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Vorwort.


Die Sagen der afrikanischen Neger sind ein überraschend reichhaltiger literarischer Schatz, welcher die alte Annahme bestätigt, daß das Geistesleben aller Völker und Rassen das gleiche ist, so lange es in der Kindheit seiner Entwickelung sich befindet. Was sich in vielen Jahrhunderten auf dem schwarzen Kontinent an Literatur seiner Eingeborenen durch Tradition erhalten hat, steht den europäischen alten Fabeln und Sagen nicht nach; der einzige Unterschied ist, daß diese einen steten Fortgang des Innenlebens, der Kultur der kaukasischen Rassen bekunden, während der Afrikaneger sich noch heute in seiner Kindheit befindet. Es läßt sich nicht einmal ungefähr angeben, wieviel verschiedene Stämme und wieviel Sprachen auf dem afrikanischen Festlande leben; nur soviel ist sicher, daß beider Zahl enorm ist. Sind doch allein auf deutsch-ostafrikanischem Gebiete gegen fünfzig scharf voneinander getrennte Zungen anzutreffen. Um so sonderbarer ist die Tatsache, daß die Verschiedenheit der Sprachen eine nicht dem entsprechende Verschiedenheit der Literatur der Völker Afrikas zur Folge hat. Wir finden die Erzählungen des Nordens im Süden wieder, in veränderter Gestalt zwar und sich den verschiedenen Lebensgewohnheiten und Umgebungen anpassend, aber unverkennbar dieselben Ideen in sich tragend. Auffallend tritt diese geistige Verwandtschaft der Geschichten hervor in folgenden:

Wie der Tod in die Welt kam. (Zulusage.)

Wie es kommt, daß die Nase des Hasen gespalten ist. (Hottentottenfabel.)

Warum es gut ist, daß die Menschen sterben. (Sage der Eingeborenen am Viktoriasee.)

Die Sage vom Chamäleon. (Sage der Haussaneger im Innern Afrikas.)

Warum der Mensch stirbt. (Sage von der Goldküste.)

Die große Familie der Bantuvölker, d. h. der südlich vom Äquator lebenden Afrikaneger, zu denen indessen die Hottentotten nicht zu rechnen sind, da sie eine Familie für sich bilden, besitzt eine beträchtliche Anzahl von Sagen, deren Hauptperson ein Kind ist, das irgend eine Sache verschenkt oder verleiht, dieselbe wiederfordert und findet, daß sie verloren oder zerbrochen ist. Als Schmerzensgeld bekommt es dann einen anderen Gegenstand, mit dem es dieselbe Erfahrung macht. Die Sache wiederholt sich mehrmals und wirkt dadurch schließlich lähmend auf das Interesse, was aber von Interesse ist, das ist ihre Verbreitung über den ganzen afrikanischen Kontinent und über ihn hinaus auf seine Inseln. Man kann nur annehmen, daß ein großer Kreis der afrikanischen Sagen einem vorgeschichtlichen Zeitalter angehört und sich langsam weiter und weiter verbreitet hat, allmählich seine Farben und Gewänder ändernd. Ein hervorragendes Beispiel von Geschichten dieser Art, ist:

Eine Geschichte der Neger von Damaraland;

Eine Erzählung aus Madagaskar;

Eine Geschichte von der Sierra Leonaküste;

Eine Geschichte der Zulus.

In allen vier Erzählungen handelt es sich um geschenkte, vertauschte und zerbrochene Sachen. Die Otyiherero- oder Damaraerzählung und Madagaskarsage sind in vielen Punkten verschieden, weisen aber auch augenscheinliche Übereinstimmungen auf. So ist der erste Tauschgegenstand in beiden eine Nadel, ihr folgt in der Damarageschichte eine Frucht, in der der Malagassen eine Pflanze, dann finden wir in beiden die Axt. In beiden Fabeln sind außer Lebensmitteln immer eiserne Gegenstände die Tauschobjekte, und sie werden stets weitergegeben an Leute, denen vorher der Nutzen des Eisens unbekannt schien. So kann man wohl annehmen, daß diese Fabeln entstanden zur Zeit, da das Eisen den Stein zu ersetzen anfing, und somit dürften diese Erzählungen zu den frühesten literarischen Erzeugnissen der Eingeborenen Afrikas zu rechnen sein; denn die Kunst des Eisenschmelzens und der Eisenarbeit war offenbar zur Zeit der ersten Europäer in Afrika nicht neu, da bereits die ältesten Kunden von ihrem Vorhandensein berichten. Was annehmen läßt, daß die Sage ihr erstes Entstehen sogar einer Zeit verdankt, in der der Eisengebrauch noch unbekannt war, ist der Umstand, daß die Version an der Sierra Leonaküste nichts vom Eisen weiß. Während in der Zulu- und Madagaskargeschichte nur Personen eine Rolle spielen, sind bei den Herero- und Sierra Leonavölkern Tiere und Gegenstände die Träger der Handlung. Die Sprache der Bewohner Madagaskars ist polynesischen Ursprungs, hat also nichts mit den Bantusprachen gemein. Für das Auftreten jener Sage auf der Insel läßt sich aber leicht eine Erklärung finden. Der nahen Afrikaküste sind viele Worte im täglichen Sprachgebrauch der Malagassen entlehnt, da der Verkehr zwischen dem Festlande und der Insel seit Urzeiten ein reger war. Mit der Übernahme von Teilen der Sprache hat sich wohl auch ein Teil der Literatur eingeschlichen. – Der deutsche Reineke Fuchs hat in den Negersagen Afrikas sein würdiges Gegenstück gefunden; er tritt in Gestalt des Kaninchens, Hasen, Schakals, ja der Schildkröte auf und ist stets mit der verschlagenen Schlauheit ausgestattet, die wir an Freund Reineke kennen. Der Hase und die Schildkröte (Kamerun-Märchen) und der Löwe und die Schildkröte (Yaosage) sind die treusten Reinekegeschichten und haben nebenbei eine unverkennbare Ähnlichkeit mit unserem braven Swinegel, der sich auf einen Wettlauf mit dem Hasen einließ. – Von großem Interesse für Völkerkundige ist der Umstand, daß die Hottentotten eine so reichhaltige Tierfabelkollektion besitzen. Man hatte sich gewöhnt, gerade dieses Volk für ein so untergeordnetes anzusehen, daß die Entdeckung einer Literatur, die den ersten Platz in der der farbigen Völker Afrikas einnimmt, eine Überraschung ist. Über das Origin des Hottentottenvolkes schwebt tiefstes Dunkel; doch ist gerade der Fabelschatz dieses Volkes, und mehr noch die Ähnlichkeit der Fabeln mit unseren eigenen, eine Bestätigung der oft ausgesprochenen Annahme, daß die Hottentotten nordafrikanischen Ursprungs sind und bereits in alten Zeiten mit den Völkern Europas Fühlung hatten. Sprachforscher weisen überdies zwischen der Sprache der Hottentotten und der alten Ägypter Ähnlichkeiten nach. Über die Verwandtschaft der afrikanischen Negerliteratur untereinander läßt sich viel sagen; doch ist eine Abhandlung darüber weder der Zweck der vorliegenden kleinen Sammlung, noch ist meine Kenntnis der Sprachen und Völker Afrikas eine annähernd genügende, um mich weiter auf dieses hochinteressante Thema einlassen zu können. Diese Sammlung der afrikanischen Literatur soll lediglich dazu beitragen zu unterhalten und Erwachsenen wie Kindern daheim den Erdteil und seine Bewohner näherzubringen, in dem so viele unserer Interessen liegen, und der hoffentlich mehr und mehr ein Faktor in der deutschen Weltstellung und Macht sein wird.

Einen ganz besonderen Dank schulde ich dem Vorstande der Kapstädter Stadtbibliothek, der mir in entgegenkommendster Weise gestattete, aus alten Zeitschriften, Magazinen usw. für meinen Zweck zu schöpfen. Professor Cameron aus Kapstadt ließ mich liebenswürdig von seiner Kenntnis der Madagaskarliteratur profitieren, wie auch Mr. Ritchie aus Port Elisabeth und viele deutsche und englische Freunde mich in jeder Weise bei meiner Arbeit unterstützt haben, indem sie mir erzählten, was sie beim nächtlichen Feuer auf Wanderungen tief im Innern oder an der Küste von Eingeborenen zu hören bekommen haben. Die Geschichten »Vom Vogel, der Milch gab« und vom »Cakyane-bo-Cololo« sind mir von den Mönchen der Missionsstation Marianhill in Natal zugegangen, und schließlich hat das Seminar für orientalische Sprachen in Berlin in sehr freundlicher Weise ein Interesse an der Arbeit gezeigt, indem es mich mit verschiedenen Nao-Erzählungen, also des Stammes aus dem Süden unseres ostafrikanischen Schutzgebietes, versorgte.

Ich gebe mein Manuskript mit dem Wunsche aus der Hand, daß es daheim das Interesse finden und dem Zwecke dienen möge, die von mir angestrebt sind.

Kaffraria in Südafrika, März 1904.
T. v. Held.


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