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XI.

Kampf und Sieg. Allgemeine Annahme des Christenthums. Schluß.


Die Sonne beleuchtete bereits die Bucht, als Helene aus ihrer Betäubung erwachte. Eine der christlichen Frauen, welche durch Pomare's plötzlichen Ueberfall gerettet worden war, hielt ihr blutiges Haupt auf ihrem Schoße und träufelte den heilenden Saft einer Pflanze auf die Wunde.

Sie strich sich die langen Locken aus dem Gesichte und starrte um sich her. Der Boden war mit Blut gefärbt, zerbrochene Waffenstücke und schwer Verwundete lagen umher.

Wo ist Matheo? fragte sie ihre Wärterin.

Upafara hat ihn während des Kampfes hinweggeführt, gab diese zur Antwort.

Wohin, fragte Helene.

Ich weiß es nicht, gab das Weib zur Antwort, aber der Kampf wogt noch immer der Küste entlang.

Da schnellte Helene empor und ohne auf den Ruf der Papeiterin zu warten, eilte sie schnellen Laufes davon. Auf dem Wege lag ein Beil, welches ein Fliehender von sich abgeworfen hatte. Das ergriff sie und stürmte weiter. Keine Müdigkeit, kein Durst, keine Furcht kam über sie.

Nach langem Laufe erblickte sie die kämpfenden Schaaren. Mit einem lauten Freudenjauchzen nahm sie wahr, daß die Orodiener zurückwichen und die Christen überall Terrain gewannen. Ihre ganze Seele lag in ihrem Auge, denn es spähte nach Matheo. Lange war ihr Suchen vergebens; endlich aber erblickte sie Upafara's riesige Gestalt. Sein rechter Arm hing schlaff herab und blutete stark. Aus dem Kampfe sich losreißend, ergriff er die Flucht und schleppte Matheo, dessen Hände wieder gefesselt waren, mit sich fort.

Sogleich erkannte sie die Absicht, daß er ihn in's Gebirge zerren und dort tödten wolle. Da schwang sie ihr Beil hoch und eilte in rasendem Laufe dem gewaltigen Führer in der entgegengesetzten Richtung entgegen. Ihr Gewand und ihr Haar flatterten im Winde; es war eine Erscheinung, wie die eines Racheengels.

Auf einem schmalen Felsgrate begegnete sie mit hoch erhobenem Beile Upafara. Steh', rief sie ihm zu, du bist kein Krieger, sondern ein feiger Mörder!

Erschreckt schaute Upafara auf die plötzliche Erscheinung, dann aber brach er in ein wildes Lachen aus und rief: Von der Hand eines Weibes soll ich sterben, das wolle Oro nicht!

Mit einem grimmen Fluche erhob er seine Keule, um sie zum zweitenmale auf Helenens Haupt zu schleudern: aber das Heldenmädchen kam ihm zuvor – ihr Beil sauste durch die Luft und die Keule des Riesen flog weit davon.

Durch die Wucht des Schlages verlor er das Gleichgewicht und stürzt kopfüber in die Tiefe.

Helene schaute ihm nicht nach, sondern eilte auf Matheo zu, dessen Fesseln sie durchschnitt. Mit dem Ausrufe: Vater, mein Vater, endlich habe ich dich wieder, stürzte sie in seine Arme und barg ihren blutenden Kopf an seiner Brust.

Die Schlacht war unterdessen entschieden, die Orodiener flohen in wilder Flucht in die Gebirge und ihnen folgten mit hochgeschwungenen Waffen die Christen.

Laßt sie jetzt laufen, rief Pomare, sie können uns nicht mehr entrinnen, denn eine Schaar unserer Krieger ist bereits in ihrem Rücken.

Die Christen standen stille und ihre Augen flogen zu dem Felsengrate empor, wo Matheo und Helene sich in den Armen lagen.

Ist das nicht unsere Heldin? fragte der König.

Es ist Helene, gab Tupia zur Antwort; sie hat Upafara in den Abgrund geschleudert und den Priester vom Tode gerettet. Ich sah sie ihm gegenüberstehen, aber ich konnte ihr nicht zu Hülfe eilen, weil ich mit einem Feinde handgemein war.

Holt sie in unsern Kreis! gebot der König.

Tupia und einige Andere bestiegen die Felsen und baten sie, zum Könige zu kommen. Hand in Hand kamen sie heran. Helene neigte sich vor Pomare und sprach: König von Tahiti, du hast heute dir selbst eine Insel und dem Herrn ein Volk gewonnen, ich aber habe den Vater wieder gefunden, den ich längst todt glaubte. Matheo, der Priester, ist kein anderer als Matheo Heiling, mein Vater.

Ja, wunderbar sind die Wege des Herrn, sprach jetzt der graue Priester. Vor vielen Jahren scheiterte an dieser Insel das Schiff, welches mein Kind und meine Habe trug. Ich versank in die Fluthen und glaubte mich rettungslos verloren, aber eine Planke des zertrümmerten Fahrzeuges hielt mich tagelang über Wasser, bis mich ein zufällig vorüber fahrendes Schiff aufnahm. Das nackte Leben hatte ich gerettet, aber mein Kind war tobt. Was sollte ich mit einem Leben, das nur Leid und Kummer bot? O das waren schwere Tage, Herr, in denen ich tausendmal die Planke verwünschte, die mich gerettet. Es dauerte lange, bis ich zur Erkenntniß kam, daß mein Leben noch irgend einen Werth habe.

In meine Heimath zurückgekehrt, faßte ich den Entschluß, mich ganz dem Dienste Gottes zu widmen und legte mich mit Eifer auf die Studien. So wurde ich Priester und Missionär. Ein gewaltiges Sehnen trieb mich auf's Meer und auf die Inseln desselben, um der Nacht des Heidenthums das Licht Christi anzuzünden. So kam ich nach vielen Fahrten auch nach Tahiti, wo ich einst Alles verloren, was mir auf Erden theuer war. Der gütige Gott hat es gelenkt, daß ich mit Zinsen zurückerhalte, was ich verlor – meine brave Helene, die unterdessen zu einer heldenmüthigen Jungfrau herangewachsen ist. In dem Augenblicke, wo ich mit Gewißheit auf meinen Tod rechnete, erschien sie als meine Retterin. Gottes Macht und Gnade sei gepriesen!

Der König und seine Umgebung hatten mit Staunen und Freude den kurzen Bericht gehört, den Helene noch erweiterte, indem sie Tupias und Poma's gedachte, welche ihr so lange Jahre den todt geglaubten Vater ersetzt hatten.

Es soll ihnen nicht vergessen werden, sprach der König, daß sie wie Christen handelten, während sie noch dem Oro anhingen.

Einige Leute hatten unterdessen Upafara's blutigen Körper aus der Felskluft hervorgezogen und ihn vor Pomare gebracht. Der König schaute auf den Verstümmelten mit einer Mischung von Wehmuth und Genugthuung nieder. Wohl dir, daß du vor der Zeit gestorben bist, sprach er; heute Abend würdest du dein frevelhaftes Beginnen auf dem Scheiterhaufen gebüßt haben. Doch nun, wandte er sich an seinen Begleiter, laßt uns umkehren und Vorbereitungen zur Feier des Sieges treffen, denn bald werden unsere Waffenbrüder von der blutigen Arbeit zurückkehren.

Jene einförmige und barbarische Musik, von der wir schon einmal gesprochen haben, setzte sich an die Spitze des Zuges. Zur Seite des Tragsessels, auf welchem der König ruhte, gingen Matheo und Helene; aus beider Augen leuchtete eine innige Glückseligkeit und sie wurden nicht müde, zu erzählen und zu fragen.

Tupia, hochbeglückt, daß sein Kind eine so bedeutende Rolle in diesen Kriegsereignissen spielte, schaute mit einem stillen, glücklichen Lächeln zu ihr hinüber, und er hob das Haupt noch einmal so stolz, wenn er einen aus der Menge sagen hörte: Tupia hat sie als Kind aus den Fluthen gerettet und in seiner Hütte aufgezogen.

Ehe noch der König seinen Palast betreten hatte, kamen eilige Boten, welche meldeten, der Feind sei vollständig umzingelt und entwaffnet; die siegreichen Häuptlinge forderten Befehle für ihr ferneres Verhalten.

Laßt sie alle binden und hierher führen, sprach der König; ehe die Nacht ihren Lauf vollendet hat, sollen sie nach Kriegsgebrauch sterben. Das Messer hat sich umgekehrt. Wir Christen halten jetzt das Heft in der Hand.

Da trat Helene vor und sprach: O König, das ist nicht der Ausspruch eines Christen. Gewinne dem Evangelium neue Bekenner, indem du von den alten Kriegsgebräuchen des Oro abweichst und wie ein großer Held Verzeihung übest, wo du strafen könntest. Laß sie alle frei und ungehindert heimziehen zu ihren Weibern und Kindern. Erst dann, wenn du milder bist als Oro, werden sie erkennen, daß das Christenthum ihnen zum Segen wurde.

Des Königs Stirne hatte sich im Anfänge gerunzelt: diese neue Art, Rache zu nehmen, gefiel ihm nicht, sie hatte zu wenig Kriegerisches an sich. Aber je länger Helene flehte, desto weniger streng wurden seine Mienen und zuletzt sprach er lächelnd: Wahrlich Mädchen, ich habe noch viel von dir zu lernen. Gehe denn und bringe ihnen das Wort der Gnade!

Jauchzend flog sie hinweg. Bei den Gefangenen angekommen, welche düster und verzweifelnd zur Erde schauten, da sie das ihrer harrende Loos kannten, rief sie mit lauter Stimme: Gnade und Verzeihung von dem milden Pomare! Im Namen Gottes und zur Verherrlichung des Christenthums giebt er euch euern Weibern und Kindern wieder! Bindet sie los, ihr Häuptlinge, sie sind frei!

Ein hundertstimmiges Freudenjauchzen wiederhallte in den Gebirgen. Die Gefangenen aber kehrten nicht heim, sondern zum Könige, dem sie Dank brachten für seine Gnade, die nicht erlebt worden, so weit sich auch die Aeltesten des Volkes zurückerinnern mochten. Und diese Gnade hatte einen überraschenden Erfolg, denn am Abende dieses blutigen Tages erklärten sich alle Ueberwundenen bereit, Oro zu verlassen und die Lehre des Christenthums anzunehmen. Der Kriegsgott von Tahiti hatte sie schmählich genug verlassen, während Jesus Christus, wie sie voll inniger Ueberzeugung ausriefen, seinen Freunden zum Siege verhelfen habe.

Der König war hoch erfreut über die so glückliche Wendung der Dinge, sein Antlitz strahlte vor Entzücken, jedes Wort aus seinem Munde war eine Gnade gegen die Hinterbliebenen der Gefallenen.

Matheo aber benutzte diese Gelegenheit, die Sieger im Glauben zu stärken, die Besiegten zu demselben zu erheben. Er bestieg einen hochragenden Stein, von welchem herab er die ganze Versammlung übersehen konnte, und sprach mit lauter und vernehmlicher Stimme:

Tahitier, seit dem Tage meiner Landung war ich mehr als einmal dem Tode nahe, aber ich verzagte niemals, denn eine Stimme in meiner Brust rief mir zu: »Es wird der Tag kommen, wo diese in der Irre gehenden Schafe nach einem Hirten rufen werden. Heute ist dieser Tag gekommen. Während das Blut Eurer Brüder noch auf euren Kleidern raucht und an euern Händen klebt, haben euere Herzen sich plötzlich in Sehnsucht nach dem unbekannten Hirten gewendet, nach dem Gotte, der einzig und allein ein Recht auf diesen Namen hat. Ihr sollt ihn kennen lernen und selbst urtheilen über seine Liebe und Stärke.«

Und nun begann Matheo ihnen das neue Evangelium mit einer so flammenden Beredsamkeit zu schildern, daß die härtesten Herzen sich emporgerissen fühlte und nach der Taufe lechzten, wie der Hirsch nach der sprudelnden Quelle.

Lange sprach Matheo; schon röthete sich von dem Scheine der untergehenden Sonne die Wellen des Meeres purpurn, als er schloß und zu einem allgemeinen Gebete aufforderte. Da beugten sich die Knie aller Tahitier und die Worte des Gebetes vermischten sich mit lautem Schluchzen.

Jetzt erhoben sich Alle und umdrängten den Priester.

Der König Pomare aber war auf die äußerste Felsenspitze getreten und schaute mit einem tiefempfundenen Danke gegen Gott über das Meer, welches wie im himmlischen Frieden, weit und unermeßlich zu seinen Füßen schlummerte.

Sein Auge schien etwas zu suchen, denn er erhob sich auf die Fußspitzen und schaute aufmerksam durch die gekrümmte Hand.

Als er nämlich in der verflossenen Nacht Upafara mit seinem Schwarme wie in einem Netze umspannte, ohne gleichwohl alle zu fangen, da überkam ihn die Furcht, die Versprengten könnten nach Eimeo hinübersteuern und die wehrlos Zurückgelassenen überfallen und niedermachen. Sogleich sandte er einen Boten nach der Insel und ließ ihnen befehlen, sich sofort nach Tahiti zu begeben, wo er für ihren Schutz sorgen werde. War dem Boten kein Unfall zugestoßen, so konnten sie um diese Stunde Papeiti erreichen. Das war es, wonach sein Auge spähte.

Bexore und Tane, rief er den Häuptlingen zu, ihr habt scharfe Augen, tretet zu mir und sehet, ob ihr in der Richtung von Eimeo keine Pirogen sehet.

Bexore schüttelte den Kopf, Tane aber zeigte mit dem Finger über das Meer und sprach: Dort, Herr, bewegen sich zahllose Pünktchen auf den Fluthen, es sind Pirogen und Cannots.

Das Gerücht, daß die Eimeer kommen würden, verbreitete sich bald in der Menge, und nun drängten sich Alle herbei, in der Ferne zu forschen.

Die Pünktchen wurden immer größer, bis zuletzt kein Zweifel mehr aufkommen konnte.

Ehe die Dämmerung vollständig einbrach, landeten sie unter tausendstimmigem Willkommruf und eilten das Ufer hinan. Das Jauchzen wollte kein Ende nehmen, bis der König mit einer Handbewegung Stille gebot. Er theilte den Angekommenen mit, welche glücklichen Ereignisse sich begeben hatten, und schilderte mit ungetheiltem Lobe den hervorragenden Antheil Helenens am Siege.

Da brach die Menge in lautes Beifalljauchzen aus und pries die Tugend und den Heldenmuth des weißen Mädchens. Aus dem lärmenden Hausen aber brachen sich die beiden Häuptlingstöchter Omana und Jane Bahn und fielen der Freundin unter Freudenthränen um den Hals.

Tupia und Poma standen von fern und wagten nicht, ihrer Pflegetochter zu nahen. Poma schluchzte laut und wünschte unter Wehklagen die Tage zurück, wo sie im einsamen Thale ihr weißes Kind auf den Knieen schaukeln durfte.

Helene schaute sich in der Menge um; jetzt fiel ihr Auge auf die Pflegemutter; sie eilte auf dieselbe zu und schloß sie zärtlich in die Arme.

Da lächelte Poma durch ihre Thränen und sprach: Du hast deinen Vater wiedergefunden und wirst uns verlassen. Gönne mir, daß ich dich in deiner Hütte sehen darf, wenn mich die Liebe zu dir treibt.

Matheo nahm Poma's Hand, dankte ihr für die treue Pflege seiner Tochter und sprach: Sie soll dir nicht geraubt werden. Tahiti ist fortan mein Vaterland, und auf Papeiti ist Raum genug, um eine Hütte zu bauen, die für vier Personen reicht. Wollt ihr mich zum Mitbewohner, so schlaget ein.

Das war Balsam für das Herz der bekümmerten Pflegemutter und auch für Tupia.

Wir scheiden nun von der Insel. Nur sei uns noch die kurze Bemerkung erlaubt, daß das Christenthum feste Wurzel faßte und sowohl den König Pomare, als auch die übrigen Personen überdauerte, die wir im Verlaufe unserer Erzählung berührt haben.


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