Heinrich Heine
Werke - Band 3
Heinrich Heine
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VII
Die Schuld
Als ich noch sehr jung war, gab es drei Dinge, die mich ganz vorzüglich interessierten, wenn ich Zeitungen las. Zuvörderst unter dem Artikel »Großbritannien« suchte ich gleich: ob Richard Martin keine neue Bittschrift für die mildere Behandlung der armen Pferde, Hunde und Esel dem Parlamente übergeben. Dann unter dem Artikel »Frankfurt« suchte ich nach, ob der Herr Doktor Schreiber nicht wieder beim Bundestag für die großherzoglich hessischen Domänenkäufer eingekommen. Hierauf aber fiel ich gleich über die Türkei her und durchlas das lange Konstantinopel, um nur zu sehen, ob nicht wieder ein Großwesir mit der seidenen Schnur beehrt worden.
Dieses letztere gab mir immer den meisten Stoff zum Nachdenken. Daß ein Despot seinen Diener ohne Umstände erdrosseln läßt, fand ich ganz natürlich. Sah ich doch einst in der Menagerie, wie der König der Tiere so sehr in majestätischen Zorn geriet, daß er gewiß manchen unschuldigen Zuschauer zerrissen hätte, wäre er nicht in einer sichern Konstitution, die aus eisernen Stangen verfertigt war, eingesperrt gewesen. Aber was mich wundernahm, war immer der Umstand, daß nach der Erdrosselung des alten Herrn Großwesirs sich immer wieder jemand fand, der Lust hatte, Großwesir zu werden.
Jetzt, wo ich etwas älter geworden bin und mich mehr mit den Engländern als mit ihren Freunden, den Türken, beschäftige, ergreift mich ein analoges Erstaunen, wenn ich sehe, wie nach dem Abgang eines englischen Premier-Ministers gleich ein anderer sich an dessen Stelle drängt und dieser andere immer ein Mann ist, der auch ohne dieses Amt zu leben hätte und auch (Wellington ausgenommen) nichts weniger als ein Dummkopf ist. Schrecklicher als durch die seidene Schnur endigen ja alle englischen Minister, die länger als ein Semester dieses schwere Amt verwaltet. Besonders ist dieses der Fall seit der französischen Revolution; Sorg und Not haben sich vermehrt in Downingstreet, und die Last der Geschäfte ist kaum zu ertragen.
Einst waren die Verhältnisse in der Welt weit einfacher, und die sinnigen Dichter verglichen den Staat mit einem Schiffe und den Minister mit dessen Steuermann. Jetzt aber ist alles komplizierter und verwickelter, das gewöhnliche Staatsschiff ist ein Dampfboot geworden, und der Minister hat nicht mehr ein einfaches Ruder zu regieren, sondern als verantwortlicher Engineer steht er unten zwischen dem ungeheuern Maschinenwerk, untersucht ängstlich jedes Eisenstiftchen, jedes Rädchen, wodurch etwa eine Stockung entstehen könnte, schaut Tag und Nacht in die lodernde Feueresse und schwitzt vor Hitze und Sorge – sintemalen durch das geringste Versehen von seiner Seite der große Kessel zerspringen und bei dieser Gelegenheit Schiff und Mannschaft zugrunde gehen könnte. Der Kapitän und die Passagiere ergehen sich unterdessen ruhig auf dem Verdecke, ruhig flattert die Flagge auf dem Seitenmast, und wer das Boot so ruhig dahinschwimmen sieht, ahnet nicht, welche gefährliche Maschinerie und welche Sorge und Not in seinem Bauche verborgen ist.
Frühzeitigen Todes sinken sie dahin, die armen verantwortlichen Engineers des englischen Staatsschiffes. Rührend ist der frühe Tod des großen Pitt, rührender der Tod des größeren Fox. Perceval wäre an der gewöhnlichen Ministerkrankheit gestorben, wenn nicht ein Dolchstoß ihn schneller abgefertigt hätte. Diese Ministerkrankheit war es ebenfalls, was den Lord Castlereagh so zur Verzweiflung brachte, daß er sich die Kehle abschnitt zu North-Cray in der Grafschaft Kent. Lord Liverpool sank auf gleiche Weise in den Tod des Blödsinns. Canning, den göttergleichen Canning, sahen wir vergiftet von hochtoryschen Verleumdungen gleich einem kranken Atlas unter seiner Weltbürde niedersinken. Einer nach dem andern werden sie eingescharrt in Westminster, die armen Minister, die für Englands Könige Tag und Nacht denken müssen, während diese gedankenlos und wohlbeleibt dahinleben bis ins höchste Menschenalter.
Wie heißt aber die große Sorge, die Englands Ministern Tag und Nacht im Gehirne wühlt und sie tötet? Sie heißt: the debt, die Schuld.
Schulden ebenso wie Vaterlandsliebe, Religion, Ehre usw. gehören zwar zu den Vorzügen des Menschen – denn die Tiere haben keine Schulden – aber sie sind auch eine ganz vorzügliche Qual der Menschheit, und wie sie den einzelnen zugrunde richten, so bringen sie auch ganze Geschlechter ins Verderben, und sie scheinen das alte Fatum zu ersetzen in den Nationaltragödien unserer Zeit. England kann diesem Fatum nicht entgehen, seine Minister sehen die Schrecknisse herannahen und sterben mit der Verzweiflung der Ohnmacht.
Wäre ich königlich preußischer Oberlandeskalkulator oder Mitglied des Geniekorps, so würde ich in gewohnter Weise die ganze Summe der englischen Schuld in Silbergroschen berechnen und genau angeben, wievielmal man damit die große Friedrichstraße oder gar den ganzen Erdball bedecken könnte. Aber das Rechnen war nie meine Force, und ich möchte lieber einem Engländer das fatale Geschäft überlassen, seine Schulden aufzuzählen und die daraus entstehende Ministernot herauszurechnen. Dazu taugt niemand besser als der alte Cobbett, und aus der letzten Nummer seines Registers liefre ich folgende Erörterungen.
»Der Zustand der Dinge ist folgender:
- Diese Regierung oder vielmehr diese Aristokratie und Kirche, oder auch, wie ihr wollt, diese Regierung borgte eine große Summe Geldes, wofür sie viele Siege, sowohl Land- als Seesiege, gekauft hat – eine Menge Siege von jeder Sorte und Größe.
- Indessen muß ich zuvor bemerken, aus welcher Veranlassung und zu welchem Zwecke man diese Siege gekauft hat: die Veranlassung (occasion) war die französische Revolution, die alle aristokratischen Vorrechte und geistlichen Zehnten niedergerissen hatte; und der Zweck war die Verhütung einer Parlamentsreform in England, die wahrscheinlich ein ähnliches Niederreißen aller aristokratischen Vorrechte und geistlichen Zehnten zur Folge gehabt hätte.
- Um nun zu verhüten, daß das Beispiel der Franzosen nicht von den Engländern nachgeahmt würde, war es nötig, die Franzosen anzugreifen, sie in ihren Fortschritten zu hemmen, ihre neuerlangte Freiheit zu gefährden, sie zu verzweifelten Handlungen zu treiben und endlich die Revolution zu einem solchen Schreckbilde, zu einer solchen Völkerscheuche zu machen, daß man sich unter dem Namen der Freiheit nichts als ein Aggregat von Schlechtigkeit, Greuel und Blut vorstellen und das englische Volk in der Begeisterung seines Schreckens dahin gebracht würde, sich sogar ordentlich zu verlieben in jene greuelhaft-despotische Regierung, die einst in Frankreich blühte, und die jeder Engländer von jeher verabscheute, seit den Tagen Alfreds des Großen bis herab auf Georg den Dritten.
- Um jene Vorsätze auszuführen, bedurfte man der Mithülfe verschiedener fremder Nationen; diese Nationen wurden daher mit englischem Gelde unterstützt (subsidized); französische Emigranten wurden mit englischem Gelde unterhalten; kurz, man führte einen zweiundzwanzigjährigen Krieg, um jenes Volk niederzudrücken, das sich gegen aristokratische Vorrechte und geistliche Zehnten erhoben hatte.
- Unsere Regierung also erhielt »unzählige Siege« über die Franzosen, die, wie es scheint, immer geschlagen worden; aber diese unsere unzähligen Siege waren gekauft, d. h. sie wurden erfochten von Mietlingen, die wir für Geld dazu gedungen hatten, und wir hatten in unserem Solde zu einer und derselben Zeit ganze Scharen von Franzosen, Holländern, Schweizern, Italienern, Russen, Österreichern, Bayern, Hessen, Hannoveranern, Preußen, Spaniern, Portugiesen, Neapolitanern, Maltesern und Gott weiß! wie viele Nationen noch außerdem.
- Durch solches Mieten fremder Dienste und durch Benutzung unserer eigenen Flotte und Landmacht kauften wir so viele Siege über die Franzosen, welche arme Teufel kein Geld hatten, um ebenfalls dergleichen einzuhandeln, so daß wir endlich ihre Revolution überwältigten, die Aristokratie bei ihnen bis zu einer gewissen Stufe wiederherstellten, jedoch um alles in der Welt willen die geistlichen Zehnten nicht ebenfalls restaurieren konnten.
- Nachdem wir diese große Aufgabe glücklich vollbracht und auch dadurch jede Parlamentsreform in England hintertrieben hatten, erhob unsere Regierung ein brüllendes Siegesgeschrei, wobei sie ihre Lunge nicht wenig anstrengte und auch lautmöglichst unterstützt wurde von jeder Kreatur in diesem Lande, die auf eine oder die andere Art von den öffentlichen Taxen lebte.
- Beinahe ganze zwei Jahre dauerte der überschwengliche Freudenrausch bei dieser damals so glücklichen Nation; zur Feier jener Siege drängten sich Jubelfeste, Volksspiele, Triumphbogen, Lustkämpfe und dergleichen Vergnügungen, die mehr als eine Viertelmillion Pfund Sterlinge kosteten, und das Haus der Gemeinen bewilligte einstimmig eine ungeheure Summe (ich glaube drei Million Pfund Sterling), um Triumphbögen, Denksäulen und andere Monumente zu errichten und damit die glorreichen Ereignisse des Krieges zu verewigen.
- Beständig, seit dieser Zeit, hatten wir das Glück, unter der Regierung ebenderselben Personen zu leben, die unsere Angelegenheiten in besagtem glorreichen Kriege geführt hatten.
- Beständig, seit dieser Zeit, lebten wir in einem tiefen Frieden mit der ganzen Welt; man kann annehmen, daß dieses noch jetzt der Fall ist, ungeachtet unserer kleinen zwischenspieligen Rauferei mit den Türken; und daher sollte man denken, es könne keine Ursache in der Welt geben, weshalb wir jetzt nicht glücklich sein sollten: wir haben ja Frieden, unser Boden bringt reichlich seine Früchte, und, wie die Weltweisen und Gesetzgeber unserer Zeit eingestehen, wir sind die allererleuchtetste Nation auf der ganzen Erde. Wir haben wirklich überall Schulen, um die heranwachsende Generation zu unterrichten; wir haben nicht allein einen Rektor oder Vikar oder Kuraten in jedem Kirchsprengel des Königreichs, sondern wir haben in jedem dieser Kirchsprengel vielleicht noch sechs Religionslehrer, wovon jeder von einer andern Sorte ist als seine vier Kollegen, dergestalt, daß unser Land hinlänglich mit Unterricht jeder Art versorgt ist, kein Mensch dieses glücklichen Landes im Zustande der Unwissenheit leben wird, – und daher unser Erstaunen um so größer sein muß, wie irgend jemand, der ein Premier-Minister dieses glücklichen Landes werden soll, dieses Amt als eine so schwere und schwierige Last ansieht.
- Ach, wir haben ein einziges Unglück, und das ist ein wahres Unglück: wir haben nämlich einige Siege gekauft – sie waren herrlich – es war ein gutes Geschäft – sie waren drei- oder viermal soviel wert, als wir dafür gaben, wie Frau Tweazle ihrem Manne zu sagen pflegt, wenn sie vom Markte nach Hause kommt – es war große Nachfrage und viel Begehr nach Siegen – kurz, wir konnten nichts Vernünftigeres tun, als uns zu so billigem Preise mit einer so großen Portion Ruhm zu versehen.
- Aber, ich gestehe es bekümmerten Herzens, wir haben, wie manche andere Leute, das Geld geborgt, womit wir diese Siege gekauft, als wir dieser Siege bedurften, deren wir jetzt auf keine Weise wieder loswerden können, ebensowenig wie ein Mann seines Weibes loswird, wenn er einmal das Glück gehabt hat, sich die holde Bescherung aufzuladen.
- Daher geschieht's, daß jeder Minister, der unsere Angelegenheiten übernimmt, auch sorgen muß für die Bezahlung unserer Siege, worauf eigentlich noch kein Pfennig abbezahlt worden.
- Er braucht zwar nicht dafür zu sorgen, daß das ganze Geld, welches wir borgten, um Siege dafür zu kaufen, ganz auf einmal, Kapital und Zinsen, bezahlt werde; aber für die regelmäßige Auszahlung der Zinsen muß er, leider Gottes! ganz bestimmt sorgen; und diese Zinsen, zusammengerechnet mit dem Solde der Armee und anderen Ausgaben, die von unseren Siegen herrühren, sind so bedeutend, daß ein Mensch ziemlich starke Nerven haben muß, wenn er das Geschäftchen übernehmen will, für die Bezahlung dieser Summen zu sorgen.
- Früherhin, ehe wir uns damit abgaben, Siege einzuhandeln und uns allzureichlich mit Ruhm zu versorgen, trugen wir schon eine Schuld von wenig mehr als zweihundert Millionen, während alle Armengelder in England und Wales zusammen nicht mehr als zwei Millionen jährlich betrugen, und während wir noch nichts von jener Last hatten, die unter dem Namen dead weight uns jetzt aufgebürdet ist und ganz aus unserm Durst nach Ruhm hervorgegangen.
- Außer diesem Gelde, das von Kreditoren geborgt worden, die es freiwillig hergaben, hat unsere Regierung, aus Durst nach Siegen, auch indirekt bei den Armen eine große Anleihe gemacht, d. h. sie steigerte die gewöhnlichen Taxen bis auf eine solche Höhe, daß die Armen weit mehr als jemals niedergedrückt wurden, und daß sich die Anzahl der Armen und Armengelder erstaunlich vergrößerte.
- Die Armengelder stiegen von zwei Millionen jährlich auf acht Millionen; die Armen haben nun gleichsam ein Pfandrecht, eine Hypothek auf das Land; und hier ergibt sich also wieder eine Schuld von sechs Millionen, welche man hinzurechnen muß zu jenen anderen Schulden, die unsere Passion für Ruhm und der Einkauf unserer Siege verursacht hat.
- The dead weight besteht aus Leibrenten, die wir unter dem Namen Pensionen einer Menge von Männern, Weibern und Kindern verabreichen, als eine Belohnung für die Dienste, welche jene Männer beim Erlangen unserer Siege geleistet haben oder geleistet haben sollen.
- Das Kapital der Schuld, welche diese Regierung kontrahiert hat, um sich Siege zu verschaffen, besteht ungefähr in folgenden Summen:
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Pf. Sterling |
Hinzugekommene Summe zu der Nationalschuld |
800 000 000. |
Hinzugekommene Summe zur eigentlichen Armengelderschuld |
150 000 000. |
Dead weight als Kapital einer Schuld berechnet |
175 000 000. |
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Pf. St. |
1 125 000 000. |
d. h. elfhundertfünfundzwanzig Millionen zu fünf Prozent ist der Betrag jener jährlichen sechsundfünfzig Millionen! ja, dieses ist ungefähr der jetzige Betrag, nur, daß die Armengelderschuld nicht in den Rechnungen, die dem Parlamente vorgelegt werden, aufgeführt ist, indem sie das Land gleich direkt in den verschiedenen Kirchspielen bezahlt. Will man daher jene sechs Millionen von den sechsundvierzig Millionen abziehen, so ergibt sich, daß die Staatsschuldgläubiger und das dead-weight-Volk wirklich alles übrige verschlingen.
- Indessen, die Armengelder sind ebensogut eine Schuld wie die Schuld der Staatsschuldgläubiger und augenscheinlich aus derselben Quelle entsprungen. Von der schrecklichen Last der Taxen werden die Armen zu Boden gedrückt; jeder andere wird zwar auch davon gedrückt, aber jeder, außer den Armen, wußte diese Last mehr oder weniger von seinen Schultern abzuwälzen, und sie fiel endlich mit fürchterlichem Gewichte ganz auf die Armen, und diese verloren ihre Bierfässer, ihre kupfernen Kessel, ihre zinnernen Teller, ihre Wanduhr, ihre Betten und bis auf ihr Handwerksgeräte, sie verloren ihre Kleider und mußten sich in Lumpen hüllen, sie verloren das Fleisch von ihren Knochen – Sie konnten nicht weiter aufs Äußerste getrieben werden, und von dem, was man ihnen genommen, gab man ihnen wieder etwas zurück unter dem Namen von vermehrten Armengeldern. Diese sind daher eine wahre Schuld, ein wahres Pfandrecht auf das Land. Die Interessen dieser Schuld können zwar zurückgehalten werden, aber wenn dieses geschieht, würden die Personen, die solche zu fordern haben, in Masse herbeikommen und sich für den Betrag, gleichviel in welcher Währung, bezahlt machen. Dieses ist also eine wahre Schuld und eine Schuld, die man bei Heller und Pfennig bezahlen wird, und zwar, ich bemerke es ausdrücklich, wird man ihr ein Vorrecht vor allen anderen Schulden gestatten.
- Es ist also nicht nötig, sich sehr zu wundern, wenn man die Not derjenigen sieht, die solche Geschäfte übernehmen! Es ist zu verwundern, daß sich überhaupt jemand zu einer solchen Übernahme versteht, wenn ihm nicht anheimgestellt wird, nach Gutdünken eine radikale Umwandlung des ganzen Systems vorzunehmen.
- Hier gibt's keine Möglichkeit der Aushülfe, wenn man die jährliche Ausgabe der Staatsgläubigerschuld und der dead-weight-Schuld herabzusetzen sucht; um solches Herabsetzen der Schuld, solche Reduktion dem Lande anzumuten, um zu verhindern, daß sie große Umwälzungen hervorbringe, um zu verhindern, daß nicht eine halbe Million Menschen in und um London dadurch vor Hunger sterben müssen: da ist nötig, daß man zuvor weit verhältnismäßigere Reduktionen anderswo vornehme, ehe man die Reduktion jener obigen zwei Schulden oder ihrer Interessen versuchen wollte.
- Wie wir bereits gesehen haben, die Siege wurden gekauft in der Absicht, um Parlamentsreform in England zu verhindern und die aristokratischen Vorrechte und geistlichen Zehnten aufrechtzuerhalten; es wäre daher eine himmelschreiende Greueltat, entzögen wir ihre rechtmäßigen Zinsen jenen Leuten, die uns das Geld geborgt, oder entzögen wir gar ihre Bezahlung denjenigen Leuten, die uns die Hände vermietet, wodurch wir die Siege erlangt haben; es wäre eine Greueltat, die Gottes Rache auf uns laden würde, wenn wir dergleichen täten, während die einträglichen Ehrenämter der Aristokratie, ihre Pensionen, Sinekuren, königlichen Schenkungen, Militärbelohnungen und endlich gar die Zehnten des Klerus unangetastet blieben!
- Hier, hier also liegt die Schwierigkeit: Wer Minister wird, wird Minister eines Landes, das eine große Passion für Siege gehabt, auch sich hinlänglich damit versehen und sich unerhört viel militärischen Ruhm verschafft – aber leider diese Herrlichkeiten noch nicht bezahlt hat und nun dem Minister überläßt, die Rechnung zu berichtigen, ohne daß dieser weiß, woher er das Geld nehmen soll.«
Das sind Dinge, die einen Minister ins Grab drücken, wenigstens des Verstandes berauben können. England ist mehr schuldig, als es bezahlen kann. Man rühme nur nicht, daß es Indien und reiche Kolonien besitzt. Wie sich aus den letzten Parlamentsdebatten ergibt, zieht der englische Staat keinen Heller eigentlicher Einkünfte aus seinem großen, unermeßlichen Indien, ja er muß dorthin noch einige Millionen Zuschuß bezahlen. Dieses Land nutzt England bloß dadurch, daß einzelne Briten, die sich dort bereichert, durch ihre Schätze die Industrie und den Geldumlauf des Mutterlandes befördern und tausend andere durch die Indische Kompanie Brot und Versorgung gewinnen. Die Kolonien ebenfalls liefern dem Staate keine Einkünfte, bedürfen des Zuschusses und dienen zur Beförderung des Handels und zur Bereicherung der Aristokratie, deren Nepoten als Gouverneure und Unterbeamte dahin geschickt werden. Die Bezahlung der Nationalschuld fällt daher ganz allein auf Großbritannien und Irland. Aber auch hier sind die Ressourcen nicht so beträglich wie die Schuld selbst. Wir wollen ebenfalls hier Cobbett sprechen lassen:
»Es gibt Leute, die um eine Art Aushülfe anzugeben, von den Ressourcen des Landes sprechen. Dies sind die Schüler des seligen Colquhoun, eines Diebesfängers, der ein großes Buch geschrieben, um zu beweisen, daß unsere Schuld uns nicht im mindesten besorgt machen darf, indem sie so klein sei in Verhältnis zu den Ressourcen der Nation; und damit seine klugen Leser eine bestimmte Idee von der Unermeßlichkeit dieser Ressourcen bekommen mögen, machte er eine Abschätzung von allem, was im Lande vorhanden ist, bis herab auf die Kaninchen, und schien sogar zu bedauern, daß er nicht füglich die Ratten und Mäuse mitrechnen konnte. Den Wert der Pferde, Kühe, Schafe, Ferkelchen, Federvieh, Wildbret, Kaninchen, Fische, den Wert der Hausgeräte, Kleider, Feuerung, Zucker, Gewürze, kurz von allem im Lande machte er ein Ästimatum; und dann nachdem er das Ganze assumiert und den Wert der Ländereien, Bäume, Häuser, Minen, den Ertrag des Grases, des Korns, die Rüben und das Flachs hinzugerechnet und eine Summe von Gott weiß wie vielen tausend Millionen herausgebracht hat, grinst er in pfiffig prahlerisch schottischer Manier, ungefähr wie ein Truthahn, und hohnlachend fragt er Leute meinesgleichen: mit Ressourcen, wie diese, fürchtet ihr da noch einen Nationalbankerott?
Dieser Mann bedachte nicht, daß man Häuser nötig hat, um darin zu leben, die Ländereien, damit sie Futter liefern, die Kleider, damit man seine Blöße bedecke, die Kühe, damit sie Milch geben, den Durst zu löschen, das Hornvieh, Schafe, Schweine, Geflügel und Kaninchen, damit man sie esse, ja, der Teufel hole diesen widersinnigen Schotten! diese Dinge sind nicht dafür da, daß sie verkauft und die Nationalschulden damit bezahlt werden. Wahrhaftig, er hat noch den Taglohn der Arbeitsleute zu den Ressourcen der Nation gerechnet! Dieser dumme Teufel von Diebesfänger, den seine Brüder in Schottland zum Doktor geschlagen, weil er ein so vorzügliches Buch geschrieben, er scheint ganz vergessen zu haben, daß Arbeitsleute ihren Taglohn selbst bedürfen, um sich dafür etwas Essen und Trinken zu schaffen. Er konnte ebensogut den Wert des Blutes in unseren Adern abschätzen, als ein Stoff, wovon man allenfalls Blutwürste machen könnte!«
Soweit Cobbett. Während ich seine Worte in deutscher Sprache niederschreibe, bricht er leibhaftig selbst wieder hervor in meinem Gedächtnisse, und wie vorig Jahr bei dem lärmigen Mittagessen in Crown und Anchor Tavern, sehe ich ihn wieder mit seinem scheltend roten Gesichte und seinem radikalen Lächeln, worin der giftigste Todeshaß gar schauerlich zusammenschmilzt mit der höhnischen Freude, die den Untergang der Feinde ganz sicher voraussieht.
Tadle mich niemand, daß ich Cobbett zitiere! Man mag ihn immerhin der Unredlichkeit, der Scheltsucht und eines allzu ordinären Wesens beschuldigen; aber man kann nicht leugnen, daß er viel beredsamen Geist besitzt, und daß er sehr oft, und in obiger Darstellung ganz und gar, recht hat. Er ist ein Kettenhund, der jeden, den er nicht kennt, gleich wütend anfällt, oft den besten Freund des Hauses in die Waden beißt, immer bellt und eben wegen jenes unaufhörlichen Bellens nicht gehört wird, wenn er einmal einem wirklichen Diebe entgegenbellt. Deshalb halten es jene vornehmen Diebe, die England plündern, nicht einmal für nötig, dem knurrenden Cobbett einen Brocken zuzuwerfen und ihm damit das Maul zu stopfen. Dieses wurmt den Hund am bittersten und er fletscht die hungrigen Zähne.
Alter Cobbett! Hund von England! ich liebe dich nicht, denn fatal ist mir jede gemeine Natur; aber du dauerst mich bis in tiefster Seele, wenn ich sehe, wie du dich von deiner Kette nicht losreißen und jene Diebe nicht erreichen kannst, die lachend vor deinen Augen ihre Beute fortschleppen und deine vergeblichen Sprünge und dein ohnmächtiges Geheul verspotten.
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