Heinrich Heine
Die parlamentarische Periode des Bürgerkönigtums
Heinrich Heine

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Musikalische Saison von 1843

Erster Bericht

Paris, den 20. März 1843

Die Langeweile, welche die klassische Tragödie der Franzosen ausdünstet, hat niemand besser begriffen als jene gute Bürgersfrau unter Ludwig XV., die zu ihren Kindern sagte: »Benedeit nicht den Adel und verzeiht ihm seinen Hochmut, er muß ja doch als Strafe des Himmels jeden Abend im Théâtre français sich zu Tode langweilen.« Das alte Regime hat aufgehört, und das Zepter ist in die Hände der Bourgeoisie geraten; aber diese neuen Herrscher müssen ebenfalls sehr viele Sünden abzubüßen haben, und der Unmut der Götter trifft sie noch unleidlicher als ihre Vorgänger im Reiche; denn nicht bloß, daß ihnen Mademoiselle Rachel die moderige Hefe des antiken Schlaftrunks jeden Abend kredenzt, müssen sie jetzt sogar den Abhub ihrer romantischen Küche, versifiziertes Sauerkraut, die »Burggrafen« von Victor Hugo, verschlucken! Ich will kein Wort verlieren über den Wert dieses unverdaulichen Machwerks, das mit allen möglichen Prätensionen auftritt, namentlich mit historischen, obgleich alles Wissen Victor Hugo's über Zeit und Ort, wo sein Stück spielt, lediglich aus der französischen Übersetzung von Schreiber's »Handbuch für Rheinreisende« geschöpft ist. Hat der Mann, der vor einem Jahre in öffentlicher Akademie zu sagen wagte, daß es mit dem deutschen Genius ein Ende habe (la pensée allemande est rentrée dans l'ombre), hat dieser größte Adler der Dichtkunst diesmal wirklich die Zeitgenossenschaft so allmächtig überflügelt? Wahrlich keineswegs. Sein Werk zeugt weder von poetischer Fülle noch Harmonie, weder von Begeisterung noch Geistesfreiheit, es enthält keinen Funken Genialität, sondern nichts als gespreizte Unnatur und bunte Deklamation. Eckige Holzfiguren, überladen mit geschmacklosem Flitterstaat, bewegt durch sichtbare Drähte, ein unheimliches Puppenspiel, eine grasse, krampfhafte Nachäffung des Lebens; durch und durch erlogene Leidenschaft. Nichts ist mir fataler als diese Hugo'sche Leidenschaft, die sich so glühend gebärdet, äußerlich so prächtig auflodert, und doch inwendig so armselig nüchtern und frostig ist. Diese kalte Passion, die uns in so flammenden Redensarten aufgetischt wird, erinnert mich immer an das gebratene Eis, das die Chinesen so künstlich zu bereiten wissen, indem sie kleine Stückchen Gefrornes, eingewickelt in einen dünnen Teig, einige Minuten übers Feuer halten; ein antithetischer Leckerbissen, den man schnell verschlucken muß, und wobei man Lippe und Zunge an der heißen Rinde verbrennt, den Magen aber erkältet.

Aber die herrschende Bourgeoisie muß ihrer Sünden wegen nicht bloß alte klassische Tragödien und Trilogien, die nicht klassisch sind, ausstehen, sondern die himmlischen Mächte haben ihr einen noch schauderhafteren Kunstgenuß beschert, nämlich jenes Pianoforte, dem man jetzt nirgends mehr ausweichen kann, das man in allen Häusern erklingen hört, in jeder Gesellschaft, Tag und Nacht. Ja, Pianoforte heißt das Marterinstrument, womit die jetzige vornehme Gesellschaft noch ganz besonders torquiert und gezüchtigt wird für alle ihre Usurpationen. Wenn nur nicht der Unschuldige mit leiden müßte! Diese ewige Klavierspielerei ist nicht mehr zu ertragen! (Ach! meine Wandnachbarinnen, junge Töchter Albion's, spielten in diesem Augenblick ein brillantes Morceau für zwei linke Hände). Diese grellen Klimpertöne ohne natürliches Verhallen, diese herzlosen Schwirrklänge, dieses erzprosaische Schollern und Pickern, dieses Fortepiano tötet all unser Denken und Fühlen, und wir werden dumm, abgestumpft, blödsinnig. Dieses Überhandnehmen des Klavierspielens und gar die Triumphzüge der Klaviervirtuosen sind charakteristisch für unsere Zeit und zeugen ganz eigentlich von dem Siege des Maschinenwesens über den Geist. Die technische Fertigkeit, die Präzision eines Automaten, das Identifizieren mit dem besaiteten Holze, die tönende Instrumentwerdung des Menschen, wird jetzt als das Höchste gepriesen und gefeiert. Wie Heuschreckenscharen kommen die Klaviervirtuosen jeden Winter nach Paris, weniger um Geld zu erwerben, als vielmehr um sich hier einen Namen zu machen, der ihnen in andern Ländern desto reichlicher eine pekuniäre Ernte verschafft. Paris dient ihnen als eine Art Annoncenpfahl, wo ihr Ruhm in kolossalen Lettern zu lesen. Ich sage, ihr Ruhm ist hier zu lesen, denn es ist die Pariser Presse, welche ihn der gläubigen Welt verkündet, und jene Virtuosen verstehen sich mit der größten Virtuosität auf die Ausbeutung der Journale und der Journalisten. Sie wissen auch dem Harthörigsten schon beizukommen, denn Menschen sind immer Menschen, sind empfänglich für Schmeichelei, spielen auch gern eine Protektorrolle, und eine Hand wäscht die andere; die unreinere ist aber selten die des Journalisten, und selbst der feile Lobhudler ist zugleich ein betrogener Tropf, den man zur Hälfte mit Liebkosungen bezahlt. Man spricht von der Käuflichkeit der Presse; man irrt sich sehr. Im Gegenteil, die Presse ist gewöhnlich düpiert, und dies gilt ganz besonders in Beziehung auf die berühmten Virtuosen. Berühmt sind sie eigentlich alle, nämlich in den Reklamen, die sie höchstselbst oder durch einen Bruder oder durch ihre Frau Mutter zum Druck befördern. Es ist kaum glaublich, wie demütig sie in den Zeitungsbureaux um die geringste Lobspende betteln, wie sie sich krümmen und winden. Als ich noch bei dem Direktor der »Gazette musicale« in großer Gunst stand – (ach! ich habe sie durch jugendlichen Leichtsinn verscherzt) – konnte ich so recht mit eignen Augen ansehen, wie ihm jene Berühmten untertänig zu Füßen lagen und vor ihm krochen und wedelten, um in seinem Journale ein bißchen gelobt zu werden; und von unsern hochgefeierten Virtuosen, die wie siegreiche Fürsten in allen Hauptstädten Europa's sich huldigen lassen, könnte man wohl in Béranger's Weise sagen, daß auf ihren Lorbeerkronen noch der Staub von Moritz Schlesinger's Stiefeln sichtbar ist. Wie diese Leute auf unsre Leichtgläubigkeit spekulieren, davon hat man keinen Begriff, wenn man nicht hier an Ort und Stelle die Betriebsamkeit ansieht. In dem Bureau der erwähnten musikalischen Zeitung begegnete ich einmal einem zerlumpten alten Mann, der sich als den Vater eines berühmten Virtuosen ankündigte und die Redaktoren des Journals bat, eine Reklame anzudrucken, worin einige edle Züge aus dem Kunstlebens seines Sohnes zur Kenntnis des Publikums gebracht wurden. Der Berühmte hat nämlich irgendwo in Südfrankreich mit kolossalem Beifall ein Konzert gegeben und mit dem Ertrag eine den Einsturz drohende altgotische Kirche unterstützt; ein andermal hatte er für eine überschwemmte Witwe gespielt, oder auch für einen siebzigjährigen Schulmeister, der seine einzige Kuh verloren, usw. Im längern Gespräche mit dem Vater jenes Wohltäters der Menschheit gestand der Alte ganz naiv, daß sein Herr Sohn freilich nicht so viel für ihn tue, wie er wohl vermöchte, und daß er ihn manchmal sogar ein klein bißchen darben lasse. Ich möchte dem Berühmten anraten, auch einmal für die baufälligen Hosen seines alten Vaters ein Konzert zu geben.

Wenn man diese Misere angesehen, kann man wahrlich den schwedischen Studenten nicht mehr grollen, die sich etwas allzu stark gegen den Unfug der Virtuosenvergötterung ausgesprochen und dem berühmten Ole Bull bei seiner Ankunft in Upsala die bekannte Ovation bereiteten. Der Gefeierte glaubte schon, man würde ihm die Pferde ausspannen, machte sich schon gefaßt auf Fackelzug und Blumenkränze, als er eine ganz unerwartete Tracht Ehrenprügel bekam, eine wahrhaft nordische Surprise.

Die Matadoren der diesjährigen Saison waren die Herren Sivori und Dreyschock. Ersterer ist ein Geiger, und schon als solchen stelle ich ihn über letztern, den furchtbaren Klavierschläger. Bei den Violinisten ist überhaupt die Virtuosität nicht ganz und gar Resultat mechanischer Fingerfertigkeit und bloßer Technik, wie bei den Pianisten. Die Violine ist ein Instrument, welches fast menschliche Launen hat und mit der Stimmung des Spielers, sozusagen, in einem sympathetischen Rapport steht, das geringste Mißbehagen, die leiseste Gemütserschütterung, ein Gefühlshauch, findet hier einen unmittelbaren Wiederhall, und das kommt wohl daher, weil die Violine, so ganz nahe an unsre Brust gedrückt, auch unser Herzklopfen vernimmt. Dies ist jedoch nur bei Künstlern der Fall, die wirklich ein Herz in der Brust tragen, welches klopft, die überhaupt eine Seele haben. Je nüchterner und herzloser der Violinspieler, desto gleichförmiger wird immer seine Exekution sein, und er kann auf den Gehorsam seiner Fiedel rechnen, zu jeder Stunde, an jedem Orte. Aber diese gepriesene Sicherheit ist doch nur das Ergebnis einer geistigen Beschränktheit, und eben die größten Meister waren es, deren Spiel nicht selten abhängig gewesen von äußern und inneren Einflüssen. Ich habe niemand besser, aber auch zu Zeiten niemand schlechter spielen gehört als Paganini, und dasselbe kann ich von Ernst rühmen. Dieser letztere, Ernst, vielleicht der größte Violinspieler unserer Tage, gleicht dem Paganini auch in seinen Gebrechen, wie in seiner Genialität. Ernst's Abwesenheit ward hier diesen Winter sehr bedauert von allen Musikfreunden, welche die Höhen der Kunst zu schätzen wissen. Signor Sivori war ein sehr matter Ersatz, doch wir haben ihn mit großem Vergnügen gehört. Da er in Genua geboren ist und vielleicht als Kind in den engen Straßen seiner Vaterstadt, wo man sich nicht ausweichen kann, dem Paganini zuweilen begegnete, hat man ihn hier für einen Schüler desselben proklamiert. Nein, Paganini hatte nie einen Schüler, konnte keinen haben, denn das Beste, was er wußte, das, was das Höchste in der Kunst ist, das läßt sich weder lehren noch lernen.

Was ist in der Kunst das Höchste? Das, was auch in allen andern Manifestationen des Lebens das Höchste ist; die selbstbewußte Freiheit des Geistes. Nicht bloß ein Musikstück, das in der Fülle jenes Selbstbewußtseins komponiert worden, sondern auch der bloße Vortrag desselben kann als das künstlerisch Höchste betrachtet werden, wenn uns daraus jener wundersame Unendlichkeitshauch anweht, der unmittelbar bekundet, daß der Exekutant mit dem Komponisten auf derselben freien Geisteshöhe steht, daß er ebenfalls ein Freier ist. Ja, dieses Selbstbewußtsein der Freiheit in der Kunst offenbart sich ganz besonders durch die Behandlung, durch die Form, in keinem Falle durch den Stoff, und wir können im Gegenteil behaupten, daß die Künstler, welche die Freiheit selbst und die Befreiung zu ihrem Stoffe gewählt, gewöhnlich von beschränktem, gefesseltem Geiste, wirklich Unfreie sind. Diese Bemerkung bewährt sich heutigen Tages ganz besonders in der deutschen Dichtkunst, wo wir mit Schrecken sehen, daß die zügellos trotzigsten Freiheitsänger, beim Licht betrachtet, meist nur bornierte Naturen sind, Philister, deren Zopf unter der roten Mütze hervorlauscht, Eintagsfliegen, von denen Goethe sagen würde:

Matte Fliegen! Wie sie rasen!
Wie sie, sumsend überkeck,
Ihren kleinen Fliegendreck
Träufeln auf Tyrannennasen!

Die wahrhaft großen Dichter haben immer die großen Interessen ihrer Zeit anders aufgefaßt als in gereimten Zeitungsartikeln, und sie haben sich wenig darum bekümmert, wenn die knechtische Menge, deren Roheit sie anwidert, ihnen den Vorwurf des Aristokratismus machte.

Zweiter Bericht

Paris, den 26. März 1843

Als die merkwürdigsten Erscheinungen der heurigen Saison habe ich die Herren Sivori und Dreyschock genannt. Letzterer hat den größten Beifall geerntet, und ich referiere getreulich, daß ihn die öffentliche Meinung für einen der größten Klaviervirtuosen proklamiert und den gefeiertsten derselben gleichgestellt hat. Er macht einen höllischen Spektakel. Man glaubt nicht einen Pianisten Dreyschock, sondern drei Schock Pianisten zu hören. Da an dem Abend seines Konzertes der Wind südwestlich war, so konnten Sie vielleicht in Augsburg die gewaltigen Klänge vernehmen; in solcher Entfernung ist ihre Wirkung gewiß eine angenehme. Hier jedoch, im Departement de la Seine, berstet uns leicht das Trommelfell, wenn dieser Klavierschläger loswettert. Häng dich, Franz Liszt! du bis ein gewöhnlicher Windgötze in Vergleichung mit diesem Donnergott, der wie Birkenreiser die Stürme zusammenbindet und damit das Meer stäupt. Auch ein Däne, namens Villmers, hat sich hier diesen Winter erfolgreich hören lassen und wird gewiß mit der Zeit ebenfalls die höchste Stufe seiner Kunst erklimpern. Die ältern Pianisten treten immer mehr in den Schatten, und diese armen, abgelebten Invaliden des Ruhmes müssen jetzt hart dafür leiden, daß sie in ihrer Jugend überschätzt worden. Nur Kalkbrenner hält sich noch ein bißchen. Er ist diesen Winter wieder öffentlich aufgetreten in dem Konzerte einer Schülerin; auf seinen Lippen glänzt noch immer jenes einbalsamierte Lächeln, welches wir jüngst auch bei einem ägyptischen Pharaonen bemerkt haben, dessen Mumie in dem hiesigen Museum abgewickelt wurde. Nach einer mehr als fünfundzwanzigjährigen Abwesenheit hat Herr Kalkbrenner auch jüngst den Schauplatz seiner frühesten Erfolge, nämlich London, wieder besucht und dort den größten Beifall eingeerntet. Das Beste ist, daß er mit heilem Halse hierher zurückgekehrtDie nachfolgende Stelle lautet in der französischen Ausgabe: »und daß seine Anwesenheit in Paris allen finstern und verleumderischen Gerüchten, die über ihn in Umlauf waren, ein Dementi erteilt. Er ist mit heilem Halse zurückgekehrt, die Taschen voll Guineen und den Kopf leerer als je. Triumphierend kehrt er zurück, und er erzählt uns, wie Ihre Majestät die Königin von England entzückt war, ihn so wohl zu sehen, und wie sie sich geschmeichelt fühlte durch seinen Besuch in Windsor oder in einem anderen Schlosse, dessen Name mir entfallen. Ja, der große Kalkbrenner ist mit heilem Halse nach seiner Pariser Residenz zurückgekehrt, zu seinen Verehrern, seinen schönen Pianofortes, die er in Kompagnie mit Herrn Pleyel fabriziert, zu seinen zahlreichen Schülern, die aus allen Künstlern bestehen, mit denen er nur ein einzig Mal in seinem Leben gesprochen, und zu seiner Gemäldesammlung, welche, wie er behauptet, kein Fürst bezahlen könne. Es versteht sich von selbst, daß er hier auch den kleinen achtjährigen Jungen wiedergefunden, den er seinen Herrn Sohn benamst, und dem er noch mehr musikalisches Talent als sich selber zuerkennt, indem er ihn über Mozart stellt. Dies lymphatische, kränklich aufgeblasene Männlein, das auf jeden Fall in der Bescheidenheit bereits seinen Vater übertrifft, hört sein eigenes Lob mit der unerschütterlichsten Kaltblütigkeit an; und mit dem Air eines gelangweilten, der Ehrenbezeigungen der Welt überdrüssigen Greises erzählt er selbst von seinen Erfolgen bei Hofe, wo die schönen Prinzessinnen ihm das weiße Händchen geküßt. Die Arroganz dieses Kleinen, dieses blasierten Fötus, ist ebenso widerwärtig als komisch. Ich weiß nicht, ob Herr Kalkbrenner in Paris gleichfalls die brave Fleischhändlerin wiedergefunden, die ihm einst den famosen Türbot überließ etc.« – Der Herausgeber. und wir jetzt wohl nicht mehr an die geheime Sage glauben dürfen, als habe Herr Kalkbrenner England so lange gemieden wegen der dortigen ungesunden Gesetzgebung, die das galante Vergehen der Bigamie mit dem Strange bestrafe. Wir können daher annehmen, daß jene Sage ein Märchen war, denn es ist eine Tatsache, daß Herr Kalkbrenner zurückgekehrt ist zu seinen hiesigen Verehrern, zu den schönen Fortepianos, die er in Kompagnie mit Herrn Pleyel fabriziert, zu seinen Schülerinnen, die sich alle zu seinen Meisterinnen im französischen Sinne des Wortes ausbilden, zu seiner Gemäldesammlung, welche, wie er behauptet, kein Fürst bezahlen könne, zu seinem hoffnungslosen Sohne, welcher in der Bescheidenheit bereits seinen Vater übertrifft, und zu der braven Fischhändlerin, die ihm den famosen Türbot überließ, den der Oberkoch des Fürsten von Benevent, Talleyrand Perigord, ehemaligen Bischofs von Autun, für seinen Herrn bereits bestellt hatte. – Die Poissarde sträubte sich lange, dem berühmten Pianisten, der inkognito auf den Fischmarkt gegangen war, den besagten Türbot zu überlassen, doch als ersterer seine Karte hervorzog, sie auf den letztern niederlegte und die arme Frau den Namen Kalkbrenner las, befahl sie auf der Stelle, den Fisch nach seiner Wohnung zu bringen, und sie war lange nicht zu bewegen, irgendeine Zahlung anzunehmen, hinlänglich bezahlt, wie sie sei, durch die große Ehre. Deutsche Stockfische ärgern sich über eine solche Fischgeschichte, weil sie selbst nicht imstande sind, ihr Selbstbewußtsein in solcher brillanten Weise geltend zu machen, und weil sie Herrn Kalkbrenner überdies beneiden ob seinem eleganten äußern Auftreten, ob seinem feinen geschniegelten Wesen, ob seiner Glätte und Süßlichkeit, ob der ganzen marzipanenen Erscheinung, die jedoch für den ruhigen Beobachter durch manche unwillkürliche Berlinismen der niedrigsten Klasse einen etwas schäbigen Beisatz hat, so daß Koreff ebenso witzig als richtig von dem Manne sagen konnte: »Er sieht aus wie ein Bonbon, der in den Dreck gefallen.«

Ein Zeitgenosse des Herrn Kalkbrenner ist Herr Pixis, und obgleich er von untergeordneterm Range, wollen wir doch hier als Kuriosität seiner erwähnen. Aber ist Herr Pixis wirklich noch am Leben? Er selber behauptet es und beruft sich dabei auf das Zeugnis des Herrn Sina, des berühmten Badegastes von Boulogne, den man nicht mit dem Berg Sinai verwechseln darf. Wir wollen diesem braven Wellenbändiger Glauben schenken, obgleich manche böse Zungen sogar versichern, Herrn Pixis habe nie existiert. Nein, letzterer ist ein Mensch, der wirklich lebt; ich sage Mensch, obgleich ein Zoologe ihm einen geschwänzteren Namen erteilen würde. Herr Pixis kam nach Paris schon zur Zeit der Invasion, in dem Augenblick, wo der belvederische Apoll den Römern wieder ausgeliefert wurde und Paris verlassen mußte. Die Acquisition des Herrn Pixis sollte den Franzosen einigen Ersatz bieten. Er spielte Klavier, komponierte auch sehr niedlich, und seine musikalischen Stückchen wurden ganz besonders geschätzt von den Vogelhändlern, welche Kanarienvögel auf Drehorgeln zum Gesange abrichten. Diesen gelben Dingern brauchte man eine Komposition des Herrn Pixis nur einmal vorzuleiern, und sie begriffen sie auf der Stelle und zwitscherten sie nach, daß es eine Freude war und jedermann applaudierte: »Pixissime!« Seitdem die altern Bourbonen vom Schauplatz abgetreten, wird nicht mehr »Pixissime« gerufen; die neuen Sangvögel verlangen neue Melodien.Der später von Heine geänderte Schluß dieses Absatzes lautete in dem mir vorliegenden Originalmanuskript ursprünglich wie folgt: »und wie Kalkbrenner ist auch Herr Pixis eine arme Mumie, und zwar die Mumie eines Ibis. Der lange Schnabel des Ibis bietet in der Tat die größte Ähnlichkeit mit jener fabelhaft langen Pixisnase, welche zu den Merkwürdigkeiten der musikalischen Welt gehört und die Zielscheibe so vieler schlechten Spaße geworden; in dieser Beziehung mußte ich ihrer einmal erwähnen.« – Der Herausgeber. Durch seine äußere Erscheinung, die physische, macht sich Herr Pixis noch einigermaßen geltend; er hat nämlich die größte Nase in der musikalischen Welt, und um diese Spezialität recht auffallend bemerkbar zu machen, zeigt er sich oft in Gesellschaft eines Romanzenkomponisten, der gar keine Nase hat und deswegen jüngst den Orden der Ehrenlegion erhalten hat, denn gewiß nicht seiner Musik wegen ist Herr Panseron solchermaßen dekoriert worden. Man sagt, daß derselbe auch zum Direktor der großen Oper ernannt werden solle, weil er nämlich der einzige Mensch sei, von dem nicht zu befürchten stehe, daß ihn der Maestro Giacomo Meyerbeer an der Nase herumziehen werde.

Herr Herz gehört, wie Kalkbrenner und Pixis, zu den Mumien; er glänzt nur noch durch seinen schönen Konzertsaal, er ist längst tot und hat kürzlich auch geheiratet. Zu den hier ansässigen Klavierspielern, die jetzt am meisten Glück machen, gehören Halle und Eduard Wolf; doch nur von letzterem wollen wir besonders Notiz nehmen, da er sich zugleich als Komponist auszeichnet. Eduard Wolf ist fruchtbar und voller Verve und Originalität. Seine Studien für das Pianoforte werden am meisten gerühmt, und er befindet sich jetzt so recht in der Vogue. Stephan Heller ist mehr Komponist als Virtuose, obgleich er auch wegen seines Klavierspiels sehr geehrt wird. Seine musikalischen Erzeugnisse tragen alle den Stempel eines ausgezeichneten Talentes, und er gehört schon jetzt zu den großen Meistern. Er ist ein wahrer Künstler, ohne Affektation, ohne Übertreibung; romantischer Sinn in klassischer Form. Thalberg ist schon seit zwei Monaten in Paris, will aber selbst kein Konzert geben; nur im Konzerte eines seiner Freunde wird er diese Woche öffentlich spielen. Dieser Künstler unterscheidet sich vorteilhaft von seinen Klavierkollegen, ich möchte fast sagen: durch sein unmusikalisches Betragen.In der Augsburger Allgemeinen Zeitung heißt es statt des obigen Satzes: »Trotz meiner Abneigung gegen das Klavier werde ich ihn dennoch zu hören suchen. Es hat aber seine eigne Bewandtnis mit der Toleranz, die ich dem Thalberg angedeihen lasse. Dieser bezaubert mich, ich möchte fast sagen: durch sein musikalisches Betragen – sein Spiel ist ganz getaucht in Harmonie.« – Der Herausgeber. Wie im Leben, so auch in seiner Kunst, bekundet Thalberg den angebornen Takt, sein Vortrag ist so gentlemanlike, so wohlhabend, so anständig, so ganz ohne Grimasse, so ganz ohne forciertes Genialtum, so ganz ohne jene renommierende Beugelei, welche die innere Verzagnis schlecht verhehlt, wie wir dergleichen bei unsern musikalischen Glückspilzen so oft bemerkten. Die gesunden Weiber lieben ihn. Die kränklichen Frauen sind ihm nicht minder hold, obgleich er nicht durch epileptische Anfälle auf dem Klavier ihr Mitleid in Anspruch nimmt, obgleich er sie weder elektrisiert noch galvanisiert; negative, aber schöne Eigenschaften. Es gibt nur einen, den ich ihm vorzöge, das ist Chopin, der aber viel mehr Komponist als Virtuose ist. Bei Chopin vergesse ich ganz die Meisterschaft des Klavierspiels, und versinke in die süßen Abgründe seiner Musik, in die schmerzliche Lieblichkeit seiner ebenso tiefen wie zarten Schöpfungen. Chopin ist der große geniale Tondichter, den man eigentlich nur in Gesellschaft von Mozart oder Beethoven oder Rossini nennen sollte.

In den sogenannten lyrischen Theatern hat es diesen Winter nicht an Novitäten gefehlt. Die Bouffes gaben uns »Don Pasquale«, ein neues Opus von Signor Donizetti, dem musikalischen Raupach. Auch diesem Italiener fehlt es nicht an Erfolg, sein Talent ist groß, aber noch größer ist seine Fruchtbarkeit, worin er nur den Kaninchen nachsteht. In der Opéra-comique sahen wir »La part du diable«. Text von Scribe, Musik von Auber; Dichter und Komponist passen hier gut zusammen, sie sind sich auffallend ähnlich in ihren Vorzügen wie in ihren Mängeln. Beide haben viel Esprit, viel Grazie, viel Erfindung, sogar Leidenschaft; dem einen fehlt nur die Poesie, während dem andern nur die Musik fehlt. Das Werk findet sein Publikum und macht immer ein volles Haus.

In der Académie royale de musique, der großen Oper, gab man dieser Tage »Karl VI.«, Text von Casimir Delavigne, Musik von Halevy. Auch hier bemerken wir zwischen dem Dichter und Komponisten eine wahlverwandte Ähnlichkeit. Sie haben beide durch gewissenhaftes edles Streben ihre natürliche Begabnis zu steigern gewußt und mehr durch die äußere Zucht der Schule als durch innere Ursprünglichkeit sich herangebildet. Deshalb sind sie auch beide nie ganz dem Schlechten verfallen, wie es dem Originalgenie zuweilen begegnet; sie leisteten immer etwas Erquickliches, etwas Schönes, etwas Respektables, Akademisches, Klassisches. Beide sind dabei gleich edle Naturen, würdige Gestalten, und in einer Zeit, wo das Geld sich geizig versteckt, wollen wir an dem kursierenden Silber nicht geringschätzig mäkeln. »Der fliegende Holländer« von Dietz ist seitdem traurig gescheitert; ich habe diese Oper nicht gehört, nur das Libretto kam mir zu Gesicht, und mit Widerwillen sah ich, wie die schöne Fabel, die ein bekannter deutsche Schriftsteller (H. Heine) fast ganz mundgerecht für die Bühne ersonnen, in dem französischen Texte verhunzt worden.

Der »Prophet« von Meyerbeer wird noch immer erwartet, und zwar mit einer Ungeduld, die, aufs unleidlichste gesteigert, am Ende in einen fatalen Unmut überschlagen dürfte. Es bildet sich hier schon ohnehin eine sonderbare Reaktion gegen Meyerbeer, dem man in Paris die Huld nicht verzeiht, die ihm in Berlin gnädigst zuteil wird. Man ist ungerecht genug, ihm manche politische Grämlichkeiten entgelten zu lassen. Bedürftigen Talenten, die zu ihrem Lebensunterhalt auf die allerhöchste Gunst angewiesen, verzeiht man weit eher ihre Dienstbarkeit als dem großen Maestro, der unabhängig mit einem grandiosen, fast genialen Vermögen zur Welt gekommen. In der Tat hat er sich sehr bedenklichen Mißverständnissen bloßgestellt; wir werden vielleicht nächstens darauf zurückkommen. – Die Abwesenheit von Berlioz ist fühlbar. Es wird uns hoffentlich bei seiner Rückkehr viel Schönes mitbringen; Deutschland wird ihn gewiß inspirieren, wie er auch jenseits des Rheins die Gemüter begeistert haben muß. Er ist unstreitig der größte und originellste Musiker, den Frankreich in der letzten Zeit hervorgebracht hat; er überragt alle seine Kollegen französischer Zunge.

Als gewissenhafter Berichterstatter muß ich erwähnen, daß unter den deutschen Landsleuten, die hier anwesend, sich auch der vortreffliche Meister Konradin Kreutzer befindet. Konradin Kreutzer ist hier zu bedeutendem Ansehn gelangt durch das Nachtlager von Granada, das die deutsche Truppe, verhungerten Andenkens, gegeben hat. Mir ist der verehrte Meister schon seit meinen frühesten Jugendtagen bekannt, wo mich seine Liederkompositionen entzückten; noch heute tönen sie mir im Gemüte wie singende Wälder mit schluchzenden Nachtigallen und blühender Frühlingsluft. Herr Kreutzer sagt mir, daß er für die Opéra-comique ein Libretto in Musik setzen wird. Möge es ihm gelingen, auf diesem gefährlichen Pfad nicht zu straucheln und von den abgefeimten Roués der Pariser Kommödiantenwelt nicht hinters Licht geführt zu werden, wie so manchen Deutschen vor ihm geschehen, die sogar den Vorzug hatten, weniger Talent als Herrn Kreutzer zu besitzen, und jedenfalls leichtfüßiger als letzterer auf dem glatten Boden von Paris sich zu bewegen wußten. Welche traurigen Erfahrungen mußte Herr Richard Wagner machen, der endlich der Sprache der Vernunft und des Magens gehorchend, das gefährliche Projekt, auf der französischen Bühne Fuß zu fassen, klüglich aufgab und nach dem deutschen Kartoffelland zurückflatterte. Vorteilhafter ausgerüstet im materiellen und industriösen Sinne ist der alte Dessauer, welcher, wie er behauptet, im Auftrage der Opéra-comique-Direktion eine Oper komponiert. Den Text liefert ihm Herr Scribe, dem vorher ein hiesiges Bankierhaus Bürgschaft leistet, daß bei etwaigem Durchfall des alten Dessauer ihm, dem berühmten Librettofabrikanten, eine namhafte Summe als Abtrittsgeld oder Dédit ausbezahlt werde. Er hat in der Tat recht, sich vorzusehen, da der alte Dessauer, wie er uns täglich vorwimmert, an der Melancholik leidet. Aber wer ist der alte Dessauer? Es kann doch nicht der alte Dessauer sein, der im siebenjährigen Kriege so viel Lorbeeren gewonnen, und dessen Marsch so berühmt geworden, und dessen Statue im Berliner Schloßgarten stand und seitdem umgefallen ist? Nein, teurer Leser! Der Dessauer, von welchem wir reden, hat nie Lorbeeren gewonnen, er schrieb auch keine berühmten Märsche, und es ist ihm auch keine Statue gesetzt worden, welche umgefallen. Er ist nicht der preußische alte Dessauer, und dieser Name ist nur ein Nom de guerre oder vielleicht ein Spitzname, den man ihm erteilt hat ob seinem ältlichen, katzenbucklicht gekrümmten und benauten Aussehen. Er ist ein alter Jüngling, der sich schlecht konserviert. Er ist nicht aus Dessau, im Gegenteil, er ist aus Prag, wo er im israelitischen Quartier zwei große reinliche Häuser besitzt; auch in Wien soll er ein Haus besitzen und sonstig sehr vermögend sein. Er hat also nicht nötig zu komponieren wie die alte Mosson, die Schwiegermutter des großen Giacomo Meyerbeer, sagen würde. Aber aus Vorliebe für die Kunst vernachlässigte er seine Handlungsgeschäfte, trieb Musik und komponierte frühzeitig eine Oper, welche»welche der Besuch in Saint-Chur hieß und durch edle etc.« hieß es ursprünglich in dem mir vorliegenden Originalmanuskript. – Der Herausgeber. durch edle Beharrlichkeit zur Aufführung gelangte und anderthalb Vorstellungen erlebte. So wie in Prag, suchte der alte Dessauer auch in Wien seine Talente geltend zu machen, doch die Klique, welche für Mozart, Beethoven und Schubert schwärmt, ließ ihn nicht aufkommen; man verstand ihn nicht, was schon wegen seiner kauderwelschen Mundart und einer gewissen näselnden Aussprache des Deutschen, die an faule Eier erinnert, sehr erklärlich. Vielleicht auch verstand man ihn und eben deswegen wollte man nichts von ihm wissen. Dabei litt er an Hämorrhoiden, auch Harnbeschwerden, und er bekam, wie er sich ausdrückt, die Melancholik. Um sich zu erheitern, ging er nach Paris, und hier gewann er die Gunst des berühmten Herrn Moritz Schlesinger, der seine Liederkompositionen in Verlag nahm; als Honorar erhielt er von demselben eine goldene Uhr. Als der alte Dessauer sich nach einiger Zeit zu seinem Gönner begab und ihm anzeigte, daß die Uhr nicht gehe, erwiderte derselbe: »Gehen? Habe ich gesagt, daß sie gehen wird? Gehen Ihre Kompositionen? Er geht mir mit Ihren Kompositionen, wie es Ihnen mit meiner Uhr geht – sie gehen nicht.« So sprach der Musikantenbeherrscher Moritz Schlesinger, indem er den Kragen seiner Krawatte in die Höhe zupfte und am Halse herumhaspelte, als werde ihm die Binde plötzlich zu enge, wie er zu tun pflegt, wenn er in Leidenschaft gerät; denn gleich allen großen Männern ist er sehr leidenschaftlich. Dieses unheimliche Zupfen und Haspeln am Halse soll oft den bedenklichsten Ausbrüchen des Zornes vorausgehen, und der arme alte Dessauer wurde dadurch so alteriert, daß er an jenem Tage stärker als je die Melancholik bekam. Der edle Gönner tat ihm unrecht. Es ist nicht seine Schuld, daß die Liederkompositionen nicht gehen; er hat alles Mögliche getan, um sie zum Gehen zu bringen; er ist deswegen von Morgen bis Abend auf den Beinen gewesen, und er läuft jedem nach, der imstande wäre, durch irgendeine Zeitungsreklame seine Lieder zum Gehen zu bringen. Er ist eine Klette an dem Rocke jedes Journalisten, und jammert uns beständig von seiner Melancholik und wie ein Brosämchen des Lobes sein krankes Gemüt erheitern könne. Wenig begüterte Feuilletonisten, die an kleinen Journalen arbeiten, sucht er in einer andern Weise zu ködern, indem er ihnen z. B. erzählt, daß er jüngst dem Redakteur eines Blattes im Café de Paris ein Frühstück gegeben habe, welches ihm fünfundvierzig Franks und zehn Sous gekostet; er trägt auch wirklich die Rechnung, die Carte payante, jener déjeuners beständig in der Hosentasche, um sie zur Beglaubigung vorzuzeigen. Ja, der zornige Schlesinger tut dem alten Dessauer unrecht, wenn er meint, daß derselbe nicht alle Mittel anwende, um die Kompositionen zum Gehen zu bringen. Nicht bloß die männlichen, sondern auch die weiblichen Gänsefedern sucht der Ärmste zu solchem Zwecke in Bewegung zu setzen. Er hat sogar eine alte vaterländische Gans gefunden, die aus Mitleid einige Lobreklamen im sentimental flauesten Deutsch-Französisch für ihn geschrieben, und gleichsam durch gedruckten Balsam seine Melancholik zu lindern gesucht hat. Wir müssen die brave Person um so mehr rühmen, da nur reine Menschenliebe, Philanthropie, im Spiele, und der alte Dessauer schwerlich durch sein schönes Gesicht die Frauen zu bestechen vermöchte. Über dieses Gesicht sind die Meinungen verschieden; die einen sagen, es sei ein Vomitiv, die andern sagen, es sei ein Laxativ. So viel ist gewiß, bei seinem Anblick beklemmt mich immer ein fatales Dilemma, und ich weiß alsdann nicht, für welche von beiden Ansichten ich mich entscheiden soll.Der Schluß dieses Absatzes fehlt in der französischen Ausgabe. Der Name »Dessauer« ist dort in »de Sauer« geändert, und Heine schreibt in bezug hierauf wie folgt: »Ich muß jedoch bemerken, daß ich den Namen des Musikers, von dem ich soeben geredet, falsch geschrieben habe, und daß er ohne Zweifel ganz denselben Namen wie der alte Dessauer, der berühmte Verfasser des Dessauer Marsches, führt.« – Der Herausgeber. Der alte Dessauer hat dem hiesigen Publikum zeigen wollen, daß sein Gesicht nicht, wie man sagte, das fatalste von der Welt sei. Er hat in dieser Absicht einen jüngern Bruder expreß von Prag hierher kommen lassen, und dieser schöne Jüngling, der wie ein Adonis des Grindes aussieht, begleitet ihn jetzt überall in Paris. –

Entschuldige, teurer Leser, wenn ich dich wohl von solchen Schmeißfliegen unterhalte; aber ihr zudringliches Gesumse kann den Geduldigsten am Ende dahin bringen, daß er zur Fliegenklatsche greift. Und dann auch wollte ich hier zeigen, welche Mistkäfer von unsern biedern Musikverlegern als deutsche Nachtigallen, als Nachfolger, ja, als Nebenbuhler von Schubert angepriesen werden. Die Popularität Schubert's ist sehr groß in Paris, und sein Name wird in der unverschämtesten Weise ausgebeutet. Der miserabelste Liederschund erscheint hier unter dem fingierten Namen Camille Schubert, und die Franzosen, die gewiß nicht wissen, daß der Vorname des echten Musikers Franz ist, lassen sich solchermaßen täuschen. Armer Schubert! Und welche Texte werden seiner Musik untergeschoben! Es sind namentlich die von Schubert komponierten Lieder von Heinrich Heine, welche hier am beliebtesten sind, aber die Texte sind so entsetzlich übersetzt, daß der Dichter herzlich froh war, als er erfuhr, wie wenig die Musikverleger sich ein Gewissen daraus machen, den wahren Autor verschweigend, den Namen eines obskuren französischen Paroliers auf das Titelblatt jener Lieder zu setzen. Es geschah vielleicht auch aus Pfiffigkeit, um nicht an Droits d'auteur zu erinnern. Hier in Frankreich gestatten diese dem Dichter eines komponierten Liedes immer die Hälfte des Honorars. Wäre diese Mode in Deutschland eingeführt, so würde ein Dichter, dessen »Buch der Lieder« seit zwanzig Jahren von allen deutschen Musikhändlern ausgebeutet wird, wenigstens von diesen Leuten einmal ein Wort des Dankes erhalten haben. – Es ist ihm aber von den vielen hundert Kompositionen seiner Lieder, die in Deutschland erschienen, nicht ein einziges Freiexemplar zugeschickt worden! Möge auch einmal für Deutschland die Stunde schlagen, wo das geistige Eigentum des Schriftstellers ebenso ernsthaft anerkannt werde wie das baumwollene Eigentum des Nachtmützenfabrikanten. Dichter werden aber bei uns als Nachtigallen betrachtet, denen nur die Luft angehöre; sie sind rechtlos, wahrhaft vogelfrei!

Ich will diesen Artikel mit einer guten Handlung beschließen. Wie ich höre, soll sich Herr Schindler in Köln, wo er Musikdirektor ist, sehr darüber grämen, daß ich in einem meiner Saisonberichte sehr wegwerfend von seiner weißen Krawatte gesprochen und von ihm selbst behauptet habe, auf seiner Visitenkarte sei unter seinem Namen der Zusatz »Ami de Beethoven« zu lesen gewesen. Letzteres stellt er in Abrede; was die Krawatte betrifft, so hat es damit ganz seine Richtigkeit, und ich habe nie ein fürchterlich weißeres und steiferes Ungeheuer gesehen; doch in betreff der Karte muß ich aus Menschenliebe gestehen, daß ich selber daran zweifle, ob jene Worte wirklich darauf gestanden. Ich habe die Geschichte nicht erfunden, aber vielleicht mit zu großer Zuvorkommenheit geglaubt, wie es denn bei allem in der Welt mehr auf die Wahrscheinlichkeit als auf die Wahrheit selbst ankommt. Erstere beweist, daß man den Mann einer solchen Narrheit fähig hielt, und bietet uns das Maß seines wirklichen Wesens, während ein wahres Faktum an und für sich nur eine Zufälligkeit ohne charakteristische Bedeutung sein kann. Ich habe die erwähnte Karte nicht gesehen; dagegen sah ich dieser Tage mit leiblich eignen Augen die Visitenkarte eines schlechten italienischen Sängers, der unter seinem Namen die Worte: »Neveu de Mr. Rubini« hatte drucken lassen.



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