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Und so stürzten Vernunft und Besonnenheit in den tiefsten Schacht, in dem sie unrettbar versanken. Dieser Tag riß mich völlig ins Verderben. Der Liebesgott, der zwischen uns stand, steckte ihr aus seinen geheimsten Schubfächern die kostbarsten Zaubermittelchen in der Gestalt verführerischer, und betäubender Neckereien zu, mit denen sie mich ganz umstrickte. Sie koste und schmollte, denn sie gewährte und verweigerte, sie sank demütig vor mir nieder und ließ den ihr eigenen feinen Spott um ihre Mundwinkel spielen. Sie gestattete kaum, daß ich sie berührte und umschlang mich doch nach wenigen Augenblicken selbst mit ungestümer Hast, sie versank in ein stummes Grübeln, aus dem ich sie vergeblich aufzurütteln suchte, und sprühte über von Ausgelassenheit und Laune.

Wenn ich sprach, hing sie an meinen Lippen, und ein fröhlicher, unbekümmerter, fast naiver Ausdruck erschien in ihren Zügen, und dann barg sie den Kopf in ihre Hände und weinte beim Gedanken an unsere Trennung so mitleiderregend, daß mein Herz sich ihr ganz hingab.

Und immer ließ sie noch ein Reizmittel zurück; etwas, das mich trieb, entweder ihr Lachen zu verstärken, wenn sie fröhlich war, oder, wenn sie schon die Thränen getrocknet hatte, sie noch mehr zu besänftigen; etwas, was mich hinriß, noch mehr Zärtlichkeiten zu empfangen, oder größere Beweise ihrer Liebe zu fordern.

So verging der Tag in einem betäubenden Wirrwarr von Erregungen: von Gewähren und Verweigern, von Seligkeit und Vernichtung. Wir fuhren, wie auf einer Hochzeitsfahrt, durch die reizende Gegend, ließen halten, wo unsere Laune es uns eingab, rasteten, wo ein Wirtshaus uns einlud, ließen uns sogar einmal im Walde, nah einem See, das Mittagbrod auftragen, und ruhten hier, nach dem Mahl, unter Buchen und Eichen, kosten und lachten, und rafften uns erst wieder auf, als die vorrückenden Stunden uns an den Aufbruch mahnten.

Endlich schlüpfte der Tag leise in die Abendschuhe; die Sonne verschwand, eine Weile stand die Luft noch wie unentschlossen. Dann aber fielen plötzlich die dunkleren Schatten – wie zur Pflicht aufgerüttelt – jählings über die Landschaft, hüllten alles in undurchsichtige Farben ein, und endlich senkte sich der Abend selbst vollends herab.

»Der Kutscher muß wenden, – wir müssen zurück. Erst in später Nacht können wir die Stadt erreichen« – schrak ich auf, als ich meinen Blick emporhob und unsere Zärtlichkeiten unterbrach.

»Nicht doch, Geliebter! Wir fahren weiter! In kurzer Zeit erreichen wir die nächste Stadt! Dort erst trennen wir uns, und morgen früh geht jeder seines Weges. – Ich bin fest entschlossen, ich kehre nicht nach H. zurück!«

Und nun übermannte sie das Fieber der Trennungsqual in solchem Maße, daß nichts im Stande war, sie zu beruhigen. Die schrecklichen Schauer vor der nüchternen Wirklichkeit des kommenden Tages huschten schon jetzt über ihre Seele, und von der Dunkelheit umfangen, erschien ihr alles trostloser und hoffnungsloser, als im hellen Sonnenlicht. Nichts ließ ich unversucht, um sie zu bewegen, ihren Entschluß aufzugeben, aber allem setzte sie einen unabänderlichen Widerstand entgegen.

Einmal raunte sie mir flehend zu: »Wirst Du mich wirklich verlassen, Detlef?« und verwirrte mit solchen plötzlich aufsteigenden, geheimsten Gefühlen ihrer Seele die Klarheit meines Denkens. –

*

Wir scheuchten erst auf, als unser Wagen plötzlich über das Straßenpflaster unseres Bestimmungsortes polterte; auch machte sich eine große Lebendigkeit in den Straßen bemerkbar, die uns auffiel.

Als ich den Kutscher darüber befragte, zuckte er die Achseln und trieb, statt eine Antwort zu erteilen, die Pferde heftiger an. Plötzlich aber sagte er, seine Braunen beobachtend, halb sich zu uns wendend:

»Ich weiß! Heute ist hier Tierschau. – Na, da ist's aber fraglich, ob die Herrschaften Unterkommen finden werden.«

Und in der That bestätigte sich seine Vermutung. Wir fuhren an den ersten Gasthof der Stadt und wurden abgewiesen, und als wir unsere Besuche in steigend unbehaglicher Stimmung fortsetzten, mußten wir einsehen, daß ein Logis nicht zu finden sein werde.

»Nun, dann wollen wir ins Försterhaus,« entschied ich mit Manjas Zustimmung, und der Kutscher fügte sich mit sichtlichem Unbehagen dieser Weisung.

Das Försterhaus war ein kaum eine Viertelmeile von der Stadt entferntes Wirtshaus, das zu einem unbewohnten Schloßgut gehörte und mir von unseren gelegentlichen studentischen Gelagen sehr wohl bekannt war.

Als wir uns wieder auf der Landstraße befanden, gefiel uns sogar der anfänglich störend erschienene Zwischenfall, und es stieg nachträglich die Furcht, bekannten Gesichtern zu begegnen, in uns auf.

Nachdem wir das Häuschen erreicht hatten – der Wirt mit seiner Familie war in der Stadt, und nur eine sauber gekleidete Magd und einen Knecht trafen wir an –, suchten wir uns alsbald über die am nächsten Morgen abgehenden Züge Gewißheit zu verschaffen, und nachdem uns mitgeteilt worden war, daß wir jederzeit Fuhrwerk an die Bahn erhalten könnten, lohnte ich unseren Kutscher ab und ließ ihn nach der Stadt zurückfahren. Manja mußte um neun Uhr in der Frühe abreisen; mein Zug ging eine Stunde später.

Wir ließen uns ein ländliches Abendbrot auftragen, das wir vor der Thür unter alten Bäumen verzehrten. Die Nacht war wundervoll und nie, glaubte ich, habe der Mond ein so reines, alles verklärendes Licht ausgestrahlt. Und so geschah es denn auch, daß uns die Trennung doppelt schwer wurde und ich Manjas Bitten bereitwillig nachgab, noch einen Spaziergang in den nahe gelegenen Gutspark zu machen.

Während wir uns vom Wirtshause entfernten, fiel mir plötzlich zweierlei ein, das ich in dem Wirrwarr der heutigen Ereignisse völlig vergessen hatte. War Unzer von Manja überhaupt benachrichtigt, und hatte sie ihr Gepäck mitgenommen? – Ja, sie habe ihm ein Schreiben zurückgelassen – erklärte sie, und ihr Gepäck – sie wundere sich, daß ich es nicht soeben habe abladen sehen, – führe sie bei sich.

»Und was meldetest Du Unzer?«

»Das, was ich Dir heute morgen schon mitteilte, und was ich schon entworfen hatte, bevor Du kamst,« erwiderte sie. »Wenn er zurückkehrt, findet er auf seinem Schreibtisch die Erklärung für meine Abreise, und überdies« – –

»Überdies?«

»Ach laß, Geliebter! Denken wir nicht an das, was morgen kommt. – Du wirst ihm sagen, daß ich mich plötzlich von Dir entfernt habe. Das warum, wo und wie überlasse ich Dir –«

»Ich kann ihn nicht belügen, Manja –«

»Nun, dann sag' ihm alles, wie's ist. Erkläre ihm, daß ich Dich gezwungen habe, mich zu begleiten, und eröffne ihm, daß ich Dich liebe, ihn nicht wolle, aber – daß Du – Du auch mich nicht wollest. Denn Du liebst mich ja nicht, Detlef! Gelt?«

Sie stand nach diesen Worten einen Augenblick still und schaute sinnverloren in die Ferne. Aber dann traf mich wieder ihr strahlender Blick und unter meinen zärtlich beruhigenden Worten schritten wir weiter.

Als wir auf unserer Wanderung in einen Seitenweg einbogen, der zu dem Park führte, sahen wir eine von wahrer Dornröschen-Wildnis umgebene Villa vor uns, blieben, von dem romantisch verwilderten Fleck Erde angezogen, neugierig stehen und spähten über die vergoldeten Stäbe, zwischen denen sich wuchernd die Sprößlinge der Schlinggewächse herausdrängten, in den mondbeschienenen Garten. Im Hintergrunde lag, mit tief herabfallendem Dach, der seltsame Bau, üppig umwuchert von Epheu, das auch die Hälfte eines einzigen großen Fensters verdeckte, welches droben hinter dem zurückgebauten Balkon hervorschaute. In den Wegen wuchs das Unkraut, die gewaltigen Bäume, die ringsumher standen, senkten ihre ungekappten und unbeschnittenen Zweige tief auf die Erde herab und verfinsterten das Erdgeschoß so sehr, daß ein weißer, vor die Fenster gezogener Vorhang unheimlich hell aus dem Dunkel hervorlugte. Weiterhin stand eine Pforte offen und man sah einen Bogengang, dessen goldenes Drahtgewebe, von der Wucht der Schlingpflanzen herabgedrückt, an mehreren Stellen durchbrochen, herabhing. Er leitete zu einer schön geschwungenen Treppe, die zu dem in Renaissance-Stil aufgeführten Seitengebäude hinausführte. Ein unwiderstehlicher Drang riß uns fort, näher zu gehen.

Die Treppenthür des Hauses gab schon bei leisem Drucke nach. Wir tappten in einem unheimlichen Dunkel vorwärts. Dann gelang es uns, die Fensterladen zu öffnen, aber nur spärliches Licht drang herein. Wir schritten weiter und betraten einen dumpfen, heißen Raum, der offenbar seit langen Zeiten nicht gelüftet war, Ich entzündete ein Wachskerzchen und stieß die Fenster auf, und nun bot sich uns ein unbeschreiblicher Anblick.

Eine große, stille, rings von dem schweigenden Walde umstandene Wiese lag vor uns, deren sanftes Grün das Mondlicht erhellte. Auf dieser stand regungslos, wie verzaubert, ein einziger gewaltiger Baum. Es war eine Silberpappel, die in dem metallischen Schein einem erstarrten Naturgebilde glich, denn ihre Blätter schienen wie aus blinkendem Erz gegossen.

Ich schloß hinter uns die Thür, rückte Sessel herbei und schaute mit Manja in die zauberische Nacht. Es überkam uns jenes namenlose Gefühl der Andacht vor der Natur, während gleichzeitig in unserm Innern alle jene Wonnen und Schmerzen aufstiegen, die nur diejenigen kennen, welche den Rausch verbotener Liebe kosteten.

Sie erzählte mir aus ihrer Kindheit und aus ihrem späteren Leben. Sie verschwieg nichts, und oft durchzuckte mich ein Gefühl des Unbehagens. Aber sie schloß mir immer wieder den Mund und wehrte allem, was sich tadelnd über meine Lippen drängen wollte.

»Ich weiß es, ich bin Deiner nicht wert, Detlef. Ich war Deines Freundes Unzer nicht wert, obgleich ich ja nicht schlechter bin als die Millionen, die alle nach ihrem Glück haschen, und von denen jeder ohne Ausnahme ein kleines oder größeres Geheimnis bemäntelt. Alle haben eines, und es giebt nichts, worin wir größer wären als in der Verheimlichung unserer Sünden.

Ich fühle es, daß ich einen Mann beglücken könnte, aber ich weiß auch, daß ich ihn lieben und achten muß, wie Dich, weil ich sonst rettungslos in meinen alten Fehler verfalle. Dieser, – meine Unbeständigkeit – war von jeher mein Unglück. Nur deshalb verdarb ich nicht, weil ich meine Seele vor dem Gemeinen bewahrte.

Die letzte Zeit erscheint mir wie ein Traum. – War ich wirklich in jener Marktbude? – – Stieg ich vom Podium herab unter die Gäste –?

Ja, ja! Und diese eine Unbesonnenheit hat mich gerichtet. Und doch sah ein Mann wie Unzer über all das hinweg! Er zeigte mir durch seinen Antrag jene vorurteilsfreie Gesinnung, die je seltener, desto höher anzuerkennen, und die mich auch verführte, seinen Antrag anzunehmen. Und in der That, ich hielt meine Achtung und Dankbarkeit für Zuneigung, bis ich meinen Irrtum erkannte. –

Sieh, Detlef! In Sachen des Gefühlslebens werde ich mich einem Zwange nie fügen können, ich weiß es; und so tausche ich denn eher Verzweiflung, Not – ja vielleicht – Schande ein gegen den Zwang, an der Seite eines Mannes zu leben, den ich nicht liebe.

Denn gewiß, ich fühle es, wir würden nicht glücklich werden; ich würde auf andere Art noch schrecklicher leiden – und sein Lebensglück auch vernichten. Ach, am besten, sterben, Detlef! Sterben! Wie oft habe ich daran gedacht, aber doch hält mich so vieles am Leben! Nicht nur meine Freude am Dasein, nein, auch der heiße Wunsch nach Glück, nach Sühne –

Mit Dir zugleich ersehne ich den Tod, Detlef!

Hier! unter der heiligen Schönheit, die die Natur in ihrer erhabenen Einfalt vor uns ausbreitet, – in diesem demütigen Frieden, – in dieser traumhaften Stille möchte ich zurück zu der großen, gütigen, sanften Mutter, die mich gebar! –

Was wird aus mir! Detlef, Detlef, verlaß mich nicht! –« schrie sie plötzlich auf und klammerte sich an mich.

Und während sie in meinen Armen ruhte, überlegte ich, was in mir vorging. Ich liebte Manja und ich liebte Columba; jede auf andere Art, beide gleich glühend. Ich wollte aus meiner Seele reißen, was ich plötzlich darin entdeckte. Vergeblich!

Ich hielt mich für eine Ausgeburt unter den Menschen und doch fehlte mir nur die Erfahrung. Denn sie hätte mich gelehrt, daß trotz des großen Bannfluches, den die Welt in Bereitschaft hält, sie selbst der Vernunft und der Moral täglich die tiefsten Wunden schlägt, und daß sie niemals Nachsicht mit den menschlichen Verirrungen zu üben verweigert, wenn sie – selbst einer solchen bedarf.

Nichts ist vollkommen! Wo eine Lücke ist, strebt der nie befriedigte Mensch, sie auszufüllen, und wo er am meisten Verwandtes findet, drängt es ihn, sich anzuschließen. Es schlagen die Funken der Zuneigung empor, und glücklich derjenige, der ihren Flammen entgeht!

In dem monddurchzitterten Zimmer war Manja zuletzt in meinen Armen eingeschlummert. Ich hob sie sanft empor und bettete sie auf ein Sofa, dessen zart geblümtes Muster einer längst vergangenen Zeit angehörte. Einmal noch schlug sie die Augen auf und streckte sehnsüchtig die Hand aus, aber ebenso rasch war sie wieder von Müdigkeit umfangen, und ich konnte es nicht über mich gewinnen, sie zu wecken. So wartete ich geduldig.

Und dann zog es mich geheimnisvoll in den dunklen Garten hinaus. Ich erhob mich, öffnete leise die Thür und beschritt die einsamen Alleen. Zuletzt gelangte ich an eine kleine Anhöhe, auf der eine große steinerne, die Rundung ausfüllende Bank sich an den dichtbelaubten Hintergrund lehnte. Alles war auch hier umzingelt von Laub und Schlingpflanzen.

Zur Linken war das künstliche Gewebe mit den nur noch leisen Ansätzen von Vergoldung völlig herabgestürzt, und Zweige, Blätter und Blumen umschlangen wild und ungestüm, wie in hoffnungsloser Liebe, den Hals einer Statue, die aus dem Gebüsch hervorlugte. Ich setzte mich und blieb lange in innerem Verstummen. Ich ließ die Vergangenheit an mir vorüberwandern.

Vor allem tauchte das Bild meiner Mutter vor mir auf, und in ihrem sanften Angesicht leuchtete es freundlich auf, als sie mich neben Columba sah, aber sie wandte sich schmerzlich bewegt ab, als Manja mit ihrer unruhigen Schönheit sich an meine Schulter lehnte und mich stürmisch umhalste.

Ich war reich und unabhängig. Das Studium betrieb ich aus dem Drang nach Wissen, meine Zukunft war nicht darauf angewiesen. Auch mein Alter hinderte mich kaum daran, schon jetzt eine Frau heimzuführen.

Ich überlegte. Ich tauschte in meinem Innern die Bilder der beiden Mädchen aus und beschloß, in dem entsetzlichen Zwiespalt zuletzt, auf beide zu verzichten. Ich wollte fort, ich wollte fliehen und alles abstreifen, was sich quälend um meine Seele legte. Ein heißer Drang nach Arbeit und Pflichterfüllung erfaßte mich.

Aber dann tauchte doch Columbas reines Bild wieder empor, und ihre Hand streckte sich sanft mir entgegen. Plötzlich glaubte ich mich dort an ihrer Seite. Ich sah sie in ihrem weißen Sommergewande, das ihre unnachahmlich feine Gestalt umschloß, durch die sauberen, kühlen Räume schreiten. Eine hellrote Rose saß auf ihrer Brust, ein Symbol ihrer Reinheit und Unschuld. Und fern lag mir alles, was die Sinne verwirrt. War doch nie ein unheiliger Gedanke neben ihr in mir aufgestiegen! War's mir doch stets gewesen, als ob ihre Erscheinung genüge, um alles abzustreifen, was draußen von dem Staub des Lebens an mir haften geblieben war.

Und nun drängte sich Manja wieder in meine Vorstellungen. Sie stand da in ihrer blühenden, verführerischen Reife. Aber jetzt wußte ich es auch: ich liebte allein die reine Seele Columbas; Manja hatte mich nur verzaubert.

Es war tiefe Nacht geworden. Die Bäume dufteten stark; in dem Gebüsch schwellte und dampfte eine unsichtbare Atmosphäre; es war der berückende Jasmin mit seinem giftig süßen Atem. Allmählich umfing mich eine bleierne Müdigkeit, der ich mich halb mit Widerstreben, halb mit Bewußtsein hingab. Ich schlief ein und träumte; aber ich öffnete noch einmal die Augen und sah, wie die weiße Blüte sich zudringlich an der Wange der Statue emporreckte, ein wildes, rotes Röslein aber bescheiden aus dem Gebüsch hervorlugte und sein Angesicht gleichsam demütig dem starren weißen Kunstgebilde zuwandte. »Manja, Columba!« flüsterte ich, schloß in sanfter Erwartung traumumfangen abermals die Augen und verlor endlich das Bewußtsein.

*

Nachdem ich Manja am nächsten Morgen an die Bahn gebracht und mich unter starken Erregungen von ihr verabschiedet hatte, reiste ich wie ein Verbrecher nach H. zurück.

Voll Bekümmernis und Unruhe erreichte ich meine Wohnung, und mein erster und einziger Gedanke war, Unzer sogleich aufzusuchen, um alles aufzuklären, über das Wie war ich mir freilich noch immer nicht klar. Ich konnte ihn nicht belügen, und doch stellte ich mir die Folgen des offenen Bekenntnisses im grellsten Lichte vor. Eine Beruhigung gewährte es mir, aber auch ein Schrecken erfaßte mich, als ich auf meinem Schreibtisch eine Depesche fand, in der mich Unzer zu meiner Überraschung aufforderte, sogleich mit Manja zu ihm zu kommen. Er sei – im Begriff die Rückkehr anzutreten – plötzlich erkrankt, und es könnten Tage vorübergehen, ehe der Arzt ihm wieder Freiheit erteilen würde.

Ich hatte Zeit gewonnen. Die Begegnung mit Unzer war verschoben. Das beruhigte mich, aber nach diesem Gefühl der Erleichterung trat die Bedeutung der ganzen Angelegenheit mit doppelter Schwere vor meine Seele.

Ich überlegte, was ich thun sollte, faßte allerlei abenteuerliche Entschlüsse und kam zuletzt auf das nächste und natürlichste. Ich depeschierte zurück, daß Manja abgereist sei und daß ich mit näherer Aufklärung darüber am Spätnachmittage eintreffen werde. Das Geschehene vorzubereiten lag im gemeinsamen Interesse, namentlich aber erleichterte es mir die Beichte.

Es war gegen sieben Uhr abends, als ich auf der Kreuzstation M. eintraf. Ein furchtbares Unwetter hatte sich erhoben und verdüsterte mein ohnedies tiefbedrücktes Gemüt noch mehr. Ich ließ mich in denselben Gasthof fahren, in dem Unzer wohnte, erkundigte mich bei dem Wirt, was sich ereignet hatte, erfuhr, daß ein schmerzhaftes rheumatisches Leiden, das meinen Freund häufiger plagte und stets plötzlich bei ihm auftrat, ärztliche Hilfe nötig gemacht habe und betrat sein Zimmer.

»Ach, Lieber! Bester!« rief mir Unzer entgegen, »Gott sei gedankt, daß Du da bist! Aber vor allem, was ist mit Manja?« –

Er wies ungeduldig, eine Antwort zu hören, auf einen Stuhl neben seinem Bett, faßte zärtlich besorgt meine Hand und blickte mir angstvoll in die Augen.

»Weshalb hat Manja mir nicht geantwortet? Vorgestern schrieb ich ihr und bat sie, sogleich Nachricht zu geben. Warum ist sie fort? Wohin? O, quäle mich nicht, – hoffentlich ist's etwas Gutes. – Ich liege in tausend Ängsten und martere mich.« –

Mir wollte das Herz stille stehen, aber ich faßte mich, ergriff seine Hand und sagte ernst und eindringlich:

»Sichere mir eins zu, Unzer: Was Du auch hören wirst, urteile nicht nach den ersten Eindrücken. Willst Du es mir versprechen?«

Des Kranken bleiches Angesicht wurde erdfahl, und halb ängstlich bereitwillig meiner Frage beipflichtend, halb betroffen über den feierlichen Ton meiner Stimme, rief er, alles zunächst in die eine ihn jetzt beschäftigende Frage zusammendrängend:

»Sage mir nur das eine Wort: Es ist ihr nichts zugestoßen – und sie liebt mich – alles übrige ist Nichts« –

»Es ist ihr nichts zugestoßen, und – sie achtet Dich, wie keinen Menschen auf der Welt, indessen –«

»Indessen? O rede! rede! Was ist denn mit ihr, weshalb mußte Sie fort, weshalb schrieb sie mir nicht wenigstens. – Was läßt sie mir sagen?« –

Es schien mir jetzt der geeignete Zeitpunkt zu sein, Manja selbst sprechen zu lassen. Ich zog den Brief hervor, den ich in Unzers Wohnung gefunden hatte, überreichte ihn, stand auf und wandte mich langsamen Schrittes ans Fenster. Ein unbestimmtes Gefühl trieb mich, in den ersten Augenblicken nicht in seiner unmittelbaren Nähe zu sein.

Bald darauf drang ein dumpfes Stöhnen zu mir herüber, und nach einer kurzen Pause fühlte ich, daß mein Freund sich im Bette emporrichtete und zu mir herüberblickte. Und dann berührten sich schnell wie der Blitz unsere Gedanken. Mich beschäftigte meine Schuld, und seiner bemächtigte sich ein furchtbarer Argwohn.

Und nun mit einem Satz war er, trotz seines leidenden Zustandes, aus dem Bette, packte mich an den Schultern, riß mein Angesicht vor das seinige und schrie mit heiserer Stimme:

»Es ist gut; ich werd' es ertragen, – ich muß es ertragen, – schon mein Stolz bäumt sich dagegen auf, daß ich es nicht ertrüge, aber eins: Dein Gewissen ist rein, Graf Detlef von Rauch« – –

»Höre mich, Unzer,« begann ich ausweichend nach kurzem qualvollen Zaudern.

Aber wie vom Schlage getroffen, wich er von mir, fiel in einen Stuhl, bedeckte das Gesicht mit den Händen und murmelte: »Also doch!« Er weinte nicht, er ächzte nicht, aber Töne entrangen sich seiner Brust, wie ich sie nie zuvor aus einem menschlichen Munde gehört hatte. Sie glichen jenem angstvollen, verzweifelnden Wimmern, wie ich es später von Verwundeten auf dem Schlachtfelde vernahm, jenem herzzerreißenden Stöhnen der machtlosen Kreatur, die mit dem Schmerzenstode ringt.

Ich trat zitternd näher und legte meine Hand an seine Schulter. Und dann sagte ich feierlich:

»Ich schwöre Dir zu, Unzer, daß ich Columba heute so heiß liebe, wie ehedem, daß Manja mir ihre Neigung erst gestand, nachdem sie innerlich ihre Beziehungen zu Dir gelöst hatte und ihr Entschluß bereits feststand, Dich zu verlassen, als ich« –

Aber er winkte mir warnend ab und sagte, mühsam ruhig sprechend:

»Jedes Wort mehrt meine Qual, jedes Wort vergrößert Ihre Schuld, mein Herr. – Nicht weiter. Um Ihretwillen nicht weiter!« – –

»Unzer!« rief ich flehentlich. Aber er hörte mich nicht, er richtete sich jäh empor, sah mich mit einem kalten Blick an und sagte:

»Ich danke Ihnen, mein Herr! Ich wünsche jetzt allein zu sein. Wenn es Ihnen also gefällig ist« –

»Unzer! Unzer! Ich bat Dich, nicht nach dem Schein zu urteilen und Du versprachst es mir mit stummer Miene. Verurteile mich nicht, ohne mich gehört zu haben« –

»Ich weiß alles und begehre nichts mehr zu wissen, Herr von Rauch, schon deshalb nicht, weil ich in diesem Augenblicke das beste verloren habe, was ich auf der Welt besaß: zuerst meine Mutter, dann meine Geliebte und – nun auch noch den Mann, den ich für meinen – Freund hielt. – Ich denke, da ich mich überdies kaum aufrecht zu erhalten vermag, daß es zu ertragen genug ist. Ich bedarf dringend der Ruhe. Ich bitte also abermals neben meinem Danke für Ihre Bemühung, daß Sie mich verlassen.« –

Er winkte mir mit jener gebietenden Miene, die keinen Widerspruch erduldet, wandte sich stolz und mit vornehmer Geringschätzung ab, als ich seine Hand ergreifen wollte, und wankte, sichtbar furchtbare Schmerzen überwindend, ins Nebengemach.

Noch blieb ich, – noch hoffte ich, daß er mir wenigstens einen Blick gönnen werde, einen versöhnlichen Blick, der die Anknüpfung an eine ruhigere Auffassung der Dinge gab. Und in der That wandte er sich um, aber sein sonst so schöner, edel geschnittener Kopf glich einer Totenmaske, und als ich nun noch immer dastand und nicht ging, floh jählings die künstlich bewahrte Ruhe. Den Eingangspfosten umklammernd, als ob er zusammenstürzen könne, hastete es aus seiner Brust, und mit einem Ausdruck, den ich nie vergessen werde, schrie er:

»Bitte! gehen Sie jetzt oder es geschieht ein Unglück! – Bei unserer einstigen Freundschaft beschwöre ich Sie, das Zimmer zu verlassen, denn ich bin meiner selbst nicht mehr mächtig!« – –

Nachdem sich Unzers Thür hinter mir geschlossen hatte, wirbelten die widersprechendsten Gedanken in mir auf und ab. Konnte, durfte ich ihn allein lassen – und war es möglich, nach diesem Auftritt, ohne besondere Aufforderung, abermals einen Fuß über seine Schwelle zu setzen? Nein!, aber ohne Pflege durfte er nicht bleiben, und es schien mir deshalb angezeigt, die Adresse seiner Mutter zu erkunden, damit sie benachrichtigt werde. Ich beschloß den Wirt zu fragen, welcher Arzt ihn behandelte, und ihm in geeigneter Weise die Sache ans Herz zu legen.

Ja, so war es gut! Und nachdem ich das besorgt und auch von dem Doktor die Zusage erhalten hatte, meinen Freund noch an demselben Abend zu besuchen, trieb es mich, sogleich nach Hause zurückzukehren.

Gerade wegen meiner Sorge um Unzer war es mir ein peinigender Gedanke, neben ihm thatenlos im Hotel zu verweilen. Ich wollte zurück! In der Ruhe meiner Wohnung, unter dem Einfluß der alten geregelten Lebensweise hoffte ich, zumal da das Geschehene nicht mehr ungeschehen zu machen war, meine Gedanken eher besänftigen und mich in eine gleichmäßigere Stimmung zurückversetzen zu können.

Unter solchen Erwägungen schloß ich meinen eben geöffneten Koffer zu, bezahlte meine Rechnung und begab mich an den Bahnhof zurück. Bevor ich aber das Hotel verließ, lauschte ich noch einmal an Unzers Zimmer und forschte den Diener aus, der seit seiner Erkrankung um ihn war.

Der Baron, hieß es, habe sich ins Bett gelegt und Papier und Tinte verlangt. Es gehe ihm anscheinend nicht schlechter, nur sei er sehr kurz und wortkarg gewesen, auch habe er befohlen, niemanden – wer es auch sei – zu ihm zu lassen.

Ich verständigte den Burschen, dies nicht auf den Arzt anzuwenden, legte ihm ans Herz, für den Kranken nach bestem Können zu sorgen, und schied mit den schmerzlichsten Empfindungen von einem Freunde, den ich – für immer verloren zu haben schien.

*

Es war tief im Herbst. Die Blätter fielen und beugten sich mutlos dem streichenden Winde, der unbarmherzig, kalt und rücksichtslos das letzte Leben in dem Garten der Villa zerdrückte, in die ich – nach dreimonatlicher Abwesenheit – zum ersten Mal meinen Fuß wieder setzte.

Ich hatte mich, trotz meiner festen Absichten, nicht überwinden können, seit jenen Ereignissen zu meinen Freunden zurückzukehren, und obgleich Manjas Bild immer mehr verblaßte und täglich Columbas reizende Erscheinung sehnsuchtsvoller vor mir aufstieg, auch meine Überlegung mir sagte, daß, je länger ich meinen Besuch verschöbe, die Gewinnung ihrer Verzeihung um so aussichtsloser sein werde, fand ich nicht die Kraft, zu handeln. Unzählige Male nahm ich einen Anlauf; oft war ich schon auf dem Wege, ja schon in der Straße, in der das Haus lag, aber stets trieb's mich wieder fort, und ich fühlte mich wie erlöst, nachdem ich mir noch diesen Aufschub abgerungen hatte.

Endlich schrieb ich an Frau von Zylitz einen Brief, deutete in diesem auf Umstände hin, die ich ihrer nähern Gestalt nach nicht erkennen ließ, und bat sie, mir zu gestatten, in alter Weise ihr Haus wieder betreten zu dürfen. Erst nach der Absendung machte ich mir klar, daß ich gerade dadurch die Lage verschlimmert habe, und daß es richtiger gewesen wäre, mündlich Gründe anzugeben, bei denen mich höchstens der Vorwurf traf, dieselben nicht früher mitgeteilt zu haben.

Die Folge lehrte jedoch, daß meine Voraussetzung nur zum Teil eine richtige war. Frau von Zylitz schrieb mir:

›Mein lieber junger Freund!

Wie schmerzlich es uns berührt hat, daß Sie ohne Erklärungen plötzlich unser Haus gemieden, obgleich wir erfuhren, daß Sie H. nicht verlassen hatten, und obgleich Sie wissen, wie sehr willkommen Sie uns stets waren, haben Sie, wie ich aus Ihren Zeilen erkenne, wohl ermessen und uns nachgefühlt. Es hätte, wenn Sie unter diesem Eindruck nicht ständen, wohl auch keiner Vorfrage bedurft, ob mein Haus Ihnen ferner offen sei!

Es ist mir aber lieb, daß Sie mir vorher schrieben, denn ich habe nun auf Ihre Anregung Veranlassung, Sie zu bitten, mir vorerst allein einen Besuch zu schenken, damit wir beide uns aussprechen. Sie sind sicher, daß alles, was Sie mir auch zu sagen haben, in meinen Augen eine richtige Würdigung, ja, sollte eine solche notwendig sein, gewiß auch eine Entschuldigung finden wird, aber ich bin nicht sicher, mein lieber junger Freund, daß dies gleicher Weise in meiner Umgebung der Fall sein wird. Ich will nicht hier weiter berühren, wie sehr Ihr Fortbleiben meine Töchter befremden mußte, welche Ihnen mit Gefühlen der Freundschaft zugethan waren, die nur mit geschwisterlichen Empfindungen zu vergleichen sind, und ich muß erst hören, ob nach Ihren Eröffnungen Aussicht vorhanden ist, daß sich deren Gemüter zu besänftigen vermögen.

Sehen Sie diesen Zweifel nicht als ein Unrecht an, – betrachten Sie es vielmehr als einen Beweis, wie tief die Enttäuschung zu wirken vermag, wo sie am wenigsten vorausgesetzt ward. Aber wie auch unser Gespräch ausfallen mag, seien Sie überzeugt, daß Ihre eigene Mutter nicht wärmer für Sie eintreten kann, als es von meiner Seite geschehen wird, schon deshalb nicht, weil ich Sie bisher stets wie meinen Sohn liebte.‹

Ich küßte gerührt das Blatt, auf dem diese hochherzigen und feinempfundenen Worte standen, aber auch die Scham stieg mir ins Antlitz, als mir erst durch diese Zeilen ins Bewußtsein gedrängt ward, welche seltenen Menschen mich ihrer Freundschaft gewürdigt hatten. –

Bernhard, der alte Diener, trat mir beim Eingang in die Villa mit der gewohnten Ehrerbietung entgegen, aber es leuchtete in seinem Angesicht nicht die freundliche Wärme, mit der er mich sonst stets empfing. Der Duft der getrockneten Rosen hatte heute etwas Beängstigendes, er raubte mir seltsamer Weise die künstlich errungene Unbefangenheit und machte mir die Personen und Dinge unnahbar, während er bisher in mir den Eindruck verstärkt hatte, daß ich hier zu Hause sei.

»Die gnädige Frau bittet Sie, hier einen Augenblick verziehen zu wollen, Herr Graf!« erklärte der Alte und wies auf ein Gemach zur Rechten nach dem Garten, das ich bisher nie betreten hatte.

Alles schien mir heute in dem Hause wie ausgestorben. – Die Töchter ließen sich nicht sehen, viel weniger Columba, die plötzlich mit abgehärmten Wangen, still und in sich gekehrt vor mein inneres Auge trat.

Ich wollte fragen, ob jemand krank sei, ob ich auch gelegen komme; ja, ich wünschte, trotz meiner verzehrenden Sehnsucht nach Columba, und trotz meiner Ungeduld, aus dieser schrecklichen Ungewißheit erlöst zu werden, meinen Besuch verschieben zu können; aber ich fand nicht den Mut zu irgend einer Frage. Die Kehle war mir wie zugeschnürt. Es war mir, als ob etwas Drohendes in des Alten Antlitz liege, als ob darin eingegraben sei:

»Was soll's nützen, daß Du noch einmal unser Haus betrittst. Unsere Liebe hast Du unwiederbringlich verloren! Jedes Wort, es mag sein, welches es wolle, – ist nur von größerem Übel.«

Die Fenster nach dem Garten waren zufolge der vorgerückten Jahreszeit bereits mit Moos eingefaßt und fest geschlossen. Draußen wirbelten die gelben Blätter in der Luft, und eine unheimlich graue Wolke, die am Himmel stand, verdüsterte das Gemach, in das ich eintrat.

Die Einrichtung wies auf nur seltene Benutzung des Raumes hin; jedes Möbel und jeglicher sonstiger Gegenstand trug den Stempel der Vereinsamung, des Förmlichen und Kalten. Um ein altes Pastellbild rahmte sich ein vergilbter Kranz. Der Tisch, der in der Mitte stand, war mit altmodisch gebundenen, gleichsam mit ihm verwachsenen, großen Büchern bedeckt, und oben darauf stand ein Frauenkorb, in dem Papierrollen lagen. Zwei altväterisch gestickte und in der Farbe verblichene Lehnstühle standen am Fenster, und ein mit großen bunten Perlen benähter breiter Klingelzug hing mitten an der Wand.

Die Luft war eisig und gedrückt, und mir war zu Mute, wie einem Schuldigen, der in dem Vorzimmer das erste Verhör des Richters erwartet.

Endlich vernahm ich Schritte im Nebenzimmer; die Thür öffnete sich, ich erhob mich, und Frau von Zylitz, nein, – Columba stand vor mir. Sie trug ein hellseidenes, zartgeblümtes Kleid, und den Kopf umrahmte ein schwarzes Spitzentuch, wie sie es wohl zu tragen pflegte, wenn sie in den Garten hinabschritt, um Blumen abzuschneiden, oder sich unten in den Wirtschaftsräumen zu schaffen machte. Ihr Gesicht war bleich, aber ihre Erscheinung war von so bezauberndem Reiz, und das schwarze Kopftuch neben dem leichten Gewande ließ sie so madonnenhaft schön erscheinen, daß ich wie gebannt sie anblickte.

Sie fuhr zusammen, als sie mich sah, und in ihren Mienen malte sich ein ängstliches Gemisch von Erstaunen und Schreck.

Einen Augenblick war ich selbst keines Wortes mächtig und stand ebenso unschlüssig vor ihr, wie sie vor mir.

Aber als ich endlich Worte fand, und mich ihr näherte, legten sich die Hände, gleichsam hilfesuchend, auf die Brust, und eine so erschreckende Blässe färbte die ohnedies durchsichtigen Wangen, daß ich in höchster Besorgnis ihr näher trat.

Sie hatte sich neben der Thür gegen die Wand gelehnt und suchte vergeblich ihrer Empfindungen Herr zu werden, und als ich nun abermals den Mund öffnete und mit leisem ehrerbietigem Tone sie anredete, verlor sie völlig die Fassung. Ohne die Augen emporzuschlagen, tastete sie sich mühsam an den Ausgang und sagte mit bebender Stimme:

»Sie wollen wohl Großmama sprechen? – Ich rufe sie. – Verzeihen Sie, daß ich mich entferne. – Ich fühle mich sehr unwohl« – –

»O, Fräulein Columba!« rief ich schmerzlich, aber ich redete nicht weiter, denn es quoll unter den Wimpern ihrer Augen hervor und große zögernde Thränen rangen nach Erlösung. Sie verrieten, was in ihrem Innern vorging, und was sie vielleicht reden wollte, erstarb unter der Qual ihrer Seele.

Ich sank in einen Sessel und vergrub mein Gesicht in den Händen. Die alte Stille trat ein. Aber nur für Augenblicke. Bald vernahm ich unruhiges Gehen und Geräusch. Die Zimmer nebenan wurden geöffnet und hastig zugeschlagen.

Die rufende Stimme der alten Dame drang an mein Ohr, und gleich darauf erschien mir gegenüber in der Thür das fragende Gesicht Bernhards.

Offenbar hingen diese Vorgänge mit Columba zusammen, und mein erster Gedanke war, herzuzueilen, um meine Teilnahme an den Tag zu legen. Aber ich überwand die Scheu nicht; ich erinnerte mich plötzlich des Briefes, und die vorwurfsvollen Mienen der Töchter des Hauses stiegen vor mir auf. Jetzt doppelt vorwurfsvoll, ja feindselig! »Du, Du bist Schuld, daß unser Liebling so abgehärmte Wangen hat, jetzt ohnmächtig unter unsern Händen vergeht, und daß täglich unser Herz mit Qual und Sorge erfüllt ist! Was willst Du noch? Geh! verlasse das Haus, in das Du Dir den längst stumm verwehrten Eingang ertrotzest!«

Und die Zeit verrann, und niemand kam. Sollte ich bleiben, sollte ich gehen? Ich wagte mich zuletzt kaum zu rühren, und das Blut schoß mir bei der Überlegung meiner Lage in die Stirn. –

Endlich, nach langem fernerem Warten, erschien Frau von Zylitz, trat freundlich, aber mit wehmütigem Ausdruck in den Mienen und mit kaum getrockneten Thränen in den Augen auf mich zu und sagte, während des Sprechens ein Tuch um die Schultern schlagend, ohne Übergang und etwas hastig:

»Verzeihen Sie, lieber Rauch, wenn ich Sie warten ließ, und ich bitte, folgen Sie mir. Es ist mir unmöglich, jetzt hier mit Ihnen zu sprechen.«

Wir gingen stumm neben einander ins Freie und über die weichen Kieswege des parkartigen Gartens. Der Wind hatte nachgelassen, aber die Blätter der sich entlaubenden Bäume schwebten trotzdem in unregelmäßigen Pausen langsam und leise, gleichsam magnetisch angezogen von der Mutter Erde, herab. An manchen Stellen hatte der Sturm das trockene Laub in Haufen zusammengeraschelt, an anderen war das Erdreich wie abgefegt, und herabgefallene halbreife und reife Früchte bedeckten überall, wo sich Obstbäume ausbreiteten, den Boden. Dazwischen zerknickte Zweige und jene trostlose Unordnung, die zeigt, daß keine sorgende Gärtnerhand mehr thätig ist.

Es fielen mir längst vergangene Zeiten ein. Es war mir, als ob ich noch ein Knabe sei, mich in dem Garten des elterlichen Hauses befände und nun doch mit so ganz anderen Empfindungen die alten Plätze meiner Kindheit besuchte. Der Abstand zwischen der Unbefangenheit jener Tage und dem leidenschaftlichen Wirrwarr der letzten Monate legte sich quälend auf meine Brust und bewirkte, daß ich noch immer keine Worte fand, vielmehr einsilbig neben meiner Begleiterin einherschritt.

»Wir wollen offen mit einander sein und ohne Einleitungen das Gegenwärtige berühren, lieber Rauch«, begann die alte Dame und lenkte in ein kleines Gehölz ein, das sich an den Garten anschloß. – »Nachdem Sie Columba gesehen haben, nachdem sie ohne Kenntnis Ihrer Anwesenheit Ihnen gegenüberstand, wissen Sie alles. Sie sank, sobald sie das Zimmer verlassen hatte, ohnmächtig in Julias Arme. Es geht ihr besser, es ist keine Gefahr«, – fügte sie rasch zu meiner Beruhigung hinzu. »Wollte nur Gott, daß sich sonst alles zum Guten wenden möge.«

Die Thränen traten ihr während der letzten Worte in die Augen, und sie stieß mehrere Male mit jenem Ton an, der einer heftigen seelischen Empfindung entspringt.

Mein erstes war, der würdigen Dame gerührt die Hand zu drücken und ihr für alle Güte und Nachsicht zu danken. Je unverdienter ihre Milde war, desto vorwurfsvoller legte sich mir mein Schuldbewußtsein auf die Seele. Ich berichtete sodann auf ihren Wunsch zunächst über die näheren Umstände meiner Begegnung mit Columba und schloß mit einer Entschuldigung, mich scheinbar so teilnahmlos verhalten zu haben.

»Sie handelten durchaus richtig, lieber Rauch«, erwiderte sie. »Es war besser, daß Sie nach dieser unfreiwilligen Berührung sie und meine Töchter mieden. – Lassen wir auch diesen Gegenstand jetzt ruhen, aber vertrauen Sie mir an, was Sie so lange von unserm Haus entfernte!" –

Ich schwankte. – Sollte ich ihr alles gestehen? War Offenheit in diesem Falle nicht Mangel an Rücksicht und Klugheit? Vielleicht sogar ein größeres Vergehen? Sie mußte meinen Kampf wohl bemerken, denn sie sagte rasch und fast feierlich:

»Ich weiß, daß Sie mir wahrheitsgetreu meine Frage beantworten werden. Natürlich! Es ist die Konsequenz unserer Freundschaft. – Ich werde ihre Eröffnungen in Ihrem Sinne, zu Ihrem Besten benutzen, oder sie in mein Inneres verschließen. Und um diese letzten Worte zu erklären, ja, lieber Graf, um Ihnen die Beichte zu erleichtern, – haben Sie überwunden, was sich zwischen Sie und Columba drängte?«

Sie umging in zarter Denkweise, was ihr nicht verborgen blieb, und was sie nicht in Zweifel zog. Ach, vielleicht hatte sie schon verziehen! Aber konnte Columba jemals meinen Treubruch vergessen, mir je vergeben? An dieser peinvollen Erwägung strauchelten meine Vorsätze, mich ihr rückhaltslos mit allen Einzelheiten anzuvertrauen. Ich sagte deshalb:

»Ihre Güte ist so grenzenlos, daß ich hoffe, Sie werden sich mit einer kurzen Erklärung begnügen, meine hochverehrte, liebe gnädige Frau und Freundin. Ihre Lebensweisheit erriet das Richtige. – Aber der kurze Rausch verflog in wenigen Tagen; nie verblaßte Columbas Bild in meinem Herzen, und wenn ich nicht früher an Ihre Thür klopfte, nicht eiliger zu Ihnen zurückkehrte, so war's, weil ich gleichsam erst alle Spuren meiner bösen Krankheit abstreifen wollte, ehe ich in den Kreis der Reinen zurücktrat. Erlassen Sie mir, ich bitte, die näheren Umstände, und nochmals – glauben Sie es mir – es gab nicht einen Augenblick, wo ich diejenige vergaß, die ich zu meinem maßlosen Schmerz so tief gekränkt habe.«

Die alte Dame schwieg nach diesen Worten. Sie ging rascher, hastiger als vorher. Oft stieß sie mit der Spitze ihres Schirmes oder mit dem Fuße ein Zweiglein oder einen Stein am Wege fort, und zuletzt blieb sie stehen und schöpfte tief Atem.

»Ich will nicht in Ihre Geheimnisse dringen, lieber Graf. Was Sie mir sagen, genügt mir, und ich glaube Ihnen. Aber nach Ihrem Geständnis, das ich zwar fürchtete und deshalb auch andeutete, aber immer noch mit leisem Hoffen meiner Ahnung abzuringen suchte, fällt es mir doch jetzt plötzlich auf die Seele, welche Erklärung ich den Meinigen geben soll, und wie sie – wenn ich die Ursachen umgehe – dies auffassen werden. Ach Columba – das liebe kleine Ding –« unterbrach sie sich plötzlich mit herzzerreißender Stimme und weinte so bitterlich, daß es mir qualvoll durch die Seele drang.

Sie sprach auch nicht weiter. Eine lange, peinliche Pause trat ein. Der Wind erhob sich von neuem und rauschte durch die Bäume; hier und da knackte es in den Zweigen, und gleichsam mitleidlos entblößt lag der durchsichtige Wald mit seinen kahlen Stämmen da.

Endlich ergriff ich das Wort: »O, seien Sie meine Fürsprecherin, liebe, verehrte, gnädige Frau! Mein Schicksal, unser beider Schicksal liegt bei Ihnen. Wenn Sie wollen, kann noch alles gut werden« –

»Sie täuschen sich, lieber Graf,« – antwortete sie, traurig das Haupt bewegend. – »Bei Columba liegt allein die Entscheidung! Sie ist keine gewöhnliche Natur; im Gegenteil, ein im Empfinden und Denken so eigenes Geschöpf, selbst so strenge mit sich in allem, so anders geartet, daß sie eine solche Enttäuschung schwerlich überwinden wird. Ach sicher, ihr ahnt alles, und Zugeständnis oder Verschweigen – es wird dieselbe Wirkung haben!«

Die alte Dame sah in ihrem Kummer so verlassen aus, daß sie mir plötzlich um viele Jahre gealtert schien. Eine ängstliche, fast furchterregende Besorgnis lag in ihren Mienen, und mein Schicksal glaubte ich schon durch diesen Ausdruck besiegelt. Und dann sagte sie mit ungewohntem Ernst:

»Nehmen Sie den Fall, Graf Rauch, daß Columba Ihnen ein solches Geständnis machen würde in einer Zeit, wo Sie um sie werben! Wie würden Sie darüber denken? Wie würden Sie handeln? Ich weiß, was darauf die natürliche, die nächste Antwort ist. Die Stellung des Mannes in der Gesellschaft ist eine andere, als die der Frau. Von meiner Seite zugegeben! Aber mein junger Freund, Columba erkennt dies nicht an! Naturen, wie die ihrige, geben alles, aber verlangen auch viel. Ein Verrat an einem solchen Herzen schlägt unheilbare Wunden. Ich kann verstehen, was Sie vorübergehend ablenkte. Ich trenne Leidenschaft von Liebe, Jugend und Thorheit von Alter und Erfahrung. Aber Columba – Columba« –

Und dann schwieg sie und öffnete eine kleine Pforte, die den Ausgang zu dem an der Stadt entlang führenden Spazierweg bot, drückte mir die Hand und sagte, noch eine Weile stehen bleibend und dazwischen allgemeine Gesprächsgegenstände berührend, endlich bestimmt und entschlossen:

»Ich werde Ihnen schreiben. Wenn Gott es will, wird noch alles gut. Lassen Sie vorläufig den Mut nicht sinken.«

Dann trennten wir uns, und ich wanderte bedrückt in meine Wohnung zurück.

Ich hatte diese kaum betreten, als mein Diener mir einen Brief von Manja überreichte. Ich öffnete ihn unter dem Eindruck der eben stattgefundenen Ereignisse fast mit Sträuben und durchflog seinen Inhalt. Er lautete:

Bester Detlef!

Weshalb ich Dir nicht früher schrieb? Weil ich mir vorgenommen hatte, nie wieder etwas von mir hören zu lassen. Und es wäre auch sicher bei meinem Vorhaben geblieben, wenn ich nicht vor Sehnsucht nach Dir verginge. Jeden Tag richtete ich ein Schreiben an Dich. Oft wurden es endlose Seiten, und auf jeder stand mit anderen Worten – dasselbe. Immer dasselbe! Und immer wieder vernichtete die Flamme, die ich in meinem Kamin anfachte, alle so zum Ausdruck gebrachten Gedanken, alle Empfindungen meiner Liebe, alle Ausbrüche meines Schmerzes.

Wirf, Teurer, auch diesen Brief gleich in die Glut und denke nicht mehr an sie, die ihn unter tausend Qualen geschrieben hat. Oft wache ich in der Nacht auf und richte mich empor. Im Traum rede ich mit Dir; Du bist gütig oder zornig, aber es gilt mir gleich, ich bin in Deiner Nähe! Alles ist dann so lebendig in meinen Vorstellungen, daß ich längere Zeit gebrauche, um Wachen und Träumen zu trennen. Es ist ja immer nur ein Bild, aber oft so süß, daß ein Belauscher meines Schlafes auf meiner Stirn hätte lesen müssen, mein Herz sei voll glückseliger Wonne.

Detlef! Ich weiß, Du berührst diese Blätter wie eine verbotene Frucht! Du vergleichst mich mit der Schlange des Paradieses, und fürchtest den Engel mit dem rächenden Schwerte, der an Deiner Seite steht. Ach, Lieber, ich beschwöre Dich! Laß ab von solchen Gedanken!

Du hast eine Schwester, deren Gedanken sich zu Dir wenden. Nun, nimm an, daß auch wir Geschwister seien, und daß ich um Dein Glück besorgt wäre!

In diesem Sinne richte Dein Auge auf diese Blätter, in diesem Sinne nimm auf, was ich Dir schreibe, wenn es auch anders zum Ausdruck gelangt.

Zunächst muß ich Dir von einem Traum erzählen:

Ich saß neben Dir in dem Gemache der Villa beim Försterhause. Wir schauten auf die grüne Wiese, und alles war wie damals, nur die Silberpappel hatte sich in einen goldenen Baum verwandelt, von dem es in Strahlen herabsprühte.

Und immer größer wurde das Geäst, immer mehr dehnte es sich aus. Allmählich aber versank die Krone des Riesen in dem brennenden Meer, und endlich war's eine feurige Sonne, die mit einem rubinroten Kern höher und höher emporstieg und zuletzt am silbernen Himmel stand. Du strecktest die Hände aus, aber je mehr sich der feurige Ball von uns entfernte, desto mehr schwanden unsere Kräfte. Eine süße, unbeschreibliche Ermattung umfing uns. Dein Kopf sank an meine Brust, und mit einem leisen, letzten Schrei versanken wir in ewige Traumseligkeit.

Und seltsam! Nun vermochte ich in Dein Inneres zu dringen. Ich sah jeden Deiner Gedanken, all Dein Fühlen und Empfinden lag vor mir; nichts blieb mir verborgen. Mein Bild saß in Deinem Herzen, mein Bild allein; ja, Du warst nur ein Teil Deiner selbst, denn ich hatte von Dir Besitz genommen. O, Detlef, da stieg ein Gefühl in meiner Brust auf, wie ich es nie zuvor gekannt. Eine unbeschreibliche Seligkeit durchzuckte mich, es war mir, als ob ich mit Dir in den Lichtglanz des ewigen Vergessens eingetreten sei.

Was ich eigentlich will? Dir sagen, daß es keine Zeitspanne eines langen Tages und der meisten langen Nächte giebt, in der ich mich nicht mit Dir beschäftige, in der ich mir nicht ausmale, was Du treibst, mich nicht in Vorstellungen ergehe, wie es sein würde, wenn ich an Deiner Seite wäre! Grausam ist das Schicksal, daß es in mir diese verzehrende Flamme anfachte; es brennt unter meinem Herzen, ich schmachte nach Annäherung, nach Liebe. Ich schmachte nach Dir, und wenn ich mir ausmale, ich hätte erreicht, daß die Wirklichkeit diese Lohe unerfüllter Hoffnungen getötet habe, dann durchdringt mich ein Gefühl von so namenloser Wonne, daß mein Herz vor Erregung zu springen droht.

Du empfängst diese Zeilen aus Berlin, wo ich eine wenig angenehme Stellung in einem vornehmen Hause einnehme. Meiner Umgebung Gedanken richten sich auf nüchterne Dinge; ein Tag vergeht wie der andere, mir bleibt aber viel Zeit; ich arbeite, studiere, lese, schreibe, hole manches nach und behalte noch lange, schweigsame Stunden der Nacht, um dann ganz allein mich mit Dir zu beschäftigen! Ach, schreibe mir einmal, wenn's nicht allzu unbescheiden ist! Sage mir, wie es Unzer geht, und – wann Du sie – – – O, Detlef! Detlef! Ich schrie eben auf, daß es schreckhaft laut durch die geöffneten Fenster über die Dächer klang. In diesem einen furchtbaren Schrei spiegelt sich mein Seelenleben ab. Ohne Dich alle Qual des Lebens! Mit Dir aber – Ach, verzeihe mir! Verzeihe mir Detlef!

Deine arme Manja.

Manja hatte gefragt, was Unzer triebe. Ich hätte ihr darauf nur weniges mitteilen können. Meine Erkundigungen ergaben, daß der eben Wiedergenesende zu seiner Mutter ins Bad gereist sei und später sich auf das Stammgut der Familie begeben habe. Die Wohnung war gekündigt, seine Sachen waren verpackt und ihm nachgesandt worden. Den Abschied von der Universität hatte er schriftlich bewirkt. Alle Erinnerungen an ihn wurden auch wieder wach, und ich hielt etwas in meinen Händen, das in der That einer süßen, aber giftigen Frucht glich. Ich hätte Manjas Brief den Winden preisgegeben, ich hätte ihn zertreten, ich hätte ihn kalten Blickes in Flammen aufgehen lassen, wenn ich dagegen ein Blättchen hätte austauschen können, auf dem die Worte standen: Komm! Columba liebt Dich! Aber ich wartete von Tag zu Tag. Ich vergrub mich, wie seit Monaten, in Arbeit und erhärtete mich in Pflichterfüllung. Ich hoffte und harrte. Aus der Villa kam nichts, und doch pochte mir das Herz, wenn nur der Ton meiner Flurglocke erklang. Aber was war's? Die Zeitung! Ein Brief! Ein Bote! Ein Bettler! Die Wäscherin! Bestellte Blumen; – abermals ein Brief, diesmal von meiner Mutter; – von Columba kein Lebenszeichen.

Vierzehn Tage nach dem Erzählten sandte mir Frau von Zylitz zu meiner äußersten Überraschung eine Verlobungsanzeige ihrer ältesten Tochter Julia. Der Bräutigam war ein pensionierter Oberst, der in H. lebte, seit Jahren in dem Hause verkehrte und ein ebenso gebildeter, wie liebenswürdiger Mann war.

Dieser Anzeige waren die Worte beigefügt: »Lieber Graf Rauch! Wir sind sehr glücklich über das Ereignis! In nächster Zeit beabsichtige ich eine kleine Verlobungsfete im engeren Kreise zu geben und erwarte Sie dann sicher auch bei uns. Bitte antworten Sie mir, ob wir auf das Vergnügen rechnen dürfen, und verzeihen Sie, daß ich unter diesen besonderen Ereignissen nichts von mir hören ließ. Seien Sie von allen (dieses letzte Wort war unterstrichen) des besten Empfanges gewiß!«

Nun wartete ich in ängstlicher Spannung abermals. Und von neuem schlichen die Tage dahin, und was ich erhoffte, erfüllte sich nicht. Welche Gedanken durchkreuzten mein Gehirn! Ich nahm an, daß meine Angelegenheit völlig in den Hintergrund getreten sei. Von einer Verbindung zwischen mir und Columba konnte nicht mehr die Rede sein! Unter der Glücksstimmung, in der sich die Familie befand, wandte man sich zwar mit milderen Gedanken zu mir, – dies bewies der Schlußsatz in dem Schreiben meiner ehrwürdigen Freundin – aber es war immer noch Zeit, durch eine freundliche Begegnung mir meine ehrliche Reue zu vergelten! Um anderes handelte es sich sicher nicht!

Und peinlich war mir diese unfreiwillige Zurückhaltung schon um deshalb, weil die Höflichkeit es erforderte, dem Brautpaar einen Glückwunsch abzustatten. Dies aber schriftlich zu thun, sträubte ich mich; denn während ich auf der einen Seite mir vorstellte, daß eine an Gleichgültigkeit streifende Empfindung mir gegenüber eingetreten sei, nahm ich andererseits wiederum an, man achte so sehr auf alles, was von mir aus ging, daß man meine Annäherung als eine unzarte Mahnung deuten könne.

Mein Stolz, meine Empfindlichkeit begannen sich zu regen! Hatte ich denn etwas gethan, was so unmenschlich war? Kämpfte ich nicht einen ehrlichen Kampf, und erschien ich nicht wie ein bettelndes Kind, das sein Vergehen sühnen wollte? Ließ man mich denn zu Worte kommen? Gab man mir Gelegenheit, mich zu verteidigen?

Freilich nahm ich diese Vorwürfe gegen meine Freunde ebenso rasch zurück. Mein Schweigen hatte ja eben bewirkt, worunter ich jetzt so namenlos litt. Aber ein Stachel des Unmuts und des Trotzes blieb zurück, und einmal stieg sogar der Gedanke in mir auf, alles von mir zu werfen und mich rücksichtslos diesem unnatürlichen Zustande zu entreißen.

Meine Mutter begehrte nach mir. Sie sprach in leiser Andeutung von einem Gutsnachbarkinde, das sich für mich eignen werde. Es empfahl sich für mich aus mancherlei Gründen, die Universität zu verlassen und in die Verwaltung unserer Besitzungen einzutreten. Pläne einer größeren Reise vor dieser verantwortlichen Thätigkeit waren überdies aufgetaucht, und in jedem Fall wünschte meine Mutter von mir bestimmte Erklärungen.

Ich beschloß, mich meiner thörichten, ja, wie ich fand, unmännlichen Zaghaftigkeit zu entreißen, dem Oberst meinen Besuch zu machen und durch ihn anzufragen, ob mir Julia gestatte, ihr meine Glückwünsche mündlich vorzutragen. Mit Columba wollte ich gleichzeitig sprechen, um endlich mein Schicksal aus ihrem Munde zu erfahren.

* * *

 


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