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Es tut mir leid, daß ich so viele Zeit verloren habe, erst bloße Begriffe zu bestimmen und zu ordnen; allein der Verlust war nötig, da dieser ganze Teil der Psychologie in den neuern Zeiten so jämmerlich verwüstet daliegt, da französische Philosophen über einige anscheinende Sonderbarkeiten in der tierischen und menschlichen Natur alles so über- und untereinandergeworfen und deutsche Philosophen die meisten Begriffe dieser Art mehr für ihr System und nach ihrem Sehepunkt als darnach ordnen, damit sie Verwirrungen im Sehepunkt der gewöhnlichen Denkart vermeiden. Ich habe auch mit diesem Aufräumen der Begriffe keinen Umweg genommen, sondern wir sind mit einemmal am Ziele! Nämlich:
Der Mensch, in den Zustand von Besonnenheit gesetzt, der ihm eigen ist, und diese Besonnenheit (Reflexion) zum erstenmal frei würkend, hat Sprache erfunden. Denn was ist Reflexion? Was ist Sprache?
Diese Besonnenheit ist ihm charakteristisch eigen und seiner Gattung wesentlich: so auch Sprache und eigne Erfindung der Sprache.
Erfindung der Sprache ist ihm also so natürlich, als er ein Mensch ist! Lasset uns nur beide Begriffe entwickeln: Reflexion und Sprache.
Der Mensch beweiset Reflexion, wenn die Kraft seiner Seele so frei würket, daß sie in dem ganzen Ozean von Empfindungen, der sie durch alle Sinnen durchrauschet, eine Welle, wenn ich so sagen darf, absondern, sie anhalten, die Aufmerksamkeit auf sie richten und sich bewußt sein kann, daß sie aufmerke. Er beweiset Reflexion, wenn er aus dem ganzen schwebenden Traum der Bilder, die seine Sinne vorbeistreichen, sich in ein Moment des Wachens sammlen, auf einem Bilde freiwillig verweilen, es in helle ruhigere Obacht nehmen und sich Merkmale absondern kann, daß dies der Gegenstand und kein andrer sei. Er beweiset also Reflexion, wenn er nicht bloß alle Eigenschaften lebhaft oder klar erkennen, sondern eine oder mehrere als unterscheidende Eigenschaften bei sich anerkennen kann: der erste Aktus dieser AnerkenntnisEine der schönsten Abhandlungen, das Wesen der Apperzeption aus physischen Versuchen, die so selten die Metaphysik der Seele erläutern, ins Licht zu setzen, ist die in den Schriften der Berlinschen Akademie von 1764. gibt deutlichen Begriff; es ist das erste Urteil der Seele – und –
Wodurch geschahe die Anerkennung? Durch ein Merkmal, was er absondern mußte und was, als Merkmal der Besinnung, deutlich in ihn fiel. Wohlan! lasset uns ihm das ευρεκα zurufen! Dies erste Merkmal der Besinnung war Wort der Seele! Mit ihm ist die menschliche Sprache erfunden!
Lasset jenes Lamm, als Bild, sein Auge vorbeigehn: ihm wie keinem andern Tiere. Nicht wie dem hungrigen, witternden Wolfe! nicht wie dem blutleckenden Löwen – die wittern und schmecken schon im Geiste! die Sinnlichkeit hat sie überwältigt! der Instinkt wirft sie darüber her! – Nicht wie dem brünstigen Schafmanne, der es nur als den Gegenstand seines Genusses fühlt, den also wieder die Sinnlichkeit überwältigt und der Instinkt darüber herwirft. Nicht wie jedem andern Tier, dem das Schaf gleichgültig ist, das es also klardunkel vorbeistreichen läßt, weil ihn sein Instinkt auf etwas anders wendet. – Nicht so dem Menschen! Sobald er in die Bedürfnis kommt, das Schaf kennenzulernen, so störet ihn kein Instinkt, so reißt ihn kein Sinn auf dasselbe zu nahe hin oder davon ab: es steht da, ganz wie es sich seinen Sinnen äußert. Weiß, sanft, wollicht – seine besonnen sich übende Seele sucht ein Merkmal – das Schaf blöket! sie hat Merkmal gefunden. Der innere Sinn würket. Dies Blöken, das ihr am stärksten Eindruck macht, das sich von allen andern Eigenschaften des Beschauens und Betastens losriß, hervorsprang, am tiefsten eindrang, bleibt ihr. Das Schaf kommt wieder. Weiß, sanft, wollicht – sie sieht, tastet, besinnet sich, sucht Merkmal – es blökt, und nun erkennet sies wieder! »Ha! du bist das Blökende!« fühlt sie innerlich, sie hat es menschlich erkannt, da sies deutlich, das ist mit einem Merkmal, erkennet und nennet. Dunkler? So wäre es ihr gar nicht wahrgenommen, weil keine Sinnlichkeit, kein Instinkt zum Schafe ihr den Mangel des Deutlichen durch ein lebhafteres Klare ersetzte. Deutlich unmittelbar, ohne Merkmal? So kann kein sinnliches Geschöpf außer sich empfinden, da es immer andre Gefühle unterdrücken, gleichsam vernichten und immer den Unterschied von zween durch ein drittes erkennen muß. Mit einem Merkmal also? Und was war das anders als ein innerliches Merkwort? Der Schall des Blökens, von einer menschlichen Seele als Kennzeichen des Schafs wahrgenommen, ward, kraft dieser Besinnung, Name des Schafs, und wenn ihn nie seine Zunge zu stammeln versucht hätte. Er erkannte das Schaf am Blöken: es war gefaßtes Zeichen, bei welchem sich die Seele an eine Idee deutlich besann – was ist das anders als Wort? Und was ist die ganze menschliche Sprache als eine Sammlung solcher Worte? Käme er also auch nie in den Fall, einem andern Geschöpf diese Idee zu geben, und also dies Merkmal der Besinnung ihm mit den Lippen vorblöken zu wollen oder zu können, seine Seele hat gleichsam in ihrem Inwendigen geblökt, da sie diesen Schall zum Erinnerungszeichen wählte, und wiedergeblökt, da sie ihn daran erkannte – die Sprache ist erfunden! ebenso natürlich und dem Menschen notwendig erfunden, als der Mensch ein Mensch war.
Die meisten, die über den Ursprung der Sprache geschrieben, haben ihn nicht da, auf dem einzigen Punkt gesucht, wo er gefunden werden konnte, und vielen haben also so viel dunkle Zweifel vorgeschwebt: ob er irgendwo in der menschlichen Seele zu finden sei? Man hat ihn in der bessern Artikulation der Sprachwerkzeuge gesucht; als ob je ein Orang-Utan mit ebenden Werkzeugen eine Sprache erfunden hätte? Man hat ihn in den Schällen der Leidenschaft gesucht; als ob nicht alle Tiere diese Schälle besäßen und irgendein Tier aus ihnen Sprache erfunden hätte? Man hat ein Principium angenommen, die Natur und also auch ihre Schälle nachzuahmen; als wenn sich bei einer solchen blinden Neigung was gedenken ließe und als wenn der Affe mit ebendieser Neigung, die Amsel, die die Schälle so gut nachäffen kann, eine Sprache erfunden hätten? Die meisten endlich haben eine bloße Konvention, einen Einvertrag, angenommen, und dagegen hat Rousseau am stärksten geredet; denn was ists auch für ein dunkles, verwickeltes Wort: ein »natürlicher Einvertrag der Sprache«? Diese so vielfache unerträgliche Falschheiten, die über den menschlichen Ursprung der Sprache gesagt worden, haben endlich die gegenseitige Meinung beinahe allgemein gemacht – ich hoffe nicht, daß sie es bleiben werde. Hier ist es keine Organisation des Mundes, die die Sprache machet: denn auch der zeitlebens Stumme, war er Mensch, besann er sich, so lag Sprache in seiner Seele! Hier ists kein Geschrei der Empfindung: denn nicht eine atmende Maschine, sondern ein besinnendes Geschöpf erfand Sprache! Kein Principium der Nachahmung in der Seele; die etwannige Nachahmung der Natur ist bloß ein Mittel zu einem und dem einzigen Zweck, der hier erklärt werden soll. Am wenigsten ists Einverständnis, willkürliche Konvention der Gesellschaft; der Wilde, der Einsame im Walde hätte Sprache für sich selbst erfinden müssen, hätte er sie auch nie geredet. Sie war Einverständnis seiner Seele mit sich, und ein so notwendiges Einverständnis, als der Mensch Mensch war. Wenns andern unbegreiflich war, wie eine menschliche Seele hat Sprache erfinden können, so ists mir unbegreiflich, wie eine menschliche Seele, was sie ist, sein konnte, ohne eben dadurch, schon ohne Mund und Gesellschaft, sich Sprache erfinden zu müssen.
Nichts wird diesen Ursprung deutlicher entwickeln als die Einwürfe der Gegner. Der gründlichste, der ausführlichste Verteidiger des göttlichen Ursprunges der SpracheSüßmilch, angef. Schr. Abschn. 2. wird, eben weil er durch die Oberfläche drang, die nur die andern berühren, fast ein Verteidiger des wahren menschlichen Ursprungs. Er ist unmittelbar am Rande des Beweises stehengeblieben, und sein Haupteinwurf, bloß etwas richtiger erkläret, wird Einwurf gegen ihn selbst und Beweis von seinem Gegenteile, der Menschenmöglichkeit der Sprache. Er will bewiesen haben, »daß der Gebrauch der Sprache zum Gebrauch der Vernunft notwendig sei«! Hätte er das, so wüßte ich nicht, was anders damit bewiesen wäre, »als daß, da der Gebrauch der Vernunft dem Menschen natürlich sei, der Gebrauch der Sprache es ebenso sein müßte«! Zum Unglück aber hat er seinen Satz nicht bewiesen. Er hat bloß mit vieler Mühe dargetan, daß so viel feine, verflochtne Handlungen, als Aufmerksamkeit, Reflexion, Abstraktion usw., nicht füglich ohne Zeichen geschehen können, auf die sich die Seele stütze; allein dies nicht füglich, nicht leicht, nicht wahrscheinlich erschöpfet noch nichts. So wie wir mit wenigen Abstraktionskräften nur wenige Abstraktion ohne sinnliche Zeichen denken können, so können andre Wesen mehr darohne denken; wenigstens folgt daraus noch gar nicht, daß an sich selbst keine Abstraktion ohne sinnliches Zeichen möglich sei. Ich habe erwiesen, daß der Gebrauch der Vernunft nicht etwa bloß füglich, sondern daß nicht der mindeste Gebrauch der Vernunft, nicht die einfachste, deutliche Anerkennung, nicht das simpelste Urteil einer menschlichen Besonnenheit ohne Merkmal möglich sei; denn der Unterschied von Zween läßt sich nur immer durch ein Drittes erkennen. Eben dies Dritte, dies Merkmal, wird mithin inneres Merkwort. also folgt die Sprache aus dem ersten Aktus der Vernunft ganz natürlich. – Herr Süßmilch will dartunEb. das. S. 52., daß die höhern Anwendungen der Vernunft nicht ohne Sprache vor sich gehen könnten, und führt dazu Wolffs Worte an, der aber auch nur von diesem Falle in Wahrscheinlichkeiten redet. Der Fall tut eigentlich nichts zur Sache; denn die höhern Anwendungen der Vernunft, wie sie in den spekulativen Wissenschaften Platz finden, waren ja nicht zu dem ersten Grundstein der Sprachenlegung nötig. Und doch ist auch dieser leicht zu erweisende Satz von Herrn Süßmilch nur erläutert; da ich erwiesen zu haben glaube, daß selbst die erste, niedrigste Anwendung der Vernunft nicht ohne Sprache geschehen konnte. Allein wenn er nun folgert: kein Mensch kann sich selbst Sprache erfunden haben, weil schon zur Erfindung der Sprache Vernunft gehöret, folglich schon Sprache hätte dasein müssen, ehe sie dawar, so halte ich den ewigen Kreisel an, besehe ihn recht, und nun sagt er ganz was anders: ratio et oratio! Wenn keine Vernunft dem Menschen ohne Sprache möglich war: wohl! so ist die Erfindung dieser dem Menschen so natürlich, so alt, so ursprünglich, so charakteristisch, als der Gebrauch jener.
Ich habe Süßmilchs Schlußart einen ewigen Kreisel genannt: denn ich kann ihn ja ebensowohl gegen ihn, als er gegen mich drehen: und das Ding kreiselt immer fort. Ohne Sprache hat der Mensch keine Vernunft und ohne Vernunft keine Sprache. Ohne Sprache und Vernunft ist er keines göttlichen Unterrichts fähig, und ohne göttlichen Unterricht hat er doch keine Vernunft und Sprache – wo kommen wir da je hin? Wie kann der Mensch durch göttlichen Unterricht Sprache lernen, wenn er keine Vernunft hat? Und er hat ja nicht den mindsten Gebrauch der Vernunft ohne Sprache. Er soll also Sprache haben, ehe er sie hat und haben kann? Oder vernünftig werden können ohne den mindesten eignen Gebrauch der Vernunft? Um der ersten Silbe im göttlichen Unterricht fähig zu sein, mußte er ja, wie Herr Süßmilch selbst zugibt, ein Mensch sein, das ist deutlich denken können, und bei dem ersten deutlichen Gedanken war schon Sprache in seiner Seele da; sie war also aus eignen Mitteln und nicht durch göttlichen Unterricht erfunden. – Ich weiß wohl, was man bei diesem göttlichen Unterricht meistens im Sinne hat, nämlich den Sprachunterricht der Eltern an die Kinder; allein man besinne sich, daß das hier gar nicht der Fall ist. Eltern lehren die Kinder nie Sprache, ohne daß diese nicht immer selbst mit erfänden. Jene machen diese nur auf Unterschiede der Sachen, mittelst gewisser Wortzeichen, aufmerksam, und so ersetzen sie ihnen nicht etwa, sondern erleichtern und befördern ihnen nur den Gebrauch der Vernunft durch die Sprache. Will man solche übernatürliche Erleichterung aus andern Gründen annehmen, so geht das meinen Zweck nichts an; nur alsdenn hat Gott durchaus für die Menschen keine Sprache erfunden, sondern diese haben immer noch mit Würkung eigner Kräfte, nur unter höherer Veranstaltung, sich ihre Sprache finden müssen. Um das erste Wort, als Wort, d. i. als Merkzeichen der Vernunft, auch aus dem Munde Gottes empfangen zu können, war Vernunft nötig, und der Mensch mußte dieselbe Besinnung anwenden, dies Wort, als Wort, zu verstehen, als hätte ers ursprünglich ersonnen. Alsdenn fechten alle Waffen meines Gegners gegen ihn selbst: er mußte würklichen Gebrauch der Vernunft haben, um göttliche Sprache zu lernen; den hat immer ein lernendes Kind auch, wenn es nicht wie ein Papagei bloß Worte ohne Gedanken sagen soll. Was wären aber das für würdige Schüler Gottes, die so lernten? Und wenn die ewig so gelernt hätten, wo hätten wir denn unsre Vernunftsprache her?