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Ja, nun habe ich eigentlich nur noch wenig zu erzählen, denn ich wollte nur eine Potsdamer Geschichte erzählen und nur die Heinrich Schöns, des jungen Heinrich Schön, von den reichen Schöns am Kanal.

Ich kann vielleicht noch sagen, daß Eduard Schön am übernächsten Tag eine Unterredung mit dem Geheimrat von Mühlensiefen hatte, eine Unterredung, die sehr ernst begann, die lange hin- und herschwankte und doch damit endete, daß sie sich beide sehr verbindlich die Hände schüttelten. Der Geheimrat sah diese Lösung nicht gerade ungern, denn er sagte sich, wenn man ihn zurückhole in den Dienst, um die verfahrene Karre ins rechte Geleise schieben zu helfen – und er wartete ja schon seit Jahr und Tag darauf, daß es geschähe –, so könne ihm ein Schwiegersohn, der Kaufmann und zudem noch religiös zweifelhafter Herkunft, nur hinderlich sein. Immerhin hatte er sich jetzt schon an den Gedanken gewöhnt, daß seine Tochter die Gattin des reichen, jungen Heinrich Schön würde, und es war ihm schwer, davon loszukommen. Auch für sein armes Hannchen wäre es doch sehr kompromittierend, und er wisse nicht, wie er es Frau Aurelie beibringen solle. Aber bei alldem empfand doch der Geheimrat eine gewisse Genugtuung, mit Eduard Schön zu verhandeln: An dem Mann war ja ein Beamter verlorengegangen, an der kühlen, großzügigen, unsentimentalen Art, wie er solche Sachen behandelte, mit eiserner Klarheit in der Richtung seiner Gedanken blieb.

Ja, und Heinrich selbst kam nur noch einmal nach Potsdam an einem Nachmittag, um Professor Friedrich Wilhelm Schneider zu besuchen und von ihm Abschied zu nehmen als von einem Stück seiner Jugend, von dem er sicher wußte, daß er es nicht wiederfinden würde.

Heinrich ging durch die heißen, stillen Straßen und wurde wieder gefangen von der wundervollen alten Ruhe über den köstlichen Häuserreihen – so ruhig war sein Leben einmal gewesen.

Draußen am Jägertor in einem ehrwürdigen, einfachen Häuschen, das ganz glatt war – es hatte nur ein paar abbröckelnde Reliefs unter den Fenstern –, wohnte Professor Friedrich Wilhelm Schneider. Von der Treppe aus ging es nicht erst auf einen Flur, sondern gleich in die Zimmer. Heinrich Schön klopfte.

»Disser da, der da klopft, soll noch nicht 'reinkommen, sondern er möge warten.«

Nach ein paar Augenblicken rief es dann: »Disser da mag eintreten!«

»Ach mein lieber, jonger Freund, sagen Sie: Haben Sie auch immer solch ein Kreuz mit dissen Unterbeinkleidern?«

Professor Friedrich Wilhelm Schneider saß mächtig und geschwellt in einem schwarzledernen Backenstuhl mit weißen Knöpfen, sehr blaß, sehr unordentlich gekleidet, ein Jammer anzusehen, ein Mann, der sein letztes Gastspiel absolviert, und er bastelte mit dicken Fingern an sich herum, um sich doch irgendwie zu präsentieren. In seiner Glatze spiegelte sich das Fenster.

»Ech höre, Se wollen fort von uns«, meinte Professor Friedrich Wilhelm Schneider. Es pfiff so seltsam zwischen seinen Worten, so blasebalgähnlich.

»Ja, ich habe geschäftlich in Brasilien zu tun!«

»So«, meinte Professor Friedrich Wilhelm Schneider wieder, »ech werde Ihnen eine Pfeife von mir mitgeben.« Er holte hinter sich von einem Regal einen von vielen Pfeifenköpfen, einen Porzellankopf mit buntem Bildchen darauf. »Nähmen Sie die, sie ist unbenutzt, und denken Sie später an Ihren alten Lehrer, der auch, gerade wie Sie es werden, lange dazu gebraucht hat einzusehen, daß der Tabak das Beste im Läben ist. Ich hätte Ihnen gern eine Zigarre angeboten, aber ich darf nicht rauchen. Ech schnupfe nur noch: Lutschi Tutschi und Bahia.«

»Aber Sie werden ja bald wieder rauchen können, Herr Professor.«

»Gewiß, man stellt ja auch den Petrus mit einer langen Pfeife dar. Die Ärzte sagen Lymphe, ech sage Wasser. Ech weiß, ech habe nichts im Läben erreicht; es war vielleicht nicht Dommheit, es war nächt Faulheit, es war Charakterschwäche.«

Heinrich Schön mußte lachen, so ernst ihm zumute war. Wie tausendmal hatte er dieses Wort aus dem Munde Schnöffkes gehört. Auf sich bezogen, auf Maltitz bezogen, auf jeden von ihnen. Und nun hörte er es wieder in anderem Sinne.

»Nächts von meinen Arbeiten ist fertig geworden, kein Buch. Das einzige, was ich sagen kann, ist, daß ich meine Schüler zu Menschen gemacht habe. Sähen Sie, lieber Schön, hier ist mein Doktordiplom. Da steht ganz groß: Seine Majestät der König Friedrich Wilhelm der Dritte, etwas kleiner, aber immer noch groß: Seine Magnifizenz der Rektor Magnificus, wieder etwas kleiner: der Herr Dekan der Philosophischen Fakultät, und ganz klein: Friedrich Wilhelm Schneider, der Doktorand. – So aber ist das geblieben.«

»Aber, Herr Professor« – daß Heinrich Schön schon wieder lachen mußte, er fühlte doch den Ernst! –, »so ganz klein sind Sie doch nun wirklich nicht!«

»Nein, bei unserem Schulmeisterberuf ist das ja nicht anders. Bei ons heißt es:

Wir sehen, du hast deine liebe Not,
Drum begraben wir dich unter Rosenrot.
Nun komme ein andrer und quäle sich tot!«

Er hatte Heinrichs Hand genommen. »Sä wissen das heute noch nicht, mein Freund, aber ech kann es Ihnen sagen: unser Leben ist wie eine Haselnuß, die man zufällig am Wege gefunden hat. Ärst beißt man sich die Zähne dran entzwei, bis man sie aufknackt – und nachher ist sie hohl. Also adieu, lieber jonger Freund, ich werde wohl bei Ihrer Rückkunft nicht mehr das Vergnügen haben, Sie begrüßen zu können; entschuldigen Sie mich, ich soll keine Besuche empfangen.«

Heinrich verabschiedete sich.

»Aber vergessen Sie doch Ähren Pfeifenkopf nicht.«

Das war das eine Mal, daß Heinrich in Potsdam war.

Und das zweite Mal war es dann auf dem Bahnhof. Er hatte noch einiges drin zu packen gehabt, seine Sachen hinschaffen lassen und wollte dann morgen oder noch in der gleichen Nacht von Berlin nach Hamburg.

Es war, trotzdem es Sommer war, eine herbstliche Stimmung. Ein leichter Nebel zog auf den Nuthewiesen. Es war heiß gewesen. Alles Laub hing schlaff. Ja, es war schon vorzeitig manches Blatt gelb geworden und abgefallen, so daß sie wie ein Ring am Boden um die Lindenbäume lagen. Heinrich dachte daran, daß er nun dieses Mal die Kastanien hier nicht reifen sehen würde. Er liebte sie, und es hatten ihm immer die leid getan, die bei ihm, am Kanal, ins Wasser fielen, ohne daß man seine Freude dran haben konnte.

Frau Antonie war da, Maltitz, Eduard Schön.

Frau Antonie, rätselhaft und entzückend wie stets, gleichmäßig lächelnd und freundlich, ohne ein Wort, ein Zeichen der Erregung oder Betrübung. Nur einmal zitterte so irgend etwas da unten, als sie sagte: »Seltsam, als wir uns das erste Mal sahen, hatte sich der Sommer einen Tag vorausgenommen, und heute der Herbst.«

Maltitz, elegant, soigniert, er hatte seinen beau jour, schenkte Heinrich einen schönen Palmrohrstock mit einem Achatgriff.

»Hier, mein Prinz«, sagte er, »ein Mensch, der einen Stock in der Hand hat, ist schon nicht allein.«

Und dabei sah er Eduard Schön von der Seite an. Der Mann gefiel ihm – Wespenprinzip im Leben: totmachen, ehe sie stechen!

»Und wiederum verkauft von dem berühmten Handelsmann im Süden«, sagte er halblaut zu Frau Antonie.

Und dann, als Heinrich Schön im Zug saß, rief er ihm noch nach: »Du, überleg dir die Sache. Ich würde lieber nach Homburg als nach Hamburg fahren.«

Heinrich Schön verstand.

»Ah so, zu Blanc in die Spielsäle«, rief er zurück. »Nein, das ist nichts für mich.«

»Der Prinz Wilhelm ist auch da.«

Das war das letzte, was er hörte. Dann kamen die Nuthewiesen, heute in einem melancholischen Hauch. Vom Brauhausberg winkte ihm der optische Telegraph mit langen unruhigen Armen nach, und eine Windmühle unterstützte ihn darin.


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