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Ja, und ich könnte erzählen, daß auf dem Hof von Gramkow & Löwenberg in Hamburg, einem schwarzgrauen Hof, eine Generalversammlung von Handwagen war, zweirädrigen, kippenden. Welche fuchtelten verzweifelt mit den beiden Armen gen Himmel, und andere wieder kehrten melancholisch den Sterz nach oben wie tauchende Enten. Tonnen lagerten da, schwarze mit gelben Dauben, schwarze mit roten Dauben, keine gemütlichen, heimatlichen Bier- oder Sprittonnen, sondern solche, die ganz klein waren, so klein, daß man sie sich einzeln gar nicht vorstellen konnte. Und solche, die ganz groß und schwer und einsam waren. Sie erweckten den Traum von heißen Fernen, diese Tonnen! Betropft mit Ölen, Fetten und dickflüssigen Weinen. Sie trugen die schwankende Dunkelheit alter Schiffsbäuche noch um sich wie einen Panzer, und sie strömten den süßlichen, undefinierbaren, unzerlegbaren Geruch langer Docks und Zollschuppen aus.

Oder ich könnte erzählen vom Flug der Seeschwalbe: sie kommt nicht von der Stelle, sie stößt immer vorwärts, schnellt rückwärts und schreit dazu. Jetzt ist sie in den Wellen und jetzt nur ein Punkt in der Höhe. Ihre Flügel sind schmal und lang und gebogen wie die Sichel bei Neumond.

Ich könnte von Kap Frio, vom Zuckerhut, von der unteren Stadt, die flach liegt um die Bai, und von der Oberstadt am Tijukagebirge erzählen, vom Korkowada, der frechen Felsnase des Korkowada, und vom Orgelgebirge und von den ganz engen spanischen Gassen, deren Dächer oben fast übereinandergreifen, von zusammengestürzten Häusern, Schutt von hundert Jahren, den niemand wegräumt; ich könnte von schmalen engen Kneipen wie Schiffskojen sprechen, mit hängenden Öllampen. Ich könnte erzählen, daß Manuel de Alarcon und Pereira da Costa schon längst reguliert hatten und daß Heinrich Schön große Ordres aufnahm, die zehnmal die Unkosten deckten. Ich könnte auch erzählen, daß Heinrichs Schiff zurückgehen sollte, aber dann doch erst fünf Tage später fuhr und daß Heinrich Schön noch von Signore Chueca (von Chueca y Valerosa aus der Lago di San Francisco) zu einer Fahrt in den Urwald mitgenommen wurde, und er sah Kolibris über Blüten flattern – der »brasilianische Kolibri« hatte der kleine Brandek gesagt; oft wußte man auch nicht, ob es ein Vogel oder ein Schmetterling war.

Es war ziemlich spät, schon dunkel, als Heinrich wieder nach Rio hineinkam.

Und es ist nun nicht richtig – wie man später in Potsdam fabelte –, daß ihm da, bei dieser Fahrt, ein Insekt ins Ohr gekrochen ist und er wahnsinnig wurde. Es war einfach gelbes Fieber. Der Neger, der ihn pflegte, hatte schon hundert Weiße so gepflegt. Ganz richtiges gelbes Fieber mit Blutbrechen und Konvulsionen zum Schluß. Aber es ging schnell, nur drei Tage. Und es war auch zuerst gar nicht so schwer. Heinrich träumte von der Kahnfahrt. Aber er glitt stets nur über die Sonnenbrücke weg – hin und zurück. Der Vers hämmerte ihm im Ohr:

Der Neger von Darfur
Bringt grinsend ihm die seidne Schnur.

Er sah immer einen Schmetterling fliegen, einen exotischen Fritzen mit schwebenden Flügeln, mit glühenden Augen, schwarz wie ein Tuch, dann wie ein graues Gewebe, wie der wehende Schleier der Hyazintha bei der Madrinella in dem Haus Galle Major 217 (Schönheit ist eine Falle); tanzend wie eine Spinne, mit heimlichen Fäden an das Licht gebunden, durch die Löcher der Fenster gleitend, zurücktaumelnd. Immer wieder bei ihm und doch nicht da, sowie man ihn greifen will. Er war dann der Gehängte, das Tier unter den Zähnen, mit den Kugeln in der Brust, der Gerichtete, der Page, dem der Henker, der Hexenrichter mit dem Schwert, durch den Saal nachsprang. – Und dann träumte er von Kiefernduft und wie wundervoll so ein weißes Schneefleckchen leuchtet bei ihm zu Hause, wenn alles sonst schon abgetaut ist ... Traure nicht, traure nicht um dein junges Leben; wenn sich dieser niederlegt, wird sich jener heben ...

Ja, all das könnte ich erzählen, aber es gehört ja gar nicht recht hierher – ist nur so nebenbei zu erwähnen.

Wichtiger ist es wohl, daß in Potsdam in dem Hause am Kanal Eduard Schön in seinem Kontor saß – Müllner war in Berlin –, recht allein, es war Ende Oktober, noch hell, so gegen fünf Uhr, und schrieb:

Mein lieber Sohn!

Ich kann Dir die erfreuliche Mitteilung machen, daß sowohl unser Hauptschuldner José de Alvarenga wie Antonio di Soles und Chuecay Valerosa inzwischen glatt ohne Skonto reguliert haben, so daß eigentlich unsere Befürchtung, sie wären insolvent, überflüssig gewesen ist. Trotzdem erachte ich es für überaus glücklich, daß wir drüben unser Haus und unsere Fabrikate selbst lancieren können, ohne auf das mehr oder minder geringe Entgegenkommen eines Exporteurs angewiesen zu sein. – Ich hoffe, daß Du auf unsere wirklich sehr reichhaltige Kollektion gute Abschlüsse gemacht hast, und würde ich erfreut sein, wenn Du es ermöglichen könntest, mit nächster Schiffsgelegenheit wieder nach Deutschland zurückzukehren, weil wir durch das plötzliche und unerwartete Ableben Degebrots in große Verlegenheit gekommen sind und Dich und Deine Arbeitskraft sehr vermissen, da Müllner und ich das nicht alles allein schaffen können.

Auch sonst ist hier manches anders geworden. Frau Antonie soll sich mit dem jungen Herrn von Maltitz in Wien befinden. Andere sagen, sie wären schon wieder auseinander. Du kannst Dir denken, daß ich darüber sehr traurig bin, aber ich bin nicht ungerecht genug, um ihr die Schuld daran zuzuschreiben. Es war wohl mein Fehler zu glauben, man könne sich alles formen, wie man will. Es läßt sich nicht spotten! Meine Gedanken ihr gegenüber sind ebenso unbeeinflußt dadurch wie meine Gefühle. Ich weiß nach wie vor, daß sie ein seltenes Wesen ist, das solch ein alter Seidenweber wie ich inniger lieben muß als andere Menschen. Ich will es nicht anklagen, daß sie meinen Weg gekreuzt hat. Ich weiß auch, ich bin schuld, weil ich an Unmögliches glaubte. Aber ich bin jetzt einsamer und unglücklicher als je. Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, und da hat mich dieses junge, seltsame Wesen, das da ein paar Monate bei uns war, stets an einen Kometen erinnert. Wir wissen nicht, woher sie kommen, wir wissen nicht, wohin sie gehen; sie kommen aus unbekannten Weltenfernen, schöner, größer und strahlender als alle anderen Sterne, und sie tauchen nach kurzer Zeit in unbekannte Weltenfernen zurück. Ihr Anblick entzückt die Menschen, aber sie bedeuten Blut, Tod, Krieg und Pestilenz. Daran habe ich immer denken müssen.

Nach dieser wenig angenehmen Nachricht wird es Dich gewiß freuen zu erfahren, daß Hannchen von Mühlensiefen und Egbert von Winterfeldt schon aufgeboten sind. Ich denke, die Sache in Deinem Sinne geordnet zu haben. Daß du Professor Schneider nicht mehr wiederfinden wirst, wird Dich nicht erstaunen, da Du ihn ja noch in seiner letzten Krankheit besucht hast. Ich ersuche Dich also nochmals dringend, mit nächster Schiffsgelegenheit zurückzukehren, und bin, wie stets,

Dein Dir wohlgesinnter Vater
Eduard Schön.

P.S. Die vier beiliegenden karierten Chamäleons halte ich in der Farbenstellung für sehr apart, und wird es Dir vielleicht doch noch möglich sein, Ordres dafür aufzunehmen. Die Preise verstehen sich franco Valuta Hamburg.

D.U.

Als Eduard Schön den Gänsekiel fortlegte, war ihm doch heiß geworden. Der Brief hatte ihn sehr erregt, und er begann wieder, wie es in den letzten Tagen seine Art war, planlos durch das Haus zu irren, das still und schon recht dämmrig in Treppen, Fluren und Zimmern lag ... Und da geschah etwas sehr Merkwürdiges, etwas, was vielleicht nicht geschehen ist, man weiß es nicht. Oder vielleicht doch geschah, man weiß es nicht. Als Eduard Schön das Schlafzimmer von Heinrich Schön öffnete – die Gardinen waren halb geschlossen –, sah er da jemand im Bett liegen; deutlich zeichneten sich die Formen des Körpers unter einer dünnen Decke ab, und auch den Kopf sah er, Heinrichs Kopf und Heinrichs Augen, die ihn ganz groß und fieberglänzend anblickten. Er fühlte nach dem Bett, aber es lag glatt; doch der Kopf und die Augen waren geblieben. Und dann, wie Eduard Schön die Gardinen zurückriß – man fand sie nachher auf der Erde –, schien es ihm, als ob nun auch das ins Schwanken geriet und sich ganz langsam und fast widerwillig auflöste.

Es war ..., nun, sagen wir: peinlich, als dann immer noch mit jeder Post die Briefe von Heinrich kamen – monatelang. Aber die hörten ja auch einmal auf.


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