Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Phänomenologie des Geistes
Georg Wilhelm Friedrich Hegel

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Das göttliche Gesetz, das in der Familie waltet, hat seinerseits gleichfalls Unterschiede in sich, deren Beziehung die lebendige Bewegung seiner Wirklichkeit ausmacht. Unter den drei Verhältnissen aber, des Mannes und der Frau, der Eltern und der Kinder, der Geschwister als Bruder und Schwester, ist zuerst das Verhältnis des Mannes und der Frau, das unmittelbare Sich-erkennen des einen Bewußtseins im andern, und das Erkennen des gegenseitigem Anerkanntseins. Weil es das natürliche Sich-erkennen, nicht das sittliche ist, ist es nur die Vorstellung und das Bild des Geistes, nicht der wirkliche Geist selbst. – Die Vorstellung oder das Bild hat aber seine Wirklichkeit an einem andern, als es ist; dies Verhältnis hat daher seine Wirklichkeit nicht an ihm selbst, sondern an dem Kinde, – einem andern, dessen Werden es ist, und worin es selbst verschwindet; und dieser Wechsel der sich fortwälzenden Geschlechter hat seinen Bestand in dem Volke. – Die Pietät des Mannes und der Frau gegeneinander ist also mit natürlicher Beziehung und mit Empfindung vermischt, und ihr Verhältnis hat seine Rückkehr in sich nicht an ihm selbst; ebenso das zweite, die Pietät der Eltern und Kinder gegeneinander. Die der Eltern gegen ihre Kinder ist eben von dieser Rührung affiziert, das Bewußtsein seiner Wirklichkeit in dem andern zu haben, und das Für-sich-sein in ihm werden zu sehen, ohne es zurückzuerhalten; sondern es bleibt eine fremde, eigne Wirklichkeit; – die der Kinder aber gegen die Eltern umgekehrt mit der Rührung, das Werden seiner selbst oder das An-sich an einem andern Verschwindenden zu haben, und das Für-sich-sein und eigene Selbstbewußtsein zu erlangen, nur durch die Trennung von dem Ursprung – eine Trennung, worin dieser versiegt.

Diese beiden Verhältnisse bleiben innerhalb des Übergehens und der Ungleichheit der Seiten stehen, die an sie verteilt sind. – Das unvermischte Verhältnis aber findet zwischen Bruder und Schwester statt. Sie sind dasselbe Blut, das aber in ihnen in seine Ruhe und Gleichgewicht gekommen ist. Sie begehren daher einander nicht, noch haben sie dies Für-sich-sein eins dem andern gegeben, noch empfangen, sondern sie sind freie Individualität gegeneinander. Das Weibliche hat daher als Schwester die höchste Ahndung des sittlichen Wesens; zum Bewußtsein und der Wirklichkeit desselben kommt es nicht, weil das Gesetz der Familie das an-sich-seiende, innerliche Wesen ist, das nicht am Tage des Bewußtseins liegt, sondern innerliches Gefühl und das der Wirklichkeit enthobne Göttliche bleibt. An diese Penaten ist das Weibliche geknüpft, welches in ihnen teils seine allgemeine Substanz, teils aber seine Einzelnheit anschaut, so jedoch, daß diese Beziehung der Einzelnheit zugleich nicht die natürliche der Lust sei. – Als Tochter muß nun das Weib die Eltern mit natürlicher Bewegung und mit sittlicher Ruhe verschwinden sehen, denn nur auf Unkosten dieses Verhältnisses kommt sie zu dem Für-sich-sein, dessen sie fähig ist; sie schaut in den Eltern also ihr Für-sich-sein nicht auf positive Weise an. – Die Verhältnisse der Mutter und der Frau aber haben die Einzelnheit teils als etwas Natürliches, das der Lust angehört, teils als etwas Negatives, das nur sein Verschwinden darin erblickt, teils ist sie ebendarum etwas Zufälliges, das durch eine andere ersetzt werden kann. Im Hause der Sittlichkeit ist es nicht dieser Mann, nicht dieses Kind, sondern ein Mann, Kinder überhaupt, – nicht die Empfindung, sondern das Allgemeine, worauf sich diese Verhältnisse des Weibes gründen. Der Unterschied seiner Sittlichkeit von der des Mannes besteht eben darin, daß es in seiner Bestimmung für die Einzelnheit und in seiner Lust unmittelbar allgemein und der Einzelnheit der Begierde fremd bleibt; dahingegen in dem Manne diese beiden Seiten auseinandertreten, und indem er als Bürger die selbstbewußte Kraft der Allgemeinheit besitzt, erkauft er sich dadurch das Recht der Begierde, und erhält sich zugleich die Freiheit von derselben. Indem also in dies Verhältnis der Frau die Einzelnheit eingemischt ist, ist seine Sittlichkeit nicht rein; insofern sie aber dies ist, ist die Einzelnheit gleichgültig, und die Frau entbehrt das Moment, sich als dieses Selbst im andern zu erkennen. – Der Bruder aber ist der Schwester das ruhige gleiche Wesen überhaupt, ihre Anerkennung in ihm rein und unvermischt mit natürlicher Beziehung; die Gleichgültigkeit der Einzelnheit und die sittliche Zufälligkeit derselben ist daher in diesem Verhältnisse nicht vorhanden; sondern das Moment des anerkennenden und anerkannten einzelnen Selbsts darf hier sein Recht behaupten, weil es mit dem Gleichgewichte des Blutes und begierdeloser Beziehung verknüpft ist. Der Verlust des Bruders ist daher der Schwester unersetzlich, und ihre Pflicht gegen ihn die höchste.

Dies Verhältnis ist zugleich die Grenze, an der sich die in sich beschlossene Familie auflöst und außer sich geht. Der Bruder ist die Seite, nach welcher ihr Geist zur Individualität wird, die gegen Anderes sich kehrt, und in das Bewußtsein der Allgemeinheit übergeht. Der Bruder verläßt diese unmittelbare, elementarische und darum eigentlich negative Sittlichkeit der Familie, um die ihrer selbst bewußte, wirkliche Sittlichkeit zu erwerben und hervorzubringen.

Er geht aus dem göttlichen Gesetz, in dessen Sphäre er lebte, zu dem menschlichen über. Die Schwester aber wird, oder die Frau bleibt der Vorstand des Hauses und die Bewahrerin des göttlichen Gesetzes. Auf diese Weise überwinden die beiden Geschlechter ihr natürliches Wesen, und treten in ihrer sittlichen Bedeutung auf, als Verschiedenheiten, welche die beiden Unterschiede, die die sittliche Substanz sich gibt, unter sich teilen. Diese beiden allgemeinen Wesen der sittlichen Welt haben ihre bestimmte Individualität darum an natürlich unterschiedenen Selbstbewußtsein, weil der sittliche Geist die unmittelbare Einheit der Substanz mit dem Selbstbewußtsein ist; eine Unmittelbarkeit, welche also nach der Seite der Realität und des Unterschieds zugleich als das Dasein eines natürlichen Unterschieds erscheint. – Es ist diejenige Seite, welche sich an der Gestalt der sich selbst realen Individualität, in dem Begriffe des geistigen Wesens, als ursprünglich bestimmte Natur zeigte. Dies Moment verliert die Unbestimmtheit, die es dort noch hat, und die zufällige Verschiedenheit von Anlagen und Fähigkeiten. Es ist itzt der bestimmte Gegensatz der zwei Geschlechter, deren Natürlichkeit zugleich die Bedeutung ihrer sittlichen Bestimmung erhält.

Der Unterschied der Geschlechter und ihres sittlichen Inhalts bleibt jedoch in der Einheit der Substanz, und seine Bewegung ist eben das bleibende Werden derselben. Der Mann wird vom Familiengeiste in das Gemeinwesen hinausgeschickt, und findet in diesem sein selbstbewußtes Wesen; wie die Familie hiedurch in ihm ihre allgemeine Substanz und Bestehen hat, so umgekehrt das Gemeinwesen an der Familie das formale Element seiner Wirklichkeit und an dem göttlichen Gesetze seine Kraft und Bewährung. Keins von beiden ist allein an und für sich; das menschliche Gesetz geht in seiner lebendigen Bewegung von dem göttlichen, das auf Erden geltende von dem unterirdischen, das bewußte vom bewußtlosen, die Vermittlung von der Unmittelbarkeit aus, und geht ebenso dahin zurück, wovon es ausging. Die unterirdische Macht dagegen hat auf der Erde ihre Wirklichkeit; sie wird durch das Bewußtsein Dasein und Tätigkeit.

Die allgemeinen sittlichen Wesen sind also die Substanz als allgemeines, und sie als einzelnes Bewußtsein; sie haben das Volk und die Familie zu ihrer allgemeinen Wirklichkeit, den Mann aber und das Weib zu ihrem natürlichen Selbst und der betätigenden Individualität. In diesem Inhalt der sittlichen Welt sehen wir die Zwecke erreicht, welche die vorhergehenden substanzlosen Gestalten des Bewußtsein sich machten; was die Vernunft nur als Gegenstand auffaßte, ist Selbstbewußtsein geworden, und was dieses nur in ihm selbst hatte, als wahre Wirklichkeit vorhanden. – Was die Beobachtung als ein Vorgefundenes wußte, an dem das Selbst keinen Teil hätte, ist hier vorgefundene Sitte, aber eine Wirklichkeit, die zugleich Tat und Werk des Findenden ist. – Der Einzelne, die Lust des Genusses seiner Einzelnheit suchend, findet sie in der Familie, und die Notwendigkeit, worin die Lust vergeht, ist sein eignes Selbstbewußtsein als Bürgers seines Volks; – oder es ist dieses, das Gesetz des Herzens als das Gesetz aller Herzen, das Bewußtsein des Selbsts als die anerkannte allgemeine Ordnung zu wissen; – es ist die Tugend, welche der Früchte ihrer Aufopferung genießt; sie bringt zustande, worauf sie geht, nämlich das Wesen zur wirklichen Gegenwart herauszuheben, und ihr Genuß ist dies allgemeine Leben. – Endlich das Bewußtsein der Sache selbst wird in der realen Substanz befriedigt, die auf eine positive Weise die abstrakten Momente jener leeren Kategorie enthält und erhält. Sie hat an den sittlichen Mächten einen wahrhaften Inhalt, der an die Stelle der substanzlosen Gebote getreten, die die gesunde Vernunft geben und wissen wollte, – so wie hiedurch einen inhaltsvollen, an ihm selbstbestimmten Maßstab der Prüfung nicht der Gesetze, sondern dessen, was getan wird.

Das Ganze ist ein ruhiges Gleichgewicht aller Teile, und jeder Teil ein einheimischer Geist, der seine Befriedigung nicht jenseits seiner sucht, sondern sie in sich darum hat, weil er selbst in diesem Gleichgewichte mit dem Ganzen ist. – Dies Gleichgewicht kann zwar nur dadurch lebendig sein, daß Ungleichheit in ihm entsteht, und von der Gerechtigkeit zur Gleichheit zurückgebracht wird. Die Gerechtigkeit ist aber weder ein fremdes jenseits sich befindendes Wesen, noch die seiner unwürdige Wirklichkeit einer gegenseitigen Tücke, Verrats, Undanks u.s.f., die in der Weise des gedankenlosen Zufalls als ein unbegriffner Zusammenhang und ein bewußtloses Tun und Unterlassen das Gericht vollbrächte, sondern als Gerechtigkeit des menschlichen Rechts, welche das aus dem Gleichgewichte tretende Für-sich-sein, die Selbstständigkeit der Stände und Individuen in das Allgemeine zurückbringt, ist sie die Regierung des Volks, welche die sich gegenwärtige Individualität des allgemeinen Wesens und der eigne selbstbewußte Willen Aller ist. – Die Gerechtigkeit aber, welche das über den Einzelnen übermächtig werdende Allgemeine zum Gleichgewichte zurückbringt, ist ebenso der einfache Geist desjenigen, der Unrecht erlitten, – nicht zersetzt in ihn, der es erlitten, und ein jenseitiges Wesen; er selbst ist die unterirdische Macht, und es ist seine Erinnye, welche die Rache betreibt; denn seine Individualität, sein Blut, lebt im Hause fort; seine Substanz hat eine dauernde Wirklichkeit. Das Unrecht, welches im Reiche der Sittlichkeit dem Einzelnen zugefügt werden kann, ist nur dieses, daß ihm rein etwas geschieht. Die Macht, welche dies Unrecht an dem Bewußtsein verübt, es zu einem reinen Dinge zu machen, ist die Natur, es ist die Allgemeinheit nicht des Gemeinwesens, sondern die abstrakte des Seins; und die Einzelnheit wendet sich in der Auflösung des erlittenen Unrechts nicht gegen jenes, denn von ihm hat es nicht gelitten, sondern gegen dieses. Das Bewußtsein des Bluts des Individuums löst dies Unrecht, wie wir gesehen, so auf, daß was geschehen ist, vielmehr ein Werk wird, damit das Sein, das Letzte, auch ein gewolltes und hiemit erfreulich sei.

Das sittliche Reich ist auf diese Weise in seinem Bestehen eine unbefleckte durch keinen Zwiespalt verunreinigte Welt. Ebenso ist seine Bewegung ein ruhiges Werden der einen Macht desselben zur andern, so daß jede die andere selbst erhält und hervorbringt. Wir sehen sie zwar in zwei Wesen und deren Wirklichkeit sich teilen; aber ihr Gegensatz ist vielmehr die Bewährung des einen durch das andere, und, worin sie sich unmittelbar als wirkliche berühren, ihre Mitte und Element ist die unmittelbare Durchdringung derselben. Das eine Extrem, der allgemeine sich bewußte Geist, wird mit seinem andern Extrem, seiner Kraft und seinem Element, mit dem bewußtlosen Geiste, durch die Individualität des Mannes zusammengeschlossen. Dagegen hat das göttliche Gesetz seine Individualisierung, oder der bewußtlose Geist des Einzelnen sein Dasein an dem Weibe, durch welches als die Mitte er aus seiner Unwirklichkeit in die Wirklichkeit, aus dem Unwissenden und Ungewußten in das bewußte Reich herauftritt. Die Vereinigung des Mannes und des Weibes macht die tätige Mitte des Ganzen und das Element aus, das, in diese Extreme des göttlichen und menschlichen Gesetzes entzweit, ebenso ihre unmittelbare Vereinigung ist, welche jene beiden ersten Schlüsse zu demselben Schlusse macht, und die entgegengesetzte Bewegung, der Wirklichkeit hinab zur Unwirklichkeit – des menschlichen Gesetzes, das sich in selbstständige Glieder organisiert, herunter zur Gefahr und Bewährung des Todes; – und des unterirdischen Gesetzes herauf zur Wirklichkeit des Tages und zum bewußten Dasein, deren jene dem Manne, diese dem Weibe zukommt, in eine vereinigt.


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