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Auf welchem Wege der Mensch sich am füglichsten hat Sprache erfinden können und müssen
Die Natur gibt keine Kräfte umsonst. Wenn sie also dem Menschen nicht bloß Fähigkeiten gab, Sprache zu erfinden, sondern auch diese Fähigkeit zum Unterscheidungscharakter seines Wesens und zur Triebfeder seiner vorzüglichen Richtung machte, so kam diese Kraft nicht anders als lebend aus ihrer Hand, und so konnte sie nicht anders, als in eine Sphäre gesetzt sein, wo sie würken mußte. Lasset uns einige dieser Umstände und Anliegenheiten genauer betrachten, die sogleich den Menschen, da er mit der nächsten Anlage, sich Sprache zu bilden, in die Welt trat, sogleich zur Sprache veranlaßten, und da dieser Anliegenheiten viel sind, so bringe ich sie unter gewisse Hauptgesetze seiner Natur und seines Geschlechts.
Erstes Naturgesetz
Der Mensch ist ein freidenkendes, tätiges Wesen, dessen Kräfte in Progression fortwürken; darum sei er ein Geschöpf der Sprache!
Als nacktes, instinktloses Tier betrachtet, ist der Mensch das elendeste der Wesen. Da ist kein dunkler, angeborner Trieb, der ihn in sein Element und in seinen Würkungskreis, zu seinem Unterhalt und an sein Geschäfte zeucht. Kein Geruch und keine Witterung, die ihn auf die Kräuter hinreißen damit er seinen Hunger stille! Kein blinder, mechanischer Lehrmeister, der für ihn sein Nest baue! Schwach und unterliegend, dem Zwist der Elemente, dem Hunger, allen Gefahren, den Klauen aller stärkern Tiere, einem tausendfachen Tode überlassen, stehet er da! einsam und einzeln! ohne den unmittelbaren Unterricht seiner Schöpferin und ohne die sichere Leitung ihrer Hand, von allen Seiten also verloren – – –
Doch so lebhaft dies Bild ausgemalt werde, so ists nicht das Bild des Menschen – es ist nur eine Seite seiner Oberfläche, und auch die stehet im falschen Licht. Wenn Verstand und Besonnenheit die Naturgabe seiner Gattung ist, so mußte diese sich sogleich äußern, da sich die schwächere Sinnlichkeit und alle das Klägliche seiner Entbehrungen äußerte. Das instinktlose, elende Geschöpf, was so verlassen aus den Händen der Natur kam, war auch vom ersten Augenblicke an das freitätige, vernünftige Geschöpf, das sich selbst helfen sollte und nicht anders als konnte. Alle Mängel und Bedürfnisse als Tier waren dringende Anlässe, sich mit allen Kräften als Mensch zu zeigen; so wie diese Kräfte der Menschheit nicht etwa bloß schwache Schadloshaltungen gegen die ihm versagten größern Tier-Vollkommenheiten waren, wie unsre neue Philosophie, die große Gönnerin der Tiere, will, sondern sie waren ohne Vergleichung und eigentliche Gegeneinandermessung seine Art! Der Mittelpunkt seiner Schwere, die Hauptrichtung seiner Seelenwürkungen fiel so auf diesen Verstand, auf menschliche Besonnenheit hin, wie bei der Biene sogleich aufs Saugen und Bauen.
Wenn es nun bewiesen ist, daß nicht die mindeste Handlung seines Verstandes ohne Merkwort geschehen konnte, so war auch das erste Moment der Besinnung Moment zu innerer Entstehung der Sprache.
Man lasse ihm zu dieser ersten deutlichen Besinnung soviel Zeit, als man will, man lasse, nach Buffons Manier (nur philosophischer als er), dies gewordne Geschöpf sich allmählich sammlen, man vergesse aber nicht, daß gleich vom ersten Momente an kein Tier, sondern ein Mensch, zwar noch kein Geschöpf von Besinnung, aber schon von Besonnenheit ins Universum erwache. Nicht wie eine große, schwerfällige, unbehülfliche Maschine, die gehen sollte und mit starren Gliedern nicht gehen kann, die sehen, hören, kosten sollte und mit starren Säften im Auge, mit verhärtetem Ohr und mit versteinter Zunge nichts von alle diesem kann. Leute, die Zweifel der Art machen, sollten doch bedenken, daß dieser Mensch nicht aus Platons Höhle, aus einem finstern Kerker, wo er von seinem ersten Augenblick des Lebens eine Reihe von Jahren hin ohne Licht und Bewegung sich mit offnen Augen blind und mit gesunden Gliedern ungelenk gesessen, sondern daß er aus den Händen der Natur, im frischesten Zustande seiner Kräfte und Säfte und mit der besten, nächsten Anlage kam, vom ersten Augenblicke sich zu entwickeln. Über die ersten Momente der Sammlung muß freilich die schaffende Vorsicht gewaltet haben – doch das ist nicht Werk der Philosophie, das Wunderbare in diesen Momenten zu erklären, sowenig sie seine Schöpfung erklären kann. Sie nimmt ihn im ersten Zustande der freien Tätigkeit, im ersten vollen Gefühl seines gesunden Daseins und erklärt also diese Momente nur menschlich.
Nun kann ich mich auf das vorige beziehen. Da hier keine metaphysische Trennung der Sinne stattfindet, da die ganze Maschine empfindet und gleich vom dunkeln Gefühl heraufarbeitet zur Besinnung, da dieser Punkt, die Empfindung des ersten deutlichen Merkmals, eben auf das Gehör, den mittlern Sinn zwischen Auge und Gefühl trifft, so ist die Genesis der Sprache ein so inneres Dringnis wie der Drang des Embryons zur Geburt bei dem Moment seiner Reife. Die ganze Natur stürmt auf den Menschen, um seine Kräfte, um seine Sinne zu entwickeln, bis er Mensch sei. Und wie von diesem Zustande die Sprache anfängt, so ist die ganze Kette von Zuständen in der menschlichen Seele von der Art, daß jeder die Sprache fortbildet. – Dies große Gesetz der Naturordnung will ich ins Licht stellen.
Tiere verbinden ihre Gedanken dunkel oder klar, aber nicht deutlich. So wie freilich die Gattungen, die nach Lebensart und Nervenbau dem Menschen am nächsten stehen, die Tiere des Feldes, oft viel Erinnerung, viel Gedächtnis, und in manchen Fällen ein stärkeres als der Mensch zeigen, so ists nur immer sinnliches Gedächtnis, und keines hat die Erinnerung je durch eine Handlung bewiesen, daß es für sein ganzes Geschlecht seinen Zustand verbessert und Erfahrungen generalisiert hätte, um sie in der Folge zu nutzen. Der Hund kann freilich die Gebärde erkennen, die ihn geschlagen, und der Fuchs den unsichern Ort, wo ihm nachgestellt wurde, fliehen; aber keins von beiden sich eine allgemeine Reflexion aufklären, wie es dieser schlagdrohenden Gebärde und dieser Hinterlist der Jäger je auf immer entgehen könnte. Es blieb also nur immer bei dem einzelnen sinnlichen Falle hangen, und sein Gedächtnis wurde eine Reihe dieser sinnlichen Fälle, die sich produzieren und reproduzieren – aber nie durch Überlegung verbunden: ein Mannigfaltiges ohne deutliche Einheit, ein Traum sehr sinnlicher, klarer, lebhafter Vorstellungen, ohne ein Hauptgesetz des hellen Wachens, das diesen Traum ordne.
Freilich ist unter diesen Geschlechtern und Gattungen noch ein großer Unterschied. Je enger der Kreis, je stärker die Sinnlichkeit und der Trieb, je einförmiger die Kunstfähigkeit und das Werk des Lebens ist, desto weniger ist, wenigstens für uns, die geringste Progression durch Erfahrung merklich. Die Biene bauet in ihrer Kindheit so wie im hohen Alter und wird zu Ende der Welt so bauen als im Beginn der Schöpfung. Sie sind einzelne Punkte, leuchtende Funken aus dem Licht der Vollkommenheit Gottes, die aber immer einzeln leuchten. Ein erfahrner Fuchs hingegen unterscheidet sich schon sehr von dem ersten Lehrlinge der Jagd: er kennet schon viele Kunstgriffe voraus und sucht ihnen zu entweichen – aber woher kennt er sie? und wie sucht er ihnen zu entweichen? Weil er sie voraus unmittelbar erfahren und weil unmittelbar aus solcher Erfahrung das Gesetz dieser Handlung folget. In keinem Falle würkt deutliche Reflexion, denn werden nicht immer die klügsten Füchse noch jetzt so berückt wie vom ersten Jäger in der Welt? Bei dem Menschen waltet offenbar ein andres Naturgesetz über die Sukzession seiner Ideen, Besonnenheit; sie waltet noch selbst im sinnlichsten Zustande, nur minder merklich. Das unwissendste Geschöpf, wenn er auf die Welt kommt, aber sogleich wird er Lehrling der Natur auf eine Weise wie kein Tier. Ein Tag nicht bloß lehrt den andern, sondern jede Minute des Tages die andre, jeder Gedanke den andern. Der Kunstgriff ist seiner Seele wesentlich, nichts für diesen Augenblick zu lernen, sondern alles entweder an das zu reihen, was sie schon wußte, oder für das, was sie künftig daran zu knüpfen gedenkt; sie berechnet also ihren Vorrat, den sie gesammlet oder noch zu sammlen gedenkt, und so wird sie eine Kraft, unverrückt zu sammlen. Solch eine Kette geht bis an den Tod fort: gleichsam nie der ganze Mensch, immer in Entwicklung, im Fortgange, in Vervollkommung. Eine Würksamkeit hebt sich durch die andre, eine baut auf die andre, eine entwickelt sich aus der andren. Es werden Lebensalter, Epochen, die wir nur nach den Stufen der Merklichkeit benennen, die aber, weil der Mensch nie fühlt, wie er wächset, sondern nur immer, wie er gewachsen ist, sich in ein unendlich Kleines teilen lassen. Wir wachsen immer aus einer Kindheit, so alt wir sein mögen, sind immer im Gange, unruhig, ungesättigt. Das Wesentliche unsres Lebens ist nie Genuß, sondern immer Progression, und wir sind nie Menschen gewesen, bis wir – zu Ende gelebt haben; dahingegen die Biene Biene war, als sie ihre erste Zelle bauete.
Zu allen Zeiten würkt freilich dies Gesetz der Vervollkommung, der Progression durch Besonnenheit, nicht gleich merklich; ist aber das minder merkliche deswegen nicht da? Im Traume, im Gedankentraume, denkt der Mensch nicht so ordentlich und deutlich als wachend, deswegen aber denkt er noch immer als ein Mensch – als Mensch in einem Mittelzustande, nie als ein völliges Tier. Bei einem Gesunden müssen seine Träume so gut eine Regel der Verbindung haben als seine wachenden Gedanken; nur daß es nicht dieselbe Regel sein oder diese so einförmig würken kann; selbst diese Ausnahmen zeugen also von der Gültigkeit des Hauptgesetzes, und die offenbaren Krankheiten und unnatürlichen Zustände, Ohnmachten, Verrückungen usw. zeugen es noch mehr. Nicht jede Handlung der Seele ist unmittelbar eine Folge der Besinnung; jede aber eine Folge der Besonnenheit: keine, so wie sie beim Menschen geschiehet, könnte sich äußern, wenn der Mensch nicht Mensch wäre und nach solchem Naturgesetz dächte.
Konnte nun der erste Zustand der Besinnung des Menschen nicht ohne Wort der Seele würklich werden, so werden alle Zustände der Besonnenheit in ihm sprachmäßig: seine Kette von Gedanken wird eine Kette von Worten.
Will ich damit sagen, daß der Mensch jede Empfindung seines dunkelsten Gefühls zu einem Worte machen oder sie nicht anders als mittelst eines Worts empfinden könne? Unsinn wäre es, dies zu sagen, da gerade umgekehrt bewiesen ist: Was sich bloß durchs dunkle Gefühl empfinden läßt, ist keines Worts für uns fähig, weil es keines deutlichen Merkmals fähig ist. Die Basis der Menschheit ist also, wenn wir von willkürlicher Sprache reden, unaussprechlich. Aber ist denn Basis die ganze Figur? Fußgestelle die ganze Bildsäule? Ist der Mensch seiner ganzen Natur nach denn eine bloß dunkel fühlende Auster? Lasset uns also den ganzen Faden seiner Gedanken nehmen: Da er von Besonnenheit gewebt ist, da sich in ihm kein Zustand findet, der im ganzen genommen nicht selbst Besinnung sei oder doch in Besinnung aufgeklärt werden könne, da bei ihm das Gefühl nicht herrschet, sondern die ganze Mitte seiner Natur auf feinere Sinne, Gesicht und Gehör, fällt und diese ihm immerfort Sprache geben: so folgt, daß im ganzen genommen auch kein Zustand in der menschlichen Seele sei, der nicht wortfähig oder würklich durch Worte der Seele bestimmt werde. Es müßte der dunkelste Schwärmer oder ein Vieh, der abstrakteste Götterseher oder eine träumende Monade sein, der ganz ohne Worte dächte. Und in der menschlichen Seele ist, wie wir selbst in Träumen und bei Verrückten sehen, kein solcher Zustand möglich. So kühn es klinge, so ists wahr: Der Mensch empfindet mit dem Verstande und spricht, indem er denket. Und indem er nun immer so fortdenket und, wie wir gesehen, jeden Gedanken in der Stille mit dem vorigen und der Zukunft zusammenhält, so muß jeder Zustand, der durch Reflexion so verkettet ist, besser denken, mithin auch besser sprechen. Lasset ihm den freien Gebrauch seiner Sinne: Da der Mittelpunkt dieses Gebrauchs in Gesicht und Gehör fällt, wo jenes ihm Merkmal und dieses Ton zum Merkmale gibt, so wird mit jedem leichtern, gebildetern Gebrauch dieser Sinne ihm Sprache fortgebildet. Lasset ihm den freien Gebrauch seiner Seelenkräfte. Da der Mittelpunkt ihres Gebrauchs auf Besonnenheit fällt, mithin nicht ohne Sprache ist, so wird mit jedem leichtern, gebildetern Gebrauch der Besonnenheit ihm Sprache mehr gebildet. Folglich wird die Fortbildung der Sprache dem Menschen so natürlich als seine Natur selbst.
Wer ist nun, der den Umfang der Kräfte einer Menschenseele kenne, wenn sie sich zumal in aller Anstrengung gegen Schwürigkeiten und Gefahren äußern? Wer ist, der den Grad der Vollkommenheit abwiege, zu dem sie durch eine beständige, innig verwickelte, so vielfache Fortbildung gelangen kann? Und da alles auf Sprache hinausläuft, wie ansehnlich, was ein einzelner Mensch zur Sprache sammlen muß! Mußte sich schon der Blinde und Stumme auf seinem einsamen Eilande eine dürftige Sprache schaffen; der Mensch, der Lehrling aller Sinne! der Lehrling der ganzen Welt! wie weit reicher muß er werden! Was soll er genießen? Sinne, Geruch, Witterung für die Kräuter, die ihm gesund, Abneigung für die, so ihm schädlich sind, hat die Natur ihm nicht gegeben, er muß also versuchen, schmecken, wie die Europäer in Amerika den Tieren absehen, was eßbar sei, sich also Merkmale der Kräuter, mithin Sprache sammlen! Er hat nicht Stärke gnug, um dem Löwen zu begegnen; er entweiche also ferne von ihm, kenne ihn von fern an seinem Schalle, und um ihm menschlich und mit Bedacht entweichen zu können, lerne er ihn und hundert andre schädliche Tiere deutlich erkennen, mithin sie nennen! Je mehr er nun Erfahrungen sammlet, verschiedne Dinge und von verschiednen Seiten kennenlernt, desto reicher wird seine Sprache! Je öfter er diese Erfahrungen siehet und die Merkmale bei sich wiederholet, desto fester und geläufiger wird seine Sprache. Je mehr er unterscheidet und untereinander ordnet, desto ordentlicher wird seine Sprache! Dies Jahre durch, in einem muntern Leben, in steten Abwechselungen, in beständigem Kampf mit Schwürigkeiten und Notdurft, mit beständiger Neuheit der Gegenstände fortgesetzt: ist der Anfang zur Sprache unbeträchtlich? Und siehe! es ist nur das Leben eines einzigen Menschen!