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Das schöne Paris lag hinter uns. Bevor wir Brüssel berührten, um meine Mutter abzuholen, gingen wir nach Scheveningen, und während dieser Wochen, die wir in einem durch kaum einen Mißton getrübten Glück verlebten, schloß meine Frau mir ihr Herz auf.
Wir saßen nebeneinander, jeder in einem der geflochtenen Körbe am Strande und schauten auf das Meer, das mit seinem reinen Hauch in unsere Brust drang und unsere Seelen befreite. Und während die Wellen zu unseren Füßen rauschten, löste Thekla aus ihrem Innern, was sie längst gedrängt hatte, mir zu beichten.
»Mir gefiel Unzer anfänglich nicht, – denn um ihn handelt es sich, Detlef,« begann sie. »Sein ungleiches, exzentrisches Wesen hatte etwas Beunruhigendes für mich, und die gewisse souveräne Manier, mit der er über alles aburteilte, streifte bisweilen an jene moderne Blasiertheit, die ich verabscheue, wo sie mir entgegentritt.
Mancherlei Dinge, die Euch Männer nicht abstoßen, mißfielen mir zudem durchaus. Dazu gehörte die frivole Art, mit der er weiblichen Geschöpfen begegnete.
Einige Male – Du hast es vielleicht nicht bemerkt – nickte er im Theater und im Café Anglais einigen auffallend kostümierten Damen zu, und über sein Gesicht glitt ein Ausdruck, der mich geradezu anwiderte. Wenn mich sein Geist und seine Liebenswürdigkeit auf der einen Seite anzogen, so stießen mich andere Eigenschaften wieder ab, und als sich dem allen dieses gewisse mitleidige, aus souveränem Besserwissen entspringende Achselzucken hinzugesellte, geriet ich in eine fortgesetzte Abwehr, die so zunahm, daß ich ein Unbehagen empfand, wenn die Stunde kam, in der wir unsere Verabredungen getroffen hatten.
Ich schwieg gegen Dich, weil ich sah, wie sehr Du ihm zugethan warst, welchen Wert Du auf meine Freundschaft für ihn legtest. Und gerade Deine sich wiederholenden Lobeserhebungen und fortgesetzten Zureden, bewirkten, daß ich aus Ehrlichkeit Licht und Schatten immer gewissenhafter abwog. Da traten denn die Schatten allmählich mehr zurück. Als mancherlei Vorfälle und Gespräche mich einen Einblick in sein tieferes Inneres thun ließen, als ich sah, daß er eigentlich ein sehr ernster Mensch war, daß er im Grunde über seine Lebemänner-Ansichten und Allüren selbst zu Gericht saß, sie in unbefangener Beurteilung auf sein Junggesellentum zurückführte, auf das er durch eine zerstörte Liebe, deren Wirkungen noch heute an seinem Herzen nagen, hingewiesen sei, veränderten sich meine Ansichten und ich gab mich, wie Du wünschtest, daß ich ihm begegnen möge.
An jenem Morgen, als ich Dich so lange warten ließ – –«
Thekla stockte.
»An jenem Morgen –,« wiederholte ich leichthin, und doch voll ungeduldiger Spannung, mehr zu hören.
»Nun ja, an jenem Morgen setzte ich mich mit Unzer auseinander! Er machte mir Komplimente und sagte mir Artigkeiten, die mich beunruhigten.«
Ich wollte aufbrausen. Es nagte an mir die Eifersucht, aber meine Frau ergriff meine Hand und fuhr in sanftem Tone fort:
»Es war nichts, Detlef! Beruhige Dich. Er äußerte nur: ›Sie, Sie wären eine Frau, in der ich alles finden würde, das mich beglücken könnte, wenn's nicht für alle Zeiten vorbei wäre mit all dergleichen schönen Träumen. – –‹
Aber eben, weil ich fühlte, daß Schweigen auf ein solches Wort, besonders neben Blicken, wie er sie auf mich warf, ihm zu Mißdeutungen Anlaß geben könnte, weil ich ihn und mich behüten wollte, auch nur einen falschen Gedanken aufkommen zu lassen, redete ich die offene Sprache der Freundschaft und bat ihn –«
»Batest Du ihn? –« drängte ich mit steigender Unruhe.
»Mich nicht zu versuchen!«
Ein glühender Strom schoß durch mein Inneres, als ich dieses Wort, gerade dieses aus dem Munde meiner Frau hörte! Was hatte sich unter meinen arglosen Augen zugetragen? Und wer war der Mann! Es war derselbe, dem unter ähnlichen Verhältnissen ein Glück von mir zerstört worden war, um dessen Verlust er noch heute sich verzehrte.
»Als ich dies aber ausgesprochen in meiner Angst und Hilflosigkeit'« fuhr Thekla fort, »fühlte ich, daß darin ein Zugeständnis für ihn liegen könne, und in der That veranlaßte ihn meine Äußerung, mir zu danken. – Wofür? rief ich erschrocken.
Er lächelte mit jenem Lächeln, vor dem ich mich oft gefürchtet hatte, sagte aber dann ernst und gemessen:
›Ich erkannte aus Ihren Worten, Frau Thekla, daß Ihr Herz mir nicht ganz abhold ist! Dafür dankte ich Ihnen im guten, im besten Sinne. Und gab es etwas, was mich belehren konnte, welchen Schatz mein Freund Rauch besitzt, so war es dies Gespräch. Sitte und Ehre einer Frau‹, fügte er feierlich hinzu – ›der Frau meines Freundes, wie könnte ich daran tasten wollen, auch nur in Gedanken. –‹
Diese Unterredung hatte mich derartig erregt, erfüllte mich, obgleich ich meiner Pflicht genügt zu haben, mir bewußt war, mit einer solchen ratlosen Unsicherheit, daß ich nicht den Mut fand, Dir sogleich gegenüber zu treten. Ich begab mich zu Gonzales, und – das übrige weißt Du.
Aber wie es in Unzer aussah, erkannte ich doch an seinen täglichen Aufmerksamkeiten. Ich fühlte, daß dieses Tändeln, daß dieses Versteckenspielen mit jedem Tage gefährlicher werde. Niemals verletzte er durch ein Wort, was er mir mit klarer Rede zugeschworen, aber was mein Ohr nicht hörte, sah ich in seinem Blick, und ich hätte keine Frau sein müssen, wenn ich unempfindlich gewesen wäre gegen so viel Ehrerbietung, Rücksicht und stumme Resignation.
Ich litt und wußte nicht, was beginnen! Du sahst nichts. Wie mit Binden vor den Augen gingst Du einher, ließest nicht ab mit Ermunterungen für ein fortwährendes Beisammensein, ja grolltest, daß ich Deinen Weisungen, ihn auszuzeichnen, nicht folgte.
Ich hoffte, Du würdest mich verstehen, Du würdest mir die Beichte ersparen. Aber Du bliebst arglos.
An jenem Morgen, im ehrlichsten Kampfe, im Augenblick heiligster Entschlüsse, verließest Du das Zimmer, sandtest Du mir gerade ihn, den ich für immer zu fliehen beschlossen hatte!
Ich stand vor der Entscheidung. Ich mußte mir selbst helfen! Als Unzer sich mir näherte, mochte er wohl vor dem Ernst meiner Entschlüsse erschrecken. Ich sagte nichts, aber er verstand mich.
›Verlassen Sie uns, ich bitte!‹ preßte ich zuletzt heraus, und er senkte sein Haupt und ging, ohne Widerrede!«
Meine Frau hatte ihren Bericht geschlossen, und tief erregt verharrte ich in Schweigen.
»Und sonst hast Du mir nichts mitzuteilen?« fragte ich endlich, mich der letzten Unterredung mit Unzer erinnernd, die nun wieder lebhaft in meinem Gedächtnis auftauchte. »Sonst nichts, Thekla?«
Sie sah auf meine Frage betroffen vor sich nieder. Ich glaubte eine sonst nicht vorhandene Unsicherheit an ihr wahrzunehmen. Dann aber erhob sie den Blick und sagte ernst und feierlich: »Nein, sonst nichts, Detlef. Es ist alles, was ich zu sagen habe!«
Ich schaute gedankenvoll aufs Meer, das seine Wellen in ewiger Gleichförmigkeit und doch in ewig zaubervollem Wechsel an den Strand schob. War es Zufall, war es Schicksalsfügung, was ich eben vernommen hatte? – Wer vermochte es zu entscheiden! – Eines aber stand fest. Ich hatte einst gestrauchelt! Sie aber hatte den Kampf der Leidenschaft und Verlockung bestanden – und gesiegt! –
*
Am nächsten Tage fuhren wir nach dem Haag und holten meine Mutter ab. Thekla war bei der Begegnung sehr weich und lag lange an ihrem Halse und weinte. Die Erinnerungen waren, wie sie mir gestand, wieder wachgerufen, als sie die sah, unter deren Augen sie ihr Teuerstes verloren hatte.
Als wir abends beisammen saßen, war von einer armen Arbeiterfamilie in Brüssel die Rede.
Der Mann hatte seit einem halben Jahre im Bett gelegen und für die Familie nichts zu verdienen vermocht. Zwei Kinder waren in kurzer Zeit gestorben. Zuletzt hatte der Mann sich und seiner Frau in der Verzweiflung selbst den Tod gegeben.
»Auf einem dunklen Hofe, in dem Hinterhause eines großen Gebäudes,« berichtete meine Mutter, »lagen zur ebenen Erde in einem einzigen Zimmer die Leichen. Eine verheiratete Tochter, die sich eingefunden hatte, starrte wie abwesend vor sich hin. Ich sorgte für das notwendigste und verschaffte ihr und ihrem schwerkranken Mann ebenfalls Unterstützung. Aber als ich fortreiste, ward ein Kind geboren, und der bisherige Ernährer verschied trotz aller Pflege. Nun galt es abermals für diese Familie zu helfen, und der Himmel mag wissen, was aus der armen geprüften Frau geworden ist!«
Diese Erzählung beschäftigte Thekla so lebhaft, daß sie mich um Erlaubnis bat, der Wöchnerin durch meine Schwester eine Unterstützung zukommen zu lassen. Auch nahm sie mir das Versprechen ab, im ersten Jahre für die Unglückliche zu sorgen. Ich erklärte mich bereit, ihren Wunsch zu erfüllen, und sie war über dieses Zugeständnis überaus glücklich. Als wir uns allein befanden, neckte ich sie mit ihrem Eifer, sich fremder Menschen anzunehmen, und sagte:
»Wir haben die Rollen getauscht, Thekla! Wie würdest Du zu einer gewissen Zeit den Kopf geschüttelt haben, wenn ich dergleichen vorgeschlagen hätte.«
»Das Unglück macht die Menschen hart oder weich,« erwiderte sie. »Mich konnte es nur demütig machen. Wer da weiß, was es heißt, einen geliebten Menschen verlieren, hat Verständnis für den Schmerz anderer! Und dazu noch grausame Not bei unverdientem Unglück!«
Diese und ähnliche Gespräche bewiesen mir von neuem, wie sehr sich meine Frau, trotz äußerer Überwindung, mit unserem Kinde beschäftigte. Aber wenn es mich auch freute, ihr Mitleid sich regen zu sehen, so mußte ich mir doch sagen, daß dies nicht so sehr dem fremden Leide gälte. Es war im Grunde nur ihr eigener Schmerz, dem sie immer wieder neue Nahrung gab.
Und dann fragte sie mich, ob ich meiner Mutter von den Vorfällen in Paris Mitteilung machen werde, und als ich mit einer Antwort auswich, weil es mich in der That verlangte, jener mitzuteilen, wie brav sich Thekla gezeigt hatte, nahm sie mir das Versprechen ab, die Angelegenheit gar nicht zu berühren.
Anfangs glaubte ich, daß ihr Ersuchen in einem unbehaglichen, mir wohl begreiflichen Gefühl wurzele, aber nur zu bald erkannte ich meinen Irrtum.
»Weshalb meine Mutter von Dingen wissen solle, die man besser unberührt lasse, weil's besser sei, daß sie nicht geschehen!« äußerte sie. Ich erwiderte, daß ich diesen Grund als triftig anerkenne, aber es läge so nahe, gerade denen sein Herz aufzuschließen, bei welchen man aufrichtigster Teilnahme gewiß sei, und ganz besonders, wenn es das befestigte Glück zweier Personen beträfe.
Und da kam es denn zum Vorschein, daß es sie mit Eifersucht erfüllte, wenn ich meiner Mutter, gerade meiner Mutter, den Vorfall erzählen wollte. Alles müsse sie geteilt besitzen, rief sie erregt, und wenn mich etwas Besonderes beschäftige, trage ich es dieser zu, statt es mit ihr zu besprechen. Ich hielt meiner Frau vor, wie unrecht sie mir thue; ich wies ihr nach, daß ich aus Gründen verständiger Überlegung stets den entgegengesetzten Grundsatz verfolgt habe, und schalt sie, daß sie mit wahrer Beflissenheit hervorsuche, was ihr Qual bereiten könne. – Um so seltsamer, um so unbegreiflicher war ihre Erregung, als Thekla ihre Gefühle für mich durch äußere Zeichen selten an den Tag legte und nach dieser Richtung gegen unsere eheliche Kameradschaft nur zu oft verstieß. Ihre Liebe zu mir hatte die einstige Schroffheit gemildert; die Geburt unseres Kindes hatte gefördert, was dem innersten Wesen des Weibes entspricht, sie ward sanfter, gefühlvoller und mitteilsamer, aber nachdem ihr Liebstes davongegangen, legte sich die alte Kälte um ihr Herz und erstickte die zarteren Regungen, die mein Glück einst zu einem vollkommenen gemacht hatten. Ihre unsanfte, selbstsüchtige Natur gewann abermals Oberhand. Ich entdeckte sogar, daß die Annäherung an Unzer durch Eifersucht hervorgerufen worden war. Er zog mich von ihr ab! Das beschäftigte sie unausgesetzt. Sie lehnte sich erst gegen ihn auf und ließ ihrer Abneigung die Zügel schießen. Als er ihr sein Herz öffnete, wirkten weibliche Eitelkeit und Berechnung zusammen. Sie überlegte mit richtiger Schlußfolgerung, daß Unzer und ich von einander abgelenkt würden, wenn er sich ihr nähere. Endlich siegten ihre Grundsätze über das gefährliche Spiel, aber sie fand auch sogleich einen Nebenweg für ihre ursprünglichen Pläne und selbstischen Empfindungen, indem sie mich nun bat, daß wir uns von Unzer trennen möchten! Ihre Liebe zu mir glich der Zuneigung, die eine Wölfin für ihr Junges empfindet. Ein leidenschaftlicher Instinkt beherrschte sie. Es gährte und kochte in ihrem Blute, aber die zarteren Wallungen des Herzens hatte das Schicksal, wie es schien, durch seine Grausamkeit erdrückt.
Ich sträubte mich solchen Erkennens, aber mein Verstand sagte mir, daß es die Wahrheit sei. Oft erschien mir meine Frau wie ein äußerlich herrlicher Baum, der aber an der Wurzel krankt, dessen Zweige dürr werden, dessen Blüten ersterben.
*
Und doch trat nach diesen Anflügen einer Entfremdung noch einmal der von mir ersehnte erquickende Zustand der ersten Jahre wieder ein. Wir waren andere geworden; Gewohnheit hatte den Schimmer abgestreift, die gegenseitigen Ansprüche hatten sich herabgemindert, aber wir lebten in gutem Zusammensein und glaubten an seine Dauer. Meine Frau hing sich auf unseren Ausflügen an meinen Arm und fand Gefallen an einsamen Spaziergängen und stillen Plätzen, wo wir wie glückliche Liebesleute schwatzten. Die Vergangenheit ward nicht berührt, aber freundliche Bilder der Zukunft, die in Theklas sehnsüchtiger Erwartung wurzelten, ließen wir uns emporsteigen. Meine Frau war heiterer, ja bisweilen erscholl gar ein übermütiges Lachen aus ihrem Munde.
Wollte sich ihre böse Natur wieder vordrängen, so begann ich zu schmollen, und antwortete sie in ihrer kurzen, herrischen Weise, so richtete ich nur einen stumm fragenden Blick auf sie. »Nicht so! Nicht so, Detlef!« rief sie dann wohl gleich und zeigte durch ihre Zärtlichkeit, daß sie bereute.
So vergingen die Tage, und als wir endlich unsere Besitzungen erreichten, erschien uns unsere Reise wie ein Läuterungsgang, aus dem wir, seelisch gesundet, zurückgekehrt waren.
In dem Angesicht meiner Mutter lag helle Fröhlichkeit. Wenn sie uns anschaute, verklärten sich ihre Züge; ich sah wie sehr sie an unserem Glück teilnahm. Der General aber, der bereits bei unserer Ankunft ungeduldig wartend auf der Schloßtreppe gestanden, und in seiner Freude sogar meine Mutter herzhaft geküßt hatte, konnte sich an seiner Thekla nicht satt sehen, und hörte nicht auf, uns die vorteilhafte Veränderung ihres Wesens zu rühmen.
Schon an den Grenzen unseres Gutes waren wir von unseren Eingesessenen empfangen worden. Auf dem Hofe war alles versammelt. Blumen waren zu Kränzen gewunden, die Thüren geschmückt, und bunte Tafeln mit ›Willkommen!‹ prangten, wohin wir unsere Blicke wandten.
Mit strahlenden Gesichtern empfingen uns unsere Dienstboten; unsere Hunde bellten uns fröhlich entgegen, und im Stall wieherten die Reitpferde, als wir uns näherten und sie auf den Hals klopften.
Dazu die besten Berichte von meinen Beamten! Alles stand vortrefflich. Gerade rüstete man sich zur Ernte, und schon fuhren die ersten hochbeladenen Wagen schwankend durch den Thorweg. Da waren die alten, anheimelnden Bilder des Landes, die Äcker und die grünen Wiesen; aber auch die anheimelnden Düfte in Wald, Flur und Garten; sie alle verstärkten unsere frohen und glücklichen Empfindungen!
Die ersten Wochen nach unserer Rückkehr, galten der Nachholung mancher, durch meine Abwesenheit vernachlässigten Pflichten. Worüber man ohne meinen Wunsch keine Bestimmung hatte treffen wollen, unterlag jetzt meiner Entscheidung. Abschluß-Entwürfe und Rechnungen waren zu prüfen, verschobene Briefe zu beantworten, Händlern und Lieferanten Bescheide zu erteilen und die Eingesessenen, die persönliche Anliegen hatten, geduldig anzuhören, um ihren Anträgen nach Möglichkeit gerecht zu werden. Auch nach Schuleneck mußte ich einige Zeit reisen, um mich dort umzusehen. – Nachdem aber nun die außergewöhnlichen Geschäfte beseitigt, und alles in sein gewohntes Geleis zurückgekehrt war, gedachten wir auch unserer geselligen Pflichten, machten unseren Nachbarn Besuche und empfingen solche von ihnen.
Gelegentlich dieser Ausflüge fuhren wir bei einem jüngeren verheirateten Landwirt vor, der einen in unmittelbarer Nähe gelegenen, zu unserem Stammgut gehörenden Hof seit einigen Jahren in Pacht genommen. Wir waren zur Zeit auf seiner Hochzeit gewesen, und Thekla hatte eine große Zuneigung zu der jungen Frau gefaßt.
Als wir in den mit alten Bäumen bepflanzten, nach dem Gutshause führenden Weg einbogen, begegnete uns der vom Felde kommende und seine Schritte nach Hause lenkende Besitzer.
Hellmut, so hieß er, war kein übler Mann, aber er besaß wenig Lebensart und eine unzeitige Offenherzigkeit, die zwar die Ehrlichkeit seines Charakters in ein gutes Licht stellte, aber auch den Mangel an Erziehung deutlich erkennen ließ.
Als er uns sah, grüßte er, als ob wir uns am Tage vorher gesehen hätten und rief, seinen Hut nachlässig lüftend:
»Na, Reise glücklich überstanden, Frau Gräfin? Guten Tag, Herr Graf! Bitte, fahren Sie nur voraus! Ich komme gleich nach! – Meine Frau? Ja, die ist im Hause und der kleine Junge auch.«
Bei den letzten Worten lachte er vergnügt, zeigte seine weißen gesunden Zähne und nickte uns gelassen zu.
Kurz vor dem Einbiegen in den Hof begrüßte uns auch ein alter taubhöriger Bauer, den ich schon seit meiner Jugend kannte.
»Na, Madsen!« rief ich laut und ließ halten. »Wie gehts?«
Der Angeredete beschattete seine altersschwachen Augen, erkannte nun erst, vor wem er den Hut gezogen, und sagte in ungelenkem Deutsch: »Danke, danke, Herr Graf! Man wird alt! Es will nicht so recht mehr. Aber man muß zufrieden sein. Ich bin ja nun auf der Abnahme; meine Frau ist gestorben, aber Hans, mein Sohn, hat geheiratet, und da sitz ich denn nun den ganzen Tag bei der Frau und dem kleinen Jungen.«
»Ist da ein Kleines?« fragte meine Frau.
»Ja, ja, das will ich meinen«, erwiderte der Alte stolz. »Ein kleiner draller Junge – er ist an demselben Tage geboren, wie der Kleine drinnen im Hause –«
Er schwieg einen Augenblick, bewegte sein altes, weißes Haupt und sagte, sich aufraffend, in ehrerbietig scherzendem Tone:
»Na, und der kleine gräfliche Sohn ist ja wohl auch gut zu Wege? Der muß ja lange laufen und kann wohl schon lateinisch sprechen?«
Aus Rücksicht auf meine Frau gab ich dem Kutscher ein Zeichen und nahm mit rascher Handbewegung, und ohne auf seine Frage etwas zu erwidern, Abschied.
Thekla sprach kein Wort und schaute seitwärts in die Gegend. Ich sah es ihr an, daß sie eine gewaltige Bewegung niederkämpfte, und schon war ich im Begriff, umzuwenden, als Hellmut uns einholte und neben dem Wagen einherschritt. Alles was er sagte, bezog sich auf seinen kleinen Karlemann. Es war erstaunlich, was er von ihm berichtete, und doch klang's uns nicht neu oder ungewohnt. Mit denselben Worten hatten wir einst von unserem eigenen Knaben im Übermaße unseres Glückes gesprochen.
Und nun hielt endlich der Wagen vor dem Hause, und wir stiegen aus. Frau Hellmut war nicht anwesend. Sie sei im Garten beim Apfelpflücken, hieß es, und der Mann bat, wir möchten in die Wohnstube treten. Es war aber drinnen sehr dumpf, und gerade der Obstgeruch, der das Haus erfüllte, hatte etwas Betäubendes. Thekla schlug deshalb vor, die Frau draußen aufzusuchen, und Hellmut machte nicht nur keine Einwendungen, sondern sagte in seiner plumpen, fast unfreundlichen Weise:
»Ganz, wie Sie wollen! Ja, unser einer (diese Worte betonte er) muß die Hände rühren, wenn er zurecht kommen will. Na, ich sage Ihnen, Herr Graf, es ist kein Spaß, das hohe Pachtgeld aufzubringen. Es ist nichts dabei zu holen! Man kriegt's schon reichlich über.«
Solche Redensarten lagen ganz in seiner Art. Es klang immer wie ein Vorwurf, daß wir es besser hätten, als er und die Seinigen.
Wir wurden beide unangenehm berührt, aber während ich solche Bemerkungen stets mit Stillschweigen überging, regte sich bei Thekla leicht der alte Barcasche Hochmut. Sie vergaß sich auch heute und erwiderte:
»Nun, es zwingt Sie ja niemand, die Pacht zu behalten, Herr Hellmut. Sie wissen, daß wir damals bessere Gebote hatten und nur auf Ihre dringenden Bitten Rücksicht nahmen. Wir müssen alle arbeiten, uns unser Brod zu verdienen.«
Im allgemeinen glitten bei dem Eigendünkel und der glücklichen Veranlagung, nur sich selbst in der Welt zu erblicken, solche Erwiderungen an dem Pächter wirkungslos ab, heute aber sah er überrascht und, wie ich an seinen aufgeworfenen Lippen bemerkte, gereizt empor.
»Ja, arbeiten und arbeiten, Frau Gräfin«, sagte er, den ihm unbequemen Teil ihrer Antwort übergehend, mit starker Betonung.
Das Gespräch ward durch das Nähertreten der Frau abgeschnitten, die – ein vollkommener Gegensatz zu ihrem Ehemann – mit unverhohlener Freude und mit jener liebenswürdigen Unterordnung uns begrüßte, die der Wohlerzogene allezeit dem Gast gegenüber an den Tag legt. Ein kleiner, allerliebster blonder Junge hing an ihrer Schürze, und als meine Frau seiner ansichtig ward, nahm sie ihn in die Höhe und herzte ihn.
»O, Du prächtiger Kerl«, sagte sie. »Wie heißt Du denn?«
»Karlemann Hellmut!« erwiderte er in seiner reizend unbehilflichen Sprache.
»Karlemann? Ich denke Karl?« scherzte Thekla.
»Ich bin Papa sein Karlemann und Mama ihr Karl«, erwiderte er treuherzig.
Die Frau lächelte selig, aber des Mannes Gesicht überflog bloß ein abstoßender Ausdruck plumper Selbstgefälligkeit.
»Singe doch der Frau Gräfin einmal etwas vor, Karl!« hob die Pächtersfrau an, zupfte ihm den Kittel, glitt mit einem Tuche über sein frisches Kindergesicht und ermunterte ihn durch allerlei Gebärden. Anfänglich zögerte er, strich wiederholt mit der rechten Hand über die linke, als ob er etwas abstreifen könne, faltete sie endlich beide wie zum Beten und sang. Es klang überaus rührend, so rührend, daß ich sah, wie es Thekla feucht um die Augen wurde. Auch sagte er ein Gedichtchen her und zuletzt unaufgefordert sein tägliches Abendgebet: »Ich bin klein, mein Herz ist rein, es soll Niemand drin wohnen, als Jesus allein.« Zufällig waren es dieselben kindlichen Worte, die einst unseres Detlefs Mund allabendlich in frommer Unschuld gestammelt hatte, und da wurde die Erinnerung in meiner Frau so lebendig, daß sie, von ihrem Gefühl überwältigt, sich herabbeugte, und erst nach langer Zeit die von Thränen überströmten Augen emporhob. Die Ehegatten, ganz mit ihrem Kinds beschäftigt, sahen nicht, was in Thekla vorging. Sie faßte sich auch äußerlich und sagte, zu der jungen Frau gewendet, teilnehmend und freundlich:
»Ist der Kleine immer recht gesund gewesen? So! Das freut mich von Herzen!«
Der Pächter aber nahm statt ihrer, die mit glücklicher Miene den Kopf geneigt hatte, das Wort und rief:
»Karlemann? Ah! Der ist stramm! Sehen Sie nur!« – und er hob den in blühender Gesundheit strahlenden Burschen in die Höhe.
»Gott erhalte ihn Ihnen,« sagte Thekla ernst. »Ich dachte auch einst von meinem Kleinen dasselbe, und doch« – –
Sie brach ab; der Pächter aber – fast klang's wie Vergeltung, denn ein gewisser böser Ausdruck war nicht aus seinen Mienen geschwunden, wenn er meine Frau angesehen hatte – äußerte in brutalem Tone:
»Na ja! Bei Ihrem Verstorbenen hab' ich nie viel Vertrauen gehabt! Er sah immer wie ein Sterbekind aus! Nicht wahr, Grete, ich sagt's schon nach der Taufe.«
Meiner Frau stieg bei den Worten das Blut ans Herz. Sie hatte mit einer furchtbaren Erregung zu kämpfen. Um sie zu verbergen, nahm sie rasch das Kind empor, küßte es noch einmal und wandte sich nun rasch zum Gehen.
Frau Hellmut warf ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zu; aber in seinem Gesicht rührte sich nichts. Er ging gleichgiltig neben uns her und nahm, wie es stets in seiner Gewohnheit lag, die Gelegenheit wahr, mich um verschiedene, recht unbequeme Gefälligkeiten zu ersuchen. So wünschte er unter anderem die Ueberlassung von Arbeitspferden mitten in der Erntezeit.
Wenn ich auch aus dieser Unbefangenheit zu erkennen glaubte, daß er zu verletzen nicht gerade die Absicht gehabt, und jedenfalls des Umfanges seiner Kränkung sich nicht bewußt war, so hatte mich doch der Vorfall so unangenehm berührt, daß ich sein Ersuchen mit kurzen Worten abschlug.
»Wie? Es geht nicht, Herr Graf? Der Inspektor sagte mir doch« – hob er in seiner unempfindlichen Weise an, aber ich ließ ihn nicht ausreden. Ich schritt rascher vorwärts, als ob ich ohne seine Begleitung die Voraneilenden erreichen wolle, und warf schroff hin:
»Ich habe bekanntlich zu bestimmen, nicht der Inspektor! Sie denken immer, daß alles nur gleich so sein muß, wie Sie sich's gerade in den Kopf setzen, nehmen aber selbst meistens sehr wenig Rücksicht auf andere! – Gefälligkeiten wollen erworben und jedenfalls verdient sein – und nun, Gott befohlen!«
Als wir abfuhren, nickte er uns in formloser, fast herablassender Weise zu. Auf meine Worte hatte er keine Silbe erwidert.
*
Dieser kurze Zwischenfall gab den ersten Anlaß zu einem abermaligen, fortan nicht zu bekämpfenden Trübsinn, der sich meiner Frau bemächtigte. Zu ihm gesellte sich eine solche Reizbarkeit bei unbedeutenden Kleinigkeiten, daß ich fast verzweifelte.
Stunden, ja Tage saß ich neben Thekla und redete ihr zu. Auf alles, was ich sagte, erfolgte die eine Antwort: »Mein Kind, mein Kind!« Die alten Wunden waren von neuem aufgebrochen, und keine Vernunftszureden, kein Hinweis auf das Unabänderliche, auf Pflichten, die ihr oblagen gegen ihren Vater, gegen mich und ihre Umgebung, keine Mahnung, ihrer sonstigen Aufgaben eingedenk zu sein, änderten etwas.
»Was soll daraus werden?« sagte ich eines Tages in höchster Betrübnis. »Du erschlägst mitleidlos unser Glück, wie einst das Schicksal unseren Knaben! Du klagst jenes an und handelst nicht besser, nicht barmherziger! Sieh um Dich, was die gefühllos vorwärtsschreitende Zeit zu Boden wirft! In jedem Jahre zerstört sie eine blühende Welt, vernichtet Milliarden lebendiger Geschöpfe, ihre eigenen herrlichsten Kunstwerke! Sie fügt dem schrecklichsten Elend der Erdennot, wie jener Familie in Brüssel, noch das Entsetzen über den Verlust geliebter Kinder hinzu, und schont weder die niedrigste Hütte, noch den stolzesten Palast! Viele verdienen ob ihrer Tugenden wohl einen Schimmer von Glück! Und was verhängt das Schicksal über sie?! Bedenke, daß Du keine Ausnahme darstellst, und freue Dich des Guten, das Du vor anderen voraus hast!
Wo ist die willensstarke Thekla von ehedem. Wo ist meine frühere, nur unseres Glückes bedachte Frau? Welch eine Zukunft liegt vor uns, wenn Du solche Schleier über unser Leben ziehst, ihm alle Reize, ach! – fast die Erträglichkeit raubst?
Noch dunkler, als es in Deinem Innern aussieht, quillt's in mir auf, und das ist der Rückschlag Deines Wesens. Ach, Thekla!« rief ich zärtlich, »ohne Sonnenstrahl in Deinen Augen liegt Finsterniß über der Welt, ohne Dein Teilnehmen, Mitempfinden und Mitgenießen erscheint mir alles tot!«
»Ja, ich muß Dich frei geben,« flüsterte sie nach solchem Gespräche, und starrte krankhaft traumverloren vor sich hin. »Du hast Recht! Meine Sünde wächst, und nirgends ist Rettung!«
Nach solchen Worten, die mir ins Herz schnitten, unterdrückte ich jeden ferneren Vorwurf und nahm mir vor, lieber alles stumm und geduldig zu ertragen, als noch mehr finstere Gedanken in ihr zu erwecken. Auch meine Mutter ward in Mitleidenschaft gezogen. Ihr entging nichts; schon lange hatte sie ihre wiedergewonnene Zuversicht abgestreift.
Einmal sagte sie, und schaudernd horchte ich auf:
»Ich glaube, Detlef, es wäre am besten, wir berieten mit dem Arzt, ob nicht ein zeitweiliger Aufenthalt in einer Anstalt –«
Aber ich ließ sie nicht ausreden und wehrte ihr weiter zu sprechen. – Je mehr ich erkannte, wie die Dinge lagen, desto mehr suchte ich mir einzureden, daß doch alles nur vorübergehend sein würde, und daß solche ungewöhnlichen Mittel Theklas Schwermut zu bannen, gerade das Gegenteil bewirken würden.
Ach, wie glücklich konnten wir sein! Die Zeit hatte mich ruhiger, bedächtiger, weiser gemacht. Ich durfte von mir behaupten, daß ich redlich bemüht gewesen war, den Ansprüchen, die das Leben bisher an mich stellte, Genüge zu thun. – Auf ernste, gute Dinge richtete sich mein Sinn, Pflicht und Gerechtigkeit beseelten mich, und ich sah deren Früchte um mich her reisen. Nun sollte mich das Schicksal von dieser Seite treffen!
Furchtbar empfand ich den Verlust meines ehelichen Glückes. Oft eilte ich ins Freie, wenn die Natur, trotz ihres wärmeleeren Schooßes, in den Eisformen nach Schönheit und harmonischen Gebilden rang. In ihrem Anblick – und lag auch das empfindungslose Silber ihrer Fluren vor mir – erstarkte immer wieder mein Hoffen. Nur in ihr gewann ich meinen Lebensmut zurück, jenen, der mir die Dinge verklärte, der mich die Daseinsgabe als ein köstliches Geschenk betrachten ließ.
Und wenn die Sonne so hold schien, und gleich einem lachenden Spion des ungeduldig harrenden Frühlings, die abgestorbenen Wälder und toten Fluren gleichsam tröstend und verheißend durchleuchtete, schlug ich wohl die Hände zum Himmel empor und erflehte im Übermaß meines verzweiflungsvollen Schmerzes vom Höchsten einen Sonnenstrahl des alten Glücks für mich und mein armes Weib. –
Es war im Dezember. Der Winter stand in Eisschuhen und trotzte mit mitleidloser Miene wider die gegen sein Joch sich bäumende Erde auf, soweit der Blick reichte.
Wir befanden uns unmittelbar vor der Abreise nach Aschdorf, wo wir in jedem Jahre das Fest bei dem Vater meiner Frau zu feiern pflegten.
»Kommt diesmal nur zeitiger, als sonst,« hatte Herr von Barca geschrieben. »Vielleicht rufen trotz der Jahreszeit die alten Plätze frohere Gedanken in Thekla wach! Wir wollen recht fröhlich sein und – und so Gott will – heitere Tage mit einander verleben!«
Die Voraussetzungen, die der alte Herr an unseren Besuch knüpfte, teilte ich freilich nicht. Thekla war ein willenloses, krankes Kind. Wenn ich sie anredete, nickte sie stumm, sagte nicht Nein und nicht Ja. Alles schien ihr gleich zu sein, ob draußen der Frühling über die Felder sprang, oder Eis die Erde erdrückte. Meiner Mutter sanften Mahnungen setzte sie ebenso wenig einen Widerstand entgegen, aber sie pflichtete ihr auch nicht bei. Wie ein Wesen, das aufhorcht, ohne zu verstehen, blickte sie sie an, und wenn auch in ihre Mienen der kindlich traurige, Mitleid erregende Ausdruck trat, – das lauernde Auge strafte alles Lüge. Ein unheimliches Auge war es, das sich auf uns richtete, wenn meine Mutter und ich des Abends harmlos schwatzend beisammen saßen. Glaubte ich bei dem kalten, schweigsamen Wesen meiner Frau mich einer Vernachlässigung schuldig gemacht zu haben, und suchte ich sie ins Gespräch zu ziehen, so ließ sie wohl für Augenblicke die Arbeit ruhen und hörte mir zu. Aber bald verfiel sie in denselben Zustand und mied es sogar, emporzublicken. Sie schien es zu fühlen, daß mich ihr Gesichtsausdruck veranlaßt hatte, ihr mild zuzureden und ängstlich bemühte sie sich, meine Sorge zu zerstören.
Was meine Mutter und mich mit besonderer Unruhe erfüllte, war ihre Neigung, unthätig zu ruhen, und namentlich morgens, und wo sie nur eine Veranlassung fand, im Bett zu bleiben. Es schien die dadurch hervorgerufene größere Abgeschlossenheit von der Außenwelt ihr größere Seelenruhe zu verleihen. Auch unsere Nähe gewährte ihr keine Erleichterung oder machte ihr Freude. Sie schien vielmehr einen seelischen und körperlichen Schmerz zu empfinden, wenn wir an ihrer Seite saßen, plauderten und sie zu erheitern suchten, und so bald wir Miene machten, uns zu entfernen, unterstützte sie unsere Gründe, oder deutete leise oder lauter an, daß sie sich nach Ruhe und Alleinsein sehne. Einige Male beobachtete ich sie versteckt, um zu sehen, was sie treibe. Ich sah sie mit offenen Augen und emporgerichteten Blick daliegen und träumen. Hin und wieder strich ihre Hand, wie in der Bethätigung einer ruhig zufriedenen Stimmung, über die Decke, oder sie tastete an den Nebentisch, ergriff einen gleichgiltigen Gegenstand und schaute diesen wie verliebt an. Als ich einmal rasch ins Zimmer trat, lächelte sie verwirrt und versteckte, als ob sie etwas Unrechtes gethan habe, errötend, was sie in der Hand hielt.
Bei einer solchen Gelegenheit trat ich dann auch wohl aus meiner Zurückhaltung heraus und rief vorwurfsvoll: »Raffe Dich auf, Thekla! Je mehr Du Dich diesem Traumleben hingiebst, desto mehr wird es Dich beherrschen! Zuletzt wirst Du die Widerstandsfähigkeit ganz verlieren, und aus einer zeitweiligen Schwäche wird sich eine dauernde, vielleicht unheilbare Krankheit entwickeln! Thu's mir zu Liebe und suche Deine Energie zurückzugewinnen! Denke nicht, es sei unmöglich! Zeige mir, daß ich mich nicht in Dir täuschte.« –
»Du sprichst, wie Du es verstehst,« erwiderte meine Frau. »Du weißt nicht, wie mir zu Mute ist. Ich leide mehr, als ich es Dir zu sagen vermag. Nur Einsamkeit thut mir wohl. Ohne sie befinde ich mich in einer fortdauernden, unbezwingbaren Angst und Unruhe. Mein Herzschlag geht rascher; es liegt auf mir, als ob ein Unheil bevorstehe, und das Geringfügigste erscheint mir unüberwindbar.«
Und als ich mich nach dieser Erwiderung achselzuckend abwandte, auch Miene machte, das Zimmer zu verlassen, hielt sie mich nicht zurück und gab mir kein freundliches Wort. Auf das tiefere Wesen der Sache: die Rückwirkung ihres Verhaltens auf unser eheliches Verhältnis, ging sie nicht ein. Nie äußerte sie einen Kummer über unser zerstörtes Glück, über die Entbehrungen, die ich empfand.
Am Tage vor unserer Abfahrt nach Aschdorf sprach ich noch einmal eingehender mit unserem Arzte über ihren Zustand und bat ihn um seine aufrichtige Meinung.
»Ich muß wiederholen, was ich früher gegen Sie äußerte,« antwortete er mir. »Ihre Frau Gemahlin neigt zum Tiefsinn, der sehr wahrscheinlich nur durch äußerste Strenge, eine Strenge, die an Grausamkeit grenzen mag, beseitigt werden kann. Sie müßten sie wie eine störrige Widerspenstige behandeln, sie früh morgens aus dem Bette jagen, die härteste Arbeit thun lassen, sie dadurch selbst in die Lage bringen, ihre Energie zurückgewinnen, und mit dieser die Stärkung des Pflichtgefühls! Sie hat Recht, daß sie krank, sehr krank ist, aber hier nützt keine Medizin.
Ich räume ein, daß die Durchführung solcher Maßregeln schwer, unter Verhältnissen, in denen Sie leben, noch schwerer ist! Sie müßten überlegen, ob Sie sie in ein fremdes Haus bringen wollen, wo das gethan wird, wozu ich nach bester Überzeugung rate.«
»Nehmen Sie aber den Fall, Herr Doktor, daß meine Frau sich weigert, zu solchem Zweck zu fremden Menschen zu gehen. Mir scheint es unmöglich, daß man eine Natur, wie die ihrige, zu irgend etwas zwingen kann. Sie wird sich widersetzen!«
»Es käme auf einen Versuch an,« erwiderte der Arzt. »Würde er in solcher Weise fehlschlagen, wär's immer noch Zeit – –«
Mir schauderte vor dem Schlußsatz. Da ich wußte, was er sagen wollte, wehrte ich ihm mit einer Handbewegung ab, weiter zu sprechen. –
Es war am ersten Tage in Aschdorf. Wir hatten vor einer Stunde das Gut erreicht und harrten des Mittagmahls, nachdem wir ausgepackt und uns in den alten Räumen eingerichtet hatten. Thekla war für einen Augenblick mit meiner Mutter in ein kleines, dem Eßzimmer zunächst liegendes Gemach getreten, um ein neues Möbel in Augenschein zu nehmen. Im Speisezimmer selbst erschien mit leisen Schritten der Diener und setzte Kandelaber auf den Tisch; und ich saß über einem Album geneigt im Salon.
Alles still ringsum, bis ich ein Gewand über den Teppich rauschen und zugleich den festen Schritt des Generals neben mir hörte.
»Bitte, erlaube, lieber Detlef, daß ich Dich mit Fräulein Elster bekannt mache!« hob er an.
Ich vermutete die neue Repräsentationsdame des Barcaschen Hauses, von der ich bereits gehört hatte, stand rasch auf und wandte mich zu der etwas im Dunkel stehenden Erscheinung.
Aber in dem Augenblick, in welchem der General einige Schritte gegen das Kabinett machte, um sich zu gleichem Zweck an die Damen zu wenden, drang auch ein leiser, jäher Schreckenston aus meiner Brust.
Diejenige, die vor mir stand, war – Manja Sternberg.
Ich konnte ihre Züge nicht deutlich erkennen, aber ich bemerkte, daß sie nichts, trotz der Jahre, die uns getrennt hatten, von ihrer gebietenden Schönheit eingebüßt hatte.
Ich war im Begriff zu sprechen. Meine Bestürzung, aber auch meine innere Auflehnung drängten nach Worten, denn ich sah im Halbdunkel einen Blick auf mich gerichtet, dessen entschlossener Ausdruck mir anzudeuten schien, daß nicht der Zufall sie hierhergeführt. Aber als ich den Mund öffnen wollte, traten meine Mutter und meine Frau näher, und durch die nun erfolgende Vorstellung wurde mir das Wort abgeschnitten. Die erstere wandte sich mit ihrer gewohnten Leutseligkeit zu der Fremden und sprach sie an, Thekla verbeugte sich nach ihrer Art, höflich, aber zurückhaltend.
Ich forschte gespannt in dem Angesicht meiner Mutter, – das Gemach war inzwischen erleuchtet, und der Diener meldete, daß serviert sei – ob sie Manja erkenne. Mir schien in der That, als ob sich einen Augenblick etwas wie Überraschung in ihren Mienen male, aber es war schnell vorübergehend. Das Bild, an dem ihr Auge einst so oft und mit so großem Interesse gehangen hatte, war aus ihrer Erinnerung gelöscht.
Zum ersten Male hörte ich Manjas Stimme wieder. Es klang derselbe Zauber aus den fremdartigen Lauten. Es war mir, als ob ich ihre stürmischen Liebesbeteuerungen wieder höre, und die ganze Vergangenheit zog rasch und beunruhigend an meinem Geist vorüber. Einige Male blickte ich bei Tische zu Manja hinüber, die in bescheidener Zurückhaltung die an sie gerichteten Fragen beantwortete, und nicht einmal zu mir emporschaute. Keine Miene verriet, was in ihr vorging. Und da das so blieb und auch ich nicht das erste Wort geben wollte, wurde keine Silbe zwischen uns gewechselt.
Mit gemischten Empfindungen beobachtete ich, mit welcher Aufmerksamkeit mein Schwiegervater dem Fräulein begegnete. Er war höflich und liebenswürdig. Ganz abweichend von seiner sonstigen Art, die Dame seines Hauses in Gegenwart von Fremden kaum je zu beachten oder gar auszuzeichnen, richtete er häufiger das Wort an sie, zog sie ins allgemeine Gespräch und schmunzelte oft zustimmend, wenn sie etwas sagte.
Völlig stumm war meine Frau. – Sie saß in alter Gleichgiltigkeit mit müdem Blick da, und selten nur tauchte ein lebhafterer Ausdruck in ihrem Auge auf. – Aber einen neugierig zudringlichen Blick beobachtete ich einige Male in Manjas dunklen Augen, und er schien mir zu bestätigen, was ich zu vermuten Veranlassung hatte.
Erst beim Thee – ziemlich spät nach Aufhebung der Tafel – fanden wir uns im gemeinsamen Wohnzimmer ungestört beisammen. Meine Frau hatte ihre gewohnte und diesmal durch die Reise begründete Abspannung vorgeschützt und war in ihre Gemächer hinaufgegangen. Herr von Barca saß mit meiner Mutter beim Spiel und machte sein glücklichstes Gesicht. Die Pfeife, die der Diener herbeigebracht hatte, mußte trotz seines äußeren heftigen Widerstandes angebrannt werden. Meine Mutter bestand darauf.
Manja und ich hatten am Sofa Platz genommen; sie saß in einem niedrigen Sessel, über einer Arbeit gebückt, und ich blätterte in den Zeitungen.
»Wollen Sie so liebenswürdig sein und mir noch eine Tasse Thee reichen, liebes Fräulein?« rief meine Mutter in ihrer artigen Weise und schaute einen Augenblick von dem durch zwei Leuchter erhellten Spieltisch zu uns herüber.
»Bitte! Zu Ihren Befehlen, Frau Gräfin,« erwiderte die Angeredete, legte die Arbeit bei Seite und erhob sich eilfertig. Ich spähte umher; drüben waren sie ganz in ihr Spiel vertieft; niemand gab Acht auf uns.
Ich stand auf und trat, als suche ich etwas, ins Nebengemach. Die helle Flamme leuchtete unter der Theemaschine, sonst war es fast dunkel im Kabinett.
»Mein Erstaunen ist grenzenlos! Wie kommen Sie unter fremdem Namen in das Haus meines Schwiegervaters?« flüsterte ich, rasch an Manja herantretend, und sie mit erzürntem Blicke musternd.
Sie erschrak bei diesen Worten; die Tasse zitterte in ihrer Hand. »O, nicht diesen Ton, Detlef,« flehte sie bittend. »Alles will ich Dir aufklären, Du mußt mich hören! Wann kann es geschehen? Wann darf ich Dich sprechen?«
Ich schaute sie an. ich zauderte. Langes Verweilen konnte auffallen. Fast unheimlich still war's um uns her, nur einmal ertönte von drüben das Geräusch aufgestoßener Karten.
»Selbstverständlich müssen wir uns sprechen! Es wird sich bald ungestört eine Gelegenheit finden« – gab ich kurz zurück und forderte sie sodann durch einen Blick auf, vorauszuschreiten.
Nun saßen wir uns abermals gegenüber; Manja, ohne den Blick von der Arbeit zu erheben, ich unter unruhigen Gedanken, die mein Inneres bewegten. Wie schön sie noch immer war! Zwar der reizende, frische Anhauch, der ihre Züge einst belebt hatte, war dahin; dagegen lag eine feine Blässe auf ihren Wangen, eine Blässe, welche das wunderbar Anziehende ihrer vornehmen Erscheinung erhöhte. Wie wenig glich sie den Damen, die bisher diese Stellung bei dem General eingenommen hatten. Sie schien zu gebieten, nicht Dienste zu leisten! Ein schwarzseidener Stoff, den sie trug, schmiegte sich eng an ihren schlanken Körper, und aus dem reichen Spitzenbesatz ihres Kleides drängte sich die Schneefarbe ihres Halses und das zarte Weiß ihrer arbeitsungewohnten Hände.
Einmal entfiel mir ein Buch, das ich neben einem anderen in der Hand hielt, und sie sprang auf, um es mir zu reichen. Zum ersten Mal sah sie mich mit dem alten, mit jenem gefährlichen Blick an, dem ich einst vergeblich zu widerstehen versucht hatte. Von ihrer Artigkeit überrascht, suchte ich ihr zuvor zu kommen, und so bückten wir uns zu gleicher Zeit.
»Bitte, zürne nicht –« flehte sie in rührendem Tone, während sie den entfallenen Gegenstand mir reichte, und ich tauschte die höfliche Miene gegen eine freundliche früherer Tage aus, für die sie mir durch eine Bewegung demütiger Beglückung dankte.
* * *