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Tausend und eine Nacht. Band XIV
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Der Kaufmann Mesrûr und sein Liebchen Sein el-Mawâsif.

Die Zierde der Vorzüge.

Ferner erzählt man, daß in alten Zeiten und längstentschwundenen Tagen ein Kaufmann lebte, dessen Name Mesrûr war, und der nicht nur zu den schönsten Männern seiner Zeit gehörte sondern auch reich war und in den angenehmsten Verhältnissen lebte; er liebte es jedoch, sich in Gärten und Parken zu vergnügen und war völlig von der Liebe zu schönen Frauen eingenommen. Da traf es sich, daß er eines Nachts träumte, er befände sich in einem der schönsten Gärten, in dem er vier Vögel erblickte, unter denen einer eine Taube war, weiß wie blinkendes Silber. Die Taube gefiel ihm, und sein Herz ward von mächtigem Verlangen nach ihr erfüllt; dann aber sah er, wie ein großer Vogel auf die Taube niederschoß und ihm aus der Hand schnappte, so daß er sich darüber schwer bekümmerte. Als er nun erwachte und die Taube nicht fand, plagte er sich mit seiner Sehnsucht nach ihr bis zum Morgen ab, worauf er bei sich sprach: »Ich muß heute unbedingt zu einem gehen und mir den Traum ausdeuten lassen.«

Achthundertundsechsundvierzigste Nacht.

Alsdann erhob er sich und wanderte nach rechts und links, bis er sich von seiner Wohnung entfernt hatte, ohne 150 jemand zu finden, der ihm den Traum hätte deuten können. Schon wollte er wieder nach Hause zurückkehren, als es ihm unterwegs einfiel, zu dem Hause eines reichen Kaufmanns zu gehen; wie er aber dort anlangte, da hörte er in ihm eine aus bekümmertem Herzen ertönende Stimme, die folgende Verse recitierte:

Des Lenzwinds Zephyr weht her zu uns von ihren Spuren
Und heilt mit würzigem Duft den Kranken.
Ich stehe auf den Schutthaufen und frage,
Und meinen Thränen antworten nur ihre Trümmer;
Und ich spreche; O Zephyr, um Gott, sag' an,
Wird dieser Stätte Wonne einst wiederkehren?
Und wird mich eine Gazelle mit zarter Gestalt beglücken,
Deren müde Augenlider mich elend machten?

Als Mesrûr diese Stimme vernahm, blickte er in das Haus und gewahrte einen der schönsten Gärten von ihm umschlossen, in dessen Hintergrund ein mit Perlen und Edelsteinen bestickter Vorhang aus rotem Brokat hing, hinter dem sich vier Mädchen befanden, von denen eine unter fünf und über vier Fuß groß war, als wäre sie der leuchtende Vollmond und die runde Mondscheibe; sie hatte antimonschwarze Augen, zusammengewachsene Augenbrauen, einen Mund wie das Siegel Salomonis, Lippen und Zähne wie Korallen und Perlen, und raubte den Verstand aller mit ihrer Schönheit und Anmut und ihrem ebenmäßigen Wuchs. Als Mesrûr sie erblickte, trat er ein und schritt immer weiter, bis er zum Vorhang gelangte, worauf sie den Kopf hob und ihn gewahrte. Er grüßte sie nun, und sie erwiderte ihm mit süßen Worten den Salâm; als er sie aber erblickte und betrachtete, verwirrte sich sein Verstand und sein Herz ward ihm geraubt. Dann schaute er zum Garten hin und sah, daß Jasmin, Levkoien, Veilchen, Rosen, Orangen und allerlei duftige Blumen in ihm standen; und jeder Baum war mit Früchten umgürtet, und Wasser entströmte von vier einander gegenüberliegenden Līwânen, um deren ersten er mit Zinnober die beiden Verse geschrieben fand: 151

O Haus, die Trauer betrete dich nie,
Und nimmer verrate die Zeit deinen Herrn.
Das prächtige Haus, das jeden Gast beherbergt,
Wenn er nirgends sonst eine Stätte findet.

Alsdann betrachtete er den zweiten Līwân und fand auf ihm folgende Verse in rotem Gold geschrieben:

Schimmere in des Glückes Gewandung, o Haus,
So lang in des Gartens Gezweig die Vogel trillern!
Ambradüfte mögen dich ewig durchziehn,
Und Liebende mögen in dir ihr Glück finden;
Und es lebe dein Volk in Ehren und Wonnen,
So lang als die Wandelsterne am Himmel scheinen!

Hierauf betrachtete er den dritten Līwân und fand in Lazur folgende beiden Verse geschrieben:

Bleibe, o Haus, in Ehren und Glück,
So lange die Nacht dunkelt und das Tageslicht scheint.
Das Glück empfange jeden, der dich betritt, in deiner Thür,
Und Segen überhäufe jeden, der zu dir kommt!

Alsdann betrachtete er den vierten Līwân und fand auf ihm mit gelber Farbe folgenden Vers geschrieben:

Dieser Garten und dieser Teich
Sind ein holder Platz, beim allvergebenden Herrn.

Außerdem befanden sich allerlei Vögel im Garten, Turteltauben, Tauben, Nachtigallen und Holztauben, und jeder Vogel girrte in seiner Weise, während das Mädchen in ihrer Schönheit und Anmut und ihrem ebenmäßigen Wuchs stolz und gefällig sich wiegend einherschritt, daß alle, die sie schauten, von ihr bezaubert wurden. Mit einem Mal sagte sie zu Mesrûr: »Mann, was hat dich zu einem Hause geführt, das nicht dein Haus ist, und zu Mädchen, die nicht deine Mädchen sind, ohne daß es dir ihr Herr erlaubt hat?« Mesrûr erwiderte ihr: »Meine Herrin, ich sah diesen Garten, und da mir seine grüne Pracht, der Duft seiner Blumen und der Gesang seiner Vögel gefiel, betrat ich ihn, um ihn mir eine Weile zu besehen und dann wieder meines Weges zu gehen.« 152 Das Mädchen versetzte hierauf: »Freut mich und ehrt mich.« Als der Kaufmann Mesrûr ihre Worte vernahm und dabei ihre Grazie und ihren gefälligen Wuchs erblickte, ward er von ihrer Schönheit und Anmut und von dem lieblichen Garten und den hübschen Vögeln ganz verwirrt, daß ihm der Verstand darüber fortflog, und er in seiner Verwirrtheit Verse sprach; da schaute ihn Sein el-Mawâsif mit einem Blick an, der tausend Seufzer in ihm erweckte und ihm Sinn und Seele raubte, worauf sie ihm mit Versen antwortete und ihn abwies.Diese Erzählung ist mit Versen überladen und in der Breslauer Ausgabe weit ausführlicher. Als eine der minderwertigen Erzählungen geben wir sie jedoch ohne Einschaltungen und mit möglichster Beschränkung der Verse wieder. Als er ihre Worte vernommen hatte, wappnete er sich mit Geduld und sprach bei sich, indem er seine Sache in seinem Herzen barg: »Gegen Unglück giebt's kein ander Mittel als Geduld.« In dieser Weise brachten sie die Zeit hin, bis der Abend hereinbrach, worauf sie die Mahlzeit bringen ließ. Da setzten sie den Tisch vor sie, auf dem sich allerlei Gerichte befanden, wie Wachteln, junge Tauben und Hammelfleisch, und sie aßen, bis sie satt waren. Dann befahl sie den Tisch wieder fortzunehmen, worauf sie das Waschgeschirr brachten. Nachdem sie sich gewaschen hatten, ließ sie die Leuchter bringen, und sie steckten Kampferkerzen auf. Alsdann sagte Sein el-Mawâsif: »Bei Gott, meine Brust ist heute Nacht beklommen, da ich das Fieber habe.« Mesrûr versetzte: »Gott dehne deine Brust wieder aus und befreie dich von deiner Sorge.« Hierauf sagte sie: »Mesrûr, ich bin gewohnt Schach zu spielen; verstehst du etwas davon?« Mesrûr entgegnete: »Ja, ich kann es spielen.« Da ließ sie das Schachbrett holen, und siehe, da war es aus Ebenholz mit Elfenbeineinlagen und mit Feldern aus leuchtendem Gold, und seine Figuren waren aus Perlen und Hyazinthen. 153

Achthundertundsiebenundvierzigste Nacht.

Mesrûr war beim Anblick des Schachbretts ganz verwirrt, sie aber sprach nun zu ihm: »Willst du rot oder weiß?« Er erwiderte: »O Herrin der Schönen und Zierde des Morgens, nimm du die roten Figuren, denn sie sind hübsch und passen besser für dich, mir aber laß die weißen.« Sie versetzte: »Ich bin's zufrieden.« Hierauf nahm sie die roten Figuren, reihte sie den weißen gegenüber auf und streckte nun ihre Hand aus, um eine Figur vorzurücken, als Mesrûr ihre Fingerspitzen, die so weiß wie Teig waren, betrachtete und durch ihre Schönheit und Zartheit verwirrt wurde; da wendete sie sich zu ihm und sagte zu ihm: »Mesrûr, laß dich nicht verwirren, sondern fasse dich und bleib fest;« worauf er versetzte: »O du Schöne, die du den Mond beschämst, wie soll dich ein Verliebter anschauen und Fassung behalten?« Während er sich aber in diesem Zustande befand, rief sie mit einem Mal: »Schachmatt!« und schlug ihn; da sie aber sah, daß er verrückt vor Liebe zu ihr geworden war, sagte sie zu ihm: »Mesrûr, ich spiele mir dir nur um einen bestimmten Einsatz und einen vorher ausgemachten Betrag.« Mesrûr versetzte: »Ich höre und gehorche.« Alsdann sagte sie: »Laß uns beide einander schwören, daß keiner den andern betrügt.« Nachdem sie dann beide dies einander geschworen hatten, sagte sie: »Mesrûr, wenn ich dich schlage, so hast du mir zehn Dinare zu geben, schlägst du mich aber, so gebe ich dir nichts.« Mesrûr, der zu gewinnen glaubte, erwiderte: »Meine Herrin, bleib' aber deinem Eid getreu, denn du spielst besser als ich;« worauf sie versetzte: »Angenommen.« Alsdann spielten sie wieder miteinander, einander mit den Bauern zuvorzukommen suchend, und sie mit den Königinnen einholend und mit den Türmen aufreihend und verbindend und nach Herzenslust mit den Springern arbeitend. Dabei aber nahm Sein el-Mawâsif ein blaues Tuch, das sie um ihren Kopf gebunden hatte, ab und, ihren Ärmel aufstreifend, 154 entblößte sie einen Arm wie eine Säule von Licht und fuhr mit ihrer Hand zu den roten Figuren, indem sie ihm dabei zurief: »Paß auf.« Mesrûr wurde jedoch so geblendet, daß er Herz und Verstand verlor und voll Verwirrung, allein nach ihren Reizen schauend, seine Hand nach den weißen Figuren ausstreckte, dabei aber die roten zu fassen bekam. Da sagte sie: »Mesrûr, wo ist dein Verstand? Die roten Figuren gehören mir und die weißen dir.« Mesrûr versetzte: »Wer dich anschaut, verliert den Verstand.« Als nun Sein el-Mawâsif sah, wie es um ihn stand, nahm sie ihm die weißen Steine und gab ihm die roten, worauf sie wieder miteinander spielten. Sie aber schlug ihn ein um das andere Mal, während er ihr immer zehn Dinare gab, bis sie, da sie sah, daß er völlig verliebt in sie war, zu ihm sagte: »Mesrûr, du wirst nie deinen Wunsch erreichen, wenn du mich nicht schlägst, wie es ausgemacht war; von jetzt an spiele ich mit dir nur noch um hundert Dinare.« Er versetzte: »Freut mich und ehrt mich.« Hierauf spielten sie wieder weiter und sie schlug ihn ein um das andere Mal, während er ihr jedesmal hundert Dinare bezahlte, bis der Morgen hereinbrach, ohne daß er ein einziges Mal gewonnen hätte. Wie er sich nun erhob, fragte sie ihn: »Was hast du vor, Mesrûr?« Er erwiderte: »Ich will nach Hause gehen und mir Geld holen; vielleicht erreiche ich doch noch meinen Wunsch.« Da versetzte sie: »Thue, was dir beliebt;« und so ging er nach Hause und steckte all sein Geld zu sich. Als er dann wieder zu ihr kam, spielte er von neuem mit ihr, doch schlug sie ihn jedesmal, ohne daß er eine einzige Partie gewonnen hätte. In dieser Weise verfuhren sie drei Tage lang, bis sie ihm alles Geld abgenommen hatte, worauf sie ihn fragte: »Was willst du jetzt thun, Mesrûr?« Er versetzte: »Ich will meinen Drogenladen einsetzen.« Da fragte sie ihn: »Wieviel ist er wert?« Er erwiderte: »Fünfhundert Dinare.« Hierauf spielten sie fünf Runden, und sie gewann. Dann spielte er mit ihr um die Sklavinnen, Äcker, 155 Gärten und Grundstücke, und sie gewann alles dies und seinen ganzen Besitz, worauf sie sich zu ihm wendete und ihn fragte: »Hast du noch etwas zum Spielen übrig behalten?« Er entgegnete: »Bei Ihm, der mich in das Netz der Liebe zu dir fallen ließ, meine Hand besitzt nichts mehr an Geld oder Gut, sei es wenig oder viel.« Da sagte sie: »Mesrûr, wenn eine Sache voll Zufriedenheit begann, so soll ihr Ende nicht Reue sein. Bereust du es, so nimm dein Gut zurück und geh' deines Weges; du sollst mir gegenüber aller Verpflichtung los und ledig sein.« Mesrûr erwiderte jedoch: »Bei Ihm, der diese Sachen über uns verhängte, wolltest du mein Leben haben, es wäre nur wenig dich zufriedenzustellen, denn ich liebe dich allein.« Sie versetzte hierauf: »O Mesrûr, geh' jetzt fort, hol' den Richter und die Zeugen und verschreib' mir all deine Besitzungen und Äcker.« Mesrûr entgegnete: »Freut mich und ehrt mich,« und holte, sich sofort aufmachend, den Kadi und die Zeugen. Als aber der Richter sie sah, flog ihm sein Verstand fort, und es ward ihm Sinn und Seele von der Schönheit ihrer Fingerspitzen so bethört und verstört, daß er zu ihr sagte: »Meine Herrin, ich stelle dir den Schein nur unter der Bedingung aus, daß du die Äcker, Mädchen und Grundstücke kaufst und daß sie alle in deinen Besitz und deine freie Verfügung gelangen.« Sein el-Mawâsif versetzte: »Wir willigen ein; stelle mir einen Schein darüber aus, daß Mesrûrs Besitz, seine Sklavinnen, und alles, was seiner Hand zu eigen ist, für einen Preis, der sich auf die und die Summe beläuft, in den Besitz von Sein el-Mawâsif übergeht.« Da fertigte der Kadi die Urkunde aus, und die Zeugen beglaubigten sie mit ihrer Unterschrift, worauf Sein el-Mawâsif die Urkunde an sich nahm.

Achthundertundachtundvierzigste Nacht.

Dann sagte sie zu Mesrûr: »Geh deines Weges.« Da wendete sich ihre Sklavin Hubûb zu ihm und sagte: »Trag' 156 uns einige Verse vor,« worauf Mesrûr mit Bezug auf das Schachspiel eine Reihe von Versen recitierte. Als Sein el-Mawâsif diese Verse vernommen hatte, sagte sie, verwundert über die Beredsamkeit seiner Zunge: »Mesrûr, laß diese Verrücktheit; nimm wieder Verstand an und geh' deines Weges, denn du hast dein Geld und Gut im Schachspiel verthan, ohne deinen Wunsch zu erreichen, und hast keinen Weg zu deinem Ziel zu kommen.« Da wendete sich Mesrûr zu Sein el-Mawâsif und sagte zu ihr: »Meine Herrin, fordere, was du willst, und du sollst alles, was du begehrst, haben; ich beschaffe es und bringe es vor dich.« Sie erwiderte: »Mesrûr, du hast ja kein Geld mehr.« Er versetzte jedoch: »O meiner Hoffnungen Ziel, wenn ich auch kein Geld mehr habe, so werden mir die Leute helfen.« Sie erwiderte: »Soll der Gebende nun sich geben lassen?« Er entgegnete: »Ich habe Verwandte und Freunde, und, was ich von ihnen erbitte, erhalte ich.« Da sagte sie zu ihm: »So verlange ich von dir vier Blasen stark duftenden Moschus, vier Unzen Zibeth, vier Pfund Ambra, viertausend Dinare und vierhundert goldgestickte Gewänder aus Königsbrokat; wenn du mir diese Sachen bringst, Mesrûr, will ich dir meine Gunst gewähren.« Mesrûr versetzte: Das ist ein leichtes Ding für mich, o du, die du die Monde beschämst.« Hierauf verließ Mesrûr Sein el-Mawâsif, um ihr das Verlangte zu bringen; sie aber schickte ihm die Sklavin Hubûb nach, daß sie sähe, in welchem Ansehen er bei den Leuten, die er ihr genannt hatte, stünde. Während er nun die Straßen der Stadt entlang schritt, wendete er sich zufällig um und gewahrte Hubûb in der Ferne; da blieb er stehen, bis sie ihn erreicht hatte, und fragte sie: »Wohin gehst du, Hubûb?« Sie versetzte: »Meine Herrin hat mich aus dem und dem Grunde dir nachgeschickt;« und so erzählte sie ihm alles von Anfang bis zu Ende, was Sein el-Mawâsif ihr aufgetragen hatte, worauf Mesrûr sagte: »Bei Gott, Hubûb, meine Hand besitzt nicht das geringste Gut.« Da 157 fragte Hubûb: »Weshalb versprachst du es ihr denn?« Er erwiderte: »Wie viel verspricht man, ohne es zu halten! In der Liebe muß man Zeit gewinnen.« Als Hubûb diese Worte von ihm vernahm, entgegnete sie: »O Mesrûr, sei guten Mutes und kühlen Auges; bei Gott, ich will es zuwege bringen, daß du sie bekommst!« Hierauf verließ sie ihn und, zu ihrer Herrin zurückkehrend, weinte sie bitterlich und sagte: »Meine Herrin, bei Gott, er ist ein hochangesehener und von den Leuten respektierter Mann.« Sein el-Mawâsif versetzte: »Gottes Ratschluß kann man nicht entrinnen; siehe, dieser Mann fand bei uns kein mitleidiges Herz, denn wir nahmen ihm sein Gut und gaben ihm weder Liebe noch Mitleid, indem wir ihn erhörten. Gewähre ich ihm jedoch seinen Wunsch, so fürchte ich, die Sache könnte ruchbar werden.« Nun entgegnete Hubûb: »Ach meine Herrin, es fällt uns nicht leicht zu sehen, daß wir ihm all sein Gut genommen haben und daß er sich in diesem Zustande befindet. Nun aber hast du doch nur mich und die Sklavin Sukûb bei dir, wer von uns aber würde es wagen etwas von dir auszuplaudern, wo wir deine Sklavinnen sind?« Da ließ sie ihr Haupt zu Boden sinken, während ihre Sklavinnen zu ihr sagten: »Meine Herrin, unser Rat ist der, du schickst nach ihm und lässest ihn keinen Filz anbetteln. Wie bitter ist das Betteln!« Da hörte sie auf die Worte ihrer Sklavinnen und, nach Tinte und Papier verlangend, schrieb sie ihm die Verse:

Die Stunde der Vereinigung ist genaht, Mesrûr, drum freue dich;
Wenn die Nacht dunkelt, dann komm zu mir.
Bitte nicht die Filze um Geld, o Mann,
Mich hatte der Wein berauscht, doch nun kam ich wieder zu Verstand.
All dein Gut sollst du wieder erhalten, Mesrûr,
Und obendrein will ich dir meine Liebe gewähren;
Denn du bist standhaft und voll Süße,
Trotz der Härte, mit der dich die Geliebte ungerecht plagte.
So eile herbei und säume nicht
Und iß von der Liebe Frucht, während mein Gatte fern ist.« 158

Hierauf faltete sie den Brief und gab ihn ihrer Sklavin Hubûb, die mit ihm zu Mesrûr ging, den sie in seiner Liebessehnsucht weinend und Verse sprechend antraf.

Achthundertundneunundvierzigste Nacht.

Wie nun Hubûb an seine Thür pochte, erhob er sich und öffnete, worauf Hubûb eintrat und ihm den Brief überreichte. Nachdem er ihn gelesen hatte, sagte er: »O Hubûb, was bringst du für Nachrichten von deiner Herrin?« Sie erwiderte: »Mein Herr, was in diesem Briefe steht, überhebt mich der Antwort, denn du bist ein Mensch von Begriffsvermögen.« Da freute sich Mesrûr mächtig und schrieb eine Antwort auf den Brief, dieselbe Hubûb übergebend, die sie ihrer Herrin Sein el-Mawâsif überbrachte; außerdem aber schilderte sie ihm seine Schönheit, seine Hochsinnigkeit und trefflichen Eigenschaften, da sie seine Helferin geworden war, um beide zusammenzubringen. Sein el-Mawâsif sagte nun zu ihr: »Hubûb, er läßt uns mit seinem Kommen warten.« Hubûb erwiderte: »Er wird sicherlich bald eintreffen.« Und noch hatte sie ihre Worte nicht beendet, da kam er an und pochte an die Thür, worauf sie ihm öffnete und ihn neben ihrer Herrin Sein el-Mawâsif niedersitzen ließ. Nachdem diese ihn begrüßt und willkommen geheißen hatte, sagte sie zu ihrer Sklavin Hubûb: »Bring ihm den schönsten Anzug.« Da erhob sich Hubûb und holte ein goldgesticktes Gewand, das Sein el-Mawâsif ihm überwarf, während sie selber eins der prächtigsten Gewänder anlegte und ihr Haupt mit einem Netz von glänzenden Perlen schmückte, um das sie einen Turban aus Brokat, der mit Perlen, Hyazinthen und andern Edelsteinen besetzt war, band; unter dem Turban aber ließ sie zwei seidene Zöpfe hängen, an deren jedem ein roter Hyazinth hing, der mit gleißendem Gold punktiert war, und ließ ihr Haar schwarz wie die Nacht herabwallen. Zum Schluß beräucherte sie sich mit Aloe und parfümierte sich mit Moschus und Ambra, worauf Hubûb zu ihr sagte: »Gott 159 schütze dich vor dem bösen Auge!« Alsdann begab sie sich, stolz und gefällig einherschreitend und sich beim Gange wiegend, gleich dem leuchtenden Vollmond zu Mesrûr, der bei ihrem Anblick auf die Füße sprang und rief: »Wenn mich meine Annahme nicht trügt, so ist dies kein Menschenkind, sondern eine der Bräute Edens!«

Alsdann bestellte Sein el-Mawâsif den Speisetisch, und nun aßen und tranken sie und waren fröhlich und guter Dinge, worauf der Speisetisch wieder fortgetragen und der Weintisch gebracht wurde; und Becher und Schale kreisten unter ihnen in heller Lust, bis Mesrûr den Becher füllte und rief: »O du, deren Sklave ich bin, und die meine Herrin ist!« Dann sang er eine Reihe von Versen zu ihrem Preis, worauf sie zu ihm sprach: »O Mesrûr, jeder, wer an seinem Glauben festhält und von unserm Brot und Salz gegessen hat, dem haben wir seinen ihm gebührenden Teil zu geben. So vergiß daher alle diese Sachen, denn ich gebe dir dein Gut wieder und alles, was ich dir nahm.« Mesrûr erwiderte: »O meine Herrin, ich spreche dich von allem, was du da sagst, frei, wiewohl du den Eid, den wir einander ablegten, brachst; denn ich will fortgehen und Moslem werden.« Da sagte ihre Sklavin Hubûb zu ihr: »Meine Herrin, du bist jung an Jahren und weißt viel, und ich erbitte des großen Gottes Fürsprache bei dir; denn wenn du nicht meinem Geheiß folgst und mein Herz tröstest, schlafe ich nicht die Nacht über in deinem Hause.« Sein el-Mawâsif entgegnete: »Es soll ganz nach deinem Wunsch geschehen, Hubûb; steh' auf und mach' uns einen andern Raum zurecht. Da erhob sich Hubûb, machte ein anderes Zimmer zurecht, indem sie dasselbe schmückte und aufs würzigste parfümierte, so wie es ihre Herrin liebte und gern hatte. Alsdann machte sie ein neues Mahl zurecht und trug den Wein auf, worauf Becher und Schale wieder unter ihnen in heller Lust kreisten. 160

Achthundertundfünfzigste Nacht.

Hierbei sagte Sein el-Mawâsif zu Mesrûr: »Mesrûr, die Zeit der Vereinigung ist nun gekommen; wenn du dich wirklich um unsere Liebe bemühst, so trag' uns ein Lied von wundersamem Inhalt vor.« Da recitierte Mesrûr eine lange Ode, worauf Sein el-Mawâsif entzückt rief: »O Mesrûr, wie schön sind deine Gaben! Mag der nicht leben, der dir gram ist!« Alsdann trat sie in das Gemach und rief Mesrûr zu sich, der sie nun umarmte, an die Brust preßte, küßte und in höchster Freude von ihr erlangte, was er für unmöglich gehalten hatte. Hierauf sagte Sein el-Mawâsif zu ihm: »Mesrûr, dein Gut ist uns verwehrt und steht dir wieder frei, dieweil wir Liebesleute geworden sind.« So gab sie ihm alles, was sie ihm fortgenommen hatte, wieder zurück und sagte zu ihm: »Mesrûr, besitzest du einen Garten, in den wir gehen und wo wir uns vergnügen können?« Er versetzte: »Jawohl, meine Herrin, ich habe einen Garten, wie es nicht seinesgleichen giebt.« Dann begab er sich in seine Wohnung und befahl seinen Sklavinnen ein prächtiges Mahl in einem hübschen Zimmer herzurichten. Hierauf lud er Sein el-Mawâsif zu sich ein, die mit ihren Sklavinnen zu ihm kam, und nun aßen und tranken sie wieder und waren fröhlich und vergnügt, und Becher und Schale kreisten unter ihnen in heller Lust, bis Liebhaber und Geliebte sich zurückzogen und Sein el-Mawâsif zu ihm sagte: »Mesrûr, mir sind einige hübsche Verse eingefallen, die ich zur Laute vortragen möchte.« Mesrûr versetzte: »Thu's;« und nun nahm sie die Laute in die Hand, stimmte sie und sang, indem sie die Saiten rührte, in gefälliger Weise einige Verse, worauf sie ihn aufforderte ebenfalls etwas vorzutragen und etwas von seinen Früchten zum besten zu geben. Als er dann einige Verse vorgetragen hatte, sagte sie zu ihm: »So du uns wirklich liebst, so trag' uns ein Lied über das, was zwischen uns beiden vorgefallen ist, vor.« 161

Achthundertundeinundfünfzigste Nacht.

Mesrûr versetzte: »Freut mich und ehrt mich.« Alsdann trug er eine lange Ode vor, welche Sein el-Mawâsif aufs höchste entzückte und erfreute. Dann aber sagte sie zu ihm: »O Mesrûr, der Morgen naht, und es bleibt jetzt nichts anderes übrig als fortzugehen, damit es keinen Skandal giebt.« Mesrûr versetzte: »Recht gern,« und, sich erhebend, brachte er sie nach ihrer Wohnung, worauf er zu seiner Behausung zurückkehrte und, in Gedanken über ihre Reize versunken, die Nachte verbrachte. Als dann der Morgen anbrach und es licht ward und tagte, besorgte er ein prächtiges Geschenk und brachte es ihr, indem er sich an ihre Seite setzte. In dieser Weise verbrachten sie eine Reihe von Tagen aufs beste und angenehmste, als eines Tages ein Brief von ihrem Mann bei ihr eintraf, der ihr seine baldige Rückkehr anzeigte. Da sprach sie bei sich: »Gott bewahre ihn nicht und erhalte ihn nicht am Leben, da er durch sein Kommen unser Leben stört; o daß ich doch die Hoffnung auf seine Rückkehr aufgeben könnte!« Als dann Mesrûr wie gewöhnlich zu ihr kam und sich an ihre Seite setzte, um mit ihr zu plaudern, sagte sie zu ihm: »Mesrûr, es ist von meinem Gatten ein Brief eingetroffen, der seine baldige Rückkehr von der Reise ankündigt; was soll nun geschehen, wo keiner von uns es ohne den andern aushalten kann?« Mesrûr versetzte: »Ich weiß es nicht, du aber kennst deines Mannes Charakter besser, zumal wo du eine der verständigsten Frauen bist und Listen kennst wie kein Mann.« Nun erwiderte sie: »Er ist ein unerträglicher Mann und voll Eifersucht auf seine Hausleute. Wenn er jedoch von seiner Reise heimgekehrt ist und du es hörst, so komm zu ihm, begrüß' ihn, setz' dich an seine Seite und sprich zu ihm: »Mein Bruder, ich bin ein Drogist.« Kauf' von ihm etwas Drogen, besuch' ihn häufiger, schwatz' lang und breit mit ihm und widersprich ihm in nichts, was er dir sagt; auf diese Weise wird dann, 162 was ich plane, ganz wie zufällig geschehen.« Mesrûr versetzte: »Ich höre und gehorche,« und verließ sie mit einem Herzen voll Liebesglut.

Als nun ihr Gatte heimkehrte, zeigte sie sich über sein Kommen erfreut und begrüßte ihn, ihn willkommen heißend. Wie er nun aber in ihr Gesicht sah, fand er, daß es gelb aussah; sie hatte nämlich eine der Frauenlisten angewendet und es mit Safran gewaschen. Auf seine Frage nach ihrem Befinden antwortete sie ihm, daß sie samt den Sklavinnen seit der Zeit seiner Abreise krank gewesen wäre und sagte: »Unsere Herzen waren wegen deiner langen Abwesenheit voll Unruhe.« Alsdann hob sie an ihm über das Leid der Trennung zu lamentieren und eine Menge Thränen zu vergießen, indem sie dabei sagte: »Hättest du wenigstens einen Gefährten, so würde sich mein Herz nicht so um dich gegrämt haben. Um Gott, mein Herr, reise nicht wieder ohne einen Gefährten fort und laß uns nicht so ganz ohne Nachricht, damit mein Herz und Gemüt um deinetwillen in Frieden ist.«

Achthundertundzweiundfünfzigste Nacht

Ihr Mann versetzte: »Recht gern; bei Gott, dein Wort ist wahr und dein Rat gut; so wahr mir dein Leben am Herzen liegt, es soll nach deinem Wunsch geschehen!« Hierauf begab er sich mit einigen seiner Waren in seinen Laden und setzte sich, nachdem er sie ausgepackt hatte, um sie auf dem Bazar zu verkaufen. Während er nun in seinem Laden saß, kam mit einem Male Mesrûr an und begrüßte ihn, worauf er sich an seine Seite setzte, und, ihn willkommen heißend, mit ihm eine lange Weile schwatzte. Dann zog er einen Beutel hervor, band ihn auf und holte Gold aus ihm hervor, das er dem Mann Sein el-Mawâsifs mit den Worten überreichte: »Gieb mir für diese Dinare etwas Drogen, daß ich sie in meinem Laden verkaufe.« Der Kaufmann erwiderte: »Ich höre und gehorche,« und gab ihm das Verlangte. Alsdann begab sich Mesrûr eine Reihe von Tagen 163 regelmäßig zum Kaufmann, bis dieser eines Tages zu ihm sagte: »Ich suche einen Compagnon für mein Geschäft.« Mesrûr versetzte: »Dasselbe thue ich, da mein Vater ein Kaufmann im Lande El-Jemen war und mir ein großes Kapital hinterließ, das mir verloren gehen könnte.« Da wendete sich Sein el-Mawâsifs Gatte zu ihm und fragte ihn: »Beliebt es dir, daß wir beide Partner werden? Ich würde dein Freund und Gefährte auf Reisen und daheim sein und dich das Verkaufen und Kaufen und Nehmen und Geben lehren.« Mesrûr versetzte: »Freut mich und ehrt mich.« Alsdann nahm ihn der Kaufmann mit sich in sein Haus und ließ ihn sich im Vestibül setzen, während er zu seiner Frau Sein el-Mawâsif hineinging und zu ihr sagte: »Ich hab' mich mit einem Kaufmann associiert und ihn zu Gast geladen; richt' uns daher ein schönes Gastmahl an.« Sein el-Mawâsif freute sich hierüber, da sie wußte, daß es Mesrûr war, und richtete in ihrer Freude über ihre gelungene List ein prächtiges Bankett und ein feines Mahl an. Als nun Mesrûr in das Haus des Gatten Sein el-Mawâsifs trat, sagte dieser zu ihr: »Komm mit mir zu ihm heraus, heiß ihn willkommen und sprich zu ihm: »Du hast uns erfreut.« Sein el-Mawâsif erwiderte jedoch erzürnt: »Du willst mich vor einen fremden Mann führen? Da sei Gott vor! Und wenn du mich auch in Stücke schnittest, so würde ich mich nicht ihm zeigen.« Ihr Mann entgegnete: »Weswegen wolltest du dich vor ihm schämen, wo er ein Nazarener ist, und wir Juden sind und Compagnons werden?« Sie versetzte jedoch: »Ich will nicht vor dem Fremden erscheinen, den mein Auge nie zuvor geschaut hat, und den ich nicht kenne.« Ihr Mann glaubte nun, sie spräche die Wahrheit, und redete ihr so lange zu, bis sie sich erhob und, sich einhüllend und das Essen nehmend, zu Mesrûr hinausging und ihn willkommen hieß. Mesrûr aber senkte sein Haupt zu Boden, als ob er sich schämte, so daß der Kaufmann beim Anblick seines Verhaltens sprach: »Zweifellos ist er ein Asket.« 164 Alsdann aßen sie sich satt, worauf die Speisen fortgetragen wurden und man den Wein brachte. Sein el-Mawâsif aber setzte sich Mesrûr gegenüber, und beide schauten einander an, bis der Tag verstrichen war. Dann kehrte er mit loderndem Herzen heim, während Sein el-Mawâsifs Gatte der Liebenswürdigkeit und Schönheit seines Compagnons in seinen Gedanken nachhing. Als nun die Nacht hereinbrach, setzte ihm seine Frau wie üblich das Nachtessen vor; er hatte aber in seinem Hause einen Sprosser,Eine Art Nachtigall. der, sobald er sich zum Essen setzte, zu ihm geflogen kam und mit ihm aß und über seinem Haupt flatterte. Inzwischen hatte sich der Vogel jedoch an Mesrûr gewöhnt und hatte ihn, so oft er sich zum Essen setzte, umflattert, so daß, als nun Mesrûr bei der Anwesenheit seines Herrn ausblieb, er diesen nicht mehr erkannte und ihm fern blieb, was dem Kaufmann zu denken gab. Sein el-Mawâsif hingegen vermochte, da ihr Herz bei Mesrûr war, nicht zu schlafen. Wie es nun auch in der zweiten und dritten Nacht ebenso mit ihr stand, merkte der Jude ihren Zustand und beobachtete sie in ihrer Herzensunruhe, bis er Verdacht schöpfte. In der vierten Nacht erwachte er um Mitternacht aus seinem Schlaf und hörte nun, wie seine Frau im Schlaf in seinen Armen Mesrûrs Namen aussprach. Er verbarg jedoch seinen Verdacht und begab sich am nächsten Morgen wieder in seinen Laden, wo er sich hinsetzte, als nach einiger Zeit Mesrûr erschien und ihn begrüßte. Er erwiderte ihm den Salâm und sagte zu ihm: »Willkommen, mein Bruder, ich sehnte mich schon nach dir.« Nachdem sie dann wohl eine Stunde lang miteinander geplaudert hatten, sagte er zu Mesrûr: »Steh' auf, mein Bruder, und komm in meine Wohnung, damit wir den Bund der Brüderschaft abschließen.« Mesrûr versetzte: »Freut mich und ehrt mich.« Als sie nun zur Wohnung des Juden kamen und dieser zu seiner Frau ging und sie von Mesrûrs 165 Ankunft und seiner Absicht, sich mit ihm zu associieren und verbrüdern, unterrichtete und ihr befahl, sie aufs beste zu bewirten und selber zu ihnen zu kommen und Augenzeuge von dem Abschluß ihrer Bruderschaft zu sein, da sagte sie: »Um Gott, führe mich nicht vor diesen fremden Mann; ich trage kein Verlangen danach, vor ihm zu erscheinen.« Da schwieg der Jude und ließ sie zufrieden, indem er nun den Sklavinnen befahl, das Essen und den Wein aufzutragen. Alsdann rief er den Sprosser, doch kannte dieser nicht seinen Herrn, sondern flog auf Mesrûrs Schoß, worauf der Jude ihn fragte: »Mein Herr, wie ist dein Name?« Er versetzte: »Ich heiße Mesrûr;« es war dies aber gerade der Name, den sein Weib die ganze Nacht über im Schlaf gerufen hatte. Dann hob er den Kopf und sah nun, daß sie ihm zuwinkte und ihm mit ihren Augen Zeichen gab, woraus er ersah, daß er betrogen war. Infolgedessen sagte er: »Mein Herr, entschuldige mich nur so lange, bis ich meine Vettern geholt habe, daß sie bei unserer Verbrüderung zugegen sind.« Mesrûr entgegnete: »Thu' ganz nach deinem Belieben.« Da erhob sich Sein el-Mawâsifs Gatte und verließ das Haus, kehrte jedoch um und stellte sich hinter das Wohnzimmer –

Achthundertunddreiundfünfzigste Nacht.

an ein Fenster, durch das er sie, ungesehen von ihnen, beobachten konnte. Da fragte mit einem Male Sein el-Mawâsif ihre Sklavin Sukûb: »Wohin ist dein Herr gegangen?« Sie versetzte: »Er hat das Haus verlassen.« Hierauf sagte sie zu ihr: »So verschließ die Thür, leg' das Eisen vor und öffne ihm nicht eher, als bis er an die Thür pocht und du es mir gesagt hast.« Und die Sklavin Sukûb antwortete ihr: »So soll's geschehen.« Alles dies aber trug sich vor den Augen ihres Gatten zu. Alsdann nahm Sein el-Mawâsif den Becher und that Rosenwasser und Moschuspulver in den Wein, worauf sie zu Mesrûr ging, der sich erhob und zu ihr sagte, indem er ihr entgegenging: »Bei 166 Gott, deines Mundes Seim ist süßer als dieser Wein!« Nachdem sie dann einander zu trinken gereicht hatten, besprengte sie ihn vom Scheitel bis zum Fuß mit Rosenwasser, bis der Duft den ganzen Raum erfüllte, während ihr Gatte ihnen zusah und sich über ihre große gegenseitige Liebe verwunderte. Sein Herz aber erfüllte sich mit Zorn über das, was er sah, und Grimm und gewaltige Eifersucht erfaßten ihn. Hierauf ging er wieder an die Thür und klopfte, da er sie verschlossen fand, in seinem Grimm stark; und die Sklavin rief: »Meine Herrin, mein Herr ist heimgekehrt.« Sein el-Mawâsif versetzte: »Öffne ihm, und Gott möge ihn nicht gesund heimgebracht haben!« Da ging Sukûb zur Thür und öffnete sie, worauf er sie fragte: »Was fehlt dir, daß du die Thür verriegelt hast?« Sie versetzte: »Sie war während deiner Abwesenheit stets verschlossen und wurde weder bei Nacht noch bei Tage geöffnet.« Er erwiderte: »So ist's recht; das gefällt mir.« Hierauf ging er, lachend und seinen Kummer verbergend, zu Mesrûr und sagte zu ihm: »Mesrûr, laß uns unsere Verbrüderung von heute auf einen andern Tag verschieben.« Mesrûr versetzte: »Ich höre und gehorche; thue ganz nach deinem Belieben.« Hierauf ging Mesrûr nach Hause, während Sein el-Mawâsifs Gatte voll Gedanken über seinen Fall war und nicht wußte, was er thun sollte. Tief betrübt sprach er bei sich: »Selbst der Sprosser verleugnet mich, und die Sklavinnen schließen mir vor dem Gesicht die Thür zu und kehren sich einem andern zu.« Alsdann sprach er in seinem tiefen Kummer die Verse:

»Ich sehe, daß meine Geliebte sich von mir abgewendet hat,
Und auch mein Sprosser will nichts mehr von mir wissen.
Beim Herrn der Welten, der seinen Beschluß an seinen Geschöpfen ausführt,
Ich will's dem Missethäter nach Verdienst lohnen!«

Als Sein el-Mawâsif seine Verse vernahm, erbebten ihre Schultermuskeln und, gelb werdend, fragte sie ihr Mädchen: »Hast du die Verse gehört?« Das Mädchen versetzte: »Ich 167 hörte in meinem ganzen Leben nicht solche Verse sprechen, jedoch laß ihn reden, was er reden will.« Als nun aber ihr Gatte sah, daß sich die Sache in Wirklichkeit so verhielt, verkaufte er all seine Habe und sprach bei sich: »Wenn ich sie nicht von ihrer Heimat fortführe, so geht es zwischen ihnen so weiter.« Nach dem Verkauf seiner Habe schrieb er dann einen Brief und las ihn seiner Frau unter dem Vorgeben vor, er hätte ihn von seinen Vettern erhalten, die ihn und seine Frau in dem Briefe aufforderten, sie zu besuchen. Seine Frau fragte ihn: »Und wie lange wollen wir bei ihnen bleiben?« Er erwiderte: »Zwölf Tage.« Da willigte sie ein und fragte ihn: »Soll ich einige meiner Mädchen mitnehmen?« Er erwiderte: »Nimm Hubûb und Sukûb mit und laß Chutûb hier.« Dann beschaffte er für sie eine hübsche Kamelsänfte und schickte sich an mit ihnen abzureisen, während Sein el-Mawâsif zu Mesrûr schickte und ihm sagen ließ: »Wenn die verabredete Zeit verstrichen ist, ohne daß wir kommen, so wisse, daß er uns eine Falle gestellt und uns mit List getrennt hat. Vergiß nicht den Schwur und die Gelübde, die uns verbinden, denn ich fürchte mich vor seinem Arg und seiner List.« Während nun ihr Mann mit der bevorstehenden Abreise beschäftigt war, begann sie zu weinen und zu jammern und fand weder bei Tag noch bei Nacht Ruhe, ohne daß ihr Mann, wiewohl er es sah, sie deswegen befragte; schließlich, als sie sah, daß ihr Mann nicht von der Reise abzubringen war, packte sie all ihr Zeug und ihre Sachen zusammen und gab alles ihrer Schwester zum Aufbewahren, indem sie ihr das Vorgefallene mitteilte, worauf sie von ihr Abschied nahm und weinend heimkehrte. Als sie hier sah, daß ihr Gatte die Kamele bereits hatte vorführen lassen und ihnen die Lasten auflud, nachdem er das schönste Kamel für sie zurechtgemacht hatte, wurde sie wie verstört, da sie nunmehr sah, daß sie sich unabwendbar von Mesrûr trennen mußte. 168

Achthundertundvierundfünfzigste Nacht.

Zufälligerweise mußte aber ihr Gatte wegen eines Geschäftes ausgehen, und da trat sie an die erste, zweite und dritte Thür und schrieb auf dieselbe Verse, in denen sie von Mesrûr Abschied nahm, worauf sie bitterlich weinend und jammernd heimkehrte und in Erinnerung an das Vergangene sprach: »Preis sei Gott, der dies über uns verhängt hat!« Alsdann erschien sie vor ihrem Gatten, der sie in die Sänfte hob, die er für sie hatte machen lassen; und als sie nun auf dem Rücken des Kamels abzog, nahm sie in traurigen Versen von ihrem Haus Abschied, worauf ihr Gatte zu ihr sagte: »Traure nicht über diese Trennung von deinem Haus, Sein el-Mawâsif, denn du wirst bald wieder heimkehren.« Dann begann er ihr freundlich zuzusprechen und sie zu trösten, bis sie aus der Stadt herausgekommen waren und die Landstraße einschlugen, worauf sie schwer bekümmert ersah, daß ihr die Trennung gewißlich beschieden war.

Inzwischen hatte Mesrûr in seiner Wohnung dagesessen und seinen Gedanken über seine Lage und die seiner Geliebten nachgehangen; sein Herz ahnte die Trennung und, aufspringend, begab er sich zu ihrem Haus, dessen Thür er verschlossen und mit den Versen Sein el-Mawâsifs beschrieben sah. Als er sie gelesen hatte, sank er ohnmächtig zu Boden, bis er wieder zu sich kam, worauf er, die erste Thür öffnend, zur zweiten und zur dritten schritt, auf denen er ebenfalls die Verse gewahrte. Nachdem er alles gelesen hatte, wuchs sein Liebesweh, seine Sehnsucht und wilde Leidenschaft, und er folgte eilig ihrer Spur, bis er die Karawane einholte, an deren Ende er sie gewahrte, während der Kaufmann wegen seiner Bagage an der Spitze ritt. Als er sie erblickte, hängte er sich, weinend und über die Trennung bekümmert, an ihre Sänfte und klagte Verse, bis Sein el-Mawâsif ihn an der Stimme erkannte. 169

Achthundertundfünfundfünfzigste Nacht.

Da weinte sie mit ihren Mädchen und sagte zu ihm: »Mesrûr, ich bitte dich bei Gott, kehre um, daß uns mein Gatte nicht sieht!« Als Mesrûr ihre Worte vernahm, sank er in Ohnmacht, bis er wieder zu sich kam, worauf er, weinend und jammernd und sich an der Sänfte festhaltend, von ihr Abschied nahm, während sie ihn aus Furcht entdeckt zu werden beschwichtigte und ihm zuredete, vor Morgenanbruch heimzukehren. Da trat er an die Sänfte und nahm noch einmal von ihr Abschied, worauf er in Ohnmacht sank und wohl eine Stunde lang bewußtlos dalag. Als er dann wieder zu sich kam und sah, daß sie fortgezogen waren, kehrte er, von Sehnsucht verzehrt, zu ihrem Haus zurück und weinte, als er es öde und leer und ohne die Geliebte fand, bis seine Kleider ganz durchnäßt waren und er von neuem in eine so schwere Ohnmacht sank, daß er beinahe den Geist aufgegeben hätte. Als er dann endlich wieder zu sich kam, kehrte er heim und saß weinenden Auges und verstört zehn Tage lang zu Hause.

Soviel mit Bezug auf Mesrûr; was aber Sein el-Mawâsif anlangt, so erkannte sie, daß ihr Gatte sie überlistet hatte, denn er reiste zehn Tage lang mit ihr, bis er in einer Stadt Halt machte. Hier schrieb sie nun einen Brief an Mesrûr und sagte zu ihrer Sklavin Hubûb, indem sie ihr denselben überreichte: »Schicke diesen Brief an Mesrûr, damit er weiß, daß uns der Jude überlistet und betrogen hat.« Die Sklavin nahm den Brief und schickte ihn Mesrûr, der durch seinen Inhalt schwer bedrückt wurde, so daß er weinte, bis der Boden naß geworden war. Dann schrieb er ebenfalls einen Brief und schickte ihn an Sein el-Mawâsif, nachdem er ihn mit folgenden Versen beschlossen hatte:

»Wo ist der Weg zu den Pforten des Trostes,
Und wie kann der getröstet werden, den Flammen verzehren?
Wie schön waren die Zeiten, die nun vergangen sind!
O daß uns noch etwas von jenen Tagen verblieben wäre!« 170

Als der Brief bei Sein el-Mawâsif eingetroffen war und sie ihn gelesen hatte, gab sie ihn ihrem Mädchen Hubûb und sagte zu ihr: »Verbirg ihn.« Ihr Gatte erfuhr jedoch von ihrem Briefwechsel und zog deshalb mit Sein el-Mawâsif und ihren Sklavinnen weiter, bis er nach zehn Tagen mit ihnen in eine andere Stadt einkehrte.

Inzwischen hatte Mesrûr weder Schlaf noch Ruhe gefunden, und die Geduld war von ihm gewichen, bis er eines Nachts müde seine Augen schloß und nun träumte, daß Sein el-Mawâsif zu ihm in den Garten gekommen wäre und ihn umarmte; da erwachte er und, als er sie nicht sah, flog ihm der Verstand fort und seine Sinne verstörten sich; seine Augen schwammen in Thränen, sein Herz empfand das bitterste Weh und er klagte sein Leid in Versen, bis er sich weinend zu ihrer Wohnung aufmachte und nicht eher zu weinen aufhörte, als bis er sie erreicht hatte. Als er nun dort die leere Stätte sah, kam es ihm mit einem Male vor, als ob er ihr Phantom vor sich sähe, so daß er in Gluten entbrannte und in vermehrter Trübsal ohnmächtig zu Boden stürzte.

Achthundertundsechsundfünfzigste Nacht.

Als er dann wieder zu sich kam, hörte er einen Raben bei dem Hause krächzen; da weinte er und sprach: »Preis sei Gott, der Rabe krächzt über nichts anderes als über das öde Haus!« Alsdann seufzte und stöhnte er und klagte von neuem sein Leid in Versen.

Nun hatte Sein el-Mawâsif eine Schwester, Namens Nasîm, die ihn von einem hohen Ort aus gewahrte. Da sie aber wußte, wie sehr beide in Liebe, Sehnsucht, Schmerzen und wahnsinniger Leidenschaft zu einander entflammt waren, sagte sie zu ihm: »Um Gott, Mesrûr, meide dies Haus, auf daß dich nicht jemand sieht und glaubt, du kämest um meinetwillen; du hast meiner Schwester Abreise verschuldet und willst mich nun auch noch forttreiben; denn du weißt, daß ohne dich das Haus nicht seiner Bewohner 171 beraubt wäre. Schlag' sie dir aus dem Sinn und laß sie fahren; was geschehen, ist geschehen.« Als Mesrûr die Worte der Schwester Sein el-Mawâsifs vernahm, weinte er bitterlich und sagte zu ihr: »O Nasîm, wenn ich fliegen könnte, so flöge ich ihr nach vor Sehnsucht; wie sollte ich mir sie da aus dem Sinn schlagen?« Nasîm erwiderte: »Dir ist kein anderer Ausweg als Geduld geblieben.« Da versetzte Mesrûr: »Ich bitte dich um Gottes willen, schreib' einen Brief an sie und verschaff' mir Antwort, auf daß sich mein Gemüt beruhigt und das Feuer in meinem Innern erlischt.« Nasîm antwortete: »Recht gern.« Alsdann nahm sie Tinte und Papier, während Mesrûr ihr seine große Sehnsucht und alle die Schmerzen schilderte, die er infolge der Trennung von ihr erlitten hatte, und also sprach: »Dieser Brief kommt von dem Liebestollen, Betrübten, dem Getrennten und Elenden, der weder bei Nacht noch bei Tage Ruhe findet und Thränen in Strömen vergießt, daß seine Lider von den Thränen wund sind, und sein Herz von Trübsal verbrannt ist. Lang währt seine Klage, und seiner Seufzer sind viel geworden. Wie ein Vogel ist er, der sein Gespons verloren hat, und sein Untergang eilt schnell herbei. Weh meiner Kümmernis über die Trennung von dir, und weh meiner Trauer über den verlorenen Verkehr mit dir! Fürwahr, mein Leib ist verzehrt, meine Thränen strömen, Berge und Thäler engen mich ein, und in meines Leides Übermaß klag' ich die Verse:

»Meine Liebe haftet an diesem Haus,
Und mein Sehnen wird heißer nach seinen Bewohnern.
Zu euch sende ich die Geschichte meiner Liebe,
Denn der Mundschenk reichte mir den Becher eurer Liebe zu trinken.
Über eure Abreise und Abwesenheit von eurem Haus
Strömen meine Lider fortwährend von Thränen über.
O du Sänftentreiber, kehre um mit meiner Geliebten,
Denn meines Herzens Glut tobt immer wilder.
Bring' meinen Salâm der Geliebten und sag' ihr,
Daß ihm kein Trank verblieb als allein von ihren braunen Lippen.« 172

Sein el-Mawâsifs Schwester Nasîm, die sich über seine beredte Zunge und über den schönen Inhalt und die Feinheit seiner Verse verwunderte, empfand Mitleid mit ihm und versiegelte den Brief mit starkduftendem Moschus, worauf sie ihn mit Nedd und Ambra parfümierte; dann übergab sie ihn einem Kaufmann und sagte zu ihm: »Gieb diesen Brief nur meiner Schwester oder ihrer Sklavin Hubûb;« und der Kaufmann erwiderte: »Freut mich und ehrt mich.« Als nun der Brief in Sein el-Mawâsifs Hand gelangte, erkannte sie, daß Mesrûr ihn diktiert hatte, und erkannte ihn selber an seiner gefälligen Ausdrucksweise. Sie küßte ihn deshalb und legte ihn auf ihre Augen, und die Thränen strömten von ihren Lidern, bis sie in Ohnmacht sank. Als sie dann wieder zu sich kam, verlangte sie nach Tinte und Papier und beantwortete ihm seinen Brief, indem sie ihm ihre Sehnsucht, ihr Verlangen und ihr Liebesweh schilderte und all das Leid, das sie um den Geliebten erduldete, und ihm ihre wahnsinnige Liebesglut für ihn klagte.

Achthundertundsiebenundfünfzigste Nacht.

Alsdann bestreute sie den Brief mit Moschuspulver und Ambra und versiegelte ihn, worauf sie ihn einem der Kaufleute mitgab, indem sie zu ihm sagte: »Gieb den Brief niemand anders als meiner Schwester Nasîm.« Als nun der Brief zu Nasîm gelangte, schickte sie ihn zu Mesrûr, der ihn küßte und auf die Augen legte, worauf er weinte, bis er in Ohnmacht sank.

Soviel mit Bezug auf sie; was nun aber Sein el-Mawâsifs Gatten anlangt, so brach er, als er wieder von ihrer Korrespondenz vernahm, auf und zog mit ihr und ihren Mädchen von Ort zu Ort, bis Sein el-Mawâsif sagte: »Preis sei Gott, bis wohin willst du mit uns ziehen und wie weit willst du uns von unserer Heimat fortbringen?« Er erwiderte: »Ich will ein ganzes Jahr mit euch reisen, bis zu euch keine Briefe mehr von Mesrûr gelangen. Ich 173 sehe, wie ihr all mein Geld nehmt und es ihm gebt; alles aber, was mir verloren geht, nehme ich von euch; und ich will doch sehen, ob Mesrûr euch nützen oder euch aus meiner Hand befreien kann.« Alsdann ging er zu einem Schmied und ließ für sie drei eiserne Fesseln machen, worauf er wieder mit den Fesseln zu ihnen zurückkehrte, ihnen die seidenen Kleider, die sie anhatten, auszog, sie in härene Kleider steckte und sie mit Schwefel beräucherte. Dann holte er den Schmied und befahl ihm: »Leg' die Fesseln diesen Sklavinnen an die Füße.« Die erste aber, die herzutrat, war Sein el-Mawâsif; und als der Schmied sie erblickte, verlor er die Sinne; sein Verstand flog ihm aus dem Kopf und, sich in die Fingerspitzen beißend, fragte er in heißer Sehnsucht den Juden: »Was haben diese Sklavinnen verbrochen?« Der Jude versetzte: »Es sind meine Sklavinnen, die mir mein Geld stahlen und fortliefen.« Da sagte der Schmied: »Gott mache deine Gedanken zu Schanden! Bei Gott, wenn diese Sklavin vor dem Oberkadi stünde und jeden Tag tausend Verbrechen beginge, er würde sie nicht strafen! Sie sieht auch gar nicht danach aus, daß sie gestohlen hätte, und könnte nicht das Eisen an ihren Füßen ertragen.« Alsdann bat er ihn sie nicht in Fesseln zu legen und legte Fürbitte für sie ein. Als aber Sein el-Mawâsif den Schmied für sie Fürbitte einlegen sah, sagte sie zum Juden: »Ich bitte dich, führe mich nicht heraus vor jenen fremden Mann.« Der Jude erwiderte ihr hierauf: »Wie kamst du denn heraus zu Mesrûr?« Da gab sie ihm keine Antwort. Der Jude aber nahm des Schmieds Fürbitte soweit an, daß er ihr nur eine leichte Fußfessel anlegte, da sie einen zarten Körper hatte und daher keine harte Behandlung ertragen konnte, während er die Sklavinnen in schwere Fesseln legte; und von nun an trug sie mit ihren Mädchen härene Kleider Nacht und Tag, bis sie abgemagert waren und ihre Farbe sich verändert hatte. Der Schmied aber hatte sich gänzlich in Sein el-Mawâsif verliebt und ging schwer betrübt nach Hause, wo er Verse 174 zu sprechen anhob, in denen er seine Hand verwünschte, die sie in Fesseln gelegt hatte, während sie der Oberkadi, wenn er sie in ihrer Schönheit sähe, auf den höchsten Ehrenplatz setzen würde. Es traf sich nun aber, daß der Kadi gerade an dem Haus des Schmieds vorüberging, als er die Verse sprach, so daß er ihn vor sich kommen ließ; und als der Schmied nun vor ihm erschien, fragte er ihn: »O Schmied, wer ist es, deren Namen du so leidenschaftlich anrufst und die dein Herz ganz und gar erfüllt hat?« Da erhob sich der Schmied vor dem Kadi auf seine Füße, küßte ihm die Hand und sprach: »Gott lasse die Tage unseres Herrn Kadi lange währen und mache sein Leben angenehm! Das Mädchen sieht so und so aus;« und nun beschrieb er ihm ihre Schönheit und Anmut, ihren Wuchs und ihr Ebenmaß, ihre Grazie und Vollkommenheit, ihr hübsches Gesicht, ihre schlanke Taille und ihr schweres Gesäß und erzählte ihm, in welcher erniedrigenden Lage sie sich befand, und wie sie eingesperrt und in Fesseln gehalten würde und nichts zu essen bekäme. Da sagte der Kadi zu ihm: »Schmied, bring sie zu uns, daß wir ihr ihr Recht verschaffen, denn du bist für das Mädchen jetzt verantwortlich geworden; und, so du sie nicht zu uns führst, wird Gott es dir am Auferstehungstage heimzahlen.« Der Schmied versetzte: »Ich höre und gehorche,« und machte sich unverzüglich zu Sein el-Mawâsifs Haus auf, doch fand er die Thür verschlossen und hörte Sein el-Mawâsif mit sanfter Stimme aus bekümmertem Herzen ihr Leid in Versen klagen. Als der Schmied ihre Verse vernahm, weinte er wie wenn Wolken weinen; dann pochte er an die Thür, worauf die Mädchen fragten: »Wer ist an der Thür?« Da versetzte er: »Ich bin's, der Schmied,« und berichtete ihnen die Worte des Kadis und seinen Wunsch, daß sie vor ihm erschienen und vor ihm Klage führten, damit er ihnen ihr Recht verschaffen und sie sich an ihrem Widersacher rächen könnten. 175

Achthundertundachtundfünfzigste Nacht.

Sein el-Mawâsif erwiderte ihm: »Wie sollen wir denn herauskommen, wo die Thür verschlossen ist und wir Fesseln an unsern Füßen tragen und der Jude die Schlüssel hat?« Da sagte der Schmied: »Ich werde für die Schlösser Schlüssel machen und die Thür und die Fesseln öffnen.« Hierauf fragte Sein el-Mawâsif: »Wer wird uns das Haus des Kadis zeigen?« Der Schmied versetzte: »Ich will es euch beschreiben.« Da hob sie von neuem an: »Und wie sollen wir zum Kadi gehen, wo wir in härene, mit Schwefel beräucherte Sachen gekleidet sind?« Der Schmied versetzte: »Der Kadi wird es euch nicht verübeln, daß ihr euch in solchem Zustand befindet.« Alsdann erhob er sich unverzüglich und machte Schlüssel für die Schlösser, worauf er die Thür und die Fesseln öffnete und, ihre Füße von den Fesseln befreiend, sie zum Haus des Kadis führte. Dann zog Hubûb ihrer Herrin die härenen Kleider aus und führte sie ins Bad, wo sie sie badete und in seidene Kleider kleidete, worauf die Farbe ihr wiederkehrte. Um das Glück aber voll zu machen, war ihr Mann gerade zu einem Hochzeitsbankett zu einem der Kaufleute ausgegangen; und so schmückte sich Sein el-Mawâsif aufs beste und begab sich zum Haus des Kadis. Als der Kadi sie erblickte, erhob er sich auf seine Füße, sie aber begrüßte ihn mit süßen Worten und Reden, ihn dabei mit den Pfeilen ihrer Blicke durchbohrend, und sprach zu ihm: »Lang lasse Gott unsern Herrn den Kadi leben und stärke ihn beim Gericht!« Alsdann erzählte sie ihm von dem Schmied und berichtete ihm, wie edel er sich gegen sie benommen hatte, als der Jude sie so qualvoll gefoltert hatte, und wie dieser sie zu Tode zu quälen vorhatte, und sie keinen Helfer hätte. Hierauf fragte sie der Kadi: »O Mädchen, wie ist dein Name?« Sie erwiderte: »Ich heiße Sein el-Mawâsif, und diese meine Sklavin heißt Hubûb.« Da sagte der Kadi zu ihr: »O Sein el-Mawâsif, 176 dein Name entspricht der Person, und der Klang des Wortes entspricht dem Sinn.« Da lächelte sie und verhüllte ihr Gesicht, während der Kadi sie fragte: »O Sein el-Mawâsif, hast du einen Ehegemahl oder nicht?« Sie erwiderte: »Ich habe keinen Ehegemahl.« Nun fragte der Kadi weiter: »Und was ist dein Glaube?« Sie versetzte: »Mein Glaube ist der Islam und die Religion des besten der Geschöpfe.« Da sagte der Kadi: »Schwöre mir bei dem göttlichen Gesetz, reich an Wunden und Exempeln, daß du den Glauben des besten der Menschen bekennst.« Als sie ihm dies beschworen und das Glaubensbekenntnis abgelegt hatte, fragte sie der Kadi: »Wie kommt es, daß du deine Jugend diesem Juden opferst?« Sie versetzte: »Wisse, o Kadi, – und Gott lasse deine Tage in Zufriedenheit lange währen und erfülle deine Wünsche und besiegele dein Thun mit frommen Werken! – mein Vater hinterließ mir bei seinem Tode fünfzehntausend Dinare, die er dem Juden in die Hand gab, mit ihnen Handel zu treiben, um den Verdienst dann mit mir zu teilen, während das Grundkapital gesetzlich gesichert ward. Wie nun mein Vater gestorben war, begehrte der Jude nach mir und hielt um mich bei meiner Mutter an, die zu ihm sagte: »Wie soll ich sie ihrem Glauben abtrünnig machen und Jüdin werden lassen? Bei Gott, ich will dich der Regierung anzeigen!« Da bekam der Jude Furcht und floh mit seinem Gut nach der Stadt Aden. Als wir vernahmen, daß er in Aden lebte, suchten wir ihn daselbst auf und, als wir ihn fanden, sagte er uns, daß er mit Waren Handel triebe und Waren über Waren kaufe. Wir glaubten es ihm, und er ließ nicht nach uns zu belügen und betrügen, bis er uns einsperrte und fesselte und aufs grausamste folterte, wo wir hier fremd sind und keinen andern Helfer haben als Gott, den Erhabenen, und unsern Herrn Kadi.«

Als der Kadi diese Geschichte von ihr vernommen hatte, fragte er ihr Mädchen Hubûb: »Ist dies deine Herrin, und seid ihr hier fremd, und ist sie unvermählt?« Als Hubûb 177 seine Frage bejahte, sagte er: »So verheirate mich mit ihr, und ich will mich verpflichten, die Sklaven freizulassen, zu fasten, nach Mekka zu pilgern und Almosen zu geben, wenn ich euch nicht euer Recht an diesem Hund verschaffe, nachdem ich ihn für sein Thun bestraft habe.« Hubûb erwiderte: »Ich höre und gehorche;« worauf der Kadi versetzte: »Geh, und sei du und deine Herrin guten Mutes; und morgen, so Gott will, der Erhabene, will ich nach diesem Kâfir schicken und euch euer Recht an ihm verschaffen, und ihr sollt Wunder von Folterstrafen sehen.« Da segnete ihn Hubûb und verließ ihn mit ihrer Herrin, ihn in Kümmernis und in wahnsinniger Verliebtheit und Sehnsucht zurücklassend. Sie aber erkundigten sich nun nach der Wohnung des zweiten Kadis, und als man sie zu ihr gewiesen hatte, erschienen sie vor ihm und trugen ihm dieselbe Geschichte vor, und ebenso dem dritten und vierten, bis sie ihre Klage vor allen vier Kadis erhoben hatte, von denen ein jeder sie zu heiraten verlangte, worauf sie zusagte, ohne daß einer etwas vom andern wußte, und ohne daß der Jude von allem eine Ahnung hatte, da er sich im Haus, wo man die Hochzeit feierte, befand.

Am nächsten Morgen erhob sich nun ihr Mädchen und kleidete sie in eins der prächtigsten Kleider, worauf sie sich mit ihrer Herrin zu den vier Kadis in den Gerichtshof begab. Als die Richter sie sahen, entschleierte sie ihr Antlitz und begrüßte sie, worauf sie ihr den Salâm erwiderten; und jeder von ihnen erkannte sie. Dem einen aber, der gerade schrieb, fiel die Feder aus der Hand, ein anderer, der sich gerade unterhielt, fing an zu stammeln, und der dritte, welcher rechnete, verrechnete sich. Dann sprachen sie zu ihr: »O du Feine, so wunderbar an Anmut, sei nur guten Mutes, denn wir werden dir ganz gewiß dein Recht verschaffen und deinen Wunsch erfüllen.« Und so wünschte sie ihnen Gottes Segen und ging, sich verabschiedend, wieder fort, – 178

Achthundertundneunundfünfzigste Nacht.

während inzwischen der Jude bei seinen Freunden das Hochzeitsfest mitmachte und nichts von alledem wußte. Sein el-Mawâsif aber fuhr fort die Rechtsbehörden und Meister des Kalams um Hilfe gegen jenen ungläubigen Kâfir anzugehen und sie zu bitten, sie von ihren schmerzlichen Foltersqualen zu befreien, und schrieb außerdem einen Brief, in dem sie alles, was ihr der Jude von Anfang an bis zu Ende zugefügt hatte, aufschrieb; dann faltete sie den Brief und übergab ihn ihrer Sklavin Hubûb mit den Worten: »Bewahre diesen Brief in deiner Tasche, bis wir ihn an Mesrûr abschicken.« In demselben Augenblick aber trat der Jude ein und fragte sie, als er sie vergnügt sah: »Wie kommt's, daß ich euch vergnügt sehe? Habt ihr etwa einen Brief von euerm Freund Mesrûr erhalten?« Sein el-Mawâsif versetzte: »Wir haben wider dich keinen andern Helfer als Gott, – Preis Ihm, dem Erhabenen! Er wird uns von deiner Tyrannei befreien, und wenn du uns nicht in unser Vaterland und unsere Heimat zurückkehren lässest, so wollen wir morgen über dich vor dem Gouverneur und dem Kadi dieser Stadt Klage führen.« Da sagte der Jude: »Wer hat euch die Fesseln von den Füßen abgenommen? Ich werde nunmehr für jede von euch eine zehn Pfund schwere Fessel machen lassen und will mit euch rings um die Stadt gehen.« Hubûb erwiderte ihn hierauf: »Alles, was du gegen uns im Schilde führst, soll, so Gott will, dafür, daß du uns von der Heimat fortgeführt hast, auf dich fallen, und morgen wollen wir mit dir vor den Gouverneur der Stadt treten.« In dieser Weise verbrachten sie die Nacht bis zum Morgen, worauf der Jude aufstand und sich zum Schmied begab, daß er ihm für sie neue Fesseln machte. Da aber erhob sich Sein el-Mawâsif mit ihren Mädchen und begab sich zum Gerichtshof, wo sie die Richter antraf. Auf ihren Gruß erwiderten ihr alle Kadis den Salâm, und der 179 Oberkadi sagte zu seiner Umgebung: »Siehe, dieses Mädchen ist schön wie Fâtime.« Alle aber, die sie sahen, verneigten sich vor ihrer Schönheit und Anmut. Alsdann schickte der Oberkadi vier ScherifeNachkömmlinge Mohammeds. aus und befahl ihnen: »Bringt ihren Widersacher in der schimpflichsten Weise her.«

Wie nun der Jude mit den Fesseln heimkehrte und sie nicht zu Hause antraf, ward er bestürzt, als mit einem Male die Häscher ihn zu packen bekamen, ihn gewaltig verprügelten und ihn auf seinem Gesicht vor den Kadi schleiften. Als dieser ihn erblickte, schrie er ihm ins Gesicht und rief: »Wehe dir, du Feind Gottes, ist es mit dir so weit gekommen, daß du dich zu solchen Thaten erfrechst und diese hier von der Heimat fortschleppst, ihr Geld stiehlst und sie zu Juden machen willst? Wie darfst du dich unterstehen Moslems zum Unglauben verleiten zu wollen?« Der Jude versetzte: »Mein Herr, dieses hier ist mein Weib.« Als aber die Kadis diese Worte von ihm vernahmen, schrieen sie allzumal: »Werft diesen Hund zu Boden, macht euch mit euern Sandalen über sein Gesicht her und verprügelt ihn aufs jämmerlichste, denn sein Verbrechen ist unverzeihlich.« Da rissen sie ihm seine seidenen Kleider ab und zogen ihm härene Sachen an, worauf sie ihn zu Boden warfen, ihm den Bart ausrissen und ihm das Gesicht mit ihren Sandalen bearbeiteten. Alsdann setzten sie ihn auf einen Esel, mit dem Gesicht zum Hinterteil des Esels gekehrt, und zogen mit ihm, ihm den Schwanz des Esels in die Hand gebend, rings in der Stadt umher, bis sie ihn durch die ganze Stadt geführt hatten, worauf sie ihn in höchster Erniedrigung wieder zum Kadi zurückführten; und nun fällten die vier Kadis das Urteil über ihn, ihm Hände und Füße abzuhauen und ihn dann zu kreuzigen. Da sagte der Verruchte, bestürzt über ihre Worte und seinen Verstand verlierend: »Ihr Herren Richter, was wollt ihr von mir?« Sie erwiderten: »Sprich: Dieses Mädchen ist 180 nicht mein Weib, das Geld ist ihr Geld, und ich hab' mich wider sie vergangen und hab' sie von ihrer Heimat fortgeschleppt.« Da bekannte er dies, und die Richter schrieben sein Geständnis auf und nahmen ihm sein Geld fort, das sie Sein el-Mawâsif zugleich mit dem Dokument seines Geständnisses einhändigten. Hierauf ging sie fort, und alle, die sie sahen, waren von ihrer Schönheit und Anmut verwirrt, während jeder der Kadis glaubte, sie würde sich ihm ergeben. Als sie jedoch nach Hause kam, machte sie alles, dessen sie bedurfte, zurecht und wartete, bis die Nacht anbrach, worauf sie alles, was leicht an Gewicht und hoch an Wert war, an sich nahm und mit ihren Mädchen im Dunkel der Nacht abzog, ununterbrochen drei Tage und Nächte lang reisend.

Soviel mit Bezug auf Sein el-Mawâsif; die vier Kadis aber befahlen nach ihrer Abreise ihren Gatten den Juden einzusperren.

Achthundertundsechzigste Nacht.

Am andern Morgen warteten die Kadis und die Zeugen auf Sein el-Mawâsif, doch erschien sie bei keinem von ihnen, worauf der Kadi, bei dem sie zuerst gewesen war, sagte: »Ich will mich heute außerhalb der Stadt vergnügen, da ich dort ein Geschäft habe.« Alsdann bestieg er sein Maultier und zog mit seinen Burschen der Länge und Breite nach durch die Gassen der Stadt auf der Suche nach Sein el-Mawâsif, ohne eine Spur von ihr zu finden; unterwegs aber traf er die andern Kadis an, die ebenfalls die Stadt nach ihr absuchten, während jeder von ihnen glaubte, sie hätte sich allein mit ihm verabredet. Der erste Kadi fragte nun die andern, weshalb sie durch die Gassen der Stadt ritten, worauf sie es ihm mitteilten, und er nun daraus ersah, daß es ihnen gerade so wie ihm erging, und ihre Frage gleich der seinigen war. Hierauf suchten alle gemeinschaftlich nach ihr und kehrten, als sie keine Spur von ihr finden konnten, ein jeder krank nach Hause zurück und legten sich nieder. Da erinnerte 181 sich der Oberkadi an den Schmied und ließ ihn zu sich holen, worauf er ihn fragte: »Schmied, weißt du etwas von dem Mädchen, das du zu uns führtest? Bei Gott, wenn du mir nicht Auskunft über sie giebst, lasse ich dich auspeitschen!« Der Schmied versetzte: »Bei Gott, mein Herr, seit sie deine geehrte Gegenwart verließ, hat mein Auge sie nicht wieder erschaut; doch hat sie mein Herz und meine Sinne in Besitz genommen, daß sich meine Worte und Gedanken allein um sie drehen. Ich ging zu ihrer Wohnung, fand sie jedoch nicht und sah auch keinen, der mir Auskunft von ihr geben konnte, als wäre sie in des Meeres Tiefe getaucht oder zum Himmel emporgeschwebt.« Als der Kadi seine Worte vernahm, stieß er einen so schweren Seufzer aus, daß er beinahe den Geist aufgegeben hätte, und rief: »Bei Gott, hätten wir sie doch nie gesehen!« Hierauf verließ ihn der Schmied, während der Kadi auf sein Bett sank und ihretwegen gleich den Zeugen und den übrigen Richtern erkrankte. Die Doktoren besuchten sie nun zwar, doch fanden sie, daß ihre Krankheit durch keinen Arzt zu kurieren war; und nun besuchten die Angesehenen der Stadt den ersten Kadi und begrüßten ihn, indem sie sich nach seinem Befinden erkundigten, worauf er seufzte und, sein Inneres offenbarend, die Verse sprach:

»Laßt den Tadel ruhn, denn der Krankheit Schmerzen genügen,
Und entschuldigt einen Kadi, des Amt das Gericht über das Volk ist.
Wer mich der Liebe beschuldigt, der entschuldige mich
Und tadle mich nicht, denn ein an Liebe Sterbender verdient keinen Tadel.«

Als der Kadi die Verse gesprochen hatte, weinte er bitterlich und gab mit einem tiefen Seufzer seinen Geist auf. Als sie dies sahen, wuschen sie ihn und wickelten ihn ins Leichentuch, worauf sie über ihn beteten und ihn begruben. Nachdem sie ihn so der Barmherzigkeit Gottes anbefohlen hatten, begaben sie sich in Begleitung des Arztes zum zweiten Kadi, ohne an ihm einen Schaden oder ein Leid zu finden, das einen Arzt erfordert hätte. Als sie ihn dann nach seinem 182 Befinden fragten und er ihnen seine Geschichte mitteilte, tadelten sie ihn und fuhren ihn hart an, worauf er ihnen ähnliche Verse wie der erste Kadi zur Antwort gab; dann stieß er einen tiefen Seufzer aus und gab seinen Geist auf. Da machten sie ihn zurecht und bestatteten ihn, ihn Gottes Barmherzigkeit anheimstellend, worauf sie sich zum dritten und vierten Kadi und den Zeugen begaben, die sie in gleicher Weise liebeskrank antrafen. Und jeder, der sie gesehen hatte, starb entweder an Liebe zu ihr oder, wenn er nicht starb, lebte er doch von Sehnsuchtsqualen heimgesucht, – Gott erbarme sich ihres insgesamt! –

Achthundertundeinundsechzigste Nacht.

Soviel mit Bezug auf sie; inzwischen war nun Sein el-Mawâsif mit ihren Mädchen schnell gereist, bis sie nach einer großen Strecke Weges an einem Kloster vorüberkam, in welchem ein Prior, Namens Dânis, mit vierzig Mönchen lebte. Als dieser Sein el-Mawâsif in ihrer Anmut gewahrte, kam er zu ihr heraus und lud sie ein, indem er zu ihr sagte: »Ruhet euch zehn Tage bei mir aus und reiset dann weiter.« Da kehrte sie mit ihren Mädchen bei ihm ins Kloster ein; ihre Schönheit und Anmut verführte ihn jedoch, daß er seinem Gelübde abtrünnig wurde und einen Mönch nach dem andern zu ihr schickte, um ihre Gunst zu gewinnen; jeder aber, den er zu ihr schickte, verliebte sich in sie und begehrte nach ihr, während sie Ausflüchte machte und sich ihm versagte. Und so schickte ihr Dânis einen Mönch nach dem andern, bis er alle vierzig zu ihr geschickt hatte, von denen sich jeder beim ersten Blick in sie verliebte, so daß sie sie alle mit Schmeichelreden bedrängten, ohne Dânis' Namen zu nennen, während sie alle mit harten Worten heimschickte. Als nun Dânis vor Liebesverlangen nicht mehr an sich halten konnte, sprach er bei sich: »Das Sprichwort sagt: Mein eigener Nagel kratzt meine Haut und mein eigener Fuß besorgt allein mein Anliegen.« Alsdann erhob er sich auf seine 183 Füße und machte ein reiches Mahl zurecht, worauf er es ihr vorsetzte; es war dies aber der neunte Tag von den zehn, die sie ihm zugesagt hatte im Kloster zu ihrer Erholung zuzubringen. Indem er ihr nun das Mahl vorsetzte, sagte er zu ihr: »Beliebe es dir im Namen Gottes und koste das Beste, was uns zu Gebote steht.« Da streckte sie ihre Hand aus und sagte: »Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen!« worauf sie mit ihren Mädchen aß. Als sie die Mahlzeit beendet hatte, sagte er zu ihr: »Meine Herrin, ich möchte dir gern einige Verse vortragen.« Sie versetzte: »Sprich.« Da hob er an und sprach die Verse:

»Du hast mein Herz mit deinen Blicken und Wangen bezwungen,
Und in Prosa und in Versen will ich meine Liebe verkünden.
Willst du einen Liebhaber verlassen, der krank aus Sehnsucht ist,
Der selbst in Träumen mit seiner Liebe ringt?
Verlaß nicht einen am Boden Liegenden und Liebestollen,
Der nach seinem Glück des Klosters Geschäfte vernachlässigt.
O du Zarte, die du mein Blut vergießest,
Hab' Mitleid mit mir und neig' dein Ohr meiner Klage.«

Als Sein el-Mawâsif seine Verse vernommen hatte, gab sie ihm in folgenden beiden Versen Antwort:

»O der du nach mir verlangst, laß dich nicht von deiner Hoffnung täuschen,
Steh' ab von deinem Verlangen, o Mann.
Laß ab zu begehren, was du nicht erreichen kannst,
Siehe, den Begierden folgt schnell das Verhängnis.«

Als der Prior ihre Verse vernommen hatte, kehrte er bekümmert in seine Zelle zurück, ohne zu wissen, was er thun sollte, und verbrachte aufs übelste die Nacht. Sobald aber das Dunkel hereinbrach, erhob sich Sein el-Mawâsif und sprach zu ihren Mädchen: »Steht auf und laßt uns fortziehen, denn wir können uns nicht vierzig Mönche vom Halse halten, von denen ein jeder nach uns begehrt.« Die Mädchen versetzten: »Recht gern,« und, ihre Reittiere besteigend, ritten sie in der Nacht aus dem Kloster fort. 184

Achthundertundzweiundsechzigste Nacht.

Unterwegs stießen sie auf eine Karawane und mischten sich unter dieselbe, und siehe, da war es eine Karawane aus der Stadt Aden, in welcher Sein el-Mawâsif zu Hause war. Sie hörte aber die Leute der Karawane sich über Sein el-Mawâsif unterhalten und davon reden, daß die Kadis und die Zeugen aus Liebe zu ihr gestorben wären, und daß die Bewohner der Stadt sich andere Kadis und Zeugen erwählt hätten, die ihren Gatten aus dem Gefängnis entlassen hätten. Als sie dies vernahm, wendete sie sich zu ihren Mädchen und fragte Hubûb: »Hast du's gehört?« Hubûb versetzte: »Wenn sich die Mönche, die in ihrem Glauben Enthaltsamkeit vom Weib als Gottesdienst ansehen, in dich verliebten, wie sollte es da den Kadis anders ergehen, die da glauben, daß es im Islam keine Möncherei giebt? Laß uns jedoch heimkehren, so lange unsere Sache noch verborgen ist.« Hierauf machten sie sich auf und zogen in aller Eile weiter.

Soviel von Sein el-Mawâsif und ihren Mädchen; was nun aber die Mönche anlangt, so gingen sie am andern Morgen zu Sein el-Mawâsif, um sie zu begrüßen; als sie jedoch den Raum leer vorfanden, erkrankten sie, und einer nach dem andern zerriß seine Kleider, und weinte und klagte sein Leid in Versen, worauf alle, nachdem sie die Hoffnung aufgegeben hatten, sie wiederzusehen, ihr Bild aufzustellen beschlossen und sich daran machten, bis der Zerstörer der Freuden sie heimsuchte.

Inzwischen war Sein el-Mawâsif weiter zu ihrem Geliebten Mesrûr gezogen und rastete nicht eher als bis sie zu ihrer Wohnung gelangt war und, die Thüren öffnend, ins Haus trat, worauf sie nach ihrer Schwester Nasîm schickte. Als ihre Schwester von ihrer Ankunft vernahm, freute sie sich mächtig und brachte ihr die Hauseinrichtung und die kostbaren Stoffe, die Sein el-Mawâsif ihr anvertraut hatte. 185 Dann richtete sie das Haus ein, indem sie es ausschmückte und die Vorhänge vor den Thüren aufhängte, und durchräucherte es mit Aloe, Nedd, Ambra und starkem Moschus, bis das ganze Haus aufs würzigste durchdüftet war. Hierauf legte Sein el-Mawâsif ihre feinsten Sachen an und schmückte sich aufs beste, ohne daß Mesrûr etwas von ihrer Ankunft wußte, vielmehr in schwerster Sorge und Trübsal dasaß.

Achthundertunddreiundsechzigste Nacht.

Alsdann setzte sich Sein el-Mawâsif und erzählte ihren Mädchen, die zu Hause geblieben waren, alles was ihr von Anfang bis zu Ende widerfahren war, worauf sie sich zu Hubûb wandte und ihr etwas Geld gab, damit sie etwas für sie und die Mädchen zum Essen und Trinken holte. Als sie dann gegessen und getrunken hatten, befahl sie Hubûb zu Mesrûr zu gehen und nachzuschauen, wo er wäre und wie es ihm erginge. Mesrûr aber hatte während der ganzen Zeit keine Ruhe gefunden, und als ihn die Geduld völlig verlassen hatte, und sein Weh, seine Sehnsucht, Verliebtheit und Aufregung überhand nahmen, hatte er sich mit Recitation von Versen zu trösten versucht und war von Zeit zu Zeit zum Haus seiner Geliebten gegangen, um die Mauern zu küssen. Wie er nun wieder einmal von dort zurückgekehrt war und weinend dasaß, sank er in Schlaf und träumte, daß Sein el-Mawâsif heimgekehrt wäre. Da erwachte er weinend aus dem Schlaf und begab sich nach ihrer Wohnung, als er auf der Straße den würzigen Duft roch, so daß seine Seele in Aufruhr kam, sein Herz ihm die Brust zu sprengen drohte, und seine Leidenschaft in aufloderndem Verlangen noch heftiger tobte; und siehe, da kam Hubûb vom andern Ende der Gasse auf ihn zu, um ihren Auftrag zu erfüllen. Bei ihrem Anblick ward er von mächtiger Freude erfaßt, sie aber begrüßte ihn und teilte ihm die frohe Kunde von der Ankunft ihrer Herrin Sein el-Mawâsif mit, indem sie zu ihm sagte: 186 »Siehe, meine Herrin hat mich ausgeschickt, dich zu ihr zu holen.« Da freute er sich über die Maßen und folgte ihr zu Sein el-Mawâsif, die sich bei seinem Anblick von ihrem Polster erhob und ihm entgegenging, worauf beide einander in einemfort umarmten und küßten, bis sie vor Liebe und infolge der Trennung in eine lange Ohnmacht sanken. Als sie dann wieder zu sich kamen, befahl sie ihrem Mädchen Hubûb einen Krug voll Zuckerscherbett und einen andern voll Limonenscherbett zu holen, worauf beide aßen und tranken, bis die Nacht kam, und sie nun einander alle ihre Erlebnisse von A bis Z erzählten. Dann teilte sie ihm mit, daß sie zum Islam übergetreten wäre, worüber er sich mächtig freute; und er und die Mädchen wurden nun gleichfalls Moslems und bekehrten sich zu Gott, dem Erhabenen. Am andern Morgen ließ sie den Kadi und die Zeugen kommen und teilte ihnen mit, daß sie Witwe wäre und die Zeit der Unnahbarkeit erfüllt hätte, und daß sie nun Willens wäre, Mesrûr zu heiraten, worauf diese den Ehekontrakt schrieben, und beide in allen Freuden lebten.

Inzwischen war aber ihr Gatte der Jude, nachdem ihn das Volk der Stadt aus dem Gefängnis entlassen hatte, heimgezogen und ohne Aufenthalt gereist, bis zwischen ihm und der Stadt, in welcher Sein el-Mawâsif weilte, nur noch ein Weg von drei Tagen lag. Als dieses Sein el-Mawâsif hinterbracht wurde, rief sie ihr Mädchen Hubûb und sagte zu ihr: »Geh' zum Judenfriedhof, grab' dort ein Grab, leg' Basilienkraut auf ihm nieder und sprenge ringsherum Wasser. Wenn dann der Jude kommt und dich nach mir fragt, so sprich zu ihm: »Siehe, deine Herrin ist vor zwanzig Tagen aus Kummer über dich gestorben. Wenn er dann zu dir sagt: Zeig' mir ihr Grab, – so führe ihn zum Grab und sieh zu, wie du ihn lebendig begraben kannst.« Hubûb erwiderte: »Ich höre und gehorche.« Hierauf nahmen sie die Zimmereinrichtung fort und trugen sie in eine Kammer, und Sein el-Mawâsif begab sich zu Mesrûrs Haus, wo beide 187 schmausten und zechten, bis die drei Tage verstrichen waren. Als nun der Jude bei seinem Hause anlangte und an die Thür pochte, fragte Hubûb: »Wer ist an der Thür?« Er versetzte: »Dein Herr.« Da öffnete sie die Thür; als er ihr nun aber die Thränen über ihre Wangen laufen sah, fragte er sie: »Weshalb weinst du, und wo ist deine Herrin?« Sie erwiderte: »Meine Herrin ist aus Kummer über dich gestorben.« Als er dies vernahm, wurde er bestürzt und weinte bitterlich; dann aber fragte er sie: »Hubûb, wo ist ihr Grab?« Da führte sie ihn zum Friedhof und zeigte ihm das Grab, das sie gegraben hatte, bei dessen Anblick er bitterlich zu weinen anhob und stöhnte und klagte, bis er in Ohnmacht sank, worauf Hubûb ihn eilig ans Grab schleifte und ihn in seiner Ohnmacht hineinwarf. Dann schüttete sie das Grab zu und kehrte zu ihrer Herrin zurück, ihr das Vorgefallene mitteilend, die nun in heller Freude die beiden Verse sprach:

»Das Schicksal schwur, mich immerdar zu betrüben,
Doch brachst du deinen Schwur, o Zeit; so sühne es nun!
Der Tadler ist tot, und der Geliebte weilt bei mir,
So geh dem Freudenboten entgegen und schürze dich auf.«

Hierauf verbrachten sie ihre Zeit schmausend und zechend und in Spiel und Scherz, bis der Zerstörer der Freuden, der Trenner der Vereinigungen und der Mörder der Söhne und Töchter sie heimsuchte.

 


 

Ende des vierzehnten Bandes.

 


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