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III.

Helene bekommt das Heimweh. Sie ziehen an den Meeresstrand. Die blaue See. Das Guavagesträuch. Ein lachendes Gefilde mit Palmen, Orangen, Zuckerrohr, wunderbar schönen Blumen und buntfarbigen Vögeln. Der Hafen von Papeiti. Omana, die Häuptlingstochter.


Bis jetzt hatte Helene nur in dem engen Thale gelebt, wo sie außer Tupia und Poma niemals einen Menschen zu sehen bekam. So lange die Eindrücke, welche sie von den sie umgebenden Gegenständen erhielt, noch neu waren, empfand ihr Gemüth keine Leere; aber es kam die Zeit, wo sie jeden Brodbaum in ihrem Thale, jeden Felsen am Bache, jeden Strauch und jede Blüthe kannte. Die Einförmigkeit des Hüttenwesens bot so wenig Anregung und Zerstreuung, daß die Vergangenheit wieder in ihrer Seele auftauchte.

Lange hatte die Erinnerung an die ferne Heimath, ihre Seereise und den Vater geschlummert. Desto heftiger erwachte jetzt der Wunsch nach dem Verlornen. Stundenlang konnte sie draußen am Bache sitzen, die Füße in den Wellen netzen und die umflorten Augen auf einen Fleck hinrichten.

Anfangs achteten die beiden Tahitier wenig darauf; als sie aber von Tag zu Tag stiller wurde, und die Rosen ihrer Wangen sich weiß färbten, da wurde Poma ängstlich und sie machte ihren Mann auf den veränderten Zustand des weißen Kindes aufmerksam.

Ihre Tränke, welche sie gegen jede Krankheit aus den Kräutern des Gebirges zu bereiten verstand, halfen nicht; Helene wurde nur noch einsilbiger und träumerischer.

Poma, der die unerklärliche Krankheit ihres Lieblings in das Herz schnitt, nahm sie auf den Schooß, streichelte ihre Locken und fragte mit liebevollem Kosen, was ihr fehle.

Helene hatte es selbst kaum gewußt, daß ihr etwas mangele; aber die Frage ihrer braunen Mutter gab dem unbestimmten Sehnen plötzlich Form und Leben.

Sie schlang weinend den Arm um den Hals der Insulanerin und rief: Mutter, Mutter, ich muß fort! Bring mich zum Vater!

Helene, mein gutes Kind, antwortete Poma traurig, hast du vergessen, daß die bösen Wellen ihn verschlungen haben? Du weißt ja, daß du keinen andern Vater hast als Tupia, und keine andere Mutter als Poma, die dich aber beide lieben, wie der Thau die Blumen liebt.

Helene weinte; wohl begriff sie, daß sie nicht zum Vater kommen könne; aber ihre Heimath war doch zu erreichen, und das, dachte sie, werde den Schmerz in ihrer Brust lindern.

Tupia schüttelte den Kopf und sprach: Deine Heimath liegt jenseits des großen Wassers, wohin noch niemals das Cannot oder die Piroge eines Tahitiers den Weg gefunden. Sieh, mein Kind, ich liebe dich und würde gerne alle Berggrate der Insel erklettern, um dir eine Freude zu machen, aber nach deiner Heimath könnte ich dich nimmer bringen; und keiner auf der ganzen Insel kann es, selbst der mächtige Pomare nicht.

Von dieser Stunde an sprach Helene niemals wieder von der Heimath, weil sie dadurch die guten Menschen, die ihr so viel Gutes thaten, betrübte; aber ihr Gemüth krankte, ihr Körper welkte sichtlich dahin.

Das Kind wird uns sterben, sprach Poma traurig; wir wollen die Hütte verlassen und an den Meeresstrand ziehen. Dort wird sie Gespielinnen finden und ihr Leid vergessen.

Tupia schaute mit einem trüben Blicke nach seiner Hütte, die er mit eigener Hand gebaut, nach den Brodbäumen, von denen er viele selbst gepflanzt, nach dem Bächlein, dessen Ufer er ausgebefiert und mit Steinen befestigt hatte. Es fiel ihm schwer, einen Ort zu verlassen, der ihm Nahrung in Fülle gab, der mit seinem ganzen Dasein so innig verwebt war, daß er sich kaum denken konnte, es sei auch an einem andern Orte gut wohnen. Aber dennoch zögerte er keinen Augenblick, sondern antwortete: Wenn du glaubst, daß es besser für sie sei, so wollen wir zum Strande ziehen.

Am nächsten Morgen nahm Poma ihre Tochter auf den Arm und Tupia belud sich mit dem Tapatuche und einigen andern Gegenständen, die ihnen unentbehrlich waren.

Die Frau schritt hastig vorauf, ohne sich umzuwenden; sie mochte sich das Herz im Anschauen der zurückbleibenden Hütte nicht noch schwerer machen. Tupia aber wandte in dem Brodbaumwalde noch einmal den Kopf herum und blickte lange und mit Thränen in den Augen auf das liebe Palmendach. Dann aber ging er weiter und trat ernst und schweigend an die Spitze des kleinen Zuges.

Der schmale Pfad senkte sich rasch abwärts; an einer lichten Stelle, wo das dichte Guava-Gesträuch zwischen den Cocospalmen eine Lücke ließ, konnte man den Ocean erblicken, welcher in der tiefen Bläue mit seiner ganzen Unermeßlichkeit vor ihnen lag.

Helene, welche bis dahin mit dem Kopfe still an Poma's Schultern gelehnt hatte, erhob sich bei diesem wunderbaren Anblicke rasch und stieß einen Freudenschrei aus. Die dumpfe Beengtheit des beschränkten Thales, die wie eine schwere Last auf ihre Brust gedrückt hatte, war verschwunden, ihr Herz dehnte sich aus, und sie breitete die Arme gegen das blaue Wasser.

Poma ließ sie gewähren und Tupia hob sie auf seine Schultern, damit sie desto besser sehen könne. Das ist schön, rief sie, dahin wollen wir ziehen und eine Hütte bauen.

Poma nickte; Tupia drückte die kleine Hand des Kindes und antwortete: Ja, Helene, wir wollen da eine Hütte bauen, und eine viel schönere, als oben im Thale, wo du immer so traurig warst.

Helene war wie umgewandelt, und ihre Freude stimmte auch die Herzen ihrer Pflegeeltern fröhlich.

Das Guava-Gesträuch, welches auf Tahiti meilenlanges, undurchdringliches Dickicht bildet, prangte über und über mit Blüthen und reifen Früchten. Helene sprang vom Arme Tupia's auf den Boden, und pflückte die wohlschmeckenden Beeren.

Auch der Insulaner und sein Weib, von der Hitze und dem Marsche müde und durstig geworden, hockten sich zwischen die Gesträuche nieder und labten sich an den saftigen Trauben, welche überall in verschwenderischer Fülle an jedem Zweige hingen.

Die Guava ist ein wunderbares Gewächs; während sie wie ein stark wucherndes Unkraut unbegreiflich schnell um sich her greift, weite Landstrecken überdeckt und alles Andere unter sich erstickt, spendet sie mit ihren Trauben so reiche Nahrung, daß die Tahitier, welche sie doch in unglaublicher Menge verzehren, nicht im Stande sind, sie zu bewältigen. Sie fallen zu Tausenden von den Sträuchern nieder und verderben auf dem Boden. Schweine und andere Thiere, die sie sehr gerne fressen, werden bei dem großen Ueberflusse wählerisch und bemühen sich nur um die frischesten, schönsten und vollkommensten.

Das wäre so etwas für unsere deutschen Knaben und Mädchen, welche im Sommer selbst weite Wege nicht scheuen, um im schattigen Walde sich an den kleinen, schwarzen Heidelbeeren zu erfreuen.

Als sich alle drei gesetzt hatten, wollte Poma ihren Liebling wieder auf den Arm nehmen, aber Helene hatte ihre Trauer vergessen und hüpfte munter voran. Tupia, welcher besorgt war, sie möge in eine der tiefen Schluchten stürzen, welche sich neben dem Wege herzogen und zuweilen quer über denselben setzten, hatte große Mühe, ihr zu folgen.

Plötzlich blieb das Mädchen am Rande eines Gehölzes stehen, wo der Blick ungehemmt über den breiten Ufersaum schweifen konnte. Da ist es schön, da wollen wir wohnen, rief sie, indem sie den Finger nach einer Stelle ausstreckte, wo die Palmendächer vieler Hütten zwischen dem Grün sichtbar wurden.

Auch Tupia und Poma blieben stehen und schauten mit frohem Lächeln in die schöne Landschaft hinab. Sie war wirklich bezaubernd, besonders für das Auge eines Eingebornen, weil sich aus zahllosen blühenden Gesträuchen neben den dichten Kronen der Brodbäume auch die schlanken Schafte der hohen Palmen erhoben.

Je weiter sie kamen, desto lachender wurde das Gefilde. Hier dehnte sich ein Bananenfeld mit seinen saftig grünen Blättern aus, dort leuchtete die goldschalige Orange aus dunklem Laubwerk, während rechts und links Ananas- und Zuckerrohrfelder dem lüsternen Gaumen eine süße und labende Erquickung versprachen.

Oben im Gebirgsthälchen hatte Helene auch viel Schönes gesehen und genossen, aber es war doch nur ein Schatten gegen das, was die Ebene bot.

Wohin man blicken mochte, prangten buntfarbige Blumen, von denen sich auch die regste Phantasie keine Vorstellung machen kann; ihre Pracht überbietet Alles, was die alte Welt Schönes und Herrliches hat. Aber nicht allein durch die Pracht ihrer Farben und die Vielgestaltigkeit ihrer Blätter, erfreuen sie das Auge, sondern sie erfüllen auch die Luft mit den angenehmsten Wohlgerüchen.

Leben und Schönheit herrschte bis an die Wellen des Meeres; in allen Zweigen schaukeln sich singende Vögel in schillernder Farbenpracht; und der Mensch, welcher plötzlich an dieses Gestade geworfen würde, könnte sich kaum des Gedankens enthalten, die liebende Hand Gottes habe ihn mitten in das Paradies versetzt.

So erging es auch Helenen, und es war also nicht zu verwundern, daß sie jetzt weder an die ferne Heimath, noch an den Vater dachte.

Bald hatten sie den Hafen von Papeiti erreicht, der wie ein weiter Kessel zu ihren Füßen lag. Seine Ufer wimmelten von Eingebornen und auf dem blauen Wasserspiegel schossen die Cannots und Pirogen hin und her.

Tupia ließ sie eine Zeitlang dieses bewegte Bild genießen, dann führte er sie auf einem schmalen Pfade zwischen grünen Bataten hindurch zu der Stelle, wo die Hütten Papeiti's begannen.

In einiger Entfernung von denselben suchte er einen Platz aus, der ihm angenehm und bequem zur Anlage einer neuen Hütte deuchte.

Nicht lange weilten sie daselbst, als tahiti'sche Mädchen und Jünglinge herankamen, welche sich mit den wohlriechenden Blüthen der Guettarde geschmückt hatten.

Die meisten von ihnen sahen wohl zum erstenmale ein Mädchen mit langen, blonden Locken und heller Gesichtsfarbe. Verwundert blieben sie vor ihr stehen, betrachteten ihre Gesichtszüge und ihre Bewegungen.

Tupia erzählte ihnen, daß er sie dem Meere entrissen und im Gebirge erzogen habe, daß er sich aber nun in Papeiti ansiedeln und hier eine Hütte bauen wolle.

Bald verbreitete sich die Kunde von dem weißen Mädchen unter den nahen Palmdächern und die Einwohner kamen in Haufen herbei, um sie zu sehen; alle aber waren freundlich und boten ihr Blumen und Früchte an.

Poma, der es nicht wenig schmeichelte, daß ihre weiße Tochter ein solches Aufsehen erregte, lobte vor den Ohren der willigen Zuhörer ihre guten Eigenschaften und konnte des Rühmens kein Ende finden.

Die herbeigeeilten Insulaner freuten sich über alle Maßen, daß Helene künftig unter ihnen wohnen sollte, und sie erklärten sich auf der Stelle bereit, Tupia die Hütte bauen zu helfen.

Jetzt begann ein rege Thätigkeit. Die Männer und Jünglinge eilten hinweg, um Pfähle herbeizuholen; die Jungfrauen brachten ganze Traglasten von prächtigen Palmblättern. Als Alles beisammen war, begann der Bau, und ehe noch die Sonne ihren feurigen Ball in's Meer tauchte, war die neue Wohnung fertig.

Noch lange sang die Jugend vor der Hütte ihre heimischen Lieder, dann sank die Stille auf den Hafen herab, die Vögel schwiegen, die Sterne glänzten wie fröhliche Engelsaugen auf den Wasserspiegel nieder und die drei Menschen in der Palmhütte versanken in süßen Schlaf.

Unter den Eingebornen, welche sich gegen Helene so freundlich gezeigt hatten, war ein Mädchen von ihrem Alter, deren schöner Wuchs und angenehme Geberden ihr aufgefallen waren. Poma hatte ihr gesagt, die schöne Omana sei die Tochter eines Häuptlings, der früher im Gebirge gewohnt, jetzt aber nach Papeiti gezogen sei, um dem Könige, der starke Dinge auf ihn hielt, nahe zu sein.

Von dieser Omana träumte Helene die ganze Nacht, und sie war deßhalb kaum verwundert, als sie dieselbe bei ihrem Erwachen neben sich auf der Matte sitzen fand.

Omana war schon frühe am Morgen gekommen, um das weiße Mädchen zu sehen, von dem sie sich in einem höhern Grade angezogen fühlte, als von irgend einem Menschen jemals zuvor. Mit freundlichem Lächeln überreichte sie der erwachenden Helene eine Schaale mit wohlriechendem Cocosöl und da diese verwundert fragte, zu welchem Zwecke das Oel bestimmt sei, schüttete sie davon auf ihre braune Hand und salbte Helenens blonde Locken. Diese ließ es geschehen; als sie ihr aber auch Hals und Schultern salben wollte, wehrte sie ab und sprach: Gute Omana, in dem Lande, wo ich geboren wurde, salbt man zwar die Haare, aber Gesicht, Hände und Hals werden mit Wasser und Seife rein gehalten. Laß mich bei den Gewohnheiten meiner frühesten Kindheit, an welche ich mich auch in diesem Paradiese so gerne zurückerinnere.

Erzähle mir von deinem Lande, bat Omana.

Helene war noch sehr jung gewesen, als sie dasselbe verließ; aber sie erinnerte sich ihrer Umgebung und der herrschenden Sitte und Gebräuche um so genauer, je mehr sie von den hiesigen abwichen. Auch that es ihrem jungen Herzen so wohl, von der Heimath zu erzählen, daß sie gerne und freudig dem Wunsche der neuen Freundin entsprach.

Omana, welche niemals etwas Anderes als. das Meer und ihre Insel gesehen hatte, verstand nur halb, was sie hörte, aber sie war gleich wohl entzückt und lauschte mit zurückgehaltenem Athem.

Die beiden Mädchen, so verschieden sie auch in manchen Dingen waren, wurden bald unzertrennliche Freundinnen und schweiften zusammen durch die Hütten der Bewohner von Papeiti. Ueberall, wohin Helene kam, wurde sie wohlwollend ausgenommen und mit Beweisen von Liebe und Anhänglichkeit überhäuft. Selbst der Häuptling Taue, ein ernster und wortkarger Mann, dem die Papeiter scheu und ehrfurchtsvoll aus dem Wege gingen, lächelte, wenn sie in seine Hütte trat, und er machte selten einen Ausflug in's Gebirge, ohne ihr eine schöne Blume, eine seltene Frucht oder einen buntgefiederten Vogel mitzubringen.


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