seiner Brust trug? Seit diesen Septimius Severus mit rohen Sandsteinblöcken füllte, ist er verstummt. Scharf aneinander grenzen nun das grüne und das braungelbe Land, mit einem Schritt ist man in der Wüste.
Medinet Habu nennt sich nach einer in das altägyptische Heiligtum verbauten, jetzt verfallenen christlichen Ortschaft die südlichste Trümmergruppe: ein kleiner von Thutmose III. und seiner Schwester-Gemahlin erbauter Tempel und die große Tempelanlage Ramses' III., Rhampsinit, der zwanzigsten Dynastie. Merkwürdig, daß hier innerhalb des Tempelbezirkes als Torbau ein weltlicher Palast stand, eine Wohnung des königlichen Erbauers, wie die im erhaltenen Reste noch vorhandenen Bilder seines Privatlebens beweisen. Dieser, der »Pavillon« genannt, zweistöckig, turmähnlich, ausnahmsweise aus Quadern aufgeführt, ist der einzige erhaltene Palastbau Ägyptens. So hatte aber auch schon der zweite Ramses, des dritten Vorbild, unweit davon in seinem »Ramesseum« getan. Wollte sich hier der Lebende durch die Nachbarschaft des Totentempels an den Übergang gewöhnen? Oder wollte ihn der Nachkomme ehren, indem er jährlich einige Tage der Erinnerung an ihn hier verlebte, wie es der Moslim auf seinem Friedhofe tut? Oder verrät der Einbau nichts als eine große Nachgiebigkeit gegenüber dem mächtigen Priesterstande, der über die Geister und ungeheuere Schätze gebot? Sei nur einmal der Pharao ein Schwächling, und er wird in der Hand des Amonpriesters die Puppe, der die Arbeit des Tages Stunde um Stunde vorgeschrieben ist, »als hätte es ein Arzt erfunden«, wie Diodor berichtet. Fast könnte man den kommenden Cäsaropapismus in diesem Bauwerk vorgebildet sehen. Und leiten vielleicht die Fäden jener Haremsverschwörung, die um ein Haar der Herrlichkeit des dritten Ramses ein Ende bereitet hätten, ins nachbarliche Priesterhaus hinüber?
Noch ein lehrreiches Zeugnis für diese Neuzeit Ägyptens enthält dieser Tempel: in seinen großen Schlachtenreliefs. Schon unter des zweiten Ramses Sohn und Nachfolger Merneptah war Ägypten von fremden Völkern »von den Ländern des Meeres« her kriegerisch heimgesucht worden, im westlichen Delta meldete sich das jugendliche Europa dem alten Wunderlande an: Schardana (Sarden), Turuscha (Tusker?), Schakaruscha mit Libyern verbunden. Wie sie sich zusammengefunden hatten? Vielleicht auf Anregungen der internationalen Phönizier. Merneptah hatte sich ihrer erwehrt, doch nur mit Hilfe von Söldnern der Schardana, die hier, wie später die Germanen im Römersold, die eigenen Stammesgenossen abwehrten. Gegen Ramses' III. Reich aber wälzte sich zu Land und Meer nicht nur ein Kriegszug, sondern eine Völkerwanderung mit Weib und Kind durchs Cheta-Land ins östliche Delta: abermals Schardana, Turuscha und Schakaruscha, aber auch Danauna (Danaer?), Pursta (Pulista, Philister?) und andere. Und hier im Tempel von Medinet Habu wird Wand um Wand von Kampf und Sieg erzählt.
Vor allem zieht eine höchst lebendige See- und Landschlacht unsern Blick an. Da rennen die Ägypterschiffe, vorn löwenkopfgeziert, die feindlichen an, die beiderseits in Entenschnäbel auslaufen, ein Schiff schlägt um, die Pursta mit den mützenähnlichen Federkronhelmen stürzen ins Wasser, Schardanasöldner, kenntlich am gehörnten Helm, fechten den Ägyptern zur Seite, Pfeilsalven fliegen vom Lande, wo der König ficht. An einer anderen Stelle überfallen Schardana die Ochsenkarren der Pursta, wie die Römer die Wagenburg der Cimbern. – Schon hat man sich gewöhnt, weder Perspektive noch einen geistigen Mittelpunkt in diesen Bildern zu suchen; sie wollen ja auch nicht einen Augenblick festhalten, sie wollen einen langdauernden Vorgang gründlich ausschildern, wollen Geschichte erzählen. Ihre Lebendigkeit reißt hin, und die Naturtreue, mit der sie auch hier wieder an den geschnürten Gefangenen die Züge der Stämme und ihre nationalen Rüstungen zeichnen, muß Bewunderung erregen. Siehe im Wiener kunsthistorischen Museum die emaillierten Köpfe verschiedener Kriegsgefangener von einem Tempel Ramses' III. im Fayum. Saal VI.
Wieder mit Söldnern gesiegt, die schon unentbehrlich geworden sind; die Auflösung des alten Volksstaates durch das Ausland hat begonnen.
Etwas höher hinauf, einer von Hütten bedeckten Berglehne zu, und da liegt Kurnet Murrai und das ewige Haus des weiland Statthalters von Äthiopien, Huy. Leider war das T-förmige Grab lange zum Stall entweiht und ist doch auch ein Zeuge für den Glanz der ägyptischen Weltmacht im neuen Reiche. Da rechts an der Wand gegenüber dem Eingange sitzt in farbiger Malerei – die Bilder sind auf weißem Bewurf aufgetragen – König Twetanchamon Vor einiger Zeit glaubt man sein Grab aufgefunden zu haben. der achtzehnten Dynastie auf seinem Throne unter dem Baldachin, den holzgeschnitzte Lotusblumensäulen tragen. Vor ihm steht mit Wedel und Krummstab der Statthalter und führt dem Pharao die syrischen Häuptlinge vor, die ihm Tribut bringen. Scharf semitisch ist ihr Profil, der Bart spitz, die Hautfarbe teils rotbraun, teils gelb, die Kleidung überaus bunt im Gegensatz zum reinlich weißen Linnengewande der Ägypter, die wir vom Grabe des Ti bis hieher als ein völlig gleichartiges Volk gefunden haben, gleich an Wuchs und Schädel und Hautfarbe, ob hohen, ob niedrigen Standes. Zahlreiche Diener in zitronengelbem Schurz bringen Löwen und Pferde, Pantherfelle, Blaustein und Rotstein, kostbare Gefäße mit Blumen- und Tierverzierungen. Hatte doch Thutmes III. auf wenigstens fünfzehn Feldzügen seine Macht bis an den Euphrat und das Amanusgebirge ausgedehnt; zahlte doch Cypern Tribut in dem Metall, nach dem es heißt, und – wenigstens nach offizieller Behauptung – auch die »Inseln des großen Meeres« und »alle verborgenen Lande und Inseln der Fenchu (Phönizier),« was wohl geprahlt sein wird.
Die Wand links aber zeigt in ebenso farbiger Darstellung denselben Statthalter, wie er dem Pharao die Tribute der Kuschiten und Neger vorführt; denn weit hinauf ins Kataraktenland bis in den Sudan hinein herrschte damals Ägypten. Vorzüglich zeichnen sich die Rassenmerkmale der schwarzen Neger ab: die eingedrückten Nasen, die wulstigen Lippen und vorstehenden Unterkiefer; ihre nördlichen Nachbarn, die in ägyptischer Tracht aufziehen, sind durchwegs heller. Ihre Gaben sind Gold in Ringen und Goldstaub in Säcken, Pantherfelle, eine Giraffe, Rinder, Schilde mit Goldblech und Schilde mit Tierfell überzogen, Streitwagen, kunstreiche Sessel, ebenholzene Kopfstützen und allerlei anderes. In Wirklichkeit waren es wohl nur die Rohstoffe, aus denen der ägyptische Kunsthandwerker die Dinge zu schaffen verstand, die dann der phönizische Kaufmann in die Herrenburgen von Orchomenos und Tiryns und Mykenae brachte.
Berühren wir nur flüchtig den noch höher, bei Der el Medine gelegenen zierlichen Ptolemäertempel, der im Mittelalter ein christliches Kloster (Der) war, und reiten über Gräber zwischen Gräbern wieder abwärts an den Rand der [Fruch ebene: Druckfehler. Re] dem einst gewaltigen Ramesseum zu, – Ramses' II. Tempel und Palast – das Diodor staunend beschrieben hat. Heute ist es ein langgestrecktes Trümmergewirr, aus dem sich nur schwer der Grundplan herauslesen läßt. Er ist der des großen Tempels von Medinet Habu, den wir besucht haben. Im ersten der beiden Vorhöfe stehen wir vor den Trümmerstücken des größten Ramseskolosses, der den des Amenhotep dort unten (15.95 m) noch überragt (17.50 m); mehr als einen Meter mißt sein Ohr. Und doch wurden bei Tanis im Delta die Stücke eines noch größeren, 30 Meter hohen Steinbildes desselben Königs gefunden. Mit kindlicher Freude staunt der Wanderer diese Kolosse an, und nicht jeder mag sichs vergegenwärtigen, wie dieses Mal der Despotie errichtet wurde; wie aus dem Wüstenfelsen bei Assuan der ungeheuere rote Granitblock herausgesprengt und abgemeißelt wurde, bis er hinlänglich Form hatte, wie er durch die Wüste auf Stämmen nach dem Nil gerollt wurde und nilabwärts fuhr, wie er den weiten Weg hieher zurücklegte, aufgerichtet und vollends ausgestaltet und geglättet wurde. Wie viel Söhnen ägyptischer Mütter mag er in steinerner Rücksichtslosigkeit die Kraft ausgepreßt, wie viel Menschenleben verkümmert und zermalmt haben. Und doch ist diese steinerne Rücksichtslosigkeit so oft nötig, wenn Menschen ihre Kräfte zu Großem vereinigen sollen.
Auch hier fallen die Schlachtgemälde an den Pylonen auf, so Ramses' II. Sturm auf Dapur, das die Prinzen auf Leitern ersteigen, dann der schon in Luksor geschilderte Kampf bei Kadesch, besonders aber das ägyptische Kriegslager. In langen Reihen stehn die Streitwagen, die Pferde sind abgeschirrt und werden gefüttert, mitten unter ihnen liegt, unbeachtet von ihnen, des Königs großer Kriegslöwe. Die Soldaten unterhalten sich, einer trinkt aus einem Schlauche, die Troßjungen prügeln einander mit Pflöcken. Am vergnügtesten aber sind die Esel, die braven, vielgeplagten, unentbehrlichen, denen wunderlicherweise auch dieses sonst so tierfreundliche Volk mit Undank vergalt, indem es sie dem bösen Set weihte; ledig ihrer Bürde, der Doppelkörbe mit Mundvorrat, sind sie von wahrer Ferienstimmung erfüllt: einer springt über die Kochkessel, einer wälzt sich auf dem Rücken, andere treiben anderen Unfug. Sieht man Solches, so kommt einem die ägyptische Kunst vor wie ein gesunder Knabe, der, streng und pedantisch gedrillt und überwacht, auf der Stelle zu tollen Sprüngen bereit ist, sobald nur der Aufseher gute Laune zeigt oder gar die Augen wegwendet.
Reiten wir nun wieder den Abhang hinan, zur Gräberstätte von Abd el Kurna; hier haben sich die vornehmen Großwürdenträger der achtzehnten Dynastie exklusiv zusammen gefunden, um auch weiterhin von der Höhe ins Leben hinabzusehen. Gegen hundert und dreißig ihrer Felsengräber sind erforscht und benannt. Gewöhnlich bestehen sie aus einer Halle, die auf Säulen oder Pfeilern ruht und einem Korridor dahinter, der in einer Nische die Statue des Seligen enthielt; manchmal lag dem Ganzen ein umfriedeter Platz vor, der sicher ein Gärtchen war. In einigen dieser Gräber haben sich Fellachen angesiedelt, in anderen hausen ihre Ziegen und Schafe. Nur einige seien hier erwähnt. Im Grabe Ramoses sehen wir den Ketzerkönig Amenophis IV., häßlich in dem häßlichen Stil seiner Zeit, wie er neben seiner Gemahlin stehend, vom Balkon des Palastes in Tell el Amarna zusieht, wie Ramose, sein Vezier, mit den goldenen Ketten behängt wird, die sie ihm zugeworfen haben; über ihnen die Sonnenscheibe, deren Strahlen in Hände auslaufen. Lieber freilich hätten wir den außerordentlichen, kühnen Mann schön und stattlich gefunden.
Auch Nacht, sein Nachbar muß ein Anhänger des Ketzerkönigs gewesen sein, denn überall ist im Namen »Amenhotep « der »Amon« ausgetilgt. Die hellfarbigen Bilder seines Lebens, wie er's hatte und wieder wünschte, erinnern durch Inhalt und Ausführung an die im Ti-Grabe bei Sakkara. Da sitzen der Herr und die Frau, die zärtlich ihre Hand auf seine Schulter legt, beim reich versorgten Speisetische, sehen der Getreideernte und der Weinpresse zu, dem Fischfang und der Vogeljagd, hören den Harfner spielen und freuen sich ihres Wohlstandes und Glückes und lassen's auch ihren Dienern gut gehn und auch dem Hauskätzchen, das unter ihrer Bank einen Fisch verspeist. Immer noch, seit Jahrtausenden, dieselbe genußfrohe Jenseitshoffnung trotz des pantheistischen Osirisglaubens; selbst das Totengericht muß dem beharrlichen Volksglauben nachgeben, denn das Paradies des Gerechten ist immer noch ein Ernteland, wo jetzt nur andere, die Uschebti, für den Seligen arbeiten, und die Hölle ist die Vernichtung. – In der Dunkelheit des Grabraumes leuchten dennoch die hellen Farben, die in großen Feldern nebeneinander aufgetragen sind, nicht ineinander übergehen; diesmal sind sie, weil der Stein zu bröckelig, auf weißen Putz geworfen. Bewirkt es die Menge des bisher Geschauten und seine Gleichartigkeit, daß uns diese Bilder nur als ein Erzeugnis des wohlgeübten Handwerks vorkommen? Daß wir die liebevolle, hingebende, vertiefende Sorgfalt des wahren Künstlers vermissen? Wohl niemals wieder hat die ägyptische Malerei trotz vorgeschrittener Fertigkeit das frische, ursprüngliche, manchmal so gemütvolle Leben der Ti-Bilder Und der erst in jüngster Zeit zugänglich gewordenen in der Mastaba des Ptahhotep bei Sakkara. erreicht, selten mehr die Plastik die lebendige, naive Naturtreue der Köpfe jener alten Statuen, die im Serdab den seligen Geist erwarten, erst bis die Renaissance der Spätzeit um dieselbe sich bemühte. Selten freilich läßt sich überall ein Hauch von Idealisierung spüren, eine Ahnung des ewig Gültigen.
Im Salon des Amenemheb vergnügt sich eine Gesellschaft von Herren und Damen; waren doch diese im Ägypterland berechtigter und freier als sonstwo in alter Zeit. Die Damen tragen Lotusblumen, deren Kelche zur Stirn sinken, und den Salbenkegel im schwarzen Haar auf dem Scheitel, zum Zeichen, daß sie gesalbt seien, mit Lotusblumen ist ihr Hals umwunden, Blumen hängen den aufwartenden Dienern über den Arm herunter, und einer trägt gar einen blumenumwundenen, gekrönten Stab. Was die Damen da sprechen, ist uns kein Geheimnis, die Grabtexte und die geschwätzigen Papyri haben es ausgeplaudert; sie kritisieren Toiletten und Schmuck und klagen über die anspruchsvollen Dienstboten, die Sklavinnen, die sich schon kleiden und putzen möchten wie die Frauen! Erfrischungen kreisen, die Unterhaltung nimmt höheren Flug. Die eine erzählt ein Märchen, eines der vielen, vielen, die umlaufen, mit einem bißchen Zauberei, wie das Nilvolk sie liebt, einer der Herren, der in Syrien war, läßt ein Reiseabenteuer folgen, das dem echten Ägypter ein kleines Gruseln erregt; eine Dame wieder weiß eine ur-uralte Sage vom König Schufu oder Wesertesen, wie sie nachher der gute Herodot, wenn auch bedenklichen Gesichtes, als bare Geschichtsmünze annahm, und eine andere gar anmutig vom Streite des Magens mit den Gliedern zu erzählen, welche lehrreiche Fabel dann seinerzeit der diplomatische Menenius Agrippa der schmollenden Plebs auf dem heiligen Berge vortrug. Feuriger Wein von Syene wird in breiten Schalen gereicht, die Damen brauchen nicht etwa nur zu nippen, auch ein Räuschchen ist keine Todsünde, was uns auch die bösen Bilder schon verraten haben. Vielleicht wird jetzt ein Diener die kleine Holzmumie bringen, von der Herodot weiß, und sie jedem der sitzenden Gäste zeigen und dabei rufen: »Sieh auf diesen da und trinke und sei fröhlich, denn wenn du stirbst, wirst du ihm ähnlich sein!« Und nun klingt es und singt. Da sitzt ja ein Harfner, steht eine Harfnerin, eine Flötenbläserin, eine Lautenschlägerin. Das Lied, das jetzt im Chor erklingt, vielleicht ist es das, das unweit davon am Grabe des Priesters Neferhotep geschrieben steht:
»Laß vor dir singen und spielen,
Wirf hinter dich alles Weh,
Sei der Freude gedenk, bis kommt der Tag,
Wo du fährst zum Lande des Schweigens.«
Und »fei're den frohen Tag!« ruft einer dem anderen zu, »fei're den Tag!« Wenn aber heitere Lebenslust im Grabe laut werden darf, muß sie nicht den Göttern genehm sein? Wo ist da der sprichwörtliche düstere Ernst des Ägyptervolkes?
Verlassen wir den Hügel, von dem der selige Geist so schön hinabblicken konnte ins verlassene Tal des Lebens, auf Ramesseum und Memnonskolosse, auf Fluren und Strom und Stadt und die fern verschwimmenden Berge; steigen wir in die längliche Talsenkung, el Asasif genannt, über die Massengräber der Armen und die der ganz Armen, die ohne weitere Umstände in eine Schilf- oder Papyrusmatte gehüllt, nur eine Schnur von Glasperlen oder Amuletten um den Hals, sich im Sande verbargen, vorbei an den Felsengrüften der Saitischen, der Spätzeit Ägyptens, der fünfundzwanzigsten und sechsundzwanzigsten Dynastie, und wieder hinan und immer hinan, bis uns die schroffen, verwitterten Bergwände drohend überragen. Hier in öder Wildnis liegt an die Wand geschmiegt der Terrassentempel von Der el Bahri, dem widderköpfigen Amon, dem schakalköpfigen Anubis, der – zuweilen – kuhköpfigen Hathor heilig. Einst wären wir zwischen Sphinxen in den jetzt völlig zerstörten unteren, offenen Hof hergekommen. Lassen wir ihn hinter uns und schreiten geradlinig weiter, eine Rampe hinan, in den großen mittleren, ebenfalls offenen Hof, der rechts und links vom Eingang je eine von Pfeilern und protodorischen Säulen getragene Halle hat und ebenso an der Seite vor uns, wo eine zweite Rampe auf eine schmale quer vorliegende Terrasse und weiterhin durch ein Granittor in einen kleinen oberen, gleichfalls offenen Hof führt, den zu beiden Seiten Säle und Hallen einfassen; geradeaus aber gelangt man zwischen vielen spitzbogigen Felsennischen in das Allerheiligste, das sich tief in den Berg versteckt. – Mit dieser Anlage steht der Tempel einzig da. Doch ist er niemals vollendet worden, denn ein Familienzwist der Erbauer störte sein Wachstum. Thutmes III. – nachher der große Krieger – und seine Schwester-Gattin, anfangs Mitregentin Makere-Hatschepsut, haben ihn gegründet, wie sie aber in grimmer Fehde einander verdrängten und abwechselnd Thutmes III., dann der jüngere Bruder Thutmes II., dann wieder Makere, zuletzt Thutmes III. auf dem Throne saßen, vertilgte einer des andern Bild und Namen in grausamer Absicht an den Hallenwänden und setzte manchmal seinen eigenen dafür. Auch die religiöse Neuerung des Sonnenkönigs half mit; ließ er doch folgerichtig alle Amon-Namen und -Bilder sorgfältig ausmeißeln; was trotzdem erhalten blieb, haben die christlichen Mönche des »Nordklosters« (Der el Bahri) ebenfalls folgerichtig wild zerhackt. Zum Glück aber sind uns, ob auch vielfach beschädigt, die im schönsten Flachrelief ausgeführten Hallenbilder erhalten geblieben, die die Handelsunternehmung der tatkräftigen Königin nach Punt – vielleicht im Somalilande, vielleicht in Südarabien – in allen Einzelheiten schildern.
Nur zehn Minuten südlich verbirgt sich in einer Felsenspalte jener nun ganz zugeschüttete Schacht und Stollen und Saal, darin 1881 der große Fund der Königsmumien gemacht wurde. Da gegen das Ende des neuen Reiches unter den Priesterkönigen die Staatsgewalt nicht mehr imstande war, die Gräber der alten Pharaonen vor der großen Camorra der Räuber und Diebe zu schützen, hatte man die fürstlichen Mumien samt Anhang und Gefolge hier zu verbergen gehofft, bis sie in unserer neuesten Zeit abermals von Plünderern und bald nachher von der Forschung entdeckt wurden. Hier ruhten also mehr als dreitausend Jahre die großen Könige Thutmose III., Seti I., Ramesse II., im ganzen etwa dreißig Mitglieder der achtzehnten, neunzehnten und zwanzigsten Dynastie, der der Priesterkönige. Früher waren sie drüben überm Berge beigesetzt, im Tal der Königsgräber Biban el Muluk, wohin wir uns jetzt begeben wollen. Wir klimmen den Bergpfad hinan, lassen die Nilebene im Rücken versinken und steigen drüben hinunter. Wo sich dieses starre, tote Wüstental, bevor es unter den gelbbraunen Felsen eines stufenpyramidenförmigen Berges abbricht, in Schluchten verästelt, haben sie Einsamkeit und Ruhe gesucht, für immer, hofften sie. Selbst die Totenopfer sollten fern bleiben, drüben in den Tempeln. Nur des Anubis, des alten Totengottes heiliges Tier, der Schakal mochte nachts um die Türen huschen, der königliche Löwe die Grenze seines Reiches besuchen, der Geier der großen Südgöttin tags darüber kreisen. Dort dunkeln die Türen im lichten Felsen; hier ruhte Seti I., dort Ramses III., dort Ramses II. und ihm gegenüber der IX. und der IV. dieses Namens. Vierzig dieser Gräber zählte noch Strabo, fünfundzwanzig zugängliche heute wir.
Treten wir bei Ramses' II. Vater, bei Seti I. ein, dem zweiten Könige der neunzehnten Dynastie. Eine steile Treppe führt uns hinab zur Eingangstür, im Gange dahinter empfängt uns, wie es Brauch ist, der Selige. An diesen Gang schließt sich nach einer Verengung ein zweiter, gestufter, an diesen ebenso ein dritter, ein kleiner Vorsaal folgt, eine Treppe hinab ein Pfeilersaal, daran ein Pfeilersaal ohne Ausgang, offenbar, um die Grabräuber irrezuführen, aus ersterem geht es weiter geradeaus über Treppen hinab durch Gänge und Vorsaal in vier zusammenhängende Pfeilersäle und Gemächer, deren eines den Alabastersarg bewahrte. In alle Winde ist nun gestreut, was einst hier lag und stand, dem Seligen im Leben lieb und nötig auf der Jenseitsreise, gewiß sein Sichelschwert, »der Stierschenkel«, und Krummstab, Helm und Geißel, Kopfstütze und Waschgerät, Sandalen und Spiegel, die niemals fehlenden Amulette, vielleicht sein Lieblingstier, sein Saiten- und Brettspiel, und Lieblingsbücher und Totenstatuen. Nahezu 100 Meter sind wir geradlinig in den Berg eingedrungen, – Syringen, Hirtenpfeifen nannten deshalb die Griechen diese Gräber – heiß und dumpfig steht und stockt die Luft um uns, da wir bei Kerzen- und Magnesiumlicht die meisterlich ausgeführten, aber seltsamen Gebilde der Wände betrachten. Fast vom Eingange her zieht sich des Toten Höllenfahrt auf der Osirisbarke durch die zwölf Stunden der Nacht und durch die zwölf Gaue der Unterwelt. Mit den Bildern wechseln Stellen aus den Totenbüchern, aus dem Buche »von dem, was in der Unterwelt ist« und aus dem »Buche der Pforten«. Diese Stellen verschaffen dem Seligen Kenntnis vom Jenseits, zeigen ihm den Weg und benennen und beschwören alle die unholden Dämonen und Ungeheuer, die ihm begegnen und ihn mit Vernichtung bedrohen. Auf einem Strome – wie könnte sich auch der Ägypter ein Jenseits ohne den Nil denken – fährt die Barke des widderköpfigen Osiris, des späteren Totengottes, mit dem der Selige, wenn ihn das Totengericht rein befunden, Eins wird, durch zwölf Gaue, die natürlich den oberirdischen entsprechen. Da lauern sie schon auf beiden Stromufern, die bösen Feinde, kann er sie nur beim Namen rufen, so schreckt er sie schon: Dämonen Siehe im Wiener kunsthistorischen Museum im ersten Saal die Sarkophage Nr. 30 und Nr. 19. mit Vogelköpfen, Dämonen ohne Arm, Dämonen mit zwei Menschenköpfen, Vögel mit gekröntem Menschenkopf, Tote, die auf den Köpfen stehen, Krokodile mit Menschenköpfen, Berge mit Menschenköpfen, Schlangen, die feuerspeiend an den Eingangstoren der Gaue sich aufringeln, Schlangen mit vier Menschenbeinen und -köpfen, Schlangen, denen Menschenköpfe aus dem Rücken wachsen, Schlangen mit Flügeln und Schwertern – und so zieht sich eine Schlange dieser greulichen, abgeschmackten Fratzen, dieses tollen Unsinns uns unverständlicher Allegorien und mythischer Anspielungen ins Endlose hinab. Fast übersieht man die freundlicheren, sinnreicheren Darstellungen, die freilich selten sind, so das Bild der Himmelskuh, auf deren Leib die Sonnenschiffe fahren. Immer wieder glotzen und grinsen einen diese Scheusale an, die den schönen Osirisglauben entwürdigen, diese Ausgeburten einer dürren, kraftlosen, grüblerischen religiösen Phantasie, bis man sich selbst verfolgt und gequält fühlt. Das Ägyptervolk aber wurde Jahrhunderte lang mit solchen Schreckbildern geängstigt, besonders nach der mißlungenen Reform des Sonnenkönigs, als ihm die herrschsüchtige Priesterschaft immer neue Götter und Dämonen brachte, kaum daß es die alten kannte und merkte, immer trüberen Aberglauben und Hexenwahn, immer neue unverstandene Bräuche, immer neue Reinigungsvorschriften und Speiseverbote, zuletzt die grenzenlose Tierverehrung. Und zudem blieb mit echt ägyptischer Beharrlichkeit bei dem Neuen noch alles Alte, so die sorgfältige Erhaltung des Leichnams, die dem Gedanken an eine Vereinigung mit Osiris ja gar nicht mehr entsprach. Wie ineinander geschachtelte Sargdeckel umfing und bewahrte in diesem Lande ein Jahrtausend nach dem anderen das längst Gestorbene.
Und bei allem Glanze des Staates blieb der Bauer ein ewiger Knecht, der Städter bekam immer mehr den Wettbewerb des jüngeren Griechenvolkes zu spüren, und so mußte sich zur Angst vor jenem das Unbehagen an diesem Leben gesellen und die natürliche Lebensfreude ersterben. Tiefen Zwiespalt aber in das bis dahin vielleicht noch einige Gewissen der Menge mußte, wie es durch die Ptolemäer siegreich wurde, das Griechentum bringen mit seinem heiteren Glauben ans Diesseits und seiner nichtigen Schattenwelt und manchen in grübelnden Zweifel und manchen in rasende Genußsucht stürzen. War es da nicht natürlich, daß dieses Volk, wie von einem Banne befreit, sogleich dem milden monotheistischen Christentume sein Herz auftat, das, auch so ernst, nach dieser Welt ans Jenseits glaubte, ans Jenseits aber, in dem der Himmel offen war und ein gütiger Vater wohnte? Natürlich aber auch, daß es, seiner ihm einmal anerzogenen Art folgend, den neuen Glauben bald in mönchischer Abtötung ausübte, und ebenso natürlich, daß sich nachher der durch lange Mißhandlung abgestumpfte bäuerliche Teil schicksalergeben dem gebieterischen Islam unterwarf, da ja doch seine Lage immer dieselbe blieb.
Ähnlich dem eben besuchten Grabe ist das des dritten und das des vierten und das des neunten Ramses, und diesen ähnlich mögen sie alle sein! Eine unbezwingliche Sehnsucht nach Luft und Sonne überkommt den Gast der Gräber, und hinaustretend, lichtgeblendet, lufterquickt, freut er sich, als wär' es ihm verloren gewesen, des Lebens wieder: des kümmerlichen Wüstenpflänzchens, des Skarabäus, der im Mauerschatten sein Kügelchen rollt, des biegsam bewegten Reittiers unter ihm, des kleinen, hübschen Fellachenmädchens, das mit den braunen, nackten Gazellenfüßchen im steinigen Wüstental neben ihm hertrabt und sein Wasserkrüglein anbietet, des munteren Eseljungen hinter ihm, der auch barfuß, im blauen Hemd und weißen Kopftuch um die Wette mit dem Tiere läuft, ihm zuruft, daß es ausgreife und nicht stolpere, und näselnd singt, sobald es im Schritte geht. Da möchte er auch gleich dem Fremden was erzählen, in italienischer Sprache, die er von einem Franziskaner-Missionär in Luksor gelernt hat. Vielleicht liegt oder lag da irgendwo im Sande sein Vorfahr, der einmal die Fremden aus Griechenland so begleitete und ihnen ebenso geheimnisvoll tuend die zauberkräftigen Amulette am Halse seines Esels wies und Märlein erzählte, wie Herodot sie wieder erzählt. Denn reiner als in Unterägypten hat sich hier das alte Blut erhalten wie das alte Los. »Der ägyptische Bauer«, sagt Schweinfurt, »ist namentlich in jüngeren Jahren erstaunlich gelehrig, klug und rührig. Im späteren Alter verliert er diese trügerische Intelligenz und Munterkeit, Frische und Elastizität seines Geistes, die ihn als Knaben so liebenswürdig und vielversprechend erscheinen läßt, durch Not und Sorge und das sein Leben erfüllende Schöpfen mit dem Danaidenkruge. Er pflügt und erntet, er arbeitet und erwirbt, aber der gewonnene Piaster bleibt selten sein Eigentum. So wird sein Charakter der Sinnesart eines begabten, aber mit Härte und Selbstsucht erzogenen Kindes ähnlich, welches, wenn es heranwächst, begreifen muß, daß es ausgebeutet wird. Eigensinn und Verstocktheit verdrängen die unbefangene Heiterkeit der Kinderseele und wie zur Zeit des Ammianus Marcellinus läßt sich heute noch der Fellach von Schlägen, deren er sich oft in ostensivster Weise zu rühmen pflegt, zerfleischen, ehe er die ihm abverlangten Steuern entrichtet.« –
Rechts da bei Drah Abu'l Negga lagen die nun ganz zerstörten Königsgräber der elften, zwölften, dreizehnten und siebzehnten Dynastie, kleine Ziegelpyramiden mit Vorbauten über oder vor den Felsenkammern der Bestatteten. Sie entsprachen in ihrer Bescheidenheit der bescheidenen Stellung der mittelalterlichen Könige, die nur die Ersten unter ihren Gaufürsten, und der ersten thebanischen, die noch Vasallen der Hyksoskönige waren. Aber auch die Pyramide des Schufu wäre bescheiden dagestanden vor diesen Bergwänden.
Vor uns aber, bei Kurna, erheben sich die Reste vom Grabtempel Setis I. hier blühte eine der ältesten Schulen Ägyptens, in den nun verschwundenen Säulenhöfen saßen auf Matten zu den Füßen ihrer Lehrer die Schüler, »Schreiber des Bücherhauses« genannt, nach schönem Brauche durcheinander Söhne von Ministern, Bauern und Königen, und schrieben von rechts nach links ihr Abc auf Wachstäfelchen oder in feuchten Sand und strebten weiter nach der so hoch gepriesenen Macht des Wissens, ohne die das Leben nur für niedrig galt, bis sie sich in die Fachschulen zerstreuten, in die medizinische von Memphis, in die theologische von Heliopolis, in die Kriegsschule von Theben. Und hier saß wohl einst auch der junge Moses, Mesa, der Sohn, und bereitete sich von ferne für sein späteres Lebensamt vor. Zwischen dem Setihause hier und dem Terrassentempel dort läßt G. Ebers seine Uarda wohnen, hier begegnen einander zuerst Bent Anat, des großen Ramses stolze Tochter, und der Dichter Pentaur. Schade nur, daß der Mann dieses Namens Bent Anat nie gekannt hat, denn er lebte lange nach der Chetaschlacht Ramses' II., der hundertjährig starb, unter dessen Nachfolger Merneptah und ist wohl nur der Abschreiber des berühmten Schlachthymnus. So war auch dieses schöne Bild nicht irdisch. Der Gedanke der Vergänglichkeit erfüllt den Wanderer und wie im Westen die Sonne hinab ist und hinter dem dunkelnden Fruchtlandstreifen, über dem düsternden Wüstensaum immer finsterer die starren Felswände aufsteigen, stehen sie da wie Riffe im großen Meere der Vergessenheit. –
Und wieder hält sich der arabische Wüstenrand getreulich ans Ostufer und wieder gewährt der breitere westliche Streifen Raum für größere Ortschaften. Lange schon haben die Taubenhäuser der Dörfer Pylonform und stehen wie Festungstürme über den Hütten. Da liegt unweit oberhalb Thebens Erment, das griechische Hermonthis, nach seinem Ortsherrn, dem sperberköpfigen Kriegsgotte Mont genannt; und wieder einige Stunden weiter Esne, das alte Latopolis, im Schutze des widderköpfigen Chnum, der im Kataraktenlande herrscht. Sein Tempel, den wir besuchen, eigentlich – wie überall – der seiner Dreiheit: Chnum, Neith und eines jugendlichen Sohnes, liegt mitten in der staubigen Stadt, die auf mehreren untergegangenen Städten in die Höhe stieg, und steckt daher bis auf den Säulensaal, so hoch dessen Kapitäle ragen, im Schutte. Auf einer Treppe gelangt man in diesen hinab, im Dämmerlichte wandelt man und blickt die fast zwölf Meter hohen Riesensäulen hinan zu ihren reichen Blumenkapitälen, die von Raubvögeln besudelt sind. Auch dieser Tempel ist gleich dem von Dendera Neubau der Ptolemäer und der römischen Kaiser. Hier opfert noch Decius in Schurz und Doppelkrone dem widderköpfigen Gotte. Sein Name ist der letzte hieroglyphische römische Kaisername auf einem ägyptischen Denkmal. Viel Christenblut floß hier in Esne unter Diocletian, dennoch entstand schon unter Konstantin gerade hier außerhalb das Ammoniuskloster, das älteste Ägyptens.
Leider fährt einige Stunden südlich der Postdampfer bei EI Kab vorüber, dem alten Necheb, von den Griechen Eileithya genannt. Seine Stadtgöttin ist die Nechbet, zugleich die Beschützerin des Südreiches, die, zumeist als Geier mit ausgebreiteten Flügeln dargestellt, die Saaldecken belebt, über den Häuptern der Könige in der Schlacht als schützender Geist schwebt, in den Fängen den königlichen Siegelring. Die Ruinen dieser alten Stadt berichten von der Hyksoszeit, ihre gewaltige Umfassungsmauer aus ungebrannten Nilziegeln, zehn Mannsschritte breit und noch heute, nach mehr als drei Jahrtausenden fest gefügt, war damals wohl die Hauptschutzwehr der einheimischen Herrscher gegen die fremden Gebieter im Delta.
Wieder eine Strecke, und das erwartungsvolle Auge entdeckt westlich im Lande über Lehmhütten und Palmgruppen eine flache, braune Masse, plateauartig aufsteigend, von einem Berge überragt: das ist mit seinem Pylon der Tempel von Edfu, das Haus des Horus, der Hathor und ihres Sohnes Harsemtewe. Wir sind im »Gau der Horuserhebung«, wo Horus und Set, Licht und Finsternis, den berühmten Kampf ausfochten, von wo die geflügelte Sonnenscheibe in Ägyptens Kunst einzog. Rasch vom Landungsplatze durch Felder und das Städtchen hindurch! Von geringerem Umfange und einfacher im Plan als die vielgetürmte Masse des großen Nationalheiligtumes bei Karnak, mächtiger aber als der Hathortempel in Dendera, teilt er mit diesem das Ebenmaß der Anlage sowie die ausgezeichnete Erhaltung, blieb aber nicht unvollendet wie dieser, so daß er als der ägyptische Mustertempel des neuen Reiches bezeichnet werden kann.
Durch den Pylon gelangen wir in einen offenen Säulenhof, das Peristyl, aus diesem in einen großen und in einen kleinen gedeckten Säulensaal, das Hypostyl, sodann in einen ersten und einen zweiten ebenso gedeckten Vorsaal ohne Säulen, aus diesem ins dunkle Allerheiligste; um die vier zuletzt genannten Räume laufen beiderseits auswärts Kammern, um das schmale Allerheiligste ein Korridor wie in Dendera, nur daß hier zwischen Kammern und Umfassungsmauer sich noch ein Umgang einschiebt.
Ein Neubau aus der Ptolemäerzeit, wie sein eben genannter Bruder, ist er wie dieser der Umbau eines uralten Heiligtums, ist nach den im Archiv aufbewahrten Plänen dieses alten Heiligtums erneuert, wie es eine seiner Inschriften klar sagt. Wie den Denderatempel umringen ihn Schuttwälle von wer weiß wie viel übereinander folgenden Dörfern. Man steigt hinab zu ihm und doch überblickt man von seinem aus ewigen Quadern gefügten flachen Dache und gar erst von dem gewaltigen Pylon weit hinaus die Landschaft. Verwundert sah ich da oben in den Decksteinen des Daches sonderbare Zeichen: eingeschabte Grübchen, eingekratzte durcheinander laufende Striche. Hier spielten die Bauernkinder mit Steinchen und Bohnen, als nur die Tortürme aus dem Schutte ragten, auf denen sichs so lustig klettern mochte. Fand doch H. Brugsch noch im Jahre 1853 einen großen Teil des Dorfes Edfu auf dem Tempeldache stehen.
Die beiden schiefwandigen mit Rundstäben eingefaßten, mehr als 39 Meter hohen Flügeltürme haben das Portal zwischen sich, das die Hohlkehle trägt; die einzige architektonische Gliederung der massigen Vorderfront, die, wenn, wie hier die Obelisken und Riesenstatuen vor dem Eingange fehlen, durch nichts unterstützt wird als einigermaßen durch die vier paarweise rechts und links in die Mauer eingezwängten Flaggenbäume; heute sind nur die Rinnen dafür übrig. Sonst ist alles nur malerisch belebt: die Hohlkehle mit der geflügelten Sonnenscheibe, daran beiderseits Uräusschlangen sich aufrichten, in Flachrelief, und die großen Mauerflächen überall mit dem üblichen Relief en creux. Nicht mehr freilich rast der Pharao durch das Schlachtgetümmel; seit den Priesterkönigen herrscht hier in alter Steifheit die Zeremonie. Hier vorn der riesige König, der ein Dutzend knieender, ihm gegenüber knabengroßer Feinde am Schopfe hält und zum tödlichen Schlage ausholt, – ein Sinnbild – im Allerheiligsten der König, der die hier stehende kleine Granitkapelle feierlich öffnet und seinen göttlich verehrten Eltern und der Göttin Hathor Rauchopfer bringt, im innern Tempelumgange der König und die Königin und die Gaugötter in Prozession zu den großen Göttern von Edfu, Gott Horus im Kampfe mit seinem feindlichen Bruder Set, der nicht eben geschmackvoll als Nilpferd gestaltet ist, und der König als sein Helfer, im äußeren Umgange der König vor den Göttern: das gibt ein endlich ermüdendes, abstumpfendes, gedankenloses Einerlei. Und obwohl da geschrieben steht: »Ein jeder, der einzieht in dieses Tor, bewahre sich davor, einzuziehen in Unreinheit,« es ist kein Haus der wahren Andacht, kein Bethaus für das Volk, wie die rührend einfachen alten Basiliken der Christenheit etwa in Ravenna oder Rom, wo ein Gott, der die Leiden der Menschen erfahren hatte, die Leiden der Beter verstand und sie alle zu sich einließ; es ist ein Bundesmal der göttlichen und der weltlichen Macht, für das Volk in Geheimnis gehüllt. – H. Brugsch schreibt diesen Flaggenmasten noch einen anderen Zweck als den des Schmuckes zu, und zwar, auf eine in diesem Tempel gefundene Inschrift hin: »Dies ist der hohe Pylonbau des Gottes von Edfu; Mastbäume befinden sich paarweise an ihrem Platze, um Ungewitter an der Himmelshöhe zu scheiden; Zeugstoffe weißer, grüner, blauer und roter Farbe befinden sich an ihrer Spitze«; und auf eine andere: »Ihre Mastbäume aus Zedernholz reichen bis zum Himmelsgewölbe und sind mit Kupfer des Landes beschlagen.« Sonach hätten die Flaggenbäume als Blitzableiter gegolten sowie auch die Obelisken, deren pyramidenförmige Spitzen wohl mit demselben Metalle bedeckt waren, wofür auch ganz unzweideutige Beweise vorliegen. Das Gewitter aber, zwar selten, doch furchtbar in diesen Breiten – der genannte Forscher hat mehr als eines hier erlebt – galt als Werk Set-Typhons, wie alle schrecklichen und schädlichen Naturvorgänge, Set-Typhons, der seinen guten Bruder Osiris verfolgt. Darum stehen diesem seine Schwestern Isis und Nephthys bei, oft zeigen sie die Bilder, rechts vom Bruder die eine, links die andere, wie sie ihn mit Flügeln decken. Auch in den Blitzableitern dachte man sie, und so ist die Inschrift verständlich: »Die mit Kupfer beschlagenen paarweisen Mastbäume, die zum Himmel ragen, sind die beiden großen Schwestern Isis und Nephthys, welche Osiris behüten. « So wenigstens meint H. Brugsch. – Eine der Kammern dieses Tempels ist eine alte Apothekerwerkstätte, ihre Wände sind mit Rezepten beschrieben; eine kleine Ergänzung zum großen medizinischen Papyrus Ebers. Andere Inschriften, die die Größe des Tempelgutes nach Maß und Zahl der Äcker angeben, berichten über die uralte Methode ägyptischer Meßkunst, die hier bis in die neueste Zeit geübt wurde, doch ungelenk und ungeschickt sein soll und nur annähernd das Richtige traf.
Oberhalb von Edfu bildeten die Berge eine enge Gasse, schmal war der grüne Ackerboden, jetzt scheint er sich ganz zu verlieren zwischen mächtigen grauen Felsen. Das ist der Gebel Silsile (Silsilis), »der Berg der Kette«, ein Querriegel aus Sand, den einst der Nil durchwusch. Sein Gestein wird uns bis gegen Assuan hinaufbegleiten. Aus ihm hat das Nilvolk die Quadern zu seinen Tempeln gebrochen; noch könnten wir die ausgedehnten Steinbrüche sehen mit ihren wertvollen Denkinschriften; denn gern rühmt sich der Ägypter seines Werkes. Nun aber weichen die Berge zurück, die Wüste selbst drängt sich beiderseits nahe an die Stromufer, im Osten grau, im Westen gelb, gleichförmige schollige Hügel, kaum ein grünes Plätzchen, ein Streifchen für die Menschen. Die sind nun dunkler, als wir sie bisher sahen, sind Nubier, Barabra, ihr ganzes Kleid ein Schurz und ein Turban. Schon in grauer Vorzeit haben die Ägypter dieses Land durch Kolonisation gewonnen, schwerlich um des Bodens willen, wohl aber wegen der natürlichen Sicherung der Südgrenze durch die Katarakte. Noch einmal hebt am östlichen Ufer, das sich hier erweitert, ein zerstörter Tempel Turmgemäuer und gebälktragende Säulen in den blauen, reinen Morgenhimmel: es ist der Tempel von Ombos, auch Kom (Hügel) Ombo genannt, den wir nur flüchtig besuchen wollen. Ein Doppeltempel, zwei Gottheiten heilig, eigentlich zwei Dreiheiten, der des Sebak (Suchos) mit dem Krokodilskopfe und der des jugendlichen Mondgottes Chons. Darum ist auch das ganze mächtige Gebäude, das in Anlage und Ausführung den Tempeln von Dendera und Edfu gleicht, durch eine gedachte Längsachse in zwei Hälften geteilt, sowie die »Basilika« von Pästum durch eine Säulenreihe. Leider ist ein großer Teil des Vorderbaues bereits eine Beute des Nil geworden, der einst weiter im Westen vorüberfloß.
Lange noch ist das Strombett eng, im Westen völlig öde, da wird es wieder breit und grün. Dichter und voller stehen Dattel- und Dumpalmen, Wäldchen gleich, und Dorf reiht sich an Dorf, besonders im Osten. Bei einem derselben schifften sich etwa ein Dutzend englischer Söldner ein und ließen sich nebst einigen Maultieren und Pferden auf einer überdachten Plätte von unserm Dampfer ins Schlepptau nehmen. Sie kamen einzeln, und jeder von ihnen kehrte drei- oder viermal ans Land zurück, um sich nach langer Pause mit einem Stück seiner Ausrüstung wieder einzufinden, jetzt mit dem Seitengewehr, dann mit der Büchse, dann mit einem Gepäcksstück; für uns Nichtengländer, die wir militärischen Brauch ein bißchen anders kannten, ein ergötzliches Schauspiel. Schade nur, daß es uns drei schöne Stunden kostete. – Jetzt stehen im Strom Granitblöcke, glatt und glänzend, immer häufiger. Beide Ufer tragen Waldsaum, dahinter niedrige gelbe, braune, nackte Höhenzüge, da und dort das gekuppelte Grab eines Schechs, eines Heiligen auf ihnen, jetzt zur Rechten Palmen über freundlichen Häusern, das ist Elefantine, die Insel, und gerade vor uns der Palmenstrand, dahinter hügelig die Wüste ansteigt, gelbstreifig, wo eben der Flugsand liegt, das ist Assuan. Muntere Nubierjungen rudern und segeln und ziehen uns singend über den seebreiten Strom ans Land, denn das Schiff kommt nicht über die Untiefen weg und bleibt draußen bei den Klippen am unteren Ausgange des ersten Kataraktes.
An der natürlichen Grenze Ägyptens gelegen, – wenn auch der Bevölkerung nach nubisch – zugleich an einer natürlichen Handels- und Heerstraße, sowie in der Nähe der wertvollen Granitbrüche, war Sun, Syene, Assuan lange ein wichtiger Verteidigungsplatz und zu allen Zeiten, besonders im Mittelalter, eine hervorragende Handelsstadt. Vielleicht schwingt es sich durch die eben bis Philae vollendete Eisenbahn, die wohl bald ihre Fortsetzung nach dem Sudan finden wird, zur alten hohen Volkszahl wieder auf, die seine Schutthügel für das Altertum und sein großer arabischer Wüstenkirchhof für das Mittelalter bezeugen. Hauptstadt aber dieses Kataraktenlandes, des ersten oberägyptischen Gaues, des »Vorderlandes,« dessen Schutzgott der widderköpfige Chnum, war Jebu auf Elefantine, der Elfenbeininsel, die Marktstadt zwischen Ägypten und Nubien, heute ein Schutthaufen. – Reizend ist der Blick von der palmenbestandenen Uferstraße von Assuan der Insel zu. Links begrenzt ihn ein massiger Römerbau und noch weiter südlich die Ruine eines Klosters, drüben zeigt Elefantine sein mächtiges Ufergemäuer, über die braunschwarze, von den Türken hergestellte Trümmerstätte blickt ein einsames Tempeltor, dahinter lugen unter Dattelpalmen freundliche Häuser, keine Fellachenhütten. Im Strome aber, der sich binnenseegleich erweitert hat, starrt Klippe an Klippe, Segelboote liegen verankert oder ziehen beflügelt nordwärts, wo hinter der Insel am westlichen Ufer der gelbsandige Gräberberg mit dem Kuppelgrab eines Schechs ansteigt, wohin dereinst die Vornehmen der Elfenbeininsel in der Totenbarke fuhren. – Angenehm schlendert sichs durch den verdunkelten Bazar, wo neben den hübsch geformten Topfwaren Assuans der Sudan seinen Reichtum ausbietet: Gazellenhörner, Straußfedern, Elfenbein, Waffen, Amulette, Lederschürzen, Pantherfelle, Silberschmuck. Auf dem Bahnhofe unfern den Schutthügeln Alt-Assuans, wo ein kleiner Ptolemäertempel im Sand erstickt liegt, verladen Sträflinge in klirrenden Eisenketten Warenballen ohne Gesang, der sonst überall im Niltal die Arbeit begleitet. Fellachische und Negersoldaten marschieren in schlotteriger Haltung zur Wache, vor dem Hotel auf der Uferstraße warten die Eseltreiber mit ihren Tieren auf den Fremden. Doch besteigen wir zuvor eine Barke, die muntere Jungen rudern, mit einem Koranspruch setzen sie kräftig ein, und dann singen sie. Um Elefantine herum zieht das Schiffchen, jetzt unter den Quadermauern des schon von Strabo beschriebenen alten Nilmessers, nach dem schon in grauer Vorzeit das ganze Land erwartend blickte, wenn durch die Tränen der Isis um den verlorenen Gatten in der »Nacht des Tropfens« zwischen dem 16. und 17. Juni die Flut zu schwellen begann. Die Quadern sind uralten Bauten entnommen, sind mit Zeichen und Schrift, mit Steinmetzmarken bedeckt. Und weiter geht es zwischen den schriftbedeckten, glatten Blöcken, die wie zürnende Riesen aus der Tiefe steigen, rotbraun die einen, glänzendschwarz die andern, in manchen alte Absprenglöcher, die nicht mehr zum Gebrauche kamen. Oben knarrt das Schöpfrad, die Sakiye, wie sich die ungeschmierten Zapfen des wagrechten Holzrades, das ein Rind im Kreise dreht, in die Zapfen des senkrechten legen, dessen Welle das dritte, gleichfalls senkrechte bewegt, das die an einem Taue hängenden Schöpfgefäße hebt und senkt. Am Inselufer Palmen, Äcker und Häuschen, am linken Stromufer aber der wüste Berg der Gräber, auf den wir nun steigen. In langer, schnurgerader, dem Felsen eingeschnittener Rinne, jetzt versandet, ließen sich einst die Bürger dieser reichen Stadt in ihre ewigen Häuser hinaufziehen, ihr behagliches Leben da fortzusetzen; wir aber steigen nebenher im rückrollenden Sande und waten wie bei Siut im Staube des Todes. Die Gräber sind vom Ende des alten und vom Anfang des mittleren Reiches und gleichen in Anlage und Ausschmückung denen von Siut und Beni Hassan. Und jetzt steigen wir höher hinauf, zum Schechgrab, und blicken, während die Sonne sinkt, zum wilden Klippengewirre des Kataraktes hin, wo ein Starker sich Bahn brach, weil er mußte, um dann zu nutzen, ob er wollte oder nicht.
Da, wie ich am nächsten Morgen zur Wüste hinaus will, sehe ich am Wege eine Schule, wahrhaftig eine Schule! Sie ist in einem Häuschen, einem mittelgroßen gewölbten Raume, nach der Straße zu offen, der Boden mit Sand bedeckt. Der Lehrer hockt auf erhabenem Sitze, die Kinder vor ihm; jedes ein Tintenfäßchen im Sande, schreiben sie die schnörkelhaften arabischen Zeichen auf Holz- oder Blechtafeln. Es sind Koranstellen. Der Koran ist die Bibel, ist auch das Werk der Wissenschaft, das in der Universitätsmoschee von Kairo der Student liest und auslegt und merkt. Im Koran ist alles und außer dem Koran ist nichts. Auf einmal klatscht etwas, der Riemen in der Hand des Lehrers hat sich zeitweilig auf den Rücken eines der kleinen Gelehrten niedergelassen. Der Schulmeister da hält es also wie seine jetzt im Ruhestande befindlichen Amtskollegen vor einigen tausend Jahren hier, die auch der Meinung waren, »daß ein Knabe mit dem Rücken höre.« – »Man lernt und studiert auch im Osten,« sagt ein gründlicher Kenner desselben, Neumann, in A. v. Kremers »Ägypten«. »man lernt eifrig und studiert viele Jahre lang, nicht aber um die Natur und den Geist, um Welt und Menschen kennen zu lernen, sondern um die Laute und Wörter, um die Einfälle und Gedanken, den Glauben und Aberglauben der Ahnen in sich aufzunehmen und sie mechanisch den künftigen Geschlechtern zuzuschieben.« Und war es vor einigen tausend Jahren im Nillande gar viel anders?
In der Wüste draußen, hinter dem Araberfriedhofe zelten die Bischarin, Nachkommen jener einst so gefürchteten Blemmyer, denen die Römer den Frieden abkaufen mußten; heute verdingen sie sich als Begleiter der Karawanen. Die Männer, die ich sah, waren schlanke, sehnige Gestalten mit nicht unedlen, länglichen, lebhaften Gesichtern, manche recht wild anzusehn, als sie mit Schild und Schwert ihr Scheingefecht schlugen; das dichte schwarze Haar tragen sie in Kronenform, während es die Weiber in hundert dünne, fettglänzende schnurähnliche Zöpfchen flechten, die sie mit Glasperlen umwinden. Schlanke, flinke Mädchen, auch nach unseren Begriffen hübsch, bewegten sich zwischen ihnen in großer natürlicher Anmut, bettelten auch gar anmutig um Bakschisch. Alle waren sie in Bewegung und Farbe, des Körpers wie der Kleider, Tieren der Wüste gleich, dazu geschaffen, sich in ihr zu verbergen, sich an sie zu schmiegen. Immerhin aber war es auch zu begrüßen, daß sich eine berittene Abteilung der verläßlichen englisch organisierten Polizei zwischen den braunen elenden Zelten blicken ließ, eben als jeder, aber auch jeder der erregten Scheinfechter der Schech sein wollte und die bedungene Zahlung für das Schauspiel begehrte.
Es ist hoher Vormittag um die Mitte des März, und die Sonne glüht, doch sie drückt nicht. Die Luft ist so rein, so trocken, daß sie gleich den Schweiß saugt. Lust und Kraft durchdringen die Nerven. Am Rhein aber steckten, wie die Zeitung meldet, die Eisenbahnzüge vor kurzem im Schnee. –
In der Wüste draußen liegen auch weithin zerstreut die Steinbrüche, die Jahrtausende hindurch den Ägyptern ihre schönen, bunten Granite schenkten. Überall Inschriften und Sprenglöcher, in die man Holzkeile trieb, die man nachher durch Wasser aufquellen machte; hier sarkophagähnliche Wannen, hier eine kolossale Königsstatue, dort ein Götterschrein, ein Obelisk, alle aus Rosengranit, alle unvollendet liegen gelassen. Etwas ferner liegt ebenso unfertig eine Osirisstatue, sandüberweht; auf ihrer Brust hat ein Schakal oder Geier Mahl gehalten, da liegen die Knochen. »Ramses« nennt diesen nie Vollendeten das Volk, der große, glänzende Name ist jetzt gar gewöhnlich und nieder geworden, seinen Esel empfiehlt der Oberägypter dem Fremden als »Ramses-Esel«. Unweit vorbei führt der Weg nach Philae, wohin eben die Karawane da zieht, ein Kamel hinter dem andern, das hintere mit dem Halfter an den Sattel des vorderen gebunden. Aber auch die Telegraphenstangen führen hin und der schnaubende Bahnzug.
Wir aber wollen nach Philae am Nil hin, gleich hinter dem Ptolemäertempel rechts ab und hinauf, vorbei dem Häuserquadrat der sudanesischen Truppen, die jetzt im Feldzuge sind und ihre Weiber hier gelassen haben, auf den hohen Wüstenrand, der streckenlang über Strom und Katarakt blicken läßt. Köstlich fühlt sich die entgegenstreichende Luft, unermüdlich trabt Amin, der kleine, sehnige Nubierjunge, hinterher. Jetzt geht es hinab, wo ein grüner Streifen sich zwischen Katarakt und Wüste schmiegt, da liegt das Nubierdorf Mahattan. An den Anblick der fellachischen Stallhütten gewöhnt, stand ich verwundert; denn nett und sauber sind diese pylonartigen Häuschen, auch aus Nilziegeln, aber beworfen, getüncht, mit vergitterten Fenstern zwischen braunroten Pfosten, sogar Jalousien hie und da. Das Schiffsziehen durch den Katarakt mag den Wohlstand hieher gebracht haben. Die dunkelbraunen Bewohner haben die Wangen unter den Augen geschlitzt, gegen die Augenkrankheit, erklären sie; die Weiber in einem blauen, hemdartigen Gewande tragen halbmondförmige Bleche in der Nase, Ringe im Ohr, auch Spangen um Arm und Fuß, und das Haar wie die Bischarin; die hübschen Kinder laufen bis auf einen Gürtel nackt. In ganz Ägypten sind die Nubier als die treuesten und verläßlichsten Diener geschätzt; im Assuan-Hotel bedienen die braunen Gesellen im weißen langen Kleid, rot gegürtet, ganz musterhaft. Überhaupt macht sich in Assuan ein stilleres, geordnetes Wesen angenehm fühlbar, entgegen Luksor, wo ein wahrhaft neapolitanischer Pöbel den Fremden belästigt. Und wieder ein Nubierdorf, Schellal, so hübsch und freundlich wie das verlassene; herrliche breite Sykomoren werfen tiefe Schatten, Nilakazien duften, Kürbisse kriechen im Beet, blühende Bohnenranken – einst Ägyptens unreine Frucht – am Zaun hinauf. Und dort liegt Philae, der luftige, zierliche Säulenbau muß der Kiosk sein und der schwere, ernste ist der Isistempel. Palmen, wie einst die Wedelträger über den Pharao, heben die Federkronen darüber. Philae ist das Liebliche mitten im Schrecklichen. Man glaubt, wenn diese Granitblöcke ins Schieben kämen, sie zerdrückten das Inselchen. Unbeschreiblich ist ihre Wildnis, besonders im Norden und Westen. Einzeln und gesellt stehn sie im Strom, zu Mauern, zu Pyramiden, zu Bergen getürmt, drücken sie das Ufer. Ungeheure Wassergewalten haben hier getobt. Aber heute ist es still, friedlich wie nach schrecklicher, langeverwundener Schlacht; leise nur rauscht wie eine Erinnerung im Westen drüben der Katarakt und hier vor uns fließt der Strom so sanft, daß sich die Palmen und Pylonen von Philae und die Blockwälle der Nachbarin Biga heiter drin spiegeln.
Auf Philae steht – wenn auch lückenhaft – die spätere Geschichte Ägyptens in Stein geschrieben; versuchen wir sie zu lesen.
Die glanzvolle Ramessidenzeit war – eben deshalb – der Anfang vom Ende. Ägyptens Geschichte war auf eine Bahn geraten, die seiner Natur widersprach. Seine Eroberungen hatten eine herrisch bewußte Kriegerkaste von fremden Söldnern geschaffen, neben denen die einheimischen Milizen kläglich erscheinen mußten. Was konnte auch der ewig geprügelte Bauer für ein Krieger sein? Und für welchen seiner Herren hätte er sich denn freudig opfern sollen, da ihn alle gleichmäßig drückten und ausnutzten? Zum Militarismus gesellt sich die Übermacht des Priesterstandes. Bald trägt der Hohepriester des Amon selber die Doppelkrone, ihm, der in Theben herrscht, stellt sich in der Deltastadt Tanis ein Herrschergeschlecht feindlich entgegen, Nubien und Palästina, wo nun die Israeliten, Ägyptens Schüler, ihren Staat aufrichten können, fallen dem Zwiste zum Opfer. Libysche Könige folgen, einst Söldnerführer, von Bubastis aus einigt noch einmal Scheschonk, Jerusalems Eroberer, das Reich, doch der Zerfall ist unaufhaltsam. Bald herrschen die Äthiopen über ganz Ägypten, es folgen die Assyrer und wieder der Verfall und wieder einmal Befreiung und Einigung durch Psammetich I., Psamtik der sechsundzwanzigsten Dynastie, 663 v. Chr., aber mit Hilfe von Griechensöldnern. Die Sehnsucht nach der inneren Größe des verklärten alten Reiches, eigentlich nach der Jugend mit ihrer Einfachheit, ihrem Glauben, ihrer unbewußten Kraft bringt eine altertümelnde Renaissance hervor, noch einmal blüht das Land wie in alten Tagen, in deren Geiste zu leben und zu schaffen man sich bemüht. Aber Ägypten gehört sich schon nicht mehr selbst, seit es den Griechen offen steht. Da kommen die Perser, kommt Alexander. Hier an der südlichen Spitze der Insel hat der allerletzte der Pharaonen aus Ägypterblut, des Makedoniers Vorgänger, Nektanebos, Nechtenebof der dreißigsten Dynastie einen Tempel errichtet, den der Nil wegschwemmte; nur diese Halle da blieb stehen.
Dreihundert Jahre spielten jetzt die Ptolemäer dem greisenhaften, hochmütigen Volke die Pharaonenrolle und versöhnten es durch Glanz und Macht. Diese Insel haben sie wie ein Lieblingsplätzchen geschmückt. Dort drüben am Ostufer schwebt der Kiosk, ob unvollendet, doch das reizendste erhaltene Tempelchen Ägyptens, nicht unähnlich einem griechischen Peripteros; dort vorn steigt ernst mit doppeltem Pylon der Isistempel auf, und ein fast hundert Meter langer stattlicher Säulengang, wo fast kein Kapitäl dem andern gleicht, ladet uns zu ihm von unserm Standorte am südlichsten aller ägyptischen Obelisken, den sie auch errichtet haben.
Den Ptolemäern folgen mit Herrschertritt die Römer. Dort im Norden, hinter dem Tempel der Isis stand ein dem Augustus geweihter, ein mächtiges Römertor mit drei Bogen führt zum Strome hinab, und an den Wänden des Isistempels opfert Augustus, opfert Tiberius in Königsschurz und Doppelkrone den alten Göttern. Auch die Römer erhalten klug dem stolzen Volke, das doch nur von seiner Vergangenheit zehrt, den Wahn von der Fortdauer seines ehrwürdigen Volksstaates, indem sie es unmittelbar dem Cäsar unterstellen.
Da kommt ein neuer, sieghafter, begrüßter Eroberer, das Christentum. Hier zwar auf der Insel weicht noch lange die Mutter Isis nicht, die auch Nubier und Blemmyer verehren; der alte Kult in längst nicht mehr begriffenen Formen, in längst nicht mehr verstandener Sprache wird geduldet, um diese Grenzvölker versöhnlich zu stimmen, bis des Theodosius Edikte und Justinians unerbittliche Strenge auch hier für immer ein Ende machen der altägyptischen Religion und mit ihr der eigensten Kultur. Die heidnischen Bilder dort im Isistempel werden überstrichen, zerhackt, Kreuze eingemeißelt, fünf christliche Kirchen entstehen auf der Insel. Bald verwandelt der Eigensinn der Ägypter das Dogma, und die monophysitischen Kopten gründen Kloster und Kirchen; dort liegen ihre Trümmer hinter den Trümmern des Augustustempels.
Koptischer Hochmut und Hatz gegen die byzantinischen Griechen helfen dem Islam ins Land, der als fanatischer Welteroberer kommt. In Blutbädern büßen, die nicht Moslim werden. In Fellachen und Kopten, Moslim und Christen beginnt sich das Volk zu scheiden, noch heute trägt der koptische Stadtbewohner dunkles Kleid und dunklen Turban als Zeichen seiner Trauer. Der Islam aber, der so viel zerstörte, hat diese Insel zur Ruine gemacht, sowie das ganze Land.
Den alten Khalifen, die mit Amr gekommen, folgen als Herrscher die Omajaden, diesen die Abbassiden, die Tuluniden, die Fatimiden, die kurdischen Ejubiden mit dem mächtigen Saladin; es folgen die Mamluken, Ägyptens Prätorianer, es folgen die Türken, am 1. Juli 1798 betritt Napoleon Bonaparte den geschichtlich geweihten Boden, und sein gelehrtes Gefolge beginnt die wissenschaftliche Eroberung des in Geheimnis gehüllten Landes. Dort im Isistempel sagt es die französische Inschrift im Datum des republikanischen Kalenders, daß die Expedition unter Desaix auch Philae betrat.
Napoleon und die Franzosen ruft die Weltgeschichte nach Europa zurück, über den Leichen der ermordeten Mamluken gründet der tatkräftige Mohammed Ali, ein Rumeliot, seine Herrschaft, erzwingt sich durch Staatskunst und Krieg, den sein schlachtengewaltiger Stiefsohn Ibrahim Pascha mit albanesischen Truppen siegreich führt, von der Türkei trotz Europas Einmischung wenigstens die Erblichkeit seines Geschlechtes und geht mit Kraft und Umsicht daran, das lange verwahrloste Land einer neuen Entwicklung zuzuführen, bis die schlechte Wirtschaft seines dritten Nachfolgers Ismail, des ersten »Khedive«, den Franzosen und Engländern Veranlassung gibt, sich einzudrängen. Schon lange haben die Engländer ihre Netze um das ihrem Welthandel so wichtig gelegene Land gesponnen, seit 1882 halten sie es allein besetzt und gestalten ihm, mit kalter Berechnung und unerbittlicher Tatkraft ihr Ziel verfolgend, das Schicksal, das ihrem Vorteil entspricht. Dort, gegenüber dem Ostufer von Philae haben sie, die nach der Bestimmung der Großmächte nur als Beistand in der Verwaltung den europäischen Gläubigern Ägyptens zu ihrem Gelde verhelfen sollen, ein Zeltlager mit Vorräten für den Krieg im Sudan aufgeschlagen, den sie mit ägyptischen Truppen und eigenen Söldnern führen. Sie gehen eben nicht mehr aus Ägypten fort; so oft sie dazu aufgefordert wurden, brachen merkwürdigerweise immer Unruhen aus, die sie »zum Schutze der Europäer« dazubleiben zwangen. Es ist kein Geheimnis mehr, daß sie 1882 Arabi Paschas Aufstand gegen sich selbst erregen halfen, um ihn grausam niederzuschlagen und sich desto fester zu setzen, und so haben sie wohl gar, mit bewußter Aufopferung Ein gewichtiger Zeuge für diese Behauptung ist Gordon selbst, der so in sein Tagebuch schrieb: »Welch ein Widerspruch ist das Leben! Ich hasse Ihrer Majestät Regierung, weil sie den Sudan verlassen, nachdem sie alle seine Unruhen hervorgerufen hat ... Was für ein Leben! Sie sagen, ich opfere mich für mein Vaterland. Ja, sie haben Recht; wenn es jemals Märtyrer gegeben hat, so bin ich einer ... Man mag es drehen, wie man will: Ihrer Majestät Regierung weigert sich, Ägypten mit Rücksicht auf den Sudan zu helfen, weigert sich, Ägypten sich selbst helfen zu lassen, und weigert sich, einer anderen Macht dies zu erlauben.«
Auch gibt es Einsichtige und Sachkundige, die an den phrasenhaften »Segen« der englischen Verwaltung in Ägypten nicht zu glauben vermögen, vielmehr die nackte Ausbeutung darin erkennen, so Hans Resener in seinem Buche: »Ägypten unter englischer Okkupation.« Dasselbe war mir leider nicht erreichbar, ich kenne nur Stellen daraus in einem Aufsatze Gundakkar v. Suttners »Die Engländer in Ägypten,« dem ich die oben angeführten Worte Gordons entnahm, sowie folgenden Satz aus dem Berichte der österreichisch-ungarischen Handelskammer in Alexandrien: »Das ›zahlungsunfähige‹ Ägypten (unter Mohammed Ali und seinen nächsten Nachfolgern) eroberte neue Provinzen, baute Eisenbahnen, führte Telegraphenleitungen ein, errichtete herrliche Bauten, die Geschäfte und der Handel blühten, das Kapital fand lohnende Verwendung, das Volk war zufrieden. Das heutige Ägypten mit seinen geordneten Finanzen hat nicht nur die eroberten Provinzen verloren, sondern dazu auch seine eigene Unabhängigkeit, es hat den Weg des Fortschrittes verlassen, um in einem Stillstande zu verharren; der Wohlstand hat dem Elend Platz gemacht, das Kapital findet keine Verwendung, der Arme keine Arbeit, der Hunger kein Brot. Die Regierungskassen füllen sich immer mehr mit Geld an, aber die Bevölkerung leidet und verzweifelt.« ihres ehrlichen Generals Gordon in Chartum, den Sudan für Ägypten an den Mahdi verloren gehen lassen, um ihn seinerzeit desto sicherer für sich selbst zurückzuerobern. Denn nur wem der Rücken im »elenden Kusch« gedeckt ist, der hält Ägypten fest.
Und so war fast ununterbrochene Fremdherrschaft das Schicksal dieses Volkes seit den Tagen des Nektanebos und wirtschaftliches Elend seit dem Islam. –
Nun ist auch seit Champollions Großtat der Hieroglyphenentzifferung der Geist der ägyptischen Geschichte kein verschleiertes Bild mehr; durchschaut ist das lang bewahrte Geheimnis, vor dem die Völker der Erde so manches Jahrhundert in scheuer Ehrfurcht standen. Nun aber schlug auch naturgemäß die frühere Überschätzung vielfach ins gerade Gegenteil um, und das Ägyptertum wurde von vielen dem Chinesentum gleichgesetzt, mit dem es ja in der Tat manches gemeinsam hat. Die »tiefe Weisheit« – man fand sie nirgends; nicht in der Religion, die »kaum über die Stufe des Fetischismus emporgekommen,« ohne geistig sittliche Entwicklung stehen blieb, ja von einem hochkonservativen Priesterstande zu einem verwirrenden Systeme sinnlosen Aberglaubens und Formelwesens ausgebildet wurde; nicht in der Kunst, die nach hoffnungsvoller Jugend von der kirchlichen und höfischen Despotie wie ein Baum des Barockstils im natürlichen Trieb und Wachstum behindert und zum ideenlos ewig sich selbst nachahmenden Handwerk erniedrigt wurde; nicht in der Wissenschaft, die, des idealistischen Dranges nach reiner Erkenntnis bar, nur praktisch aufgefaßt wurde und nur als Mittel zum Nutzen und als Weg zur Macht und Herrschaft galt, im Bereiche der Religion aber – wie die Medizin – mit dickem Aberglauben vermengt wurde.
Freilich hat auch der ägyptische Geist seine Schranken, und die strengste hat er sich selbst aufgerichtet in der Ablehnung des allein fortbildenden individualistischen Schaffens, aber es bleibt von dem, was er geleistet, noch so viel Echtes und Großes, daß dem alten Volke der Dank und die Ehrfurcht der Nachwelt sicher ist.
Schwerlich wird es jemals gelingen, die ägyptische Religion in eine Formel einzufangen. Jahrtausende haben an ihr gedichtet und geschaffen, der naive Volksgeist und das bewußte Denken und irdische Absichten; polytheistische, pantheistische, monotheistische Gedankenreihen laufen in aller Zeit nebeneinander her, keine Person eines Stifters oder erfolgreichen Neuerers organisiert das Gemengsel, niemals auch, scheint es, hat man sich die Mühe genommen oder es gewagt, das Ganze systematisch zu fassen. Wohl berichten die Griechen von Geheimlehren, Clemens von Alexandrien von den 42 »hermetischen Büchern«, dem Hermes-Thoth heilig, die diese Geheimlehren enthielten, aber diese Bücher sind verloren und uns bleibt nur das vergebliche Bemühen, nachzudenken, wie ein Ägypterkopf so Widersprechendes zusammenreimen konnte. Vielleicht aber ist's ihm leichter geworden, als wir glauben. Denken wir einmal von heute ab drei Jahrtausende vergangen, die Welt verändert, die deutsche Sprache lange tot, nur in zerrissenen Bruchstücken des Schrifttums erhalten, ihre Bilder, die Blüten ihrer tiefsten Triebkraft, entfärbt und Rätseln gleich, ja das Natürlichste, Selbstverständliche nur durch das Mittel einer Nachkommensprache zu entziffern, und Goethes Faust, das Werk eines Einzigen innerhalb einiger Jahrzehnte, wäre geblieben, vom Anfang bis zum Ende von der Hand des Zeichners oder Malers geschmückt und erklärt: wem gelänge die Entscheidung, zu welchem Glauben sich dieser einzige Mensch zeitlebens bekannt habe? – Trotz alledem aber ist das sittliche Leben der Ägypter durchaus nicht schlechter gewesen als das irgend eines anderen, hochgepriesenen Volkes; im Gegenteil, und allezeit fühlen wir in ihm wahrhaft religiöse Gesinnung wirken. Heilig war ihnen die Arbeit, die Mutter alles Guten, heilig die Ehe, trotz mancher orientalischen Freiheiten, heilig das Verhältnis von Eltern und Kind, war doch fast jeder Tempel einer Götterfamilie geweiht. Ihre menschlich milde Art verwarf die harte – indische – Kaste, auf mehr als einer Grabstele in Abydos erzählt ein hochgestiegener von seinen niederen Vorfahren oder ein Geringer von seinen höheren, und ein gutes Andenken nach dem irdischen Tode war erst das rechte Leben. In feiner Sitte, von altersher geübt, drückte sich ihr Zartgefühl aus, mit Gemüt und Liebe behandelten sie – unähnlich ihren entarteten Nachkommen – das Tier. Mehr als zweitausend Jahre vor Christo lehrte Ptahhotep: »Wenn du groß geworden, nachdem du niedrig gewesen und dir Schätze gesammelt hast nach dem Elende und du so der vornehmste in der Stadt geworden bist und die Leute dich kennen ob deines Überflusses, so laß dein Herz sich nicht verhärten ob deines Reichtums; denn der Urheber alles dessen ist Gott, verachte daher nicht deinen Nächsten, der das ist, was du selber einst warst, sondern behandle ihn als deinesgleichen.« Und weiter: »Wenn jemand stolz sich erhebt, so wird Gott, der seine Stärke ausmacht, ihn demütigen. – Der großmütige Mensch wird von Gott geachtet. – Wenn du weise bist, so erziehe deinen Sohn so, daß er Gott liebe u. s. w.«
Im späteren Totengerichte aber mußte der Verstorbene vor Osiris und 42 Beisitzern sich rein bekennen und also sprechen: »Ich habe keinen Menschen betrogen, – keinen Diebstahl begangen, – kein falsches Zeugnis gegeben, – den Knecht nicht bei seinem Herrn verleumdet, – keine Witwe bedrückt, – nicht Hunger und Leid über Menschen gebracht, – niemand getötet, – dem Säugling (wohl dem säugenden Tiere) nicht die Milch entzogen, – nicht geprahlt; doch habe ich den Hungernden gespeist, den Durstigen getränkt, den Nackten bekleidet u. s. w.« So durfte Lenormant wohl behaupten, daß die Sittenlehre des ägyptischen Totenbuches die aller andern Völker des Altertums übertraf. Und wie viele Jahrhunderte hindurch!
Man halte sich nur zum Vergleich den schnellen und tiefen Sittenverfall des individualistischen, ob seines reichen Genies mit Recht bewunderten Griechenvolkes vor, um Hochachtung vor dem Charakter dieses gleichmäßigeren, darum auch dauerhafteren Volkes zu empfinden, von dem ein Hauptzug religiöse Gesinnung war.
Und nun ihre Kunst. Die ist so ursprünglich, so der Aus- und Abdruck einer durch Natur und Geschichte besonders gewordenen Menschenart wie nur irgend eine in der Welt. Man lege nur nicht fremde Maßstäbe an sie. Ihre Fehler sind bewußt und gewollt, sind Charakterzüge; ist sie uns fremdartig, so ist sie doch an sich und in sich vollendet und groß.
Auch ihre Wissenschaft verdient unsern Dank. Zwar haben sie keine philosophischen Systeme aufgestellt, schwerlich viel nach dem Wesen des Wesens Gedankenflüge gewagt, nur praktische Sittenlehren gegeben; auch ihre Geschichte haben sie nicht zusammenhängend in wissenschaftlichem Geiste geschrieben, die Vorgänge der Natur, scheint es, durch Götter und Dämonen, nicht durch Gesetze erklärt, aber unablässig nach Bildung des Geistes gestrebt und sie für das höchste Ziel des Lebens gehalten. Die Geometrie haben sie wenigstens praktisch gegründet, der Astronomie manche Wahrheit geschenkt, das Sonnenjahr gefunden, auch in der Heilkunde, trotz kirchlicher Bevormundung, besonders in alter Zeit, manches geleistet und über alles dieses, ihre Schrift geschaffen. Und kann man denn glauben, daß Thales, Archimedes, Pythagoras, Anaxagoras, Demokrit, Plato, Diodor, Strabo zu ihnen im wahren Wortsinn in die Schule gegangen seien – um nichts? Zahlreich sind ihre Erfindungen beim Feld- und Wasserbau, beim Handwerk und Kunsthandwerk. Ein Volk der Arbeit, der schaffenden, genauen, ehrlichen, tüchtigen, stehen sie groß und vorbildlich vor ihren Zeitgenossen, deren Lehrer sie wurden, und vor der Nachwelt, ein kluges, tüchtiges, weises Völkchen von vielleicht acht Millionen, der älteste beglaubigte Adel des Menschengeschlechtes, wenn es schon einen solchen geben soll. Von unerschöpflichem Interesse aber bleibt die Betrachtung, wie hier auf der schmalen Niloase ein so eigenartiger Volksorganismus erwuchs, der doch auch wieder den allgemeinen Gesetzen alles Völker- und Staatslebens unterworfen war und dem Gemeinsamen alles Menschenlebens, wie es sich im Einzelwesen und Einzelschicksal offenbart.
Fünftausend Jahre blicken wir auf den geschichtlichen Weg dieses Nilvolkes zurück, bis er in weiter Ferne in Dämmerung versinkt; völliges Dunkel aber liegt über den ungezählten Jahrhunderten, die es sacht und stetig zu jener Gesittung heranzogen, die wir in den ältesten Denkmälern des alten Reiches vollendet antreffen. Wann aber begannen, da beiderseits das Meer gewichen war, Versteinerungen zurücklassend, die zum Nil gesammelten Rinnsale und Wasserläufe des äquatorialen Afrika diese Granitblöcke nächst unserer Insel zu überstürmen, zu durchwühlen, in ungeheurem Aufruhr zu türmen, in unablässiger Arbeit zu höhlen und zu schleifen und abwärts ihrer wildesten Rümpfe zwischen nachgiebigerem Sand und Kalk den Schlammstreifen abzulagern, auf dem sich ein Volk nähren konnte?
Der kleine Sandsteinobelisk der Ptolemäer auf der Südspitze von Philae war auch der südlichste Punkt meiner Ägyptenfahrt. Den Katarakt hinunter begann der Rückweg. Acht Männer ruderten die starke Segelbarke, die um diese Jahreszeit des niederen Wasserstandes sehr geschickt gesteuert sein wollte. Den großen Katarakt kann kein Fahrzeug passieren, nur die kleineren Kanäle. Aber auch hier rauscht und braust die zornige Flut zwischen den Blöcken und Bänken, und das Schiff schießt so jählings hinunter, daß es diesem und jenem meiner zufälligen Reisegesellschaft angst und bange wurde. Diese Fahrt ist nun nicht mehr möglich, da 1899 mit dem Baue des Sperrdammes begonnen wurde, der, wenn fertig, 30 m hoch, das Wasser der Überschwemmung bis 20 m hoch stauen und seinen Abfluß durch zahlreiche Torschleusen regeln wird. Man fürchtet, daß dadurch die Tempel von Philae gefährdet werden können. Da und dort schwimmen nackte Nubierknaben lustig nebenher auf Baumklötzen, die sie, rittlings sitzend oder auf dem Bauche liegend, mit den Händen rudern, und begleiten das Rauschen des Wassers mit ihrem Bakschischgesang. Nahezu zwei Stunden geleitet uns Chnum, der alte Kataraktengott, gnädig durch sein Reich, dann entläßt er uns bei Nachtanbruch in Assuan ans Land.
Nachts aber besteige ich zum letztenmal das ebene Dach des Hotels und schlürfe den kühlenden Wind und sehe die Sterne wundersam im dunkelklaren Himmel blitzen und drüben die finstere Masse von Elefantine liegen und höre vom Ufer im Nachthauch den Ton der Handtrommeln aus den Kaffeehäusern und von der Insel herüber das klagende Knarren und Ächzen der unablässig arbeitenden Sakiyen und seh' in der Gedanken Sülle die Wunder dieser Reise vorüberziehen.
Tagelang zieht nun das Schiff den Nil hinab, und wie die geschauten Bilder alle wiederkehren, spinnen die Gedanken ihre Fäden daran. So vom Süden her kam einst nomadisch, in Horden der braune Ägypterstamm, vielleicht von der Küste des Roten Meeres und weiterher aus Asien, wohl der kaukasischen Rasse angehörend, sicher nicht semitisches, vielleicht rein afrikanisches Blut. Hier in Ober-Ägypten grünte Weidetrift, das Unterland war erst im Werden begriffen und starrte von Sumpf und Sumpfwald. Aber da schwillt der Nil und überlagert die Trift mit Schlamm; der Wanderhirt, will er das nährende Land nicht verlassen, muß Bauer werden, so schwer es ihm anfangs fallen mag. Neben Lotussamen und Papyrusmark beginnen ihn jetzt Weizen, Gerste, Durrah zu nähren. Zum Pfluge, der nur leicht zu furchen braucht, wächst das zähe Holz der Nilakazie, zur Hütte gibt der Nil den Schlamm; der kurze Hüftenschurz ist das rechte Kleid für den pflügenden, grabenden, barfußen Mann. Man erlebt und lernt; das tiefer liegende Grundstück könnte durch einen Graben entsumpft, das höhere durch Graben und Schöpfwerk getränkt werden, ein Sparbecken würde das Wasser für die Zeit der Dürre bewahren, ein Damm zur Überschwemmungszeit die wochenlang getrennten Nachbarn verbinden. Aber das kann der einzelne nicht leisten, viele Köpfe müssen zusammenstimmen, viele Hände zusammengreifen, und einer muß leiten. So erwächst der Gemeinsinn und der Gehorsam und die staatliche Ordnung, aber auch die Unfreiheit des einzelnen, die, wenigstens vom Bauer, nicht mehr weicht. Was kann auch der Widerspenstige tun? In die Wüste fliehen? Im offenen Lande sich erheben? Für die verlorene Freiheit entschädigt ihn dann der reiche Ertrag des fetten Bodens. Aber so kommt auch der Fleiß und die Geduld und die Genauigkeit und Pünktlichkeit und Tüchtigkeit der Arbeit, denn das Element läßt nicht mit sich spielen; so entsteht auch die schiefe Wand des Hauses, dem geböschten Damme nachgebildet. Zu den gemeinsamen Wasserbauten muß jeder nach Kräften steuern, einer, dem man vertraut, die Abgaben fordern und merken. Aber der Nil verwischt alljährlich die Grenzen, schwemmt hier ab und schwemmt dort an. Man muß messen und rechnen lernen, die Feldmeßkunst entsteht. Nach dem Umfang des Bemessenen wird die Steuer bestimmt, das Gedächtnis zu unterstützen, findet sich die Schrift ein, die Hauptregeln der Geometrie werden zum allgemeinen Nutzen bekannt gemacht. Da jedoch die Acker verschieden sind und die Überschwemmung wechselt, so wechselt auch der Ertrag: das Hohlmaß wird erfunden und die Berechnung des Raumes ergründet. Streitigkeiten entscheidet, Widersetzlichkeit straft der Richter, immer tiefer wurzelt in verständiger Einsicht die Achtung vor Ordnung und Gesetz und der Heiligkeit des Besitzes und vor der Überlegenheit, die das nützliche, wohltätige Wissen übt.
Und alles spendet väterlich der Nil, die Stunde seines Schwellens durchläuft als Freudenbotschaft das Land. Aber man zittert auch, wenn er zu wenig Wasser brächte, daß er die höheren Äcker nicht mehr tränkte, wenn er zu rasch und zu hoch stiege, daß er den fetten Schlamm nicht zurückließe.
Die zitternde Ehrfurcht erzeugt die religiöse Poesie, das gemeinsame Gefühl eines ganzen Volkes wird zum Hymnus an den Nil, den ewig jungen Gott. Zur bestimmten Jahreszeit beginnt er zu wachsen, wenn der Sirius am Morgenhimmel um Sonnenaufgang steht; da beginnt für den Bauer das Jahr, das drei Zeiten hat: Flut und Saat und Ernte. Ehrfürchtig staunend blickt man zum Himmel, der so rein, so getreu und folgerichtig ist, und die wunderbare Ordnung der großen Natur senkt sich in die Seele. Aber man blickt auch immer schärfer; bald weiß man es, daß der Morgen- und der Abendstern nicht zwei sind, das Rechnen, das man auf der Erde gelernt hat, überträgt man auf die blaue Decke droben und findet das Sonnenjahr.
Aber ein Geheimnis waltet in allen diesen Vorgängen und läßt die Abhängigkeit und Hilflosigkeit des Menschenwesens fühlen, – der Keim der Religion hier wie bei allen Völkern. Gewiß brachte schon der Nomade religiöses Fühlen und Ahnen samt seinem Fetisch mit, hier aber nahm es Gestalt von den Mächten des Landes. Da rauscht der lebenspendende Nil geheimnisvollen Ursprungs, da zieht zwischen Wüste und Wüste die Sonne, die milde Blatt und Blumen aus dem Keime weckt, sie aber auch versengt wie Feuerbrand. Darum kämpfen unaufhörlich Horus und Set. Set ist zuletzt alles, was der Bauer haßt: die Dürre, das Meer, das Ausland, die Wüste, die den Glutwind sendet, der Raubnomade darin. Sein Gott muß seßhaft sein wie er, muß in diesem wohnlichen Lande wohnen, haust vielleicht manchmal sogar im Tiere, das, auch ein Teil des Landes, nur sein Geheimnis nicht verraten kann. Darum baut er ihm ein Wohnhaus von Stein, fest und verschlossen wie seine Berge, mit der geneigten Wand, die er beim Dammbau gelernt hat. Verständig und bedächtig wird der Geist in diesem der Wüste immer von neuem abgerungenen Lande, fest der Wille, zum Ernst geneigt das Gemüt, aber durchaus nicht düster; ist doch das Land, wo alle Götter wohnen, so freigebig. Keine Wirbelstürme, Wald- und Steppenbrände, keine unberechenbaren, schrecklichen Ereignisse suchen es heim, keine Eis- und Feuerberge regen und wühlen die Phantasie auf, alles, was kommt, ist ziemlich vorauszusehen: die erschlaffende Chamsinzeit im Vorsommer mit ihren Südwinden und Heuschrecken, die kühlenden Nordwinde zu Beginn der Nilschwelle, die heißen Westwinde aus der Sahara im Juli und August. Mäßig und regelmäßig ist die ägyptische Natur und so wird auch der Mensch und wird gesund und stark, für Idylle und Satire gestimmt, doch nimmer für die Tragödie. Immer gesicherter, behaglicher wird sein Dasein auf der schwarzen Erde, »fei're den frohen Tag!« ist Anfang und Ende seiner Lieder. Soll ein rüstiges, tüchtiges, fruchtbares, heiteres Menschenleben mit dem Tode aufhören? Unmöglich! Dann aber muß das Jenseits ganz dem Diesseits, muß diesem Stromland gleichen mit Kanälen, Dämmen und Feldern der Arbeit. – Allmählich schließen sich die kleinen Häuptlingsstaaten der Gaue, ihrem Vorteil folgend, zusammen, erst zu zwei und dann zu einem Reiche, friedlich, ohne Kampf und Heldentum und Epos; von Süden kam, wie das Volk und die Gesittung, auch dieser Zusammenschluß, – sein Wappen eine Lotus- und eine Papyruspflanze, an einem Ruder zusammengebunden – und noch Jahrtausende steht im Titel des »Königs beider Länder« der Süden voran. Immer aber lauert in dem langgestreckten Lande ohne natürlichen Mittelpunkt der Hang zur Besonderung, der Partikularismus. In feierliche Bräuche muß sich die Königsgewalt hüllen, göttlichen Ursprung für sich ersinnen und die Schranken der Sitte aufrichten. – Immer mehr beleben den Strom Verkehr und Handel, über seine Untiefen gleitet noch der flache Papyrusnachen mit seinem aufstrebenden Vorder- und Hinterteil, für das Frachtschiff aber liefert die Nilakazie ihr unverwüstliches Holz. »Reisen« heißt »auf dem Wasser fahren«, selbst das Reisen durch die Wüste heißt so und am Himmel fährt die Sonnenbarke. Aber ins Ausland zieht es den Ägypter nicht; im Westen wie im Osten starrt das »rote Land«, im Süden sperren die Katarakte das Tor, schlimme Strömungen machen die Fahrt an der Deltaküste unheimlich, kommt aber der Händler, so nimmt er von ihm, was nützen kann; sonst bleibt er im Frieden zu Hause. Schwer ist auch den Nachbarn ein feindlicher Angriff, darum fehlt dem Ägypter jahrhundertelang der große Krieg, der befreiende, erhebende, alle Kraft fordernde, der auch ein Volk erziehen hilft, und zu spät muß er ihn führen lernen, hier preist man keinen zürnenden Achilles in Dichtung und Sage, hier gilt Nestor, der Weise, und ein König oder ein Prinz muß Nestor sein, so will es die Ehrfurcht vor der geheiligten Ordnung. Der einzelne gilt nur, wenn er sich ihr fügt. Der Künstler verschweigt fast immer seinen Namen am Werke, der Gelehrte empfiehlt das seine nicht durch neue, eigene Gedanken, nein, indem er es als Fund aus alten Tagen hinstellt, ihm einen der alten Weisen als Verfasser andichtet. Und nützen muß es irgendwie, der Ägypter denkt als echter Bauer: Was nicht nützt, ist Unkraut. Schreibmaterial liefern die Steine, liefert die Papyrusstaude; die Steine, die man nach dem Vorbilde des geduldigen Nil so schön glätten lernt. Es ist eine Lust, in die infolge des trockenen Klimas unverwüstlichen Steine für die Ewigkeit zu schreiben! So werden die Ägypter das schreibseligste Volk, und da sich durch die Schrift alles so leicht und auch in die Ferne ausrichten läßt, ein wahres Bürokratenvolk. Der Titel des »Schreibers« befähigt zu Staatsämtern und verschafft hohes Ansehen, aber auch der Schreiberdünkel und -hochmut stirbt nie aus. Die Schrift – doch bei Thoth, dem ägyptischen Schreibergotte, auch der Reisende wird hier schreibselig!
Den lebens- und naturfreudigen Spiel- und Nachahmungstrieb, der zur bildenden Kunst führt, nimmt hier von Anfang an der Totenglaube in Anspruch. Sykomorenholz und Stein für seine Bilder gibt das Land, und weil diese im Grabe den Seligen zu erwarten haben, sind sie so feierlich und streng und so lebensgetreu in ihren Gesichtszügen. Leider wird kein schroffer Natur- und Stammesgegensatz im Künstler zur Triebkraft, Eigenartiges, Eigensinniges, Persönliches, Niedagewesenes zu schaffen, keine Umwälzung der Ideen verjüngt hier ab und zu die Kunst. Das Volk ist so durchaus eines und hängt so zäh am Brauch, wie Bauern tun. Wenig Farben zeigt die ägyptische Landschaft, so gibt sich auch der Maler mit wenig Farben zufrieden, die er aus den Stoffen des Landes bereitet.
Die luftige Halle im Hause des Reichen sowie des Gottes wird säulengestützt; die Sykomore, die Nilakazie, die baulich minderwertige Palme sind dazu bereit. Als Zier umkleiden sie Lotus- und Papyrusstengel mit dem geschlossenen Kelch, der offenen Blume, der Dolde, manchmal auch Palmblätter, mit Bast rings um den Stamm gebunden, bis die so gefundene, ansprechende Form in Holz geschnitzt, sogar in Stein gemeißelt wird. Der Lotus schmückt das Haar der Frauen und in Kranzgewinden den Hals der Toten, kein Fest, keine Feier ohne Lotus; überall in malerischer Verzierung, bis zur Sargwand und Grabdecke, wie in den gefälligen Gegenständen des Kunstfleißes erscheint die anmutige Form der ägyptischen Wasserrose. Der Papyrus freilich gewährt noch mehr: Schmuck und Nahrung, Schreibstoff, Matten, Sandalen, Teppiche, Gewänder, Körbe, Taue, Segel und Boot. Wie diese Pflanzen des Landes so fordern aber auch seine Tiere des Künstlers Beachtung, und Skarabäus und Schlange und Geier und Ibis und Sperber werden Bilder ägyptischer Heimatsschrift und Heimatskunst. – Und wie Jahr um Jahr die Natur getreu dieselben Wege geht, wie sie Jahrhundert um Jahrhundert dieselben Gaben bringt, zur selben Tätigkeit ermuntert, Himmel und Strom beharrlich dieselben Gedanken, dieselben Empfindungen, Erwartungen und Befürchtungen immer wieder erregen, so wird dieses Volkes Grundzug steinerne Beharrlichkeit, daran die Einflüsse des Auslands abgleiten müssen. So bildete durch Not und Beispiel den Menschen die ägyptische Natur und schuf in ihm ein Stück von sich und ihre Blüte. Halbwilde, Nomaden und Halbnomaden sind noch alle Völker ringsum, Kinder in der Kultur. Längst Mann geworden, kommt der Ägypter mit ihnen zusammen; kein Wunder, wenn er stolz als einziger »Mensch«, Romet, auf sie herabsieht, auch dann noch, als sie selbst herangewachsen sind. Und so gleicht er dem Bauer der Einöde, der nie die weite Welt gesehen und, bis sie selber in sein Tal dringt, den Kopf schüttelt, um zu sagen, früher sei doch alles besser gewesen. Bisher hatte ihn neben der Natur nur eine geistige Macht bewußt erzogen, der eigenen Art entstammt, sein Priesterstand; jetzt trat die Weltgeschichte hinzu, nur aber schon zu spät, wie auch bis heute die Schicksale dieses Volkes waren, wie seine Herrscher wechselten, wie es von Glauben zu Glauben überging, seine körperliche Art, seine geistigen und Charakteranlagen sind ihm bis zum heutigen Tage geblieben, weil Nil und Land inzwischen auch dieselben geblieben sind. Nur daß die Gemütsart des christlichen Kopten durch Verfolgung und Bedrückung verfinstert, die des muselmännischen Fellachen schicksalergebene, stumpfe Gleichgültigkeit geworden ist. Zwar ist die Stadtbevölkerung Unterägyptens stark semitisch durchsetzt, »in Oberägypten aber,« sagt Georg Schweinfurth, »hat sich der altägyptische Typus unter manchen Fellachenfamilien in wunderbarer Reinheit erhalten; auch unter den Berberinen (Nubiern) aus der zwischen dem ersten und zweiten Katarakt gelegenen Landschaft finden sich Leute, bei deren Anblick man denken möchte, ein Bild aus der Pharaonenzeit habe Leben und Wärme genommen, bewege sich vor uns und wandle.« Zu dieser fast beispiellosen zähen Beharrlichkeit folgt dem Ägypter auch sein wichtigstes Haustier, das Rind. Obwohl im Laufe der Jahrhunderte mehr als einmal durch Seuchen die gesamte Rinderwelt ausstarb, Land und Klima haben diese Tiere immer wieder so gebildet, wie sie im Grabe des Ti bei Memphis durch den Nil getrieben werden. Und mit denselben Hausmitteln behandelt sie und sich selber heute noch der Fellach wie vor Jahrtausenden. –
Gern hätte ich jetzt noch einen Blick ins Seeland, ins Fayum getan, das schon im Altertum gepriesene, gesegnete Frucht- und Blumenland am Mörissee betreten; aber nach Wochenfrist sollte ich in Athen zur Reise in den Peloponnes bereit sein, zu hasten widerstrebte mir, auch mit Zufällen mußte ich rechnen. Noch zwei Tage der Ruhe und Sammlung und des Abschieds in Kairo, noch einen in seiner Umgebung, dann flog ich durchs Delta, das Land der späteren Zeit Ägyptens, als seine Arbeit schon getan war und seine Geschichte sich der der Mittelmeervölker einfügte, nach Alexandrien, das niemals recht Ägypten, immer der Welt gehört hatte, und von da nach dem Piräus, auf einem der Wege, die vor Jahrtausenden die Kultur gezogen war. Meine Ägyptenfahrt war zu Ende und mit ihr Tage reichsten Lebens. Es war nur ein Ausflug von kaum fünf Wochen, ich konnte nur melden, was ich sah und dachte und wie ich das von anderen Übernommene verstand, der Forschung konnte ich nichts mitbringen; wenn es mir aber gelingt, durch meine Mitteilungen einem meiner Schüler einen Begriff zu berichtigen, einen eigenen Gedanken flott zu machen, vielleicht gar, einen mir zum Nachflug zu ermutigen, so bin ich zufrieden.
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