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In jenen Zeiten, da noch Papst Urban IV., seligen Angedenkens, mit seinen Kardinälen und dem gesamten Hofstaat in Orvieto residierte, gab es einmal einen deutschen Priester, der zwar sehr tugendhaft und fromm war, aber doch von schweren Glaubenszweifeln heimgesucht wurde. Es waren Anfechtungen im Geiste, die der Bedrängte nicht abzuwehren vermochte. Er bezweifelte gar oft das geheimnisvolle Wunder der Brotvermehrung im heiligen Sakrament des Altares.
Wie ist es nur möglich, fragte sich der Priester, daß die unscheinbare Hostie sich in den Leib Christi und der Wein, der auf den Bergen wächst, sich in das heilige Blut Christi zu verwandeln vermag? Welch ein Zweifel in die göttliche Allmacht, der nichts unmöglich ist und die wir nie durchschauen können und dürfen! So stand also der Priester morgens am Altar, das Brot der Engel in den geweihten Händen, den Kelch des Heiles zur Opferung hoch erhoben und doch das Mysterium der Wandlung bezweifelnd.
Und das Wort, das Fleisch ist, wandelt
Durch sein Wort in Fleisch und Brot,
Und in Christi Blut verkläret
Ward der Wein, weil er's gebot.
Hier Gefühl und Sinn nichts lehret.
Nur der Glaube ist uns not.
Der arme Priester war sehr unglücklich, und er erkannte auch bald, daß es nicht nur Versuchungen waren, denen der Mensch wider seinen Willen preisgegeben sein kann, sondern daß eine Schuld in ihm selbst lag, die er recht einzusehen und zu sühnen bereit war. Er empfing die Eingebung, eine Wallfahrt nach Rom zu machen, die Kirchen von Sankt Petrus und Paulus zu besuchen und noch andere gnadenreiche Stätten. So machte sich denn der Priester auf den Weg, während seiner Wanderung unablässig Gott um Hilfe und Barmherzigkeit bittend.
So kam der Priester an das Schloß von Bolsena, das im Kirchensprengel von Orvieto liegt. Er bat darum, in der Kirche, die der heiligen Jungfrau Christina geweiht ist, die Messe lesen zu dürfen, was ihm gern gewährt wurde. Immer hatte er auf seiner Wanderung gebetet: «Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben», und jetzt beim Staffelgebet, da er die Stufen zum Altar hinanstieg, wurde ihm wohl die Gnade einer vollkommenen Hingabe und Demut zuteil, da sich in ihm das übermächtige Verlangen regte, sich selbst zu einem freiwilligen Opfer darzubringen, sich ganz Gott zu weihen und ewig sein zu bleiben. Und so durfte er wagen, das heilige Opfer darzubringen.
Und da er nun die konsekrierte Hostie mit beiden Händen über dem Kelch hielt, in diesem Augenblick vollzog sich das göttliche Wunder. Der Priester sah, wie die Hostie in seinen Händen sich in lebendiges Fleisch verwandelte, das von frischem rotem Blut durchpulst, durchströmt erschien. Von tiefem Staunen und andächtigem Schrecken ergriffen, stand der Priester da und blickte auf das Wunder, das sich ihm zeigte. Er war so heftig bewegt, daß er besorgte, nicht weiter zelebrieren zu können. Wohl stand er noch aufrecht da, aber seine Seele lag anbetend vor dem Geheimnis, das Gott in seiner Barmherzigkeit einmal wie ohne Hülle zeigte. Aber nicht nur dem Priester wurde das Wunder gezeigt, sondern alle, die im Gotteshause zugegen waren, sahen, wie selbst das Tuch, mit dem der Kelch gereinigt und bedeckt wird, das Abbild vom Fleisch und Blut unseres Erlösers zeigte. Der Priester war so stark bewegt und in heiliger Furcht wohl zuerst bemüht, das Wunder zu verbergen, aber je mehr er sich darum bemühte, um so klarer zeigte es sich.
Da lag die ganze Gemeinde in Andacht auf den Knien und die ewige Aufforderung, die uns allen von früher Jugend an bekannt ist, jenes «Laßt uns tiefgebeugt verehren ein so großes Sakrament», wurde an diesem Morgen so innig befolgt, daß jede Seele einem Loblied glich. Die Wunderhostie und das Tuch wurden zunächst in der Sakristei ehrfürchtig aufbewahrt.
Der Priester aber ging zu Papst Urban, warf sich ihm zu Füßen, bekannte ihm seine Sünden und seine vorherigen Glaubenszweifel, und verkündete ihm dann das herrliche Wunder, das in der Kirche der hl. Christina geschehen war. Der Papst erteilte dem Priester die Absolution, und der Priester betete zur Sühne immer wieder den fünfzigsten Psalm Davids, der vom wahren Dankopfer kündet. «Gott, der Herr, der Mächtige, redet und rufet der Welt vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang. Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes.»
Das Wunder von Bolsena aber war wie ein großes Licht, das allen Christen leuchten sollte, und darum bestimmte Papst Urban, daß jene heilige Hostie nach Orvieto überführt würde. Ein Bischof, der von vielen Geistlichen und Laien begleitet wurde, begab sich nach Bolsena, um das Allerheiligste abzuholen. So wurde es feierlich nach Orvieto gebracht. Da man nahe der Stadt kam und über eine Brücke mußte, die über den Fluß gebaut ist, kam der Heilige Vater mit seinem Gefolge von der andern Seite des Flusses dem Allerheiligsten entgegen, so daß sich beide Prozessionen in der Mitte der Brücke begegneten. Hier nahm Papst Urban kniend und vor andächtiger Bewegung weinend das Wunder aller Wunder in seine geweihten Hände und trug es unter Lobgesängen des ganzen Volkes in den schönen Dom von Orvieto.
Kein Geringerer als der hl. Thomas von Aquin wurde beauftragt, das Offizium, sowie die Horen und das unsterbliche Lied zu Ehren des heiligen Sakramentes abzufassen.
Und seit jener Zeit singt man aller Orten jenes Lied, das nicht verhallen und enden wird, solange die Welt besteht, da es die wahre Speise unserer Seele verherrlicht, das «Pange lingua gloriosi».
Preiset, Lippen, das Geheimnis
Dieses Leibs voll Herrlichkeit,
Und des unschätzbaren Blutes,
Das zum Lösegeld der Welt,
Er, der edlen Mutter Sprosse,
Er, der Völker Herr, vergoß. Amen.
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