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Wie die Vorsehung Adamsson beim Schopf nahm

Hätte jemand zu Anfang dieses Jahrhunderts dem Bankbeamten Ernst Adamsson in der Småländer Handelsbank gesagt, daß er Monsieur Charles-Edouard Baury, Beausoleil, Alpes Maritimes, Frankreich, einmal herzlich verwünschen würde, hätte er ohne Zweifel geantwortet: Blödsinniges Gewäsch! Prost!

Ernst Adamsson hatte nach den Elementarstudien den gelehrten Weg aufgegeben und war in die Banklaufbahn eingetreten. Anfänglich wenig von diesem Fach eingenommen, hatte er allmählich Interesse dafür gefaßt; und mehrere Jahre hindurch schien er ausschließlich für Wechsel, Reversalanleihen, Tratten und Buchabschlüsse zu leben. Während dieser Zeit ruhte das Auge der Vorsehung wohlgefällig auf dem Opfer der Småländer Handelsbank. Deren Geschäfte gingen stetig vorwärts, Abteilungskontors wurden gegründet, und Ernst Adamsson wurde Oberbuchhalter in dem neueingerichteten Kontor in Dackemåla.

Noch entbehrt Dackemåla seines Geschichtsschreibers, aber sofern dieser einmal die Schicksale dieser Stadt schildern wird, wird er nicht umhin können, ihre Haupteigenschaft zu erwähnen: ihre tödliche schwedische Einsamkeit.

Um neun Uhr jedes Morgens fand Oberbuchhalter Ernst Adamsson sich auf seinem Kontor ein und saß da bis ein Uhr; und das war ungefähr alles, was er zu tun hatte. Dackemålas Bevölkerung fuhr nach wie vor fort ihr Gold vorsichtig in den grünen Kisten ihrer Väter zu verwahren und fand sich bloß ein, um auf fabelhaft schlechte Wechsel und Anleihen Geld aufzunehmen.

Mit dem Schlag eins konnte Adamsson in den meisten Fällen die Bude sperren und sich in Gesellschaft des Kassiers Ström nach dem Gasthof begeben, allwo der Rest ihres Tages verfloß. Dann und wann guckte der Stationsinspektor oder Apotheker auf ein paar Stunden herein; und mitunter geschah es, daß ein dahergeschneiter Handelsreisender ihnen einen Abend mit seinen Geschichten verschönte; im übrigen waren sie einer auf des anderen Gesellschaft angewiesen.

So ging es eine Zeitlang; hierauf wurde der Oberbuchhalter dieses Lebens überdrüssig und trachtete andere Felder für seinen Tätigkeitstrieb ausfindig zu machen. Und eines schönen Tages begann er, konsequent die Fondslisten und ausländischen Börsentelegramme der Zeitungen zu studieren.

»Hätte ich bloß soviel Geld,« dachte er, »so würde ich die Straßenbahnen kaufen; den Henker, ja, das würde ich, denn die werden anständig steigen.«

Er begann über seine imaginären Spekulationen Protokoll zu führen, lag über seinen Aktien, verkaufte und kaufte mit der fieberhaften Spannung eines wirklichen Spielers. Das erste, was er in den Zeitungen aufschlug, war die Börsenkursliste des vorhergehenden Tages; mit dieser verglich er und notierte seine Resultate. Hatte er verloren, fluchte er herzhaft über die Bauernwechsel, die heute eingelaufen waren. Gewann er jedoch, was häufiger geschah, so beeilte er sich, es über den Pult dem Kassier Ström hinüberzurufen, der allen Spekulationen gegenüber voll Mißtrauen war. Und zu Mittag nahmen die beiden Herren jeder eine kleine Halbe, jeder auf seine besondere Veranlassung.

Eines Tages fand er, er habe über zehntausend Kronen gewonnen; und zwar bloß mit dem Risiko einiger Tausende auf vierundzwanzig Stunden …

Da kam der Einbruchsversuch in das Kontor der Handelsbank in Dackemåla.

Adamsson hatte mit dem Apotheker und Ström bis halb ein Uhr nachts Whiskygrog getrunken; und gemeinsam hatten sie von Herzen das Schicksal verwünscht, das sie auf diese Robinson Crusoe-Insel verschlagen hatte, und Pest und Schwefel über Schweden überhaupt, wie über Småland insbesondere herabgerufen.

»Da lob' ich mir Amerika oder England«, sagte Adamsson voll Bitterkeit. »Da kann ein Kerl, der Grütze in sich hat, wirklich weiterkommen.«

»Du mit deinen Spekulationen, ja freilich«, sagte Ström, und dann zankten sie.

Um halb eins brachen sie nach einem letzten Klaps auf die runden Reize der Kellnerin auf, und Adamsson begleitete die beiden Herren nach ihrer gemeinsamen Wohnung am anderen Ende Dackemålas. Hierauf ging er allein zurück.

Die Nacht war nach dem genossenen Whisky wunderbar kühl und frisch. Die Kiefern sandten ihren starken Duft über das schlummernde Dackemåla. In einiger Entfernung rauschte der Bunnbach durch die Mühlen. Es war wolkig und sternenlos.

Adamsson ging langsam weiter, während seine Gedanken noch um das letzte Gesprächsthema kreisten. Zum Satan auch: hier in diesem Loch verfaulen mit ein paar tausend Kronen und der Pension später und … hallo, was war denn das?

Er war vor dem Bankkontor stehengeblieben. Die Tür war verschlossen, auch das Fenster in Ordnung, aber drinnen im Kontor hatte er ein schwachglimmendes Licht bemerkt.

Die Ereignisse der nächsten halben Stunde lösten einander so rasch vor ihm ab wie in einem Traum. Er schlich rings um das Haus: richtig, ein Fenster an der Hinterseite war eingedrückt. Er folgte so lautlos er konnte, zerschnitt sich am Glas die Hand, schob leise die Tür zum Kontor auf; und ehe der Dieb sich dessen versah, lag er halbtot auf dem Boden mit einer garstigen Kopfwunde, von einem Stück Holz herrührend, das Adamssons Hände ganz unbewußt gehandhabt hatten. Kurz darauf war der Mann gebunden, die Zweizahl des Polizeikorps alarmiert und die Zeugenaussage Adamssons gebührend zu Papier gebracht.

Es ergab sich, daß man es mit einem Stockholmer Dieb zu tun hatte, der, auf die Unbelebtheit der Provinzstadt zählend, diesen Streich beschlossen hatte. Wahrscheinlich wäre dieser auch gelungen, ohne (wie die Zeitungen sich so schön ausdrückten) »die gewohnte Wachsamkeit des diensteifrigen Oberbuchhalters, die ihn zu dieser Extranachtrunde veranlaßte, und seine an den Tag gelegte Tapferkeit und Geistesgegenwart«.

Aus welchem Anlaß Ernst Adamsson bei erster Gelegenheit als Direktor nach dem Småländer Handelsbankkontor in Helsingborg versetzt wurde.

Hier war es freilich ein anderes Leben. Das Kontor war neu eingerichtet, besaß aber bereits einen wachsenden Kundenkreis. Tratten, Wechsel und Darlehen flossen in einem beständigen Strom durch die massive Eichentür herein, deren mattgeschliffene Glasscheibe die magische Inschrift »Direktor« trug. Innerhalb dieser mattgeschliffenen Glasscheibe thronte Ernst Adamsson an einem ungeheuren Arbeitstisch in einem bequemen amerikanischen Schreibstuhl; und ihm zur Seite harrten drei Klingeln und vier Telephone darauf, seine Befehle zu übermitteln. Er erfüllte seine Pflichten eifrig und beflissen und hatte nach achtzehnmonatigem Dienst den Umsatz des Kontors um fünfzig Prozent hinaufgetrieben.

Er begann zu spekulieren.

Die alten Träume aus Dackemåla lebten auf. Aber nun trafen die Börsentelegramme mit Blitzesschnelle ein, im Verlauf des Dienstes, nicht wie damals um zwei Tage verspätet und auf der öden Robinson Crusoe-Insel von Wogen der Ironie verschlungen. Tag um Tag folgte Adamsson, anfänglich wie ehedem aus purem Interesse, später mit der kitzelnden Spannung des wirklichen Spekulanten, dem Wechseln und Platztauschen der kleinen Ziffern in den Börsentelegrammen. Er versank in den ausländischen Kurslisten, – Newyork, London, Paris, – wo die Zahlenkolonnen stiegen und fielen wie die Flüssigkeitssäulen, die den Dampfdruck der Maschine angeben; aber sie stiegen und fielen infolge von Ursachen und Gesetzen, die er nur halb begriff.

Er hatte in schwedischen Papieren spekuliert und gewonnen, aber bloß unbedeutend; der Markt war flau, denn da draußen auf den Weltbörsen war in diesem Gnadenjahr 1907 alles mit Elektrizität geladen. Da sind große Dinge im Werden, dachte Direktor Ernst Adamsson ganz richtig. – Wer jetzt den Kurs vorauswittert, segelt ein für allemal in den sicheren Hafen.

Er hatte auf Newyork in Weizen und Baumwolle spekuliert; aber der Markt pendelte fortwährend hin und her. Niemand wußte, wo die Wolke sich entladen würde, mit Ausnahme eines Dutzends glattrasierter Herren in den Geschäftsstraßen Newyorks. Als eines schönen Tages der »Economist« kam, las der Direktor auf der ersten Seite, die Krise könne nicht ausbleiben; die Baumwoll- und Weizenernte würde mit Sicherheit fehlschlagen.

Er beeilte sich, durch seinen Agenten in Kopenhagen zu verkaufen. Zum Kuckuck auch, offenbar war nicht dies die Stelle, wo das goldene Ei lag und auf ihn wartete. Telegramme kamen, daß alles nach Wunsch geordnet sei; aber dieser Wunsch hatte den Direktor neunundzwanzigtausend Kronen gekostet; und er hatte nicht die Hälfte dieser Summe zur Verfügung. Na, es war ja noch Zeit übrig, die Sache zu erledigen.

Diese Zeit verrann mit unglaublicher Hast; und eines schönen Morgens brachte die Post ihm eine Mitteilung der dänischen Maklerfirma, daß man der umgehenden Liquidation seines Geehrten vom 14. vorigen Monats entgegensehe. Die Stirn des Direktors umwölkte sich; er lehnte augenblicklich die ihm von dem Bankdiener mit einer Verbeugung überreichten nächsten zehn Darlehenswechsel ab, und öffnete unwillig seinen deutschen »Börsenkurier«.

Plötzlich zuckte er zusammen. In einer vorsichtig gehaltenen Mitteilung las er, zur Hälfte zwischen den Zeilen, wie die Zeitung eine starke Hausse in Westafrikanischen Goldgesellschaftsaktien voraussagte. Man hatte Gerüchte gehört von neuen bedeutenden Goldlagern auf den Gründen der Gesellschaft, wiewohl diese Gerüchte noch nicht offiziell bestätigt waren. Die Börsen zögerten; aber halb und halb erklärte die Zeitung, in diesem Geschäft Millionen zu wittern.

Der Direktor ward ein Opfer ernster Gedanken. Waren auch die Neunundzwanzigtausend für einen Mann in seiner Stellung natürlich leicht in Reichweite, so fand sich solch eine Gelegenheit – er war schon überzeugt, daß es eine Gelegenheit sei – sicherlich nicht alle Tage. Diese verdammten amerikanischen Papiere waren ja recht unsicher, und in Schweden stand alles so still, als sei es verhext.

Des Nachmittags entlieh der Direktor neunundzwanzigtausend Kronen von dem Kassier der Bank; es war unzweckmäßig, seinen Kredit in Anspruch zu nehmen, ehe es ernstlich vonnöten war. Nebst diesem Geld sandte er Order an seine Firma, 600 Aktien in Westafrikanischer Goldgesellschaft zu je 520 Mark zu kaufen.

Hierauf vergingen der Juli und der halbe August. Die Aktien der Goldgesellschaft erzitterten unter dem Druck vieler Willen; bald ging es aufwärts, wobei der Direktor in sich hinein lachte und seine Freunde zu kaltem Punsch ins Hotel lud; bald bergab, worauf sein Teint sich veränderte und die Telephonisten schwere Stunden hatten. Eines schönen Tages sanken die Aktien wie flügellahm geschossene Vögel bis auf 270 Mark herab; und er erhielt private Mitteilungen von seinen dänischen Mäklern, daß sie – privat – wüßten, alle Gerüchte von neuen Goldfunden seien der reine Schwindel, und die Gesellschaft würde innerhalb achtundsiebzig Stunden in das leere Nichts verschwinden.

Wie einstmals Karl XI. ging da Direktor Ernst Adamsson in seine Kammer und schloß die Tür hinter sich; aber nicht um lärmende Feste zu planen, auch nicht um Gott für den Sieg zu danken.

Er sah sich bestenfalls vor einem Verlust von zirka hundertfünfzigtausend und den schon geliehenen neunundzwanzigtausend Kronen. Die düsteren Flüche, die zu seinen Lippen emporstiegen, erstickten an der Unfähigkeit, auch nur das Zehntel seines Herzeleids zum Ausdruck bringen zu können. Eines der vier Telephone verlor durch Unachtsamkeit des Direktors sein Sprechvermögen; und als das Personal um halb vier abzog, saß er immer noch in schwarze Grübelei versunken da.

In nachtumhüllter Stunde sah man desselbigen Abends Direktor Ernst Adamsson Helsingborg verlassen, – »eine kleine Spritztour, Bruder!« – einem Ziele zu, das er sich selbst verhehlte. Die in Dackemåla gewachsenen Größeträume waren langsam zu Früchten gereift. Das Gewand der Ehrlichkeit war in der Garderobe aufgehängt, und im Geist sah der Direktor sich schon in dem gestreiften Kostüm des Zuchthäuslers.

Und – wie man in Dumas und Kollegen liest: Eines stürmischen Samstagsabends im August des Jahres 1907 hätte man einen wohlgekleideten Mann in mittleren Jahren, angetan mit grauem Überzieher, sehen können, der sich auf dem Hauptbahnhof Kopenhagens einen Weg bahnte und unter dem einen Arm eine schwarze Mappe trug.

Der Mann in mittleren Jahren war Direktor Ernst Adamsson.

Und die Mappe enthielt außer Aktienbündeln 200 000 Kronen in schwedischem und ausländischem Geld.

*

Wenn jemand zu Anfang dieses Jahrhunderts Monsieur Charles-Edouard Baury, Beausoleil, Alpes Maritimes, Frankreich, gesagt hätte, er würde einmal über seine Bekanntschaft mit dem Bankbeamten Ernst Adamsson aus Dackemåla, Schweden, herzlich lachen, so hätte dieser zweifellos die Achseln gezuckt und gesagt: » C'est bien possible, monsieur. Oui, monsieur, voilà ce qui est bien possible

Denn Mr. C.-E. Baury obengenannter Adresse war seit vielen Jahren an dem Kasino in Monte Carlo im Fürstentum Monaco angestellt. Und dort muß man – sowie, einem gewissen Autor gemäß, in Suez – allmählich der ganzen Welt begegnen.

Mr. Baury war im Alter von fünfundzwanzig Jahren in den Dienst dieses weltbekannten Geschäfts eingetreten. Er hatte nach einjähriger vorbereitender Übung als Croupier begonnen. Während vieler Jahre hatte er mit der eintönigen Regelmäßigkeit des mohammedanischen Muezzins, der die Gebetstunden verkündet, – nur öfter – ausgerufen: Messieurs, faites vos jeux! Le jeu est fait! Rien ne va plus – und kurz darauf die gewinnende Nummer. Sodann hatte er mit seiner kleinen Harke Haufen Goldes und Silbers nebst dieser und jener flügellahmen Banknote hereingescharrt und ruhig gewartet, bis die Gewinste ausgezahlt waren, um abermals die Kasinogäste zu ermahnen:

» Messieurs, faites vos jeux!«

Charles-Edouard Baury war ein guter Croupier gewesen. Folglich war auch er, gleich Direktor Adamsson in Schweden, avanciert; war chef de table geworden und versah dieses Amt mit Wachsamkeit.

Es erregte daher eine gewisse Aufmerksamkeit, als er eines Tages in das Direktionsbureau trat und schüchtern erklärte:

»Ich bin so frei, um meinen Abschied zu bitten.«

»Sie um Abschied bitten, Mr. Baury? Warum denn? Ihr Gehalt …«

»O, ich weiß, Messieurs. Aber ich habe Ersparnisse; ich bin ein wenig müde. Das ist alles … Meine Herren, ich bin so frei, um meinen Abschied zu bitten.«

»Aber Mr. Baury, Sie wissen, daß die Bank Ihnen vor Ablauf einer gewissen Dienstzeit keine Pension ausbezahlt. Sie haben diese Dienstzeit noch nicht vollendet: Mr. Baury, Sie verlieren Ihre Pension!«

»Ich weiß es, Messieurs. Ich kehre mich nicht daran. Aber ich erlaube mir, die Direktion um eine Gunst zu bitten.«

»Nun denn, Mr. Baury; was ist es? Sie wissen, die Direktion ist wohlwollend.«

»Ich weiß es, Messieurs. Nun denn, sehen Sie hier meinen Neffen, Paul Baury; es ist ein wohlgearteter junger Mann von nicht üblem Äußern … Ich würde ersuchen, daß er einen Platz auf dem Kommissariat bekäme.«

»Aber Mr. Paul Baury ist ziemlich jung, nicht wahr, Mr. Baury? Sie wissen …«

»Ich weiß, Messieurs; aber mein Neffe ist ein sehr begabter junger Mann. Er ist in Buchführung gewandt. Er spricht fünf Sprachen: deutsch, englisch, holländisch, italienisch, skandinavisch …«

»Mr. Baury, die Direktion wird die Sache erwägen. Die Direktion wird sie bewilligen, verlassen Sie sich. Die Direktion ist wohlwollend, immer wohlwollend.«

Wie gesagt, so geschah es. Mr. Charles-Edouard Baury verließ seine Stellung und ließ sich als unabhängiger Rentner und naturalisierter Bürger in Beausoleil, Alpes Maritimes, nieder, dem französischen Städtchen, das mit Monte Carlo verwachsen ist, aber nicht unter das Fürstentum Monaco gehört. Folglich erhielt Mr. Baury Zutritt zum Kasino, der allen Monegassen verweigert wird; und sein Neffe trat seinen Dienst beim Kommissariat an.

Mr. Baury nahm seinen Abschied und verlor seine Pension. Denn Mr. Baury hatte einen Plan.

Jede Woche, brachte die Post ihm eine Sammlung wunderlicher Zeitungen, alle in fremden Sprachen und mit vielen Porträts versehen. Und an den Abenden der Tage, da die Post diese Zeitungen gebracht, traf Mr. Paul Baury, Mr. Charles-Edouards Neffe, in der Villa seines Oheims in Beausoleil ein. Während einiger Stunden beschäftigten er und sein Oheim sich sodann eingehend mit dem Studium der fremden Zeitungen mit den vielen Porträts. Mr. Charles-Edouard saß in seinem Lehnstuhl; zwischen seinen Lippen glimmte die Zigarre von zehn Zentimeter Länge, und seine schwarzen Augen glühten über den Rand eines Glases mit vortrefflichem vin ordinaire; Mr. Baury war ein sparsamer Mann, verstand es aber doch, als Franzose das Leben zu genießen. Währenddessen saß sein Neffe über die Zeitungen gebeugt, übersetzte seinem Oheim den fremden Text und fixierte lange die zahlreichen Porträts. Und dazwischen nippte er an seiner Tasse teerschwarzen Kaffees.

Dann und wann konnte man während der folgenden Wochen den Oheim die Straßen hinab in der Richtung des Kasinos gehen sehen, angetan mit einem respektabeln schwarzen Anzug, mit Stehumlegkragen, Knöpfelstiefeln und weichem Filzhut.

Bisweilen sah man ihn auch einen Herrn von fremdem Aussehen diskret über dessen Eingangstreppe begleiten und mit ihm im Café de Paris oder in Quintos kleinem Grillroom auf dem Boulevard du Nord verschwinden.

Eine Weile darauf entfernte Mr. Baury sich allein in der Richtung seiner Villa, während sein heutiger Begleiter sich entweder mit entwölkter Stirn nach dem Kasino zurückzog oder auch desselben Abends auf dem Bahnhof von Monte Carlo zum Vorschein kam.

Die Zeitungen, auf die Mr. Baury abonniert hatte, waren Polizeizeitungen aus England, Holland, Deutschland und Skandinavien.

Hierin lag Mr. Baurys kleiner Plan.

*

Direktor Adamsson traf nach einer Reise von eineinhalbmal vierundzwanzig Stunden auf dem Gare du Nord in Paris ein, die Ohren noch voll von dem stundenlangen Gedröhne der Eisenbahnräder, den Hals von Ruß und dem fetten warmen Geruch der Lokomotive.

Seine Reise durch Norddeutschland, Belgien und Frankreich war unter tiefen Grübeleien über dem Grogglas des Restaurationswagens vergangen – wie merkwürdig übrigens, daß man so ohne weiteres Sprit bekam! Seine Zukunftsträume hatten sich an Paris geheftet. Paris, – das sollte ja eine verteufelte Stadt sein; nur die Schererei mit der Sprache. Da muß man ein Weilchen zubringen und als Schwede leben. Dann kann man mit den Börsenspekulationen beginnen. Zum Henker auch, ein Unterschied war's ja doch, im Ausland zu spielen, als daheim, wo man in den Händen dänischer Schwindelfirmen steckte. Das würde fein werden! –

Nach sechswöchigem Aufenthalt in Paris, wo er unter dem Namen eines Grafen Stål – er fand Sicherheit in diesem adeligen Namen – im Hotel du Louvre wohnte, erwachte Direktor Adamsson eines Morgens zu dem Bewußtsein, daß seine Kasse zusammenschmelze wie Schnee in der Sonne. Die Damen vom Bal Tabarin und den Folies Bergères – das waren die richtigen Orte! – hatten ihren reichlichen Tribut an seiner Reisekasse gefordert. Seine schwedischen Begriffe von Entlohnung der Liebe waren in Trümmer gegangen, und mit nationalem Instinkt war er französischer geworden als die Franzosen. Schmuckstücke hatten von seiner Hand geregnet, wie die Tannenzapfen aus den herbstlichen Wäldern von Dackemåla regnen. Soupers mit seltsamen Gerichten und mit einem ausgiebigen Diskonto an Trinkgeldern waren im Café Anglais und in Montmartres Nachtrestaurants verzehrt worden. Eine bis dahin ungewürdigte kleine Dame aus der Normandie, die das Französische langsam sprach, hatte auf Grund dieses Umstandes einen getreuen Bewunderer in Direktor Adamsson gefunden.

An demselben Morgen, da eine dunkle Ahnung in Direktor Adamsson dämmerte, daß es an der Zeit sei, diese Lebensweise zu beenden, begannen auch schon die Donner der Vorsehung ihm zu Häupten zu grollen. Durch Zufall geriet er in ein Kaffeehaus in einem Hintergäßchen am linken Ufer, wo er seinen Morgendurst zu löschen gedachte. Er bestellte sein Bier und warf einen Blick auf den Tisch nebenan; aber was er da sah, ließ ihn jäh von seinem Sitz emporschießen. Denn es war nichts Geringeres als sein eigen-eigenstes Porträt auf der Außenseite einer alten Nummer der »Dagens Nyheter«. »Dagens Nyheter«, die in Schweden zu seiner täglichen Lektüre gehört hatten! Vor Furcht zitternd, daß der Kellner ihn als den Porträtierten erkennen könnte, zog er die Zeitung an sich und begann zu lesen. Es ergab sich, daß man ihm bis Hamburg nachgespürt hatte, daß sein Signalement an die Polizei aller Länder ausgesendet und eine Belohnung von 30 000 Kronen für denjenigen, der ihn dingfest machte, ausgesetzt worden war.

Die Vorsehung hatte Direktor Adamsson sachte beim Schopf genommen und zu zausen begonnen.

Der kalte Schweiß brach ihm aus. Zum Henker damit. Und just in Paris, wo die Spitzeln so durchtrieben sein sollten! Die Schattenseiten des Verbrechens begannen vor seinem Geist hervorzutreten. Und die Kasse, wie stand es mit her? 10 000, 50 000, ja 105 000 bis 110 000 Kronen waren tatsächlich in sechs Wochen draufgegangen. In sechs Wochen!

Es war Zeit, mit dem Börsenspiel zu beginnen.

Börsenspiel! – zum Kuckuck, wo man überall nach ihm forschte! Besonders hier in Paris, wo die Spitzeln so scharf waren!

Die Kasse mußte vergrößert werden. Dann konnte man nach Südamerika fahren und spekulieren. Vergrößert, ja, aber wie?

Direktor Adamsson grübelte hin und her. Plötzlich zuckte er zusammen: jawohl, hurra! Monte Carlo! Wie kann man daran vergessen! Und wo ich von jeher solch Glück im Spiel hatte! Und in Monte Carlo, da fangen sie niemals Leute ab, die Geld haben, das habe ich gelesen. Monte Carlo, c'est bien ça, – wie das Mädchen aus der Normandie zu sagen pflegte.

Der Zug, 9 Uhr 15 Min., der am folgenden Morgen vom Gare de Lyon abfuhr, sah unter seinen Passagieren einen glattrasierten Herrn – das Porträt in Dagens Nyheter trug Schnurrbart – der sich vorsichtig umsah, ehe er sieh in einem Erste-Klasse-Coupé niederließ. Am Abend desselben Tages, einem lauen Oktoberabend, stieg der bezeichnete Herr auf dem Bahnhof von Marseille aus; und folgenden Tages traf er in Monte Carlo, ein und nahm Platz im Omnibus des Hotel de Paris.

In das elegante Fremdenbuch des Hotels schrieb er sich ein als Graf Stålfelt aus Schweden; der Name war hierdurch geschickt verändert, um die Pariser Polizei irrezuführen, und leider hinderte ja das heimatliche Idiom den Grafen, von irgendeinem anderen Land herzustammen.

Am nächsten Morgen fand Graf Stålfelt sich im Kasino ein und wollte geradenwegs kühn in den Spielsaal marschieren. Das Billett? Non, monsieur, die Billetts sind im Kommissariat zu beheben.

Er kehrte um und fand nach einigem Suchen das Kommissariat. In holperigem Französisch brachte er sein Ansuchen um eine Eintrittskarte vor.

»Monsieur hat einen Paß?«

Adamsson schwitzte vor Angst. Der verdammte Paß! Brauchte man ihn? Brauchte man ihn unbedingt?

»Ich habe keinen Paß; ist dies nötig? Mein Name ist Graf Stålfelt, ich wohne im Hotel de Paris.«

»Vaterland?« fragte der artige junge Beamte, ihn fixierend.

»Schweden.«

»O Monsieur, wenn Sie uns Ihre Visitenkarte überlassen, wird alles in einem Moment fertig sein.«

Adamsson schwitzte abermals. Teufel, eine Visitenkarte. »Monsieur, ich habe leider keine Visitenkarte; aber ich wohne im Hotel de Paris und habe viel Geld, beaucoup d'argent

Der artige junge Mann lächelte noch einmal, fixierte den Grafen Stålfelt und fertigte ihm eine Tageskarte aus …

Adamsson trat in die Spielsäle ein. Ein Wirrwarr von Gesichtern, Toiletten und Sprachen begegnete ihm hinter den lautdämpfenden Doppeltüren. Pariser Kokotten nebst Berliner und russischen Kolleginnen flatterten in den Räumen hin und her. Fette und mumientrockene alte Damen hielten die Spieltische treulich garniert, umgeben von wunderlichen Menschentypen aus aller Welt.

Und zum erstenmal prasselte das Rollen der Kugel in seinen Ohren: prt, prt, prt, und klack! fiel sie in ein Loch hinab. Es war wie wenn Revolverhähne gespannt werden.

» Vingt-huit, noir, pair et passe«, erscholl eine monotone Croupierstimme. Und nach einer Weile:

» Messieurs, faites vos jeux. Faites vos jeux, messieurs … Rien ne va plus … Trente-quatre, rouge, pair et passe!«

Adamsson trat zu einem Tisch in der Mitte des Saales. Er fand einen freien Stuhl und ließ sich nieder. Sah, daß man wechseln könne, und erhielt Gold für einen Tausendfrankschein. Er setzte auf Rot 500 und auf Vierzehn 100. Vierzehn war seine Glücksnummer, die mußte sicher kommen.

Die Kugel glitt klappernd aus der Hand des Croupiers, und eine halbe Minute später verkündete er:

» Quatorze, rouge, pair et manque!«

Adamsson zuckte zusammen wie in traumgleicher unwirklicher Freude.

»Ich bin es«, rief er auf schwedisch. »Ich meine c'est je.«

Man lächelte und schob ihm seinen Gewinst zu; » voici, monsieur, 500 pour 500 en rouge; 3 500 pour quatorze, cinq Louis en plein, monsieur

Halb betäubt zog Adamsson das Geld an sich, ließ es aber auf halbem Weg liegen und setzte alles auf Rot: viertausendsechshundert Franks.

» Trois rouge, impair et manque«, kam die müde Stimme des Croupiers, und Adamsson fand sich als Besitzer von 9200 Franks in Gold und Banknoten wieder.

»Das ist ja bloßes Kinderspiel«, dachte er. »Gottlob, daß ich hierherkam.«

Er schob 6000 Franks, das Maximum auf eine einzelne Chance, auf Schwarz hinüber und setzte 3000 auf pair. 27 kam, Rot, impair und passe. Zweihundert blieben übrig; er setzte 180, das Maximum auf eine einzelne Nummer, auf Vierzehn, behielt zwanzig Franks und setzte tausend auf Schwarz.

» Zéro.«

Null! Die Bank nahm seine auf Vierzehn gesetzten 18O Franks, und die tausend Franks wurden »ins Gefängnis gesteckt«. Adamsson setzte weitere 180 Franks auf Vierzehn.

» Seize rouge, pair et manque

Beide Sätze waren verloren. Aber es war so nahe dem Treffer gewesen. Schwarz mußte natürlich kommen. Er holte weitere zweitausend Franks hervor; es heißt nur, den Einsatz verdoppeln, man gewinnt auf die Dauer.

» Dix, neuf, rouge, impair et passe.« So so, sie versteiften sich also auf Rot. Vier Tausender verließen Adamssons Brieftasche und wurden von der Hand des Croupiers mit einer achtlosen Geste auf Schwarz gesetzt.

Während der nächsten fünfzehn oder zwanzig Minuten lernte Adamsson die Bedeutung des Wortes Serie kennen. Rot kam weitere zwölf Male; und alle hielten gegen die Bank mit Ausnahme eines glattrasierten Amerikaners, der zuerst den Satz stehenließ, von einem Zwanzigfrankstück über tausend Franks gewann, und dann alles dadurch verlor, daß er zu Schwarz überging, sowie einer alten Deutschen, die hie und da schüchtern fette Fünffrankscheine setzte.

Nach Empfang dieser Lehre fühlte Adamsson sich um 40 000 Franks leichter und in hohem Grade verdüstert. Eben im Begriff zu gehen, schmiß er fünf Louis auf Vierzehn. Vierzehn kam. Er schob alles außer 180 Franks auf Rot. Vierzehn kam noch einmal. Er wechselte die Taktik und verteilte den Gewinst, dreizehntausend Franks, auf passe, ungerade und Rot. Neunzehn kam. »Es winkt die Rettung!« sagte der Amerikaner neben ihm auf deutsch; »wollen Sie weiterspielen? Oder sollen wir uns einen drink leisten?«

Adamsson, der nur die Hälfte von dem verstand, was er sagte, zog seine Tausender ein und folgte mit ins Kaffeehaus. Der Whisky kam und man trank sich zu: »Prosit!«

»Spielen Sie Trente-et-quarante?« fragte der Amerikaner, nachdem sie ein Weilchen geplaudert hatten.

»Nein,« sagte Adamsson ein wenig verlegen, »ich weiß nicht recht, wie das ist …«

Sie tranken aus; der Amerikaner bezahlte, und sie nahmen den Kurs nach dem Trente-et-quarante-Zimmer im Hintergrund des Saales.

Der Amerikaner begann zu erklären, und Adamsson begriff so allmählich, daß die Karten in zwei Reihen aufgelegt werden; daß die erste Reihe Schwarz gilt, die zweite Rot und derjenige, der der Zahl 31 an Points am nächsten kommt, gewinnt. Dabei hörte er verwirrte Reden von couleur, inverse und sich gegen Gleiche versichern.

»Soll ich für Sie setzen?« frug der Amerikaner. »Ich habe ein so gut wie unfehlbares System in Trente-et-quarante. Trente-et-quarante ist ein wissenschaftliches Spiel, you know. Ich habe leider meine Brieftasche zu Hause vergessen.«

Adamsson hatte genug und übergenug von Betrügern und Gaunern im Ausland gelesen; aber, du lieber Gott, der Mensch hatte ja mit Whisky traktiert – und er selbst stand ja dabei. Da konnte der andere doch nicht mit dem Geld Reißaus nehmen.

»Bitte!« sagte er und reichte ihm einen Tausender hin.

Sie spielten zwei Stunden lang, und unter Adamssons scharfer Kontrolle gewannen sie 20 000 Franks, von welchen der Amerikaner zehntausend als Bezahlung für sein System behielt. Hierauf nahm er Abschied und verschwand.

Adamsson mittagmahlte im Hotel, – Gott, wie viele Gerichte! – und trank Champagner. Dann ging er hinüber zum Kasino und spielte. Ein wenig wirr von dem Wein und der Neuheit der Dinge, setzte er aufs Geratewohl; stärkte sich mit Kaffee und viel Likör und war um zwölf Uhr, als er heim ging, der Meinung, er habe gewaltig gewonnen.

Am nächsten Mittag erwachte er mit schwerem Kopf, aber wohlgemut bei dem Gedanken, daß er a) in Monte Carlo war und b) seine Sache gut gemacht hatte. Er kleidete sich an, begann die Kasse zu zählen und hielt plötzlich mitten drin mit einem Fluch inne.

Die Kasse betrug genau sechzigtausend Franks. Wieso, wieso, um Himmelswillen? Der Amerikaner? Nein, es mußte am Abend geschehen sein. Dreimal verwünscht! Sechzigtausend. Hier hieß es vorsichtig sein; aber mit ein bißchen Glück ging es wohl.

Um eine weitere Erfahrung bitterster Art bereichert, begab Graf Stålfelt sich um ein Uhr nach dem Kasino. Er trat zu dem Tisch beim Eingang, holte einen Tausender hervor und bat, wechseln zu dürfen. » Voulez-vous me changer ce billet, s'il vous plaît?« fragte er höflich. Es währte eine Weile, dann plötzlich erschien ein artiger Herr und bat ihn, ihm hinab nach dem Kontor zu folgen.

Dieser Herr war der zweite Bote der Vorsehung zu Zwecken von Adamssons Bestrafung.

»Monsieur, Sie wollen diese Banknote wechseln. Haben Sie deren mehr?«

Neunundfünfzig andere Banknoten wurden hervorgeholt, auf den Tisch gelegt, geprüft und sortiert.

»Monsieur, wo haben Sie diese zehn Tausender bekommen? Sie sind alle falsch. Ihre Karte, wenn ich bitten darf!«

Adamsson zeigte die Karte, erklärte in gebrochenem Französisch, sein Name sei Graf Stålfelt, er sei den Tag zuvor angekommen, habe gespielt und in Gesellschaft eines Amerikaners, der Deutsch sprach, gewonnen …

»Klein, glattrasiert, schwarze Bartstoppeln, Vollmond, Monsieur le Conte?«

»Ganz richtig!« stammelte Adamsson.

»Hudson!« erwiderte der Beamte. Tja, man bedauerte den Grafen wegen seines Mißgeschicks, beglückwünschte ihn dagegen, daß er für das Geld hatte Rechenschaft ablegen können; die zehn Tausender wurden behalten. »Unmöglich, sie zurückzuerstatten, Herr Graf! Dieser Hudson ist, wie die Polizei uns berichtet, gestern abend verschwunden. Wollen Sie ihm nachforschen, Herr Graf, so steht unsere Polizei zu Ihrer Verfügung.«

»Ich will es überdenken«, sagte Adamsson und dienerte sich in den Spielsaal zurück. Polizeilich nachforschen! Nein, das ging nicht an, zum Henker!

Er ließ sich bei dem Tisch von gestern nieder und holte einige seiner Tausender hervor. Das Spiel ging schlecht, der Böse selbst schien in der Roulette zu stecken, und nachdem der Graf binnen kurzer Zeit zehntausend Franks verloren hatte, beschloß er, den Tisch zu wechseln. Er war eben im Begriff sich zu erheben, als ein respektabler kleiner Herr in schwarzem Anzug, Stehumlegkragen und Knöpfelstiefeln artig seine Schulter berührte und sagte:

»Monsieur, einen Augenblick, wenn ich bitten darf. Haben Sie die Güte, mir zu folgen!«

Es war der dritte und letzte Abgesandte, den die Vorsehung zu Adamssons Bestrafung ausgeschickt hatte.

Jener Teil des Blutes, das nicht sofort bei dieser Anrede in Adamssons Adern gerann, stürzte ihm in weniger als einer Sekunde zu Kopfe. Er wurde rot wie die herbstlichen Preiselbeerfelder in Dackemåla und brachte mit Mühe die Worte hervor:

» Oui monsieur, s'il vous plaît!«

Dies war für den Augenblick die Summe seiner französischen Kenntnisse.

Der kleine artige Herr nahm den Weg hinaus in das Atrium, wo er in der Garderobe einen weichen Filzhut holte. Adamsson fühlte, wie ihm jemand in den Überrock half, empfing Hut und Stock, vergaß Trinkgelder zu geben und stolperte seinem Begleiter nach, durch zeitlose Unendlichkeiten von dunkeln und wirren Geräuschen.

Plötzlich fand er sich an dem Marmortisch eines Cafés wieder. »Café de Paris« las er geistesabwesend auf einem Zigarrenbecher und hörte die Stimme des Kellners:

»Monsieur?«

»Was trinken Sie, Monsieur?« fragte der kleine Herr. »Kognak?«

»Ja, Kognak!« murmelte Adamsson mit dicker Stimme. »Rasch, vite, beaucoup!«

Der Kognak kam und wurde verschlungen; Adamssons Blick klärte sich ein wenig auf und er betrachtete seinen Begleiter. Bei näherer Prüfung sah dieser nicht so gefährlich aus … Übrigens – natürlich! Es handelte sich ja um die zehntausend falschen Franks und um diesen Amerikaner! Was für ein Esel ich gewesen bin! dachte Adamsson.

»Monsieur!«, begann er, stockte aber sofort, als der kleine Herr langsam eine Zeitung aus seiner Tasche zog. Und auf der Vorderseite dieser Zeitung leuchtete ihm auf gut schwedisch das entsetzliche Wort entgegen: Polizeiberichte.

Wiederum sank Adamssons Seele schreckensstarr durch Abgründe leeren Grauens …

»Sie kennen diese Zeitung, Monsieur?« fragte die Stimme des kleinen Herrn.

»Nicht doch, nicht doch!« erwiderte eine Stimme, die Adamsson mit Mühe als seine eigene erkannte.

»Aber Sie sind doch Schwede, Monsieur?«

»Ja, aber mein Name ist Graf Stålfelt, ich wohne im Hotel de Paris«, fuhr die fremde Stimme fort, aus Adamssons Mund zu sprechen.

»Pardon, Monsieur; es ist möglich, daß Ihr Name hier Graf Stålfet ist, aber … wollen Sie dieses Bild betrachten, Monsieur?«

Und eine fette weiße Hand schob unter Adamssons blutunterlaufenen und nichtssehenden Blick ein Porträt seiner selbst, ausgenommen im verflossenen Juli in Helsingborg. Und darüber standen fünf fürchterliche Ziffern, sie sagten: 30 000 Kronen erhält derjenige … Es ging rundum mit ihm.

»Noch etwas Kognak gefällig, Monsieur Ad – damsson?« sagte die Stimme seines Begleiters artig, aber ein wenig ironisch. Der Kognak kam. Adamsson goß zwei Gläser hinunter und hörte wiederum die Stimme sprechen:

»Man muß ja nicht gleich den Mut sinken lassen, Mr. Ad – damsson! Verzeihen Sie, wenn ich Ihren Namen falsch ausspreche; die skandinavischen Namen sind so schwierig für uns Franzosen. Wie gesagt, Monsieur, wir alle können kleine Fehltritte begehen. Mon dieu, oui! Sie sollen uns sehr vernünftig finden, Monsieur!«

»Mein Name ist nicht Adamsson; ich heiße Graf Stålfelt und wohne im …

»Hat der Herr Graf einen Paß?«

Paß, Paß, der vermaledeite Paß! Ich kann mich nachmittags aus den Staub machen, dachte Adamsson und sagte:

»Nein, leider nicht, aber ich werde mir einen solchen aus Schweden schicken lassen. Das nimmt nicht viel Zeit.«

»Monsieur,« log der kleine Herr mit der glaubwürdigsten und betrübtesten Miene, »das ist unmöglich. Man hat Ihnen von Paris hierher nachgespürt. Die französische Polizei hat schon Nachforschungen angestellt und verlangt Ihre Auslieferung …«

O diese höflichen Pariser Spitzel, dachte Adamsson, wiederum übervoll des Entsetzens. Ja, was zum Satan hatte ich auch dort zu tun? Wie viele Jahre bekommt man wohl? Fünf, sechs … Verflucht! Hätte ich nicht in Dackemåla bleiben können. Ja …«

Wieder unterbrach ihn die Stimme:

»Monsieur, wie gesagt, Sie sollen uns sehr räsonnable finden. Die französische Polizei fordert Ihre Auslieferung an sie und an Schweden; gut, wir wünschen Sie nicht auszuliefern. Wir wollen keine Skandale hier haben, Monsieur Ad – damsson. Dies ist ein ruhiges, friedliches Land, Monsieur Ad – damsson!«

»Ja, den Henker auch,« war Adamssons innerlicher Fluch, »den Henker auch!«

»Nun denn, Monsieur, es geht heute abend ein Schiff von hier nach England, ein Exkursionsschiff. England, Monsieur, ist ein freies Land, wo die Polizei wenig aufdringlich ist. Wollen Sie mit diesem Schiff reisen?«

»Ja, ja,« erwiderte Adamsson, »wann geht es? Ich reise sofort.«

»Aber, Monsieur, es ist so eine Sache mit diesem Exkursionsschiff; das Billett mit diesem Fahrzeug ist bis England ein wenig teuer …«

»Wieviel kostet es?« fragte Adamsson eifrig. »Und verzeihen Sie, wollen Sie nichts zu trinken haben?«

»Danke, Monsieur, einen Kognak. Garçon, zwei Kognaks. Wie gesagt, Monsieur, das Billet ist etwas teuer; es kostet 39 000 Franks …«

»Was, in des Himmels Namen, sagen Sie da?« rief Adamsson aus. »Neununddreißigtausend Franks? Sind Sie verrückt? Glauben Sie, ich sei …«

»Monsieur, 39 000 Franks ist vielleicht etwas teuer für eine Reise nach England. Aber, Monsieur, bedenken Sie, daß eine Reise nach Schweden 30 000 Kronen kostet; und das ist sogar noch etwas mehr, Monsieur.«

»Eine Reise nach Schweden, 30 000 – was, was?«

»Monsieur, ich drücke mich schlecht aus: Ihre Reise nach Schweden verschafft uns diese 30 000 Kronen. Betrachten Sie diese schwedische Zeitung, Monsieur; Sie werden es hier gedruckt finden.«

Adamsson sank zusammen, voll hilfloser Verzweiflung. O diese Höllenschurken! – einem armen Mann seine letzten Groschen abzuknöpfen! Tausend Franks war dann alles, was ihm übrigblieb. O verdammt!

»Monsieur, – zwanzigtausend!« bat er beweglich.

»Pardon, Monsieur; ich sage neununddreißigtausend. Wir feilschen nicht. Es ist der Preis für unsere Hilfe. Und wir verlieren sogar daran, Monsieur, denn nach der letzten Nummer des ›Journal‹ ist der Kurs für tausend schwedische Kronen nicht weniger als eintausenddreihundertsechsundsechzig Franks.«

»25 000«, flüsterte Adamsson heiser.

»Garçon,« sagte der kleine Herr, »wir wollen zahlen. Und wollen Sie mir ruhig folgen, Monsieur. Der Arrest liegt ganz in der Nähe.«

Voll Zorn, Erbitterung, Flüchen und Gram zog Adamsson seine magere Brieftasche hervor und zählte zur Überraschung des Kellners neununddreißig blaue Tausender auf den Tisch, die von dem kleinen Herrn im schwarzen Anzug in Empfang genommen wurden. Einer blieb ihm übrig.

»Wann geht das Schiff?« fragte er mit gebrochener Stimme.

»Um halb vier«, erwiderte der kleine Herr artig. »Ich werde Sie selbst dahin begleiten, damit Sie nicht etwa von unseren Agenten belästigt werden. Wie gesagt, Monsieur, Sie finden uns zweifellos sehr umgänglich; wir bezahlen Ihr Billett nach London; das kostet uns dreihundert Franks, und wir verlieren an dem Kursunterschied, Monsieur, nicht unbedeutend. Erlauben Sie, daß ich den Kognak bezahle, Monsieur?«

Adamsson antwortete nicht. Sein Begleiter bezahlte, und sie gingen.

»Heute hat Mr. Baury einen fetten Fang getan«, sagte der eine Oberkellner zum anderen. »Wer war das wohl, mit dem er beisammen saß?«

»Ich weiß nicht; ich glaube ein Deutscher.«

»Paul,« sagte Mr. Baury an demselben Abend zu seinem Neffen, »Paul, du bist ein unschätzbarer junger Mann. Du hast einen scharfen Blick. Diesen Ad – damsson, ma foi, hast du doch sofort entlarvt.«

»O, mon oncle,« erwiderte Paul bescheiden, »das war so einfach. Sein Schnurrbart war kürzlich rasiert, denn die Oberlippe war weiß und das Kinn blau; er hatte keinen Paß und keine Visitenkarten, behauptete aber, viel Geld zu haben. Nun, und mit einem Schnurrbart hätte er aufs Tipfelchen dem Porträt in dieser trefflichen Zeitung ähnlich gesehen. Und diese dummen Skandinavier! Mon oncle, was gedenken Sie mit Ihrem Geld zu tun?«

»Ich will nun meine Villa bauen lassen, Paul, und du sollst deine fiancée heiraten und darin wohnen. Ich fange an, alt zu werden; ich will mich von diesen Geschäften zurückziehen, um mit euch, meine Kinder, in Ruhe zu leben.«

Und so mußte der jetzt bei Monico, Piccadilly Circus, London, angestellte Kellner John Smith, alias Direktor Ernst Adamsson, Helsingborg, die Wahrheit der Bibelworte an sich erfahren:

Wer redlich wandelt, dem ergehet es wohl; aber den Ungerechten wird Gott strafen.

 


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