Heinrich Heine
Werke - Band 3
Heinrich Heine

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Kapitel XIII

Madame! unter Ledas brütenden Hemisphären lag schon der ganze Trojanische Krieg, und Sie können die berühmten Tränen des Priamos nimmermehr verstehen, wenn ich Ihnen nicht erst von den alten Schwaneneiern erzähle. Deshalb beklagen Sie sich nicht über meine Abschweifungen. In allen vorhergehenden Kapiteln ist keine Zeile, die nicht zur Sache gehörte, ich schreibe gedrängt, ich vermeide alles Überflüssige, ich übergehe sogar oft das Notwendige, z. B. ich habe noch nicht einmal ordentlich zitiert – ich meine nicht Geister, sondern im Gegenteil, ich meine Schriftsteller – und doch ist das Zitieren alter und neuer Bücher das Hauptvergnügen eines jungen Autors, und so ein paar grundgelehrte Zitate zieren den ganzen Menschen. Glauben Sie nur nicht, Madame, es fehle mir an Bekanntschaft mit Büchertiteln. Außerdem kenne ich den Kunstgriff großer Geister, die es verstehen, die Korinthen aus den Semmeln und die Zitate aus den Kollegienheften herauszupicken; ich weiß auch, woher Bartels den Most holt. Im Notfall könnte ich bei meinen gelehrten Freunden eine Anleihe von Zitaten machen. Mein Freund G. in Berlin ist sozusagen ein kleiner Rothschild an Zitaten und leiht mir gern einige Millionen, und hat er sie nicht selbst vorrätig, so kann er sie leicht bei einigen andern kosmopolitischen Geistesbankiers zusammenbringen – Doch, ich brauche jetzt noch keine Anleihe zu machen, ich bin ein Mann, der sich gut steht, ich habe jährlich meine 10 000 Zitate zu verzehren, ja, ich habe sogar die Erfindung gemacht, wie man falsche Zitate für echte ausgeben kann. Sollte irgend ein großer, reicher Gelehrter, z. B. Michael Beer, mir dieses Geheimnis abkaufen wollen, so will ich es gerne für 19 000 Taler Kurant abstehen; auch ließe ich mich handeln. Eine andere Erfindung will ich zum Heile der Literatur nicht verschweigen und will sie gratis mitteilen:

Ich halte es nämlich für ratsam, alle obskuren Autoren mit ihrer Hausnummer zu zitieren.

Diese »guten Leute und schlechten Musikanten« – so wird im Ponce de Leon das Orchester angeredet – diese obskuren Autoren besitzen doch immer selbst noch ein Exemplärchen ihres längstverschollenen Büchleins, und um dieses aufzutreiben, muß man also ihre Hausnummer wissen. Wollte ich z. B. »Spittas Sangbüchlein für Handwerksburschen« zitieren - meine liebe Madame, wo wollten Sie dieses finden? Zitiere ich aber:

»vid. Sangbüchlein für Handwerksburschen, von P. Spitta; Lüneburg, auf der Lünerstraße Nr. 2, rechts um die Ecke« –

so können Sie, Madame, wenn Sie es der Mühe wert halten, das Büchlein auftreiben. Es ist aber nicht der Mühe wert.

Übrigens, Madame, haben Sie gar keine Idee davon, mit welcher Leichtigkeit ich zitieren kann. Überall finde ich Gelegenheit, meine tiefe Gelahrtheit anzubringen. Spreche ich z. B. vom Essen, so bemerke ich in einer Note, daß die Römer, Griechen und Hebräer ebenfalls gegessen haben, ich zitiere all die köstlichen Gerichte, die von der Köchin des Lucullus bereitet worden – weh mir, daß ich anderthalb Jahrtausend zu spät geboren bin! – ich bemerke auch, daß die gemeinschaftlichen Mahle bei den Griechen so und so hießen, und daß die Spartaner schlechte schwarze Suppe gegessen - Es ist doch gut, daß ich damals noch nicht lebte, ich kann mir nichts Entsetzlicheres denken, als wenn ich armer Mensch ein Spartaner geworden wäre, Suppe ist mein Lieblingsgericht – Madame, ich denke nächstens nach London zu reisen, wenn es aber wirklich wahr ist, daß man dort keine Suppe bekommt, so treibt mich die Sehnsucht bald wieder zurück nach den Suppenfleischtöpfen des Vaterlandes. Über das Essen der alten Hebräer könnt ich weitläuftig mich aussprechen und bis auf die jüdische Küche der neuesten Zeit herabgehen – Ich zitiere bei dieser Gelegenheit den ganzen Steinweg – Ich könnte auch anführen, wie human sich viele Berliner Gelehrte über das Essen der Juden geäußert, ich käme dann auf die anderen Vorzüglichkeiten und Vortrefflichkeiten der Juden, auf die Erfindungen, die man ihnen verdankt, z. B. die Wechsel, das Christentum – aber halt! letzteres wollen wir ihnen nicht allzuhoch anrechnen, da wir eigentlich noch wenig Gebrauch davon gemacht haben – ich glaube, die Juden selbst haben dabei weniger ihre Rechnung gefunden als bei der Erfindung der Wechsel. Bei Gelegenheit der Juden könnte ich auch Tacitus zitieren – er sagt, sie verehrten Esel in ihren Tempeln – und bei Gelegenheit der Esel, welch ein weites Zitatenfeld eröffnet sich mir! Wieviel Merkwürdiges läßt sich anführen über antike Esel im Gegensatz zu den modernen. Wie vernünftig waren jene, und ach! wie stupide sind diese. Wie verständig spricht z. B. Bileams Esel,

vid. Pentat. Lib – – – –

Madame, ich habe just das Buch nicht bei der Hand und will diese Stelle zum Ausfüllen offen lassen. Dagegen in Hinsicht der Abgeschmacktheit neuerer Esel zitiere ich:

vid. – – – – – – – –

nein, ich will auch diese Stelle offen lassen, sonst werde ich ebenfalls zitiert, nämlich injuriarum. Die neueren Esel sind große Esel. Die alten Esel, die so hoch in der Kultur standen,

vid. Gesneri: De antiqua honestate asinorum. (In comment. Götting., T. II., p. 32.)

sie würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie hörten, wie man von ihren Nachkommen spricht. Einst war »Esel« ein Ehrenname – bedeutete soviel wie jetzt »Hofrat«, »Baron«, »Doctor philosophiae« – Jakob vergleicht damit seinen Sohn Isaschar, Homer vergleicht damit seinen Helden Ajax, und jetzt vergleicht man damit den Herrn v. . . . . .! Madame, bei Gelegenheit solcher Esel könnte ich mich tief in die Literaturgeschichte versenken, ich könnte alle große Männer zitieren, die verliebt gewesen sind, z. B. den Abaelardum, Picum Mirandulanum, Borbonium, Curtesium, Angelum Politianum, Raimundum Lullum und Henricum Heineum. Bei Gelegenheit der Liebe könnte ich wieder alle große Männer zitieren, die keinen Tabak geraucht haben, z. B. Cicero, Justinian, Goethe, Hugo, ich – zufällig sind wir alle fünf auch so halb und halb Juristen. Mabillon konnte nicht einmal den Rauch einer fremden Pfeife vertragen, in seinem »Itinere germanico« klagt er, in Hinsicht der deutschen Wirtshäuser, »quod molestus ipsi fuerit tabaci grave olentis foetor«. Dagegen wird andern großen Männern eine Vorliebe für den Tabak zugeschrieben. Raphael Thorius hat einen Hymnus auf den Tabak gedichtet – Madame, Sie wissen vielleicht noch nicht, daß ihn Isaak Elseverius Anno 1628 zu Leiden in Quart herausgegeben hat – und Ludovicus Kinschot hat eine Vorrede in Versen dazu geschrieben. Grävius hat sogar ein Sonett auf den Tabak gemacht. Auch der große Boxhornius liebte den Tabak. Bayle, in seinem »Dict. hist. et. critiq.«, meldet von ihm, er habe sich sagen lassen, daß der große Boxhornius beim Rauchen einen großen Hut mit einem Loch im Vorderrand getragen, in welches er oft die Pfeife gesteckt, damit sie ihn in seinen Studien nicht hindere – Apropos, bei Erwähnung des großen Boxhornius könnte ich auch all die großen Gelehrten zitieren, die sich ins Boxhorn jagen ließen und davonliefen. Ich verweise aber bloß auf Joh. Georg Martius: De fuga literatorum etc. etc. etc. Wenn wir die Geschichte durchgehen, Madame, so haben alle große Männer einmal in ihrem Leben davonlaufen müssen: – Loth, Tarquinius, Moses, Jupiter, Frau von Staël, Nebukadnezar, Benjowsky, Mahomet, die ganze preußische Armee, Gregor VII., Rabbi Jizchak Abarbanel, Rousseau – ich könnte noch sehr viele Namen anführen, z. B. die, welche an der Börse auf dem schwarzen Brette verzeichnet sind.

Sie sehen, Madame, es fehlt mir nicht an Gründlichkeit und Tiefe. Nur mit der Systematik will es noch nicht so recht gehen. Als ein echter Deutscher hätte ich dieses Buch mit einer Erklärung seines Titels eröffnen müssen, wie es im Heiligen Römischen Reiche Brauch und Herkommen ist. Phidias hat zwar zu seinem Jupiter keine Vorrede gemacht, ebensowenig wie auf der Mediceischen Venus – ich habe sie von allen Seiten betrachtet – irgendein Zitat gefunden wird; – aber die alten Griechen waren Griechen, unsereiner ist ein ehrlicher Deutscher, kann die deutsche Natur nicht ganz verleugnen, und ich muß mich daher noch nachträglich über den Titel meines Buches aussprechen.

Madame, ich spreche demnach:

  1. Von den Ideen.
    1. Von den Ideen im allgemeinen.
      1. Von vernünftigen Ideen.
      2. Von unvernünftigen Ideen.
            α. Von den gewöhnlichen Ideen.
            β. Von den Ideen, die mit grünem Leder überzogen sind.

Diese werden wieder eingeteilt in – doch das wird sich alles schon finden.


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