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Sobald wir an jenem Nachmittage ins Schloß zurückgekehrt waren, eilte Thekla – so hatten wir es verabredet – auf meine Mutter zu, kniete vor ihr nieder und erhob, ohne zu reden, den Blick. Ich aber stellte mich hinter meinen künftigen Schwiegerpapa, verdeckte mit meinen Händen seine Augen und rief:
»Raten Exzellenz, wer sich eben mit Thekla verlobt hat?«
»Ach, mein Kind, mein liebes, liebes Kind!« rief meine Mutter, die sich rasch meinen zustimmenden Blick eingeholt hatte, beugte sich herab und küßte die sich zärtlich zu ihr Wendende. Der General aber sprang empor und riß mich in einem wahren Freudentaumel an die Brust.
»Ist's wahr? Ist's wirklich wahr? O mein Sohn, mein teurer Sohn!« preßte er heraus, nachdem ihm vor Aufregung beinahe die Stimme versagt hatte, und aus seinen Augen drangen Thränen glückseliger Überraschung.
Von ihm wandte ich mich zu meiner Mutter, die mir mit rührenden Worten dankte, daß ich ihren Herzenswunsch erfüllt habe, und Thekla umfaßte ihren Vater, den sie tanzend mit sich fortwirbelte: »Ja, ja, Pa Exzellenz, so walzen wir nun bald auf meiner Hochzeit!«
Als sich Herr von Barca, lachend und schwer Atem holend, endlich dieser Umarmung entzogen hatte, lief er an die Klingel und befahl dem herbeieilenden Kammerdiener, die Hausfahne herauszusuchen und auf das Dach zu stecken. Auch hieß er ihn, dem gesamten Haus- und Gutspersonal von der Verlobung Mitteilung machen, und entbot den Verwalter und Inspektor sogleich zu sich.
Einige Stunden später scharte sich zum Zweck einer Beglückwünschung alles, was zur Herrschaft gehörte, in sauberen, sonntäglichen Kleidern, mit Blumen in den Händen, auf dem Hofe zusammen. Der Guts-Inspektor aber ergriff im Namen aller das Wort und schloß mit einem allgemeinen, lauten Hoch auf die Häuser von Barca und Rauch. Eine Stafette an die nächste Poststation ward abgefertigt, um durch sie die Bekanntmachung der Verlobung den Zeitungen zugehen zu lassen, und noch an demselben Abend entwarf der General eine Einladungsliste an die gesamte Nachbarschaft. Er konnte es nicht erwarten, Freunden und Bekannten das freudige Ereignis mitzuteilen.
Die Ausführung der letzteren Absicht verhinderten wir zwar zunächst. Es ging uns, wie allen Liebenden. Wir fanden zu viele Zeugen unseres Glückes lästig.
Wir feierten den seligen Rausch unseres Glückes mit all den Wahnbildern, die der Liebesgott in so schrankenloser Fülle vor unsere Augen zaubert. Die Binden, die er über die unsrigen legte, schienen unzerreißbar, denn an jedem neuen Tage drängte er uns zu der wiederholten stürmischen Versicherung: daß nichts so vollendet sei, als der Gegenstand unserer Liebe. Alle versteckten Plätzchen im Schlosse, alle stillen Winkelchen draußen, die uns erlaubten, im süßen Alleinsein Beteuerungen unserer Zärtlichkeit auszutauschen, betrachteten wir als uns zukommende Geschenke des Himmels, während uns der Zwang geselliger Pflichten als ein Eingriff in unsere Liebesrechte erschien.
Und alles hatte sich in mir verwandelt. Verblaßt war die sanfte Schönheit Columbas, eine Abwehr stieg in mir auf gegen die Leidenschaft Manjas, es schien mir unfaßlich, daß mein Herz je etwas anderes hatte fesseln können, als dieses Wesen, das nun ganz mir gehörte. Alle ihre Härten wurden zu Tugenden. Glaubte ich einen Anlaß zu haben, ihr zu zürnen, so schob ich die Ursachen meiner Empfindlichkeit auf besondere äußere Umstände, und wenn man in meiner Umgebung ihre Fehler rügte, so schalt ich ihre Tadler im Stillen Ungerechte und Blinde.
Jeder kleinste Streit bildete die Vorhalle zu dem Eintritt in den innersten Tempel unserer Herzen, denn unsere Versöhnungen mit allen ihren Abstufungen hoben uns nur auf höhere Leitern unserer Zärtlichkeit. Nirgend, bei keiner Veranlassung, hat das listige Spiel der Täuschung so tausendfältige Irrgänge, wie in den Zeiten blind taumelnder Schwärmerei. Schwarz verwandelt sich in leuchtendes Weiß, aus blassem Rosa entsteht brennendes Rot, und das Grau, das die Farbenbilder unserer Einbildungen verdunkeln will, löschen wir mit dem Gold unserer gehobenen Vorstellungen früher aus, als es Zeit gewinnt, unsere Traumvisionen zu trüben. »Liebst Du mich?« erschallte es jeden Tag, und: »Ja, ich liebe Dich unaussprechlich« – tönte es zurück. Aber so oft der zauberische Laut sich über unsere Lippen gedrängt hatte, stellte sich schon ein neues Begehren ein, dasselbe abermals und abermals zu hören.
Jeder von uns gab sein Bestes, und weil es jeder gab, entstand jene harmonische Illusion, die das Leben mit seinen mitleidslosen Härten später tötet. Für Thekla existierten wohl noch Pferde, die sie zärtlich aus den Hals klopfte, weil sie uns auf ihrem Rücken den einsamen Pfaden nahe brachten, wo wir unser heimliches Liebesglück feierten: aber das Fell des Fuchses lag, von ihrer Hand umsäumt, unter meinen Füßen vor dem Schreibtisch, und den Balg benagten die Ameisen in einem unbeachteten Winkel des Parks.
Die Flinten hingen vergessen an der Wand und die Journale, die von Rennen und Jagden berichteten, lagen verstaubt in den Ecken der Bibliothek.
Als es aber hieß, daß Kofe, der Schulmeister, erkrankt sei und einsam, ohne Pflege, in dem kleinen Stübchen neben dem kahlen Schulzimmer im Fieber läge, schickte Thekla zu dem eigenen Arzt, sorgte für Medizin und kräftige Süppchen, und ließ anspannen, um in meiner Begleitung den Alten zu besuchen.
Ich selbst aber fühlte, daß ich nun den rechten Zweck für mein Leben gefunden hatte. Es trieb mich, die Angelegenheiten, die unsere Besitzungen betrafen, mit noch größerer Sorgfalt ins Auge zu fassen, Pläne zur Abänderung eingerissener Übelstände zu verwirklichen, und über diese Thätigkeit hinaus auch meinen Blick in die Gesellschaft und das öffentliche Leben zu werfen, um hier eine Stellung zu gewinnen und dem Allgemeinen zu nützen. Zunächst aber galt es, noch mancherlei im engeren Haushalt zu ordnen. Ich mußte in die Residenz, um mit unserem Bevollmächtigten Rücksprache zu nehmen, und auch ein längerer Ausflug nach dem entfernteren Besitz, der durch den Prozeß Rauchsches Eigentum geworden, ward vor der Vermählung geplant.
Ich schlug vor, daß uns Thekla auf unser Gut begleiten möge, um nicht nur meiner Mutter während meiner Abwesenheit Gesellschaft zu leisten, sondern auch unter ihrer Beihilfe die Vorbereitungen für unsere Hochzeit zu treffen. Es galt die Aussteuer herzurichten, und um des größeren Reizes und Wertes willen, selbst Hand anzulegen.
Meine Braut ging mit Begeisterung auf diesen Vorschlag ein, und nachdem wir noch einige Wochen unter den angenehmsten Verhältnissen auf Aschdorf zugebracht hatten, rüsteten wir uns eines Tages zur Abfahrt und fuhren an einem prangendem Sommertage unter der Zusage meines Schwiegervaters, uns bald besuchen zu wollen, nach unserem Stammgute ab. –
*
Seit reichlich zwei Jahren war ich mit Thekla verheiratet. Wir bewohnten den rechten Flügel unseres Hauses und die obere Etage, während meine Mutter in den Räumen blieb, die bisher ihrem Aufenthalt gedient hatten. Aber auch das Herrenhaus des uns durch unseren Prozeß zugefallenen Gutes ward in den Stand gesetzt, um uns zeitweilig aufzunehmen, und endlich mußten wir meinem Schwiegervater versprechen, stets einige Monate im Jahre seine Gäste zu sein.
Die süßen Betäubungen der Verlobungszeit und die sanft in unsere Ehe mit hinübergenommenen Illusionen lagen bereits hinter uns. Unsere Liebe hatte die Leidenschaft abgestreift. Sie äußerte sich in jener guten Kameradschaft, in der jeder Augenblick der richtige erscheint, um die gegenseitigen Beweise der Zuneigung an den Tag zu legen. Wir liebten und verstanden uns, trugen unserer Eigenart Rechnung und gelangten so zu jener vollkommenen Übereinstimmung, in der allezeit das Glück der Ehe gipfelt.
Wenn ich mein Schicksal überdachte, so fand ich eine seltene Bevorzugung vor den meisten Menschen. Ich war jung, gesund und thatkräftig, dazu besaß ich ein glücklich veranlagtes Temperament. Die Verhältnisse, in denen ich lebte, waren mehr als reichlich. Sie erlaubten mir, die Freuden des Lebens nach meiner Wahl zu genießen. Äußere Ehren hatte ich durch meinen Stand an sich, und dieser und mein Reichtum gaben mir, neben meinen Fähigkeiten, Anwartschaft und hinreichende Gelegenheit, noch höhere Stufen zu erklimmen.
Ich besaß eine zärtliche Mutter und eine Frau, die ich anbetete, und war in Zweifel, ob sie mehr meine Liebe oder meine Achtung verdiene. Unsere Verwandtschaft warf keinen Mißton in unser Glück; mein Schwiegervater war zu bequem und zu sehr Gefühlsmensch, und meine Mutter eine zu verständige Frau, um sich in unsere Angelegenheit zu mischen. Es trat hinzu, daß meine Thätigkeit und mein Wirken mich befriedigten, daß sich überall ein gesunder Fortschritt zeigte. Meine Administratoren und Pächter waren erprobte Personen, und auch unser verständig geführter Haushalt barg keine Gefahr der Verschlechterung unserer Lage. Meine Mutter strickte am allerliebsten Stiefelchen, und Thekla errötete, als ich sie nach den kleinen Stickereien fragte, an denen sich ihre Hände rührten. Wohin ich auch schaute, öffneten sich vor mir ruhige und heitere Himmel. Der Rückblick auf die Vorfälle der letzten Jahre erfüllte mich zwar mit einem ehrlichen Bedauern, aber die schwarze Wolke der Selbstanklage, die sich auf meine Seele gelagert hatte, war durch die Beständigkeit meiner Gefühle zu Thekla verwischt. Auch der Mann, über dessen Entfremdung ich die lebhafteste Trauer empfunden hatte, wandte sich mit den alten Gefühlen zu mir; es war Unzer. Ich schrieb ihm bei Gelegenheit meiner Verlobung und schilderte den Verlauf der gesamten Ereignisse. Es waren nun fast zwei Jahre verflossen, und ich durfte annehmen, daß während dieses Zeitraums eine mildere Auffassung der Dinge bei ihm Platz gegriffen haben würde. Ich täuschte mich auch nicht, denn Unzer beantwortete meine Zeilen sogleich. Das, was uns entfremdet hatte, erwähnte er mit keiner Silbe, aber er wünschte mir mit den herzlichsten Worten Glück, bat sogar, daß wir uns einmal gelegentlich wieder begegnen möchten.
Manja teilte ich dagegen von den Veränderungen nichts mit. Diese Unterlassung entsprang aber keiner andern Ursache, als der Überlegung, daß meine Eröffnungen ihr Schmerz bereiten könnten. Frühere Gedanken, daß meine Verirrung mir Pflichten auferlegt hätte, stiegen kaum mehr in mir empor! Was hinter mir lag, gehörte zu den Kapiteln jugendlicher Unbesonnenheiten, und das Geschehene ward durch sie entschuldigt.
Diese Vorfälle waren auch die einzigen, die ich Thekla in den Stunden gegenseitiger Beichte verschwieg. Ich bereute es oft und fand selbst keine rechte Erklärung für mein Zurückhalten, aber ebenso wenig konnte ich mich später überwinden, Versäumtes nachzuholen. Als Unzers Brief eintraf, und sie mich nach meinen Beziehungen zu ihm fragte, erwähnte ich nur, daß uns ein Zerwürfnis getrennt habe. Die Gründe – die näheren Umstände – verschwieg ich, und sie forschte nicht weiter nach.
Auch die kommenden Jahre schienen zu bestätigen, daß die Vorsehung uns in ihren besonderen Schutz genommen habe, sie waren voll Sonnenschein. Meine Frau hatte mir einen Knaben geschenkt, und das bezaubernde Lächeln, das in seinem reizenden Kindergesicht auftauchte, die ersten Worte, die er stammelte, kurz Anblick und Besitz dieses Schatzes erfüllten unsere Brust mit so reinen Freuden, daß die kleinen Mißhelligkeiten, denen auch wir ausgesetzt waren, unser Glück nicht beeinträchtigten. Nur ein Zwischenfall, der um jene Zeit eine starke Meinungsverschiedenheit zwischen mir und Thekla zum Ausdruck brachte und deutlich das Abweichende in unseren Charakteren zu Tage treten ließ, über das wir uns in den Zeiten unserer ersten Annäherung hatten auseinandersetzen müssen, verdunkelte für eine Weile unser Glück.
Seitdem der kleine Detlef geboren war, beschäftigte sich meine Frau eingehender mit unseren Vermögensverhältnissen, und ihr auf Sparsamkeit gerichteter, während der ersten Jahre unserer Ehe schon oft zum Ausdruck gelangter praktischer Sinn, machte sich in entschiedenerer Weise geltend. Schon die erste Unterredung – es war ein Brief aus Brüssel von meiner Schwester eingelaufen – endete mit einer Verstimmung, und es fielen Worte, die besser ungesprochen geblieben wären.
Mein Schwager, Baron von Castell, war ein befähigter und höchst liebenswürdiger Kavalier, aber er besaß einen etwas leichtfertigen Charakter und hatte sein Vermögen schon in den jüngeren Jahren verschwendet.
Meine Mutter hatte damals gezaudert, einer Verbindung ihrer Tochter mit ihm ihre Einwilligung zu erteilen. Das junge Paar besaß wenig oder nichts zum Leben, denn die Einnahme, die Castell als Gesandtschafts-Attaché bezog, war – vornehmlich seinen kostspieligen Neigungen gegenüber – kaum genügend, um beider Toiletten zu bestreiten. Es war nur zweierlei möglich. Entweder meine Mutter entsprach dem Antrage meines Schwagers, das einstige Erbteil meiner Schwester bereits bei Unterzeichnung des Ehekontraktes auszuzahlen, oder der Verbindung die Genehmigung zu versagen. Die Verhandlungen endeten mit der Einigung, daß mein Schwager die Zinsen des meiner Schwester gehörenden Kapitals beziehen, letzteres selbst aber nach den Bestimmungen des Testamentes unangetastet bleiben solle. Dieses billigte nach dem Tode meiner Mutter, die unumschränkte Erbin geworden war, uns Geschwistern gleiche Hälften zu.
Nachdem nun der früher erwähnte Prozeß zu unseren Gunsten entschieden war, machte mein Schwager von neuem Anträge, ihm nunmehr das Anrecht meiner Schwester an Schuleneck (dem neuen Besitztum) in barem Gelde auszuzahlen. Dieser Fall war aber in des Verstorbenen letztwilligen Verfügungen vorgesehen. Wenn, hieß es dort, Schuleneck durch den Prozeß in unser Eigentum übergehen sollte, so hätten Detlef und Lolo lediglich Ansprüche an die Erträgnisse. – ›Ich gebe meinen Wunsch und Willen zu erkennen, daß diese Herrschaft weder veräußert, noch mit Hypotheken beschwert wird, und daß die Deszendenten meinen Kinder und Kindeskinder unter den gleichen Beschränkungen in das Erbe eintreten.‹
Castells hatten keine Kinder, und es war somit wohl möglich, daß Schuleneck durch Todesfall allein in unseren Familienbesitz überging. Thekla lag es fern, einen solchen Fall in den Kreis ihrer Berechnungen zu ziehen, aber sie war gegen die Verausfolgung irgend eines Kapitals.
»Wenn,« sagte sie, »unsere Verwandten, was Gott verhüten möge, sterben sollten, wird Schuleneck Eigentum unserer Nachkommen, und ebenso muß den Brüsselern die Herrschaft zufallen, wenn uns Gott abberuft. Wir haben nur das Recht der Nutznießung zu gleichen Teilen, und darauf zu halten, liegt um so mehr Veranlassung vor, weil Castell, wie er einmal ist, das Geld doch nur verkehrt anwenden wird!«
Mein Schwager hatte meiner Mutter den Vorschlag gemacht, daß der neue Besitz abgeschätzt, und daß ihm ganz oder im äußersten Fall wenigstens ein Bruchteil der Wertsumme ausgezahlt werde. Er habe, wie er schrieb, Verpflichtungen, denen er gerecht werden müsse. Dieses Ersuchen, das er durch einen sehr eindringlich gehaltenen Brief an mich unterstützt hatte, hielt ich unter den obwaltenden Verhältnissen für gerechtfertigt, und auch meine Mutter neigte sich meiner Ansicht zu. Thekla aber widerstritt und wollte von keiner derartigen Ablösung wissen.
»Bleibt uns, – gerade uns – nicht genug?« hob ich an. Fasse außerdem doch den umgekehrten Fall ins Auge, daß wir nämlich der Summe benötigt wären und einen Anspruch auf das Erbe erheben würden! Hier entgegen zu kommen, scheint mir eine natürliche Pflicht schon gegen meine Schwester.«
»Es zeigt sich in Deiner Befürwortung, was ich Dir so oft zum Vorwurf machte. Detlef,« erwiderte meine Frau. »Du behandelst Geschäftssachen zu leicht und betrachtest die Kehrseite der Dinge zu wenig! Niemand kann wissen, selbst der Begütertste nicht, wie sich die Dinge wenden. Haben wir mehr als Tausende und aber Tausende, so wollen wir dies dankbar anerkennen, aber auch weise sein, denn nur Vorsicht und Sparsamkeit sind gute Gevattern im Leben. Dein verstorbener Vater wußte genau, was er bestimmte. Testamente haben für die Familien dieselbe Bedeutung, wie Gesetze im Staat. Es handelt sich hier gar nicht um hochherzige Gesinnungen, sondern um unzweifelhafte Paragraphen, die nicht umgestoßen werden dürfen. Ja, gelangt das Vermögen wirklich einmal in Castells Hände, so ist er sogar nur Verwalter eines ihm anvertrauten Gutes! Soll geholfen werden, müssen wir zu einem andern Ausweg greifen!«
Die Gespräche über diese Angelegenheit setzten sich auch in den folgenden Tagen fort und brachten uns in eine gegenseitig erregte Stimmung. – Als wir uns eines Abends zurückgezogen hatten, und Thekla noch immer sehr herrisch auf ihrer Meinung bestand, warf ich, durch den Mangel an Nachgiebigkeit und ihre geringe verwandtschaftliche Rücksicht, vornehmlich aber durch ihre schroffe Art und Weise gereizt, die Bemerkung hin:
»Du hättest ein Mann werden sollen! Es ist höchst bedauerlich, aus dem Munde einer Frau Dinge zu vernehmen, wie wir sie in der letzten Zeit fortwährend gehört haben.«
Meine Frau war gerade im Begriff, nach unserem Kleinen zu sehen. Bei meinen Worten aber wandte sie sich rasch und maß mich mit einem einzigen kaltem Blick. Dennoch unterdrückte sie die weiteren Regungen ihrer Empfindung, biß sich auf die Lippen, und nestelte achselzuckend, und ohne etwas zu erwidern, ihr Haar auf. – Gerade dieses verächtliche Schweigen, diese hochmütige Geringschätzung meiner Person und Ansichten bei solchen Gelegenheiten hatten mich zu oft schon berührt, und nicht Herr meiner emporsteigenden Empfindlichkeit, sagte ich mit erzürnter Miene:
»Ich hatte immer gehofft, daß Du mir zu Liebe Dein engherziges und oft so unweibliches Wesen abstreifen würdest. Aber ich sehe, alle Mahnungen und guten Beispiele haben wenig gefruchtet!«
Feurige Blitze zuckten in ihrem Gesicht auf, und indem sie die Brosche, die sie eben von ihrem Kleide gelöst hatte, so fest in ihre Hand preßte, daß ein Blutstropfen ihre Finger benetzte, rief sie:
»Ich weiß nicht, ob das, was Du eben sagtest, mehr kindisch oder mehr beleidigend ist. – Ja, kindisch«, fuhr sie, ohne mir Zeit zu einer Erwiderung zu lassen, fort, »weil ich wohl ein Recht hätte, Dir Vorwürfe über Deinen Mangel an Anpassungsfähigkeit zu machen, beleidigend, ja, empörend aber, weil Dir jeder Anlaß fehlt, mir aus diesem Vorfall so Verletzendes ins Gesicht zu schleudern. Wenn ich mich nicht erinnerte, daß Du im Zorn nicht weißt, was Du sprichst, könnte ich irre werden an menschlicher Liebe und Dankbarkeit. Ich, mein Freund, legte meinen Charakter in einen Schraubstock und besiegte mein Ich durch meinen Willen, um Dir zu gefallen, Du aber –«
»Nun, ich bitte fortzufahren, da wir uns einmal austauschen!« –
»Nein, rühren wir lieber nicht weiter daran!« entgegnete sie mit brechender Stimme und legte, wie zur Beschwichtigung, die Hand auf die Brust. – »Heute ist alles noch, wie ehedem, obgleich Du mich grausam kränktest und mir bewiesest, wie wenig Du mich häufig verstehst, aber« –
»Aber?« fiel ich rasch ein, obgleich bereits leise Schauer über meine Seele flogen.
Statt eine Antwort zu geben, setzte sie sich still weinend aufs Bett und flocht ihr Haar.
Eine lange Pause trat ein. Ich sah vor mir die Bilder, die ich vor Jahren in diesen Räumen an den Wänden selbst befestigt hatte: Hermann und Dorothea – Romeo und Julie – Paul und Virginie. Auf einem Nebentisch, aus dem Dunkel, leuchteten Amor und Psyche. Der liebetrunkene Gott neigte sich mit seinen weißen Flügeln über das Ebenmaß von Schönheit zu seinen Füßen. Die holden Zeiten unserer vertrauenden Liebe, unseres sorglosen Glückes, unsere Pläne und Hoffnungen stiegen vor mir auf. Die widerstrebendsten Empfindungen wogten in meiner Brust auf und ab, aber mein schlechteres Ich gewann die Oberhand und zerrte an meiner Einsicht. Trotz krallte sich um mein Inneres, und eine zehrende Leidenschaft riß mich hin, die Frau noch mehr zu kränken, um die mein Herz bereits mitleidig weinte.
Was ging in ihr vor?
Sie wußte sich sonst so ungewöhnlich zu beherrschen. Eine Anklage, wie ich sie eben gehört hatte, mußte einem im Innersten der Seele wohnenden Schmerz entsprungen sein. Also schon lange trug sie sich mit stillen Vorwürfen; sie litt, ohne daß ich es wußte; ich glaubte sie glücklich, spiegelte mich in Wahnbildern meiner Vortrefflichkeit und hatte auf Schritt und Tritt diese treue Seele gekränkt. Lenkte sie in unserer Streitfrage auch mit ihrem Verstande auf allzu schroffe Bahnen, wie oft beschämte sie mich im sonstigen Lauf der Dinge durch ihre Willensstärke, ihren Edelmut und ihr Pflichtgefühl.
Endlich raffte ich mich auf und trat ihr näher. Mein Blick streifte unser Kind, das mit ruhigem Atem, mit rosigen Bäckchen in seinem Bette schlummerte. Ein beängstigendes Gefühl wanderte durch meine Brust, ein Gefühl von Sorge und Trauer. »Thekla« flüsterte ich. – Keine Antwort. »Thekla!«
Sie erhob sich und sah mich mit eisigem Blicke an. Eine unheimliche Blässe hatte ihre sonst lebhaften Farben verdrängt. Ihre tiefen, dunklen Augen brannten, und in ihrer Erscheinung lag so viel Stolz und Abwehr, daß ich erschrak. Sie entledigte sich langsam ihres Kleides, streifte die Schuhe ab und nestelte an ihrem Mieder. – Ich umfing sie und legte meine Wange an die ihrige.
»Komm!« sagte ich und zog sie fort. »Nichts ist vollendet, aber eines bleibt ewig, weil es ein Ausfluß des Göttlichen ist! Zu Häupten unseres Kindes wollen wir uns einen Schwur leisten, daß wir uns lieben wollen, so lange unsere Herzen schlagen. Lieben heißt auch verzeihen –«
»Nein! Nein!« flüsterte sie gerührt und umschlang mich hastig. »Du hast mir zu vergeben, denn ich verletzte Dich allzu oft durch mein Wesen. Deshalb mich zu schelten, hast Du ein Recht – – Aber tadle mich nicht wieder ungerecht, Detlef, nicht in Dingen, in denen ich ein gutes Wort verdiene.
Es sitzt ein kleines seidenes Fädchen hier«, sie sprach nur in Absätzen, und legte die Hand aufs Herz, »es ist sehr zart, und wenn Du das einmal zerreißest –«
Als wir uns aus unserer Umarmung lösten, sahen wir auf unser Kind. Es lag mit offenen Augen da und blickte uns mit einem Lächeln an, als ob es sagen wollte: Seht! Hier sind immer die goldenen Brücken zu Eurer Versöhnung! Nie können sich Eure Herzen trennen, denn hier ist das unzerreißbare Band Eurer Zusammengehörigkeit. –
Meine Frau setzte ihre Ansicht durch. Meinem Schwager wurde das Ersuchen nicht gewährt, aber meine Mutter fand einen Ausweg, indem sie vorschlug, die erforderliche Summe aufzunehmen, und ihm unter der Bedingung zu überlassen, daß er sich bis zur Tilgung des Darlehens zu jährlichen Abzügen von seinen Revenüen verstehe.
»Was meine Vorsicht ausklügelte, wozu Detlefs gutes Herz riet, das wußtest Du, wie immer, richtig zu verschmelzen, treffliche Mama!« rief Thekla nach diesen Mitteilungen. »Wie viel haben wir noch von Dir zu lernen und wie hast Du uns abermals beschämt!«
Meine Mutter lächelte, denn sie wäre nicht unseresgleichen gewesen, wenn Lob sie nicht erfreut hätte, aber mit ihrer Liebenswürdigkeit erwiderte sie:
»Ich hörte Euch zu und fand, daß Ihr beide von Eurem Standpunkte Recht hattet. Ich dachte darüber nach, wie ich Euch und jenen gerecht werden könne, und zog eigentlich nur das Resultat aus Euren Meinungen. Mein Verdienst ist also nicht groß, aber von neuem erkenne ich, wie glücklich Ihr Euch ergänzt. Möge es so bleiben, liebe Kinder, und traget auch ferner Eurer ehrlichen Überzeugung gegenseitig Rechnung!«
Wir aber schauten uns an und unsere Blicke sprachen eine beredte Sprache.
*
Es quälte mich, es nagte an mir, aber es war in der Folge zwischen mir und Thekla nicht das alte Verhältnis. Ihr Widerspruch reizte mich bei jeder Gelegenheit; ich fand ihre Sparsamkeit kleinlich und sie selbst in Geldsachen berechnend. Freilich, im Großen war sie nicht engherzig. Sie gab reichlich, wenn es sich in der Not um Hilfe handelte, und sie war es, die auf den Gedanken geriet, in unserer Herrschaft ein Armenhaus zu errichten; sie war es, die aus eigenen Mitteln eine Pflegeanstalt für Kinder gründete, und nicht müde wurde, in unserer Gegend zu allerlei nützlichen Vereinen zu ermuntern, durch die der Armut Erleichterung gewährt, dem Arbeitsbedürfnis Vorschub geleistet, dem Müßiggang und Laster entgegengetreten ward. Es gab Zeiten, in denen ich alles, was Thekla that, beobachtete, und mich stets in einem stillen Ärger erging. Es war zuletzt fast eine Krankheit, und vergeblich suchte ich diese Regungen zu bekämpfen. Und alles dies wurzelte in einer und derselben Ursache. Thekla hatte sich ihres entgegenkommenden Wesens entäußert. Ihre Antworten waren, wie vor unserer Ehe, kurz, unliebenswürdig, und bisweilen von einer Entschiedenheit, durch die meine Ansichten als erörterungsunwerte Thorheiten hingestellt wurden.
Ich kam mir häufig neben ihr wie ein Unmündiger vor, obgleich sie sich eigentlich niemals ungefragt in meine Angelegenheiten mischte. Ja, noch mehr! Als ich eines Tages von einem Geschäftsgange nach Hause kam und über einen Streit berichtete, den ich mit einem Grenznachbarn wegen einer Wasserregulierung gehabt hatte, auch einige Äußerungen wiederholte, die jener über mich hatte fallen lassen, ereiferte sie sich derart über die Schwächen dieses Mannes, während sie meinen Vorzügen eine so übertriebene Anerkennung zollte, daß sich mir schier Zweifel über ihre Urteilsfähigkeit aufdrängten. Meine Mutter mischte sich ins Gespräch und versuchte einiges in meiner Handlungsweise zu bemängeln, Thekla aber erhob lebhafte Einwendungen und schloß mit den Worten:
»Detlef steht so hoch über diesen kleinlichen Pächterseelen, daß sie nicht wert sind, ihm die Schuhriemen zu lösen. Was hat er gethan?« – nun folgte eine Aufzählung meiner Maßnahmen und Erfolge in den letzten Jahren – »und was leisteten jene? Nein, liebe Mama, Detlef war im vollsten Recht! Ihm wird alles aufgebürdet, weil er fähig, pflichttreu und besonnen ist, aber statt ihm zu danken, spielen die drüben die hochmütigen Tadler!«
Ich hörte mit freudigem Erstaunen, was meine Frau sagte. Es war nicht ihre Art zu loben, oder auch nur etwas Angenehmes zu sagen. Nun aber redete sie, als sei ich garnicht zugegen, als müsse sie mich in meiner Abwesenheit verteidigen. Und so gelangte ich wiederum zu der Einsicht, daß sich ihre Gedanken in all ihrem Thun doch nur auf mich richteten und daß ich im Unrecht sei, von ihrem herben Wesen auf ihr Inneres zu schließen.
Sie hatte übrigens wohl bemerkt, was in mir vorging. Eines Tages, es war im Herbst, als wir einmal einen Spazierritt machten und nebeneinander durch den Wald trabten, hielt sie an und sagte lächelnd:
»Du, unser Förster Triller hat einen Fuchs gefangen. Ich denke, ich richte mir ihn ab! Ja, nicht wahr, das würde Dir gefallen, der Du Dich ohnedies im Stillen seit Monaten über mich geärgert hast, in denen ich nichts nach Deinem Wunsche that.«
»Aber Thekla!«
»Ich weiß, was ich weiß!« fuhr sie fort. »Aber ich lasse mich nicht beirren. Du hast noch mancherlei abzustreifen. Du bist wie ein Hase mit neun Häuten. Aber zuletzt wird doch alles, wie es sein soll! Ich warte meine Zeit! Wir Menschen entwickeln uns verschieden! Ich war schon ein fertiges Geschöpf, als ich sechzehn Jahre alt war, Du kämpfst immer noch ein wenig mit Deiner unartigen Seele. Ja, Du Kind Du, das Du doch aller Herzen bezwingst.«
»Was ich da höre!«
»Ja, was Du hörst und wohl selbst empfindest, denn Du bist ein viel zu feinfühlender Mensch. Vielleicht eben zu feinfühlig! Ich sagt's ja immer schon: eine Frauen-, eine Kinder- und eine Männerseele, alles durcheinander steckt in Dir, und ich, und ich –«
»Du bist das beste, das herrlichste Geschöpf, Thekla!«
»Ja, neben Deiner Mama!«
»Neben meiner Mama? Was ist denn nun das wieder?«
»Ich, ich hab' mich ja lange darin gefunden, Detlef. Deine Mutter ist Dir doch lieber, als ich –«
»Wie? Du bist eifersüchtig?«
»Ja, ich bin es«, erwiderte meine Frau kurz, »und ich habe auch Ursache, aber, wie gesagt, ich bescheide mich. Meine Zeit kommt noch einmal ganz –«
»Welch ein seltsames Menschenkind bist Du doch, kleine, große Frau!« scherzte ich, trieb mein Pferd dicht an das ihrige, legte meinen Arm um ihren Leib, und neigte mich zum Kusse hinab.
»Bravo! Bravo! Recht so, meine Kinder!« tönte es plötzlich durch die Büsche.
»Pa, Pa!« rief Thekla freudestrahlend und trieb im Galopp ihren Schwarzen an. »Welche Überraschung!« Im nächsten Augenblicke hatten wir unseren frohblickenden Alten zwischen uns, und eilten, mit dem willkommenen Gast ins Herrenhaus zu gelangen.
»Konnt's nicht mehr aushalten! Mußte den kleinen Burschen, den Detlef, mal Wiedersehen!« hatte der prächtige alte Herr gesagt, und bewirkte durch seine Worte, daß helle Blitze der Freude aus Theklas Augen schossen.
* * *