Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.
Die Spieler.

Der Winter, der für Wolfgang Feilenhauer so folgenschwer gewesen war, neigte seinem Ende zu. Der Frühling nahte. Auf den Bergen und in den Tälern schmolz der Schnee. Die Bäche wurden zu Strömen und die Ströme zu Seen. Das im Tale gelegene Kesselsheim ragte wie eine Stadt im Meere aus der Wasserflut empor. Die guten Kesselsheimer vermochten sich nur mit Hilfe von Stelzen zu besuchen oder indem sie in Kähnen von einem Hause zum anderen ruderten. Wolfgang Feilenhauer mußte sich in seine beiden Dachstübchen flüchten. Er fürchtete mit Recht, daß schließlich das leichte Hüttchen umsinken und wegschwimmen werde.

Wenn Wolfgang nachts im Bette lag, hörte er unter sich ein eigentümliches Rauschen und Brausen, als ob sich die Wasser im Schoße der Erde in einem weiten Becken sammelten. Zuweilen zitterten die Balken des Hauses und wenn er das Ohr an einen der Pfosten hielt, hörte er ein dumpfes Getöse. Waren das nicht deutliche Anzeichen des kommenden Zusammensturzes der baufälligen Hütte? Wolfgang besann sich nicht länger. Kurz entschlossen zog er mit einigen Habseligkeiten in das höher gelegene Haus eines Nachbarn, der ihn freundlich bei sich aufnahm.

Wochen vergingen, bis das Wasser sich verlaufen hatte. Da kehrte Wolfgang zurück und säuberte seine Hütte von Erde und Schlamm, die fußhoch auf der Diele lagen. Das unterirdische Brodeln und Rauschen hatte immer noch nicht ganz aufgehört. Es wurde jedoch immer schwächer, bis es ganz verstummte. Da vernahm Wolfgang eines Tages in seinem Rücken plötzlich ein Rasseln und Prasseln. Als er sich umwendete, sah er am Fuße der blühenden Linde einen Wasserstrahl in die Höhe schießen. Der mächtige Baum neigte sich auf die Seite. Verwundert eilte er hin und betrachtete das unerklärliche Naturereignis. Als das Wasser zu schießen aufhörte, holte Wolfgang eine Stange und stieß sie da, wo der Springbrunnen gewesen war, in die Erde. Der Boden schien grundlos zu sein. In der Tiefe gurgelten die Wasser. Rasch eilte Wolfgang hinweg, denn er mußte fürchten, daß der unterhöhlte Boden ihm selbst Unheil bringen könne.

Jeden Tag schien sich der Lindenbaum ein wenig mehr auf die Seite zu neigen, aber er grünte und blühte lustig fort. Nicht ein Zweiglein, nicht ein Blättchen ließ er hängen. Wolfgang trauerte um den Baum, denn er sah, daß die Linde bald ganz zusammenstürzen würde.

Um den ehrwürdigen Baum zu erhalten, gedachte Wolfgang den ausgehöhlten Grund an der Baumwurzel mit Erde auszufüllen. Er grub und grub. Dumpf kollerten die Schollen in die Tiefe nieder. Plötzlich schoß eine gröbere Schicht Erde los, Wolfgang schaute zu seiner Verwunderung in ein gemauertes Gewölbe hinab, das von der eindringenden Sonne hell beleuchtet wurde. Sinnend stand er da und vermochte fürs erste nicht zu begreifen, wie das Gewölbe dahin gekommen sei und wozu es gedient habe. »Hier muß früher ein Haus gestanden haben,« dachte er, »und das ist der Keller gewesen. Wie lange mag das her sein? Vater und Mutter müssen es nicht gekannt haben, denn sie sprachen niemals davon.« Gern wäre Wolfgang hinab gestiegen, um das Gewölbe näher zu untersuchen. Er fürchtete indessen, es möchte nachstürzen und ihn begraben.

In Kesselsheim erregten das Gewölbe und der schiefe Lindenbaum großes Aufsehen. Die alten, fast vergessenen Geschichten von dem untergegangenen Schlosse und dem feindlichen Brüderpaare kamen wieder in Umlauf. Alt und jung lief herbei, um das Gewölbe zu sehen. Wolfgang war genötigt, es mit Brettern zu überdecken und das Tor des hölzernen Brückchens, das über den Bach führte, zu schließen. –

Wie alljährlich hatte sich der Graf von Cedernstein mit dem Eintritte des Frühlings in die Hauptstadt begeben, um dort dem Vergnügen zu leben. Auf seinem Schlosse war nur ein Teil der Dienerschaft zurückgeblieben. Wolfgang hatte für jetzt noch Ruhe mit dem Buchenwalde. Der Graf störte ihn nicht im Besitze. Leute, die den Grafen in der Stadt gesehen haben wollten, sagten, er treibe die Verschwendung in einem so großartigen Maßstabe, daß er bald zugrunde gehen müsse. Sie hatten recht und zwar in doppelter Beziehung, denn seine Gesundheit und sein Vermögen litten darunter.

Eines Tages war großes Pferderennen gewesen, und Cedernstein hatte durch unsinnige Wetten außerordentliche Summen verloren. Gleichwohl gab er abends dem Adel, der am Rennen teilgenommen hatte, ein glänzendes Fest. Es hatte den Anschein, als sei der Gastgeber ein Fürst mit unerschöpflichen Mitteln. Wagen auf Wagen fuhren an. Die Säle füllten sich mit Gästen. Die Gemächer erstrahlten im Lichte mächtiger Kronleuchter. Rauschende Musik drang bis auf die stillen Straßen der schlafenden Stadt. Der Champagner floß in Strömen.

Cedernstein hatte sich in ein kleines Gemach begeben. Dorthin folgte ihm etwa ein Dutzend seiner Gäste. Man setzte sich um einen grünen Tisch. Nicht lange, und die Tafel bedeckte sich mit Banknoten und Gold: Das Spiel konnte beginnen. Cedernstein war Bankhalter. Eine ungeheure Summe lag vor ihm, und sie vergrößerte sich noch mit jedem Augenblicke. Das Glück schien nicht von seiner Seite weichen zu wollen. Sein graues Auge blitzte vor Freude, und seine blassen Lippen zuckten in raschen Bewegungen, wenn er mit dem Rechen die gewonnenen Summen an sich zog.

»Meine Herren,« sagte er, »das Glück ist heute gegen Sie. Ich glaube, es liegt in Ihrem Vorteile, wenn wir das Spiel beendigen.«

»Das wäre schön!« antwortete ihm einer der Mitspielenden, ein Graf von Sennisheim. »Du hast uns sehr stark gerupft. Da müssen wir Dir einen Teil abjagen. Ich versuche mein Glück mit zehntausend Mark. Wer hält die Bank?« Cedernstein setzte die gleiche Summe.

Das Spiel begann, die verhängnisvolle Kugel rollte. Sie schlug ein, Cedernstein hatte verloren. Die Summe wurde verdoppelt. Wallram verlor abermals. So oft er auch das Schicksal versuchte, das Glück hatte ihn verlassen. Alles Geld, das noch kurz vorher in seinem Besitze war, war in die Taschen der Gewinner gewandert. »Du warst allzu zuversichtlich,« sprach Sennisheim. »Wir haben Dich gründlich gerupft.«

Cedernstein gab nun zur Antwort: »Wartet eine Weile. Ich hole neues Geld und hoffe, Euch damit den Gewinst wieder abzujagen.«

Rasch erhob er sich und eilte die Treppe hinauf in sein Kassenzimmer. Hastig schloß er die Riegel eines eisernen Schrankes auf und scharrte, was er vorfand, ungezählt in eine Truhe. »Verfluchter Spielteufel,« murmelte er. »Es wird noch dahin kommen, daß ich meine Güter verkaufen muß.«

Als er sich aus seiner gebückten Stellung erheben wollte, legte sich eine sanfte Hand auf seine Schulter. Wallram zuckte zusammen. Es war eine große schöne Frau, die ihn vorwurfsvoll anschaute. »Cedernstein,« sagte sie sanft, »das Spiel ist die unseligste aller Leidenschaften. Es öffnet den Weg zu vielen Verbrechen. Du hast heute große Summen verloren. Das Glück ist gegen Dich, und Du wirst voraussichtlich auch um dieses Geld kommen.«

»Sind wieder Horcher in meiner Nähe gewesen?« fragte der Angeredete ärgerlich.

»Nenne sie nicht so,« entgegnete seine Gemahlin. »Es ist meine Pflicht, daß ich Dir Vorstellungen mache. Im Geiste sehe ich den Tag kommen, wo wir nackt und bloß von Cedernstein auswandern müssen, um von den Almosen derer zu leben, die Dich jetzt berauben.«

Der Graf lachte verächtlich und antwortete: »Es ist möglich, daß uns Cedernstein verloren geht. Noch aber hat es nicht den Anschein. Wie Du weißt, habe ich den dortigen Besitz Jahr um Jahr vergrößert.«

»Freilich, aber mit erborgtem Gelde oder mit unbezahlten Schuldscheinen.«

»Isabella,« rief Cedernstein, »hast Du Dir's in den Kopf gesetzt, mir den heutigen Tag zu verderben?«

»Nein, gewiß nicht, ich will Dir nur spätere, schwere Verdrießlichkeiten, vielleicht Not und Elend, ersparen. Darum bitte ich Dich inständig, das Spiel aufzugeben.«

Statt einer Antwort schob Graf Cedernstein seine Gemahlin zur Seite und begab sich mit der Truhe hinab in das Spielzimmer. Ein freudiges »Ah!« empfing den Hausherrn. Die Kugel rollte aufs neue. Hinüber und herüber schwankte das Glück. Noch war keine Stunde verflossen, da sah Graf Cedernstein abermals mit leeren Händen vor seinen Spielfreunden.

»Wir haben Dich doch ganz anständig mitgenommen,« sagte Sennisheim spöttisch.

Wütend sprang Cedernstein auf, riß seine Brieftasche heraus, schrieb einen Gutschein und hielt ihn dem Spötter mit den Worten unter die Nase: »Heute kann ich nicht mehr mit barem Gelde zahlen. In vierzehn Tagen löse ich dieses Papier ein. Willst Du um den Betrag spielen, so erkläre Dich.«

»Warum nicht,« entgegnete Sennisheim. »Ich würde sogar um das Zehnfache spielen. Heute ist das Glück mit mir, und ich würde ganz sicher gewinnen.«

Bald rollte die Kugel. An ihrem gleichförmigen und gleichgültigen Gerassel war nicht abzunehmen, ob das Spiel um einen Gulden, oder um eine Million ging. Cedernstein sah dem Rade mit fieberhafter Spannung nach. Er hätte die Kugel mit seinen Blicken bannen und in die richtige Vertiefung schleudern mögen, aber gefühl- und teilnahmlos surrte die Tänzerin dahin. Ein Schlag: Die Kugel war gefallen.

Cedernstein ergriff mit zitternden Händen das Rad. »Hölle und Teufel!« schrie er, als sein Auge auf die Nummer fiel. »Hier ist der Schein. Das Spiel ist zu Ende!«

Sennisheim nahm das Papier, prüfte es und sprach: »In vierzehn Tagen also! Nun, ich rechne darauf, daß Du pünktlich bist. Du weißt, Ehrenschulden darf man nicht hinausschieben.«

»Und warum glaubst Du, daß ich nicht pünktlich sein würde?«

»Offen gestanden, weil ich fürchte, daß es Dir doch etwas schwerfallen wird, das Geld zusammenzubringen. Wenn mich meine Berechnung nicht täuscht, hast Du in den letzten Wochen so ziemlich Dein ganzes Vermögen verloren.«

»In meine Vermögensverhältnisse habe ich noch keinen Fremden hineinblicken lassen,« sprach Cedernstein mit unvereinbarem Ingrimme. »Auch räume ich niemand das Recht ein, darüber ein Urteil zu fällen; ich denke, meine Unterschrift genügt.«

»Vollkommen,« antwortete Sennisheim, verbeugte sich kalt und verlieb das Zimmer. Die anderen folgten seinem Beispiele und ließen den Herrn des Hauses allein.

Die Arme über der Brust gekreuzt, lief er auf und ab und murmelte: »Diese erbärmlichen Schufte, sie haben mir alles genommen. Wenn die Güter jetzt verkauft werden, so reicht der Erlös wahrhaftig kaum hin, um die Schulden zu decken. Welch ein Triumph für sie, wenn es plötzlich heißen würde: Der Cedernstein ist nicht mehr imstande, seine Spielschulden zu bezahlen! Dahin soll es nicht kommen. Ich werde ihnen die Mäuler mit klingender Münze stopfen.«

Unterdessen hatte Gräfin Isabella von Cedernstein sich der schweren Aufgabe unterzogen, die Gäste zu unterhalten. Welche Erlösung, als ein Gast nach dem andern sich unter dem Vorwande verabschiedete, die Stunde sei schon weit vorgerückt. In Wahrheit hatte sich schnell das Gerücht von den ungeheuern Spielschulden des Gastgebers verbreitet, ein Gerücht, das um so mehr übertrieb, je weiter es umhergetragen wurde. Eine dunkle Ahnung beschlich die Herrin des gräflichen Hauses. Isabella suchte ihren Gatten und fand ihn im Spielzimmer. Ein Blick auf den Tisch zeigte ihr, daß ihre Befürchtung leider nur zu berechtigt gewesen war. Cedernstein hatte sich auf eines der schwellenden Polster niedergelassen. Ganz mit sich selbst beschäftigt, bemerkte er den Eintritt der treuen Gattin nicht. Bleich wie der Tod, mit den Händen in der Luft umherfechtend, stieß er furchtbare Flüche aus, verwünschte sich selbst und seine abscheulichen Freunde und raufte sich sein alterndes Haar.

»Cedernstein!« rief Isabella mit schwacher Stimme.

Der Graf fuhr erschreckt empor. »Was willst Du hier?« fragte er.

»Wäre es nicht besser gewesen, wenn Du mir gefolgt hättest?« lispelte sie. »Deine letzten Hilfsquellen sind erschöpft, und es warten zahllose Rechnungen.«

»Wäre ich zurückgetreten, so hätte man mich für einen Ehrlosen angesehen.«

»Nur wenige würden das getan haben. Nur diejenigen, die mit Dir dem schmachvollen Laster des Spieles fröhnen. Alle Guten und Besonnenen aber würden Dich geachtet haben.«

»Unter den Guten und Besonnenen denkst Du dir den gemeinen Pöbel.«

»Ja, was Du so nennest. Doch, wir wollen nicht darüber streiten, welche blasse der Gesellschaft den Vorzug verdient. Wir können unsere Zeit besser anwenden, wenn wir einen Weg aufsuchen, auf dem mit einem Reste unseres Vermögens zugleich der gute Name der Familie Cedernstein zu retten ist. Ich kenne Deine Schulden nicht alle, aber ich glaube nicht allzusehr zu irren, wenn ich annehme, daß nach Bezahlung derselben immer noch so viel übrigbleibt, um wie eine Bürgerfamilie in stiller Eingezogenheit zu leben. Hier und in Kesselsheim könnten wir freilich nicht bleiben. Wir müßten nach einem entfernten Orte ziehen.«

»Baue keine Luftschlösser, Isabella,« unterbrach sie der Graf rauh. »Wenn ich alle unsere Schulden bezahlen wollte, so müßte unser Besitz mehr als doppelt so groß sein, als er wirklich ist.«

»Mein Gott, Cedernstein, ist das Dein Ernst?«

»Vollkommen, aber keine Sorgen! Ich habe unerschöpfliche Hilfsquellen, die noch nicht ausgebeutet sind. Wenn ich sie anbohre, flieht das Geld in einem ununterbrochenen Strome. Ich habe keine Lust, mir Schranken aufzulegen, und Du sollst es auch nicht. Solange ein Cedernstein lebt, darf es nur im höchsten Glanze sein.«

»Aber ich verstehe wirklich nicht, was Du damit sagen willst.«

»Ist auch nicht nötig, Isabella. Dem Manne kommt es ja zu, die Mittel herbeizuschaffen, die zu einem behaglichen Leben erforderlich sind.«

Die Gräfin seufzte. »Weiß Gott, Cedernstein, unser Leben ist schon lange nicht mehr behaglich.«

»Fehlt Dir etwa irgendeine Bequemlichkeit? Hast Du nicht Pferde, Wagen, Diener, kurz alles, was ein Mensch wünschen kann?«

»Mehr als das, Cedernstein. All dieser Glanz trägt jedoch nichts zur Behaglichkeit bei. Es wäre mir lieber, wir lebten in einer Hütte nur für uns, und täten all den wüsten Lärm von uns.«

Aergerlich und mit viel weniger Zartheit, als es der feinfühlenden Frau zukam, gab er zur Antwort: »Isabella, Deine Ansichten und Neigungen waren immer sehr spießbürgerlicher Natur. Das kann mich nicht bestimmen, unseren Rang aufzugeben und wie ein einfacher Bürger zu leben.«

»Ich weiß leider, daß meine stillen Neigungen keine Beachtung finden. Ich meine jedoch, das Spiel gehöre nicht notwendig zu dem gräflichen Ansehen. Darum bitte ich Dich recht inständig, lieber Cedernstein, es aufzugeben. Diese Menschen, die Deine Gastfreundschaft genießen, kennen nur das eine Ziel, Dich auszubeuten. Du solltest zu stolz sein, mit ihnen in dieser Weise zu verkehren. Im Grunde genommen ist ihre ganze Denk- und Handlungsweise doch widerlich gemein.«

»Gemeine Hunde sind's. Darin hast Du recht, und ich würde Deinem Rate folgen, wenn ich ihnen den Raub nicht wieder abjagen müßte.«

»Laß sie behalten, was sie haben,« bat Isabella flehentlich und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Er aber machte sich los und sagte heftig: »Schweigen wir davon! Was macht die Gesellschaft?«

»Was noch zurückgeblieben ist, berauscht sich in unserem Champagner.«

Cedernstein erhob sich. »Gehst Du noch mit hinein?« fragte er.

»Es ist mir nicht möglich,« gab sie zur Antwort. Langsam und mit beklemmter Brust schritt Isabella die Treppe hinauf zu ihren Gemächern.

Als der Graf in den Speisesaal trat, hörte er hinter dicht zusammenstehenden Lorbeerbäumen ein leises Flüstern. Da sein Name erwähnt wurde, so trat er an die andere Seite der Gruppe. Er konnte die Sprechenden nicht sehen, aber er erkannte den Grafen von Sennisheim deutlich an der Stimme.

»Der Cedernstein sitzt noch im Spielzimmer und grübelt über seine Verluste nach!« sprach er mit einem Tone unverkennbarer Schadenfreude. »Sahst Du nicht, welch einen furchtbaren Eindruck es auf ihn machte, als er Schlag auf Schlag verlor?«

»Es ist mir nicht entgangen, und ich habe mich sehr darüber gewundert, da er doch sonst seine Verluste mit großem Gleichmute zu tragen pflegt.«

»Das hat seine besonderen Gründe,« fuhr Sennisheim fort, indem er seine Stimme noch mehr dämpfte, »ich will sie Dir anvertrauen, damit Dir kein Schaden erwächst. Schau', der Cedernstein ist durch seine unsinnige Verschwendung heute schon ein verlorener Mann. Von seinen Besitzungen gehört längst kein Halm mehr ihm. Es ist alles über und über verschuldet. Sein bares Geld, das letzte, das er aus seinen Forsten machen konnte, ist heute auf dem Spieltische verloren gegangen. Ich weiß, mit Bestimmtheit, daß er den Schuldschein nicht einlösen kann, den er mir übergeben hat. Von seinen Verschreibungen habe ich nach und nach einen großen Teil an mich gebracht. Merkst Du nun, wo meine Absicht hinausläuft?«

»Ich muß gestehen, daß ich es nicht einsehe.«

»Und doch ist nichts auf der Welt einfacher! Wenn er den Schuldschein nicht zahlen kann, so kehre ich die rauhe Seite heraus. Ich denke, es soll mir nicht schwer fallen, in kurzer Zeit sein schönes Besitztum an mich zu bringen. Wir wären dann beide geborgen und brauchten nicht mehr bei günstigen Gelegenheiten unseren Vorteil auf allerlei Umwegen zu erreichen suchen. – Er wird wahrscheinlich bei seinen Freunden Anleihen zu machen suchen, aber halte Du Deine Taschen zu! Den übrigen brauche ich keine Warnung zukommen zu lassen. Heute trinken sie seinen Champagner und morgen, wenn die Quelle versiegt, wenden sie ihm den Rücken.«

Cedernstein, dem kein Wort der Unterredung entging, sprühte Feuer und Flammen. Es fehlte nicht viel, so wäre er hervorgesprungen und hätte dem Menschen an der Kehle gefaßt. Wenn er indessen seinem Zorne freien Lauf ließ, so war ein Zweikampf die unvermeidliche Folge, und dem wollte er sich nicht aussetzen. »Es ist, wie Isabella sagt,« murmelte er zwischen den Zähnen, »es sind gemeine Kreaturen. Ich habe mein Geld, meine Zeit, meine Gesundheit und ich fürchte auch meinen Ruf mit ihnen verlottert. Doch meinen Sturz sollen die Schurken nicht erleben. Im Gegenteil, ich werde ihnen zeigen, daß der Cedernstein unerschöpfliche Fundgruben hat. Sennisheim, du Lump, der es auf meinen Untergang abgesehen hat, du sollst die Scheine herausgeben. Meine Güter müssen frei von Schulden werden! Ein Tor bin ich, daß ich nicht schon längst auf dem Wege wandelte, der zum höchsten Reichtum führt.«

Auf einem Ecktische stand ein Kristallglas mit Wasser. Rasch stürzte Graf Cedernstein ein paar Gläser hinunter, um seine Nerven zu beruhigen. Dann trat er unter seine lärmenden Gäste. Graf von Sennisheim sprach zu seinem Gefährten: »Schau', wie ihn der Schlag niedergeschmettert hat! Sieht er nicht aus wie ein Mensch, der mit der Welt abgeschlossen hat? Man hat Beispiele, daß Leute in solch widerwärtigen Verhältnissen ihrem Leben ein Ende machen. Das käme zu früh. Ich muß ihn etwas aufheitern.«

Mit der freundlichsten Miene von der Welt ging Sennisheim auf sein Opfer zu, reichte ihm lächelnd die Hand und sprach: »Heute hat mich das Glück so unmenschlich verfolgt, daß ich für morgen fürchte. Es pflegt einen in der Regel recht hoch zu heben, damit der Sturz desto tiefer sei. Übrigens, Graf, trage ich wahrhaftig Bedenken für den Schein Zahlung anzunehmen, denn ich drängte Dich etwas unvornehm zum Spiel, und Du konntest nicht gut ausweichen.«

»Deine Bedenken,« antwortete der Graf, »finde ich nicht an der Zeit. Ein Ehrenmann zahlt, was er verloren hat, zumal, wenn es sich um eine solche Kleinigkeit handelt. Morgen sende ich einen Eilboten nach Cedernstein und ich hoffe, daß er zeitig genug zurück ist, damit wir das unterbrochene Spiel wieder aufnehmen können.«

Sennisheim stutzte. »Du nennst das eine Kleinigkeit?« sprach er. »Wahrhaftig, Deine Schatzkammern müssen unerschöpflich sein. Ich muß Dir offen bekennen, daß ich verloren wäre, wenn mich ein solcher Schlag träfe.«

»Bah, wie Du sprichst! Freilich, wenn es allein vom Ertrage der Wälder und Ländereien herkommen sollte, dann möchte es nicht weit langen.«

»Du hast also noch andere Hilfsquellen?« fragte Sennisheim lauernd.

Cedernstein antwortete nicht, aber er warf ihm einen Blick zu, in dem deutlich geschrieben stand: »Nur ein Mann von unermeßlichem Vermögen kann einen solchen Aufwand machen – und ich besitze es.«

Diese kurze Unterredung hatte dazu gedient, ihm seine ganze Fassung wiederzugeben. Mit gewinnender Freundlichkeit und der Gewandtheit eines vollendeten Weltmannes stieß er mit seinen lallenden Gästen an und forderte sie auf, den Becher der Freude bis zur Neige zu leeren.

Sennisheim folgte ihm überall mit den Augen. »Das ist nur eine gemachte Fassung,« murmelte er vor sich hin. »Die Sendung nach Cedernstein, wo alle Kassen leer sind, ist nichts als eitle Flunkerei. In den nächsten Tagen wird ein schreckliches Licht in seine Verhältnisse fallen, und dann reißen wir ihm mit Hohnlachen die Maske vom Gesichte. Aber er versteht es wahrhaftig, sich zu beherrschen. Ich weiß nicht, ob ich imstande wäre, es ihm nachzutun.«

Eine Weile hernach hatten die letzten Gäste das Haus Cedernstein verlassen. Graf Wallram blieb allein zurück und lehnte in Gedanken versunken an einer Säule des großen Saales. »Sennisheim hat eine feine Spürnase,« lispelte Wallram, »und ein guter Rechenmeister ist er auch. Meine Güter sind dahin wie eine Seifenblase, die in ihrem höchsten Glanze zerplatzt und nichts übrig läßt, als ein wenig Schaum. Aber seine Berechnung soll doch zuschanden werden. Jetzt gilt es, das Verlorene wieder zu erlangen. Wenn das geschehen ist, dann kehre ich der saubern Sippe den Rücken und, wahrlich, keiner von ihnen soll jemals wieder meine Schwelle betreten.«

Gräfin Isabella hatte sich noch nicht zur Ruhe begeben. Sie erwartete ihren Gemahl und hatte die feste Absicht, ihre ganze Überredungskunst aufzuwenden, um ihn vom Spiele zurückzuhalten. Wenn sie auch nicht den ganzen Umfang des Unglücks kannte, so hatte ihr doch nicht alles verborgen bleiben können. Sie wußte so gut wie Sennisheim, daß sie ihren Reichtum nur noch dem Namen nach besaßen. Durch ihres Mannes leidenschaftliche Spielwut mußte der Einsturz des papierenen Gebäudes bald erfolgen. Doch das war nicht die einzige Sorge, die an ihrer Seele nagte. Sie hatte mit Schrecken bemerkt, daß Wallram, seitdem er dem Spiele fröhnte, kalt und gefühllos geworden, und daß für die stillen häuslichen Freuden kein Platz mehr in seinem Herzen war.

Als Jüngling war er großherzig und edelmütig gewesen, hatte sich für Kunst und Wissenschaft begeistert und war überall dabei gewesen, wenn es galt, einem vaterländischen oder menschenfreundlichen Werke zu dienen. Von alledem war keine Rede mehr. Wallram ging jetzt mit einem mürrischen, mehr in sich selbst als auf die Menschen gerichteten Blicke einher. Er sprach wenig, aber das wenige zeigte, wie schrecklich leer seine Seele war. Nur wenn von einer Hetzjagd, von einem Wettrennen oder vom Spiele die Rede war, konnte er sich noch begeistern. Dann leuchtete auch sein Auge wieder. Es war ein unheimlicher Glanz, der seine Gattin zittern machte. Wenn der Geist des Bösen, der schon jetzt häufig Gewalt über ihn hatte, vollständig Besitz von seiner Seele nahm, dann – –, sie dachte den Gedanken nicht aus, aber eine heiße Träne bekundete, wie furchtbar sie sich die Zukunft dachte.

Isabella überdachte den folgenden Plan: Der Graf sollte seine sämtlichen Güter verkaufen und mit dem Erlös die Gläubiger befriedigen. Blieb etwas übrig, so sollte es zur Gründung seiner stillen Häuslichkeit auf dem Lande dienen. War dies nicht der Fall, so wollten sie zu ihren Eltern ziehen, deren einzige Tochter sie war. Um jeden Preis aber mußte sie ihn den gierigen Händen entreißen, in deren Gewalt er sich jetzt befand.

Aus ihren Plänen und Träumen wurde sie durch das Rollen der Wagen aufgeweckt. Froh, daß endlich die Gasterei zu Ende ging, hoffte die Gräfin, daß Wallram kommen werde.

Leise öffnete sie die Türe, um seinen Tritt nicht zu überhören; aber Wallram blieb aus. Es wurde still im Hause. Die Dienerschaft begab sich in ihre Kammern, der Graf kam noch nicht. Da wurde es ihr ängstlich zumute, und sie eilte die Treppe hinab. Ihr erster Gang war nach dem Spielzimmer, wo über dem grünen Tische noch immer die Lampe brannte, die die Diener zu löschen vergessen hatten.

Wallram war nicht da, aber die leere Truhe stand auf dem Tische. »So ist auch dieses hin,« flüsterte Isabella wehmütig. »Morgen werden die Rechnungen kommen, und ich habe den Leuten nichts zu geben.« Sie ging zu dem Speisesaale und öffnete die Türe. »Wallram!« rief sie. Nur ein dumpfer Widerhall gab ihr Antwort. Da gab Isabella die Hoffnung auf, heute noch mit ihrem Gatten reden zu können.


 << zurück weiter >>