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VIII.
Der Teppich und der Schatz

1.

Die letzten Palmen Tozeurs lagen schon weit hinter ihnen. Ihre fernen Kronen zeichneten sich wie starre Federbüsche gegen den Himmel. Rings um sie lag die Wüste in einem Farbenspiel von Gelb, Rot und Weiß. Weit, weit gegen Norden, zwischen der flammenden Wüste und dem funkelnden Himmel lag ein schwerer purpurblauer Schatten. Das war das Gebirge.

Die beiden Kamele schaukelten sich über den Sand, der zu Hügeln und Firsten anstieg, und sich zu Tälern senkte. Die ewig wechselnden Winde hatten den Sand nach ihrem Willen geformt. Sie und die Sonne waren Herren in dieser Landschaft – einer erschreckenden, unfruchtbaren, halb unwirklichen Landschaft. Die Oase mit ihren hunderttausend Palmen glich einem Atolle in einem versteinerten Meer – aber einem Meere, das jederzeit zum Leben erwachen, und seine erstickende Sandwellen über die kleine Insel schleudern konnte, auf der das Leben sprießte.

Aber gerade vor den Köpfen der Kamele leuchtete und blinkte ein wirkliches Meer im Sandmeer! Eine gewaltige, blaue Fläche, ein Schimmer wie von tanzenden Wellen, ein Glitzern wie von stäubendem Schaum! Was ist das für ein Wasserspiegel mitten in dem gelben Sande! Wie heißt dieser kühlende See mitten in der Wüste? Er heißt der Todessee. Seine Wellen tanzen nicht, sie sprühen keinen Schaum, und sie schenken keine Kühle. Sie sind ein Blendwerk, wie der ganze See ein Blendwerk ist, geboren aus weißem Salz, Sand, Moor und unbarmherzigem Sonnenschein, hervorgezaubert vom Teufel, sagen die Araber – die Teufelsbadestelle.

Diesem See zu schaukelten sich die Kamele auf filzweichen Fußsohlen, Sandwelle auf, Sandwelle ab, näher und näher zu dem lockenden blauen Glitzern, das zurückwich, wenn man sich ihm näherte.

Eines der Kamele ging schwer und hatte noch verschleiertere Augen, als Kamele zu haben pflegen. Auf seinem Rücken saß ein lederbrauner Reiter mit langen, nackten Beinen, in eine Kollektion weißgelber Fetzen gekleidet. Seine Augen waren ebenso verschleiert wie die des Kamels. Hier und da schielte er nach einem Teppich, der zusammengerollt auf dem Sattel des anderen Reiters lag.

Philipp Collin machte einen Versuch, eine Konversation in Gang zu bringen.

»Ich habe vergessen, dich nach etwas zu fragen. Kannst du mir irgendwelche Aufschlüsse über meine verschwundenen Freunde geben?«

Der Marabou schwieg.

»Ich habe getan, was ich konnte, um sie zu finden, aber ich kann mich keines Resultates rühmen. Ich wäre unruhig, wenn ich meine Freunde nicht kennen würde. Die ziehen sich immer heraus. Aber du kannst mir also keinerlei Aufschlüsse geben?«

Der Marabou schwieg.

»Gestern, sagtest du, daß mein Freund Graham in die Gefahr der tausend Nächte eingegangen ist. Was bedeutet das?«

Der Marabou schwieg.

»Du verdirbst einen guten Witz nicht durch Wiederholung. Aber ich bin in meiner plaudersüchtigen Laune. Ich bitte dich inständig, zu antworten: was bedeutet die Gefahr der unzähligen Nächte? Sonst –«

Philipp Collin machte eine Geste gegen den Teppich.

Der Mund des Marabou verzog sich zu einer haßerfüllten Grimasse.

»Du hast den Teppich. Befrage doch selbst den Geist!«

»Danke, aber das übersteigt meine Kräfte. Befrage du den Geist!«

»Das ist unmöglich, der Teppich ist dein.«

»Ich werde ihn dir leihen, alter Wüstentrotter.«

»Du sprichst töricht. Die Geister der Propheten sind nur ihren Herren untertänig. Wenn der Teppich wieder mein ist –«

Die Augen des Marabou funkelten. Seine Stimme war heiser.

»Wenn der Teppich wieder durch Diebstahl, List und Lüge dein ist, dann, fürchte ich, könntest du mein Verlangen abschlägig bescheiden. Ich bitte dich also, den Teppich jetzt gleich zu befragen!«

»Ich sage dir: Du sprichst töricht! Das ist unmöglich! Ich könnte höchstens einen Geist beschwören. Nie würde er mir etwas antworten.«

Philipp Collin blinzelte aus dem Augenwinkel seinen Begleiter an.

»Aha! Gut, du magst recht haben. Es ist also unmöglich. Aber eine andere Sache ist, ob es notwendig ist?«

Der Marabou zuckte im Sattel zusammen. Seine Augen verschleierten sich plötzlich.

»Als ich dich heute früh sah, war der Teppich dein. Er lag ausgebreitet vor dir und war so voll von magischen Figuren, wie ein Esel von Wunden. Was waren das für magische Figuren? Solltest du vielleicht deinen hochgeschätzten Geist nach meinen Freunden befragt haben?«

Die Augenlider des Marabou senkten sich völlig über die Augen.

»Ich sehe es dir am Gesicht an, alter Seher, daß ich richtig geraten habe. Im Hinblick darauf, daß ich den Teppich hier und eine Schachtel Zündhölzchen in der Tasche habe, bitte ich dich, mir gleich alles kundzutun, was der Geist gesagt hat. Du verstehst, gleich!«

Die runzeligen Augenlider des Marabou glitten auseinander, und ein Blick kroch zwischen ihnen hervor wie ein Skorpion aus einem Loch in einer wetterbrüchigen alten Mauer. Mit einer Stimme, knirschend wie eine rostige Brunnenkette, sagte er:

»Deine beiden Freunde sind in die Gefahr der unzähligen Nächte eingegangen. Die Gefahr der unzähligen Nächte beschattet sie beide. Ihnen droht der Tod.«

Philipp Collin zuckte zusammen. Die Stimme war in ihrem Ernst imponierend.

»Ihnen droht der Tod? Aber wo sind sie?«

»In einem großen, von Bäumen wohlbeschatteten Haus.«

»Wirklich? Und kann ich sie retten?«

»Der Geist sagte: jedes Menschen Schicksal ist ihm um den Hals gebunden. Dein Schicksal und ihres ist unzertrennlich. So sagte der Geist.«

»Bedeutet dies, daß die Gefahr der unzähligen Nächte auch mich beschattet?«

Der Marabou neigte den Kopf. Seine Stimme zitterte vor boshafter Genugtuung.

»Ja, dir droht der Tod.«

Philipp Collin zuckte die Achseln, doch sein Achselzucken war nicht ganz ehrlich. Die Stimme des alten Wüstenwanderers war so brennend, daß sie Eindruck machte. Doch gerade in diesem Augenblick hatte er an etwas anderes zu denken.

Der Pfad, den sie verfolgten, und der durch Jahrhunderte von Kamelfüßen, Eselhufen und nackten Menschensohlen ausgetreten war, senkte sich zu den Ufern von el Chott. Die Teufelsbadestelle lag vor ihnen; eine gewaltige Fläche, die in der Sonne blinkte, und weiter draußen noch immer einem blauen Meer mit tanzenden Wellen glich. Aber die Ufer waren anders. Salzwasserpfützen, trocknender Lehm, Sandgürtel und faulende Vegetation vereinigten sich dazu, einen Eindruck von trostloser, erschreckender Unfruchtbarkeit hervorzurufen. Das Sonnenlicht wurde von allen Seiten in Milliarden und aber Milliarden von Reflexen zurückgeworfen. Ein dumpfiger Gestank stieg aus den faulenden Gewächsen auf, die einmal an diesen düsteren Gestaden gediehen waren. Die Luft kochte über der Teufelsbadestelle. Die Kamele hatten haltgemacht; sie hoben die verächtlich geblähten Nüstern über den langen, gefletschten Zähnen, eines von ihnen schleuderte ein Brüllen des Abscheus in die kochende, stinkende Stille hinaus. Philipp Collin zog einige Papiere aus der Tasche und begann sie und seinen Kompaß zu studieren.

»So weit haben wir den Pfad verfolgt,« sagte er, »wohlgemerkt, den ältesten der Pfade, nicht den modernen, den meine Konkurrenten im Hotel des Dattiers immer wieder einschlagen, obwohl bereits vor zweihundert Jahren Herrn von Todlebens Stammvater hier ritt. Und wenn ich dieses Dokument hier recht verstehe, müssen wir noch eine Zeitlang geradeaus weiter. Auf, alter Wüstentrotter! Auf, berühmte Schiffe der Wüste! Nun gilt es, einen gefährlicheren See zu besiegen als die Sahara.«

Er setzte sein Kamel in Gang. Das Tier schnaubte unwillig, aber gehorchte. Der Pfad führte gerade zum Ufer des Salzsees hinab, über diesen hin und schlängelte sich weiter, ins Unbekannte hinaus, im Laufe der Jahrhunderte von unbekannten Füßen getreten oder gebahnt. Wie ein schmales Band zog er sich durch den verräterischen Salzsee. Philipp trieb das Kamel an. Anfänglich ging alles gut, aber ein Stück über den Rand des Salzsees hinaus weigerte sich das Kamel weiterzugehen. Weder Worte noch Schläge konnten es dazu bewegen. Philipp beschloß abzuspringen und es weiterzuführen.

Aber er war es nicht gewöhnt, von einem Kamel abzuspringen, und berechnete den Abstand falsch. Das nächste, was er wußte, war, daß er durch eine dünne Rinde von getrocknetem Moor in einen feuchten Schlamm sank, der ebenso grundlos wie stinkend zu sein schien. Er sank und sank. Seine Hände tasteten nach einer Stütze. Sie fanden keine. Der Pfad, der im Zickzack über den Moorgürtel ging, war fest, aber zu beiden Seiten desselben befand sich nur eine dünne Schicht von verhärtetem Lehm und darunter ein gipsartiger Schlamm, in dem man versank und versank. Philipp war schon bis zur Brust drinnen. Aus dem Augenwinkel sah er das Vorgehen des Marabou. Er hatte den Marabou ganz vergessen. Er hatte es für selbstverständlich angesehen, daß er ihm nachfolgte. Aber das hatte der heilige Mann keineswegs getan. Er hatte eifrig Gebete gemurmelt, offenbar schreckgelähmt bei dem Gedanken, sich in den Teufelssee hinauszubegeben. Jetzt hörten seine Gebete plötzlich auf. Ein boshaftes Grinsen verbreitete sich über sein lederbraunes Gesicht. Mit einem gutturalen Ruf trieb er sein Kamel über den Pfad zum Teufelssee hinunter. Seine Absicht war klar. Endlich bot sich eine Gelegenheit, den kostbaren Teppich mit Diebstahl zurückzuerobern, wenn auch nicht mit List und Lüge. Er spornte das Kamel mit Rufen und Schlägen an. Sollte dies das Ende des Abenteuers werden, sollte er den Marabou triumphieren sehen und selbst in einem stinkenden afrikanischen Morast untergehen? Es sah so aus; jetzt hatte er nur mehr die Arme über der Moorrinde. In einigen Minuten würde auch sein Kopf unten in dem erstickenden Schmutz sein. Gab es eine Rettung? Nein! Von dem Marabou war nichts zu erwarten. Und wo sollte die Rettung sonst herkommen?

Sie kam, sie kam zur Zeit, und sie kam von keinem anderen als dem guten Kamel. Das Schiff der Wüste beschloß, sich in der Erwartung, daß sein Herr zwei Schritte daneben ertrank, zur Ruhe zu begeben. Es fiel auf dem Pfade in die Knie. Aber während es das tat, glitt der Halfter, der um seinen Hals gebunden war, in die Reichweite von Philipps Händen hinab. Ehe er noch zurückgleiten konnte, hatte Philipp ihn ergriffen. Philipp hatte nun, was er brauchte, einen festen Punkt. Mit dessen Hilfe begann er sich aus dem Moor herauszuarbeiten; mehr als einmal glitt er zurück; aber schließlich war er doch wieder oben auf dem Pfade. Er kam gerade zurecht, um den Marabou zu empfangen. Alle seine Anstrengungen hatten sein Kamel nicht vermocht, rechtzeitig zu kommen. Philipp kratzte den Schlamm von sich ab, so gut es sich tun ließ. Der Marabou beobachtete ihn mit unerschütterlichem Ernst. Nicht der geringste Zornesausbruch, daß er zu spät gekommen war, entschlüpfte ihm.

»Mit Diebstahl, nicht mit Kauf,« sagte Philipp. »Aber diesmal nicht, alter Wüstentrotter! Jetzt gehen wir weiter, und du kommst schön brav mit, vielleicht gelingt es dir ein nächstes Mal besser! Verstanden?«

Der Marabou neigte zustimmend den Kopf. Philipp ging voraus, sein Kamel führend. So allmählich verschwand der erste Moorgürtel und wurde von einem neuen abgelöst, der sich, so weit das Auge reichte, erstreckte und teilweise von anderem Charakter war als der erste. Ein gigantischer Teppich von schimmernden Kristallen breitete sich zu allen Seiten des schmalen, locker getretenen Pfades aus; Kristalle aus Gips und Salz in allen denkbaren geometrischen Formen, einige von der Größe kleiner Steinchen, andere wie kleine Felsblöcke. Ihre Reflexe waren es, die, vom Land aus gesehen, die Illusion von blauem Wasser und funkelnden Wellen hervorriefen. In der Nähe konnten sie keine solchen Illusionen hervorrufen. Der Teppich machte den Eindruck, fest zu sein. Zum Spaß beschloß Philipp nachzufühlen, wie fest er war. Indem er sich an dem Halfter des Kamels ordentlich festhielt, setzte er zuerst den einen, dann den anderen Fuß auf den Kristallteppich und trat auf. Sofort knirschten die Kristalle unter seinen Füßen, schmolzen wie zertretene Pilze; das schwarze Sumpfwasser quirlte unter seinen Fußsohlen, und zum zweitenmal an diesem Tage war er auf dem Weg in die Teufelsbadestelle hinab. Er sah, wie sich der Marabou erwartungsvoll im Sattel aufrichtete. Mit einem raschen Ruck am Halfter rettete er sich wieder auf den Pfad hinauf.

»Nein, alter Wüstentrotter, auch diesmal nicht.«

Nun hatte das Kamel seine Bedenken gegen den schmalen Pfad überwunden. Philipp schwang sich wieder in den Sattel. Sie ritten etwa eine Stunde lang schweigend weiter. Der Kristallteppich breitete sich unabänderlich zu beiden Seiten des geschlängelten Pfades aus. Die Sonne wurde in Myriaden von Strahlenbüscheln zurückgeworfen, die das Auge schmerzten. Die Luft glühte. Das verdunstende Salz brannte im Hals und in der Nase. Philipp nahm eine kalebassenförmige Flasche vom Sattelknopf, trank, und reichte sie seinem Begleiter weiter. Der Marabou lehnte sie mit einer starren Kopfbewegung ab.

»Trink nur, alter Freund, und laß dich dadurch nicht in deinen Plänen auf mein Eigentum stören. Wasser ist nicht dasselbe wie Salz und Brot.«

Der Marabou schwieg.

»Deine Schwatzhaftigkeit wird dich nicht ins Verderben stürzen. Aber ich für meine Person bin unverbesserlich neugierig, und ich finde, daß die Zeit für vertrauliche Mitteilungen gekommen ist. Sage mir eins: was ist das hier eigentlich für ein alter Teppich?«

Die Lippen des Marabou regten sich unwillig und gehässig.

»Das ist mein Gebetteppich. Du hast ihn gestohlen.«

»Und bevor ich ihn stahl, hattest du ihn einem meiner Freunde verkauft und ihn sowohl ihm wie meinem anderen Freund gestohlen.«

»Du lügst. Der Djinn des Teppichs hat ihn mir zurückgebracht, weil er nicht auf rechtmäßige Weise erworben war.«

»Wenn ich über diese Landschaft hinsehe, bin ich ganz geneigt, an Djinns zu glauben. Dein Gebetteppich, den ich auf rechtmäßige Weise erworben habe, hat also einen Djinn, der ihm untersteht. Ist das so?«

Der Marabou schwieg.

»Ich nehme dein Schweigen für Zustimmung. Der Djinn erfüllt die Wünsche des Herrn des Teppichs, nicht wahr?«

Das Gesicht des Marabou leuchtete in froher Erwartung auf.

»Sei beruhigt, ich werde ihn nicht bemühen! Ich erinnere mich aus Tausendundeine Nacht, daß die Herren Djinns Wünsche in sehr sonderbarer Weise erfüllten. Wenn man sich einen Vogel wünschte, bekam man den Vogel Rockh. Und wenn man um ein bißchen Feuer bat, hatte man eine Feuersbrunst im Haus. Ich werde keine Wünsche an deinen Djinn richten, wenn ich es vermeiden kann. Ich werde sie an dich richten. Du sollst der Geist des Teppichs sein, solange ich ihn besitze! Was sagst du zu meinem Plan? Findest du ihn gut?«

Das Gesicht des Marabou wurde von einer heimtückischen Grimasse verzerrt.

»Ob mein Plan nun gut ist oder nicht, ich gedenke ihn auszuführen. Aber jetzt muß ich dir eine letzte Herzensfrage stellen. Hat dein Teppich eine Geschichte?«

Mit derselben gehässigen Stimme wie zuvor sagte der Marabou:

»Es ist mein Gebetteppich. Du hast ihn gestohlen.«

»Aber bevor er dein Gebetteppich wurde?«

»Wie soll ich etwas darüber wissen? Teppich ist Teppich.«

»So? Haben alle Teppiche in Afrika einen Djinn, der ihnen untersteht? Sage mir, was du weißt!«

Das Gesicht des Marabou wurde hart wie Mahagoni.

»Ich weiß nichts.«

Philipp spähte mit der Hand über den Augen vor sich hin. Ein Stück weiter vorne sah es aus, als wäre das unerträgliche Reflexlicht des Kristallteppichs ein wenig gemildert. Er sah auf seine Uhr und in die Papiere, die er schon früher zu Rate gezogen hatte. Er nickte befriedigt. Dann wendete er sich abermals an den Marabou.

»Ich habe in einem – wie soll ich sagen? – in einem alten Dokument von einem Teppich von dem Aussehen deines Teppichs gelesen. Wie behauptet wurde, hatte auch er einen Djinn, der an ihn gebunden war. Aber er war Jahrhunderte alt, alt wie die Straße, nein, sagen wir, wie eine römische Heerstraße. Hast du je etwas Aehnliches erzählen gehört?«

»Nie.«

»Aber das Dokument, von dem ich spreche, hatte noch mehr zu berichten. Es behauptete, daß dieser Teppich, der deinem glich, sich durch Jahrhunderte in einer und derselben Familie vererbt hatte – einer Familie in der Oase Tozeur, die ihn als ihr größtes Kleinod betrachtete. Hast du je etwas Aehnliches erzählen gehört?«

»Nie.«

»Aber das Dokument wußte noch mehr. Es behauptete, daß der Teppich zugleich mit dem größten Teil der Reichtümer der Familie von zwei Dieben gestohlen wurde. Um sich vor den Verfolgern zu retten, nahmen die beiden Diebe den Weg durch den Salzsee. Aber im Salzsee ereignete sich eine Naturkatastrophe, die zur Folge hatte, daß der Schatz dort liegen blieb. Die zwei Diebe retteten sich quer durch den Salzsee, ohne den Schatz, doch mit dem Teppich. Aber als sie endlich lebendig aus dem Salzsee herausgekommen waren, stahl der eine von ihnen seinem Kameraden das einzige, was sie von ihrem gemeinsamen Diebszug übrighatten. Er stahl den Teppich und entfloh. Hast du je etwas Aehnliches erzählen gehört?«

»Nie.«

»Nun erübrigt nur noch eines von dem, was das alte Dokument erzählt. Der Dieb, dem der Teppich gestohlen wurde, hatte eine Karte über den Salzsee und ihren Weg durch den Salzsee aufgezeichnet. Viele Jahre später kam er wieder, Gefangenschaft und Gefahren trotzend, um den Schatz zu holen. Es gelang ihm nicht, und über die Ursache seines Fehlschlagens sagt er selbst: ›So beirrend ist dieser Teufelssee, daß keiner, der nicht die Karte hat, den Schatz finden kann; und so über alle Maßen voll von Teufeln, die das Ihrige behalten wollen, daß keiner, der nicht den Teppich hat, dessen Geist ihm gehorcht, den Schatz finden kann. Und so nicht einer kommt, der sowohl die Karte wie den Teppich hat, wird sicherlich keiner den Schatz finden. Doch was den Teppich betrifft, so hörte ich sagen, daß er, der ihn mir stahl, ihn einem Brudersohn vererbte, der ein heiliger Mann (nach dem Glauben dieser verfluchten Heiden) war. Ihn suchte ich vergeblich, und so wird es mir auch wohl nicht beschieden sein, den Schatz zu finden. Aber so ihn einer finden will, muß er zuerst den Teppich finden und stehlen, ehe er mit der Karte nach dem güldenen Schatz sucht.‹ Hast du je etwas Derartiges erzählen gehört?«

»Nie,« sagte der Marabou mit dem Tonfall eines Menschen, der die Phantasien eines Kindes oder eines Verrückten anhört.

Philipp nickte zustimmend.

»Ganz, wie ich dachte! Es wäre auch ein allzu eigentümliches Zusammentreffen. Aber jetzt sind wir wohl bei unserem ersten Ziel angelangt.«

In diesem Augenblick hörte der verräterische Kristallteppich auf, und aus ihm erhob sich der Kern des Salzsees. Das Zentrum der Teufelsbadestelle ist ein fester Salzfelsen, der sich über Dutzende von Quadratmeilen ausbreitet. Er ist vollkommen frei von den Gefahren, die auf dem Wege dorthin lauern. Die einzigen Gefahren, die er bietet, ist die Gefahr, zu verdursten, und die Gefahr, am Sonnenstich zu sterben. Und abenteuerlustige Personen und Personen, die es eilig hatten, haben es zu allen Zeiten vorgezogen, diesen Gefahren zu trotzen, anstatt den viele Tage dauernden Umweg um den Salzsee zu machen; von ihnen ist der Pfad durch das Salzmoor hinaus zu dem Salzfelsen und über seine gewaltige Oberfläche hin gebahnt worden. Zunächst dem Sumpfrand ist der Felsen jedoch nicht fest. Da ist er von Kanälen durchschnitten, die sich um Inselchen und Halbinselchen schlängeln, und die ganze Landschaft an die Landschaft rings um die Pole des Planeten Mars gemahnen lassen.

Der Pfad, den Philipp und der Marabou gegangen waren, stieg über den Rand des Salzfelsens auf und ging pfeilgerade weiter gegen Südosten. Zu beiden Seiten desselben gähnte Leere, und über ihm kochte die Luft trocken wie ein Hauch aus der Gehenna. Aber wenn sie über den Weg, den sie gekommen waren, zurückblickten, tanzten blaue Wellen mit schäumendem Gischt zwischen ihnen und dem Festlande.

Philipp erschauderte leicht. Dies war keine Landschaft für weiße Menschen. Es war überhaupt keine Landschaft für lebende Menschen. Es waren die Erblande des Todes. Es war der Hades – ein vom Sonnenlicht verheerter Hades. Aber nun er diesen stinkenden Styx durchkreuzt hatte, wollte er auch den Hades erforschen.

Abermals befragte er seinen Kompaß und seine Papiere, und setzte das Kamel in Gang, ihm denselben Kurs gebend, den sie bisher eingehalten hatten.

Abermals schaukelten sie sich über festem Land. Aber es war ein Festland von eigenartigster Beschaffenheit. Der Boden bestand aus unzähligen kleinen Salzblöcken, die sich wie Pflastersteine zusammenfügten. Bisweilen standen sie schräg, so daß der Rand eines Blocks über den Rand des nächsten vorragte wie Eis, das die Strömung gegen das Land gepreßt hat. Zuweilen öffneten sie sich rings um ein Loch voll klarem, blinkendem Wasser – wirklichem Wasser, aber salziger als das Tote Meer und anscheinend grundlos. Doch der Pfad ging weiter. Als sie etwas über drei Kilometer geritten waren, hatten die eisartigen Salzblöcke halb aufgehört. Die Salzfläche rings um den Pfad glich nicht mehr einem Eismeer, sie glich einem fließenden Meer, dessen Wellen sich zur Ruhe legen wollen.

»Was sagt die Schrift?« sagte Philipp. »Die Furcht vor den Verfolgern trieb uns vom Wege ab. An der Stelle, wo die Wogen sich besänftigen, wichen wir vom Wege ab, in der Richtung der Götzengebete.« Die Richtung der Götzengebete ist ein schöner Ausdruck. Wo liegt Mekka, alter Wüstentrotter?«

Der Marabou befragte den Himmel und deutete stumm gegen Osten.

»Gut. Das ist also die Richtung. Die Stelle, wo die Wogen sich besänftigen, dürfte, nach der Landschaft zu schließen, hier sein. Hier sollen wir also abbiegen. Wie weit haben wir zu gehen? Die Schrift sagt: ›Dreitausend Schritte ritten wir bis zu der Stelle, wo die fünf Tonnen voll von unbrauchbarem Mehl stehen; hierauf –,‹ aber laß uns zuerst die fünf Tonnen finden.«

Er drehte das Kamel vom Pfade weg dem Salzfelsen zu, dessen Oberfläche wirklich einem wogenden, leichtgekräuselten Meer glich. Die gepolsterten Fußsohlen des Kamels gingen ohne Schwierigkeiten darüber hin; aber hier und da knackte die Salzwölbung wie unsicheres Eis, und der Marabou murmelte Gebete aus dem Koran. Sie ritten, die Schatten schräge vor sich – denn der Nachmittag war schon vorgeschritten – eine gute halbe Stunde lang. Philipp ritt voran, nach Zeichen im Gelände spähend. Was waren eigentlich diese fünf Tonnen voll von unbrauchbarem Mehl? Ein Ueberbleibsel irgendeiner verunglückten Karawane? Vermutlich. Aber wenn sie das waren, dann waren sie vermutlich auch als Wegmarkierung unbrauchbar, denn noch so solide Tonnen verfaulen im Laufe von ein paar hundert Jahren; und wenn sie noch da waren, dann paßte das Epitheton unbrauchbar sicherlich auch für ihr Mehl. Aber wann sah man Tonnen im Orient? Der Orient ist das Land der Säcke. Was bedeutete also –

Er zuckte zusammen.

In einem Halbkreis vor ihm erhob der Boden sich zu fünf Erhöhungen, die den Steinen eines altnordischen Grabmals glichen. Das heißt, mit nordischen Augen gesehen, konnten sie auch etwas anderem gleichen – ja, sie glichen ganz einfach fünf runden, im Kreise aufgestellten Bierfässern. Und die Augen, die sie eventuell vor sehr, sehr langer Zeit einmal gesehen hatten, waren nordisch, und die Hand, die in einem seltsamen Dokument das, was die Augen gesehen, geschildert hatte, war auch nordisch! »Dreitausend Schritte ritten wir, bis zu der Stelle, wo die fünf Tonnen voll von unbrauchbarem Mehl stehen.« Waren das die Tonnen? Nicht unmöglich! Aber wenn dies die Tonnen waren, was war dann das Mehl?

Ein Blick aus dem Sattel war genug, um es ihm zu sagen. Das wunderliche Naturspiel, das mitten im toten Salzsee fünf Tonnen im Halbkreis hervorgezaubert hatte, hatte auch dafür gesorgt, daß sie nicht leer waren. Die fünf Erhöhungen des Bodens waren bis zum Rande mit Salzkristallen gefüllt. Unbrauchbares Mehl! Das allerunbrauchbarste Mehl, und die Tonnen gingen davon über. Er war auf dem rechten Wege! Er vergaß den anstrengenden Ritt, die brennende Luft, die sein Blut austrank, den Gestank des Schlammes, der seinen Kleidern entströmte. Er richtete sich im Sattel auf und rief: Hurra. Die Wüstenstille verschlang es in weniger als einem Augenblick.

»Alter Wüstentrotter, wir sind aus dem rechten Wege! Natürlich! Was sagt die Schrift? ›Nur wer den Teppich und die Karte hat, findet den Schatz.‹ Was sagt die Schrift ferner? ›Von der Stelle, wo die Tonnen voll von unbrauchbarem Mehl stehen, dreitausend Schritte nach links, wo der Hund begraben liegt.‹ Das klingt rätselvoll. Aber wenn wir die Tonnen mit dem Mehl aufgeklärt haben, werden wir auch noch unsere Rechnung mit dem Hunde machen – es sei denn, daß es der wirkliche alte Hund ist, Kyon. Zerberus. Ich glaube, er ist es. Wer sollte sonst diesen schönen, sonnigen Hades bewachen?«

Philipp Collin lenkte das Schiff der Wüste von der Stelle, wo die fünf tonnenähnlichen Erhebungen eine improvisierte Bodega mitten im Salzsee bildeten, in der Richtung nach links. Der Weg wurde nicht schöner, als er gewesen, im Gegenteil. Der Boden glich Eis, das unter dem Wind gefroren ist. Die Kamele trappelten mühsam darüber. An einer Stelle lag ein Häufchen verwitterter Gebeine. Einer oder viele waren hier einmal gestorben. Aber was konnten Wesen, die sich in die Erblande des Todes begaben, anderes erwarten?

Was in aller Welt sollten die rätselhaften Worte von der Stelle, wo der Hund begraben liegt, bedeuten? Ein Mann, der Mehltonnen in der Sahara sehen konnte, durfte nicht wortwörtlich genommen werden, das war klar. Aber was konnte er wohl mit der Stelle, wo der Hund begraben lag, umschreiben wollen? In seiner norddeutschen Sprache hatte der Ausdruck »hier liegt der Hund begraben« eine besondere Bedeutung; er bedeutet so viel wie: hier muß man aufpassen, hier kommt die Wahrheit an den Tag! Aber wie konnte man diese Metapher auf eine Schatzjagd in der Sahara anwenden?

Das war nicht so leicht zu verstehen. Da gab es nur eines: die Schritte genau zu zählen, bis man zu dreitausend kam, und sich umzusehen. Und Philipp zählte die Schritte seines buckligen Tieres, ein Auge auf den Kompaß, eines auf die Umgebung geheftet. Diese veränderte ihren Charakter nicht. Nur daß das Glitzern des Kristallgürtels immer näher und näher kam. Das war ganz natürlich, denn seit sie den verräterischen Kristallteppich hinter sich gelassen hatten, waren sie zweimal im rechten Winkel abgebogen und also nun auf dem Wege dorthin zurück. Sie hatten sich fast im Kreise bewegt! Aber konnte das recht sein? Philipp hatte ja zwei der Punkte in dem geheimnisvollen Dokument lokalisiert – oder hatte er sich geirrt? Und wenn er recht hatte, was war die Stelle, wo der Hund begraben liegt?

Zweitausendachthundertneunzig, eins, zwei, drei, vier; zweitausendneunhundert, eins, zwei, drei, vier; zweitausendneunhundertdreißig, vierzig, fünfzig, sechzig; zweitausendneunhundertneunundsiebzig –

Nun waren sie dicht an dem Kristallteppich. Aber nicht dies veranlaßte Philipp, sein Kamel anzuhalten und sich im Sattel aufzurichten. Sondern der Anblick eines Dinges einige Schritte vor ihm, eines seltsamen, blinkenden Dinges; eines Denkmals, eines Monuments, dauerhafter als Kupfer, oder ebenso dauerhaft, da es zweihundert Jahren trotzen konnte, ohne zu verwittern. Wie war es entstanden? Wie hatte es der Auflösung entgehen können? Die Laune der Natur mochte die Antwort auf die eine Frage geben, die Trockenheit der Luft auf die andere. Auf jeden Fall war eines sicher: das Monument, wie es dastand – oder richtiger gesagt, auf dem Rücken lag – löste noch ein Problem in dem alten Dokument und befreite Philipp von unnötigen Grübeleien über die Finessen der deutschen Sprache. Er fügte noch einen Stein in das Gedankengebäude, das er im Laufe des Nachmittags aufgemauert hatte.

Denn einige Schritte weiter weg, nicht volle dreitausend Schritte, wie das Dokument sagte, von der Stelle, wo die Tonnen voll von unbrauchbarem Mehl standen, sondern genauer bestimmt zweitausendneunhundertzweiundachtzig – da lag ein Hund auf dem Rücken und leuchtete wie ein Diamant in der fanatischen Wüstensonne. Ja, ein wirklicher, authentischer Hund mit vier Beinen, einem langen Schwanz und einem demütigen Pariakopf, aber ein Hund, in Salz eingekapselt, wie Lots Frau; die Salzstatue eines Hundes, dessen Skelett mit einem Teil des zottigen Pelzes unter der Salzrinde bewahrt war. Den Augenhöhlen fehlten die Pupillen, aber dafür überströmten sie von funkelnden Salzkristallen, die den Augen einen kühneren Glanz gaben, als sie in dem armseligen Parialeben ihres Besitzers gehabt hatten. Das Lichtspiel machte den ganzen Hund beinahe lebendig. Es war, als hätte er sich auf den Rücken gelegt, weil die Flöhe ihn belästigten, aber als könnte er jeden Augenblick mit einem heiseren Bellen auffahren, und Horden von Gespensterhunden herbeirufen.

Der letzte, nein, der vorletzte Stein in Philipps Gedankengebäude lag an seinem Platz. Philipp hob seinen stinkenden Rockärmel salutierend zu dem Rand seines Tropenhelms und sagte:

»Oh, Hund, Enkel des Schakals! Getreten, gemartert und feige in deinem Heimatlande Afrika, gequält, verwöhnt und feige rings um das Mittelmeer, der unverschämte Parasit und Tyrann des Menschen in allen anderen Ländern, ich habe dich nie geliebt. Aber nun ich dir in dieser Form und hier begegne, bringe ich dir meine Huldigung dar!«

Er drehte sich um. Der Marabou saß da und sah den Salzhund an, mit weitgeöffnetem Munde, der allmählich dazu überging, Gebete aus dem Koran zu murmeln. Er hielt ihn offenbar für einen materialisierten bösen Geist. Aber Philipp hatte an anderes zu denken. Er zog seine Dokumente aus der Tasche und las sie ein letztes Mal durch.

So sagt die Schrift: »Als wir die Stelle erreicht hatten, wo der Hund begraben liegt, sahen wir die Felsen, die Schiffe einer Brücke sind, und wir freuten uns höchlichst, denn über diese Brücke wollten wir von unseren Feinden fortwandern. Und wir trieben die Kamele auf sie hinaus, und alles ging gut vonstatten. Aber als wir zu dem Felsen kamen, dessen Zahl thlatha ist, geschah das Unglück, das bewirkte, daß der Schatz noch dort ist. Die Dunkelheit senkte sich herab und …«

Philipp unterbrach sich und blickte über die Landschaft hin. Sie waren nun fast zum Rande des Kristallteppichs hinuntergekommen, des lockeren Kristallteppichs, der so einladend in der Sonne glitzerte und darauf wartete, sich aufzutun und den zu verschlingen, der darauftrat. Hinter ihnen lag der feste Kern des Salzsees mit seiner eigentümlich geformten Oberfläche, und weit drüben, jenseits des falschen Wellenglitzerns des Kristallteppichs, lag die Wüste, die den Salzsee von allen Seiten einkreiste. Aber gerade da, wo sie standen, war noch etwas zu sehen. Eine Reihe von Inselchen ragte aus dem falschen Meere auf. Inselchen aus Stein oder Sand, die sich in einem kettenähnlichen Archipel über der Tiefe des Kristallteppichs erstreckten. Reichte der Archipel bis hinüber zum Festlande – der Wüste? Das war ohne Fernglas unmöglich zu sagen. Es war unwahrscheinlich, da man in diesem Falle die Inselchen vermutlich dazu verwendet hätte, einen Weg hinüberzubauen; aber ob es richtig war oder nicht, war ganz gleichgültig. Der nordische Reisende, der einmal vor zweihundert Jahren mit einem geraubten Schatz und einem geraubten Teppich hierhergekommen war, hatte geglaubt, daß der Archipel zum Festland hinüberging, und dasselbe hatte sein Reisekamerad geglaubt. Sie hatten in dem Archipel eine Pontonbrücke gesehen – »die Felsen, die Schiffe einer Brücke sind« – und sie hatten ihre Kamele auf die Brücke hinausgetrieben. Und dann war das Unglück geschehen, das bewirkte, daß der Schatz noch immer auf einem der Inselchen des Archipels lag – wenn man dem Dokument glauben durfte. »Die Dunkelheit senkte sich herab und« – wie lange würde es wohl dauern, bis die Dunkelheit sich heute herabsenkte? Nicht so besonders lange. Da war Eile geboten. Es war keine Zeit zu verlieren.

»Hör' einmal, alter Wüstentrotter! Du siehst diese Felsen oder Inselchen hier, oder wie du sie nennen willst. Sie sind unser Ziel, und genauer bestimmt, jene von ihnen, deren Zahl in deiner schönen Muttersprache thlatha ist. Willst du mir sagen, was thlatha bedeutet?«

Der Marabou musterte die Umgebung mit einem Ausdruck tiefsten Widerwillens. Er zögerte mit der Antwort.

»Eile dich, alter Spekulator! Was bedeutet thlatha?«

Der Marabou brach sein Schweigen.

»Also hier«, sagte er, »willst du deinen Schatz holen?«

»Stimmt. Willst du –«

»Aber warum hast du mich den ganzen Weg zu diesem Ort der Verdammnis geführt?«

»Das will ich dir sagen. Erstens, weil ich wissen wollte, was du treibst. Ich habe so eine Ahnung, daß du nicht ganz ohne Anteil an dem Verschwinden meiner Freunde bist. Zweitens, weil ich Hilfe brauchen könnte, um meinen Schatz zu holen. Und drittens, weil ich Hilfe brauchen könnte, um ihn zu finden. Was bedeutet die Insel, deren Zahl thlatha ist?«

»Liegt auf dieser Insel dein Schatz?«

»Ja.«

»Thlatha«, sagte der Marabou nach dem Zögern eines Augenblickes, »bedeutet vier. Nur ein ungläubiger Hund kann unkundig genug sein, das nicht zu wissen.«

»Die Insel, deren Zahl vier ist! Hm! Sonderbare Idee, sich des Arabischen zu bedienen, um den Begriff vier auszudrücken. Aber das geht mich nichts an. Vorwärts!«

Philipp trieb sein Kamel zum Rande des Kristallteppichs hinunter und auf das nächste Inselchen hinaus. Das ging ohne Schwierigkeit. Die Entfernung von der festen Salzrinde zu dem Inselchen betrug nur einen Schritt, und der Salzteppich gab nur unerheblich nach; offenbar lag eine harte Schicht unter den knirschenden Kristallen. Ebenso leicht ging es, zu dem nächsten Inselchen zu gelangen, und auch der Weg zu dem dritten bot keine Schwierigkeiten. Die dritte Insel war größer als die beiden vorhergehenden, und voll von kleinen Felsblöcken, Salzkristallen und Steinen. Es erwies sich als schwierig, von ihr weiter, zur vierten Insel zu gelangen. Das Kamel, das bis dahin ganz willig pariert hatte, weigerte sich entschieden, weiterzugehen. Philipp stieg ab, nahm es am Halfter und suchte selbst den Weg über den Kristallteppich zu gehen, indem er das Tier festhielt. Doch das Schiff der Wüste weigerte sich auf das bestimmteste, sich weiter als bis zum Rande der Insel locken zu lassen. Philipp war von seinen fruchtlosen Anstrengungen ganz in Anspruch genommen, als ein Geräusch hinter ihm ihn zusammenzucken ließ. Er drehte sich um. Was nun geschah, ging so rasch, daß er kaum Zeit hatte, es zu erfassen.

Der Marabou war ihm auf dem Fuße gefolgt, bis zur dritten Insel! Dort war er von seinem Kamel abgestiegen. Er stand neben einem Haufen von Stein- und Salzblöcken, der den höchsten Punkt der Insel bildete. Er schien unter diesen gegraben zu haben, denn mehrere von ihnen waren beiseitegeworfen. Jetzt erhob er sich mit etwas in der Hand – einem Beutel. Er öffnete ihn, und ein Strahlenbündel flammte zwischen seinen Fingern auf. Der Beutel war voll von Juwelen! Aber das Licht entzündete sich nicht rascher in den Juwelen, als in den Augen des Marabou. Philipp konnte sich gerade noch eine Frage stellen – sollte thlatha nicht vier bedeuten? Sollte der heilige Mann ihm ein Schnippchen geschlagen haben? – als der Marabou einen Stein vom Boden auflas und seinen sehnigen, lederbraunen Arm hob. Im nächsten Augenblick sauste der Stein gegen Philipps Kopf, mit einer Kraft und Sicherheit geschleudert, die davon Zeugnis ablegte, daß der Marabou von einem Volke abstammte, für das das Steinigen von Ehebrecherinnen und Propheten stets eine Lieblingsbeschäftigung gewesen war. Im nächsten Augenblick war die Erde für Herrn Collin öde und leer und sein Geist auf dem Wege von dem sonnenbeleuchteten afrikanischen Hades zu dem schattenreichen und unbekannten.


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