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IX.
Wiedererstattung.

Unerbittlich ging das Geschick seinen Weg. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher. Während auf dem Festlande sich die folgenschweren Ereignisse abspielten, trug das Auswandererschiff Frau Spalding und ihren Sohn zur Neuen Welt hinüber.

Schon bald nach der Abfahrt machte Paula die niederschlagende Entdeckung, daß ihr Sohn nicht die geringste Schulbildung genossen hatte, daß er weder Geschriebenes noch Gedrucktes lesen konnte. Sie begriff nicht, welche Beweggründe den Grafen vermocht hatten, ihrem Kinde zu versagen, was der Ärmste seinem Schutzbefohlenen mit allen Kräften zu vermitteln sucht. Geiz war es nicht, das stand fest, denn es war ihm ja niemals eine Ausgabe zu groß gewesen, um ihre Wünsche zu befriedigen. Es hatte den Anschein, als sei der Graf dabei mit Absichtlichkeit zu Werke gegangen. Welches waren die Beweggründe? Was hatte der reiche Mann davon, da0 ihr armer Junge unwissend aufwuchs? Noch vieles war da, was die Mutter nicht begriff. Wozu die strenge Abgeschlossenheit, wozu die dauernde Trennung von ihrem Sohne? Wozu das eifrige Streben, Mutter und Sohn aus der Nähe ins ferne Amerika zu verbannen? Die Gründe, die er früher angegeben hatte, waren nicht stichhaltig. Tröstlich war ihr nur, daß Willibald einen so klaren Verstand hatte und jedes Ding mit einer außerordentlichen Beharrlichkeit angriff. Paula wollte keinen Augenblick versäumen, mit der Fortbildung ihres Sohnes zu beginnen. Täglich beschäftigte sie sich einige Stunden damit, ihm das Lesen und Schreiben beizubringen. Die Unterrichtsweise ließ manches zu wünschen übrig, aber Willibald machte erstaunliche Fortschritte.

Anfangs war es ihm ganz spaßhaft vorgekommen, daß die Buchstaben, die da in langen Reihen aufmarschiert waren, einen Inhalt hatten, und daß er mit wenigen Strichen einen Gedanken ausdrücken konnte, zu dem er sonst ein großes Stück Papier oder Leinwand gebrauchte. Es dauerte nicht lange, so wuchs seine Lust am Lernen in einem solchen Grade, daß ihm Paula nicht genug Stoff mehr bieten konnte.

Der erste Besuch in Newyork galt dem Bankhause Meyer Brothers. Als Frau Spalding die Schwelle des großen Gebäudes betrat, kam ihr ein Zweifel, ob der Mann, der so unverantwortlich an ihrem Kinde gehandelt, auch wirklich Vorsorge für ihre Bedürfnisse getragen hatte. In ängstlicher Erwartung durchschritt sie die große Zahlhalle und gelangte in das Zimmer des Geschäftsinhabers.

Seine grauen, stechenden Augen hafteten auf ihr, als wenn er sie durchbohren wollte. Aber schon nach wenigen Augenblicken streckte Herr Meyer Paula die Hand entgegen und sprach im freundlichsten und wohlwollendsten Tone: »Mistreß Paula Spalding? So leben Sie wirklich noch und das Schreiben des Grafen von Cedernstein ist keine Täuschung gewesen? Ich hatte Sie längst tot geglaubt und habe oft an Sie gedacht, wenn ich im Geiste die verflossenen Jahre durchflog.«

Paula sammelte ihre Erinnerungen, und nun wurde es auch ihr klar im Geiste. Dieser Herr war mit Spalding eng befreundet gewesen und hatte manche Stunde in ihrem trauten Familienkreise zugebracht. Bei Spaldings Tode aber hatte er sich auf einer weiten Reise befunden.

»Ich kehre mit meinem Kinde aus Europa zurück, um in Newyork meinen dauernden Wohnsitz zu nehmen.«

»Und das ist der Willibald, der so oft auf meinem Schoße gesessen? Ja, ja, er ist es unverkennbar. Meine ich doch, den braven Spalding selbst vor mir zu sehen. Na, der Junge wird in die Fußstapfen seines Vaters getreten sein. Er zeigte ja damals schon die entschiedensten Anlagen. Nun, ich hoffe Sie und ihn oft in meinem Hause zu sehen. Ihre Freundin, Mary Summerville, ist meine Frau geworden. Sie wird sich freuen. Ich werde Sie gleich hinaufführen.«

Paula überreichte den Brief des Grafen Cedernstein, den Herr Meyer rasch mit den Augen überflog. »Sie haben da einen Kredit wie eine Fürstin,« sprach er lächelnd. »Sie hätten aber auch ohne den Brief kommen können, denn Mistreß Paula Spalding ist in den Geschäftsräumen des Hauses Meyer Brothers ebenso willkommen, wie in der Familienwohnung.

Mary Summerville empfing ihre ehemalige Freundin mit ungeheuchelter Freude. Paula war glücklich, daß die Sorgen um den Unterhalt glücklich von ihr genommen waren. Es blieb ihr nur noch die eine, dem Sohne eine angemessene Erziehung zu geben. Für eine öffentliche Schule war er zu alt und zu unwissend. Auch sträubte sich Willibald dagegen, weil er dabei nicht zum Malen gekommen wäre. Man beschloß also, ihm tüchtige Lehrer zu halten, und die waren mit Hilfe des Herrn Meyer bald gefunden. Bei seinen hervorragenden Anlagen und seinem seltenen Fleiße machte Willibald solche Fortschritte, daß er vor jungen Leuten seines Alters nicht zurückzustehen brauchte.

In dem Maße, wie sich sein Wissen mehrte, wurden auch seine Bilder gehaltvoller, und er glaubte nun bald mit seiner Arbeit öffentlich auftreten zu können. Dazu wurde ihm die Gelegenheit, als der Senat einen Wettbewerb ausschrieb, an dem der junge Spalding sich beteiligte. Mit einer Begeisterung ohnegleichen ging er ans Schaffen, und sein Bild war lange vor der Zeit der Ablieferung fertig. Die Anzahl der eingegangenen Gemälde war keine geringe. Selbst europäische Künstler, gelockt von dem großen Preise, hatten sich daran beteiligt.

»Nur Ein Bild hat allen unseren Anforderungen entsprochen,« lautete der Urteilsspruch der Preisrichter, »und dieses rührt von der Hand eines noch jungen unbekannten Künstlers her, Willibald Spalding ist sein Name.«

Willibald hatte sich ebenfalls eingefunden. Im entferntesten Winkel des Saales stand er mit klopfendem Herzen an eine Säule gelehnt und wartete des entscheidenden Augenblicks. Als jetzt sein Name genannt wurde, füllte sich seine Seele mit namenlosem Entzücken, aber er wäre nicht imstande gewesen, einen Fuß oder einen Finger zu bewegen. »Wenn Herr Spalding im Saale ist,« rief der Präsident mit erhobener Stimme, »so bitte ich ihn, vorzutreten«.

»Hier, hier!« rief jetzt eine mächtige Stimme durch den Saal. »Spalding ist hier!« '

Der das rief, war kein anderer, als der allgemein bekannte und geachtete Bankbesitzer Meyer, der sich mit seiner Frau durch die Menge drängte. Sie nahmen den Künstler in die Mitte und stellten ihn vor.

Welch ein Jubel, als der Präsident dem Preisgekrönten eine goldene Ehrenkette umhängte und ihm den hohen Geldpreis aushändigte! Den höchsten Lohn für Willibald aber bildete die Freude seiner Mutter.

Die Entscheidung im Wettbewerb machte Willibald Spalding zum berühmten Manne. Er vermochte die Aufträge, die von allen Seiten eingingen, nur zum geringen Teil auszuführen. Umso höher stiegen seine Einnahmen.

Geld blieb ihm jedoch ein gleichgültiges Ding. Er schaute es kaum an und glich also auch darin dem Vater. Es hatte nur insofern einen Wert für ihn, als er es durch seinen Fleiß verdiente. Seine Mutter dachte in diesem Punkte praktischer und verständiger. Banknote um Banknote nebeneinanderlegend, zählte sie den Betrag, während Willibald vor ihr stand und sie lächelnd anschaute.

»Zu dem Papiergelde habe ich nie rechtes Vertrauen gehabt,« sagte sie. »Wir wollen's bei Meyer umsetzen. Es kann einem verbrennen und zerreißen, und wer bürgt einem dafür, daß nicht falsche Stücke darunter sind?«

»Falsche? Gibt's auch falsche?« fragte Willibald und nahm eine von den Banknoten in die Hand. »Du mein Gott,« rief er aus, »solche Dinge habe ich ja auch schon gemacht!«

»Du?« fragte die Mutter verwundert.

»Ja, gewiß und nicht allein solche, sondern auch andere. Ich hätte damals nicht gedacht, daß man so ein Bildchen anstatt des Geldes gebrauchen könnte.«

Paulas Erstaunen wuchs, und sie forderte ihren Sohn auf, ihr alles genau zu erzählen.

»Ja, was ist da viel zu erzählen,« antwortete er. »Graf Cedernstein führte mich zuweilen in ein altes, von niemanden bewohntes Gebäude. Dort gab er mir ein Zimmerchen, und ich mußte in seiner Gegenwart allerlei Sachen zeichnen, an denen ich keine besondere Freude hatte. Er sagte jedoch, es sei notwendig und er wünsche es sehr. Im Anfange blieb er halbe Tage lang bei mir. Später ließ er mich allein, schloß mich aber ein und holte mich dann später wieder ab. Sein zweites Wort lautete immer: Nicht davon reden, es muß ein Geheimnis bleiben! Später brachte er auch solch ein Papiergeld, das ich für ein einfältiges Bildchen hielt. Ich mußte es genau nachmachen. So obenhin brachte ich's wohl fertig, aber das genügte ihm nicht. Die Nachbildung sollte ganz genau mit der Urschrift übereinstimmen. Alle Tage begann ich von neuem und zerknitterte vor Aerger das verdorbene Papier. Endlich, endlich war der Graf zufrieden. Er hatte ein Vergrößerungsglas mitgebracht, legte es über das Blättchen, verglich die kleinsten Strichlein miteinander und sagte zuletzt: Na, mein Junge, das ist gut geworden! Es darf aber keiner wissen, auch der alte Fiedler und die Magdalena nicht. Niemand als Du und ich, denn ich will der alleinige Besitzer dieser Bildchen bleiben. Nun aber mußt Du mir's auch auf den Stein da zeichnen. Ganz genau so, wie das Urbild, nicht ein Härchen darf fehlen. Solcher Bildchen habe ich eine Menge gemacht und sie alle auf Stein gezeichnet.«

»Was ist mit den Steinen geschehen?« fragte Paula.

»Das weiß ich nicht, Mutter! Ich glaube, der Graf hat sie mitgenommen.«

Die Mutter hatte die Erzählung ihres Sohnes mit steigender Angst angehört. »Mein Gott,« sagte sie mit beklemmter Brust, »Du hast einem Fälscher in die Hände gearbeitet. Der Graf hat Deine Geschicklichkeit benutzt, um sich einen unerlaubten Gewinn zu verschaffen. Als er die Steine in seiner Gewalt hatte, konnte er so viele Abdrücke davon machen, wie er Lust hatte. Natürlich mußtest Du schweigen, denn Dein Plaudern würde ihm sofort den Richter auf den Hals gejagt haben. Solche Fälschungen werden mit schwerer Strafe belegt. Ein Fälscher verliert für immer Achtung und Ehre. Mein Gott, wenn es bekannt würde, daß Du dabei geholfen hast. Ich ertrüge die Schande nicht! Aber, wie ist es denn möglich, daß Du nicht eher hinter das Verbrechen kamst? Du hast doch hundertmal Banknoten in den Händen gehabt?«

»Bei Fiedler niemals,« antwortete Willibald, »und später habe ich die Lumpen nicht einmal angesehen. Du weißt ja, wie wenig ich mir aus dem Gelde mache. Übrigens, Mutter, konnte ich ja damals nicht lesen, und ich wäre nicht imstande gewesen, zu sagen, was ich denn eigentlich für den Grafen machte.«

Paula wußte jetzt, warum der Graf ihren Sohn in Unwissenheit und Abgeschlossenheit gehalten hatte. Ein Abgrund der Verworfenheit tat sich vor ihr auf.

Willibald, der bisher so unschuldig und unerfahren in die Welt hineingelebt hatte, geriet denn doch auch in Schrecken, als er von den möglichen Folgen hörte. Am liebsten wäre er sogleich nach Europa abgereist, um den Grafen zur Rede zu stellen. Die Mutter aber ließ es nicht zu. In Deutschland hatte man die Betrügereien jetzt wahrscheinlich schon entdeckt, und dann wäre Willibald recht mitten in die Gefahr hineingelaufen.

Sie dachte wohl daran, Freund Meyer in die Angelegenheit einzuweihen und ihn um Rat zu befragen, konnte sich jedoch fürs Erste nicht dazu entschließen. Wohin sie blickte, sah sie Gefahren und Kerker und Ketten. Nach vielen schlaflosen Nächten kam sie endlich zu dem Entschlusse, zu schweigen und auch ihren Sohn dazu aufzufordern. Graf Cedernstein sollte jedoch erfahren, in welch schlimme Lage er sie gebracht hatte.

Eines Tages setzte sie sich hin und schrieb einen Brief:

 

»Herr Graf, von unserer glücklichen Ankunft und unserem Wohlergehen habe ich Ihnen bereits Meldung gemacht, auch nicht unterlassen, unseren tiefgefühlten Dank auszusprechen. Bis heute glaubte ich, Ihnen Dank schuldig zu sein. Nun aber bin ich zu der entgegengesetzten Einsicht gekommen. Als Sie mich damals aus den reißenden Fluten des Stromes retteten, wurden Sie von dem edlen Gefühle der Menschenliebe getrieben. Sobald Sie aber meine Geschichte gehört und meinen Willibald gesehen hatten, trat an die Stelle der edlen Regung krasser, herzloser Eigennutz. Schon damals zeichneten Sie sich Ihre Wege vor und trennten Mutter und Kind voneinander, damit Ihre Pläne nicht durchkreuzt würden. Jetzt weiß ich, warum ich meinen Sohn nicht sehen durfte, warum ich zehn Jahre lang sozusagen lebendig begraben wurde und mit niemanden Gemeinschaft pflegen durfte. Schrecklicher Gedanke! Sie leiteten mein Kind zum Verbrechen an, Sie hielten es in der größten Unwissenheit, damit es nicht zum Verräter wurde, und Sie ließen es täglich sein Versprechen wiederholen, stumm zu bleiben. Herr Graf, Sie haben an mir und Willibald schändlich gehandelt. Ich weiß jetzt, daß er in Ihrem Auftrage falsche Banknoten und Unterschriften anfertigte. Darum also mußten wir eine Stadt verlassen, in der wir möglicherweise ausgeforscht wurden.

Haben Sie sich schon einmal Rechenschaft darüber gegeben, was es heißt, ein unschuldiges Kind auf eine so verbrecherische Weise zu mißbrauchen? Ich glaube es kaum, denn Sie müßten in dem Augenblicke, wo Sie zum Bewußtsein Ihrer Verworfenheit kamen, sich selbst verachtet haben. Herr Graf, es läge in meiner Macht, Sie bis in den Staub zu erniedrigen, aber ich müßte dann auch den ehrenwerten Namen »Spalding« an den Pranger stellen. Darum schweige ich. Ich beschwöre Sie aber im Namen Gottes, von Ihrem Verbrechen abzulassen und den verursachten Schaden wieder gutzumachen. Wer weiß, durch welche Verkettung der Umstände alles an das Licht des Tages kommt, wenn Sie nicht bald umkehren.

Paula Spalding.«

 

Als dieser Brief ankam, lag Cedernstein noch auf dem Krankenbette. Die wilden Fieberphantasien hatten allerdings nachgelassen. Es war jedoch eine solche Abspannung des Körpers und des Geistes eingetreten, daß die Aerzte eine Reise in den Süden für dringend notwendig hielten.

Isabella erbrach den Brief und schrak zusammen. Ein einziges Wort von den Spaldings war hinreichend, ihren Gatten ins Zuchthaus zu bringen, sie und ihre Familie auf immer der Schande und Verachtung preiszugeben.

Jetzt kam ihr der Rat der Ärzte wie ein Fingerzeig vom Himmel. Die Nachforschungen nach dem Fälscher hatten längst begonnen und nahmen immer größere Ausdehnung an. Von Sennisheim hatte sie nichts zu fürchten, und Wolfgang hatte Stillschweigen gelobt. Wie leicht konnte ein Zufall auf die richtige Spur lenken! Fort, soweit als möglich fort, das war ihr einziger Gedanke. Um sich auch der Spaldings zu versichern, schrieb sie an Paula, schilderte ihre Herzensangst, die Krankheit ihres Mannes und gab das heilige Versprechen, daß aller Schaden ersetzt werden sollte.

Wolfgang hatte ihr seit Wallrams Erkrankung treulich zur Seite gestanden. Auf ihn vertraute sie mehr, als auf irgendeinen Sterblichen. »Wir müssen fort,« sagte sie eines Tages zu ihm. »Hier tötet mich die Angst. Nehmen Sie die oberste Verwaltung der Güter in die Hand und – entfernen Sie alles, was noch irgendwie Verdacht erregen könnte.«

Wolfgang versprach es gern. Isabella aber reiste mit dem kranken Gemahl leichteren Herzens nach Süditalien.

Am nämlichen Tage nahm Wolfgang den Schlüssel zum Kometen aus dem Turmzimmer und begab sich nach der Stadt. Er brauchte sich jetzt nicht mehr einen Weg durch die Mauer zu bahnen, sondern durfte durch die Türe hineingehen.

Zunächst begab er sich in das kleine Zimmer, wo er sorgfältig auf jedes Papierschnitzel Jagd machte. Diese Jagd war notwendig gewesen, denn es zeigte sich noch manches Verdächtige darunter.

Die Durchsuchung des Kometen beschäftigte ihn viele Tage lang. Dann aber konnte er die feste Überzeugung mit nach Kesselsheim nehmen, daß das alte Gebäude nicht zum Verräter werden würde.

Leichten Herzens wanderte Wolfgang nach dieser langen Arbeit hinauf in seinen Buchenwald und freute sich der prächtigen Bäume. Des alten Helferichs Geist und das freundliche Antlitz seiner Mutter schwebten ihm entgegen, und es war ihm, als ob sie seine Tat billigten. »Habe ich's recht gemacht?« fragte er. »Durfte ich den Verbrecher der verdienten Strafe entziehen?« Gott hat ihn bereits schwer gezüchtigt, sagte sich Wolfgang. Cedernstein wird seine Ruhe jedoch erst dann wiederfinden, wenn er vollen Schadenersatz geleistet hat. Lange dachte Wolfgang darüber nach, auf welche Weise den durch die Fälschungen geschädigten Wiedererstattung geleistet werden könne.

Endlich kam ihm ein vortrefflicher Gedanke. Die gräflichen Kassen waren mit großen Geldsummen gefüllt, und aus der neuererbten Herrschaft Bodenstein kamen ihrer täglich mehr. Ob sie ausreichten, den angestifteten Schaden wieder gutzumachen, das wußte er nicht, aber mit den vorhandenen Beständen konnte jedenfalls der Anfang gemacht werden, und das sollte geschehen. Wolfgang sprang auf und eilte nach dem Schlosse zurück. Dort forderte er die sämtlichen vorrätigen Gelder, erteilte der Kassenverwaltung auf Grund seiner Vollmacht eine Bescheinigung über den Empfang und legte die gewaltige Summe in der Residenz vertrauensvoll in die Hand der geistlichen Behörde. Bereits am dritten Tage erschien in sämtlichen Blättern des Reiches ein Verzeichnis der falschen Banknoten, die im Umlauf waren. An dieses Verzeichnis schloß sich die Aufforderung an die derzeitigen Besitzer, die Falschstücke bei der nächsten Steuerkasse niederzulegen, wo vollwertiger Ersatz geleistet werde.

Diese Aufforderung erregte überall ein unbeschreibliches Aufsehen. Die Leute glaubten, die Regierung habe diese Maßregel nur getroffen, um den Verbreitern und dadurch dem Fälscher selbst auf die Spur zu kommen.

Vergebens zerbrachen sich die Leute die Köpfe, wer der Fälscher sei. An den Grafen von Cedernstein dachte niemand.

Wolfgang fühlte sich außerordentlich glücklich. Durch seine eifrigen Bemühungen war der Graf vor schwerer Strafe bewahrt worden, und die Betrogenen hatten ihr Eigentum zurückerlangt. Nachdem alles geordnet war, kam ihm auch noch ein anderer Vorteil zum Bewußtsein. Mußte nicht der Graf notwendigerweise ein Gefühl der Dankbarkeit für ihn empfinden? War es denkbar, daß er Wolfgang den Besitz des Buchenwaldes noch länger streitig machte?

Wiederum waren Monate vergangen und der Herbst mit seinen Stürmen im Anzuge. Wolfgang hatte die unterirdischen Gewölbe sämtlich öffnen und die schadhaften Stellen ausbessern lassen. Dabei hatte die Hütte stark gelitten, und sie mußte am Ende ganz weggeräumt werden. Nur mit schwerem Herzen ließ Wolfgang es geschehen und bezog die unteren Räume.

Kaum hatte er sich in den alten Burgräumen wohnlich eingerichtet, als ein Schreiben an ihn gelangte, das mit dem großen Staatssiegel verschlossen war. Er konnte denken, was es enthielt, aber er fürchtete fast, es zu erbrechen. Seine Eingabe um Führung des Grafentitels war einer sorgfältigen Prüfung unterworfen worden. Es hatte sich unzweifelhaft ergeben, daß Wolfgang in gerader Linie von den alten Grafen von Feilenhauer abstammte und das Recht hatte, deren Titel und Wappen zu führen. Der König ermächtigte ihn zur Führung des Grafentitels. Um die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden, fügte der König den Namen Kesselsheim hinzu und nannte ihn: »Wolfgang, Graf von Feilenhauer zu Kesselsheim«. Wolfgangs Herz war von Dankbarkeit tief gerührt. So wenig Eitelkeit er auch besaß, so freute es ihn doch unbeschreiblich, daß das alte, so lange begrabene Geschlecht wieder zu Ehren gekommen war.

Tief bewegt nahte er sich dem Sarge Wyrichs. Die letzten. Rosen, die in seinem Gärtchen blühten, legte er auf seine Gruft. »Verzeihe Deinem späten Enkel, daß er Deine Ruhe störte und Deinen Staub aufwirbelte,« lispelte er. »Jahrhunderte ruhtest Du hier im offenen Sarge. Bald wird die Zeit kommen, wo der geweihte Acker Deine Reste aufnimmt. Gedulde Dich nur noch, bis Cedernstein mir den Wald zurückgegeben und ich der Mutter Geheimnis für alle Zeit geborgen weiß.«

Auf den Schutthügel hinaustretend, mußte er lächeln, denn mit einem einzigen Blicke seines Auges überschaute er die ganze Grafschaft zwischen den Ufern des plaudernden Baches. »Armer Graf,« sprach er zu sich selber, »wäre Dein Herz nicht genügsam, heute würde es die Leere seiner Würde empfinden und dem gesättigten Stolze würde die Gier nach einem größeren Gebiete folgen. Möge mich Gott vor einer solchen Verirrung beschützen!«

Am folgenden Tage kam abermals ein Schreiben, aber nicht aus der königlichen Hofburg, sondern aus dem fernen Süden. Gräfin Isabella schrieb: »Mein Freund, wie danke ich Ihnen, daß Sie die Gelder verwandten, um geschehenes Unrecht zu sühnen! Sie schrieben mir, Cedernstein stehe außerhalb alles Verdachtes, er könne heimkehren und sich von neuem des Lebens freuen. Ach, an die Heimkehr ist vorderhand nicht zu denken. Wallram hat es sich in den Kopf gesetzt, Sie verfolgten ihn. Ihre Versicherungen seien nur Schlingen, in denen Sie ihn fangen wollten. Sie müssen selbst kommen, ihn von diesem Wahne zu heilen. Wenn Sie meinen Brief erhalten, so säumen Sie keine Stunde. Bringen Sie die Papiere mit, die ihn überzeugen können, daß die Gefahr vorüber ist.«

Wolfgang glaubte, der Gräfin diesen Liebesdienst nicht versagen zu dürfen. Rasch entschlossen packte er die nötigen Papiere zusammen, nahm Abschied vom Pfarrer und reiste nach dem Süden.

Gern hätte er sich in den Alpen aufgehalten, um vor dem völligen Eintritte des Winters noch die großartige Natur zu genießen. Der Gedanke jedoch, daß die arme Gräfin die Stunden bis zu seiner Ankunft zählte, gebot ihm Eile. Bald lagen die Schneehäupter der Alpen hinter ihm, und sein Weg senkte sich hinab in das glückliche Land, an dem der fröstelnde Herbst noch keinen Anteil hatte.


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